Westerwälder Köpfe

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Andreas Balzar, 1769 - 1797, Räuberhauptmann, Höchstenbach


Ein Räuberhauptmann sieht rot

Wann und wo er geboren wurde, ist dokumentiert: am 28. Januar 1769 in Höchstenbach. Ebenso urkundlich belegt ist der Ort, das Datum und die Art seines Todes: Er wurde von Soldaten der napoleonischen Besatzungsarmee in Westerburg am 3. Oktober 1797 füsiliert. Dazwischen aber verliert sich das wildbewegte Leben dieses legendenumwobenen Mannes immer wieder im Dunkeln und fordert zu Spekulationen heraus. Doch sein Name ist im kollektiven Gedächtnis der Gegend zwischen Wied und Sieg dick unterstrichen. Nicht nur deshalb gehört er in diese Reihe von Westerwälder Köpfen, sondern auch, weil seine Biografie die revolutionäre »Sattelzeit« um 1800 spiegelt.

Seine Lebenszeit fällt in die kurze Blüte der großen Räuberbanden zwischen 1750 und 1820. Nach dem 30-jährigen Krieg war die Welt des mittelalterlichen Kaiserreichs ins Wanken geraten. Viele Landschaften waren gründlich geplündert und verarmt. Die Selbstverständlichkeit des einen christlichen Glaubens war zerstört, der Katholizismus und der Protestantismus hatten sich bis aufs Blut bekämpft. Und überall in Deutschland, das in viele Kleinstaaten zerfleddert war, über deren Grenzen man schnell fliehen konnte, bildeten sich Banden aus den Parias der damaligen Zeit: verarmte Bauernsöhne, Abkömmlinge der sogenannten unehrlichen Berufe wie Abdecker, Henker und Prostituierte, zu denen dann auch noch die überall verfolgten »Zigeuner« stießen, und viele elende Betteljuden. Unter ihnen Andreas Balzar 1769-1797 Räuberhauptmann Höchstenbach entwickelte sich ein besonderer Gauner-Jargon, das Rotwelsch, aus dem viele Ausdrücke in die Umgangssprache einwanderten wie: Bulle für Polizist, Bock haben für Lust, Model für Mädchen, Kohldampf für Hunger. Am Ende des 18. Jahrhunderts erschienen »Actenmäßige Nachrichten« an Stelle der heutigen Krimis, in denen den schaudernden Bürgern der Städte von den großen Räubern und ihren Banden erzählt wurde: »Schinderhannes« Bückler im Hunsrück, »Hiesl« Klostermeyer in Oberbayern, im Rheinland wüteten Damian Hessel, das »Studentchen« und Matthias Weber, genannt der »Fetzer«. Oft verklärte das Volk die Verfemten zu Sozialrebellen mit dem Flair eines Robin Hood. Der Schwager Goethes, Christian Vulpius, schrieb einen Bestseller über den edlen Banditen »Rinaldo Rinaldini«, und »Räuber und Gendarm« hieß von da an bis in unsere Zeit ein beliebtes Kinderspiel. Aber über den Räuberhauptmann Andreas Balzar findet sich in diesen Kriminalreports nichts. Er stammt nicht aus der deklassierten Gesellschaftsschicht wie die abgerissenen Desperados, die ihre Beute mit Lustnymphen in verrufenen Freudenhäusern versaufen und verhuren, weshalb viele von ihnen geschlechtskrank sind. Dagegen wächst Balzar als Sohn des Pfarrers von Flammersfeld auf. Und ebenso wie sein Vater soll er auf der »Hohen Schule« in Herborn, eine der wichtigsten Bildungsstätten der Calvinisten in Europa, Theologie studieren. Aber in seinen Adern rollt offensichtlich das Blut seiner Vorfahren, die jahrhundertelang als Förster und Soldaten gelebt hatten. Der fürstliche Wildpark um Herborn reizt seine Jagdlust allzu sehr, und der Lateinschüler wird nebenberuflich Wilddieb. Als Andreas Balzar enttarnt wird, kann er gerade noch aus dem Sayn-Wittgensteinschen Hoheitsgebiet nach Flammersfeld fliehen. Aus ist es mit der Theologen-Laufbahn, und sein empörter Pfarrervater verstößt ihn aus dem Elternhaus. Dabei war der Jagd- und Holzfrevel in jenen unruhigen Zeiten, als sich die alte Ständeordnung aufzulösen begann, auf dem Land eine übliche Praxis als Zeichen der Not wie der Revolte gegen das Unrecht. Denn allzu dreist nutzten die Adligen ihr Jagdprivileg aus. Sie verboten den Bauern, die Wildtiere zu töten, die ihre Feldfrüchte fraßen, und wenn den »Herren « danach war, betrieben sie rücksichtslos quer durch die Felder ihre Hetzjagden und zerstörten die Ernte. Da halfen sich die Dörfler eben selbst und besorgten sich Wildbret und Holz in den Wäldern. Das war noch nicht ehrenrührig. für den Sohn eines Pfarrers galten allerdings andere Regeln als für die Unterdrückten.

Nun ist er ein Outlaw.

Schiller hat in seiner Novelle »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« am Beispiel des »Sonnenwirts« Friedrich Schwahn die Karriere eines solchen Ausgestoßenen nachgezeichnet: Vom Wilddieb über das Zuchthaus in eine Räuberbande. Die Erzählung wirkt wie eine Blaupause für die Biografie von Andreas Balzar, nur dass dieser den Kerker überspringt. Er zieht nach Russland als Fremdenlegionär und bringt es dort bis zum Kapitän in der Leibwache des Zaren. Auch diese Lebensphase war beispielhaft für seine Zeit. Oft gingen damals abenteuerlustige Deutsche als Soldaten, Handwerker, Ingenieure und Kaufleute nach Russland, dort waren sie als Spezialisten gesucht und angesehen. In den russischen Romanen des 19. Jahrhunderts tauchten immer wieder Deutsche auf als Vorbilder an Tüchtigkeit und Können.

Warum Andreas Balzar aus Sankt Petersburg in den Westerwald zurückkehrt, wissen wir nicht. Aber plötzlich ist er wieder da. Er schließt sich einer Horde von Wilddieben und Räubern an und macht sich bald zu ihrem Anführer. Damit gehört er nun zu der sich epidemisch ausbreitenden Subkultur der Banden.

In jener Zeit wurde das ganze Rheinland unsicher gemacht von der weit verzweigten Niederländischen Bande. Zu ihr gehörte auch die Neuwieder


Andreas Balzar trifft seinen Vater kurz vor seiner Erschießung. Eine Szene aus der Aufführung der »Bartels Bühne«, Flammersfeld 1989.

Bande, die von der Stadt aus im Westerwald operierte. Die Waldgebiete der fürsten zu Wied waren zum großen Teil noch so unwegsam, dass selbst die Räuber sich verliefen, zum Beispiel nach einem missglückten nächtlichen überfall in Daaden. Auf ihrer Flucht gingen sie im Kreis und wurden am Morgen von den wütenden Bauern eingeholt, gefangen genommen und fürchterlich verprügelt. Balzar muss als Räuberhauptmann, der um Flammersfeld herumstreicht, Kontakt mit dieser Gang gehabt haben, aber er taucht in den »Acten der Polizey« nicht auf.

Er überfällt nämlich nicht Händler und Kaufleute, sondern französische Soldaten, und sein Gegner ist nicht die »Polizey«, sondern die französische Republik. Denn der Westerwald war inzwischen zum Kriegsgebiet geworden. Das revolutionäre Frankreich, angegriffen von Österreich und Preußen, hatte nach mehreren Siegen mit seinem Volksheer die Rheinufer besetzt und lieferte sich zwischen Mainz und Koblenz ständig Gefechte mit den Habsburger Truppen.

Als ein französischer Offizier die Braut Balzars auf dem Marsch durch Flammersfeld schändet, sieht Balzar rot und beginnt einen blindwütigen Rachefeldzug gegen alle, die eine Offiziersuniform der Besatzer tragen. Er greift mit seinen Freischärlern die Franzosen aus dem Schutz der Wälder so erfolgreich an, dass im Jahr 1797 die Chance zu einem Aufstand des gesamten Westerwaldes gegen die fremde Besatzung in der Luft liegt, wie Heinrich von Gagern, der einstige nassauische Regierungspräsident, in seinen Memoiren berichtet. Seine militärischen Gegner jedenfalls nehmen Balzar, den »Capitain noir«, als Guerillakämpfer sehr ernst und jagen ihn intensiv. Schließlich fangen sie ihn, aber nur durch Verrat. Die Franzosen achten seinen russischen Offiziersrang und hängen ihn nicht wie einen gewöhnlichen Kriminellen an einen Strick. Und so beendet im Hof des Westerburger Schlosses ein Erschießungspeloton das dramatische Leben des Feuerkopfes. Seine Biografie ist exotisch genug für einen Roman vom Archivar Christian Spielmann ca. 100 Jahre nach seinem Tod und für ein darauf fußendes Theaterstück, das immer wieder mal im Westerwald von Laienbühnen aufgeführt wird. Manche Mitteilungen über Andreas Balzar stammen von Spielmann und sind heute nicht mehr belegbar. Jedoch ein Faktum steht fest: Im Angesicht seines Todes, »in articulo mortis«, gesteht er, einundzwanzig französische Offiziere mit eigener Hand getötet zu haben, und weist die Binde vor den Augen zurück.

CG

Wilhelm Boden, 1890-1961, Landrat und Ministerpräsident, Birnbach


Ein Mann für schwere Zeiten

Sauber gescheitelt, aufrecht im Anzug mit Weste und Krawatte: So hat ihn sein Nachbar, der später berühmte August Sander fotografiert. Ein gläubiger Katholik und milder Patriarch, geboren und aufgewachsen im Königreich Preußen, ein Jurist und lebenslang ein Verwaltungsbeamter reinsten Wassers. Kein glanzvoller Redner, keine schillernde, charismatische Persönlichkeit – doch ein höchst fähiger Mann in Krisenzeiten.

Wilhelm Bodens privates Leben verlief zunächst sehr gradlinig. Er wurde am 5. März 1890 in eine Juristenfamilie in der Nähe von Trier hineingeboren, Abitur daselbst, dem ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaft in Bonn und Berlin folgte, das er 1915 mit dem 2. Staatsexamen abschloss. Zwischendurch hatte er pflichtschuldigst und in kürzester Zeit 1912 in Würzburg die kirchenrechtliche Promotion eingeschoben – und die war sicherlich nicht irgendwo abgeschrieben. Selbstverständlich war er während seiner Studentenzeit einer der ältesten katholischen Studenten-Verbindungen Bonns beigetreten, und selbstverständlich wurde 1919, bald nach dem Studium, also zur rechten Zeit geheiratet, eine Frau aus dem gleichen bürgerlichen »Stall« und mit gleichem Glaubensbekenntnis. Es kann nicht überraschen, dass eine Familie gegründet wird mit sechs Kindern, für die ein großes Haus gebaut wird. Ein Lebenslauf wie aus dem Schnittbogen für das wohlsituierte katholische Bürgertum.

 

Als er 1919 im Jahr seiner Heirat zum Landrat für den Kreis Altenkirchen/ WW bestellt wird, ist er der jüngste Landrat in Preußen, dem größten und einflussreichsten Land innerhalb der neuen Weimarer Republik, das von Danzig bis ins Ruhrgebiet reichte. Seine Anfangsjahre sind nicht einfach: Das Gebiet ist gegliedert in einen Oberkreis um die Stadt Betzdorf, geprägt von der Industrie des angrenzenden Siegerlandes, und einen Unterkreis um das Verwaltungszentrum in der kleineren Stadt Altenkirchen, der vorrangig von der Landwirtschaft lebt. Darüber hinaus glauben und wählen die beiden Regionen verschieden – der Norden katholisch und der Zentrumspartei zuneigend, der Süden protestantisch, deutschnational und von Bismarck begeistert. Der junge Landrat, Mitglied der rein katholischen Zentrumspartei, stößt zunächst auf Misstrauen, das er aber nach und nach überwinden kann. In den ersten Jahren seiner Amtstätigkeit muss Boden die drängende soziale Not bekämpfen. Tausende ehemalige Soldaten der geschlagenen deutschen Armee sind zurück in ihre Westerwälder Heimat gekommen, seelisch und körperlich versehrt. für sie und ihre Familien muss ein Auskommen geschaffen werden, das wenigstens zum überleben reicht. Gleichzeitig bewirkt der »Versailler Vertrag«, mehr Racheakt als Friedensstiftung, mit unvernünftig hohen Reparationen eine schwere Inflation.


Der Geldwert verfällt im Stundentakt, und die Arbeiterfrauen stehen am Ausgang der Fabriken, um in Waschkörben den Tageslohn ihrer Männer abzuholen. Schließlich sehen sich die Landkreise und Gemeinden genötigt, eigenes Sondergeld auszugeben, so auch Altenkirchen. Diese Notgeldscheine tragen die Unterschrift von Wilhelm Boden als Vorsitzendem des Kreisausschusses. Nach Einführung der Rentenmark 1923 stabilisiert sich die Wirtschaft, und der junge Landrat kann sich tatkräftig an die Gestaltung des öffentlichen Lebens im Kreis machen. Mit der Fusion der Elektrizitätswerke Siegerland (EWS) und den viel größeren Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE), die 1927 abgeschlossen wurde, regelt er die Sicherung der Stromversorgung des Gebiets. Dieser Zusammenschluss zu einem effizienten, großen Energiebetrieb nützt auch dem Haushalt des Kreises. Bis heute, wenn auch in den letzten Jahren abnehmend, finanziert der Kreis mit den Dividenden aus seinen RWE-Aktien vor allem die Kulturarbeit. Weil er die Notwendigkeit erkennt, die Erzförderungs-, Hütten- und Basaltindustrie des Kreises an die großen Verkehrswege anzubinden, widmet er sich überdies intensiv dem Ausbau der Westerwald-Bahn.


W. Boden (im Führerstand) bei der Taufe einer neuen Dampf-Lok auf seinen Namen, 1927.

Eine der neuen Heißdampf-Lokomotiven wird feierlich auf den Namen »Landrat Dr. Boden« getauft. Als ebenso die Zeiten überdauernd erweisen sich seine Initiativen im Bereich der Ausbildung junger Menschen. Er sorgt dafür, dass das Real-Gymnasium Betzdorf als erstes in Preußen in die Trägerschaft des Kreises überführt wird – heute eine Selbstverständlichkeit – und begleitet die Schulreformen der folgenden Jahre mit dem Eifer des humanistisch Gebildeten. Das Gymnasium öffnet sich dadurch weiteren Kreisen der Gesellschaft, auch den Mädchen. Ein großzügiger Erweiterungsbau inklusive Sternwarte fängt den Zustrom der Schüler und Schülerinnen auf. Auch eine weitere Landwirtschaftsschule wird in seiner Amtszeit errichtet.

Boden verliert dabei die Schutzlosen und Belasteten der Zwanziger Jahre nicht aus seinem fürsorglichen Blick. Der Kreis erwirbt zwei Villen und gestaltet sie als Kindergenesungsheim und Müttererholungsheim um. Schließlich wird auf Veranlassung des Landrats in Kirchen ein modernes katholisches Krankenhaus errichtet, das bis in die Jetztzeit seine Aufgaben erfüllt. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 trifft vor allem den schwerindustriell geprägten Oberkreis hart. Die Arbeitslosigkeit steigt in ungeahnte Höhen, ein wesentlicher Grund für die Wahlerfolge der Nazis im Kreis. Viele verzweifelte Westerwälder wandern wieder einmal wie im 18. und 19. Jahrhundert nach Nord- und Südamerika aus. Engagiert stemmt sich Landrat Boden gegen die Stilllegung der Erzgruben mit Hunderten von Arbeitern. Wegen der »Grube Bindweide« richtete er sogar einen Appell an den Reichspräsidenten Hindenburg persönlich – vergeblich.

Die Machtergreifung der NSDAP bedeutet für Boden einen tiefen Riss in seinem sonst so makellosen Lebenslauf. Im Zuge der sogenannten »Gleichschaltung « wird er aus seinem Amt geworfen, wegen angeblicher Untreue wie viele andere Amtsträger angeklagt und in einem infamen, wochenlangen Schauprozess sogar zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt. Anders als viele andere der Verwaltungselite biedert sich Boden aber niemals bei den Nazis an. Es hilft ihm sicher, dass er tief in seinem katholischen Glauben verankert ist. Boden zieht sich für die zwölf dunklen Jahre des »Tausendjährigen Reiches« mit seiner Familie nach Köln zurück und arbeitet als Rechtsanwalt und Gutachter.

Nach dem katastrophalen Ende des Weltkrieges suchen die alliierten Besatzungsmächte händeringend nach unbelasteten Fachleuten für die Organisation des zerstörten Landes. Wilhelm Boden macht nun eine geradezu atemberaubende Karriere. Zuerst wird er 1945 von den Amerikanern per Federstrich wieder als Landrat des Kreises Altenkirchen eingesetzt, doch schon nach wenigen Wochen ernennen ihn die Franzosen, die diese Zone von den Amerikanern übernahmen, erst zum Oberpräsidenten, dann zum Regierungspräsidenten von Koblenz. Wieder einmal bestehen seine Aufgaben vorwiegend darin, die Wohnungsnot und den Hunger zu bekämpfen. 1947 heben ihn die Franzosen auch noch in das Amt des Ministerpräsidenten von »Rhéno-Palatin«, dem neu gegründeten Rheinland-Pfalz. Doch obwohl er dann die ersten demokratischen Parlamentswahlen gewinnt als Spitzenkandidat der auf den Trümmern der Zentrumspartei gegründeten CDU, gelingt es ihm nicht, eine neue Regierung zu bilden gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und auch seiner eigenen Partei. Das politische Revier der Strippenzieher und Fallensteller ist dem passionierten Jäger und Waldgänger Boden nicht sehr vertraut. Resigniert gibt er den Regierungsauftrag zurück und das Amt des Ministerpräsidenten auf. Seine letzten Berufsjahre verbringt er hochgeachtet und hochgeehrt mit dem Bundesverdienstkreuz als Chef der Landeszentralbank.

Die Glanzzeit seines Lebens aber waren die Jahre als junger Landrat in Altenkirchen, als er auf allen möglichen Gebieten Erstaunliches leistete in den wilden Jahren der ersten deutschen demokratischen Republik. In seinem Haus in Birnbach, nahe Altenkirchen, stirbt er am 18. Oktober 1961.

CG

Carmen Sylva, 1843-1916, Königin, Schriftstellerin, Schloss Monrepos


Eine dichtende Königin, wie aus dem Märchenbuch

Es gibt noch da und dort eine Straße, einen Park oder ein Altenheim, die ihren Namen tragen, aber ihre Werke werden nicht mehr aufgelegt und sind vergessen. Und doch war sie einst in ganz Europa berühmt als »dichtende Königin«. Als sie 1890 Queen Victoria besuchte, trug sie auf einem Sängerfest in Wales eigene Dichtungen vor und wurde von der Menge bejubelt. Berichte über sie füllten die Boulevardblätter jener Zeit. Ihre Bücher wurden in verschiedene europäische Sprachen übersetzt, dafür sorgte sie oft schon selbst, denn sie sprach fließend Deutsch, Englisch, Französisch und Rumänisch. Eine spektakuläre Erscheinung, die Königin von Rumänien, geborene Elisabeth zu Wied, die sich als Dichterin »Carmen Sylva« nannte.

In diesem Namen verbirgt sich ihre Herkunft aus dem Westerwald: »Waldgesang«, lateinisch carmen sylvae, was sie wegen des besseren Klangs abänderte. »Carmen das Lied und Sylva der Wald / Von selbst gesungen das Waldlied schallt.«

Im Schloss Monrepos, über der Stadt Neuwied mit Blick auf den vielbesungenen Rhein gelegen, kommt sie als Tochter des fürsten Hermann zu Wied und seiner Frau Maria, geborene von Nassau, zur Welt. Sie durchlebt eine von strenger Erziehung geprägte Kindheit. Wenn sie aber in die Wälder um Monrepos darf, wird sie zum wilden Naturkind. Ihre Sprachbegabung fördert ein eigener Hauslehrer, – und sie bekommt sogar einige Klavierstunden von Clara Schumann, die als Starpianistin durch die deutschen Adelshäuser tingelt. Zu Füssen ihres weitgereisten Onkels Maximilian zu Wied sitzend, lauscht sie seinen Erzählungen über das Leben der nordamerikanischen Indianer.

Als sich kein passender hochadliger Ehemann anbietet, droht sie als junge Frau den Eltern an, Lehrerin zu werden, um etwas Nützliches für die Menschen zu tun. Dieser für eine Frau der damaligen Oberklasse ungewöhnliche Berufswunsch zeigt schon den Einfluss der Frauenemanzipation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Doch ist Elisabeth zu Wied alles andere als eine Suffragette. Zu sehr ist sie erfüllt von der überzeugung, die wesentliche Aufgabe einer Frau bestehe darin, zu lieben, zu pflegen, und zu dienen, zum Beispiel einem Ehemann und einer möglichst zahlreichen Kinderschar. Der Wunsch, Leben zu erzeugen und zu erhalten, erwuchs sicherlich auch aus frühen Erschütterungen. Ihre Kindheit wird überschattet von schweren Krankheiten in der Familie. Der geliebte jüngste Bruder Oskar, schon schwer geschädigt geboren, stirbt mit 12 Jahren. Der Vater Hermann zu Wied, ein hochgebildeter Privatgelehrter, leidet an Tuberkulose, und auch die Mutter Maria kränkelt oft, ist zeitweise sogar gelähmt.

Obgleich eine attraktive junge Frau mit einer – wie Zeitzeugen berichten – »süssen«, wohlklingenden Stimme, lässt sie sich auf dem europäischen Heiratsmarkt des Hochadels schwer vermitteln. Sie gilt als zu ernsthaft und gebildet. Schon nähert sie sich mit 26 Jahren als Hochadlige dem Status der »alten Jungfer«, da führt ihre Mutter Maria zu Wied 1869 eine arrangierte Begegnung mit Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmaringen herbei, einem hohen Offizier der preußischen Armee, ehrenhaft und zurückhaltend gegenüber Frauen. Kurzentschlossen macht er ihr jedoch bei diesem ersten Treffen einen Heiratsantrag, vielleicht weil er Elisabeth schon einmal in seinen Armen aufgefangen hatte, als das junge Mädchen, eine Schlosstreppe runterstürmend, gestolpert war. Sie nimmt den Antrag ebenso entschieden sofort an. Wenige Wochen später wird die Ehe geschlossen.

Schon 1866 hatte ihr Mann als fürst Carol I. die ihm angetragene Regentschaft in Rumänien übernommen. Die Flitterwochen bestehen deshalb aus zwei Tagen im Schlafwagen nach Bukarest. Obgleich ihr lockerer rumänischer Hofstaat die sittenstrenge fürstin nach einigen Wochen verdächtigt, sie sei wohl frigide, gebiert Elisabeth schon elf Monate nach der Hochzeit eine Tochter, die abgöttisch geliebte Maria. Das Glück über die Erfüllung ihres fraulichen Lebensziels dauert nur kurz. Als sie mit ihrem Kind während einer Scharlach-Epidemie aus Pflichtgefühl ein Hospital besucht, infiziert sich die Kleine an eben diesem Erreger und stirbt 1874 im Alter von 3 Jahren. Den Schmerz über diesen Verlust verwindet die Königin nie, zumal sie kein Kind mehr zur Welt bringen kann, stattdessen mehrfach Fehlgeburten erleidet. Schreibend versucht sie, diese Wunde ihres Lebens zu heilen: Sie beginnt eine Karriere als Dichterin mit dem Pseudonym »Carmen Sylva«. Unermüdlich veröffentlicht sie Gedichte, Romane, Märchen, Theaterstücke, Aphorismen – in rasender Eile und kaum korrigiert, was sich ungünstig auf die Qualität ihrer Arbeiten auswirkt. Bald erwirbt sie sich jedoch mit ihren Werken einen gewissen Ruhm, wozu sicher auch ihr gesellschaftlicher Rang beiträgt. Denn 1881 hat sich Rumänien zu einem Königreich gemacht. Nun ist sie eine »dichtende Königin«, die sich offen zur Schriftstellerei bekennt – anders als die mit ihr befreundete österreichische Kaiserin Sissy, die ebenfalls schreibt, aber eine Veröffentlichung wegen der Hofetikette ablehnt.


Carmen Sylva und Tochter Maria

Carmen Sylvas Bücher werden von der Presse sehr wohlwollend rezensiert. Sie korrespondiert mit einer Reihe von bekannten Autoren aus anderen Ländern, so mit Pierre Loti, dem französischen Romancier, der dafür sorgt, dass ihr Buch Pensées d‘une reine von der Académie Française ausgezeichnet wird. Kurz gesagt: Sie wird nach und nach eine Spezialistin in Public Relations, fördert tatkräftig die eigene Sache wie auch das Kulturleben Rumäniens, vor allem die Volkskunst, deren überlieferungen sie zu retten versucht. Geschickt inszeniert sie sich dabei selbst. Empfängt sie zum Beispiel einen Dichter, liegt sein Buch wie zufällig auf dem Flügel, an dem sie, in wallende Gewänder gehüllt, gerade eine Sonate spielt. Als sie in ihrem Publicity-Eifer so weit geht, home-stories vom Krankenlager ihres Mannes an die Presse zu schicken, ätzt Karl Kraus in seiner Zeitschrift »Die Fackel« 1907: »Carmen Sylva ist keine bedeutende Schriftstellerin, wohl aber eine tüchtige Krankenpflegerin …«

 

Carmen Sylva und Tochter Maria Im Leben wie in ihren Gedichten empfindsam bis zur Sentimentalität, wird sie anfällig fürs Zweite Gesicht. Als die junge Hofdame Vacarescu behauptet, in »Visionen« würde ihr der rumänische Thronfolger Prinz Ferdinand seine heimliche Liebe gestehen, versucht Königin Elisabeth hartnäckig, die beiden trotz großem Standesunterschied zu verheiraten. Als die skandalöse Affäre französische Boulevard-Zeitungen erreicht, verbannt sie ihr Ehemann Karl I. für zwei Jahre nach Italien, um den jungen fürsten standesgemäß verheiraten zu können.

über all ihren Eitelkeiten als Dichterin und den Merkwürdigkeiten ihres Auftretens darf nicht übersehen werden: die Landesmutter ist eine sehr warmherzige Frau, die ihre sozialen Verpflichtungen als Königin ernst nimmt. Sie gründet Schulen, Hospitäler und Pflegeheime in dem rückständigen Land, und im türkisch-russischen Krieg 1877 versorgt sie persönlich die verwundeten rumänischen Soldaten, die auf der Seite Russlands kämpfen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges trifft das Königspaar tief. Beide fühlen sich zerrissen zwischen ihrer deutschen Herkunft und der Loyalität zu Rumänien. 1914 stirbt der König im Schlaf. Seine Frau folgt ihm nur zwei Jahre später. Man sucht die überreste ihres Kindes Maria, findet sie in einem versteckten Grab im Garten des Schlosses und bestattet sie zusammen mit der Mutter. Im Tode vereint – ein ergreifendes, romanhaftes Lebensende, wie aus einem der Märchenbücher der »dichtenden Königin« Carmen Sylva.

CG

Aphorismen

Die sogenannte Frauenfrage geht die Seele gar nichts an. Der Frauenberuf heißt in der Natur: »Gebären« und in der geistigen Welt: »Mutter sein«. Das ist der Frauen Beruf, und wer das Gegenteil beweisen kann, beweise es.

Sobald in der Ehe der Gedanke an Geduld auftaucht, ist sie eigentlich schon keine Ehe mehr, denn die Liebe ist fort, auf der dieses Verhältnis sich allein aufbauen und erhalten kann.

Pflichttreue ist eines der schönsten Wörter der lieben deutschen Sprache; sie kann stolz sein, es zu besitzen.

aus: Gedanken einer Königin

Wenn ein Herz bricht, geht ein Hauch

Von Weh so über die Erde,

Als wenn in kalten Nebelhauch

Und Schnee sie verwandelt werde.

aus: Geflüsterte Worte von Carmen Sylva

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