Ich bin Isabella

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Tage voller Pomp und Feierlichkeiten liegen hinter mir.

Ein wahrlich barockes Fest, raunen die Menschen auf den Straßen mir zu, eine wahrlich barocke Prinzessin, ein Märchengeschöpf. Was für ein Glück der Joseph doch nur hat, so eine Schönheit, großgewachsen, zierlich, apart und feingliedrig, dunkelhaarig, bildhübsch, wunderschön. Eine richtige Märchenprinzessin, die sich gar nicht märchenhaft fühlt, aber das bekommt keiner mit, das geht keinen was an und ich war schon immer eine wahre Meisterin des Versteckspiels. Sie sind alle furchtbar lieb zu mir, auch Franz Stephan, der Kaiser und Maria Theresia, meine Schwiegermutter. Sie liebt mich zärtlichst wie eine eigene Tochter und lobt alles, was ich tue, überschwänglich.

„Mein liebes Kind, Sie sind mir wie eine Tochter, ich bin so froh, Sie an meinem Hof und an Josephs Seite zu wissen“, sagte sie breit lächelnd, als ich ihr das erste Mal gegenübertrat und drückte mich an ihre üppige Figur. Sie ist 43 Jahre alt und hat unvorstellbare 16 Kinder zur Welt gebracht. Der kleine Maximilian Franz ist erst vier Jahre alt und Maria Antonia fünf. Die Kleine ist wirklich allerliebst und stand ganz schüchtern mit ihrem rechten Daumen im Mund neben ihrer Maman und sah mich treuherzig an. Auch Maria Theresias Ehemann, Franz Stephan von Lothringen ist reizend zu mir.

Dennoch habe ich, das Gefühl, dass jeder hier nur eine Rolle spielt, auch ich.

Und ich spiele sie gut, nahezu perfekt. Nahezu perfekt. Ich bin eine Meisterin der Verstellung.

Wie es in mir wirklich aussieht, merkt keiner, auch nicht Joseph nicht, der am allerwenigsten.

Wie er errötet ist, als er sich das erste Mal über meine Hand gebeugt hat im Schloss Laxenburg. Er hat die Augen nicht von mir lassen können und mich wie eine Fatamorgana angestarrt. Ganz schüchtern war er, als wir einander das erste Mal vorgestellt worden sind. Ganz anders als sein Papa, der Kaiser, als dieser mich in Stuppach, im Schloss des Grafen Walsegg gemeinsam mit meiner Hofdame Antonia Gräfin Erdödy in Empfang nahm. Er ist galant und liebenswürdig, wenn auch ein wenig in die Jahre gekommen und ziemlich fett. Aber man sieht den gutaussehenden, heiteren und liebenswerten lothringischen Prinzen, der er vor langer Zeit gewesen war und ich spüre, dass er dieser Prinz mir gegenüber noch gerne sein würde und das ekelt mich ein wenig an.

Joseph himmelt mich in Laxenburg an seines Vaters Seite schüchtern und unbeholfen an, er betet mich an, ist völlig vernarrt und verliebt in mich und ich gebe ihm das Gefühl, dass es mir genauso geht, Meisterin der Verstellung, die ich bin. Dabei ist er mir gleichgültig. Er sieht sehr gut aus, ist ein schöner Mann, voller Kraft und mit einem edlen, maskulinen, markanten Profil und mit sehr schönen blauen Augen, die er von seiner Mutter, der Kaiserin geerbt hat. Zudem ist er schlank und gut gebaut. Genau wie ich auch ist er recht gebildet und hat ähnlich wie ich fortschrittliche Ideen. Er hat sogar Kenntnis der Schriften Voltaires und Rousseau, was ich himmlisch finde, denn ich beschäftige mich sehr mit den Themen, die in Aufklärer - Circeln en vouge sind. Er beschäftigt sich auch sehr mit militärischen Themen, was mich merkwürdigerweise auch sehr interessiert. Ich kann mich gut mit ihm unterhalten und er spielt auch ausgezeichnet Cello, aber mein Herz lässt er absolut kalt. Er berührt es nicht. Ich müsste ihn lieben, so wie er mich liebt, ihn begehren, wie er mich begehrt, aber ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Es geht einfach nicht.

Ich liebe Frauen und er ist nun einmal ein Mann und keine Frau.

So einfach ist das.

So einfach und unverrückbar.

Er ist mir genauso gleichgültig, wie mich der Pomp und die Feierlichkeiten angewidert haben. Man munkelt, dass für die Hochzeit am 6. Oktober 1760 trotz der hohen Kriegslasten rund drei Millionen Gulden ausgegeben worden sind, um mitten im Krieg ein großartiges Schauspiel darzubieten. Man will wahrscheinlich trotz angeblich leerer Staatskasse die uneingeschränkte finanzielle Potenz des Kaiserhauses demonstrieren. Dies war auch überaus notwendig aus der Kaiserin Sicht, denn nur einen Monat nach unserer Hochzeit brachte Friedrich II am 3. November 1760 in der Schlacht bei Torgau den österreichischen Truppen eine empfindliche Niederlage bei, was man am 6. Oktober natürlich noch nicht ahnen konnte.

Der Brautzug hat sich an diesem Tag drei Stunden lang durch die engen Gassen der Wiener Altstadt geschleppt. Vom Schloss Belvedere, in dem ich bis zu meiner Hochzeit mein Quartier hatte, aus zur Karlskirche und zum Kärntnertor, wo Bürger ein Spalier aus Waffen und Fahnen bildeten und sich vor Begeisterung die Kehlen heißer schrien. An jeder Straßenecke Dragoner zu Pferd in voller Bewaffnung, überall Musikkapellen, arm und reich, die sich bunt mischten. Alle Türen und Fenster waren von Menschentrauben belagert. Vom Kärntnertor ging es in die innere Stadt und ich konnte den Stock im Eisen Platz erkennen und den ersten riesigen aufwendigen Triumphbogen, dann den Graben, den Kohlmarkt und den Michaelerplatz, wo der zweite ebenso aufwendige Triumphbogen stand.

Wenn es nicht mein Hochzeitstag gewesen wäre, dann hätte ich diese Fahrt durchaus genossen, denn ich habe viel von Wien, meiner neuen Stadt gesehen, und Wien ist eine sehr schöne Stadt

Doch so sah ich nur den überzogenen Pomp und war angewidert. Lauter Prunkwagen, man munkelt, es wären neunzig sechsspännige Kutschen gewesen. Ich saß mit meiner Obersthofmeisterin Gräfin Antonia Erdödy in einem Prunkwagen des Fürsten Liechtenstein, der Joseph schon in Padua vertreten hatte. Ich möchte nicht wissen, wie viele Gulden dieser Wagen verschlingt. Außen himmelblau silber bemalt und reich mit Schnitzereien und Malereien verziert und von innen mit ebenso himmelblauem Samt ausgekleidet. Begleitet wurde der Wagen von

der Schweizer Garde in Parade-Kleidern und klingendem Spiel. Eigens aus Gips und Holz errichteten Triumphbögen, die mich, die Braut und das Haus Habsburg allegorisch verherrlichten. Unsere aus Silberbrokat angefertigten Prachtkleider, mein aus kostbarsten Brillanten überladenes Diadem, das einst meiner geliebten Mama gehört hatte, die ja die erste Prinzessin am Hofe Ludwig XV gewesen war. Die mit kostbarsten niederländischen Gobelins und Tapisserien dekorierte und mit unzähligen Kerzen erleuchtete Augustiner Hofkirche, in der Joseph und ich vom päpstlichen Nuntius Vitalino Borromeo getraut wurden. Den nahezu betäubenden Duft der vielen Wachskerzen und des Weihrauchs, der die Kirche nahezu tränkte, werde ich mein Lebtag nie vergessen, da mir ziemlich schwindelig wurde und ich Sorge hatte, in Ohnmacht zu fallen,

All die Lampions, die abends die Hofburg und die Straßen um den Stephansdom illuminiert haben, 3.000 sollen es an der Zahl gewesen sein. So eine Illumination soll man in Wien noch nie gesehen haben. Allein im inneren Burghof brannten zwei Reihen von 3.000 Wachskerzen und unzählige Fackeln. Das prunkvolle Hochzeitsmahl im wunderprächtigen Redoutensaal mit den erlesensten Speisen, die man sich nur vorstellen kann, obwohl die Habsburger allen voran Maria Theresia normalerweise nicht unbedingt Gourmets sind und die strikte Einhaltung der Fastenspeisen sehr schätzen. An diesem Tag allerdings wurde an überhaupt nichts gespart und wahrlich opulent getafelt. Ich hingegen aß nur wenig und nippte nur am Wein. Aufgrund der langen Wege waren die Speisen leider auch ein wenig kalt oder lauwarm, was dem Geschmack abträglich war. Zudem war es eine offene Tafel, die streng nach dem spanischen Hofzeremoniell zelebriert wurde. Es war also eine höchst formelle Mahlzeit, bei der die einzelnen Teller von den wichtigsten Würdenträgern des Hofes unter ständigen Verneigungen auf – und wieder abgetragen wurden, während Ehrendamen uns die Servietten überreichten und andere die Kerzenleuchter jede halbe Stunde aufs neue dem Silberkämmerer zum Polieren gaben. Bei diesem Aufwand war es wirklich kein Wunder, dass unser aller Suppe, eine Speise, die Maria Theresia über die Massen schätzt, kalt war und mir kaum mundete.

Freude hatte ich jedoch an der Tafelmusik von Christoph Willibald von Gluck. Die Opern und Musikaufführungen zu unseren Ehren dauerten mehrere Wochen an. Dies störte mich allerdings in dieser Hinsicht nicht, da ich Musik liebe und eine große Opernfreundin bin.

Ich gönne auch all den Menschen, die auf den Straßen getanzt haben, ihre Freude und ihr Glück und sie wollen alle wahrscheinlich den langen, immer noch andauernden Krieg und all das Leid vergessen. Ich kann damit aber nichts anfangen und es kostet mich Überwindung, die glückliche strahlende Märchenprinzessin zu spielen. Große Überwindung.

Ich denke immerzu an all die Verletzten und Toten der Kriege und Schlachten und die Armut, die Seuchen, die Hungersnöte, die in Europa wieder Einzug gehalten haben und es fest im Würgegriff halten. Die Menschen leiden und hungern und wir feiern und verprassen das Geld auf eine lächerlich anmutende Weise. Wie viele Kinder hätten einen vollen Teller Suppe und genug Brot zu essen, wenn wir Adeligen nicht in einem solchen Pomp leben würden? Ich mag gar nicht daran denken und es erst recht nicht laut aussprechen. Obwohl mich Joseph gewiss verstehen würde. Seine Gedanken zur Politik sind recht fortschrittlich und erstaunlich liberal, was ich widerwillig zugeben muss, da meine Meinung von Männern in der Tat nicht sehr hoch ist. Sie haben alle Macht in den Händen und unterdrücken und knechten die Frauen. Wie viel besser wäre die Welt, wenn Frauen mehr zu sagen hätten, viel mehr zu sagen. Aber das darf ich natürlich erst recht nicht ansprechen. Allerdings schreibe ich meine Gedanken als Aufsätze auf, was mir Freude macht.

„Teuerste, wo sind Sie nur mit Ihren Gedanken? Ihr habt Euren Kaffee noch gar nicht angerührt. Mundet er Ihnen nicht“, fragt Joseph mich freundlich und versucht über den Tisch meine Hand zu greifen, zieht aber diese zurück, da er sieht, dass ich meine Hände in meinem Schoss gefaltet habe.

 

Er ist mir immer mir immer noch fremd, wie er mir nur fremd sein kein, obwohl wir wenige Wochen nach unserer Hochzeit am 15. November gemäß der Tradition nach Klosterneuburg gefahren sind, um das Grab des österreichischen Landespatron, des heiligen Leopolds zu besuchen. Kaiser Karl VI., Josephs Großvater hatte Kloster und Kirche zu einem Escorial nach spanischem Vorbild ausbauen lassen. Er war in Spanien aufgewachsen gewesen und konnte den Verlust des Königreich Spaniens nur schwer verkraften. Im Angedenken an das Escorial baute er es zu einer vergleichbaren Klosterresidenz um, der Bau wurde jedoch nur zu einem viertel verwirklicht, nur zwei mit den Kronen der Habsburger geschmückte Kuppeln erinnern an den ehrgeizigen Plan von Josephs Großvater. Man sieht vom Escorial aus die Donau und das Wienerwaldgebirge. Joseph hatte seine Freude an dem Ausflug und war sehr stolz darauf, mir das Stift zu zeigen, dass sein Großvater erbauen ließ. Ich hab mir aber den Tod herbeigewünscht, denn es war alles so furchtbar nebelig und trist und ich habe mich schauderhaft schlecht gefühlt, was Joseph gar nicht zu bemerken schien.

Schon alleine seine Stimme und Sprache klingen steif und zugeknöpft, machen mich rasend und ich zwinge mich, ihm zuzuhören und ihn anzusehen, wie er mir am Frühstückstisch in unseren Gemächern in Schloss Schönbrunn gegenübersitzt, an seinem Kaffee nippt, mit Appetit sein Kipferl isst und mit mir plaudert. Ich sehe ihn an, höre ihm zu und sehe durch ihn hindurch, ein strahlendes Lächeln aufsetzend. Er ist mir nicht nur gleichgültig, ich empfinde Verachtung für seine linkischen Liebesbeweise. Ich denke schaudernd daran, wie er mich gestern Nacht bestiegen hat und die Nächte davor. Es hat so furchtbar weh getan, dass ich immer froh war, wenn es endlich vorbei war und er sich von mir abgerollt hat. Ich habe nicht das geringste bisschen Lust verspürt und ich konnte es nur ertragen, in dem ich mir ausmalte, dass ich es mit Marie Christine tun würde. Nur dann bin ich ein kleines bisschen nass zwischen den Schenkeln geworden.

Aber das ist eine Sünde, eine große Sünde, das darf ich nicht denken und fühlen und erst recht nicht fühlen wollen.

Ich sehe durch meinen Mann hindurch und stelle mir vor, Marie Christine würde mir beim Frühstück gegenüber sitzen. Ich würde mit großem Appetit mein Kipferl essen, denn die Kipferln sind zugegebenermaßen meine Lieblingsmehlspeis hier in Österreich, meinen Kaffee trinken, lebhaft und angeregt mit ihr plaudern und alles um mich herum, um uns herum, vergessen. Ich wäre glücklich. Überaus glücklich.

Ich wäre glücklich, aber ich weiß dass dieses Glück eine Sünde ist, einer Todsünde gleichkommt, denn ich bin im katholischen Glauben erzogen worden und eine gute und rechtschaffene Christin.

Sofort wische ich pflichtbewusst alle Gedanken an Marie Christine fort und verbanne ihr schönes Gesicht ganz weit weg. Lächelnd wende ich mich meinem Mann zu, sehe ihn an, führe die Tasse Kaffee an meine Lippen, beiße herzhaft in mein Kipferl und schlage den leichten Plauderton an, den er so an mir schätzt. Wie gesagt, ich bin eine Meisterin darin, mich zu verstellen. Eine wahre Meisterin. Absolut perfekt.

Ich sitze am Frühstückstisch, meinen Mann ansehend, an Marie Christine denkend, von ihr träumend. Vom ersten Brief an, vom ersten Blick an hatte ich mich in sie verliebt. Sie ist in Natura noch viel schöner als diese Miniatur, die sie mir damals zugesandt hat. Ich liebe sie mehr als Joseph, mehr als irgendeinen anderen Menschen auf dieser Welt. Bei ihr bekomme ich weiche Knie, einen flauen Magen, schweißnasse Hände, wenn ich sie nur ansehe oder an sie denke. Ihr blondes Haar, ihr ovales, wunderschönes Gesicht, ihre zarte Figur, ihr schöner Busen. Sie ist so wunderschön, dass mir der Atem wegbleibt, wenn ich sie nur ansehe. Sie erregt mich, anders kann ich es nicht ausdrücken. Es ist einfach so, wie es ist. So und nicht anders.

Doch, halt, was denke ich da, das darf ich nicht denken. Das darf ich nicht denken und nicht wollen! Ich muss mich zusammennehmen! Ich muss eine gute Katholikin sein und eine gute folgsame Ehefrau. So sehr ich das andere auch will, es geht nicht, ich darf es nicht wollen. Ich darf nicht.

Sachte greife ich ihren Brief, der neben meinen Kipferlteller liegt, und lese ihn im Stillen. Wort für Wort. Wie jeden ihrer Briefe, die sie mir fast täglich schreibt. Die Menschen am Wiener Hof sind allesamt rege Briefeschreiber und ich habe mich dieser Sitte sehr bald angepasst. Bei Marie Christine sogar mit Vergnügen. Mit großem Vergnügen, dem allergrößten.

„Mein Bruder Carl hat eine bessere Nacht verbracht als die vorhergehende. Ich werde Einzelheiten später hören, wollte aber nicht versäumen, Ihnen die ersten Nachrichten zu geben, glücklich, wenn ich Sie überzeugen kann, wie sehr ich Sie liebe“, steht da in Marie Christines wunderschöner Handschrift. Sie liebt mich, schießt es mir durch den Kopf und ich unterdrücke nur mit Mühe ein Seufzen. Sie schreibt, dass sie mich liebt.

Fast hätte ich vergessen, dass mein Mann mit mir am Frühstückstisch sitzt und zur mir hinüber schaut, eine Antwort erwartend.

„Ihrem Bruder Carl geht es besser. Er scheint sich von den Blattern zu erholen, jedenfalls schreibt Mimi das“, sage ich zu Joseph und lächle ihn an, Marie Christine vor Augen, wie sie an ihrem Sekretär sitz und an mich schreibt.

„Das ist wundervoll“, sagt Joseph leise und legt die Serviette zur Seite. „Wir haben schon genügend Menschen in diesem Reich an die Blattern verloren. Zumal der arme Carl das zweite Mal mit dieser furchtbaren Krankheit daniederliegt, was mehr als ungewöhnlich anmutet. Es wäre sehr zu wünschen…“, er stockt und sieht mich ein wenig unsicher an, denn ihm scheint in den Sinn zu kommen, dass auch meine Mutter vor nur einem Winter, am Nikolaustag 1759 in Versailles an den Blattern gestorben ist und ich deswegen traurig sein könnte, was ich auch bin. Nachwievor trauere ich um meine liebe Mama und sehne mich nach ihr. Ich war ja damals daheim in Parma, als sie in Versailles bei meinem Großvater an den Blattern erkrankte und sehr schnell starb. Ich konnte deshalb nicht von ihr Abschied nehmen und ihr an ihrem Grab Lebewohl sagen.

Ich schlucke schwer und das Lächeln auf meinem Gesicht erstirbt.

„Es tut mir leid, Teuerste, ich wollte nicht“, sagt er liebevoll, lächelt mich an und greift über den Tisch meine Hand.

Ich lasse es geschehen, Joseph anlächelnd und an Marie Christine denkend. Ihren Brief falte ich feinsäuberlich zusammen und lass ihn in den Ärmel meines Kleides gleiten. Meine Violine ist ein sehr guter Platz für Liebesbriefe, denke ich, Joseph immer noch breit anlächelnd.

Von Mimi träumend, lasse ich es geschehen.

Ich liebe Mimi, ich vergöttere sie, bis zur Raserei werde ich sie lieben.

Wenn ich von ihr träumen kann, ist alles gut. Dann fühle ich mich wohl, bin ich glücklich, einfach nur glücklich. Nur träumen und alles ist gut. Alles ist gut.

Zu mehr fällt mir leider der Mut, denn ich weiß ja es ist eine Sünde, eine Frau zu begehren, sie küssen zu wollen. Sogar das Bett will ich mit ihr teilen. Habe es schon getan mit ihr im Traum und bin danach erschrocken von meiner eigenen Sünd ganz nass vom Schweiß aufgewacht. Eine Todsünde ist es gar und ich will keine Sünde begehen, schon gar keine Todsünde. Ich bin eine gute Katholikin und ich liebe und ehre Gott. Ich bin keine Christina von Schweden, die ein sündhaftes Leben geführt haben soll, wie mir mein Beichtvater in Parma einst anvertraute. Ich will ein solches Leben nicht führen, denn ich weiß nicht, ob die arme Christina jetzt in der Hölle weilt, in der mein Beichtvater sie wähnte.

Daher darf ich Mimi nicht begehren. Ich darf keine Sünde begehen, schon gar keine Todsünde. Ich darf nicht. Niemals. Ich will nicht wie die arme Christina in die Hölle müssen, ich will zu Gott in den Himmel.

Ich muss mich zusammennehmen und weiterhin das Bett mit Joseph teilen, bis ich schwanger bin und darüber hinaus. Ich muss so tun, als ob ich ihn liebe, so wie er mich liebt. Ich bin eine Meisterin der Verstellung und es wird mir gelingen. Kein Mensch wird erahnen, wie es in mir aussieht, kein Mensch. Kein Mensch, denn ich bin die Meisterin des Versteckspiels, die absolute Meisterin. War ich schon immer. Schon immer, sagt selbst mein Vater, der mich sonst wenig zu kennen scheint und mir gar nicht nahesteht. Nie nahestand.

Ich werde reizend plaudern, selbst wenn mir gar nicht nach reden ist. Ich werde lachen, wenn ich weinen möchte. Ich werde Joseph im Glauben lassen, ich wäre auch ihn verliebt und unsere Ehe wäre eine glückliche. Ich werde die Kaiserin täuschen, die sich leicht von mir täuschen lässt. Ich werde den Kaiser täuschen, der ein redlicher Mann wäre, ein gutes Herz hat und auf den man zählen könnte als wahren Freund, wenn er nicht den Fehler besäße, Leuten gehör zu geben, die in keinster Weise seine gütige Gesinnung verdienen wie die unsägliche Gräfin Auersperg, die österreichische Ausgabe der Madame Pompadour. Der gute Kaiser besitzt ein weiches Herz, der nur allzu schnell für junge Damen schlägt und genau das mache ich mir zu nutze. Er lässt sich leicht von mir täuschen, denn sein Herz schlägt auch für mich.

Kein Mensch wird merken, wie es in mir aussieht.

Kein Mensch

Nur Mimi, denn sie ist meine Zwillingsseele.

Mein zweites Ich

Meine große Liebe

Ich kann nicht anders.

Ich liebe sie.

Ich werde sie immer lieben.

Immer, dessen bin ich mir sicher.

Ganz sicher.

Wien, 18. Januar 1761

Man schreibt den 18. Januar 1761. Ein Unglückstag, ein wahrer Unglückstag.

Es ist bitterkalt und das ganze Reich liegt im Dauerfrost, eine Kälte, die mir als Südländerin sehr zusetzt und an die ich mich niemals gewöhnen werde. Ähnlich kalt und frostig ist auch uns zumute.

Marie Christine weint und ich habe meine Arme eng um sie geschlossen. Ganz eng. Ihre Hoffnung, Josephs Hoffnung, meine Hoffnung, unser aller Hoffnung – alles vergebens. Carl ist tot, dahingerafft von den Blattern. Der junge Erzherzog, der mit vollem Namen Karl Joseph von Österreich heißt, geheißen hat, denn er ist ja jetzt tot, er war der Lieblingssohn der Kaiserin gewesen und auch Marie Christines Lieblingsbruder. Und auch mir war er mit seinem fröhlichen, noch sehr jungenhaften Naturell und seiner brillanten Intelligenz sehr sympathisch gewesen und ans Herz gewachsen. Am Sylvestertag, meinem neunzehnten Geburtstag, scherzte er mit mir und war zu Späßen aufgelegt, was uns beiden einen zornigen Blick Josephs einbrachte und mich sehr amüsierte. Und jetzt war er tot, gerade einmal fünfzehn Jahre alt geworden. Er hätte doch noch das ganze Leben vor sich gehabt, sein Papa wollte, dass er eines fernen Tages den Thron des Großherzogtums der Toskana besteigt, dass der Kaiser für sein angestammtes Herzogtum Lothringen hatte eintauschen müssen. Meine Mimi, die Kaiserin, der Kaiser und der gesamte Hof trauern um den armen Carl. Ganz besonders meine Mimi.

Ich denk an die Blattern und den armen Carl und fahre Marie durch die Haare, drück sie tröstend an mich. Tröstend und ganz eng. So eng, dass ich kaum noch zu atmen vermag.

„Diese blöden verdammten Blattern“, flüstere ich, alle höfische Etikette vergessend, gegen ihre Halsbeuge, ihr betörendes Parfum einsaugend „diese blöden Blattern, Mimi“.

Ich gebrauche ihren Kosenamen, der nur uns beiden gehört, nur uns beiden und halte sie ganz fest. Ganz fest.

Ich halte sie ganz fest und küsse sie sanft auf die Wange, küsse sie und spüre ihre Brüste an meinen, ihr pochendes Herz, mein pochendes Herz. Ich vergesse alle Gedanken an Sünde und auch alle Gedanken an den armen Carl und unsere Trauer. Mein Herz setzt aus und ich fühle nur noch, empfinde nur noch. Ich presse sie ganz fest an mich, meine Lippen an ihren Wangen und küsse sie zärtlich und sachte auf den Mund. Ich küsse sie auf den Mund, spüre die zarte Berührung ihrer Zunge an meiner und stöhne ganz leise auf. Ich bin ziemlich erregt und spüre, dass auch Mimi ziemlich erregt ist trotz ihrer Trauer.

Sie ist erregt und dennoch löst sie sich abrupt aus meinen Armen. Ihr Atem geht stoßweise wie meiner auch.

„Isa, das dürfen wir nicht. Ich werde Albert heiraten, muss ihn heiraten. Er macht mir doch schon ewig den Hof, schreibt so schöne Briefe, besucht mich. Was ist, wenn Joseph hereinkommt und uns so sieht, oder die Kaiserin? Meine Mutter, sie würde, es geht nicht“, stammelt sie zusammenhangslos, fast panisch, rafft ihre Röcke, eilt zur Tür und lässt mich mitten im Raum stehen.

 

Mitten im Raum. Ich stehe immer noch mitten im Raum und denke an die Kaiserin und ihre Sittenstrenge und ihren frömmelnden Charakter. Wenn sie uns so gesehen hätte, nicht auszudenken, wäre das gewesen. Mimi hat recht, auch wenn es weh tut, sie hat recht.

Und dennoch ich stehe da, mitten im Raum. Immer noch erregt und voller Scham.

Voller Scham.

Sünde.

Todsünde.

Das darf sich nicht wiederholen. Mimi hat recht, wir dürfen das nicht.

Aber es wird sich wiederholen.

Denn ich kann nicht anders.

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