Globalisierung

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Die Aufgabe nationaler Souveränität, sprich die Bereitschaft, die Entscheidungen supra- bzw. internationaler Organisationen im eigenen staatlichen Hoheitsgebiet zu akzeptieren, ist besonders ausgeprägt in den Militärbündnissen. So ging zum Beispiel die Gründung der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation (NATO) der Gründung der Europäischen Union voraus. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann |19◄ ►20| sogar Staaten ermächtigen, andere Staaten anzugreifen. Regierungen und nationale Gerichte halten sich zudem vermehrt an Entscheidungen der im Ausbau befindlichen internationalen Gerichtsbarkeit. Diese hat ihren Ursprung im 1922 gegründeten Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag (seit 1945 der Internationale Gerichtshof ), dessen Entscheidungen allerdings nicht immer von den Staaten befolgt werden (Beispiel: die militärischen Aktivitäten der USA gegen Nicaragua im Jahr 1984). Seit 2002 besteht ein Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) mit Zuständigkeit bei Völkermord und Kriegsverbrechen. China und die USA haben neben einigen anderen Staaten noch nicht die Hoheit dieses Gerichtes anerkannt. Für die EU-Mitgliedsstaaten gewinnt der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) an Bedeutung.

Schaubild 5: Internationale Gerichtshöfe


Quelle: Le Monde diplomatique (Hrsg., 2003): Atlas der Globalisierung. Berlin: Taz Verlag

Unterhalb der Gerichtsbarkeit entstand ein ausgedehntes Schlichtungswesen. Prominent ist das seit 1995 bestehende Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO), welches von einem WTO-Mitgliedsland eingeleitet werden kann, wenn es der Meinung ist, dass sich ein anderes Mitgliedsland nicht an die vereinbarten Regeln hält. Feste Fristen für alle Verfahrensschritte sorgen für ein vergleichsweise zügiges Verfahren. Auch mächtige Staaten halten sich weitgehend an die WTO-Schiedssprüche.

Auf zahlreichen Politikfeldern treffen sich die Mitglieder der jeweiligen Ministerialbürokratien zum regelmäßigen fachbezogenen Austausch, auch ohne ein explizites Mandat ihrer Regierungen (sog. Transnational Executive Networks).

|20◄ ►21|

Als mittlerweile fester Bestandteil der globalen politischen Architektur versuchen Nichtregierungsorganisationen (NRO), die Interessen der Zivilgesellschaft in das internationale System einzubringen. Nicht nur ist die Anzahl der NRO seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beständig gewachsen, viele Nichtregierungsorganisationen sind heute über den Globus vernetzt. Zum Beispiel ist Greenpeace mittlerweile in über 40 Ländern vertreten. Andere NRO vernetzen sich auch untereinander, um ihren Anliegen besser Gehör zu verschaffen. Solche Netzwerke – wie zum Beispiel das im entwicklungspolitischen Bereich tätige Netzwerk „Development Alternatives with Women for a New Era“ (DAWN) – werden als „Transnational Advocacy Networks“ bezeichnet.

Zusammen mit VerbandsvertreterInnen der Wirtschaft, MinisterialbürokratInnen und WissenschaftlerInnen beteiligen sich NRO auch an globalen Netzwerken zu einzelnen Politikfeldern (sog. „Global Public Policy Networks“), z.B. im Landwirtschaftsbereich an der Consultative Group on „International Agricultural Research“ (CGIAR).

Ob auf Regierungs- oder auf NRO-Ebene, die internationale Kooperation ist von Macht durchzogen. Der UN-Sicherheitsrat wird von wenigen ständigen Mitgliedern beherrscht, mit der G8 maßen sich einige reiche kapitalistische Länder an, die Geschicke der Welt zu lenken, im Internationalen Währungsfonds verfügen die USA und die EU über eine Sperrminorität. Nicht alle NROs verfügen über die entsprechenden Ressourcen, die nötig sind, um sich beispielsweise für die Beratungen des Wirtschafts- und Sozialrates der UN akkreditieren zu lassen oder die entsprechenden Flug- und Tagungskosten aufzubringen. Auf diese Weise werden kleinere NROs aus den Gestaltungsprozessen ausgeschlossen.

Weiterführende Literatur

Debiel, Tobias / Messner, Dirk / Nuscheler, Franz / Roth, Michèle / Ulbert, Cornelia (2010): Globale Trends 2010. Frieden. Entwicklung. Umwelt. Frankfurt/M.

Held, David / McGrew, Anthony / Goldblatt, David / Perraton, Jonathan (1999): Global Transformations: Politics, Economics and Culture. Stanford

Le Monde diplomatique (2009; Hrsg.): Atlas der Globalisierung. Sehen und verstehen, was die Welt bewegt. Berlin

|21◄ ►22|

|22◄|

|►22|

2

Globalisierung in der Kontinuität des Kolonialismus?

Wenngleich der Begriff Globalisierung erst in den Neunzigerjahren auftrat, weisen WirtschaftshistorikerInnen darauf hin, dass die Globalisierung mit den europäischen Eroberungsfahrten im ausgehenden 15. Jahrhundert begann.

Bis zum Ersten Weltkrieg durchlief die Globalisierung zwar verschiedene Phasen, wies aber eine hohe Kontinuität auf. Schon an der Wiege der globalen Wirtschaftsverflechtung stand Gewalt Pate. Im Industriezeitalter nahm das Ausmaß der gewaltsamen Eroberung der Welt durch Europa noch zu, wobei allerdings die Sklaverei zunehmend durch Lohnarbeit ersetzt wurde.

Von Anfang an bestand ein interkontinentaler Kettentransfer von Waren. Die einträgliche Veredelung der Rohstoffe behielten die Kolonialmächte für sich. Die erkämpfte Entkolonialisierung zog sich bis in die Sechzigerjahre.

Erste Globalisierung – Kolonialismus

Handel, Kommunikation und Wanderungen über weite Entfernungen sind fester Bestandteil der Menschheitsgeschichte. Bereits vor der „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus im Jahr 1492 gab es einen regelmäßigen Handel zwischen den dynamischen Wirtschaftszonen in Europa, Nordafrika und Asien. Nicht allein durch das römische Erbe waren nahöstliche Erfindungen wie das Christentum in Europa bekannt. Arabische Präsenz in Sizilien und auf der iberischen Halbinsel, die Kreuzzüge nach Palästina und die rege Handelstätigkeit Venedigs haben in der vorkolumbianischen Zeit Europa vom „Orient“ lernen lassen. Beispielsweise förderten im 12. Jahrhundert die oberitalienischen Städte die Kultivierung von aus Asien stammenden Zitronen auf ihren landwirtschaftlichen Kolonien.

Die Seehafenstädte des westlichen Mittelmeers machte dieser Austausch reich. Jedoch wurde dieser Reichtum im 15. Jahrhundert durch das erstarkende|22◄ ►23| Osmanische Reich bedroht, so dass die Suche nach einem Weg über den Atlantik nach Indien in westlicher und südlicher Richtung begann.

Obwohl die Entdeckung des Genuesen Christoph Kolumbus zumeist als Beginn der globalen Vernetzung angesehen wird, war die fünf Jahre zuvor erfolgte erstmalige Umsegelung der südlichen Spitze Afrikas, des Kaps der Guten Hoffnung, durch den Portugiesen Bartolomeo Dias zunächst wichtiger, denn sie eröffnete den Weg in den Indischen Ozean. 1498 gelang es Vasco da Gama mit einer portugiesischen Flotte erstmalig, auf dem Seewege bis nach Indien zu kommen. Wenige Jahrzehnte später beherrschten portugiesische Karavellen den Handel mit Indien.

Schaubild 6: Wichtigste weltumspannende Handelsrouten 1400-1800


Quelle: André Gunder Frank 1998, ReOrient, S. 65, University of California Press

Es war kein Zufall, dass die globale Vernetzung der Wirtschaftsräume von Europa ausging. Der indisch-chinesische Raum war nicht nur aufgrund günstiger klimatischer Bedingungen für den Anbau von Gewürzen, sondern auch aufgrund einer insgesamt höher entwickelten Wirtschaft viel weniger an westlichen Gütern interessiert. Das Hauptgeschäft der portugiesischen Seefahrtspioniere war dann auch nicht der Fernhandel zwischen Europa und Asien, sondern der innerasiatische Handel im Indischen Ozean; ihre Überlegenheit beschränkte sich auf ihre Seefahrtskunst und nautische Militärtechnik. So wurden Pferde aus Persien nach Südindien und dortige Stoffe zu den Gewürzinseln verschifft. Den Handel zwischen Europa und Asien brachte dann überraschend Amerika in Schwung. Überraschend, weil Amerika zunächst nur als Barriere auf dem Weg nach Indien angesehen wurde. Doch das zunächst der indigenen Bevölkerung gestohlene und später unter unsäglichen Arbeitsbedingungen abgebaute Silber und Gold aus |23◄ ►24| Mittel- und Südamerika verschaffte den Händlern der iberischen Halbinseln die Zahlungsmittel, die auch in Asien begehrt waren.

Der iberische Kronmonopolismus (1492 – 1820)

Die Geschichte von den Anfängen iberischer Kontrolle über Mittel- und Südamerika und des Seehandels mit Asien bis zum Beginn der Entkolonialisierung im 20. Jahrhundert lässt sich in Anlehnung an Reinhard Wendt (2007) in drei Phasen unterteilen: den iberischen Kronmonopolismus, die nordwesteuropäischen Monopolgesellschaften und den industriellen Imperialismus. Diese Phasen unterscheiden sich durch die Zentren der Kolonialisierung, das Verhältnis zwischen Staat und privaten Akteuren und die technische Basis der Dominanz. Einheitlichkeit bestand darin, dass der globale Handel und damit die globale Arbeitsteilung aus Europa organisiert wurden.

Die erste Phase, die Phase des iberischen Kronmonopolismus, dauerte zwar bis zur Befreiung der südamerikanischen Kolonien zu Beginn des 19. Jahrhunderts an, doch war ihre Blütephase bereits Mitte des 17. Jahrhunderts überschritten. Sie war von der Dominanz Portugals und Spaniens geprägt, die mit päpstlichen Segen die neu entdeckte Welt unter sich aufgeteilt hatten (Verträge von Alcáçovas, Tordesillas und Zaragoza). Die jeweiligen Kronen ordneten den Handel und die eroberten Gebiete ganz der Macht- und Reichtumsmehrung unter. Die Schaffung von Monopolen war diesem Ziel besonders förderlich. Sofern den Kronen das Kapital fehlte, bedienten sie sich auch privater Unternehmer, die Lizenzen für ihre jeweiligen Geschäfte erhielten.

 

Wenngleich das von den iberischen Mächten um die Erde gelegte Netz noch viele Löcher aufwies, wies es die zentralen Merkmale der heutigen Globalisierung auf. Der Handel umfasste bereits Amerika, Afrika, Asien und Europa. Nicht nur wurden die klimatischen und geologischen Unterschiede zwischen den einzelnen Weltregionen gezielt für den Handel ausgenutzt, sondern der Handel selbst wurde monopolisiert und die heimische Produktion gegenüber Produzenten aus den überseeischen Besitzungen bevorzugt. Die einträgliche Veredelung der Rohstoffe behielten die iberischen Staaten für sich. Diese Praxis wurde von den späteren Kolonialmächten übernommen.

Neben dem Bergbau förderten die Kolonialverwaltungen die Plantagenwirtschaft, was zum einen zur transkontinentalen Verbreitung einiger Kulturpflanzen wie dem Zuckerrohr führte und zum anderen den Menschenhandel beförderte. Bekannt ist die Ersetzung indianischer |24◄ ►25| Zwangsarbeiter durch afrikanische Sklaven. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts sollen eine Million Menschen aus Afrika ins spanisch und portugiesisch kontrollierte Amerika versklavt worden sein. Auch im asiatischen Raum wurden Menschen versklavt. Die globale Arbeitsteilung entstand nicht als Folge friedlicher Neugier auf andere Güter, sondern aufgrund gewaltsamer Eroberung und Ausbeutung.

Die Globalisierung umfasste von Anfang an auch kulturelle Dimensionen. Zum einen, weil der Fernhandel selbst ein kulturelles Phänomen war, dem spezifische Einstellungen zur Sicherung der Lebensgrundlagen, zur Natur und zu anderen Menschen zugrunde lagen. Im iberischen Zeitalter kennzeichnete eine Beute-Mentalität das Führungspersonal der Expeditionen (Schmitt 2009: 16).

Zum anderen ging Eroberung mit christlicher Missionierung einher, die von den Päpsten im Gegenzug zur Gewährung der Gebietsmonopole in der Neuen Welt von den iberischen Kronen verlangt wurde. Letztere kamen dieser Aufforderung auch aus eigener Überzeugung nach. Die Missionierung lief zumeist dort gewaltsam ab, wo die europäische Vorherrschaft erdrückend war, also in Amerika, und verlief dort friedlicher, wo sich die Europäer mit den lokalen Mächten arrangieren mussten, also in den asiatischen Küstenregionen.

Die katholischen Missionare trugen wie die Seeleute, Händler und Wissenschaftler zum Wissen über die „neue“ Welt bei. Das spanische Königshaus verlangte explizit nach solchen Berichten. Für die Seefahrer stand geographisches Wissen im Vordergrund, für die Händler die jeweilige Angebots- und Nachfragelage, und die frühen Wissenschaftler interessierten sich vor allem für die Ernährungspotenziale der Pflanzenwelt.

Die nordwesteuropäischen Monopolgesellschaften (1600 – 1857)

Die anderen Europäer waren allerdings nicht gänzlich von diesem Wissen ausgeschlossen. Zum einen hatten sie selbst Wissen zur Atlantiküberquerung beigetragen. Beispielsweise nutzte Kolumbus die astronomischen Karten des in Nürnberg lebenden Regiomontanus. Zum anderen nahmen einzelne Personen als Missionare, Geldgeber, Handwerker und Wissenschaftler an den Fahrten teil. Über den besten Zugang verfügten die Niederländer, da sie lange Teil des spanisch-habsburgischen Reichs waren und in ihrem erfolgreichen Unabhängigkeitskampf (1566 – 1648) gelernt hatten, sich gegen spanische Vorherrschaft zu behaupten. Ihre |25◄ ►26| ersten überseeischen Erfolge gingen jedoch zu Lasten der Portugiesen, deren verstreute Stützpunkte entlang der Küsten Asiens leichter zu erobern waren als die spanischen Kolonien in Amerika. Mitte des 17. Jahrhunderts hatten die Niederländer die Portugiesen im asiatischen Seeverkehr abgelöst.

Zeitgleich versuchten niederländische, englische und französische Abenteurer durch Schmuggel und Piraterie die Monopolansprüche der iberischen Mächte im transatlantischen Seeverkehr zu unterlaufen. Die Piraterie erhielt rechtstheoretischen Beistand durch Hugo Grotius, den Begründer des modernen Völkerrechts. Er plädierte 1608 für die Freiheit der Meere und erklärte das Kapern portugiesischer Karavellen für gerechtfertigt, solange diese anderen den freien Handel untersagten. In England genossen Piraten wie Francis Drake den Schutz der Krone.

Die eigentlichen Träger der kolonialen Expansion der nordwesteuropäischen Staaten waren die privaten Kompanien. Die kolonialistischen Unternehmungen standen in diesen Ländern nicht mehr im Dienste der Krone, sondern gehörten privaten Kaufleuten, die Anteile an diesen Kompanien zeichneten. Die 1600 gegründete East India Company (EIC) und die bald darauf folgende Vereinigte Ostindische Kompanie (VOC) erhielten allerdings vom Staat viele Privilegien, vom Handelsmonopol bis hin zu hoheitsrechtlichen Befugnissen wie der Rechtssprechung. Deshalb kann diese Phase des Kolonialismus als Zeitalter der nordwesteuropäischen Monopolgesellschaften bezeichnet werden. Allein die VOC beschäftigte während des 17. und 18. Jahrhunderts knapp eine Million Menschen in ihrem asiatischen Handelsimperium.

Die Suche der nordwesteuropäischen Länder nach von den iberischen Mächten nicht kontrollierten Indien-Routen führte sie nach Nordamerika. Dort wurden nicht nur Handelsstationen aufgebaut, sondern auch agrarische Siedlungen von europäischen Auswandereren gegründet. Wie bekannt entwickelten sich die nordamerikanischen Kolonien auf dem Rücken der indigenen Bevölkerung rasch. Sie läuteten mit der Unabhängigkeitserklärung von 1776 die erste Entkolonialisierungswelle ein, die in den nächsten Jahrzehnten unter der Führung der dort ansässigen europäischstämmigen Eliten die südamerikanischen Staaten erfasste. Bereits 1822 hatten weder Portugal noch Spanien nennenswerte Kolonien in Amerika.

Die Unabhängigkeit der USA stand den weiteren kolonialen Bestrebungen der europäischen Länder nicht im Wege. Im Laufe der Zeit dehnten die ursprünglichen 13 Ostküstenstaaten der USA ihren Einfluss auf vormalig indianische und spanische Territorien bis zum Pazifik aus. 1898 wurden die USA selbst zur Kolonialmacht auf den Philippinen.

|26◄ ►27|

Der Welthandel wurde zunächst von den niederländischen Kompanien beherrscht, doch stieg Großbritannien gegen Ende des 17. Jahrhunderts zur führenden See- und Seehandelsmacht auf. Seine Kompanien prägten die globale Arbeitsteilung. Zwar waren die Wertschöpfungsketten noch nicht so feingliedrig über den Globus verteilt wie heutzutage, doch kam es zu einem intensiven interkontinentalen Kettentransfer von Waren. Berüchtigt ist das Dreieck zwischen Europa, Afrika und der Karibik, in dem für europäische Waren in Afrika Sklaven erworben wurden, die in der Karibik gegen Rohrzucker oder andere Plantagenprodukte getauscht wurden. Ähnliche Dreieckstauschbeziehungen bestanden auch zwischen anderen Regionen. Die Kompanien förderten die gezielte Produktion für den Export. Im 18. Jahrhundert waren 11% der Beschäftigten in der bengalischen Textilindustrie für die Exportproduktion nach Europa beschäftigt. Doch regte sich in England Widerstand gegen billige Importe aus Übersee. Die Folge war, dass Indien nur noch Rohbaumwolle liefern durfte, während die Veredelung in England stattfand.

Der Sklavenhandel stieg drastisch auf ca. sechs Millionen im 18. Jahrhundert an, wobei noch Millionen AfrikanerInnen hinzugezählt werden müssen, die in die islamische Welt versklavt wurden. Erst um 1800 wurde der überseeische Menschenhandel verboten. SklavInnen arbeiteten hauptsächlich in den Exportindustrien. 1675 waren allein auf Barbados 80.000 SklavInnen mit der Zuckergewinnung für den Export beschäftigt. Schon damals bestand wie heute unter den einzelnen Produktionsstandorten eine scharfe Konkurrenz. Die Zentren der Zuckerrohrplantagen wanderten in der Karibik hin- und her, und zwar abhängig von der Vernutzung der Böden und der Intensität des Widerstandes. Insgesamt verdrängte die Karibik im 18. Jahrhundert die indonesische und brasilianische Zuckerrohrwirtschaft.

Von Zwangsverschleppung waren auch europäische Menschen nicht verschont, z.B. die ca. 16.000 nordhessischen Männer, die der Kasseler Landgraf Friedrich II. als Soldaten an die Engländer im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg „vermietete“, oder die kriminalisierten Armen in England, die nach Australien verschifft wurden. Die freiwillige oder religiös motivierte Auswanderung begann in dieser Phase zahlenmäßig an Bedeutung zu gewinnen.

In Asien erfolgten die ersten Schritte zur Einflussnahme auch auf das Landesinnere. Die East India Company (EIC) nahm zunächst mittels Steuer- und Zollvorschriften auf die Produktion in Bengalen Einfluss. Im Laufe des 18. Jahrhunderts mutierte die EIC von einer Handelskompanie zu einer Landmacht mit Armee sowie Steuereinnahmen insbesondere|27◄ ►28| in den indischen Besitzungen. 1757 besiegten ihre Söldner indische Fürsten und die EIC übernahm die politische Gewalt in Bengalen. Weitere Landnahmen folgten.

Die europäische Eroberung der Welt zeitigte ihre Wirkung in Europa. So änderten sich die Ernährungsgewohnheiten nicht nur der Oberschichten, sondern auch der Bauernschaft (z.B. durch die Kartoffel). Die Rückwirkungen erfassten zudem die Geisteswelt. Europäische Aufklärer wie Leibniz und Voltaire interessierten sich u.a. für den chinesischen Konfuzianismus. Wie bereits für die Spanier, waren die auf den Erkundungsfahrten von Pionieren wie James Cook gesammelten Erkenntnisse für den strategischen Ausbau des sich abzeichnenden British Empire bedeutsam.

Der Industrielle Imperialismus (1858 – 1930)

Die industrielle Revolution begann in England. Sie beinhaltete die Mechanisierung von Handarbeit durch Maschinen (Spinning Jenny: die erste Spinnmaschine, 1767), die mechanische Energieumwandlung (James Watts Dampfmaschine, 1769) und die damit zusammenhängende massenhafte Verwendung mineralischer Grundstoffe, zunächst von Kohle und Eisen. Obgleich sich die industrielle Revolution rasch auf dem europäischen Kontinent und in den USA ausdehnte, konnte England seine wirtschaftliche Führungsposition bis Ende des 19. Jahrhunderts behaupten. Mitte des 19. Jahrhunderts stellte Großbritannien nur 2 % der Weltbevölkerung, doch über 40 % des Industriepotenzials. Militärisch waren die Mitkonkurrenten jedoch zu stark, um von England direkt beherrscht zu werden.

Die industrielle Revolution führte nicht nur zu einer Überlegenheit in der Warenproduktion, sondern auch in der Militärtechnik einschließlich der Kommunikationsnetze (erste dauerhafte Kabelverbindung zwischen Europa und Nordamerika 1866). Die asiatischen Länder waren der industriell gefertigten Militärmaschine der Kolonialmächte nicht mehr gewachsen und mussten große Gebietsverluste hinnehmen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde auch Afrika unter den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt. Insgesamt führte die industrielle Revolution zu einer stärkeren Beherrschung der nicht-europäischen Welt mit Ausnahme von Japan.

Inwiefern die Kolonialbesitzungen den industriellen Aufschwung Europas begünstigten, ist in der Literatur umstritten. Während David Landes (2007) unter Bezug auf Max Weber die protestantische Ethik und die Durchsetzung von privaten Eigentumsrechten als zentrale Ursachen für |28◄ ►29| den Beginn der industriellen Revolution in England benennt, führt Karl Marx die Enteignung des Landvolks von Grund und Boden (ursprüngliche Akkumulation) als wichtigen Grund an (Marx 1867). Die Dependenztheoretiker André Gunder Frank (1998) und Immanuel Wallerstein (1986) betonen, auf Marx zurückgreifend, die Bedeutung des durch den Kolonialbesitz bereits erreichten relativen Wohlstands und den Zugang zu Rohstoffquellen und Absatzmärkten.

Karl Marx zur Herausbildung des „Weltmarktes“: „Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära.“ (Marx 1867: 779)

Ebenfalls kontrovers werden die Motive für den Kolonialbesitz diskutiert, wobei sich ein Konsens herausschält, dass sich der Imperialismus aus unterschiedlichen Quellen speiste: Es ging um Rohstoffquellen und Absatzmärkte, um die Schaffung eines Ventils für die mit der Industrialisierung einhergehenden scharfen gesellschaftlichen Konflikte, um die Stärkung des Staats und darum, gegenüber den europäischen Nachbarländern nicht ins Hintertreffen zu geraten. Entscheidend war aber letztlich, dass die industrielle Revolution einen solch nachhaltigen machtpolitischen Vorteil gewährte, dass die Gegenwehr zu gering ausfiel. Dort wo die Gegenwehr und der Wille sowie die Möglichkeiten, die industrielle Revolution nachzuholen, stark genug ausgeprägt waren, konnte die Kolonialisierung vermieden oder überwunden werden. Japan und die USA stehen für diese Strategie. In der Machtlogik des Zeitalters des Imperialismus strebten diese dann selbst nach Kolonialbesitz.

 

Trotz Rivalitäten bestand unter den Kolonialmächten zumeist ein Einvernehmen im Umgang mit dem Rest der Welt. Dies zeigte sich beispielsweise bei der Meistbegünstigungsklausel in den Knebelverträgen mit de jure noch souveränen Staaten wie China. Zugeständnisse, die einer Kolonialmacht gewährt wurden, kamen automatisch allen anderen auch zugute. Dieses Prinzip gilt heute noch bei der Liberalisierung des Handels im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Ein anderes Beispiel der Kooperation unter den Kolonialmächten war die Kongo-Konferenz in Berlin, auf der die europäischen Mächte im Jahr 1885 die Aufteilung Afrikas vereinbarten.

|29◄ ►30|

Die Macht der Kolonialmächte reichte weit über ihre unmittelbaren Kolonien hinaus. Unter Ausübung oder Androhung von Gewalt konnten den formal souveränen Nationen wie China ungleiche Verträge aufgezwungen werden. Diese beinhalteten das Prinzip der Exterritorialität, was bedeutet, dass die Händler der Kolonialmächte sich nicht der lokalen Gerichtsbarkeit unterstellen mussten. Die Kirchen erhielten die Freiheit zu missionieren. Die Macht der Kolonialmächte speiste sich zudem aus der Kontrolle der Seewege und des Kapitals. Großbritanniens Flotte und ein weltumspannendes Netz an Stützpunkten erlaubte die Kontrolle über die Weltmeere und Handelsströme. Das Frachtgeschäft war fest in der Hand von Unternehmungen aus den Kolonialmächten. Der mittlerweile angehäufte Reichtum war zudem eine wichtige Finanzierungsquelle für den Fernhandel und für die Investitionen in die örtlichen Transportinfrastrukturen. Schuldnern, die nicht zurückzahlen konnten, wurden ebenfalls Knebelverträge aufgezwungen. In einigen Fällen griffen die Gläubiger direkt auf die Steuereinnahmen des verschuldeten Staats zu, z.B. konnten sie 1895 über 14% der Staatseinkünfte des osmanischen Reichs verfügen. Hier sind Parallelen sichtbar zum Verhalten der Gläubigerstaaten seit der Schuldenkrise der Achtzigerjahre (→ Kapitel 7). Wie in heutigen Zeiten verfügten die damaligen Unternehmen über das notwendige Know-how bei der Erschließung von Rohstoffquellen und dem Aufbau einer industriellen Infrastruktur. Dies erleichterte ihnen den Erwerb von Bergbaulizenzen.

Das Verbot der Sklaverei beendete nicht die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften. Vornehmlich strömte nun die im Prozess der Industrialisierung verarmte Bevölkerung Europas nach Süd- und Nordamerika. Die Missionierung hörte auch im Zeitalter des industriellen Imperialismus nicht auf; zum Katholizismus gesellte sich der Protestantismus.

Entkolonialisierung

Aus europäischer Sicht gilt der Erste Weltkrieg ( 1914 – 1918 ) als entscheidender Einschnitt in den Globalisierungsprozess. Handel und Kapitalströme zwischen den verfeindeten Nationen brachen stark ein und die vor dem Krieg geltende Weltwirtschaftsordnung konnte nicht wiederbelebt werden. Die Reiche der Habsburger, Zaren und osmanischen Sultane zerfielen in Einzelstaaten und die Migration in die USA kam weitgehend zum Erliegen. Doch da die Kolonien nicht in die Freiheit entlassen wurden, änderte sich für den Rest der Welt deutlich weniger.

|30◄ ►31|

Aus Sicht dieser Länder war die Weltwirtschaftskrise ab 1929 eine erste entscheidende Zäsur, zum einen weil die Kolonialmächte ihre Imperien gegeneinander abschotteten, was für exportorientierte Länder ohne Imperien wie die Staaten Lateinamerikas die Wirtschaftskrise drastisch verschärfte. Zum anderen gewährte England mit dem Westminster-Statut von 1931 seinen „weißen“ Siedlungskolonien Unabhängigkeit, was Kanada als erstes Land in Anspruch nahm.

Die Kolonien mit vornehmlich nicht-europäischer Bevölkerung konnten sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zumeist nach langen Widerstandskämpfen und als Folge spezifischer weltpolitischer Konstellationen, befreien. Zuerst waren die bevölkerungsreichen Kolonien in Asien erfolgreich, und zwar Indien und Pakistan (1947), Indonesien (1949) und Vietnam (1954). Zum Erfolg trug bei, dass Japan die Kolonien der westlichen Mächte im pazifischen Krieg überrannt und somit deren Aura der Unbesiegbarkeit zerstört hatte. Der Zweite Weltkrieg endete für Großbritannien mit hohen Schulden gegenüber den USA und Indien, die aus unterschiedlichen Gründen am Zerfall des britischen Imperiums Interesse hatten. Wie im Westminister-Statut bereits sichtbar geworden war, bestanden in England selbst erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Kolonialbesitzes und am Nutzen von Kolonien. Die erfolgreiche Revolution in China (1949) war insbesondere für Vietnam bedeutsam, inspirierte aber insgesamt die Befreiungsbewegungen der Welt.

Nach Afrika kam die Freiheit deutlich später. Die Franzosen verließen Afrika erst nach dem blutigen Krieg mit Algerien (1962). Die Befreiung der englischen Kolonien in Afrika erfolgte unblutig und begann in Ghana (1957). Weltpolitisch spielte hier der Ost-West-Konflikt eine Rolle, da die Befreiungsbewegungen auf die Unterstützung der Sowjetunion zählen konnten. Kurz vor Ende des 2. Jahrtausends gewannen mit dem Untergang der Sowjetunion auch die Kolonien des Zarenreichs, die als abhängige Republiken in die Sowjetunion eingegliedert geblieben waren, ihre Freiheit (1991).

Weiterführende Literatur

Frank, André Gunder (1998). ReOrient: Global Economy in the Asian Age. Berkeley, Los Angeles, London

Landes, David S. (1999): Wohlstand und Armut der Nationen. Berlin

Wendt, Reinhard (2007): Vom Kolonialismus zur Globalisierung Europa und die Welt seit 1500. Paderborn

|31◄ ►32|

|32◄|

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?