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»Hmm, klug gemacht«, murmelte Lucas, der sich auch ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.



Upuaut fuhr fort: »Vielleicht haben Sie schon festgestellt, dass Sie alle ungefähr in demselben Alter sind. Das stimmt, denn das Gen fängt ungefähr zum 13. Geburtstag an zu arbeiten und nimmt einige Veränderungen in Ihren Körpern vor.«



Bei diesen Worten begannen viele der Mädchen und Jungen sich oder ihre Nachbarn zu mustern, als wären sie auf der Suche nach einem Zeichen, das sie vom Rest der Menschheit unterschied.



»Diese Veränderungen sind zum großen Teil nicht sichtbar. In der Tat werden sie von manchen zunächst gar nicht bemerkt oder als unerklärliche Seltsamkeit abgetan. Aber ich habe auch schon von Jungen – meistens sind es Jungen – gehört, die fast wahnsinnig geworden sind, weil sie mit der Flut von Eindrücken, die ihre immer schärfer werdenden Sinne ihnen lieferten, einfach nicht klargekommen sind.«



In diesem Moment dämmerte bei Lucas eine Erkenntnis. Er sah Neumann mit offenem Mund an.



»Das haben Sie bemerkt! Auf dem Schulhof. Ich wär da fast durchgedreht, und Sie haben mir erzählt, dass Ihnen das bekannt vorkommt.«



Neumann nickte lächelnd und wies mit dem Kopf wieder zum Redner.



»Manchmal kommt es zu spontanen Gefühlsausbrüchen – meist eher aggressiver Natur. Immer wieder wird auch von Blackouts berichtet. Das sind Momente, in denen sich das Bewusstsein komplett ausklinkt und man dabei die seltsamsten Dinge tut, ohne sich hinterher daran erinnern zu können. Das alles sind Veränderungen, die Sie momentan sicherlich nicht als besonders angenehm empfinden, aber wir hier in der Akademie können Ihnen helfen, damit umzugehen. Viel mehr als das. Wir zeigen Ihnen, wie Sie Ihre Sinne abschotten und sie kontrollieren können. Nicht zuletzt bringen wir Ihnen bei, wie Sie eine kontrollierte und reversible Transmutation in Ihr Tier vornehmen können. Wir bieten Ihnen diese Informationen – und das kostenlos – weil wir selbst alle einmal in dieser Situation waren. Wir wissen, wie wichtig diese Hilfe sein kann – wenn Sie sie wollen. Jeder von Ihnen hat die freie Wahl, zu entscheiden, ob er oder sie unsere Unterstützung annehmen will oder nicht. Im letzteren Fall bitten wir Sie jedoch, niemandem von der Akademie zu erzählen, denn Sie können sich sicherlich vorstellen, dass der Rest der Menschheit uns eher skeptisch gegenübersteht.«



Upuaut machte eine Pause. Lucas stellte zu seinem eigenen Erstaunen fest, dass tatsächlich ein paar der anderen Anstalten machten zu gehen.





Unglaublich! Wie können die sich diese Chance entgehen lassen?





Er blickte zu Neumann, aber dieser zuckte nur mit den Achseln und winkte ab.



»Aber meinen Sie, dass die tatsächlich nichts sagen, wenn sie doch offensichtlich so wenig davon überzeugt sind?«, fragte Lucas.



»Ich fürchte«, sagte Neumann mit gespielter Nachdenklichkeit. »Ich fürchte, sie werden zu denen mit der unerklärlichen Übelkeit gehören und eigenartigerweise werden sie sich auch nicht mehr an all das hier erinnern können. Aus diesem Grund machen wir auch immer wieder mal so etwas wie ein kleines Fest im Club oben, wo wir den Test mit dem Kaugummi ganz nebenbei durchziehen. Diejenigen, die die Gabe haben, aber beim ersten Mal nicht mitmachen wollen – vielleicht, weil sie einfach noch nicht so weit sind – können auch später noch einsteigen. Sie erinnern sich ja nicht mehr daran, schon einmal hier gewesen zu sein. Den anderen können wir auch nicht helfen. So, komm, lass uns mal nach unten gehen. Ich will doch endlich wissen, was du bist.«



»Na, welches Tier«, ergänzte er, als er Lucas’ fragendes Gesicht sah.



Sie standen auf und gingen zusammen nach unten zum Podium, wo sich inzwischen eine Schlange von Mädchen und Jungen gebildet hatte, die vor einem Vorhang standen.



Während sie darauf warteten, dass Lucas an die Reihe kam, erzählte Neumann ihm noch ein wenig mehr von den Dingen, die Lucas brennend interessierten, seit er die Worte des stellvertretenden Leiters der Akademie gehört hatte.



Es sah so aus, als ob jeder, der die Gabe hatte, wie Neumann es nannte, grundsätzlich in der Lage war, in eine Fledermaus zu transmutieren. Das Wort verwandeln wollte er nicht benutzen, denn das klang ihm zu sehr nach Hokuspokus. Außer der Fledermaus gab es aber immer noch ein weiteres Tier – manchmal mit der Zeit sogar mehrere – zu denen ein Begabter werden konnte. Um dies herauszufinden, gab es wiederum ein Gerät, das einige scherzhaft Mitternachtssonne nannten.



Lucas wusste nicht so recht, was er sich darunter vorstellen sollte. Einige der Umstehenden grinsten nur und sagten ihm, dass er das ja gleich herausfinden würde.



Mittlerweile waren sie ganz am vorderen Ende der Schlange angekommen. Sie standen direkt vor dem dunkelblauen Vorhang und warteten darauf, dass Lucas eingelassen werden würde. Während er so dastand, ließ Lucas seine Gedanken wandern.



Er fragte sich mit einem Mal, was seine Eltern eigentlich von alledem denken würden, wenn er ihnen davon berichtete. Würden sie es für einen Scherz halten? Würden sie ihn ernst nehmen? Oder würden sie ihm womöglich verbieten, wieder herzukommen? Der letzte Gedanke erschreckte ihn ein wenig – vor allem, weil er von allen der Wahrscheinlichste war. Er beschloss also, sich die ganze Sache erst einmal noch ein bisschen genauer anzusehen, ehe er ihnen etwas davon erzählte. Wer wusste schon, ob er vielleicht selbst bald entdeckte, dass das hier alles nur Blödsinn wäre. Wozu sie also unnötig damit belasten?



Der Vorhang öffnete sich und beendete damit Lucas’ Überlegungen. Er trat ein und fand sich in einem sanft erleuchteten Raum wieder. Hinter ihm schloss sich sacht eine Tür. An der Art, wie sich dadurch die Geräusche in diesem Raum veränderten, glaubte Lucas zu erkennen, dass er sich in einer schalldichten Kabine befand.



Er sah sich um und entdeckte einen Mann, der hinter einem Tisch saß. Darauf stand ein Gerät, das vage Ähnlichkeit mit den Geräten hatte, wie sie von Optikern oder Augenärzten benutzt wurden. Der Mann winkte ihm zu. Lucas setzte sich auf die andere Seite des Geräts. Dann nahm der Mann einen kleinen Becher aus einem Regal hinter sich und hielt ihn Lucas hin.



»Hallo«, sagte der Mann. »Keine Angst. Trink erst mal das hier.«



»Ist gegen Übelkeit«, ergänzte er und zwinkerte dabei mit einem Auge.



Lucas sah ihn einen Moment lang zweifelnd an. Dann glätteten sich seine Gesichtszüge und er antwortete lächelnd: »Ach, ist das eine Art Gegenmittel?«



Sein Gegenüber nickte anerkennend. »Respekt. Du kapierst schnell. Ja, in der Tat. Irgendwie müssen wir ja dafür sorgen, dass nur diejenigen von uns wissen, die auch wirklich hierbleiben wollen. Drück doch jetzt bitte deine Stirn dort gegen diese Platte und schau durch die beiden Okulare. Wundere dich nicht, wir müssen den Kopf fixieren, um das Ergebnis nicht zu beeinträchtigen.«



Während er dies hörte bemerkte Lucas, dass eine Art Spange seinen Kopf festhielt, sodass er ihn weder vor, noch zurück oder seitwärts bewegen konnte.



»Gut«, kam es von dem Mann. »Wir fangen am besten gleich an, dann hast du es hinter dir. Nachher kannst du dir dann das Ergebnis ansehen.«



»Okay, das bedeutet also, dass ich hinterher noch sehen kann«, sagte Lucas skeptisch.



Der Mann lachte. »Ist eigentlich halb so schlimm.«



»So, los geht’s«, sagte er und betätigte einen Schalter.



Vor sich sah Lucas nun eine helle Fläche, über die sich geometrische Muster kreisend hin und her bewegten. Dann froren sie ein. Mit einem Mal erschien etwas Dunkles in der Mitte der Fläche, das alles herum zu verschlucken schien. Lucas standen schlagartig die Haare zu Berge.



Die Schwärze breitete sich rasend schnell in seinem ganzen Gesichtsfeld aus. Lucas’ Herz begann wild in seiner Brust zu hämmern, während kalter Schweiß ihm über den Nacken lief.



Es war nicht die Art von Dunkelheit, wie sie durch Abwesenheit von Licht hervorgerufen wird. Vielmehr erinnerte sie Lucas an ein Un-Licht, von dem er vor kurzem in einem Horror-Roman gelesen hatte, den er seinem Vater aus dem Bücherschrank stibitzt hatte. Schon damals hatte dies ihm wesentlich mehr Schwierigkeiten beim Einschlafen bereitet als vieles von dem, was sonst noch in dem Buch passiert war.



Und auch jetzt glaubte Lucas, dass ihm einige schlaflose Nächte bevorstehen würden – wenn er hier überhaupt wieder herauskäme. Es schien wie ein Schwarzes Loch alles um ihn herum geradezu in sich aufzusaugen.



Er stöhnte und versuchte, sich davon irgendwie zu befreien, aber die Spange hielt ihn fest – oder war es der Sog? Lucas spürte hinter seinen Augen einen Druck, als ob sie jeden Moment aus ihren Höhlen springen wollten.



Die totale Finsternis erfüllte sein ganzes Bewusstsein und er dachte zum zweiten Mal in dieser Woche:

Das war’s. Jetzt bist du wirklich ...



Aber dann war es vorbei. So schnell, wie es angefangen hatte, hörte es wieder auf. Lucas fühlte, dass auch die Fixierungsspange losgelassen hatte.



Mit einem Keuchen stieß er sich von dem Apparat weg und rutschte dabei vom Stuhl.



Der Mann hinter dem Gerät machte eine entschuldigende Geste.



»Sorry, aber unsere Wissenschaftler haben leider immer noch keinen Weg gefunden, wie man den Test ohne dieses Folterinstrument durchziehen kann. Willst du dir jetzt das Ergebnis ansehen?«



Lucas, der immer noch schwer atmend auf dem Boden hockte, sah den Mann erst nur mit leerem Blick an. Dann sickerte die eben an ihn gestellte Frage in sein Bewusstsein und befreite ihn von der Starre, die ihn befallen hatte.



Er nickte langsam und ging mit seltsam ungelenken Schritten um den Tisch herum zu dem Mann, der auf einen kleinen Bildschirm schaute.

 



Dort begannen bunte Lichter, sich umeinander zu winden. Schließlich erschien daraus die Gestalt eines ... aber schon hatte sie sich wieder aufgelöst, um in den Lichtern zu verschwinden.



Der Mann runzelte die Stirn. Er betätigte ein paar Knöpfe.



Der Bildschirm flackerte und wurde dunkel. Dann begannen wieder die Lichter damit, ihren Tanz aufzuführen, um sich in einen ... und schon war es wieder vorbei.



Der Mann fluchte leise. Er warf Lucas einen Seitenblick zu. Dann entschuldigte er sich und ging kurz in einen Nebenraum, aus dem er mit zwei Personen zurückkam. Der eine war Upuaut. Der andere war der älteste der drei, die vorhin an der Vorführung teilgenommen hatten. Von Nahem betrachtet, kam er Lucas umso mehr bekannt vor.



Als ob ihm dies im Gesicht geschrieben stand, sagte der Junge nun: »Ich kenn dich doch. Bist du nicht bei mir auf der Schule?«



Die plötzliche Erkenntnis, die sich für Lucas aus dieser Frage ergab, war wie eine Dusche eiskalten Wassers. Natürlich kannte er diesen Jungen. Er war der, den er gleich am ersten Schultag gesehen hatte, als dieser den Arm um Ines legte und sie durch die Menge von ihm wegführte.



»Stimmt doch, oder?«, ließ es Lucas aus seinen Gedanken hochfahren. Er stellte fest, dass sein Gegenüber auf eine Antwort wartete.



»Hhmm, ja. Bin gerade neu reingekommen«, murmelte er.



Dann wurde die Aufmerksamkeit der beiden durch ein schrilles Piepsen wieder auf die Männer gelenkt, die sich an dem ominösen Apparat zu schaffen gemacht hatten.



»Neustart«, erklärte Upuaut an die Jungen gewandt. Als er Lucas’ Gesichtszüge dabei entgleisen sah, ergänzte er: »Keine Sorge. Deine Daten sind gespeichert. Du musst da nicht noch mal ran.«



Lucas konnte ein erleichtertes Seufzen nicht unterdrücken, worüber sie alle zusammen lachen mussten.



Als der Bildschirm wieder mit den bunten Lichtern gefüllt war, sagte Upuaut zu dem anderen Mann: »Versuch mal, die sekundären Protokolle um ein paar Prozent zu verlagern. Manchmal bringt das was.«



Und tatsächlich kam eine flackernde Gestalt zum Vorschein, die allerdings so schwer zu erkennen war, dass man sie kaum zuordnen konnte. Manchmal sah sie aus wie ein Hund oder nein, kleiner, eine Maus oder Ratte ... Jeder glaubte etwas anderes darin zu sehen. Schließlich hatten sie alle genug vom Rätseln und ließen es sein.



»Seltsam«, sinnierte Upuaut leise vor sich hin. »So ein schwaches Bild und doch ... Ein Halb kannst du wohl nicht sein. Eher ein Viertel oder Achtel. Aber du hast es zweifellos ... Na ja, dann sagen wir doch mal, dass dein Tier die Ratte ist. Die schien mir noch am deutlichsten zu erkennen zu sein. Wenn du es doch ganz genau wissen willst, dann müssen wir es wohl oder übel noch mal mit dem Ding hier versuchen.« Bei seinen Worten tätschelte er den Kasten auf dem Tisch.



»Ratte ist toll«, kam es sofort aus Lucas’ Mund geschossen, der sich mit dem Gedanken, sich noch einmal von dieser Höllenmaschine durchleuchten zu lassen, überhaupt nicht anfreunden konnte.



Als sie aus dem Vorhang traten, kam Neumann sofort heran und fragte Lucas fast aufgeregt: »Und? Was ist es?«



»Scheint ne Ratte zu sein«, antwortete Lucas. Er bemühte sich, den leicht enttäuschten Ausdruck auf Neumanns Gesicht zu übersehen, während sie wieder zu ihren Plätzen gingen.



»Was hat denn eigentlich so lange da drin gedauert?«, wollte Neumann wissen.



»Weiß auch nicht so genau. Erst funktionierte die Maschine nicht richtig, danach haben wir ewig rumgerätselt, was es nun sein könnte. Dann hat Herr Upuaut was von Vierteln und Achteln erzählt – was meinte der denn damit?«



Neumann, der stehengeblieben war und gedankenverloren in die Luft gestarrt hatte, schreckte auf. »Wie? Achtel ... ach, so ... ja. Das hat was mit der Vererbung zu tun. Wenn zwei Partner, von denen einer ein Begabter ist, ein Kind zeugen, dann ist das Kind im Normalfall ein ‘Halb’, weil es halb und halb ist. Verstehst du? Ja, aber manchmal lässt die Gabe auch ein – zwei Generationen aus, sodass die Erbanlagen nur noch zu einem Viertel oder Achtel vom Begabten stammen. Das ist ja wirklich eigenartig. Ich war mir so sicher, dass du ein ‘Halb’ sein musst, aber ist ja letztendlich auch egal. Du hast es.«



»Hmm«, machte Lucas, der das Gefühl hatte, dass es irgendwie doch nicht egal war.



Sie setzten sich wieder an ihren Platz und warteten darauf, dass auch die anderen Platz nahmen. Schließlich erschien Upuaut. Er bedeutete ihnen, ruhig zu sein.



»Es ist mir eine Ehre, Ihnen nun den Leiter unserer Akademie, Vincente di Bragulia, vorstellen zu dürfen«, sagte er mit einem leichten Lächeln in der Stimme, das den Inhalt des eben Gesagten Lügen strafte. Dann trat er zur Seite.



Hinter dem Vorhang kam ein Mann zum Vorschein, der sich neben Upuaut aufstellte. Der Unterschied zwischen den beiden hätte größer nicht sein können. Er wirkte dadurch, dass sie direkt nebeneinander standen, umso krasser. Upuaut mit seinem Dutzendgesicht, mittelgroß, mittelalt und auch ansonsten irgendwie mittel wurde um mehr als einen Kopf überragt von der eindrucksvollen Gestalt Bragulias.



Dieser sah aus, als ob er frisch als Sieger aus einem Graf-Dracula-Ähnlichkeitswettbewerb hervorgegangen wäre. Er hatte aristokratische Züge, pechschwarzes Haar, das straff zurückgekämmt war und an den Schläfen silberne Strähnen aufwies. Gekleidet war er in ein altertümlich wirkendes Gewand, das seine Wirkung noch verstärkte. Aber dann öffnete er den Mund und die gebannte Stille im Raum ob seiner Erscheinung wich einem gedämpften Gemurmel.



»Liebäh Kinndärr«, sprach er mit einer hellen unsicheren Stimme und einem grauenhaften italienischen Akzent. »Ische eiße eusch härrzelisch willkomme bei die Akademije.«



Er breitete die Arme aus und neigte kurz den Kopf. Dann wandte er sich abrupt um, rauschte vom Podium und verschwand.



Lucas blickte Neumann fragend an. Dieser antwortete ihm schmunzelnd: »Du hast noch eine von seinen guten Reden erwischt. Normalerweise stottert er dabei noch.«



»Aber er ist ein exzellenter Wandler«, ergänzte er wie zur Ehrenrettung. »Wenn es stimmt, was man sagt, dann beherrscht er sogar zehn verschiedene Tiere.«



Upuaut, der ebenfalls leicht schmunzelte, stand nun wieder allein auf dem Podium und begann ein weiteres Mal zu sprechen. »So, nun da Sie alle ein wenig besser über sich Bescheid wissen, wird es Zeit dafür, dass ich Ihnen sage, was wir alles für Sie tun können. Die Bestimmung Ihres Tiers ist ja schließlich nur der erste Schritt auf Ihrem Weg. Wir können Ihnen die notwendigen Verfahrensweisen beibringen, um Transmutationen durchzuführen, ohne sich dabei selbst zu gefährden, denn ganz ungefährlich ist der Umwandlungsprozess natürlich nicht. Außerdem können Sie Techniken erlernen, die es Ihnen ermöglichen, sich gegen die geschärften Sinne abzuschotten oder sie sich nutzbar zu machen – ganz so, wie Sie es wünschen. Darüber hinaus gibt es noch verschiedene Kurse über die Geschichte des Vampirismus, Sprachen, Sport und manche Wissenschaftszweige. Eine Liste aller Kurse und Veranstaltungen finden Sie an den oberen und unteren Ausgängen. Diejenigen, die sofort noch einen oder mehrere Kurse besuchen möchten, benutzen bitte den unteren. Die, die für heute erst einmal genug haben, kommen durch den oberen nach draußen. Aber für Sie alle gilt: Sie können jeden Tag ab 15 Uhr herkommen, um Kurse zu besuchen. Benutzen Sie einfach den Eingang, durch den sie vorhin gekommen sind. Bei dem Test vorhin ist die auch die Netzhaut Ihrer Augen gescannt und abgespeichert worden. Sie wird an der Tür automatisch kontrolliert und gibt ihnen den Durchgang frei. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei dem, was auch immer Sie jetzt tun werden.«



Beifall brandete auf. Er schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Lucas war zusammen mit Neumann aufgesprungen. Er pfiff und johlte, bis er heiser war. Dann machten sich die Anwesenden langsam in die eine oder andere Richtung auf. Lucas war rasend interessiert an den Kursen und hätte am liebsten alle sofort besucht. Er machte Anstalten nach unten zu gehen, wurde aber von Neumann gebremst. Als Lucas ihn überrascht und fast verärgert ansah, tippte er auf seine Uhr. »Es ist schon halb sieben durch. Du musst doch um sieben zu Hause sein.«



Enttäuschung machte sich in Lucas breit und er seufzte. Dann fiel ihm ein, dass seine Mutter ja etwas von Späterkommen gesagt hatte. Seine Miene hellte sich auf. »Nee, Moment, sie hat gesagt, ich kann anrufen, wenn’s später wird.«



Er strahlte Neumann an, aber dieser winkte vorsichtig ab. »Wenn du gleich beim ersten Mal schon mit Späterkommen anfängst, dann lassen dich deine Eltern vielleicht irgendwann gar nicht mehr her. Vielleicht solltest du es heute nicht übertreiben. Ich kann dich ja morgen wieder mit hernehmen. Okay?«



Die Worte – obwohl sie freundlich ausgesprochen worden waren und auch logisch klangen – versetzten Lucas einen leichten Stich.



Warum war Neumann, nachdem er ihn zuerst so dermaßen heiß auf dieses Treffen gemacht hatte, nun plötzlich so ruhig? Er hinderte ihn geradezu daran, mehr zu erfahren. Hatte es womöglich damit zu tun, dass er nur eine Ratte war? Er hatte ja vorhin einen etwas enttäuschten Eindruck gemacht. Vielleicht hatte er ja Pläne gehabt, in denen eine einfache Ratte nicht vorkam, und wollte ihn nun loswerden.



Er sah Neumann resigniert an, der eine beschwichtigende Geste machte. »Komm, lass uns abhauen. Ich verspreche dir, dass du morgen alles nachholen kannst. Habe ich meine Versprechen je gebrochen?«



Lucas schüttelte den Kopf. Er trottete hinter Neumann auf den oberen Ausgang zu. Dort nahm er sich im Vorbeigehen ein Infoblatt und steckte es, ohne es anzusehen, in seinen Rucksack.



Die Fahrt nach Hause war kurz. Lucas empfand sie als nicht halb so aufregend wie die Hinfahrt. Neumann ließ ihn eine Ecke vor dem Haus, in dem Lucas wohnte, absteigen. Lucas empfand dies insgeheim als ganz angenehm. Wer wusste schon, was seine Eltern sonst zum Thema Motorrad gesagt hätten.



Als er durch das Gartentor auf das Grundstück trat, konnte er durch die geschlossenen Fenster riechen, was es zum Abendessen gab. Diesmal wunderte er sich nicht mehr darüber. Im Gegenteil tröstete ihn dieser Beweis seiner Andersartigkeit über die letzten Enttäuschungen hinweg. Außerdem wurde ihm bewusst, dass Neumann mit seiner Einschätzung der Situation doch recht gehabt haben mochte. Was hätte er sich wohl von seiner Mutter wegen des Essens anhören dürfen, wenn er kurz vorher angerufen hätte, um zu sagen, dass er noch dabliebe?



Seine Eltern empfingen ihn bereits am Esstisch sitzend und mit erwartungsvollen Gesichtern.



»Na, wie war’s?«, fragten sie im Chor und mussten darüber unvermittelt kichern.



Lucas lachte mit. Das Lachen hellte seine Stimmung wieder auf, sodass sich ein plötzlicher Redefluss Bahn brach. »Das war echt cool. Lauter Leute in meinem Alter. Die haben da ein Bistro und eine Disco, man kann Kurse machen. Sport und Wissenschaften ... seht mal.« Während er sprach, hatte er in seinem Rucksack gekramt und brachte nun den Kursplan zum Vorschein. Aber noch in dem Moment, als er ihn seinen Eltern hinhielt, zuckte er plötzlich innerlich zusammen. Er hatte sich nicht einmal angesehen, was darauf stand. Was würden seine Eltern sagen, wenn sie dort etwas von Vampiren und Mutationen lasen?!



Doch zu seiner großen Erleichterung schien der Plan sehr neutral gehalten zu sein, denn sie lasen das Blatt interessiert und ohne Stirnrunzeln durch. Danach ließ Paul einen leisen Pfiff ertönen.



»Meine Herren, das is aber’n Programm. Und was soll das kosten?«



»Nichts«, antwortete Lucas.



»Was? Das kann ich mir ja nun gar nicht vorstellen. Oder ist das irgendwas Kirchliches?«



»Nee, das sind ganz normale Leute. Sie haben gesagt, dass sie wollen, dass die heutige Jugend was Sinnvolles zu tun hat und nicht irgendwo rumhängen muss.«



»Aha. Hhmm. Über wen hast du das nochmal erfahren?«



»Na, das war bei mir in der Schule. Da hat einer der Lehrer von erzählt und so ...«



Lucas wurden die Fragen langsam unangenehm. Was würde denn das jetzt werden?



Dann mischte sich allerdings seine Mutter, die inzwischen wieder in die Küche gegangen war, um das Essen zu holen, in das Gespräch ein: »Ach Paul, jetzt lass Luky mal in Ruhe mit deiner Fragerei. Die Hauptsache ist doch, dass es ihm Spaß gemacht hat. Das hat es doch, oder?«



»Ja, war echt Klasse«, sagte Lucas strahlend.



»Ich hatte mich nur ein bisschen gewundert, warum du mit einer Miene wie ‘sieben Tage Regenwetter’ hier hereingekommen bist.«

 



»Na ja, das hatte was damit zu tun, dass ich eigentlich noch dableiben wollte.«



»Ach, Mensch, dann hättest du doch anrufen können. Das wäre kein Problem gewesen.«



»Hatte ich auch schon überlegt, aber der, der mich dahin mitgenommen hat, meinte, dass ich es beim ersten Mal nicht gleich übertreiben soll. Nicht, dass ihr hier noch wer weiß was denkt.«



Lucas’ Eltern sahen erst einander und dann ihn an. Sein Vater nickte anerkennend mit dem Kopf.



»Scheint mir ja ein recht vernünftiger Junge zu sein. Da brauchen wir uns wohl keine Sorgen zu machen«, murmelte Paul.



»Na dann können wir ja endlich essen«, bemerkte Betty,

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