Seewölfe Paket 30

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„Eine Wanne kann ich dir leider nicht bieten“, sagte der Profos, „dafür aber herben und spritzigen Vinho verde von der besten Sorte. Viel zu schade für einen stinkenden Molch wie dich.“

Der Schnorrer kreischte, quiekte und fluchte, aber das half ihm nichts. Carberry tauchte ihn in die große Rotweinlache und wischte mit ihm so lange den Tisch auf, bis kein Tropfen mehr zu sehen war.

Danach trug der Profos den Kerl zum Ausgang, enterte die Treppenstufen hinauf, die vom Gewölbe zur Gasse führten und ließ ihn mit kräftigem Schwung davonsegeln.

Den Kurs hatte er so abgesteckt, daß die Ladung direkt in einer schmutzig-grauen Wasserpfütze erfolgen mußte. Und das tat sie auch.

Der Bursche war bedient, und der Profos verspürte nach getaner Arbeit einen mächtigen Durst. Als er zu den Kameraden zurückkehrte, stellte der Wirt gerade einen neuen Weinkrug auf den Tisch und kehrte die Scherben in einen Abfalleimer.

„Vielen Dank, Señor“, sagte er. „Sie haben mir die Arbeit abgenommen. Ich habe den Kerl schon einige Male rausschmeißen müssen, weil er für Ärger gesorgt hat.“

„Gern geschehen“, sagte Carberry. „Ich bin für meine Hilfsbereitschaft bekannt. Im übrigen kann ich nur hoffen, daß sich mein Arbeitseinsatz in deiner gemütlichen Kneipe etwas auf die Weinpreise auswirkt. Wir möchten nämlich gern einige Fässer von dem Trank kaufen, den du uns schon die ganze Zeit über kredenzt hast.“

Der kugelrunde Wirt wurde hellhörig, wie immer, wenn ein Geschäft winkte.

„Oh, die Señores möchten eine größere Menge von diesem herrlichen Wein kaufen?“ fragte er.

„Ich sagte von dem Trank“, erwiderte Carberry. „Und ich hoffe, daß sich auch das auf den Preis auswirkt.“

Er deutete auf einen freien Platz, und der Wirt ließ sich dienstbeflissen dort nieder. Das Feilschen um Mengen und Preise begann und wurde von so mancher Weinprobe begleitet.

Als man sich endlich handelseinig geworden war und der Wirt noch zugesichert hatte, die bestellten fünf Fässer gleich am nächsten Morgen auf Karren zum Liegeplatz der Schebecke schaffen zu lassen, war es endlich an der Zeit, zur Prüfung des Rums überzugehen.

Schließlich war laut Carberry auch für ein solches Getränk vor dem Einkauf von größeren Mengen eine Qualitätskontrolle unerläßlich.

Die Arwenacks kontrollierten. Und sie taten es ausgiebig und mit Sachverstand.

Daß sie bereits seit Stunden beobachtet wurden, hatte bis jetzt keiner von ihnen bemerkt. Dazu war auch viel zuviel Betrieb in der Kneipe. Niemand konnte über einen längeren Zeitraum sämtliche Zecher im Auge behalten, selbst der Wirt wäre damit überfordert gewesen.

Der hochgewachsene, schlanke Mann mit dem glatten schwarzen Haar, der von einer nahegelegenen Nische aus das ganze Gewölbe überblicken konnte, trank seinen Wein aus und bezahlte seine Zeche. Danach verließ er unauffällig den Weinkeller.

Die Arwenacks traten zu diesem Zeitpunkt in die Endphase der Rumprüfung ein.

Der Profos schnalzte genießerisch mit der Zunge.

„Wenn du auch dafür einen Rabatt einräumst“, verkündete er dem Wirt, „bringe ich gern noch einigen Schnorrern das Segeln bei.“

Man wurde sich auch in bezug auf den Rum einig – ohne daß der Profos noch einmal die Fäuste gebrauchen mußte. Dann allerdings begannen sich die Seewölfe an eine gewisse Schebecke zu erinnern, die „vollbeladen mit Blondies“ an einem gewissen Steg lag.

„Es wird langsam Zeit, in die Kojen zu steigen“, mahnte Al Conroy und genehmigte sich einen letzten Schluck.

Old O’Flynn, dessen Blick etwas verklärt wirkte, pflichtete ihm mit eifrigem Nicken bei. Der Blick, den er draufhatte, war jedoch nicht nur auf den Rum und den Wein zurückzuführen – o nein, da steckte auch eine gewisse Vorfreude auf den ersten Schluck aus der Flasche mit dem Lebenselixier dahinter. Mit dieser heiligen Handlung nämlich gedachte er den ereignisreichen Tag würdevoll abzuschließen.

Nachdem der dicke Wirt mit einem zufriedenen Grinsen abkassiert hatte, brachen die Arwenacks auf. Die Stimmung war hervorragend. Sam Roskill, der sich mit einiger Mühe von der Holzbank hochgestemmt hatte, schickte sich sogar an, das alte Lied von der Meerjungfrau anzustimmen.

Der Profos boxte ihm unsanft gegen die Rippen. „Willst du wohl die Luke halten? Vergiß nicht, daß wir Dons sind, und die bringen höchstens einer glutäugigen Señorita ein Ständchen.“

Sam winkte ab.

„Kann ja selber kaum noch stehen“, murmelte er mit schwerer Zunge, und trällernd fügte er hinzu: „Er war jung und kühn, sie liebte ihn. Er liebte sie, schon sank sie hin …“

Als die Arwenacks die schmale Gasse betraten, war es dunkel. Nur der Mond schüttete sein spärliches Licht über die Stadt. Wo tagsüber buntes Gewimmel herrschte, war es jetzt still und menschenleer. Ein Hund, der mit eingezogenem Schwanz zwischen zwei Häusern verschwand, war das einzige Lebewesen, das den Männern begegnete.

„Alles ist wie ausgestorben“, murmelte Old Donegal. „Da ist um diese Zeit ja selbst auf dem Friedhof mehr los.“

„Klar“, bestätigte Al Conroy, „da tanzen die Geister einen lustigen Reigen, und ihre Musikanten klappern dazu mit den Knochen.“

Blacky, der neben Al marschierte, schüttelte den Kopf. „Hört schon auf mit eurem Gespensterkram“, sagte er. „Vielleicht begegnen wir noch einigen hübschen Ladys, die uns mit ihren glühenden Blicken heimleuchten.“

Carberry hatte die Kameraden noch nicht eingeholt. Da er noch einige Sätze mit dem Wirt wegen der Anlieferung der bestellten Getränke gewechselt hatte, folgte er ihnen im Abstand von etwa dreißig Yards.

Und dieser lächerliche Umstand sollte dem bärenstarken Profos zum Verhängnis werden.

Er marschierte an einem großen, gewölbten Torbogen vorbei. In diesem Augenblick tauchten einige dunkle Schatten aus der Finsternis auf, und bevor der Profos begriff, was mit ihm geschah, krachte ein heftiger Schlag gegen seinen Hinterkopf.

Unter seiner Schädeldecke schienen tausend Fässer Pulver gleichzeitig zu explodieren. Für eine Gegenwehr blieb weder Zeit noch Gelegenheit. Alles spielte sich ungeheuer schnell und nahezu völlig lautlos ab. Als Carberry von einigen Fäusten gepackt und in das Dunkel des Torbogens gezerrt wurde, weilte er bereits im Reich der Träume.

Er kriegte auch nicht mehr mit, daß man ihn an Händen und Füßen fesselte, auf einen zweirädrigen Karren lud und eine Persenning über ihm ausbreitete. Diese wurde wiederum mit einer Lage Gemüse abgedeckt, damit alles völlig harmlos aussah.

Gleich darauf zogen die Männer, die in schwarzen Mönchskutten steckten, den Karren zu einem abgelegenen Teil des Hafens.

„Wo Ed nur bleibt?“ fragte Old Donegal verwundert.

Die Arwenacks wandten sich zum wiederholten Male um, aber von ihrem Profos war noch nichts zu sehen.

„Vielleicht nimmt er noch einen Becher Rum zur Brust“, meinte Big Old Shane. „Es soll ja passieren, daß Ed vom Durst übermannt wird.“

Al Conroy winkte ab. „Er redete doch noch mit dem Wirt, als wir den Weinkeller verließen. Er wird uns schon einholen.“

„Einholen?“ Der weinselige Sam Roskill wischte sich mit einer schwerfälligen Geste über die Augen. „Mir – mir war, als hätte ich ihn bereits hinter uns gesehen …“

„Quatsch“, sagte Al. „Wenn du jemanden gesehen hast, war das allenfalls eins von Donegals Gespenstern. Und das hättest du eigentlich schon doppelt sehen müssen.“

Sam schüttelte heftig den Kopf.

„Nichts da“, wehrte er sich. „Gespenster sind unsichtbar. Ich – ich habe den Profos gesehen. Er war noch ein Stück von uns entfernt.“

„Nun hört schon auf, herumzustreiten“, sagte Smoky. „Vielleicht hat er von der Nachtluft eine trockene Kehle gekriegt und ist umgekehrt. Um unseren Profos brauchen wir uns nicht zu sorgen. Womöglich hat er einen anderen Weg zum Hafen eingeschlagen und befindet sich längst an Bord.“

„Hihihi!“ Old Donegal kicherte. „Oder eine hübsche Lady hat ihn in ihr Kämmerlein gelockt.“

„Jetzt – mitten in der Nacht?“ fragte Paddy Rogers, dessen Gedankenfluß vom reichlich genossenen Vinho verde ziemlich blockiert war. „Was will sie wohl von ihm?“

Die Mannen lachten.

„Sie wird ihm die hübschen Tüchlein zeigen, die sie tagsüber gehäkelt hat“, sagte Al Conroy grinsend.

Jetzt verstand Paddy überhaupt nichts mehr, zumal sich die anderen nicht zu weiteren Erklärungen hinreißen ließen. Sie legten vielmehr einen Schritt zu und erreichten bald den Steg, an dem die Schebecke lag. Ihre Rückkehr wurde von Plymmie, der Bordhündin, mit Schwanzwedeln und einem leisen Winseln angekündigt.

Nils Larsen und Bob Grey, die zu den „Blondies“ gehörten, gingen Wache und halfen beim Aufentern etwas nach, wenn der eine oder andere infolge der ausgiebigen Wein- und Rumprobe plötzlich Blei in den Gliedern zu haben glaubte.

„Wo habt ihr denn unseren Profos gelassen?“ fragte Nils Larsen. „Ist er etwa in ein Weinfaß gefallen?“

Al Conroy zuckte mit den Schultern.

„Frag mich was Leichteres. Wir dachten schon, er hätte einen anderen Weg eingeschlagen und sei bereits an Bord. Da dem nicht so ist, muß er noch in der Kneipe hocken. Er stand ja noch beim Wirt, als wir losmarschierten.“

Old O’Flynn nickte bestätigend.

„Bestimmt ist er am Schanktisch hängen geblieben. Der gute Ed kriegt den Hals mal wieder nicht voll genug.“

Für Nils Larsen war die Sache damit erledigt. Der Profos brauchte schließlich kein Kindermädchen. Außerdem würde der Wirt irgendwann seinen Laden schließen und Carberry höflich auf den Nachhauseweg schicken.

Doch Edwin Carberry kam nicht.

Auch in den frühen Morgenstunden, als die Sonne hinter dem Horizont hervortauchte, war noch nichts von ihm zu sehen und zu hören.

 

Das wiederum erschien den Arwenacks reichlich spanisch, und das Rätselraten um den Verbleib des Profos’ begann aufs neue.

Auch der Seewolf blickte immer häufiger zu den Gassen.

„Wir werden ihn systematisch suchen müssen“, entschied er schließlich. „Solange er nicht zurück ist, sind wir hier festgenagelt, und das könnte unter Umständen ziemlich riskant für uns werden.“

Er stellte mehrere kleine Suchtrupps zusammen. Die einen sollten die nähere Umgebung in Augenschein nehmen, die anderen würden sich noch mal den Weg zur Kneipe, die Kneipe selber und die Seitenstraßen ansehen.

Die Arwenacks taten das mit der ihnen eigenen Gründlichkeit, während an Bord weiterhin die verschiedensten Überlegungen angestellt wurden.

Sam Roskill, der während der Nacht behauptet hatte, Carberry gesehen zu haben, konnte sich im nüchternen Zustand nicht mehr daran erinnern. Und an die Geschichte mit dem Kämmerlein der hübschen Lady mochte auch niemand so recht glauben. So blieb für die Männer an Bord zunächst nur das Abwarten und die Hoffnung auf einen Erfolg der Suchtrupps.

Die Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht.

Die ersten Mannen meldeten sich nach gut zwei Stunden zurück. Von Edwin Carberry keine Spur.

„Ich habe mir den Wirt vorgeknöpft“, berichtete Al Conroy. „Er behauptete, Ed habe noch kurz mit ihm über die für heute vereinbarte Wein- und Rumlieferung gesprochen und sein Haus gleich nach uns verlassen.“

„Insofern ist es durchaus möglich, daß Sam ihn tatsächlich gesehen hat“, überlegte der Seewolf. „Aber es paßt verdammt noch mal überhaupt nicht zu Ed, daß er sich still und leise, so quasi hinter dem Rücken der anderen, verholt haben soll. Wäre er andererseits überfallen worden, hättet ihr doch etwas bemerken müssen.“

Der schwarzhaarige Stückmeister zuckte hilflos mit den Schultern. „Keiner von uns hat etwas bemerkt, ganz davon abgesehen, daß es nicht so einfach sein dürfte, Ed so mir nichts dir nichts zu überfallen.“

„Dennoch muß etwas passiert sein“, beharrte Hasard. „Er kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Wir werden weitersuchen, und wenn wir sämtliche Kneipen von Lissabon auf den Kopf stellen müssen.“

Bei ihren weiteren Überlegungen und Planungen wurden die Seewölfe zweimal gestört. Beim erstenmal wurden die von Carberry bestellten fünf Fässer Rotwein und drei Fässer Rum von den Schankknechten des kleinen, dicken Wirtes auf den Steg gekarrt und an Bord gebracht. Beim zweitenmal war es Jung Philip, dessen Stimme die Arwenacks aufhorchen ließ.

„Da törnt ein Mönch auf den Steg zu“, sagte er sachlich. „Ob der zu uns will?“

In der Tat näherte sich der Kuttenträger mit raschen Schritten. Nach Meinung der Männer, die am Vortag zur Proviantbeschaffung unterwegs gewesen waren, mußte es sich um einen jener Mönche handeln, die auf den Marktplätzen das mysteriöse Lebenselixier verkauft hatten.

„Vielleicht bringt er Nachschub, Mister O’Flynn“, bemerkte der Kutscher mit einem spöttischen Seitenblick zu Old Donegal.

Der Alte aber lächelte wieder einmal das Lächeln der Wissenden und hielt es für unter seiner Würde, auf die Bemerkung einzugehen.

Der Mönch, bei dem es sich um einen mittelgroßen, schlanken Mann handelte, nahm tatsächlich Kurs auf die Schebecke. Die frische Brise, die am Vormittag wehte, brachte seine lange, schwarze Kutte zum Flattern.

„Gott zum Gruß, Señores!“ rief er. „Ich bin Bruder Manuel und habe euch einen Brief zu übergeben.“

„Interessant“, sagte der Seewolf zu Ben Brighton. „Der Mann soll aufentern.“

Während sich die Arwenacks verwundert anblickten und überlegten, wer ihnen wohl hier in Lissabon einen Brief schreiben könnte, kam Bruder Manuel an Bord.

Der Mönch blickte sich suchend um, dem Seewolf entging nicht, daß er nervös war.

„Wem darf ich diesen Brief geben?“ fragte er.

„Am besten mir“, sagte Hasard und trat auf den seltsamen Besucher zu. „Ich bin der Kapitän.“

„Der – der Capitán?“ Für einen Augenblick schien es, als sei der Mann verblüfft. Dann aber deutete er auf das Stück Papier. „Der Brief ist an die Mannschaft der Schebecke gerichtet.“

„Egal, an wen er gerichtet ist“, fiel ihm der stets ruhige und besonnene Ben Brighton ins Wort. „Wenn es um die Belange unseres Schiffes oder unserer Mannschaft geht, ist in erster Linie der Kapitän zuständig. Außerdem sind wir ja alle dabei.“

Die Arwenacks nickten zustimmend.

„Nun – nun, mir kann es gleich sein“, stotterte der Mönch. „Ich habe meinen Auftrag erfüllt, möge der Herr euch und euer Schiff weiterhin segnen.“

Der Kuttenmann wollte wieder von Bord gehen. Damit war der Seewolf jedoch nicht einverstanden.

„Moment noch“, sagte er. „Von wem stammt dieser Brief?“

Der Mönch vollführte eine Geste, die völlige Unwissenheit zum Ausdruck brachte.

„Ich habe keine Ahnung, Señores. Ein Mann sprach mich auf dem Marktplatz an, beschrieb mir euer Schiff und den Liegeplatz und bat mich um den Botendienst. Er gab mir dafür einige Silbermünzen für die Armen.“

„Und ich dachte schon, es sei das Dankschreiben einer Señorita“, meinte Pete Ballie grinsend.

„Das wird sich gleich herausstellen“, entgegnete der Seewolf, brach das Siegel und entfaltete den Bogen. Schon bei den ersten Worten fand er seine geheime Befürchtung bestätigt. Der Brief war kurz, und wie es schien, war sein Verfasser nicht besonders schreibkundig.

Der Seewolf las vor:

„Ihr wartet vergeblich auf euren Kapitän. Er ist in unserer Hand, und ob er jemals zurückkehrt, liegt ganz an der Höhe des Lösegeldes, das ihr für ihn bezahlt. Wir wissen, daß ihr keine armen Leute seid. Bringt alles, was ihr an Gold, Silber und sonstigen Wertgegenständen besitzt, bis um Mitternacht zur Kirche der Heiligen Teresa und legt es hinter den Altar. Dann kehrt sofort auf euer Schiff zurück. Wenn wir mit der Höhe des Lösegeldes zufrieden sind, lassen wir euren Kapitän frei. Wenn ihr aber Schwierigkeiten bereitet, wird er sterben.“

„O du heiliger Bimbam“, entfuhr es Al Conroy. „Man hat Ed irrtümlich für unseren Kapitän gehalten, und jetzt sitzt er dick in der Tinte …“

8.

Die „São Pedro“ hatte ihr Ziel erreicht und ging in der kleinen Bucht, die vor dem halbzerfallenen Klostergebäude lag, vor Anker.

Das Schott zur Segellast wurde geöffnet. Carberry fühlte sich nach vielen Stunden der Dunkelheit vom Schein einer Tranlampe geblendet. Die Luft in dem engen Raum war zum Schneiden dick, die Fesseln, mit denen man ihm die Hände auf den Rücken gebunden hatte, schnitten tief ins Fleisch.

„Los, hoch mit dir“, sagte Miguel Fernandez. „Unser kleiner Ausflug ist zu Ende.“

„Wird aber auch langsam Zeit“, erwiderte der Profos wütend. „Oder glaubt ihr Strolche vielleicht, ich möchte in diesem Karnickelstall ersticken?“

Jetzt erst registrierte er, daß es sich bei den beiden Gestalten, die vor dem Schott standen und die Läufe ihrer Steinschloßpistolen auf ihn gerichtet hielten, um Mönche handelte.

Der Profos schluckte hart. „Was sehen meine erstaunten Augen? Seid ihr Himmelskomiker das gewesen, die mir was auf die Nuß gehauen haben?“

„Mit Verlaub, mein Sohn“, sagte Fernandez spöttisch. „Wie es scheint, hat es dir keinen allzu großen Schaden zugefügt.“

Der Profos knirschte mit den Zähnen. „Oh, verdammt. Dafür werde ich euch noch die Kapuzen langziehen. Und eure Litaneien werde ich mit euch rauf und runter beten. Seit wann klopfen fromme Gottesmänner ihrem lieben Nächsten den Kopf weich und bedrohen ihn obendrein noch mit Pistolen? Könnt ihr mir mal erklären, was das für unchristliche Sitten sind?“

Die Kapuzenmänner lachten rauh.

„Zum Litaneienbeten wirst du bald Gelegenheit haben“, erwiderte Fernandez.

Der Profos konnte es nicht verhindern, daß man ihm mit einem Tuch die Augen zuband. Danach wurde er von Bord gebracht, an Land gepullt und mit Waffengewalt zum „Kloster“ geführt. Die Kerle waren vorsichtig, denn ihr Kumpan namens Mateo hatte den „Kapitän“ der Schebecke als äußerst gefährlich beschrieben. Schließlich hatte er – ohne Kutte, und als Zecher getarnt – mehrere Stunden lang die Gelegenheit gehabt, die Fremden in der Kneipe zu beobachten.

Erst im Unterschlupf der Piraten nahm man dem Profos das Tuch von den Augen. Er fand jedoch, daß er in der Dunkelheit nichts versäumt hatte, denn das, was sich seinen Blicken bot, war seiner Meinung nach nichts anderes als eine üble Räuberhöhle.

Als Räuber benahmen sich auch seine Bewacher, und der Profos der Arwenacks war sich längst darüber im klaren, daß er es nicht mit echten Mönchen, sondern mit hinterhältigem Piratenpack zu tun hatte.

Bei dem langgestreckten Raum, dessen hohe Mauern nur ein wenig Sonnenlicht hereinließen, handelte es sich höchstwahrscheinlich um den ehemaligen Speisesaal jener Mönche, die das Kloster einst erbaut hatten. Überall herrschte Unordnung, außerdem stank es nach Küchenabfällen und Rum. Die Einrichtung bestand aus mehreren langen Tischen und primitiv gefertigten Holzbänken.

Während sich die Schnapphähne auf den Bänken niederließen und lautstark nach etwas „Feuchtem“ verlangten, wurde der Profos zu einer Holztruhe dirigiert, die mehrere Schritte von den Tischen entfernt in einer Ecke stand und ihm als Sitzgelegenheit dienen sollte.

Nachdem sich die Mönche mit etlichen Kruken Wein und Rum versorgt hatten, baute sich Antonio Gonzales vor Carberry auf.

„Ich bin Bruder Antonio“, sagte er höhnisch. „Und wie heißt du, mein lieber Bruder in Christo?“

Carberry verzog das narbige Gesicht zu jenem wilden Grinsen, das Gegner heftig zu erschrecken vermochte.

„Ein zipfelmütziges Gespenst wie dich möchte ich nicht einmal zum Stiefbruder haben“, entgegnete er, „und statt nach meinem Namen zu fragen, solltest du mir lieber erzählen, was das ganze Affentheater hier soll.“

„Das ist rasch erzählt“, sagte Gonzales. „Aber ich möchte trotzdem wissen, wie du heißt.“

„Na schön, mein lieber Stiefbruder“, knurrte Carberry. „Ich bin der kleine Pepito aus Bilbao. Wie mein Nachname lautet, weiß bestenfalls meine Mami, die mich dereinst vor dem Waisenhaus aussetzte, weil sie mit meinen neunzehn Geschwistern schon genug zu tun hatte.“

Gonzales lachte glucksend.

„Eine schöne Geschichte hast du dir da ausgedacht“, sagte er. „Hast du auch eine Erklärung dafür, warum dein Spanisch so merkwürdig klingt?“

„Klar“, antwortete der Profos. „Ich hatte schon bei meiner Geburt einen Sprachfehler.“

Die Schnapphähne, die auf den Holzbänken saßen und ziemliche Mengen Wein und Rum in sich hineinsoffen, hieben sich vor Lachen auf die Schenkel.

Gonzales jedoch wurde wütend.

„Hör zu, Freundchen“, sagte er. „Wir brauchen hier keinen Hofnarren …“

Der Profos unterbrach ihn. „Warum hast du mich dann hierhergebracht?“

Die Augen des Oberschnapphahns verengten sich, sein Gesichtsausdruck wurde tückisch.

„Aus zwei ganz einfachen Gründen“, erwiderte er. „Erstens, weil du als Kapitän einer spanischen Schebecke nicht unbedingt zu den Ärmsten der Armen gehörst. Und zweitens, weil wir dir einen beträchtlichen Teil des schnöden Mammons, den reiche Leute mit sich herumzuschleppen pflegen, abnehmen möchten. Mit anderen Worten: Wenn deine Männer nicht alles, was sich in eurem Schatzkästlein befindet, herausrücken, werden wir dafür sorgen, daß du nie mehr unter deinem Sprachfehler zu leiden brauchst. Tote halten ja bekanntlich den Mund.“

Der Profos begann dröhnend zu lachen.

„Du heiliger Dingsbums!“ rief er. „Wer hat dir denn den Floh ins Ohr gesetzt, ich sei Kapitän, he? Hat dir deine Zipfelmütze den Blick getrübt? Laß dir eins gesagt sein: Ich bin weder Kapitän, noch bin ich reich. Oder hast du schon mal ein reiches Waisenkind gesehen?“

Er dachte sehr wohl an seinen Gürtel, aber darin würden die Kerle nicht allzuviel finden, denn er hatte dem dicken Wirt des Weinkellers schon eine erhebliche Anzahlung für den zu liefernden Wein und Rum geleistet.

Antonio Gonzales wirkte für einen Augenblick irritiert.

„Und wo ist der Kapitän, wenn du es nicht bist?“

„Da, wo er hingehört“, sagte der Profos. „Auf seinem Schiff. Und wenn du glaubst, daß der auch nur einen einzigen Dukaten für mein Seelenheil opfert, dann hast du dich rundherum getäuscht, du quergestreifter Affenarsch. Der schickt dir höchstens noch ein Dankschreiben, weil du ihn von einem lästigen und versoffenen Decksmann befreit hast.“

 

Obwohl sich Gonzales vorgenommen hatte, dem Gefangenen kein Wort zu glauben, wurde er doch stutzig. Was war, wenn der Kerl die Wahrheit sagte? Würden seine Kumpane ihn dann nicht für einen Dummkopf halten und seine Autorität in Frage stellen?

Der Piratenkapitän wurde in seinen Überlegungen unterbrochen.

Einer seiner Männer, der während der Abwesenheit der „São Pedro“ für die Sicherheit des Klosters verantwortlich war, betrat den Raum und ging mit einer Kruke in der Hand auf den Tisch zu. Als er Carberry erblickte, stoppte er abrupt seine Schritte und starrte den Profos an, als sei er ein Fabelwesen.

„Warum glotzt du so dämlich, Alfonso?“ herrschte ihn der verärgerte Gonzales an.

Der Kerl mit der Kruke vermochte seine Augen nicht von Carberry abzuwenden.

„Por Dios!“ stieß er schließlich mit entsetztem Gesicht hervor. „Diesen Burschen hat euch der Teufel geschickt.“

„Was soll dieses Geschwätz?“ fauchte Gonzales. „Man könnte ja gerade meinen, daß du ihn kennst.“

„Und ob ich ihn kenne!“ erwiderte Alfonso. „Bis an mein Lebensende werde ich diesen Dämon nicht vergessen. O Santa Maria! Wenn du mein zernarbtes Hinterteil sehen könntest, Antonio, würdest du mich verstehen …“

„Ich verstehe überhaupt nichts!“ schrie Gonzales. „Drück dich gefälligst etwas deutlicher aus.“

Alfonso hielt mit einer Hand die Kruke fest, mit der anderen deutete er auf Carberry.

„Dieser Kerl da“, verkündete er mit zitternder Stimme, „hat mir bei einem Enterkampf in der Karibik ein Kupferbecken voller glühender Holzkohlen in die Hose geschüttet. Ich hätte wie ein Stück Fleisch gebraten, wenn ich nicht sofort ins Wasser gesprungen wäre …“

Seine „Brüder im Herrn“, die, am Tisch hockend, seinem Bericht atemlos gelauscht hatten, brachen in brüllendes Gelächter aus und hieben mit den Fäusten auf die Tischplatten, daß die Kruken und Becher tanzten.

Antonio Gonzales starrte verblüfft zu dem Profos.

„Stimmt das?“ fragte er.

Carberry zuckte mit den Schultern.

„Kann sein“, erwiderte er. „Ich kann nun mal den leidenden Blick derer nicht ertragen, die mir mit eiskaltem und zusammengekniffenem Achtersteven vor der Nase herumtanzen. Ich pflege die Rübenschweine stets etwas aufzuwärmen – aus reiner Hilfsbereitschaft sozusagen.“

„Das ist aber noch nicht alles!“ rief Alfonso schrill.

„Was hat er sonst noch mit dir angestellt?“ fragte Gonzales.

„Nichts, die glühenden Kohlen haben völlig gereicht. Aber seid ihr euch darüber im klaren, wen ihr euch mit diesem Teufel eingehandelt habt?“ Die Augen Alfonsos funkelten plötzlich triumphierend.

„Sprich, verdammt noch mal!“ Gonzales wurde wütend.

„Ich erwähne nur einen Namen“, sagte Alfonso. „El Lobo del Mar! Dieser Kerl gehört zur Mannschaft des berüchtigten Seewolfs. Ich weiß es sehr genau und werde den Tag nie vergessen, an dem sich mein damaliger Capitán mit den verdammten Engländern anlegte.“

In dem schmuddeligen Piratenkloster herrschte atemlose Stille.

„Bist du dir ganz sicher?“ fragte Antonio Gonzales, der von einer merkwürdigen Erregung gepackt worden war.

„Unbedingt!“ lautete die Antwort. „Ich könnte einen Eid darauf leisten, und wenn du nichts dagegen hast, werde ich diesem Kerl alles heimzahlen. Ich werde ihn so lange über dem Feuer schmoren lassen …“

„Hör auf, du Idiot!“ sagte Gonzales barsch. „Wenn dieser Kerl zur Mannschaft des Seewolfs gehört, dann muß es sich bei der Schebecke, die im Hafen von Lissabon liegt und die spanische Flagge führt, um das Schiff des legendären Seewolfs handeln. El Lobo del Mar in Lissabon – por Dios, ich kann es nicht fassen! Seid ihr euch darüber im klaren, was das bedeutet? Kein englischer Korsar hat die Schiffe des spanischen Königs so gerupft wie der Seewolf. Er gilt als Staatsfeind Nummer eins, und die Krone hat für seine Ergreifung eine ungeheure Belohnung ausgesetzt. Wenn wir die kassieren, wird jeder von uns steinreich. Kapiert ihr das?“

Die Schnapphähne nickten ergriffen. Sie wußten durchaus, welche ungeheuren Reichtümer da auf sie warteten.

„Deshalb auch die merkwürdige Aussprache“, sagte Rodrigo, der „Sensenmann“. „Dieser Bursche ist ein Engländer!“

„Frag ihn doch selber, ob dem so ist!“ rief ein anderer dazwischen.

„Unsinn“, entschied Rodrigo. „Er würde es sowieso abstreiten. Mir genügt, daß Alfonso ihn wiedererkannt hat.“

Gonzales sorgte für Ruhe.

„Amigos“, sagte er dann beinahe feierlich, „auf uns wartet das Geschäft unseres Lebens. Los, sperrt diesen Engländer ins Verlies. Wir werden noch genau besprechen, wie wir El Lobo del Mar und seine Kerle am sichersten ans Messer liefern.“

In dem alten Klostergemäuer herrschte augenblicklich Wuhling, die Piraten redeten aufgeregt durcheinander. Hatten sie zunächst noch geglaubt, mit der Entführung eines reichen spanischen Kapitäns ein saftiges Lösegeld erpressen zu können, so sahen sie sich jetzt einem völlig neuen Sachverhalt gegenüber.

Ihr Gefangener war plötzlich mehr wert, als eine ganze Schiffsladung voller Gold – auch wenn man infolge irgendeines Mißverständnisses nicht den Kapitän der Schebecke, sondern lediglich einen Mann aus seiner Crew erwischt hatte. Auf den Kerl mußte man auf jeden Fall aufpassen wie auf ein rohes Ei.

Edwin Carberry wurde unter scharfer Bewachung durch einen finsteren Gang geführt, von dem aus eine steinerne Wendeltreppe in ein uraltes und modrig riechendes Kellergewölbe hinunterführte.

Als „Bruder“ Manuel die grimmigen Gesichter der Seewölfe sah, wurde ihm mulmig in der Magengegend. Den Burschen schien der Brief, den ihr Kapitän soeben verlesen hatte, ziemlich an die Nieren zu gehen. Dennoch sah es im Augenblick ganz und gar nicht so aus, als würden sie angstschlotternd auf die Lösegeldforderungen eingehen. Ihre Gesichter drückten eher die feste Entschlossenheit aus, ihren Kameraden aufzuspüren und herauszupauken.

O ja, Manuel spürte so ein merkwürdiges Ziehen im Oberbauch und wünschte sich plötzlich meilenweit von dieser Schebecke weg. Er wußte, daß er unter Antonio Gonzales’ Männern nicht der mutigste war, deshalb wurde er auch meist bei den „Nebengeschäften“ und zur Bewachung des Klosters eingesetzt, wenn die „São Pedro“ zu einer Beutefahrt auslief.

Der Kuttenmann blickte sich nervös um. Warum hatte man ihn nicht gleich nach der Übergabe des Briefes von Bord gehen lassen? Und was war, wenn der Kapitän Verdacht schöpfte und ihm nicht glaubte? Womöglich verfiel dieser große schwarzhaarige Mann, dessen Blicke wie Dolchstöße in seinen Körper drangen, noch auf den Gedanken, er habe das Ganze selber inszeniert. War es da nicht besser, er würde schleunigst von diesem Schiff verschwinden?

Manuel wurde immer kribbeliger. Er stand am dichtesten am Schanzkleid, und die Männer scharten sich jetzt um ihren Kapitän. Außerdem war er flink und ein sehr guter Läufer. Wenn er jetzt blitzschnell abenterte, würde er rasch in dem unübersichtlichen Hafengelände untertauchen können.

Der „Mönch“ nahm all seinen Mut zusammen, überzeugte sich mit einem letzten Blick davon, daß im Moment niemand auf ihn achtete und huschte flink auf das Schanzkleid zu, um sich über den Handlauf zu schwingen.

In der Tat hätte ihn keiner der Arwenacks noch einholen können, aber Manuel hatte in seiner Nervosität übersehen, daß es an Bord der Schebecke nicht nur Menschen gab. Das Unheil nahte in Gestalt Plymmies, der Wolfshündin.

Bis jetzt hatte das wachsame Tier neben einer Taurolle auf den Planken gelegen und mit gespitzten Ohren zu den Männern geäugt. Jetzt aber stieß die Hündin ein gefährliches Knurren aus, fletschte die Zähne und schoß wie ein grauer Schatten über das Deck.

Bevor Manuel auch noch das zweite Bein über das Schanzkleid schwingen konnte, schnappte Plymmie zu und biß sich in der schwarzen Kutte des Piraten fest.

Den Rest erledigten die Arwenacks.

„Laß ihn los, Plymmie“, befahl der Seewolf.

Während das Tier gehorchte, packte er selber den vor Angst schlotternden Mann und zog ihn auf die Decksplanken zurück.