Seewölfe Paket 30

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5.

Der Himmel war blau und wolkenlos, und die Sonne hatte ihren höchsten Stand bereits überschritten. Die wohlige Wärme des frühen Nachmittags breitete sich über den flachen Dächern der kleinen Ansiedlungen aus, die sich nördlich von Lissabon an das Ufer des Rio Tejo schmiegten.

Die zweimastige Karavelle mit dem frommen Namen „São Pedro“ hatte, vom Atlantik heraussegelnd, die prächtige Stadt auf den hügeligen Ausläufern des Plateaus von Estremadura bereits hinter sich gelassen und glitt durch das Mar da Palha – die seeartige Erweiterung des Flusses, die sich fast bis nach Alverca hinzog.

Die „São Pedro“ bot nach außen hin einen friedlichen Anblick – so friedlich, als habe der heilige Petrus höchstpersönlich das Kommando an Bord übernommen.

Die Männer, die die Arbeit an Deck verrichteten, steckten in schwarzen Mönchskutten und hoben zuweilen segnend die Hände, wenn sie einem Fischerboot begegneten. Die Portugiesen schlugen stets in frommer Dankbarkeit das Kreuzzeichen, weil sie sich durch den Segen in ihren Hoffnungen auf einen guten Fang bestärkt fühlten.

Für sie waren die Mönche, deren Kloster sich irgendwo flußaufwärts befand, längst keine fremden Erscheinungen mehr. Doch niemand von ihnen ahnte, daß es sich bei den vermeintlichen Gottesmännern um Wölfe im Schafspelz handelte – um Schnapphähne, Piraten und Verbrecher der übelsten Sorte, denen die Kutte lediglich zur Tarnung diente.

Der „Frömmste“ von ihnen war „Bruder Antonio“. Richtig hieß er Antonio Gonzales und war Spanier. Er spielte die Rolle des Abtes und gab stets den Ton an, wenn man, mehr schlecht als recht, einen Choral anstimmte. Das beeindruckte und ließ zuweilen auch ganz beträchtlich die Kasse bei den vielen Nebengeschäften klingeln, die die Mönche betrieben.

Bruder Antonio hatte gerade einem vorbeisegelnden Boot seinen wohlwollenden Segen erteilt. Sein Gesicht verzog sich danach rasch wieder zu einem infamen Grinsen.

„Warum verschenken wir eigentlich unsere geistigen Gaben?“ fragte er den kleinen, stämmigen Miguel Fernandez, der neben ihm auf dem Achterdeck stand. „Wir hätten längst einen Preis für unseren Segen festsetzen sollen.“

Fernandez, dessen kantiges Gesicht auch unter einer Mönchskapuze noch brutal und verschlagen wirkte, warf dem Kapitän einen skeptischen Blick zu.

„Wie meinst du das?“

„So, wie ich es gesagt habe“, erwiderte Bruder Antonio. „Merkst du nicht, wie scharf der einfältige Pöbel auf unseren Segen ist? Und was tun wir? Wir erteilen ihn umsonst, nur weil der ganze Zauber für unsere Tarnung nützlich ist. Wenn wir aber das Gerücht in Umlauf setzen, daß wir für eine Spende, die aus gläubigem Herzen gegeben wird, ganz besonders wirksame Segnungen vermitteln können, die Glück in der Liebe, Gesundheit und vor allem einen reichen Fischfang versprechen, dann werden die Münzen und Goldstücke wie Musik in unseren Beuteln klingeln.“

„Ah, ich verstehe.“ Der kleine Fernandez, dem die Kutte ein Stück zu lang war, grinste so breit, daß seine gelben Zähne an das Gebiß eines Kamels erinnerten. „Du meinst, wir könnten unsere ‚geistigen Gaben‘ genauso verkaufen wie unser Lebenselixier.“

„Endlich hast du’s kapiert, Miguel“, sagte Antonio Gonzales. „Und du mußt zugeben, daß wir mit der scheußlichen Kräuterbrühe ganz gut abkassieren, auch wenn es nur ein Nebengeschäft ist.“

„Da hast du schon recht“, bestätigte Fernandez und lachte glucksend. „Die Leute saufen die Brühe, als wär’s feinster Rioja, und unsereiner würde nicht mal die Füße drin baden.“

Bruder Antonio nickte stolz. „So ist es, und warum sollten sie nicht ebenso scharf auf unseren besonderen Segen sein? Der hat im Vergleich zu unserem Elixier weder einen widerlichen Geschmack, noch stinkt er nach Knoblauch. Ich finde, wir sollten uns das ernsthaft überlegen.“

„Klar“, entgegnete Fernandez. „Ein gutes Geschäft ist allemal willkommen. Am besten, wir überlassen es Rodrigo, auf den Marktplätzen einige zündende Reden über die Wirksamkeit unserer ‚heiligen Dienste‘ vom Stapel zu lassen. Der Bursche hat was los, und die Leute lauschen wie gebannt, wenn er seine frommen Sprüche losläßt.“

Antonio Gonzales nickte zustimmend und bedachte den erwähnten Rodrigo, der gerade die Kuhl überquerte, mit einem kurzen Blick. Der Mann war groß und ausgesprochen dürr, deshalb wurde er meist nur „Sensenmann“ genannt. Er verstand es wie kein anderer, die Zuhörer zu fesseln. Rodrigo Sanchez konnte nahezu alles verkaufen, weil er stets die richtigen Worte fand.

O ja, Bruder Antonio war stolz auf seine Mannen. Dabei war es gerade der bunt zusammengewürfelte Haufen, der – wenn man einmal von den Mönchskutten absah – die „São Pedro“ als das kennzeichnete, was sie tatsächlich war: ein Piratenschiff.

Seit mehr als zwei Jahren verließen die Schnapphähne immer wieder auf der Karavelle ihren Schlupfwinkel, um Beute zu schlagen. Seit dieser Zeit war Gonzales der Kapitän des Schiffes.

Früher war es im Besitz eines französischen Kaufmanns gewesen, der als Geizkragen verschrien war. Deshalb hatte Gonzales, der die meuternde Mannschaft hinter sich wußte, ihm bei passender Gelegenheit ein Messer in den Rücken gestoßen.

Erst eine Weile danach war ihm – getreu dem alten Seeräubermotto „Tarnen und Täuschen“ – die Idee eingefallen, ein „Kloster“ zu gründen und mitsamt seinen Kumpanen unter den Deckmantel der Mönchskutte zu schlüpfen.

Antonio Gonzales prüfte mit einem raschen Blick den Stand der Sonne, dann wandte er sich abermals dem kleinen und stämmigen Fernandez zu.

„Vielleicht solltest du dich darum kümmern, daß unsere Hühnerschar in der Vorpiek was zwischen die Zähne kriegt, Miguel.“

Fernandez legte die Stirn in Falten.

„Jetzt schon?“ fragte er. „Willst du unseren gesamten Proviant an die Weiber verfüttern?“

„Das nicht unbedingt“, erwiderte Gonzales grinsend. „Aber wenn wir uns nicht selbst das Geschäft verderben wollen, müssen wir darauf achten, daß die hübschen Täubchen nicht vom Fleisch fallen. Du weißt, daß Abdullah nicht nur nach Aussehen, sondern auch nach dem Gewicht der Ware zahlt. Die Barbaresken lieben nun mal üppige Weiber, daran können wir nichts ändern.“

Über Fernandez’ Gesicht huschte ein spöttischer Zug.

„Klar, du hast recht“, sagte er. „So gesehen, sollten wir die Vögelchen sogar noch ein wenig mästen, damit sie was auf die Waage bringen.“

Die beiden Schnapphähne sprachen von den dreizehn jungen Mädchen, die sie in die Vorpiek gesperrt hatten. Sie alle waren bei dem heimtückischen Überfall auf das an der Atlantikküste gelegene Fischerdorf Santa Maria erbeutet worden.

Zu ihnen gehörte Margarida, die sie zusammen mit dem jungen Burschen namens Felipe am nächtlichen Strand überrascht hatten.

Mädchenhandel – das war der Hauptgeschäftszweig der falschen Mönche. In Gegenden, in denen man sie nicht kannte, überfielen sie entlegene Fischerdörfer, plünderten sie aus und entführten Mädchen und junge Frauen, um sie dann an die Barbaresken zu verkaufen. Vor allem Abdullah, der Algerier, zahlte gute Preise für junge und frische Ware, die er seinerseits an der nordafrikanischen Küste weiterverkaufte.

„Sag dem Koch, er soll die fettesten Sardinen zubereiten“, fuhr Antonio Gonzales fort. „Das mag fürs erste reichen. Wenn wir in unserem Unterschlupf sind, kriegen die Weiber nur noch Himmelsspeck. Das Zeug schmeckt gut und sorgt für runde Hüften.“

„Himmelsspeck“ nannte man beliebte Zuckerbäckereien aus Mandeln, Feigen, Honig, Zucker, Eiern und Gewürzen. Sie schmeckten in der Tat himmlisch und sorgten, wenn man sie reichlich genoß, für die erwünschte Gewichtszunahme.

„Ich sage Ricardo Bescheid“, entgegnete Fernandez. „Abdullah wird seine Freude an den gemästeten Täubchen haben. Was aber hast du mit dem jungen Burschen vor? Hätten wir ihn nicht besser gleich über Bord werfen sollen?“

Gonzales winkte ab.

„Er ist uns mehr oder weniger durch Zufall ins Netz gegangen. Wenn wir ihn schon durchfüttern, dann soll er auch was dafür tun. Er kann beispielsweise die Dreckarbeiten übernehmen und außerdem Rodrigo bei der Herstellung des Lebenselixiers helfen. Falls wir ihn nicht mehr brauchen, können wir ihn immer noch beseitigen oder an Abdullah verkaufen. Der Bursche scheint gesund und kräftig zu sein und dürfte auf einem afrikanischen Sklavenmarkt rasch einen Käufer finden.“

Damit war auch Felipes Schicksal vorerst besiegelt.

Um die fernere Zukunft dachte der junge Fischer aus Santa Maria jedoch nicht nach, dazu war er viel zu sehr mit der Gegenwart beschäftigt.

Nach dem nächtlichen Überfall auf sein Heimatdorf hatte man die verschleppten Mädchen zu Margarida in die Vorpiek gesperrt, er aber war in die Segellast umquartiert worden. Der Raum war klein und eng, die stickige, abgestandene Luft erschwerte das Atmen.

Felipe hockte auf einem wirren Haufen von Tauwerk und Tuch. Da es in der Kammer stockfinster war, mußte er sich ganz auf seinen Tastsinn verlassen. Die Fesseln waren ihm zwar abgenommen worden, aber das war kaum von Nutzen für ihn. Irgendwelche Werkzeuge gab es nicht.

Die Piraten hatten die Holzkiste mit den entsprechenden Utensilien wohlweislich herausgeholt, bevor sie ihn in den muffigen Raum gestoßen hatten. Es war unmöglich, das Schott von innen zu öffnen, dafür sorgte der schwere Eisenriegel, den man draußen vorgeschoben hatte.

Zunächst hatten Felipes Gedanken ausschließlich Margarida und den anderen Mädchen gegolten. Sie hatten laut geweint, als sie von den Schnapphähnen mit Zoten und höhnischen Bemerkungen in die Vorpiek getrieben worden waren.

Seine lauten Verwünschungen und Fausthiebe gegen das dicke Holz des Schotts waren von den Teufelsmönchen nicht zur Kenntnis genommen worden. Ohnmächtig vor Wut und Hilflosigkeit hatte er sich schließlich auf das ertastete Tauwerk sinken lassen und dumpf vor sich hin gebrütet.

 

Welche Pläne hegten diese Verbrecher? Der junge Fischer wurde halb wahnsinnig bei dem Gedanken, daß die Kerle Margarida irgend etwas zuleide tun könnten.

Und was war mit den übrigen Bewohnern von Santa Maria geschehen? Sicherlich hatte es bei dem heimtückischen Überfall Tote und Verwundete gegeben. Was war aus seiner Familie geworden – aus seinen Eltern und Geschwistern? Und wohin segelte die Piratenkaravelle?

Felipe hielt es nicht mehr aus auf dem Tauwerk. Er erhob sich und begann erneut, sich durch den dunklen Raum zu tasten. Er klopfte die Wände ab und wühlte in den offenbar recht unordentlich aufgeschichteten Tauen und in einem Stapel von Segeltuch, aber da gab es nichts, was ihm als Waffe hätte dienen können – nicht einmal einen Belegnagel oder eine Holzlatte.

Schließlich ließ er ein dünnes Stück Tau durch die Hände gleiten. Es war geschmeidiger und beweglicher als die vielen dicken Seile. Er legte es griffbereit neben sich, als er sich wieder auf seinem alten Sitzplatz niederließ.

Das nervtötende Warten und Grübeln begann aufs neue. Die Luft in Felipes Gefängnis wurde immer stickiger, ein heftiges Knurren seines Magens erinnerte ihn daran, daß er seit vielen Stunden nichts mehr gegessen hatte.

Nicht einmal einen Schluck Wasser hatte man ihm bis jetzt zu trinken gegeben. Er dachte wieder an Margarida und die anderen. Was taten sie? Hatte man wenigstens sie mit Essen und Trinken versorgt?

Die Zeit verging, die Stunden schienen nicht enden zu wollen. Außer dem Rauschen und Plätschern des Wassers, das von den Bordwänden verdrängt wurde, war nur das Ächzen und Knirschen des Gebälks zu hören.

Felipe mußte lange warten, bis ein anderes Geräusch seine Gedankengänge jäh unterbrach.

Zunächst drang ein dumpfer Laut durch das Schott, dann rutschte der eiserne Riegel quietschend aus der Halterung.

Felipe stand blitzschnell auf, das dünne Taustück, das er sich zurechtgelegt hatte, hielt er hinter seinem Rücken versteckt. Er hatte lange genug nachgedacht, jetzt war er fest entschlossen, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit etwas zu unternehmen.

Wenn er eine Waffe hatte und womöglich eine Kutte, dann würde es ihm vielleicht gelingen, sich bis zum Kapitän durchzuschlagen. Mit dem Oberschnapphahn als Geisel würde er die Kerle zwingen, nach Santa Maria zurückzusegeln und ihn und die Mädchen freizulassen.

Natürlich war er sich darüber im klaren, daß seine Chancen nur sehr gering waren, aber er würde es versuchen – allein schon Margarida zuliebe.

Das Schott schwang auf und eine dunkle Mönchsgestalt erschien in der Öffnung. Das spärliche Licht einer Tranlampe, die irgendwo draußen im Gang brannte, ließ Felipe erkennen, daß der Besucher in der einen Hand einen Tonkrug hielt, in der anderen eine Steinschloßpistole.

„Wo steckst du, Freundchen?“ rief der Pirat spöttisch. „Es ist Zeit zum Backen und Banken. Komm her und hol dir dein Festmahl ab. Bruder Antonio hat dir ’nen ganzen Krug Wasser spendiert.“ Es folgte ein höhnisches Lachen. „Die fetten Sardinen sind nämlich den Weibern vorbehalten“, fuhr er fort, „damit sie schön rund und drall werden.“

Felipe verharrte still in der dunklen Segellast, eine Antwort gab er nicht. Das aber erschien dem Kuttenmann, der wohl mit einigen wilden Flüchen gerechnet hatte, merkwürdig. Er beschloß, doch lieber den Hahn der Pistole zu spannen.

Aber das schaffte er nicht mehr.

Das dünne Tau, das Felipe abwartend hinter dem Rücken verborgen hatte, flog blitzschnell durch die Luft und schlang sich um den Nacken des Mannes. Im selben Augenblick fühlte sich dieser wie von einer unsichtbaren Kraft nach vorn gerissen – direkt in die Segellast hinein.

Aus seinem Mund drang ein Ächzen, dann stürzte der Schnapphahn der Länge nach auf die Planken. Die Pistole entglitt seiner Hand, und der Tonkrug zerbarst mit lautem Splittern. Während sich die Scherben über die kleine Kammer verteilten, floß das Wasser über den Boden.

Felipe stürzte sich sofort auf den Piraten und schlug mit den Fäusten zu. Noch bevor der Bursche an Gegenwehr denken konnte, wurde es bereits schwarz vor seinen Augen.

Der junge Fischer triumphierte. Die Pistole! zuckte es ihm durch den Kopf. Ich muß sofort die Pistole finden, bevor ich mir seine Kutte ausleihe. Noch auf den Knien tastete er sich über die Planken, das schwache Licht, das vom Gang hereindrang, bot ihm keine große Unterstützung.

Felipe entdeckte die Pistole neben einer Taurolle. Doch bevor er danach greifen konnte, fühlte er sich plötzlich von hinten gepackt und hochgerissen. Fast gleichzeitig bohrte sich ihm der Lauf einer Waffe in den Rücken.

„Sieh an, unser liebestoller Sardinenfischer ist in seiner gemütlichen Kammer wohl ein bißchen wild geworden“, sagte eine Stimme hinter ihm. Sie gehörte Miguel Fernandez, der rechten Hand des Kapitäns.

Der spindeldürre Kerl, der neben ihm stand, schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht zu einem schadenfrohen Grinsen.

„Sag ich’s doch immer“, tönte er. „Müßiggang ist aller Laster Anfang. Es wird Zeit, daß unser junger Freund bald was vernünftiges zu tun kriegt. Vorerst aber werden wir wohl nicht umhin können, ihm die Wildheit ein wenig auszutreiben, meinst du nicht auch, Miguel?“

„Du hast völlig recht, mein lieber Bruder im Herrn“, erwiderte der kleine, stämmige Fernandez. „Schließlich dürfen wir sein Seelenheil nicht aus den Augen verlieren.“

Felipe ballte in ohnmächtiger Wut die Hände zu Fäusten. „Der Teufel soll euch holen!“

Die Schnapphähne lachten nur.

„Hört, hört, welch ein unchristlicher Wunsch“, spottete Rodrigo, der „Sensenmann“. „Vielleicht solltest du doch den Zeigefinger krümmen, Miguel. Dann weiß unser junger Freund gleich, wie das ist, wenn man vom Teufel geholt wird.“

„Ja, man sollte es wirklich tun“, sagte Fernandez. „Aber du kennst ja mein weiches, mitfühlendes Herz. Ich bin dafür, daß wir dieses Mal noch Barmherzigkeit walten lassen.“

„Hähä!“ lachte der Dürre. „Na, los denn – lassen wir sie walten!“

Felipe wurde herumgerissen, und noch bevor er sich zur Wehr setzen konnte, krachte der erste Hieb gegen sein Kinn. Er begann zu torkeln, blieb aber auf den Beinen.

„Das zahle ich euch heim!“ versprach er keuchend.

Aber die Piraten ließen ihm keine Chance. Ihre Fausthiebe prasselten wie eine Sturmflut auf ihn ein. Von einem Schwinger in die Magengrube getroffen, wurde er zurückgeschleudert, stolperte dabei über den noch immer besinnungslos auf den Planken liegenden Kuttenmann, und stürzte rücklings auf den Haufen von Tauen, der ihm vor kurzem noch als Sitzgelegenheit gedient hatte.

Sein Hinterkopf prallte dabei gegen die Holzwand der Segellast. Er sah zuckende Blitze vor seinen Augen, die sich im Kreis zu drehen begannen, dann glaubte er in ein finsteres, endlos tiefes Loch zu stürzen.

Fernandez und der „Sensenmann“ schleiften ihren Komplicen aus der Kammer, schlugen das Schott zu und schoben den Eisenriegel wieder vor. Doch das kriegte Felipe nicht mehr mit.

Das erste, was er nach langer Zeit totaler Dunkelheit wahrnahm, war das Poltern des Ankerspills. Es dauerte jedoch eine Weile, bis sein vollständiges Erinnerungsvermögen zurückgekehrt war. Mühsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete er sich auf. Hinter seinen Schläfen begann es zu hämmern und zu dröhnen, und als er sein Gesicht betastete, fühlte er an seinen Fingern klebrige Feuchtigkeit.

Felipe ärgerte sich über sich selber. Warum nur war er davon ausgegangen, daß der Kerl mit dem Tonkrug allein erschienen war? Wenn er gewußt hätte, daß sich zwei seiner Komplicen auf dem Gang aufhielten, hätte er sich einiges ersparen können.

Doch zum Nachdenken blieb ihm diesmal nicht viel Zeit.

Allem Anschein nach war die Karavelle vor Anker gegangen. Bald hörte er laute Stimmen vor dem Schott, gleich darauf wurde wiederum der Riegel zurückgeschoben.

Diesmal waren es mehrere Kapuzenmänner, die vor dem offenen Schott standen. Sie waren mit Messern und Pistolen bewaffnet, einer von ihnen hielt eine Tranlampe in der Hand, deren Licht die Segellast erhellte.

„Oh, unser feuriger Liebhaber hat ja schon ausgeschlafen“, sagte Miguel Fernandez. „Wie es scheint, benimmt er sich diesmal ganz manierlich.“

Felipe konnte nicht verhindern, daß ihm die Hände auf den Rücken gebunden wurden. Danach wurde er jedoch nicht wieder in die Segellast gesperrt, sondern unter Bewachung die Niedergänge hinaufgestoßen. Das grelle Licht der Sonne stach ihm schmerzhaft in die Augen, als er das Deck der „São Pedro“ betrat.

Dort herrschte allgemeine Aufbruchsstimmung. Die Piraten waren offensichtlich in ihrem Schlupfwinkel eingetroffen und schickten sich an, die Karavelle zu verlassen.

Felipe warf einen raschen Blick in seine nähere Umgebung. Das Schiff lag in einer kleinen, etwas versteckt gelegenen Bucht, die mehr einem Seitenarm des Rio Tejo glich, vor Anker. Ja, der Fluß war ihm nicht unbekannt, er hatte ihn zusammen mit anderen Fischern seines Dorfes bereits bis weit nach Norden hoch befahren.

Das nahe Ufer der Bucht bestand aus Sand und Geröll und wurde stellenweise von schroffen Felsen gesäumt. Die dahinter beginnende, leicht ansteigende Böschung war von üppigem Strauchwerk bewachsen, das fast übergangslos in einen niedrigen Buschwald mündete.

Was dem jungen Fischer aus Santa Maria jedoch hauptsächlich ins Auge fiel, war das alte, verwitterte Gemäuer, das höchstens zweihundert Schritte vom Ufer entfernt lag und in den dichten Buschwald eingebettet war. Zwei kleine Türmchen und einige halbzerfallene Mauerreste deuteten darauf hin, daß es sich um die uralte Ruine eines kleinen Klosters handelte.

Wenn das der Schlupfwinkel dieser falschen Mönche war, dachte Felipe, dann hatten sie sich in der Tat ein hervorragendes Versteck ausgesucht. Durch die schwarzen Kutten hatten sie ihr Äußeres dem „Kloster“ angepaßt und konnten unbehelligt – womöglich noch von den Bewohnern der Gegend als fromme Männer geehrt und geachtet – ihr Unwesen treiben.

Wie er jetzt aus eigener Erfahrung wußte, verlegte dieses Gesindel seine Beutezüge in entferntere Gegenden und hauste sonst hier am Rio Tejo in meisterhafter Tarnung.

Felipe wurde aus seinen Gedankengängen gerissen. Ein Stoß gegen den Rücken dirigierte ihn zum Backbordschanzkleid.

„Nur nicht einschlafen“, herrschte ihn Fernandez an. „Die hübsche Gegend kannst du noch lange genug genießen. Aber vergiß nicht, Freundchen: Wenn du hoch einmal versuchen solltest, uns Ärger zu bereiten, dann fackeln wir nicht lange. Es gibt dort drüben genug Bäume mit kräftigen Ästen, an denen man einen Kerl wie dich zappeln lassen kann. Auch am nötigen Tauwerk fehlt es uns nicht.“

Die Schnapphähne hatten bereits zwei Boote abgefiert und bemannt. Felipe wurde gleich im ersten Fahrzeug in Empfang genommen und mußte auf der mittleren Ducht Platz nehmen. Während Margarida und die anderen Mädchen an Deck gebracht wurden, stießen die Piraten das Boot bereits von der Bordwand ab.

Felipe fühlte Wut und Enttäuschung in sich aufsteigen, denn er hatte gehofft, wenigstens auf einem der Boote mit Margarida zusammenzutreffen. Er hätte ihr so etwas Mut zusprechen können. Aber genau das wollten diese Teufelsmönche offenbar vermeiden.

Fernandez, der sich auf der achteren Ducht niedergelassen hatte, schien Felipes Gedanken zu erraten.

„Aus einer gemeinsamen Spazierfahrt mit deiner hübschen Gespielin wird leider nichts“, sagte er mit beißendem Spott. „Aber du kannst beruhigt sein, wir werden sie rührend betreuen.“

„Sogar mit Himmelsspeck werden wir sie füttern, damit sie noch hübscher wird!“ rief ein anderer.

Das Boot wurde rasch zum nahen Ufer gepullt. Das zweite, in dem man einige der Mädchen untergebracht hatte, folgte sofort.

Margarida war dabei. Ihr langes, schwarzes Haar und ihre ranke Gestalt war für Felipe unübersehbar. Als er sich auf dem Weg zu dem alten Gemäuer noch einmal umdrehte, überfiel ihn erneut das zermürbende Gefühl der Hilflosigkeit.

Temperamentvoll wie Margarida war, versuchte sie, sich von ihren Bewachern loszureißen. Sie war in Freiheit aufgewachsen und wollte sich nicht ein ungewisses Schicksal aufzwingen lassen.

Aber sie hatte nicht die geringste Chance. Einer der falschen Mönche zerrte sie brutal hinter sich her, ein anderer hatte – um sie und die anderen einzuschüchtern – einen Dolch gezückt.

 

Felipe biß die Zähne zusammen, zumal er keine Möglichkeit sah, ihr zu helfen. Im Augenblick blieb ihm nur die Hoffnung, bald eine Gelegenheit zur Flucht zu finden, damit er Hilfe herbeiholen konnte. Das war zwar nur eine vage Hoffnung, aber der junge Fischer klammerte sich daran wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm.