Seewölfe Paket 30

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Hasard schluckte trocken, als Old O’Flynn in die Sänfte hineinkomplimentiert wurde.

Der Seewolf selbst mußte laufen, für ihn stand keine Sänfte bereit.

Aber schließlich war er auch nicht der Sohn des Herzogs von Alba.

„Das darf nicht wahr sein“, sagte der Profos Edwin Carberry ungläubig und leise. „Das darf wirklich nicht wahr sein. Jetzt wird das alte Zauselchen auch noch getragen. Lacht bloß nicht, ihr lausigen Kanalratten“, fügte er grimmig hinzu. „Das ist eine verdammt bierernste Angelegenheit.“

Der Alte gönnte dem „Pöbel vorm Mast“ natürlich keinen einzigen Blick.

Er stieg auf einen Hocker, den zwei Kerle eifrig zurechtrückten, warf noch einen Blick zum Achterkastell der Kriegsgaleone und nahm dann mit einem leisen Seufzen in den Pfühlen der Sänfte Platz.

Hasard, mit einem Gesicht wie aus Stein gehauen, ging neben der Sänfte her. Idiotisch ist das, dachte er immer wieder, einfach verrückt. Das gibt es doch gar nicht in Wirklichkeit.

Die Sanfte wurde von vier Männern vorsichtig angehoben. Die vier Kerle marschierten ab zur Stelling der „El Lucifero“, wo überall Posten und Wachen standen.

Der Seewolf wurde ziemlich von oben herab und nachlässig behandelt. Bei Old O’Flynn dagegen war das anders. Er genoß schon jetzt gewisse Privilegien, obwohl kein Mensch wußte, wer er überhaupt war.

An der Stelling grüßten sie, aber wiederum nur den Alten, der das mit grantigem Gesicht oder meist gar nicht zur Kenntnis nahm. Er schien die Leute überhaupt nicht zu sehen, die ihn umstanden.

Die Kerle mühten sich mit der sperrigen Sänfte redlich ab, konnten aber nicht verhindern, daß sie hin und wieder in der Enge leicht aneckten. Jedesmal war dann ein unwilliges Grunzen aus der Sänfte zu vernehmen.

Hasard ging mit steinernem Gesicht weiter. Immer wenn er in die Sänfte blickte, sah er den vorgereckten Hals Old Donegals mit der weißen Halskrause. Der Alte schien alles schlechtgelaunt zu mustern, und er scheute sich auch keinesfalls, die Sänftenträger anzupfeifen, wenn sie mal stehenblieben oder irgendwo aneckten.

Sein Spanisch ist jedenfalls perfekt, dachte Hasard. Aber was bezweckte Old Donegal nur mit seinem merkwürdigen Aufzug?

Die Sänfte wurde im Achterdeck vor einem verzierten Schott abgesetzt.

„Bitte, geduldigen Sie sich einen Augenblick“, sagte der schnaufende Teniente. „Der Generalkapitän wird Sie sofort empfangen.“

„Was heißt hier, sofort empfangen?“ wetterte Old O’Flynn erbost. „Ich bin nicht gewohnt, daß mich ein Generalkapitän warten läßt. Schließlich will er mich sehen, nicht umgekehrt. Er weiß wohl immer noch nicht, wen er vor sich hat!“

Es wurde dezent geklopft, dann öffnete Don Miguel de Salamanca persönlich das Schott. Mit einer einladenden Handbewegung wies er in eine luxuriös eingerichtete riesige Kammer mit getäfelten Wänden und dicken Teppichen auf dem Boden.

Zwei Wachen blieben am Schott zurück. Der Teniente, wohl eine Vertrauensperson des Generalkapitäns, nahm innen am Schott Aufstellung und stand verlegen herum.

„Hinaus, hinaus!“ sagte Old O’Flynn hitzig. „Ich liebe es nicht, wenn einfache Stallburschen die Gespräche Adliger mit anhören. Also, verschwinden Sie gefälligst.“

Sehr beeindruckt zog sich der Teniente mit einer leichten Verbeugung zurück. Er war hochrot im Gesicht und seine Narbe schien zu glühen.

Don Miguel de Salamanca nahm hinter einem riesigen Tisch Platz, der mit Intarsien reich versehen war.

Er saß noch nicht richtig, als ihn Old O’Flynn schon respektlos anfuhr: „Wollen Sie einen de Toledo etwa der Lächerlichkeit preisgeben, indem Sie ihm einen angemessenen Sitzplatz verweigern, Señor Generalkapitän, oder wer auch immer Sie sein mögen?“

Don Miguel war verblüfft, ein wenig beschämt und auch etwas indigniert, als er sich wieder erhob.

„Einen de Toledo?“ fragte er leise.

„Wen denn sonst?“ schnappte der Alte grantig. „Oder ist Ihnen etwa Don Fernando Alvarez de Toledo kein Begriff?“

„Der – der Herzog von Alba?“ fragte Don Miguel fassungslos. „Aber Don Alonso Alvarez starb doch vor …“

„Mein Vater starb von sechzehn Jahren im Dezember in Lissabon. Gott habe ihn selig.“ Old Donegal bekreuzigte sich und blickte ernst drein.

„Dann – dann sind Sie – äh …“

Der Generalkapitän starrte Old O’Flynn mit offenem Mund an. Er wagte kaum noch, Luft zu holen.

„Natürlich. Mein seliger Vater hieß auch nicht Alonso Alvarez, sondern Fernando Alvarez, wenn Sie das gütigst zur Kenntnis nehmen wollen. Und nehmen Sie auch bitte weiterhin zur Kenntnis, daß ich mich innerhalb weniger Tage in Madrid einzufinden habe. Wo das ist, werden Sie sich vermutlich denken können.“

Old Donegal trat so selbstsicher und eindrucksvoll auf, daß Don Miguel an den Angaben nicht die geringsten Zweifel hegte. Er verneigte sich tief vor dem Alten.

Daß ihn Old Donegal auf den Arm nahm, wäre ihm nie eingefallen. Dazu sah Old Donegal viel zu distinguiert aus.

„Am – am Hof Seiner Allerkatholischsten Majestät?“ erkundigte er sich ehrfürchtig.

„Ja, und zwar reise ich in einer geheimen Mission, über die nichts verlautbar werden darf.“

Inzwischen saß sowohl Old O’Flynn als auch Hasard. Doch dem Seewolf schenkte der Generalkapitän nur einen flüchtigen Blick. Die Hauptrolle spielte Old Donegal Daniel O’Flynn. Und er spielte sie wirklich hervorragend.

„Dann tut es mir aufrichtig leid, daß wir Sie aufgebracht haben“, sagte Don Miguel entschuldigend. „Es befand sich allerdings ein Staatsfeind an Bord des Schiffes und …“

„Das verstehe ich ja“, sagte Old Donegal ungeduldig. Er zupfte ein wenig an seiner weißen Halskrause herum und sah Don Miguel durchdringend an. „Ich muß meinem Erstaunen aber bedauerlicherweise lebhaft Ausdruck geben“, sagte er gallig. „Pflegen Sie Ihren hochgestellten Gästen nie einen Schluck anzubieten, Don – äh – Don …“

„Miguel de Salamanca“, sagte der Spanier hastig. Er lief jetzt noch roter an als der Teniente. „Verzeihen Sie bitte, aber ich hatte nur selten eine derart höhergestellte Persönlichkeit an Bord meines Flaggschiffes. Es hat mich etwas überrascht. Ich werde das Versäumte natürlich gleich nachholen.“

„Gut, gut, mein Bester, ich hörte, Sie wollten mich sprechen. Würden Sie mir den Grund mitteilen?“

Der Generalkapitän wand sich. Die Frage war ihm offenbar ziemlich peinlich.

„Mein Erster Offizier, Don Pedro, wies mich auf Sie hin. Er war der Meinung, Sie seien ein Schwager Medina-Sidonias. Ich kenne ein paar Edle dieser Linie persönlich, und da dachte ich …“

„Verstehe“, sagte Donegal lächelnd. „Sozusagen ein kleiner Plausch unter Freunden, nicht wahr?“

„So ist es, Don Alonso. Ich darf Sie doch so anreden?“

„Aber selbstverständlich.“

Eine Ordonnanz war inzwischen erschienen und hatte funkelnde Gläser gebracht. Auf einem silbernen Tablett stand eine Flasche erlesener Wein, die Don Miguel persönlich in die Hand nahm.

Dabei warf der Generalkapitän einen fragenden Blick auf Hasard und Dan O’Flynn. Seiner Ansicht nach paßte der einfache Kapitän nicht ganz in die erlauchte Runde.

„Er hat wahrhaftig einen guten Schluck verdient“, sagte Donegal großzügig. „Ich kann diesen Kapitän nur loben, er ist ein recht brauchbarer Mensch, ein tüchtiger Mann.“

Der „recht brauchbare Mensch“ verschluckte sich fast, als die beiden sich zuprosteten. Hasard mußte tief Luft holen.

Na warte, du alter Halunke, dachte er. Darüber werden wir noch einmal miteinander reden.

„Darf man erfahren, was Sie jetzt vorhaben, Don Alonso?“ erkundigte sich der Generalkapitän freundlich. „Ich möchte einen Sohn des überaus ehrenwerten Herzogs von Alba nicht länger aufhalten. Ihr ehrenwerter Señor Vater war Oberbefehlshaber der Heere Kaiser Karls. Ich habe ihn immer sehr bewundert.“

„Sehr richtig. Er war auch im Schmalkaldischen Krieg dabei und wurde später Generalkapitän in den Niederlanden. Er hat der Inquisition zur vollen Blüte verholfen“, sagte Old Donegal stolz. „Noch zwei Jahre vor seinem Tod hat er unser Heer siegreich gegen Portugal geführt.“

Hasard wunderte sich nur, woher Old Donegal das alles wußte. Vielleicht hatte er sich mit dem Kutscher beraten.

Eine ganze Weile wurde über Herzog Alba geredet. Die beiden Kerle schienen in Erinnerungen zu schwelgen. Nur manchmal trug Donegal so dick auf, daß es Hasard grauste. Aber für seine Sprüche und Übertreibungen war der Alte ja hinlänglich bekannt.

Er soff Don Miguel auch ganz ungeniert den Wein weg, den er über alle Maßen lobte. Don Miguel entschloß sich zu einer spontanen Geste.

„Ich werde Ihnen ein Arrangement einiger köstlicher Weinsorten an Bord Ihres Schiffes bringen lassen, wenn Sie gestatten, Don Alonso.“

Don Alonso war so großmütig, das Geschenk anzunehmen, was den Generalkapitän sichtlich erfreute.

„Auch ich weiß einen guten Tropfen zu schätzen, Don Miguel“, sagte er, „und das hier ist ein wirklich erlesener Wein. Ich nehme ein paar Kisten daher dankend an.“

„Da ist noch etwas“, sagte Old Donegal, als ein paar Augenblicke Ruhe herrschte. „Ich nehme ja nicht an, daß Sie Capitán Senona einem Verhör unterziehen wollen, wie es offenbar beabsichtigt war. Ich kann mich guten Gewissens für ihn verbürgen, das Wort eines Edelmannes dürfte wohl Garantie genug sein.“

„Selbstverständlich, Don Alonso, von einem Verhör kann keine Rede sein. Es gab da nur ein paar Unstimmigkeiten.“

Old Donegal sah Don Miguel in die Augen. Er hüstelte dezent, nahm das Tüchlein aus seinem Wams und tupfte sich dann über den Mund.

„Die Unstimmigkeiten dürften wohl bei diesem – äh – Staatsfeind gelegen haben“, meinte er. „Dieser Mann hat sich unter einem falschen Namen eingeschlichen und uns alle getäuscht. Er war nicht der, für den er sich ausgegeben hat. Wir nahmen ihn in Frankreich an Bord.“

 

„Er hat aber behauptet …“

„Er lügt, um seine Haut zu retten“, unterbrach Old Donegal knapp. „Daß er die Unwahrheit spricht, liegt auf der Hand. Er gab seinen richtigen Namen auch erst dann preis, als er keinen Ausweg mehr wußte.“

„Sehr richtig, er hat sich bereits etliche Male in Widersprüche verwickelt.“

Old Donegal lehnte sich etwas zurück und legte die ringgeschmückten Hände auf den Tisch.

„Ich überlege ernsthaft, ob wir diesen Kerl nicht einfach mitnehmen sollten, um ihn dem Gericht zu überstellen“, sagte er nachdenklich. „Natürlich können Sie ihn in Eisen legen, Capitán Senona.“

So dämlich kann Don Miguel nicht sein, dachte Hasard. Das wäre der, Gipfel der Unverschämtheit und der Dummheit.

Don Miguel lächelte gequält. Er war von dieser Überlegung keinesfalls begeistert, denn die Lorbeeren gedachte er allein einzuheimsen.

„Dieser Mann ist zu gefährlich“, sagte er. „Ich möchte Ihnen diese Verantwortung keinesfalls aufbürden. Außerdem haben wir de Alcazar bereits in Eisen schließen lassen. Hier kann ihn niemand mehr befreien, das ist ausgeschlossen. Wir werden ihn an den spanischen Hof bringen.“

„Doch nicht jetzt etwa?“ fragte Old Donegal entsetzt. „Das wäre der unpassendste Augenblick, Don Miguel.“

„Ich verstehe Sie nicht, Don Alonso.“

„Ja, wissen Sie denn nicht, daß Seine Allerkatholischste Majestät schwer erkrankt ist? Der König hat von seinen Beratern gerade erfahren, daß die Krone eine Staatsverschuldung in Höhe von fast hundert Millionen Dukaten hat. Diese Nachricht hat Seine Majestät sehr erregt und seine Krankheit noch verschlimmert, fast beschleunigt.“

„Das wußte ich nicht“, sagte Don Miguel betroffen. „Der Gesundheitszustand Seiner Majestät ist nicht der Beste, das erfuhr ich, aber daß es so schlimm steht …“

„Und dann wird ihm dieser Staatsfeind präsentiert“, sagte Old Donegal. „Ein angeblicher oder wirklicher Kollaborateur, Renegat, Hochverräter. Das alles wird Seine Majestät erfahren, und es wird ganz sicher nicht zu seiner Gesundheit beitragen.“

„Aber ich muß ihn ausliefern, Don Alonso.“

„Mein seliger Vater hätte ihn vor ein Inquisitionsgericht gestellt und abgeurteilt“, sagte Old Donegal, und seine Augen funkelten dabei. „Aber vorher hätte er ihn noch in einem Verlies schmachten lassen, damit Kerle wie er über ihr ruchloses Leben nachdenken können. Sie sollten sich das gründlich überlegen, Don Miguel.“

Don Miguel nickte gedankenschwer. Er nahm einen Schluck Rotwein, spitzte die Lippen und schluckte ihn herunter.

„Es steht in meiner Macht, wohin ich ihn bringe“, sagte er schließlich. „Ich kann ihn nach Madrid ausliefern, ich kann ihn aber auch nach Sevilla oder Cádiz überstellen. Aber erst muß ich ihm noch ein paar Fragen stellen. Wenn Sie seine Anwesenheit nicht stört, können Sie gern dabei sein. Ich werde ihn vorführen lassen.“

„Es stört uns nicht“, sagte Old Donegal. „Schließlich haben wir mit dem Mann sozusagen zusammengelebt. Er hat sich uns gegenüber immer sehr anständig benommen, nicht wahr, Capitán Senona?“

„In der Tat“, sagte Hasard. „Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen.“

Der Generalkapitän rief nach der Ordonnanz.

2.

Kurze Zeit später wurde Don Juan de Alcazar hereingeführt. Ketten umschlossen seine Beine und Handgelenke.

Er grüßte bei seinem Eintritt kühl und war auch keinesfalls irritiert, daß sich Old Donegal und der Generalkapitän so gut verstanden. In seinem Gesicht war keine Regung zu erkennen.

Der Generalkapitän grinste boshaft.

„Ah, mein lieber Don Juan“, sagte er gehässig. „Ich wollte Ihnen noch ein paar Fragen stellen. In welchem Land sind Sie eigentlich an Bord der Schebecke gegangen?“

„In Italien“, sagte der Spanier ausdruckslos.

„Sind Sie sicher?“

Don Juan gab keine Antwort.

„Die Schebecke hatte Capitán Senona in Italien aber noch nicht“, sagte Don Miguel gehässig. „Das beweist mir einwandfrei, daß Sie lügen. Ich glaube Ihnen kein Wort. Mir wurde berichtet, Sie seien in Frankreich zugestiegen, unter falschem Namen.“

„Warum fragen Sie denn, wenn Sie alles schon wissen?“

„Ich will nur Ihre Unglaubwürdigkeit untermauern. Was haben Sie in Frankreich getan? Sie hatten doch von der Krone und der Casa de la Contratación einen ganz anderen Auftrag, und aufgrund dieses Auftrages sollten Sie sich im karibischen Raum aufhalten, wo man Sie auf diesen Killigrew angesetzt hatte.“

„Ich glaube nicht, daß Sie über meinen Auftrag genau informiert sind“, sagte Don Juan kühl.

„O doch, mein Lieber, sehr genau sogar. Sie haben sich mit diesem Mann verbündet, um der Krone Schaden zuzufügen. Warum haben Sie das getan? Der Grund würde mich interessieren, denn es ist doch recht ungewöhnlich, daß sich ein Mann in Ihrer Position mit einem Todfeind der spanischen Krone verbündet.“

„Sie haben mich doch und werden mich der Gerichtsbarkeit überstellen“, sagte Don Juan mit einem kleinen Lächeln. „Dann warten Sie doch das Ergebnis der Untersuchung ab, bei der Sie alles erfahren werden.“

Don Miguel schnaufte ärgerlich.

„Sie haben mir Rede und Antwort zu stehen“, sagte er.

„Sie erscheinen mir dafür nicht kompetent“, erwiderte der große, schlanke Mann kühl.

Don Miguel schluckte seinen Ärger herunter, obwohl ihm das schwerfiel.

„Nun gut“, knurrte er. „Ich werde Sie diesmal zur Abwechslung in die Vorpiek bringen lassen. Dort können Sie überlegen und über Ihre verwerflichen Schandtaten nachdenken.“

Don Miguel wandte sich an Old O’Flynn, der zurückgelehnt gerade einen kleinen Schluck des Rotweins genoß und im übrigen so tat, als ginge ihn das alles nichts an.

„Wo würden Sie diesen Kerl aburteilen lassen, Don Alonso?“

Old Donegal stellte das Glas auf den Tisch zurück. Einen kurzen Augenblick musterte er Don Juan, der in Ketten ganz in seiner Nähe stand.

„Madrid halte ich nicht für sinnvoll, Don Miguel. Die Gründe dafür nannte ich Ihnen bereits. In Sevilla verfährt man bekanntlicherweise etwas großzügiger, denn da gibt es ein paar Richter, die … Na, Sie wissen schon, was ich meine.“

„Bestechung?“ fragte der Generalkapitän leise.

„Korruption“, flüsterte Old Donegal geheimnisvoll. „Mir ist da einiges zu Ohren gekommen. Lassen Sie ihn nach Cádiz schaffen. Dieser Kerl bringt es sicherlich fertig, die Richter in Sevilla zu beeindrucken. In Cádiz kenne ich einige der ehrenwerten Señores persönlich. Die werden dafür sorgen, daß er seiner gerechten Strafe zugeführt wird.“

Der Generalkapitän nickte nachdenklich.

„Ein guter Vorschlag, Don Alonso“, sagte er und rieb sich die Hände. „Sie sind also zu keinen weiteren Aussagen bereit, de Alcazar?“ wandte er sich dann an Don Juan.

„Nicht Ihnen gegenüber, de Salamanca“, erwiderte der Spanier.

„Hinaus mit dem Kerl!“ zischte der Generalkapitän wütend. „Schließt ihn in der Vorpiek in Eisen!“

Als sie Don Juan abführten, da sah Hasard, daß es in seinen schiefergrauen Augen aufblitzte. Don Juan deutete eine leichte Verbeugung an.

„Ich hoffe, Sie werden keine weiteren Schwierigkeiten wegen mir haben, Capitán Senona. Entschuldigen Sie bitte die Ungelegenheiten, die ich Ihnen bereitete. Sie kennen die Zusammenhänge nicht.“

„Mir ist bisher alles sehr rätselhaft“, erwiderte der Seewolf zweideutig. Er verkniff es sich, Don Juan zuzublinzeln.

Als er draußen war, griff Don Miguel zum Weinglas und trank einen langen Schluck. Die Verärgerung wich nur langsam von ihm.

„Verräter“, sagte er verächtlich. Dann erhob er sich und ging ein paar Schritte auf und ab. Die Hände hielt er dabei auf dem Rücken verschränkt.

„Ich möchte Sie bitten, noch auf ein halbes Stündchen mein Gast zu sein, Don Alonso“, sagte er. „Ihrer Weiterreise steht natürlich nichts mehr im Wege, aber ich würde gern noch ein wenig mit Ihnen unter vier Augen plaudern.“

Old Donegal horchte in sich hinein, doch da war nichts, was sein Mißtrauen hervorrief. Don Miguel hatte sich beeindrucken und durch sein sicheres Auftreten völlig überrumpeln lassen.

„Aber gern, Don Miguel.“

Hasard fühlte, daß die beiden „Adligen“ gern unter sich sein wollten. Er war in der erlauchten Runde also überflüssig. Für den Generalkapitän war er nur ein kleiner Seemann, ein Mann vom Schlage der Gewöhnlichen, denn er hatte keinen Titel vorzuweisen.

Der Seewolf erhob sich ebenfalls.

„Dann darf ich mich zurückziehen, Señores?“

Der Generalkapitän erlaubte es gnädigerweise. Er wußte und ahnte nicht, welch einmalige Gelegenheit er soeben verpaßte, den berüchtigten El Lobo del Mar zu fangen.

„Sobald Don Alonso an Bord ist, können Sie weitersegeln“, sagte er.

„Verbindlichen Dank, Señor Generalkapitän.“

Nur zwei Läufer begleiteten den Seewolf bis zur Stelling. Sie drehten sich nicht einmal um, als er über die Pier ging.

Hasard hätte sich kranklachen können, als er über die Stelling an Bord der Schebecke ging.

Die Augen aller Arwenacks waren gespannt auf ihn gerichtet.

„Gibt es Ärger?“ fragte Ben Brighton besorgt.

„Nicht den geringsten. Wir sind im besten Einvernehmen auseinandergegangen. Sobald Don Alonso an Bord ist, steht unserer Weiterfahrt nichts mehr im Wege.“

„Wie bitte?“ Ben glaubte, sich verhört zu haben. „Was tut er denn dort noch?“

„Der Generalkapitän hat ihn noch zu einem Plauderstündchen eingeladen. Die Señores wollten unter sich sein, wie das bei erlauchten Herren so üblich ist. Da stört der Pöbel nur, und so hat man mich huldvoll entlassen.“

Ben Brighton schluckte sichtbar. Dan O’Flynn riß überrascht die Augen auf.

„Es hat alles geklappt, niemand ist mißtrauisch geworden?“

„Nicht im geringsten“, erwiderte Hasard. „Ich bin selbst verblüfft und erstaunt. Donegal hat sich mit einer Selbstverständlichkeit und Frechheit durchgesetzt, daß es mir glatt die Sprache verschlug.“

Er wollte noch etwas hinzufügen, doch da erschien auf der Pier ein anderer Teniente, der zielstrebig auf den Corporal zuging, dessen Kerle das Schiff bewachten.

Die beiden redeten gestenreich miteinander, wobei der Teniente ein paarmal auf die Schebecke zeigte.

„Die ziehen die Bewacher ab“, meinte Big Old Shane.

Er behielt recht mit seiner Vermutung. Der Corporal salutierte und blaffte seine Kerle an.

„Kommando zurück an Bord!“ brüllte er.

Die Musketen wurden geschultert, der Corporal stellte sich an die Spitze der Seesoldaten und marschierte los. Die anderen folgten ihm im Gleichschritt. Das Kommando kehrte an Bord des Flaggschiffes zurück und verschwand.

„Das ist ja ein Ding“, sagte Hasard andächtig. „In der Höhle des Löwen ist man wahrhaftig am sichersten aufgehoben.“

„Mir ist das alles nicht geheuer“, knurrte der Profos. „Das geht zu glatt und zu einfach. Ich habe dauernd das Gefühl, daß wir gleich in die nächste Falle Segeln.“

„Glaube ich nicht, Ed“, sagte Hasard. „Wenn sie auch nur den leisesten Verdacht hätten, dann wäre hier längst die Hölle los. Mich hätte man sofort in Ketten weggebracht – und euch ebenfalls. Nein, nein, dieser Don hat sich von Donegal ganz einfach übertölpeln lassen. Frechheit siegt ja bekanntlich.“

Carberry sah sich immer wieder unbehaglich um und blickte auch zu den Kriegsgaleonen mit ihren schweren Stücken. Dort tat sich jedoch absolut nichts. Nur ein paar spanische Seesoldaten gingen Wache.

„So langsam glaube ich es auch“, murmelte er. „Sollen wir das Schiff inzwischen seeklar machen, Sir?“

„Ja, denn sobald Donegal an Bord ist, segeln wir los, aber nicht in auffallender Eile, sondern ganz gemütlich. Ich bin selbst froh, wenn wir diese kleine Armada hinter uns gelassen haben. Sehr wohl fühle ich mich in meiner Haut auch nicht.“

Hasard berichtete kurz, was sich in der Kapitänskammer des Don Miguel zugetragen hatte.

„Man wird Juan also vermutlich nach Cádiz bringen“, sagte Dan, nachdem Hasard geendet hatte. „Fragt sich nur, ob die Kriegsgaleonen ihm Geleit geben. Sie können ihn ja auch auf dem Landweg dorthin bringen.“

„Mal sehen, was Donegal erfahren hat. Der hat dem Kerl das Blaue vom Himmel herabgelogen, ohne rot zu werden. Madrid sei zu gefährlich, sagte er, und vor Sevilla warnte er ausdrücklich, weil es da angeblich bestechliche Richter gäbe. Der alte Bursche hat sofort erkannt, daß Cádiz der beste Ort ist, um Juan zu helfen.“

 

„Diese Rolle habe ich meinem Alten gar nicht zugetraut“, sagte Dan. „Sonst baut er doch meistens Mist.“

„Diesmal ist er über sich selbst hinausgewachsen.“

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“ fragte Ben. „Wollen die etwa zu uns? Kleiner Freundschaftsbesuch, wie?“

Vom Flaggschiff enterten sechs Seesoldaten ab. Jeder von ihnen trug eine größere Holzkiste.

„Die wollen wirklich zu uns“, sagte Hasard grinsend. „Donegal hat dem Generalkapitän ein paar Flaschen erlesenen Wein abgeluchst. Ich nehme an, der wird jetzt an Bord gebracht.“

„Ein Wunder, daß er ihm nicht auch noch das Flaggschiff abgeschwatzt hat“, meinte der Profos verblüfft. „Dieser Generalkapitän scheint total bescheuert zu sein.“

„Er ist kein Dummkopf“, widersprach Hasard. „Er war nur von Donegal unglaublich beeindruckt und fiel auf seine adligen Titel herein.“

Der Corporal, der vorhin mit seinen Kerlen die Schebecke bewacht hatte, ging dem Trupp voraus. Vor der Stelling blieb er stehen und nahm Haltung an.

„Melde, daß der ehrenwerte Señor Generalkapitän, Don Miguel de Salamanca, den Auftrag gegeben hat, diese sechs Kisten zu überbringen. Sie sind für den hochlöblichen Sohn des Herzogs von Alba bestimmt. Ich habe die Ehre, Señor.“

„Ich bedanke mich im Namen von Don Alonso Alvarez de Toledo“, sagte der Seewolf ernst und feierlich. „Bitte, bringen Sie die Kisten an Bord.“

„Kisten an Bord bringen!“ befahl der Corporal wichtigtuerisch. „Auf den Planken absetzen.“

„Wo denn sonst“, raunte der Profos Smoky zu. „Auf dem Flaggenstock ist ja zuwenig Platz.“

„Vorsichtig, verdammt!“ brüllte der Corporal, obwohl die Kerle die Kisten ohnehin schon wie rohe Eier behandelten.

Die Kisten wurden abgesetzt. Die Seesoldaten salutierten und verschwanden. Der Corporal marschierte mit aufgeblähtem Brustkorb voraus.

„Einer der besten und süffigsten Weine, die es in Spanien gibt“, erklärte Hasard. „Das Beste vom Besten, aber für meinen persönlichen Geschmack zu süß und zu schwer.“

„Das läßt sich sehr einfach feststellen“, meinte der Profos. „Wir brauchen nur mal eine Buddel zu entkorken.“

„Untersteh dich, Ed, dich am Wein des Don Alonso zu vergreifen! Das käme einem Frevel gleich.“

„Er muß später sowieso ein paar Buddeln rausrücken“, sagte der Profos grinsend. „Dafür werde ich schon sorgen.“

Inzwischen wurde alles zum Auslaufen vorbereitet. Hasard ließ die Weinkisten unter Deck bringen und in Old Donegals Kammer verfrachten, was der Profos lebhaft bedauerte.

Dann warteten sie und warteten.

Eine volle Stunde verging, eine weitere halbe, und von Old Donegal war immer noch nichts zu sehen.

Der Seewolf wurde langsam ungeduldig. Bens Gesicht hatte sich umschattet. Er sah ernst aus.

„Das gefällt mir ganz und gar nicht“, murmelte er. „Fast könnte ich jetzt das Mißtrauen von Ed teilen, Sir. Donegal kann sich doch nicht stundenlang mit dem Kerl unterhalten. Die werden doch wohl nicht einen zwitschern? Das kann sich der Befehlshaber einer Kriegsgaleone doch gar nicht leisten. Da steckt etwas anderes dahinter.“

„Da steckt gar nichts dahinter“, sagte Hasard gelassen. „Eben war ich auch noch beunruhigt, aber Donegal kriegt es fertig und tischt dem ehrenwerten Señor faustdicke Lügen auf. Außerdem habe ich schon mehr als einen besoffenen Generalkapitän gesehen. Donegal wird ihm Schauermärchen erzählen, vermutlich von den Heldentaten seines angeblichen Vaters.“

Inzwischen war es längst Nachmittag geworden. Sie hätten schon ein paar Meilen zwischen sich und die Kriegsflotte bringen können, aber Old O’Flynn mußte natürlich wieder mal aus der Reihe tanzen.

Dann erschien er doch noch.

„Der alte Zausel hat sich einen angekümmelt“, stellte der Profos neidvoll fest, „aber unsereins muß ja nüchtern bleiben.“

Old O’Flynn wurde von einen Teniente, einem Corporal und zwei Seesoldaten eskortiert, obwohl eskortieren nicht der richtige Ausdruck war.

Die vier Spanier stützten ihn unauffällig, damit Old O’Flynn nicht über die Stelling kippte. Auf der Stelling blieb er stehen und hob den linken Arm zum Gruß. Dieser Gruß galt Don Miguel, der sich jetzt auf dem Achterdeck seines Schiffes befand und am Schanzkleid lehnte. Auch er hatte wohl etwas zu tief ins Glas gesehen, aber er verbarg das sehr geschickt.

Die beiden winkten sich zu und grinsten verschwörerisch.

Dann wurde Old O’Flynn in die vor der Stelling stehende Sänfte geleitet und nahm Platz, indem er einfach hineinplumpste.

„Auch das noch“, sagte Hasard ergeben. „Aber es sei ihm diesmal verziehen. Er hat schließlich viel für uns getan.“

Die Sänfte wurde angehoben. Unter dem heimlichen Grinsen der Arwenacks ging es über die Pier. Dicht vor der Schebecke setzten die vier Spanier die Sänfte ab. Sie taten es sehr behutsam.

Old O’Flynn rülpste leicht und schlug sich vor die Brust, als er etwas steifbeinig herauskletterte. Sein Schädel wackelte ein bißchen, als er die Träger mit einer gnädigen Handbewegung entließ.

Ein paar Augenblicke stand er so da, sich ganz der Würde eines spanischen Granden bewußt. Er fummelte an seiner Halskrause herum, zupfte an seinem Wams und gab sich einen Ruck.

„Bringt ihn an Bord“, sagte Hasard. „Schließlich verdient ein spanischer Edelmann ein Geleit.“

Carberry und Smoky übernahmen das. Sie flankierten ihn von links und rechts und benahmen sich so, als sei er tatsächlich ein vornehmer Adliger.

Old Donegal rülpste ein zweites Mal laut und ungeniert.

„Mußt du hier unbedingt rumquaken wie ein alter Ochsenfrosch?“ begann der Profos zu motzen. „Vollsaufen und rumtönen, was, wie? Reiß dich zusammen, Herzöglein.“

„Wenn du meine Rolle gespielt hättest, wären wir jetzt schon alle in der Hölle. Aber ich, Don Alonso, habe euch vor einem grausigen Schicksal bewahrt. Ich bin ein Held.“

„Klar, das streitet ja auch keiner ab. Aber nun bewege dich mal an Bord, du Held.“

Auf der Laufplanke blieb Old Donegal wieder stehen. Er spitzte die Lippen, führte zwei Finger an den Mund und warf Don Miguel Kußhändchen zu, die auch prompt erwidert wurden.

„Mein Freund“, verkündete Old Donegal stolz. „Er hat mir Wein geschickt und ein Medaillon verehrt. Hier ist es.“

Er holte das Medaillon hervor. Es war aus einem ovalen Goldrahmen und zeigte das Miniaturporträt des Generalkapitäns. Der Maler hatte sich redliche Mühe gegeben und aus dem roten groben Gesicht des Don Miguel alles das herausgelassen, was ihn wie einen Eisenfresser aussehen ließ. Selbst das Boshafte in seinen Augen hatte er durch einen freundlichen Blick kaschiert. Daher hatte das Bild nur noch sehr geringe Ähnlichkeit mit dem ehrenwerten Don Miguel de Salamanca.

„Sehr schön“, sagte Carberry, „ich nehme an, du wirst es dir über die Koje nageln, damit dir der freundliche Señor morgens beim Erwachen immer zulächelt.“

„Er ist wirklich sehr freundlich“, murmelte der Alte.

„Gebt Ihr auch einen aus, Edler von Toledo?“ erkundigte sich Carberry. „Du hast doch jede Menge zu saufen abgesahnt.“

„Aber sicher doch. Doch erst müssen wir hier einmal verschwinden. Das alles ist mir selbst sogar unheimlich geworden. Ich werde euch später von Don Miguel erzählen.“

Als Old O’Flynn an Bord war, ließ Hasard noch ein paar Minuten verstreichen, damit die Abreise nicht so überhastet wirkte.

Dann wurden die Leinen gelöst und die Segel gesetzt.

Niemand behelligte sie. Nur ein paar behelmte Seesoldaten sahen neugierig herüber – und Don Miguel, der auf dem Achterkastell seines Schiffes wie festgenagelt an der Balustrade lehnte.

Als die Segel gesetzt waren, grüßte er ein letztes Mal.

Die Schebecke glitt langsam aus dem Hafen.

Die Arwenacks atmeten erleichtert auf, als sich das Gluckern des Wassers an den Bordwänden verstärkte, als der Wind die Segel immer praller füllte und die Schebecke rasch an Fahrt gewann.

Die Dons sahen ihnen nach. Keiner ahnte, daß Spaniens größter Feind grinsend aus dem Hafen von Gibraltar segelte.