Seewölfe Paket 30

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

5.

Guzman stieß die gemeinsten und übelsten Verwünschungen aus, die ihm einfielen. Nie zuvor war seine Laune derart schlecht gewesen. Seinen fünf Begleitern erging es nicht anders. Sie fluchten und murrten. Denn sie waren schon die ganze Nacht über unterwegs und suchten erfolglos nach dem „Fischerpack“. Die Piraten hatten kein Auge zugetan. Sie waren müde, hungrig, durstig und verbiestert.

Olivaro aber kannte keine Gnade. Pausenlos scheuchte er seine Kerle über die Insel. Sie mußten jetzt ausbaden, was Juanito, dieser Narr, und die anderen Wächter des Schlupfwinkels durch ihre Unachtsamkeit angerichtet hatten. Aber das war nicht gerecht. Die Schnapphähne hatten eine Stinkwut auf ihren Anführer.

Vier Gruppen Piraten durchstöberten bei Dunkelheit, Wind und Regen die Wälder. Immer wieder kehrten sie zu Olivaro in den Schlupfwinkel zurück und meldeten, daß sich die verschwundenen Fischer und deren Familien offenbar in Luft aufgelöst hätten. Anders konnte es nicht sein. Olivaro lachte nur rauh und schickte seine Kerle wieder hinaus in das Hundewetter.

Der hat gut lachen, dachte Guzman jetzt, als es hell wurde. Sitzt in seiner Hütte und läßt sich vollaufen. Zwischendurch pennt er ’ne Runde, damit ihm das Saufen nicht zu anstrengend wird.

Ja, Guzman und die anderen Kerle hatten einen höllischen Zorn auf Olivaro. Es gab keinen unter ihnen, der dem Bandenführer jetzt nicht gern die Gurgel durchgeschnitten hätte.

Im Heraufziehen des Morgens hockten sich Guzman und sein kleiner Trupp im Olivenhain auf ein paar Steine. Sie verschnauften und blickten zur östlichen Kimm, wo die Sonne aufzusteigen begann.

„Zum Teufel mit der Scheißinsel und ihren Fischern“, sagte ein Kerl, der Bernardo hieß. „Von mir aus kann die Drecksinsel untergehen.“

„Und das Lumpengesindel soll absaufen“, fügte ein anderer Pirat hinzu.

„Es ist alles verfahren“, sagte Guzman. „Wenn wir die verdammten Bastarde nicht wieder einfangen, springt uns Olivaro an die Gurgel. Ich glaube, er befürchtet auch, daß sie die Insel überqueren und irgendwo im Norden Verstärkung holen. Da gibt es schließlich noch andere Häfen. Die haben viel zuviel Vorsprung. Die kriegen wir nie im Leben.“

„Na gut“, erwiderte Bernardo. „Es ist dabei aber noch die Frage, ob wir uns wirklich von Olivaro attackieren lassen.“

„Von dem lasse ich mir nichts mehr bieten“, brummte ein dicker Kerl mit zottigem Haar. „Ich habe die Schnauze voll.“

„Gestrichen“, pflichtete ihm sein Nebenmann bei.

„Wollt ihr meutern?“ fragte Guzman.

„Willst du’s nicht auch?“ erkundigte sich Bernardo lauernd.

„Zu uns kannst du ruhig ehrlich sein“, sagte der Dicke. „Wir halten zu dir, das weißt du.“

„Klar.“ Guzman kratzte sich im Nacken. Ja, die Burschen hatten recht. Olivaro war viel zu überheblich geworden. Ein richtiger Tyrann. Es wurde Zeit, daß ihm jemand eine Lektion erteilte.

„Ich wundere mich auch, warum Olivaro die beiden Engländer nicht abgemurkst hat“, sagte Bernardo. „Mir ist das ein Rätsel. Die sind doch bloß ein Ballast für uns.“

„Das haben wir ja gesehen“, brummte der Dicke. „Fast hätten sie fliehen können.“

„Da stimmt was nicht“, sagte Guzman. „Mir ist das auch schon aufgefallen.“

Bernardo lachte häßlich. „Daß er das Mädchen am Leben läßt, kann ich ja noch verstehen. Im Vergleich zu den dummen Fischerweibern ist das ein schmackhafter Happen. Aber der Kapitän? Was will er mit dem?“

Guzman schnippte mit den Fingern. „Da steckt was dahinter. Ich spüre es. Olivaro hat mit dem Kapitän und dem Mädchen noch was vor.“

„Was?“ wollte einer der Kerle wissen.

„Bestimmt etwas, das ihm ’ne Menge Geld einbringt“, erwiderte Guzman. „Olivaro ist gerissen. Vielleicht hat ihm der Kapitän heimlich was anvertraut, um sich, freizukaufen.“

„Ob auf dem Schiff ein Schatz ist?“ fragte der Dicke.

„Möglich wär’s“, entgegnete Bernardo. „Auf was warten wir dann noch? Nehmen wir das Wrack auseinander, Planke für Planke.“

„Ich finde, wir sollten Olivaro zur Rede stellen“, sagte Guzman. „Ehe wir uns totsuchen, fühlen wir ihm lieber auf den Zahn. Wir brauchen ihn nur zu umzingeln, dann hat er keine Chance, etwas gegen uns zu unternehmen.“

„Einverstanden“, sagte Bernardo und erhob sich. „Dann sollten wir sofort zurückkehren.“ Routinemäßig blickte er zum Südstrand hinunter – und plötzlich straffte sich seine Gestalt. „He, was ist denn das? Träume ich oder bin ich wach?“

Die anderen fuhren hoch. Guzman war mit einem Satz neben Bernardo. Das Sonnenlicht war schon recht intensiv. Guzman schirmte mit einer Hand seine Augen gegen die Strahlen ab.

„Hol’s der Henker!“ stieß Guzman hervor. „Da liegt ja ein Schiff vor Anker!“

Der Dicke spähte den beiden über die Schulter und gab einen Pfiff von sich. „Sind das etwa die Fischer?“

Guzman zog seinen Kieker auseinander und schaute hindurch. „Unsinn! So schnell können die keine Verstärkung geholt haben.“

„Es ist ein Dreimaster“, sagte Bernardo.

„Richtig“, bestätigte Guzman, „eine Schebecke.“

„Dreck, verdammter!“ zischte ein anderer Kerl. „Das sind Piraten! Türkenschweine oder Algerier!“

„Warte mal“, sagte Guzman. „Nach Alis sehen die mir nicht aus. Es sind Weiße. Merkwürdig, merkwürdig. Hoppla, da setzt ein Kahn über, es tut sich was. Die Bootscrew pullt zum Ufer.“

„Die wollen an Land“, sagte der Dicke.

Bernardo wandte den Kopf und sah ihn an. „Wie hast du das so schnell mitgekriegt?“

„Ach, halt doch deine blöde Klappe!“ stieß der Dicke aus.

„Ruhe“, sagte Guzman. „Das Boot ist am Ufer. Die Kerle klettern heraus. Sie haben einen Schwarzen dabei.“

„Vielleicht sind das doch Piraten“, sagte Bernardo.

„Oder Korsaren“, meinte der Dicke.

„Lassen wir das mal dahingestellt“, sagte Guzman. „Tatsache ist, daß die Hundesöhne über den Strand marschieren – in Richtung auf unseren Schlupfwinkel.“

„Kundschafter“, murmelte Bernardo. „Möglich, daß sie heute nacht Schüsse gehört haben.“

„Wir müssen sofort Olivaro und die anderen benachrichtigen“, sagte einer der Kerle.

„Augenblick“, sagte Guzman. „Die Schebecke ist gut armiert. Was haltet ihr davon, wenn wir sie uns unter den Nagel reißen? Wir könnten sie gut gebrauchen.“

„Wir wollen Olivaro doch sowieso absetzen“, entgegnete der Dicke. „Ich verstehe das nicht ganz.“

„Wir müssen damit rechnen, daß einige von uns nach wie vor zu Olivaro halten“, erklärte Guzman. „Wenn wir aber ein Schiff haben, mit dem wir die Hafenausfahrt blockieren, hat Olivaro nicht mal die Möglichkeit, uns mit den Kanonen der Schiffe einzuheizen. Dann haben wir ihn in der Zange.“

„Genausogut könnten wir unsere Karavelle besetzen“, entgegnete Bernardo.

„Du vergißt die Ankerwachen“, sagte Guzman. „Sollen wir unsere eigenen Kameraden abmurksen?“

„Mir ist das ziemlich gleichgültig“, sagte Bernardo.

„Die Schebecke hat zwölf Kanonen und vier Drehbassen“, sagte Guzman nach einem neuerlichen Blick durch den Kieker.

Die Kerle stießen Pfiffe des Staunens und der Anerkennung aus. Dieses Schiff schien es wirklich in sich zu haben. Und wenn er gar eine wertvolle Ladung hatte? Dann gehörte diese Ladung ihnen ganz allein, sofern es ihnen gelang, die Besatzung in die Hölle zu schicken.

Die Gelegenheit bot sich: acht Männer hatten in dem Beiboot gesessen, und diese Männer bewegten sich jetzt nach Westen. Guzman und seine fünf Kerle brauchten sie nur zu überholen und ihnen einen Hinterhalt zu legen – dann saßen sie in der Falle.

Rasch legten die Kerle sich einen Plan zurecht. Guzman wollte fünf oder sechs der Fremden abknallen. Die restlichen sollten ihm als Geiseln dienen, mit denen er dann zur Ankerbucht der Schebecke zurückkehren wollte, den Rest der Crew zu erpressen. Die Fremden konnten dann gar nicht mehr anders, sie mußten, die Flagge streichen und ihr Schiff herausrücken. Wenn das klappte, wußte auch Olivaro bald, woher jetzt der Wind wehte.

Und er, Guzman, würde der neue Anführer der Bande sein.

Der Seewolf und sein Trupp hatten eine Anhöhe erreicht, in deren Zentrum eine große Korkeiche ihre Zweige nach allen Seiten streckte. Mit Kennermiene betrachtete Ferris Tucker auch diesen Baum.

„Nicht schlecht“, sagte er. „Aus diesem Riesen könnte man sogar einen ganzen Mast bauen.“

„Wir brauchen aber keinen Mast“, erwiderte Carberry. „Außerdem hast du gesagt, das Holz der Olivenbäume sei so schön hart.“

„Ich glaube aber, daß diese Eiche leichter zu fällen ist“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann.

„Ich schlage dir etwas anderes vor“, mischte sich der Seewolf ein. „Du kletterst nach oben und siehst dir die Inselwelt aus der Vogelperspektive an. Das ist für uns im Moment wichtiger als die Wahl des richtigen Holzes.“

„Aye, Sir“, brummte Ferris.

Batuti grinste. „Melde mich freiwillig zum Hinaufklettern, Sir.“

„Gut, von mir aus“, entgegnete Hasard. „Aber beeil dich.“

Katzengewandt kletterte der schwarze Herkules aus Gambia an dem dicken Stamm der Korkeiche hoch. Er schwang sich in die Äste, richtete sich auf und hielt nach allen Seiten Ausschau.

„Drüben liegt unsere Schebecke“, meldete er. „Und dort, im Westen, sehe ich ein Dorf an der Küste. Scheint mir ein Fischerdorf zu sein.“

„Kannst du auch Boote entdecken?“ erkundigte sich der Seewolf.

„Aye, Sir, am Strand. Im Wasser ankern drei einmastige Schaluppen und eine Dreimast-Karavelle.“

„Fischer fischen nicht mit Karavellen“, sagte Carberry.

 

„Stimmt“, pflichtete Hasard ihm bei. „Batuti – was für eine Flagge führt die Karavelle?“

„Keine.“

„Piraten“, urteilte Don Juan.

„Die Möglichkeit wird immer wahrscheinlicher“, sagte Hasard.

Batuti stieß einen leisen Pfiff aus. „Ich sehe noch mehr, nämlich Kerle!“

„Kerle? Wo?“ zischte Shane.

Er blickte sich lauernd um, konnte aber niemanden entdecken. Auch Hasard und die anderen Mannen vermochten keinen Menschen zu erspähen.

Der Gambiamann deutete zum Inneren der Insel.

„Sie pirschen sich an“, sagte er gedämpft. Seine Stimme war am Boden gerade noch zu verstehen. „Sechs Kerle. Der Kleidung und dem Aussehen nach eindeutig Schnapphähne.“

„Die haben es auf uns abgesehen“, sagte Gary Andrews.

„Dann wollen wir sie nicht enttäuschen“, sagte der Seewolf. Er blickte zu dem Gambiamann auf. „Batuti! Glaubst du, daß sie dich dort oben entdecken?“

„Nein, Sir. Es gibt genug Blätter. Ich ducke mich.“

„Dann bleibst du solange oben!“ ordnete der Seewolf an.

Batuti grinste und griff nach seinem Langbogen aus englischer Eibe. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher, ging zwischen dem Blattwerk in Deckung und spannte die Sehne des Bogens. Gleichzeitig blickte er zu den anrückenden Schnapphähnen. Die waren noch etwa zweihundert Yards von der Korkeiche entfernt.

Hasard, Shane, Carberry, Ferris Tucker, Don Juan, Gary und Matt hatten ihre Waffen bereit. Sie schritten noch ein Stück weiter und taten so, als fühlten sie sich völlig sicher.

Inzwischen hatten Guzman und seine Kerle im Dickicht Unterschlupf gefunden. Sie legten mit ihren Musketen auf die Fremden an – und jetzt brauchten sie, so dachten sie, nur noch zu warten.

Batuti erkannte ganz deutlich, wie einer der Piraten – es war Bernardo – mit seinem Schießeisen auf den Seewolf zielte. Der Kerl traf Anstalten, abzudrucken. Der Gambiamann war schneller. Der Pfeil huschte von der Sehne.

Bernardo spürte nur, wie sich etwas heiß wie ein Blitz in sein Herz bohrte. Die Muskete entglitt seinen Händen. Er gab einen gurgelnden Laut von sich und sank tot zu Boden.

Guzman und die anderen fluchten wie besessen.

Batuti stieß einen Pfiff aus.

In dem Moment, in dem die Piraten auf die Arwenacks zu feuern begannen, warfen diese sich in Deckung. Hasard überrollte sich zweimal auf dem Untergrund und blieb hinter einem Olivenbaum liegen.

Carberry und Ferris Tucker landeten im Dickicht. Shane, Don Juan, Gary und Matt brachten sich hinter Baumstämmen in Sicherheit.

Die Musketen der Olivarobande knallten und krachten. Die Kugeln pfiffen durch den Hain – keine traf.

Hasard gab dem Profos ein Zeichen. Carberry grinste und stieß Ferris mit dem Ellenbogen an.

„Los geht’s!“ flüsterte er.

Der Schiffszimmermann hatte bereits eins seiner „Lieblingsspielzeuge“ zur Hand. Eine Höllenflasche – mit Pulver, Eisen, Blei und Glassplittern gefüllt. Carberry holte einen Flint und ein Stück Feuerstahl hervor. Er hieb beide Stücke gegeneinander, daß die Funken flogen. So entfachte Ferris die Zündschnur der Wurfgranate.

Die Flaschenbombe sauste aus dem Dickicht und torkelte durch die Luft. Die Lunte zischte.

„Sieht aus wie ’ne besoffene Ente“, murmelte Ferris.

„Aber eine Ente donnert nicht so schön“, bemerkte Carberry wieder einmal sehr treffend.

Guzman und seine Kerle sahen das Wurfgeschoß nahen. Sie wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Was war das? Guzman feuerte mit der Pistole auf die Flasche. Aber er traf nicht.

Die Höllenflasche landete vor den Füßen des Dicken. Der sah die Lunte glimmen und rief: „In Deckung!“

Zu spät. Die Flasche krepierte mit einem Donnerschlag, der die Erde beben ließ. Guzman und seine Kumpane sahen den Dicken zurückprallen – blutüberströmt. Dann trafen die wirbelnden Eisen-, Blei- und Glasstücke auch sie. Stöhnend und brüllend gingen sie zu Boden. Eine dicke Qualmwolke stieg auf.

„Treffer!“ sagte Carberry laut.

„Noch eine Ladung?“ fragte Ferris.

„Abwarten“, erwiderte der Seewolf.

Der Gambiamann ließ wieder einen Pfeil von der Sehne schwirren. Einer der Piraten hatte sich erhoben. Er wankte durchs Dickicht, hob die Pistole und zielte auf Gary Andrews, dessen Kopf er halb hinter einem Baumstamm entdeckt hatte. Gary wollte schießen, aber Batuti war schneller. Vom Pfeil durchbohrt, sackte auch dieser Schnapphahn zusammen.

Guzman kroch davon. Er war der einzige Überlebende. Die anderen hatte es erwischt. Grausig! Guzmans Atem ging schnell und keuchend. Was waren das für Feinde – standen die mit dem Teufel im Bunde? Sie hatten Zauberwaffen. Und sie verstanden zu kämpfen.

Nie zuvor hatte Guzman ein derartiges Gefühl der Panik verspürt. Die Angst saß ihm wie eine Faust im Nacken. Er robbte durch das dichte Gestrüpp. Nur weg hier! dachte er.

„Feierabend“, sagte Batuti.

Er verließ seinen luftigen Posten und kehrte zu den Kameraden zurück. Hasard war als erster bei den toten Piraten und unterzog sie einer kurzen Untersuchung.

„Dem Aussehen nach könnten es Spanier sein“, sagte er.

„Einer fehlt“, sagte Batuti, der in diesem Augenblick zu seinem Kapitän trat. „Es waren sechs.“

„Sucht die Umgebung ab“, ordnete der Seewolf an.

Das taten die Arwenacks, aber sie konnten niemanden finden. Guzman hatte schon einigen Vorsprung. Er kannte sich im übrigen im Dickicht gut aus und wußte, wie er seinen Verfolgern entwischen konnte.

„Nichts“, meldete Carberry, als die Mannen zu Hasard zurückkehrten.

„Wir kehren erst einmal an Bord der Schebecke zurück“, sagte der Seewolf. „Die Schüsse locken sicherlich weitere Piraten an. Und der Kerl, der geflüchtet ist, wird sie mit Sicherheit auf uns hetzen. Das Fischerdorf ist garantiert das Nest der Bande.“

Kurz darauf schoben die Mannen das Beiboot der Schebecke wieder ins Wasser. Ben Brighton und die anderen an Bord des Dreimasters atmeten auf. Sie hatten sich wegen der Schüsse, die sie vernommen hatten, schon Sorgen bereitet.

Jetzt warteten sie ab, bis das Boot sich längsseits schob, dann halfen sie ihrem Kapitän und den Kameraden an Bord und lauschten deren Bericht.

6.

Olivaro wankte etwas, als er seine Hütte verließ. In der rechten Hand hielt er eine halbleere Flasche. Er grinste. Mehrere Schüsse waren gefallen. Aha, dachte der Bandenführer, meine Kerle haben das verfluchte Fischerpack also endlich gefunden. Das wurde aber auch Zeit.

Im Dorf liefen die Kerle zusammen. Die anderen Suchtrupps waren ergebnislos aus dem Inneren der Insel zurückgekehrt. Olivaro hatte sie allesamt als Versager und dreckige Ratten bezeichnet.

Die Stimmung der Kerle befand sich auf einem absoluten Tiefpunkt. Jetzt aber, als sie ihren Führer grinsen sahen, wurde auch ihnen wieder etwas wohler zumute.

„Guzman hat das Schweinegesindel aufgestöbert!“ rief einer von ihnen.

Olivaro bedachte ihn mit einem wüsten Fluch. „Halt doch dein Maul!“

Lang und länger wurden aber die Gesichter der Piraten, als sie Guzman von einem der Hänge hinuntertaumeln sahen. Guzman blutete. Er keuchte und stieß lallende Laute aus, die keiner verstand.

Plötzlich strauchelte er und stürzte zu Boden. Er wälzte sich, schlug noch ein paarmal lasch mit den Armen um sich und rührte sich nicht mehr.

„Holt ihn!“ herrschte Olivaro seine Kerle an.

Sie stürmten los und rannten zu Guzman.

Wo sind die anderen? fragte sich der Piratenführer immer wieder. Bernardo, der Dicke, und die anderen?

Guzman war bewußtlos. Er blutete aus mehreren Wunden, sein Gesicht sah fürchterlich aus. Mit grimmigen Mienen hoben die Piraten den Kumpan auf und schleppten ihn zu Olivaro. Hier betteten sie ihn so vorsichtig wie möglich auf den Untergrund.

Olivaro betrachtete Guzman mit verzerrtem Gesicht. Wer hatte den Kerl so zugerichtet? Olivaro entsann sich, daß einige der Schüsse mehr wie Explosionen geklungen hatten. Oder waren Kanonen abgefeuert worden? Aber seit wann verfügen die Fischer, diese lausigen Bastarde, über Kanonen?

Mit dem Finger deutete Olivaro auf einen seiner Kerle. „Hol einen Kübel Wasser! Schnell!“

Der Kerl raste davon, als seien Wölfe hinter ihm her. Die anderen murmelten und tuschelten untereinander. Ihre Minen waren ratlos, betroffen.

Olivaro nahm einen Schluck aus der Flasche. Der Pirat erschien mit einem Kübel Seewasser. Olivaro gab ihm einen Wink, und der Kerl leerte das Naß über Guzmans Gesicht aus.

Guzman fuhr hoch. Das salzige Wasser brannte in seinen Wunden. Er schrie und fluchte.

„Was ist passiert?“ brüllte Olivaro. „Wo sind die anderen? Habt ihr die Fischer gefunden?“

Guzman richtete seinen Blick auf den Anführer. Wie ich dich hasse, dachte er. „Nein, wir haben sie nicht gefunden.“

„Was hatten die Schüsse zu bedeuten? Und die Explosionen?“ schrie Olivaro.

„Fremde“, erklärte Guzman mit heiserer Stimme. Wieder stöhnte er wegen seiner Schmerzen. „Irgendwelche Galgenstricke. Sie sind gelandet, acht Mann. Haben eine Schebecke. Drüben, in der östlichen Bucht. Wir haben ihnen aufgelauert.“

„Was habt ihr?“ Olivaro schleuderte die Flasche weg und trat dichter auf Guzman zu. „Auf eigene Faust habt ihr gehandelt? Was fällt euch ein?“

„Wir dachten …“

Olivaro verpaßte ihm einen Tritt in die Seite. „Das Denken überläßt du mir, verstanden? Wo sind die anderen?“

„Tot …“

„Was, alle?“ brüllte Olivaro.

„Ja.“

Wieder trat Olivaro zu. Guzman kippte auf die Seite und ächzte zum Gotterbarmen.

„Ihr hättet mich erst benachrichtigen müssen!“ schrie Olivaro. „Es ist deine Schuld, daß alles schiefgegangen ist! Das wirst da büßen!“

„Olivaro“, sagte einer der Piraten. „Guzman ist verletzt. Es ist nicht recht, daß du ihn so behandelst.“

Olivaro fuhr zu dem Sprecher herum. Blitzschnell zückte er seine Pistole und spannte den Hahn. Er hob die Waffe und zielte auf die Stirn des Kerls.

„Noch ein Wort“, sagte er, „und ich knalle dich ab wie einen räudigen Hund.“

Guzman rappelte sich schwerfällig auf.

„Olivaro“, sagte er keuchend. „Hör mich an. Es hat keinen Zweck, jetzt zu streiten. Wichtiger sind die Kerle und ihre Schebecke. Vielleicht hat der Kahn eine wertvolle Ladung.“

Der Anführer ließ die Waffe sinken. In seinem Geist arbeitete es. Beute? Ja, das konnte gut möglich sein. Wenn die Fremden Schnapphähne waren, dann hatten sie sicherlich keine lächerlichen Schaffelle oder Oliven an Bord, sondern Gold, Silber, Juwelen! Wieder wurde die Gier in Olivaro wach.

„Gut“, sagte Olivaro. Er hob die Flasche wieder auf und streckte sie Guzman zur Versöhnung entgegen. „Hier, sauf das Zeug aus. Und laß dir die Blessuren behandelnd.“

„So schlimm ist es nicht“, erwiderte Guzman. „Ich kann schon wieder kämpfen.“

„In Ordnung.“ Olivaro warf einen prüfenden Blick zum Himmel, dann zur See. „Die See hat sich so weit beruhigt, daß wir einen Angriff wagen können. Sofort alle Mann an Bord der Karavelle und der Schaluppen! Wir packen diese Bastarde! In der Bucht sitzen sie in der Falle! Und sie können nicht wagen, schon wieder auszulaufen.“

„Sie haben in der Bucht Zuflucht gesucht“, sagte einer der Piraten.

„Du merkst aber auch alles“, entgegnete Olivaro hämisch. Er suchte vier Kerle aus und trat dicht vor sie hin. „Ihr bewacht den Schlupfwinkel und die Gefangenen. Wehe euch, ihr sperrt nicht die Augen und Ohren auf. Ich schneide euch in Stücke, wenn ihr die beiden entwischen laßt!“

Einer der Kerle war hager und knochig und zeichnete sich durch eine Raubvogelnase aus, die aus seinem Gesicht hervorstach. Alle nannten ihn Corvo – Rabe. Corvo schnitt eine verächtliche Grimasse.

„Vergleiche mich nicht mit Juanito und den anderen Narren. Auf mich kannst du dich verlassen, Olivaro.“

Olivaro tippte ihm mit dem Finger gegen die Brust. „Dann bist du für die Gefangenen verantwortlich. Wenn ich zurückkehre, will ich sie gesund und munter vorfinden.“

„Auch das Mädchen?“

„Wenn du sie auch nur mit dem kleinen Finger anrührst, wirst du den Tag verdammen, an dem du geboren bist!“ zischte Olivaro.

Corvo erblaßte. „Schon gut, war ja nicht so gemeint.“

„Dann behalte deine blöden Sprüche für dich.“

Kurz darauf hasteten die Piraten zur Ankerbucht und begaben sich an Bord ihrer Segler. Olivaro ließ den Anker der Karavelle lichten und die Leinen der Schaluppen loswerfen, dann lief der kleine, aber wehrhafte Verband aus – bereit zum Gefecht. Olivaro wollte die Schebecke, und er wollte die fremden Kerle töten.

 

Im Dunkel der Höhlen waren fragende, ängstliche Augenpaare auf Rodrigo Calafuria gerichtet. Der junge Mann kehrte soeben von einer Runde zurück. Er hatte sich als Kundschafter und Späher betätigt. Geduckt schlich er ins Innere der größten Grotte, die den Fischern und ihren Familien als Unterschlupf und Versteck diente.

„Nun?“ sagte Domingo Calafuria. „Hast du etwas entdecken können?“

Rodrigo lächelte grimmig. „Ja. Die Erklärung für die Schüsse und das Krachen von Pulverladungen ist folgende. In der Bucht östlich von unserem Dorf ankert eine Schebecke. Acht Männer gingen an Land. Sechs Piraten überfielen sie. Dabei haben die Piraten den kürzeren gezogen.“

Pamela klatschte in die Hände. „Gut so!“

„Sei still!“ flüsterte ihre Mutter.

„Die fremden Seefahrer haben gute Waffen“, fuhr Rodrigo in seinem Bericht fort. „Und sie verstehen sich zu schlagen. Nur einer von den Piraten hat überlebt. Ich glaube, es ist dieser Kerl, den sie Guzman rufen.“

„Der Teufel soll ihn holen“, sagte Hernán Zorba.

„Olivaro und die Bande sind an Bord der Schiffe gegangen“, sagte Rodrigo. „Sie laufen gerade aus, wohl, um die Schebecke anzugreifen.“

„Wie viele Wächter sind im Dorf?“ wollte Domingo von seinem Sohn wissen.

„Vier.“

„Und sicher sind in unseren Hütten auch noch die beiden Gefangenen“, sagte Domingo. „Ein Mann und ein Mädchen. Wir haben es ja heute nacht erlebt, wie sie zu fliehen versucht haben, nicht wahr?“ Er hatte das Bild noch deutlich vor Augen, wie der Mann das Mädchen mit sich fortzog. „Ihnen haben wir es sogar zu verdanken, daß uns die Flucht gelungen ist. Sie haben uns durch ihr Tun einen Vorsprung verschafft.“

„Na, dann wollen wir mal“, sagte Rodrigo.

„Was habt ihr vor?“ fragte Asuncion Calafuria entsetzt.

„Wir stürmen das Dorf“, sagte Hernán Zorba.

„Ich will mit“, sagte sein verletzter Sohn. Zum Glück hatte es ihn nur an der Schulter erwischt. Eine Fleischwunde.

„Du bleibst hier“, entgegnete sein Vater.

„Dies ist unsere Chance!“ sagte Domingo.

„Ich lasse es nicht zu!“ stieß Asuncion hervor. „Ich will nicht, daß es noch weitere Tote gibt!“

„Es wird keine Toten geben, jedenfalls nicht in unseren Reihen“, erwiderte ihr Mann.

„Die Fremden von der Schebecke sind im gewissen Sinne unsere Verbündeten“, sagte Rodrigo. „Während sie sich mit den Piraten schlagen, haben wir die einmalige Möglichkeit, das Dorf zurückzuerobern. Das dürfen wir nicht versäumen.“

„Wir sind alle dabei“, sagte Zorba. „Wenn die Kanonen donnern, dringen wir ins Dorf ein.“

„Die Frauen und Kinder bleiben natürlich hier“, sagte Domingo Calafuria.

Asuncion erhob sich von ihrem provisorischen Nachtlager.

„Ihr seid wahnsinnig“, sagte sie erregt. „Wollt ihr euch alle ermorden lassen? Das kann doch nicht euer Ernst sein. Das lasse ich nicht zu.“

„Warum wartet ihr nicht ab, bis sich die Piraten und die Fremden gegenseitig die Köpfe einschlagen?“ fragte eine der anderen Frauen.

„Wir können den Ausgang des Gefechtes nicht abschätzen“, entgegnete Domingo so ruhig wie möglich, obwohl er allmählich zornig wurde. „Nehmen wir an, die Piraten siegen. Dann kehren sie in das Dorf zurück, und wir können ewig hier in den Höhlen bleiben.“

Asuncion stemmte die Fäuste in die Seiten. „Nehmen wir an, ihr Männer besetzt jetzt das Dorf. Und die Piraten kehren zurück. Was wollt ihr dann tun?“

„Ihnen eine Falle stellen“, sagte Rodrigo.

„Die Piraten haben ein Waffenlager im Dorf“, fügte Hernán Zorba hinzu. „Wir werden es finden und ausplündern. Und dann gnade Gott diesen Teufeln, wenn sie zurückkehren.“

„Das schafft ihr nie!“ stieß eine andere Frau verzweifelt hervor. „Das kann nicht gut ausgehen!“

„Da seht ihr, wie wenig Vertrauen unsere Frauen in uns setzen“, sagte Zorba.

„Schluß jetzt mit der Debatte“, sagte Domingo Calafuria. „Wir rücken aus – und damit basta.“

„Ich will mit!“ stieß Zorbas Sohn noch einmal hervor. Doch wieder war es sein Vater, der sein Mitwirken bei der bevorstehenden Aktion ablehnte.

Auch Pamela Calafuria wollte die Männer begleiten. Doch ihr Vater und ihr Bruder waren strikt dagegen. Domingo Calafuria, Hernán Zorba und Rodrigo wurden zu den Anführern der Kampfgruppe gewählt.

Als auf See das Grollen von Kanonenschüssen ertönte, griffen sich die Fischer die wenigen Waffen, die sie hatten, und verließen die Höhle. Die Frauen schauten ihnen nach. Sie bekreuzigten sich und beteten.

„Herr, beschütze sie“, flüsterte Asuncion Calafuria.

Dan O’Flynn und Bill entdeckten als erste den Verband der Piratenschiffe, der sich von Westen näherte. Die Dreimastkaravelle und die drei Schaluppen rollten und taumelten in der immer noch aufgewühlten See. Der Wind wehte von Nordwesten und drückte die Segler mit großer Geschwindigkeit ihrem Ziel entgegen.

Daß dieses Ziel die Schebecke war, daran hatte nicht einmal Paddy Rogers, der sonst kein Schnellmerker war, irgendwelche Zweifel. Und der Seewolf handelte. Längst war die Schebecke klar zum Gefecht. Jetzt lichteten die Mannen den Anker. Dann setzten sie die Segel, und das Schiff glitt durch die Kabbelsee aus der Bucht.

Als die Schebecke das offene Meer erreichte, betrug der Abstand zwischen den beiden Piraten nur noch eine halbe Meile. Schon waren die lauten Flüche zu vernehmen, die von Bord der Piratensegler herüberwehten.

„Bei den vorherrschenden Verhältnissen wird es nicht leicht sein, Treffer anzubringen“, sagte Ben Brighton nach einem Blick durch den Kieker zum Gegner.

„Wir haben aber auch die Höllenflaschen und die Brandpfeile“, erwiderte der Seewolf. „Wenn es ganz hart kommt, können wir ein oder zwei Brandsätze abfeuern.“

„Ja, natürlich“, sagte Ben. „Und wir haben noch einen Vorteil. Die Karavelle hat zwar auch Lateinersegel, aber wir sind wendiger und liegen vermutlich höher am Wind.“

Die Mannen gaben grimmige Laute der Genugtuung von sich. Sie waren derselben Meinung – die Schebecke konnte es mit den vier Gegnern aufnehmen. Die Arwenacks hatten schon ganz andere Kämpfe ausgefochten und durchgestanden. Sie würden es diesen Schnapphähnen, die auf Mallorca hausten und versucht hatten, ihnen einen Hinterhalt zu legen, schon zeigen!

Olivaro feuerte den ersten Schuß ab, als die Entfernung zwischen der Karavelle und der Schebecke auf knapp anderthalb Kabellängen zusammengeschrumpft war. Dröhnend sauste die 17-Pfünder-Kugel aus dem Rohr. Etwa zehn Yards vor dem Bug der Schebecke klatschte sie ins Wasser. Eine Fontäne stieg auf und fiel wieder in sich zusammen.

„Das war die Kriegserklärung“, sagte Hasard.

„Feuer frei, Sir?“ fragte Carberry, der mit abgespreizten Beinen auf dem Deck stand.

„Nein, wir warten noch.“ Gelassen beobachtete Hasard den Gegner durch den Kieker.

Die Karavelle verfügte über sechs Culverinen. Sie hatte keine Drehbassen. Auf dem Achterdeck stand ein glatzköpfiger Kerl. Seinem Gebaren nach war er der Anführer. Neben ihm erkannte Hasard einen Mann mit Gesichtsverletzungen.

„Das muß der Kerl sein, der uns entwischt ist“, sagte der Seewolf.

Ferris Tucker grinste. Er hatte ebenfalls einen Blick durch das Spektiv geworfen. „Die Höllenflasche hat ihn ganz hübsch zugerichtet. Na, der wird sich freuen, wenn ihm die nächste Ladung um die Ohren fliegt.“

Die Piraten-Schaluppen, so stellten die Mannen fest, hatten als Armierung nur jeweils zwei Drehbassen, eine vorn und eine achtern. Insgesamt betrug das Aufgebot der Schnapphähne schätzungsweise vier Dutzend Kerle. Gut zwanzig befanden sich an Bord der Karavelle, die anderen an Bord der Einmaster.

Rasch verringerte sich die Distanz zwischen den feindlichen Schiffen. Olivaro verlor die Beherrschung.

„Feuer!“ brüllte er.

Schon zündeten die Kerle die Geschütze der Backbordseite. Drei Kugeln heulten im Donnern der 17-Pfünder auf die Schebecke zu.

Die Arwenacks gingen in Deckung. Doch fast hatten sie es erwartet – die Kugeln trafen nicht. Sie lagen zu kurz. Wirkungslos klatschten sie ins Wasser. Dann krachten auch die Buggeschütze der Schaluppen. Mit dem gleichen Mißerfolg. Wieder hatten die Piraten drei Kugeln vergeudet. Sie gaben ihrer Enttäuschung mit neuerlichen Flüchen Ausdruck.