Seewölfe Paket 23

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3.

Hasard berichtete in dem Stollen von ihrem Stadtbesuch und was er von Pater Augustin erfahren hatte. Zum Schluß sagte er: „Ich habe die Absicht, den ehrenwerten Don Ramón zu schnappen und als Geisel zu benutzen. Meiner Meinung nach ist er ein feiger Mann, das heißt, er wird tun, was ich ihm befehle. Mit den vier Leibwächtern und dem Teniente sollten wir fertig werden – fragt sich nur, wo und wann wir zuschlagen.“

„Kein Problem“, sagte Pater Aloysius voller Heiterkeit. „Nordwestlich von Potosi liegen die warmen Quellen von Miraflores. Dort hat sich der Fettwanst an einem Thermalbad ein luxuriöses Landhaus errichten lassen, das er täglich aufsucht. Teilweise verbringt er dort auch seine Nächte – mit hübschen Indiomädchen, die er für Liebesdienste mißbraucht. In diesem Landhaus könnten wir ihn festsetzen.“

„Wie weit ist es von Potosi entfernt?“ fragte Hasard.

„An die zwölf Meilen, Bruder Hasard.“

Hasard schüttelte den Kopf. „Das ist zu weit weg von der Stadt, denn sie wird es sein, der ich Forderungen stellen werde – über Don Ramón als Sprachrohr. In dem Landhaus sind wir zu weit ab vom Schuß. Aber wir können über ihn herfallen, wenn er in seiner Sänfte zu diesem Landhaus gebracht wird. Dann schleppen wir ihn hierher und zwiebeln ihn ein bißchen, um ihn als unser Sprachrohr auf seine Rolle einzustimmen …“

„Schlage mich als Einstimmer vor, Sir“, sagte Carberry sofort. „Du weißt, daß ich auch den Hundesohn Luis Carrero bestens eingestimmt habe, nicht wahr? Wenn er mich sah, wurde er immer grün in seiner schönen Visage, so grün wie – wie …“

„… Kuhkacke“, ergänzte Dan O’Flynn. Und die Männer einschließlich des Paters Aloysius grinsten.

„Mister O’Flynn“, sagte der Profos mit Würde. „Das sind nicht meine Worte. Ich meinte, so grün wie Gras.“

„Ist ja auch Gras, was die Kuh verdaut“, entgegnete Dan.

„Das ist durchaus richtig, Mister O’Flynn“, erklärte der Profos. „Es muß also heißen, der Hundesohn Luis Carrero wurde so grün wie das von der Kuh verdaute Gras.“

„Kuhkacke klingt besser“, sagte Dan ungerührt. „Das mußt du zugeben, Mister Carberry.“

Der Profos schnaufte verächtlich. „Das ist Vulgärsprache, Mister O’Flynn. Sie ziemt sich nicht …“

Carberry wurde wieder unterbrochen. Aus dem Nebenstollen, wo die Maultiere standen, ertönte ein eindeutiges Geräusch – donnernd und kurz darauf auch riechend.

„Dein Diegolein“, sagte Dan O’Flynn, „in der Vulgärsprache, die sich nicht ziemt. Manchmal frage ich mich wirklich, wie merkwürdig es ist, daß es immer deine Tiere sind, die sich so unflätig äußern.“

„Deine Tiere?“ Der Profos hatte den Kopf vorgeschoben und lauerte. „Was soll das denn heißen?“

„Ich denke da an Sir John, mein lieber Mister Carberry“, erwiderte Dan O’Flynn.

Edwin Carberry, Profos der Arwenack-Crew, schwoll an und pumpte sich voll Luft wie eine Schweinsblase.

„Ich …“, begann er.

Hasard sagte sanft: „Ed, unser Thema hatten wir auf die Gefangennahme des Don Ramón abgesteckt, und ich habe nichts dagegen, daß du ihn auf deine bewährte Art ein bißchen einstimmst, aber nicht mit den Fäusten …“

„Völlig richtig, Sir“, unterbrach ihn Carberry, „völlig richtig. Ich werde dem feisten Rübenschwein nur erzählen, wie ich mit dem Hundesohn unsere Decks aufgewischt habe und daß unsere liebe Plymmie nach seiner Kehle gelechzt hätte. Wäre das was?“

„Etwa so“, erwiderte Hasard lächelnd.

„Alles klar, Sir“, sagte Carberry und schoß einen wilden Blick auf Dan O’Flynn ab. „Und du Kuhkacker wirst nie ein Gentleman!“

„Hab ja auch noch Zeit“, sagte Dan O’Flynn freundlich.

Hasard sagte gelassen: „Ich habe nichts dagegen, daß ihr euer Thema weiterspinnt, wenn wir anderen aufgebrochen sind, um den Dicken zu schnappen. Oder wolltet ihr mit dabeisein?“

„Natürlich muß ich dabeisein“, brummte der Profos.

„Ich auch“, erklärte Dan O’Flynn.

„Das freut mich“, sagte Hasard. „Also weiter. Frage an Pater Aloysius: Du kennst den Weg zu den Thermalquellen – ist das Gelände für einen Überfall geeignet?“

„Es könnte besser nicht sein“, sagte Pater Aloysius. „Und du hast recht, Bruder Hasard. Miraflores liegt für unsere Zwecke zu weit entfernt von Potosi, ganz abgesehen davon, daß das Landhaus Diener, Lakaien und weitere Bewacher beherbergt, die unter Kontrolle gebracht werden müßten. Nein, da ist es richtiger, den Kerl auf dem Weg zum Landhaus zu packen, zumal er da nur von den vier Soldaten und dem Teniente bewacht wird.“

„Gut“, sagte Hasard, „dann schlage ich vor, daß wir sofort aufbrechen. Allerdings brauchen wir einen Freiwilligen, der hierbleibt, um auf unsere Maultiere aufzupassen. Sie müssen ja auch versorgt werden.“ Hasard blickte in die Runde der Männer, die um ihn herumsaß. „Gibt’s einen Freiwilligen?“

Pater David hob den rechten Arm, grinste ein bißchen und sagte: „Wenn Mister Carberry nichts dagegen hat, daß ich auch seinen Diego versorge.“

„Genehmigt, Bruder David“, sagte Carberry sehr großzügig. „Aber du weißt, daß er seine Launen hat, was, wie?“

„Haben wir Menschen die nicht auch?“ fragte der Pater zurück.

„Hm-hm“, brummte der Profos und warf Dan O’Flynn einen schiefen Blick zu. „Du sagst es, Bruder David, und ich bemühe mich ständig, sanft wie ein Reh zu sein und die Vulgärsprache zu vermeiden, die manche Affenärsche als übellaunig auffassen. Dabei ist es nur der Herr, der in mich fährt und mir befiehlt, gewisse Kuhkacker in die Schranken zu weisen.“

„Du lieber Gott“, murmelte Dan O’Flynn und blickte zur Stollendecke hoch.

„In Ordnung“, sagte Hasard energisch, bevor der Profos und Dan O’Flynn erneut das Thema der Vulgärsprache zu erörtern begannen. „Pater David sei gedankt, daß er freiwillig hierbleibt. Nehmt etwas Proviant mit, Männer, und eure Waffen.“ Er grinste zu Jean Ribault hinüber. „Du siehst, Jean, mit der Ruhe ist es bereits vorbei.“

„Hab’s begriffen, Sir“, erwiderte der schlanke Franzose und grinste ebenfalls. „Du hattest wohl doch was auf der Pfanne.“

„Noch mehr, mein Freund“, sagte Hasard. „Wir werden uns über Langeweile nicht zu beklagen haben.“

Der Kontrast zwischen Potosi und der Bergwelt ringsum war nahezu greifbar – hier quirlendes, lautes Leben, dort schweigende Einsamkeit; hier einmalige Prunkbauten, von Menschenhand geschaffen, dort karge Felsen, zum Teil von bizarren Formen, entstanden in einer Zeit, die man die Schöpfungsgeschichte nennt.

Der Trupp unter Führung von Pater Aloysius bezog am frühen Nachmittag eine Lauerstellung in einer kleinen Schlucht, durch die der Weg nach Miraflores zu den Thermalbädern verlief. Sie waren in einem Bogen – Potosi östlich lassend – nach Nordwesten marschiert. Niemand war ihnen begegnet. Man hätte meinen können, es gäbe kein Potosi.

Die Schlucht verlief von Südosten nach Nordwesten. Felsen vulkanischen Ursprungs begrenzten die beiden Seiten, etwa hundert Fuß hoch, zum Teil nackt oder von Flechten und Moosen bewachsen. Es war ein sonniger Tag, aber ein kalter Wind strich von Süden her über das rauhe Bergland und erzeugte zwischen den Felsen einen singenden Ton, flötenähnlich und von eigentümlicher Wehmütigkeit.

Am Fuß der beiden Schluchtseiten lagen Geröllbrocken, zum Teil groß genug, um dahinter Deckung nehmen zu können. Der Platz war ideal für einen Überfall.

Dan O’Flynn war am Schluchtanfang im Südosten auf einen Felsturm geklettert, von dem aus er den ganzen südlichen Bereich einschließlich der Route nach Miraflores überblicken konnte. Am Nachmittag meldete er das Herannahmen der Sänfte, die wieder von sechs Indios getragen wurde. Eine weichgefederte Prunkkarosse mit prächtigen Pferden wäre dem Dicken mit dem Froschgesicht wahrscheinlich lieber gewesen – weil schneller und aufwendiger –, aber die Route zwischen Potosi und Miraflores war nichts weiter als ein Trampelpfad und völlig ungeeignet für ein Gefährt auf Rädern.

„Keine Knallerei, Leute!“ sagte Hasard noch einmal. „Setzt die Pistolengriffe ein, das genügt. Außerdem sind wir in der Überzahl.“

Die Männer nickten und verschwanden hinter den Steinbrocken – fünf auf der einen und fünf auf der anderen Seite.

Die Sänfte wurde von der vierköpfigen Leibwache und dem Teniente eskortiert. Die Tätigkeit des Teniente bestand darin, die sechs Indios anzutreiben. Er benutzte dazu eine Reitgerte mit einem sehr fein ziselierten silbernen Griffstück. Von dem, was das Ding gekostet hatte, wären vermutlich ein paar Indiofamilien für einige Wochen satt geworden.

„Vorwärts, ihr faulen Hunde!“ krähte der Gockel-Teniente. „Hier wird nicht geschlafen! Schneller, schneller!“ Die Reitgerte pfiff durch die Luft und fetzte über einen Indiorücken, einen aufquellenden Striemen hinterlassend.

Im Vergleich zum Tampen war diese Reitgerte eine höllisch scharfe Sache, dem schnappenden Zubiß einer Schlange nicht unähnlich. Der Indio war zusammengezuckt und hatte einen kurzen Schmerzlaut ausgestoßen.

„Hier wird nicht gejammert!“ schrie der Gockel-Teniente. „Das beleidigt die Ohren unseres Gouverneurs, du Mißgeburt eines Affen!“ Und er schlug noch einmal zu – auf dieselbe Stelle. Es schien ihn zu entzücken, daß die Haut jetzt aufplatzte, denn er stieß ein meckerndes Lachen aus. Dieser Manuel de Olivella war nicht nur ein dummer Laffe, wie ihn Pater Augustin bezeichnet hatte, sondern auch ein Sadist. Ob sein meckerndes Lachen die Ohren des Gouverneurs „beleidigte“, war nicht festzustellen.

Den sechs Indios lief der Schweiß über die ausgemergelten Gesichter. Zu der Last der Sänfte mit dem dicken Gouverneur schleppten sie auch noch das Gewicht ihrer jeweiligen Kette, mit der sie an die Sänfte gefesselt waren. Drei waren vorn „vorgespannt“, drei hinten. Jeder von ihnen umklammerte einen Holm. Zusätzlich verlief ein breiter Ledergurt quer über ihre Schultern hinunter zu den sechs Holmen.

 

Der hohe Herr wurde also „sechsspännig“ getragen – zu wenig für den schweren Prunkkasten. Die sechs Indios schufteten sich die Seele aus dem Leib und die Lunge aus dem Hals.

„Schneller, schneller!“ gellte die Stimme des Schinders. „Eins-zwei! Eins-zwei! Wollt ihr wohl laufen, ihr dreckiges Pack?“

Sie keuchten, und die Ketten klirrten.

Die Sänfte erreichte die Mitte der Schlucht.

„Ihr kriegt nichts zu fressen, ihr verlausten Affen!“ schrie der Schinder. „Ich werde …“

Eine helle Stimme unterbrach ihn. Sie klang wie ein Trompetenstoß.

„Drauf, Männer!“

Zehn Gestalten schnellten links und rechts der Schlucht hinter Felsen hervor wie rasende Teufel, überbrückten die kurze Distanz bis zur Sänfte mit zwei, drei langen Sätzen und fielen über die Eskorte her.

Dumpf dröhnten Pistolengriffe auf Helme und trieben sie tief über Gesichter, deren Glotzaugen verständnislos aufgerissen waren. Musketen polterten auf den felsigen Boden, die Kerle sackten in sich zusammen, ohne überhaupt reagiert zu haben. Der blitzschnelle Überfall hatte sie total überrumpelt.

Innerhalb von einer halben Minute waren sie mit Lederriemen gefesselt.

Die sechs Indios hatten die Sänfte mit einem Ruck abgesetzt. Sie blickten sich scheu um.

Aus der Sänfte erklang die zeternde Stimme des dicken Gouverneurs.

Carberry riß die Tür auf.

„Aussteigen!“ bellte er. „Hopphopp, du Froscharsch! Die Reise ist zu Ende! Fallen Anker, klar?“

„Gehen Sie weg, Sie Unhold!“ kreischte der Dicke. „Ich bin der Gouverneur! Teniente! Verhaften Sie diesen Menschen!“

Carberry langte in die Sänfte und knurrte: „Dir werd’ ich helfen – von wegen Unhold, du vollgefressener Speckkloß!“

Don Ramón sah die behaarte Riesenpranke, die ihn vorn an der Brust packte, und begann zu quieken wie ein angestochenes Ferkel. Gleichzeitig strampelte und zappelte er, als ihn eine unheimliche Kraft nach draußen zog. Er fiel aufs Gesicht, quiekte in noch höheren Tönen, wurde hochgezerrt und empfing von der Riesenpranke eine Maulschelle, die ihm schier den Kopf abriß.

Die Maulschelle beendete das Quieken. Dafür folgte ein Schluchzen, und dann heulte Don Ramón de Cubillo, seines Zeichens Provinzgouverneur und damit unumschränkter Herrscher über Tausende versklavter Indios, los wie ein kleines Mädchen, das von einem bösen Buben an den Zöpfen gezogen worden war.

Er plärrte also, und Carberry war fassungslos.

Der Profos faßte sich erst wieder, als ihn der Dicke angreinte: „Sie haben mir weh getan, Sie Schlimmer!“

Da grinste der Profos und säuselte: „Ei-ei-ei, hat der böse Onkel dem Dickerchen was aufs Bäckchen geklopft, ja, ei der Daus! Soll ich das Doktorchen holen, um das Wehwehchen zu heilen?“ Und dann röhrte der Profos: „Du fängst gleich noch eine, du aufgeschwemmte Pißnelke …“

„Na, na, na, Mister Carberry“, mahnte Dan O’Flynn grinsend. „Denk an die Vulgärsprache …“

„Der Zorn des Herrn ist in mir“, sagte Carberry aufgebracht und fuhr den Dicken an: „Hör auf zu jammern, du Heulphilipp, sonst muß ich aus deinem Hintern Speckwürfel schneiden und sie dir ins Froschmaul stopfen!“

Der Dicke stierte zu ihm hoch, seine Augen quollen beängstigend aus den Höhlen, sein Mund bewegte sich schnappend wie ein Fischmaul, dann verdrehte er plötzlich die Augen – und fiel um.

„Du hast ihn verschreckt“, sagte Dan O’Flynn, „und darum ist er weggetreten. Vergiß nicht, ihm sein Säbelchen abzunehmen. Am besten, wir durchsuchen ihn gleich von oben bis unten.“

Carberry nickte, und sie beugten sich über den Dicken.

Inzwischen hatten Pater Aloysius und Karl von Hutten bereits die Indios beruhigt, die erst allmählich begriffen, daß für sie die Stunde der Freiheit geschlagen hatte. Hasard filzte den Teniente und fand einen Schlüssel, der in die Kettenschlösser paßte. Im Nu waren die Indios befreit. Pater Aloysius empfahl ihnen, das Weite zu suchen und Begegnungen mit Spaniern zu vermeiden. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Mit glücklichen Gesichtern überkletterten sie den Westhang der Schlucht, winkten oben noch einmal und verschwanden.

Jean Ribault starrte auf die Sänfte und kratzte sich hinter dem Ohr.

„Die sollten wir verschwinden lassen, wie?“ sagte er zu Hasard.

Hasard nickte. „Aber durchsucht sie erst – hinten scheint eine Art Reisetruhe eingebaut zu sein.“ Und zu Stenmark sagte er: „Lauf mal voraus, Sten! Da vorn links ist ein Einschnitt, vielleicht eine Nebenschlucht, wo wir die Sänfte verstecken können.“

„Aye, Sir.“ Stenmark trabte ab, um nachzusehen.

Matt Davies hatte bereits mit seiner eisernen Hakenprothese die Reisekiste aufgeknackt und schaute mit Jean Ribault und Gary Andrews hinein. Jean Ribault drehte sich grinsend zu Hasard um.

„Ledersäcke, Sir!“ sagte er. „Du hast eine gute Nase.“

Hasard zuckte mit den Schultern, lächelte dann und sagte: „Laß mich raten! Ich tippe auf Silbermünzen mit der Potosi-Prägung.“ Dann wurde er wütend und knurrte: „Diesen Silberscheiß müssen die Indios also auch noch schleppen, wenn sie den Fettsack durch die Gegend tragen.“

Jean Ribault hob den rechten Zeigefinger und drohte. „Silberscheiß ist Vulgärsprache, Sir! Laß das nicht Mister Carberry hören!“

Hasard hob fluchend die Reitgerte des Teniente de Olivella auf und ließ sie durch die Luft pfeifen.

„Ich glaube“, sagte er grimmig, „über diesen ganzen Mist hier kann man sich nur noch vulgär äußern.“ Er holte Luft. „Also, was befindet sich in den Säcken?“

„Silbermünzen mit Potosi-Prägung!“ meldete Matt Davies und fügte hinzu: „Möchte nicht wissen, was der Dicke alles in seinem Landhaus gestapelt hat, wenn er sich täglich dorthin tragen läßt. Die Talerchen hat er doch abgestaubt, der Bastard!“

„Kein Widerspruch“, knurrte Hasard. „Nehmt mit, was ihr tragen könnt. Den Rest werfen wir weg.“

Stenmark kehrte zurück und meldete: „Nebenschlucht mündet an einem Abhang, der ziemlich steil ist. An seinem Fuß liegt ein Tümpel.“

„Also hinein mit der Sänfte“, sagte Hasard. „Packt an, Männer! Dan bleibt als Wache hier.“

Sie holten sechs Ledersäcke aus der Reisekiste, die eine Schatzschatulle war, verteilten sich an den Holmen, lüfteten die Sänfte an und trugen sie an den Abhang der Nebenschlucht. Von dort wurde sie nach unten gestoßen. In der Reisekiste befanden sich noch weitere sechs Ledersäcke. Die Sänfte klatschte in den Tümpel und ging blubbernd auf Tiefe.

„Der Schatz im Silbersee“, brummte Carberry und blickte sinnig auf die fast schwarze Wasserfläche, die sich wieder beruhigte. „Wer ihn findet, möge auf uns einen Rum trinken – wenn’s kein Don ist. Und wenn’s ein Don ist, möge er später in der Hölle braten.“

„Amen“, sagte Matt Davies. „Verdammt schwer war diese Sänfte, was?“

„Das erzähl mal dem dicken Froscharsch“, sagte Carberry.

Sie kehrten zu ihren fünf Gefangenen zurück.

„So allmählich wachen sie auf“, sagte Dan O’Flynn, „und sind überhaupt nicht fröhlich, daß ihr Wachdienst beendet ist. Und unser Dicker ist nur am Bibbern.“

Hasard nickte nur. Er hatte immer noch die Reitgerte bei sich und blieb vor dem Teniente stehen, der zu ihm hochstarrte und verwirrt sagte: „Sie – Sie sind doch der Pilger!“

Hasard ignorierte die Frage, musterte die vier anderen Soldaten, den dicken Gouverneur und schließlich den Teniente.

Kühl sagte er: „Sie haben sich als Gefangene zu betrachten, Señores. Ihre Überlebenschance hängt von Ihrem Verhalten ab. Sollten Sie sich renitent zeigen oder versuchen zu fliehen, dann haben Sie keine Rücksichtnahme zu erwarten – so wenig Rücksicht, wie Sie das gegenüber den Indios tun, die Ihr Teniente als faule Hunde, dreckiges Pack und verlauste Affen bezeichnete, wobei er sich dieser Reitgerte bediente. Hören Sie genau zu: Für meine Männer und mich sind sie der letzte Dreck. Die Indios stehen weit über Ihnen …“

„Unverschämtheit!“ schrie der Gockel-Teniente und bäumte sich auf. „Was erlauben Sie sich, Sie Pilger-Strolch? Ich lasse mich nicht beleidigen! Ich bin Offizier und Edelmann und nicht mit einem Wilden zu vergleichen. Ich verlange Genugtuung! Sofort! Auf der Stelle!“

„Das können Sie haben“, sagte Hasard akzentuiert und eiskalt. Er nickte Carberry zu. „Lös seine Fesseln, Ed, und gib ihm seinen Degen.“

Carberry nickte schweigend, löste die Fesseln und warf dem Teniente den Degen vor die Füße.

Die Männer wichen zurück.

Hasard nahm die Reitgerte in die linke Hand, zog mit der Rechten das Entermesser und trat ein paar Schritte zurück, belauert von dem Teniente. Der griff nach dem Degen und sprang auf. Und sofort stürmte er auf Hasard los.

Hasard wich zur Seite, leicht und geschmeidig und locker. Aber als der Teniente an ihm vorbeistürmte, zog er ihm die Reitgerte über die Schulter. Es war ein peitschender Schlag, und der Teniente brüllte auf.

„Hier wird nicht gejammert!“ rief Hasard höhnisch. „Das beleidigt die Ohren des Gouverneurs, du Mißgeburt eines Affen!“

Es waren genau die gleichen Worte, die der Teniente benutzt hatte – gegenüber dem mißhandelten Indio.

Mit einem Wutschrei griff der Teniente erneut an. Hasard hatte Reitgerte und Entermesser gewechselt. Jetzt befand sich die Reitgerte in seiner Rechten. Und er glitt wieder zur Seite, fetzte dem Teniente jedoch dieses Mal die Gerte quer übers Gesicht. Wie bei dem Indio quoll ein Striemen auf.

Der Teniente schrie gellend und wischte sich übers Gesicht.

„Nicht jammern – kämpfen!“ höhnte Hasard. „Sie fühlten sich doch beleidigt, Sie Affe! Was ist? Geben Sie schon auf, nur weil Sie zweimal von Ihrer eigenen Gerte getroffen wurden, mit der Sie auf wehrlose Indios eingedroschen haben, die Ihren verdammten Gouverneur tragen mußten? Wie schmeckt denn die Gerte? Gut, nicht wahr? Keine Sorge, ich werde Ihren Appetit stillen, Olivella! Ich, der Pilgerstrolch, Sie mieser Edelmann!“

Die Soldaten glotzten.

Das Gesicht des Dicken hatte die Farbe von Spinat angenommen. Er schnatterte mit den Zähnen, seine Halswampe zitterte wie Pudding, über das grüne Gesicht perlte Schweiß.

Hasard sprang vor, und wieder schlug er mit der Reitgerte zu. Jetzt schrie auch der Dicke auf – unisono mit seinem Teniente, der sich für den Nabel der Welt hielt und dabei ein Sadist war. Carberry hielt dem Dicken die rechte Faust unter die Nase, und da verstummte er.

Der Teniente hüpfte herum und preßte beide Hände vors Gesicht. Den Degen hatte er fallen lassen. Hasard beförderte die Waffe mit einem Fußtritt zu ihm hin. Angewidert warf er die Reitgerte weg. Das Entermesser wechselte in seine Rechte.

„Vorwärts, Señor Affe!“ knurrte er. „Bringen wir’s zu Ende, bevor ich das Kotzen vor Ihrer Großmäuligkeit kriege!“

Undeutlich brabbelte der Teniente: „Und Sie stoßen mich nieder, wenn ich meinen Degen aufhebe!“

„Ich heiß ja nicht Olivella“, sagte Hasard eisig und trat mehrere Schritte zurück.

Der Teniente bückte sich rasch, griff nach dem Degen und attackierte. Mit Gebrüll, versteht sich. Vielleicht hatte man ihm auf der Fechtschule in Toledo gesagt, das Gebrüll wirke auf den Gegner demoralisierend, und er bekäme das große Zittern.

Im Falle dieses Gegners traf das nicht zu. Was indessen zitterte, war dessen Entermesser, das schwirrende, silbrige Reflexe durch die Luft zeichnete. Und dann war da plötzlich dieser tiefe Schmerz in der Brust. Die Sonne gleißte auf einer Klinge. Sie blendete, und der Teniente schloß die Augen vor dem grellen Licht. Der Schmerz wurde scharf, riß ab, und es wurde dunkel.

Der Teniente sank zu Boden. Den Himmel über sich sah er nicht mehr. Wenn er eine Seele gehabt hatte, dann wanderte sie jetzt auf dem schmalen Grat dorthin, wo sich die Guten und die Bösen trennten. Die einen gingen ins Helle, die anderen versanken im Dunkel. Die Helligkeit war nicht für den Teniente geschaffen.

Hasard starrte schweigend auf ihn hinunter. Er hatte den Kopf gesenkt und dachte an den Indio, den die Reitgerte zweimal an derselben Stelle getroffen hatte, an den Indio, der gedemütigt und verhöhnt worden war, an den Indio, über dessen blutigen Rücken der Teniente meckernd gelacht hatte. Und er dachte an die Indios im Berg, an die Geschundenen und Gemordeten.

Der Wind strich wehklagend durch die Schlucht.

 

Hasard hob den Kopf, verstaute sein Entermesser, beugte sich zu dem Teniente, drehte ihn etwas und packte ihn am Genick. Carberry wollte ihm helfen, aber Hasard winkte ab.

„Das ist meine Sache, Ed“, sagte er leise. „Klart hier inzwischen auf. Nichts darf darauf hindeuten, was in der Schlucht passiert ist.“

„Aye, Sir“, murmelte der Profos.

Hasard schleppte den Teniente in die Nebenschlucht, legte ihn in eine Felsspalte, sammelte Steine und häufte sie über den Toten. Dann trat er noch einmal an den Steilhang und schaute zu dem Tümpel hinunter. Von der Sänfte war nichts zu sehen.

Die Männer waren abmarschbereit, als er zurückkehrte.

„Was – was geschieht jetzt?“ fragte der Dicke ängstlich.

„Wir marschieren zu unserem Standquartier, das wir im Cerro Rico aufgeschlagen haben“, erwiderte Hasard kühl.

„Ich auch?“ fragte der Dicke entsetzt.

„Natürlich. Oder bilden Sie sich ein, wir tragen Sie?“

„Ich – ich kann nicht laufen“, jammerte der Dicke. „Ich bin gehbehindert. Der Arzt hat mir Schonung verordnet. Ich habe ein schwaches Herz und leide unter Kurzatmigkeit.“

„Was meinen Sie wohl, was mich das interessiert“, sagte Hasard eisig. „Es interessiert mich so wenig, wie es Sie interessiert, ob die Indios in Ihrem verfluchten Berg qualvoll krepieren. Ein Schlächter und Schinder wie Sie hat kein Mitleid verdient, ganz abgesehen davon, daß Sie nur simulieren, weil Sie zu faul sind, ein paar Schritte zu laufen.“ Hasard schaute zum Profos. „Ist die Reitgerte noch da, Ed?“

„Hier, Sir!“ Carberry zog die Gerte mit dem schönen silbernen Griffstück aus dem Leibgurt und ließ sie genußvoll durch die Luft pfeifen, so daß der Dicke zusammenzuckte.

„Wenn er nicht laufen will“, sagte Hasard langsam und deutlich, „dann habe ich nichts dagegen, daß er einmal selbst spürt, wie es ist, wenn die Gerte über seinen Rücken tanzt. Was den Indios recht zu sein hatte, sollte ihm billig sein.“

„Das – das ist barbarisch!“ sagte der Dicke ächzend.

„Da stimme ich Ihnen zu, Señor“, sagte Hasard. „Und ich beglückwünsche Sie zu dieser Erkenntnis, auch wenn sie reichlich spät erfolgt und offenbar für die Indios keine Gültigkeit hatte. Vorwärts, Männer!“

Für Don Ramón de Cubillo wurde der Marsch zu einem Alptraum. Die Soldaten verhielten sich fügsam. Sollten sie tatsächlich „harte Burschen“ sein, wie Pater Augustin gesagt hatte, dann war ihnen wohl inzwischen klargeworden, daß diese zehn Männer noch härter waren – gewissermaßen aus Eisen.