Seewölfe Paket 23

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

2.

Pater Aloysius und Hasard umgingen den Cerro Rico und betraten die Stadt von Westen her. Niemand hielt sie auf oder kümmerte sich um die beiden Männer. Der Pater hatte seine Bergkleidung abgelegt und trug jetzt seine Kutte.

Es war doch erstaunlich, wie die Leute, denen sie begegneten, auf den Gottesmann reagierten. Man neigte den Kopf oder trat zur Seite, um dem Kuttenmann seine Reverenz zu erweisen. Pater Aloysius nickte gelassen oder hob leicht die rechte Hand.

„Es gibt auch weiße Schafe unter den Spaniern“, sagte er leise zu Hasard, „und es sind nicht eben wenige.“

„Ich weiß“, sagte Hasard ebenso leise, „dennoch bleibt unverständlich, warum sich die vielen weißen Schafe immer wieder von den paar schwarzen Schafen auf der Nase herumtanzen lassen.“

„Damit müssen wir leben“, sagte Pater Aloysius.

„Ja, leider“, murmelte Hasard und schaute sich um. „Ich wundere mich, daß die Stadtzugänge nicht bewacht werden, und hatte gedacht, wir müßten uns heimlich einschleichen.“

Pater Aloysius schüttelte den Kopf. „Sie fühlen sich absolut sicher. Von den Indios droht keine Gefahr – im Umkreis bis zu achtzig oder hundert Meilen gibt es kaum noch welche und wenn, dann leben sie versteckt und zurückgezogen oder haben sich Ausweichmöglichkeiten geschaffen wie unsere Leute im Tacna-Tal. Und die hier versklavten Indios führen ein viel zu erbärmliches Dasein, um noch die Kraft zum Rebellieren zu haben. Außerdem stehen sie Tag und Nacht unter Bewachung. Und Räuberbanden haben sich hier noch nicht blicken lassen. Potosi liegt zu weit von der Küste oder anderen großen Städten entfernt. Du weißt selbst, Bruder Hasard, wir haben fast einen Monat für unseren Marsch hierher gebraucht.“

Hasard nickte. Jetzt hielt er doch etwas den Atem an, denn diese Stadt in dreizehntausend Fuß Höhe inmitten einer einsamen Bergwelt war schlichtweg überwältigend. Sie erschlug einen. Die Städte, die er kannte, waren dagegen armselige Schatten. Das Wort „Potosi“ war gleichbedeutend mit Reichtum, Prunk und Luxus. So etwas hatte er noch nicht gesehen.

Ja, draußen vor der Stadt hatten ein paar armselige Hütten gestanden – als seien sie aussätzig. Hier jedoch herrschten die Steinbauten vor, versehen mit ornamentalen Fassaden, mit Nischen, Bögen, Simsen und Säulen, mit kunstvoll geschmiedeten Portalen, mit vorkragenden hölzernen Erkern und Balkons, deren Balkenwerk mit Schnitzereien von Meisterhand verziert war.

Hier mußten Kunstschmiede, Holzschnitzer und begabte Steinmetze am Werk gewesen sein. Ein Gebäude war prächtiger als das andere, ob es nun ein Bürgerhaus oder ein Kirchenbau war. Da war ein Haus aus rosa getöntem Gestein errichtet, ein anderes wiederum bestand aus geschliffenen Granitblöcken, die wie Zinn schimmerten. Für ein drittes Haus war grünlicher Marmor verwandt worden.

Dort öffnete sich ein zierliches Portal, eine schwarzhaarige Schönheit tippelte die Marmorstufen hinunter, schaute nach rechts und links, streifte die beiden Männer mit einem hochfahrenden Blick, rümpfte das gepuderte Näschen, schwenkte die Hüften und schritt stadtwärts. Alles an diesem Wesen schien zu glitzern – von den Diademen im Haar über die Ohrringe, die Halsketten, die Ringe an den Fingern, die Perlknöpfe an der Mantilla bis zu den Schuhen mit den silbernen Spangen.

Hasard starrte.

Pater Aloysius stieß ihn sanft an und räusperte sich.

„Nur eine Hure, Bruder Hasard“, sagte er. „Sie tragen Kleider aus Damast und Seide, golden und silbern bestickt. Die Gewebe stammen aus Granada, Flandern und Kalabrien, die Hüte aus Paris und London, die Diamanten aus Ceylon, die Edelsteine aus Indien, die Perlen aus Panama, die Strümpfe aus Neapel, die Parfüms aus Arabien. In den Häusern haben sie Teppiche aus Persien, Gläser aus Venedig und Porzellan aus China. Die Señores, denen sie diesen Aufwand zu verdanken haben, tragen die besten bestickten Tuche aus Holland, ihre Prunkdegen beziehen sie aus Toledo, Sattelwerk und Steigbügel ihrer Pferde sind aus reinstem Silber.“

„Mein Gott“, murmelte Hasard.

Pater Aloysius lächelte still.

„Was hattest du erwartet, Bruder?“ sagte er. „Dachtest du, hier Bettler zu sehen? Die gibt es nicht. Es gibt nur Reiche und Arme – die letzteren sind die Indios, vor allem jene, die im Berg schuften, damit sich jene Hure dort in Samt und Seide kleiden und mit dem Schmuck dieser Welt behängen kann. Sicher, bei den Reichen, wie ich sie nannte, sind Unterschiede anzumerken, aber die entsprechen mehr dem jeweiligen Stand. Unter ihnen sind Feldkapitäne und Soldaten, Mönche und Asketen, Abenteurer und Spieler, Huren wie jene und Edeldamen, Kaufleute und Beamte. Nur – sie hungern nicht, sie vegetieren nicht, sie arbeiten nicht bis zum körperlichen Zusammenbruch. Sicher auch gibt es hier das, was man als den Pöbel bezeichnet. Aber dann ist es der reichste Pöbel dieser Welt, weil er vom Tisch der Reichsten schmarotzt wie die Made im Speck. Das Silber aus dem Berg fließt durch Hunderte von offenen Händen, die alle schmutzig sind.“

„Und wo sind die weißen Schafe?“ fragte Hasard.

„Überall“, erwiderte Pater Aloysius ruhig. „Sie haben sich nur verblenden lassen. Eines Tages werden sie aufwachen.“

Sie schritten durch die Calle Ayacucho, die nach Osten verlief. Pater Aloysius deutete nach links voraus.

„Dort vorn siehst du die Moneda, Bruder, die Münze“, sagte er. „Dorthin wird das Silber aus dem Berg transportiert und zu Münzen geschlagen oder in Barren gegossen. Schau sie dir genau an, diese Silberwerkstatt. Von dort nimmt alles seinen Lauf – bis hinüber nach Spanien in die Alte Welt, in der dieses Silber seine mächtige und verderbliche Rolle spielt.“

Sie waren stehengeblieben, und Hasard schaute in die Richtung, in die Pater Aloysius gewiesen hatte. Auf Anhieb wirkte das Gebäude der Münze düster und drohend und so ganz anders als die benachbarten Bauten. Wie eine Festung, dachte Hasard.

Ein riesiger Torbogen bildete den Zugang ins Innere – einen Innenhof von der Größe einer kleinen Plaza, in deren Mitte ein fast orientalischer Brunnen aufragte. Das schmiedeeiserne Gitter in dem Torbogen war geöffnet. Links und rechts des Gitters stand je ein Posten. Ja, dieses Heiligtum wurde bewacht, wenn auch nur von zwei Soldaten.

Es tat sich etwas, denn die beiden Soldaten hatten das Kreuz durchgereckt und waren zu Standbildern erstarrt. Die Leute rechts der Straße hingegen begannen, sich wie Marionetten zu verbeugen.

Rechts? Was war denn da?

„Die Plaza“, raunte Pater Aloysius. „Dort befindet sich auch das Rathaus.“

Sie gingen ein Stück weiter in Richtung der Münze. Dann blieben sie wieder stehen – jetzt ebenfalls Marionetten in einem unbekannten Spiel, in welchem sich die so vornehm und aufwendig gekleideten Spanier – auch die Damen – plötzlich tief verneigten, als wehe der Mantel des Herrn an ihnen vorbei.

Von der Plaza wurde eine Sänfte zur Münze getragen – von sechs Indios, die an diese Sänfte gekettet waren wie Pferde oder Maultiere an eine Kutsche. Es war eine prächtige Sänfte, vergoldet, verziert, funkelnd, spiegelnd. Prächtig waren auch die Soldaten, die diese Sänfte eskortierten – wippende Federbüsche zierten ihre Eisenhelme. Oder waren die gar aus Silber?

Gar nicht prächtig sah der Mensch aus, den man durch die blitzenden Fenster im Inneren der Sänfte erkennen konnte. Er blickte starr vor sich hin und nahm keine Notiz von den ehrenwerten Señores, Señoras und Señoritas, die ihm mit Verbeugungen, Knicksen und Kopfneigen tiefsten Respekt bekundeten.

„Don Ramón de Cubillo, der Provinzgouverneur“, flüsterte Pater Aloysius und fügte respektlos und fast etwas lauter hinzu: „Das größte Arschloch südlich von Lima!“

Hasard zuckte direkt zusammen. Dieser Pater war immer so geradeheraus. Aber es stimmte, auch wenn Hasard diesen Menschen anders beschreiben würde.

Ein fetter Kerl mit einem Froschgesicht saß in der Sänfte. Und mit diesem Froschgesicht stierte er trüb und grämlich vor sich hin, das breite Froschmaul nach unten gebogen, als sei die Jagd nach dicken Fliegen und Brummern ergebnislos gewesen. Auf seiner Stirn perlte sogar Schweiß.

Hatte er Sorgen, der Ärmste? Ein dürrer, aber dennoch sehr fein herausgeputzter Teniente stelzte hinter der Sänfte her wie ein unterernährter Gockel hinter dem Rest seiner ansonsten davongelaufenen Hennen. Er meinte wohl, etwas für den Frosch in der Sänfte tun zu müssen.

Er reckte den dünnen Hals und krähte: „Es lebe der Gouverneur!“

Deswegen liefen die sechs Indios auch nicht schneller. Die soldatische Eskorte hingegen, die Señores, Señoras und Señoritas wiederholten den Gockelruf, aber Hasard hatte den Eindruck, daß die Stimmen der Señores keineswegs schmetternde Trompeten waren – und den Damen hüpfte auch kein Busen aus der Garnitur, als sie ihren Gouverneur „leben“ ließen.

Sehr müde war das alles.

Und sehr müde, wenn auch jovial, winkte Don Ramón nach links und nach rechts. Seine Patschhand war mit funkelnden Ringen besteckt. Vielleicht war deren Gewicht zu schwer, um freudig zu winken. Aber da saß kein Schwung dahinter, nicht ums Verrecken. Und er starrte auch weiter aus Froschaugen trübe vor sich hin.

Der Teniente blieb ruckartig stehen – vor Pater Aloysius.

„Ich habe gesehen“, schnarrte er, „daß Sie dem verehrten Gouverneur nicht gehuldigt haben!“

Pater Aloysius lächelte den Teniente milde an und sagte: „Ich huldige dem Herrn, Bruder Teniente, und unseren verehrten Gouverneur schließe ich in mein Gebet ein, das da lautet: Gebet, so wird euch vergeben! Und der Bruder Lukas, der dies sagte, fügte hinzu: Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, da ihr mit messet, wird man euch wieder messen.“

 

„Äh!“ sagte der Teniente und noch einmal: „Ah!“ Er konnte mit dem, was der Bruder Lukas verkündet hatte, wohl nicht viel anfangen. Dafür musterte er jetzt Hasard, zog die Augenbrauen hoch und schnarrte: „Und wer sind Sie?“

„Ein Pilger, Señor Teniente“, sagte Hasard freundlich. „Der Pater und ich befinden sich auf dem Weg nach Jerusalem.“

„Was – was? Wie?“ Der Gockel hatte Schluckbeschwerden und ruckte mit dem Kopf, als picke er nach einem Wurm. „Jerusalem? Das liegt doch woanders – äh – in Palästina!“

„Wir haben, um den Herrn zu erfreuen, den weitesten Weg genommen“, erläuterte Pater Aloysius.

„Verrückt!“ schnappte der Teniente, zuckte herum und stelzte mit eiligen Schritten hinter der Sänfte her.

Hasard und der Pater wechselten einen schnellen Blick und hatten Mühe, nicht ein donnerndes Gelächter anzustimmen. Aber das wäre fehl am Platze gewesen.

Die Sänfte verschwand im Innenhof der Münze. Die beiden Standsoldaten erwachten wieder zum Leben und verschlossen das schmiedeeiserne Tor.

„Der Bastard ist zu vollgefressen und zu faul, vom Rathaus zur Münze zu Fuß zu gehen“, sagte Pater Aloysius. Dann zog ein Grinsen über sein scharfkantiges Gesicht. „Hast du seine grämliche Miene gesehen, Bruder Hasard? Sie stimmt mich heiter. Ihn zwicken und zwacken die Sorgen, das ist es. Denn es hapert mit dem Nachschub für die Mine – keine Arbeitskräfte, kein Silber. So einfach ist das. Und er muß befürchten, daß ihm der Vizekönig in Lima aufs Dach steigt, wenn die Silberlieferungen immer spärlicher werden.“

Hasard nickte. Ein noch vager Plan ging ihm durch den Kopf.

Sie überquerten die Calle Lanza, die nach Süden auf den Silberberg zuführte, und stießen auf die Plaza, wo zur Zeit ein Markt abgehalten wurde. Nördlich der Plaza ragte die Kathedrale auf, ein imposanter Bau, der die anderen Prachtbauten noch in den Schatten stellte. Ja, natürlich, auch die Kirche hatte Geld und konnte es mit vollen Händen ausgeben.

Pater Aloysius steuerte auf die Kathedrale zu.

„Nanu!“ sagte Hasard etwas verwundert. „Willst du Zwiesprache mit dem Herrn halten, Bruder?“

Der Pater lächelte. „Das nicht – und dazu ist mir das Gotteshaus dort zu pompös. Nein, wir werden Pater Augustin aufsuchen, einen Bruder meines Ordens. Er hat das Ohr am Puls der Stadt. Im übrigen ist er ein erbitterter Gegner der ‚Encomienda‘. Du weißt, was das ist?“

„Nur ungefähr.“

Pater Aloysius sagte: „Es ist ein System, das den Spaniern in der Neuen Welt aufgrund eines königlichen Dekrets das Recht verleiht, Indianer als Zwangsarbeiter zu rekrutieren, ohne daß diese für ihre Arbeitsleistungen entlohnt zu werden brauchen. Praktisch hat das zur Ausbeutung der Indianer geführt – und zu ihrer Ausrottung.“

„Und was tut dieser Pater Augustin gegen das System?“ fragte Hasard.

Pater Aloysius seufzte. „Er kann nicht viel tun. Er hat Kontakte zu den Indios im Berg – frag mich nicht, auf welche Weise. Ich weiß es nicht, und es ist auch gefährlich, etwas zu wissen. Aber er schmuggelt heimlich Lebensmittel in den Berg und hat ein paarmal flüchtige Indios verstecken können, die ausgebrochen waren. Er versucht, die Situation der Ärmsten im Berg zu verbessern. Nun, es ist ein Tropfen auf den heißen Stein, aber besser, als die Hände in den Schoß zu legen.“

Hasard schwieg. Er dachte nur, daß es zu wenige waren, die sich gegen dieses mörderische menschenverachtende System stemmten.

Sie fanden den Pater in einem Nebenraum der Kathedrale, wo er an einem Stehpult stand, einen Folianten vor sich, in den er mit einem Schreibkiel etwas eintrug.

Er war ein schwerer, kräftiger Mann mit einem starken Nacken, einem kantigen Gesicht und einem harten Kinn. Aber in seinen braunen Augen schimmerte Wärme. Und jetzt leuchteten sie auf, als er Pater Aloysius erkannte.

„Bruder Aloysius!“ rief er aus. „Was für eine Freude!“

Sie umarmten sich und klopften sich auf die Schultern. Dann deutete Pater Aloysius auf Hasard und sagte nur: „Ein Freund unserer Brüder im Tacna-Tal, wo er verhinderte, daß Pater Franciscus zu Tode gemartert wurde.“

Das Gesicht Pater Augustins wurde hart, und er trat einen Schritt zurück.

„Was sagst du da, Bruder?“ fragte er.

Pater Aloysius erwiderte: „Ein Trupp Soldaten aus Arica erschien im Tacna-Tal. Unsere Indios, meine Brüder und ich verschwanden in unseren Verstecken. Pater Franciscus trat ihnen entgegen. Ein Teniente erklärte ihn für verhaftet – die Gründe waren an den Haaren herbeigezogen. Es war eindeutig eine gezielte Aktion – höre gut zu, Bruder –, eine gezielte Aktion zur Beschaffung von Arbeitskräften für euren Berg. Sie scheuen sich nicht, sich jetzt auch an uns zu vergreifen, zumal wir ihnen ja als Freunde der Indios bekannt sind. Sie verwüsteten unsere Felder, zerschlugen unsere Werkstätten, Schuppen und Scheunen, demolierten unsere Unterkünfte und brachen in unsere Kapelle ein, wo sie uns vermuteten. Die Kapelle wurde geschändet. Weil sie uns nicht fanden, begannen sie, Pater Franciscus zu foltern, um von ihm zu erpressen, wo wir seien. Das war der Zeitpunkt, an dem unser Freund hier eingriff.“

Pater Augustin starrte Hasard an. „Sie allein, Fremder?“

Hasard schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: „Ich tötete nur den Teniente in einem Duell mit Blankwaffen. Meine Männer nahmen sich die Soldatenhorde vor. Aus bestimmten Gründen durfte es keine Überlebenden geben. Wir haben später auch die drei Hängebrücken zwischen dem Tacna-Tal und Arica zerstört und dabei einen zweiten Trupp vernichtet, der ebenfalls nach Tacna unterwegs war, um Zwangsrekrutierungen durchzuführen. Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht vorstelle. Es ist besser, Sie kennen meinen Namen nicht. Aber ich bin Kapitän und habe etwas dagegen, daß Menschen versklavt werden und sich ein Land das Recht herausnimmt, diesen Teil der Welt auszuplündern. Genügt das?“

„Ich verstehe.“ Der Pater blickte in die eisblauen Augen dieses schwarzhaarigen, bärtigen Riesen und dachte: Mein Gott, er kämpft – und wir beten nur.

In seine Gedanken hinein sagte Hasard: „Noch etwas sollen Sie erfahren, Pater Augustin. Ein gewisser Luis Carrero befindet sich als Gefangener an Bord meines Schiffes. Wir erwischten ihn, als er an der peruanischen Küste Indios rekrutierte – auf die übliche üble Art. Insofern bin ich orientiert über das, was sich hier abspielt.“ Hasard lächelte sanft in das verblüffte Gesicht des Paters. „Vielleicht hat mich Bruder Aloysius aus gewissen und verschiedenen Gründen in diese Stadt geführt.“

„Sie – Sie haben dieses Schwein von Oberaufseher in Ihrer Gewalt?“ fragte der Pater, und es war ihm anzumerken, daß er dem Herrn im Himmel ein herzliches Dankeschön für die frohe Botschaft zusandte.

Hasard nickte und erwiderte grimmig: „Was wir mit ihm anstellen werden, weiß ich noch nicht. Aber eins kann ich Ihnen versichern: nach Potosi wird er nicht zurückkehren.“

„Das ist eine gute Nachricht“, sagte Pater Augustin, „und sie wiegt das Betrübliche auf, das Bruder Aloysius berichtete.“ Er runzelte die breite Stirn, die von tiefen Falten gekerbt war. „Jetzt wird vieles verständlich. Ja, wir wissen, daß der Provinzgouverneur neue Rekrutierungsmaßnahmen getroffen hat. In der ganzen Stadt wird davon gesprochen. Der Silberabbau hat sich rapide vermindert – weil es an Arbeitskräften mangelt. Wir haben Don Ramón empfohlen, die Indios menschlicher zu behandeln und dafür zu sorgen, daß sie nicht wie bisher durch Unterernährung, barbarische Züchtigungen, Krankheiten oder maßlos überhöhte Sollerfüllungen wegsterben.“

„Und?“ fragte Pater Aloysius knapp.

„Wir stießen auf taube Ohren“, sagte Pater Augustin erbittert. „Ja, er reagierte geradezu entrüstet, als hätten wir ihn persönlich beleidigt.“ Er kniff die Augen zusammen. „Jetzt bekommt alles Gewicht: er drohte uns! Wir sollten uns nicht um Dinge kümmern, die uns nichts angingen. Sonst sähe er sich gezwungen, andere Saiten aufzuziehen und dafür zu sorgen, uns einer nützlichen Beschäftigung zuzuführen.“

„Klar“, sagte Pater Aloysius fast grob, „im Silberberg, wo denn sonst? Habt ihr das nicht kapiert?“

„Nein.“ Das klang gepreßt. „Wir haben nie für möglich gehalten, daß er soweit gehen würde.“ Und fast trotzig fügte Pater Augustin hinzu: „Alle Macht geht vom König aus, aber auch die Kirche ist eine Macht.“

„Ah ja“, sagte Pater Aloysius höhnisch. „Und wo ist sie, diese Macht unserer Kirche? Ich finde sie nirgends. Kannst du sie mir mal zeigen, Bruder? Aber die Macht des Königs sorgte dafür, daß der Altar unserer Kapelle im Tacna-Tal zerstört wurde. Das Kruzifix wurde zertrümmert. Ohne das Eingreifen unseres Freundes hätten wir einen neuen Märtyrer gehabt – Pater Franciscus. Er hätte sich eher die Zunge abgebissen, als zu verraten, wo wir uns versteckt hatten.“

„Du bist erregt, Bruder“, sagte Pater Augustin.

„Erregt?“ schnappte Pater Aloysius. „Zornig bin ich, weil diese Teufel tun, was ihnen paßt, und niemand stellt sich ihnen entgegen. Du sagtest eben selbst, er habe euch gedroht, dieser Fettwanst, der sich Gouverneur nennt. Habt ihr diese Drohungen zurückgewiesen? Habt ihr ihn mit dem Kirchenbann belegt? Darf er diese Kirche noch betreten? Habt ihr seine Drohungen von der Kanzel herab angeprangert?“

„Du weißt, daß nur der Bischof in Lima solche Strafen verhängen kann, Bruder“, sagte Pater Augustin verbissen. „Und Lima ist weit.“

„Es wird noch weiter von euch weg sein“, sagte Pater Aloysius, „wenn auch ihr im Berg gelandet seid, um ‚einer nützlichen Beschäftigung‘ nachzugehen.“

Hasard räusperte sich, und er sagte zu Pater Aloysius: „Vorwürfe führen jetzt zu nichts, Bruder. Du verlangst eine kämpferische Kirche, was im Widerspruch zu ihrem Auftrag steht, überall Frieden zu verkünden. Wir wollen das hier nicht erörtern. Mich interessiert etwas anderes.“ Er blickte zu Pater Augustin. „Hat Don Ramón, der Provinzgouverneur, hier in Potosi irgendwelche Feinde, die nur darauf lauern, ihn ausbooten zu können, um selbst Machtpositionen zu besetzen?“

Pater Augustin schüttelte den Kopf. „Er sitzt fest im Sattel. Es gibt niemanden, der ihn aus seinem Amt als Provinzgouverneur verdrängen könnte. Nur der König beziehungsweise der Vizekönig in Lima ernennt ihn oder setzt ihn ab. Es ist ein Amt von des Königs Gnaden.“

„Das ist mir schon klar“, sagte Hasard. „Ich dachte nur bei meiner Frage an etwas anderes.“

„Und das wäre?“ fragte Pater Augustin.

Hasard sagte geradeheraus: „Was geschieht zum Beispiel, wenn jemand den Provinzgouverneur ausschaltet, indem er ihn als Geisel gefangensetzt? Gilt dann seine Befehlsgewalt immer noch, oder geht sie möglicherweise auf einen Vertreter über, der auf sein Leben keine Rücksicht zu nehmen braucht und daher auch seine Befehle ignorieren kann?“

Pater Augustin starrte Hasard an, als habe der den Verstand verloren. Pater Aloysius indessen hatte bereits begriffen und begann breit zu grinsen.

In den letzten Wochen hatte er mit diesem Kanonensohn und seinen harten Kerlen ja schon allerlei erlebt. Die kamen zur Sache, ohne lange zu fackeln. Was der schwarzhaarige Riese mit den eisblauen Augen jetzt jedoch plante, das war an Verwegenheit kaum zu überbieten – und müßte Erfolg haben, vorausgesetzt, die Señores der Exekutive wie Stadtkommandant, Offiziere, Polizeipräfekt oder Bürgermeister zitterten um das Leben des ehrenwerten Don Ramón und unternahmen nichts, um es zu gefährden.

Weil der Bruder Aloysius so infam grinste, begann es bei Pater Augustin zu dämmern. Heilige Mutter Gottes! Sollte es dieser bärtige Riese mit dem verwegenen und doch so sympathischen Gesicht wagen, das auszuführen, was er eben angedeutet hatte?

„Ungeheuerlich“, murmelte Pater Augustin, „unvorstellbar.“ Er blickte zu dem grinsenden Pater Aloysius und dann wieder zu dem Riesen, der eine undurchdringliche Miene aufgesetzt hatte, aber ihn aufmerksam musterte. Pater Augustin hüstelte. „Entschuldigung, ich bin etwas verwirrt. Eine – eine Geiselnahme dieser – äh – Person ist so unvorstellbar, daß man sie hier nie ins Kalkül gezogen hat, um sich mögliche Gegenreaktionen auszudenken. Insofern lautet meine Antwort auf Ihre Frage, daß niemand in Potosi wagen wird, das kostbare Leben dieser Person in Gefahr zu bringen.“

„Er wird als Geisel weiter befehlen können?“ fragte Hasard.

„Das wird er.“ Pater Augustin nickte. „Davon bin ich überzeugt. Aber was bezwecken Sie mit einer solchen Geiselnahme, Señor? Entschuldigen Sie, wenn ich das frage.“

 

„Oh, ich verfolge dabei mehrere Ziele, die aber alle darauf hinauslaufen, den Silberabbau in der Mine zumindest für einige Zeit außer Betrieb zu setzen.“

In den braunen Augen Pater Augustins blitzte es auf. „Das höre ich gern. Aber es wird sehr sehr schwer, ja, nahezu unmöglich sein, diese Person gefangenzunehmen, Sie wird ständig von einer Leibwache begleitet, und das sind harte Burschen, die ohne viel zu fragen sofort schießen oder zuschlagen, sollte ihr Schützling in irgendeiner Weise bedrängt werden. Sie erhalten dafür einen Privatsold aus der Schatulle des hohen Herrn und stehen sich damit besser als ein Capitán der spanischen Armee.“

„Wie stark ist diese Leibwache?“ fragte Hasard.

„Vier Soldaten unter der Führung eines Teniente“, erwiderte Pater Augustin.

Nicht sehr aufregend, dachte Hasard und fragte: „Dieser Teniente – ist das ein dürrer Mensch mit einem Ziegenbart?“

„Ja, das ist er“, sagte der Pater, „Teniente Manuel de Olivella, ein dummer Laffe, der sich als Kommandant der Leibwache des hohen Herrn für den Nabel der Welt hält und eben wegen seiner Dummheit gefährlich ist.“

„Das haben wir schon gemerkt“, sagte Hasard lächelnd und dachte an den dürren Gockel, dem sie erklärt hatten, sie befänden sich auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem. Als „hart“ mochte er diesen Burschen nicht einschätzen. Aber Dummheit – da hatte der Pater recht – war etwas Gefährliches. Hasard verneigte sich leicht. „Vielen Dank für die Informationen, Pater Augustin. Wenn alles so klappt, wie ich mir das vorstelle, wird die absolute Herrschaft der Person, von der wir sprechen, einen erheblichen Stoß erhalten.“

„Gott möge Ihnen beistehen“, sagte Pater Augustin.

Sie verabschiedeten sich und kehrten auf Umwegen zur Südseite des Silberberges zurück.