Seewölfe Paket 14

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2.

„Nimm deine dreckigen Griffel weg!“

Stenmarks Stimme klang schneidend. Er starrte den Giftzwerg wütend an, der sich an sein Lager geschlichen und nach dem breiten Ledergurt getastet hatte, der Stenmark als Kopfkissen gedient hatte.

Der Franzose, der nicht mehr als fünf Fuß maß, verzog sein schmales Gesicht zu einem Grinsen und erwiderte in gebrochenem Englisch: „Zeigt uns, was Ihr in den Gürteln versteckt, Suédois, dann habt Ihr eure Ruhe.“

„Ich kann dir was aufs Maul geben, Franzmann, dann hab’ ich auch meine Ruhe“, sagte Stenmark böse. Er band seinen breiten Ledergürtel, den Will Thorne ihnen allen genäht hatte, wieder um. Er dachte nicht daran, irgend jemandem auf die Nase zu binden, daß der Segelmacher der alten „Isabella“ Perlen, Juwelen und Goldstücke darin vernäht hatte, mit denen er ein halbes Königreich aufkaufen konnte. Der Giftzwerg vor ihm sah aus, als würde er einem Mann schon wegen ein paar Sous die Kehle im Schlaf durchschneiden.

„Du kannst nicht immer auf das Ding aufpassen, Suédois“, sagte der Giftzwerg. „Ich bin von Natur aus neugierig.“

Stenmark konnte sich nicht mehr beherrschen. Er trat einen schnellen Schritt vor, packte den kleinen Mann vorn am Hemd und hob ihn ohne große Mühe hoch.

„Hör mal zu, du halbe Portion!“ stieß er schnaubend hervor. „Du gehst mir langsam auf den Geist. Wenn du noch mal deine langen Griffel nach meinem Gürtel oder einem von meinen Kameraden ausstreckst, dann kannst du mit den Fischen Haschen spielen, verstanden?“ Er ließ den Giftzwerg los, daß dieser auf die Planken stürzte, sein Gleichgewicht verlor und sich auf den Hosenboden setzte.

Doch wie der Blitz war er wieder hoch. Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine kleinen, dunklen Augen blitzten vor Wut.

Stenmark konnte gerade noch ausweichen, als die rechte Hand des Franzosen vorzuckte und die schmale Klinge eines Messers sein Hemd an der Seite aufriß.

Er stieß einen überraschten Schrei aus. Instinktiv packte seine Linke zu und umklammerte das Handgelenk des Giftzwerges so hart, daß diesem nichts anderes übrigblieb, als das Messer loszulassen. Der Teufel mochte wissen, woher der Kerl das Ding so schnell gezaubert hatte.

Als es auf die Planken polterte, klatschte Stenmarks Linke bereits in das schmale Gesicht des Franzosen, der daraufhin ein Gebrüll anstimmte, als würden die Türken das Schiff entern.

Plötzlich waren Stenmark und der Giftzwerg nicht mehr allein im Vordeck. Ein Berg von einem Mann schob sich neben den kleinen Franzosen und baute sich drohend vor Stenmark auf. Ohne den Blick von dem Schweden zu nehmen, fragte er den Kleinen etwas. Der sprudelte ein paar Worte heraus, und Stenmark war überzeugt, daß der überwiegende Teil davon Lügen waren.

Der Riese starrte Stenmark aus grauen Augen an. Er sagte etwas, was Stenmark nicht verstand. Dann zuckte seine Faust vor, aber der Schwede war darauf gefaßt gewesen und wich geschickt aus. Er hatte mit der Rechten die Schnalle seines breiten Ledergürtels wieder geöffnet, und als der Riese sich schnaufend herumwarf, um ihn wieder anzugreifen, schleuderte er seinen Gürtel mit einer blitzschnellen Bewegung hoch, so daß die Schnalle dem großen Franzosen um die Ohren klatschte.

Stenmark wußte, wen er vor sich hatte. Der Riese war der Decksälteste der „Mercure“, und in seinen Fäusten sollte die Kraft eines Hammers stecken. Das hatte ihm den Namen „Marteau“ eingebracht, was im Englischen Hammer hieß.

Als der Riese röhrend in die Knie ging und sich die aufgeplatzte linke Wange hielt, wich Stenmark vorsichtshalber zwei Schritte zurück. Aus den Augenwinkeln sah er, daß ein weiterer Franzose auftauchte, ein blonder Kerl, der zwar etwas kleiner war als Marteau, dafür vielleicht aber noch breiter. Er war ein Bretone und sprach von allen Männern an Bord das beste Englisch.

„Was ist hier los?“ fragte er Stenmark.

„Der Giftzwerg wollte mir meinen Gürtel klauen“, erwiderte Stenmark, „dann hat er Marteau ein paar Lügen erzählt, und der ist auf mich losgegangen.“

Die stahlblauen Augen des Bretonen verengten sich. Offensichtlich gefiel ihm nicht, daß Stenmark seine Kameraden als Lügner beschimpfte. Er wandte sich an den Decksältesten, der sich langsam erhob, und fragte ihn was auf Französisch.

Stenmark fluchte leise in sich hinein. Er fragte sich, wo seine Kameraden blieben. Sie mußten doch auch bemerkt haben, daß hier im Vorschiff was los war!

Als der Giftzwerg zu grinsen begann, wußte er, daß die Sache brenzlig wurde. Der Bretone, der der Bootsmann der „Mercure“ war, wandte sich wieder an Stenmark. Er wies auf den breiten Ledergürtel, den Stenmark in der rechten Hand hielt.

„Zeig uns den Gürtel!“ befahl er hart.

Stenmark schüttelte den Kopf.

„Ihr müßt ihn euch schon holen, wenn ihr ihn haben wollt!“ sagte er kalt.

Ein Grinsen zog die etwas wulstigen Lippen des Bretonen in die Breite. Mit einer ausholenden Bewegung wies er auf Marteau und dann auf sich.

„Glaubst du, daß du gegen uns beide lange auf den Beinen bleibst?“ fragte er. „Gib den Gürtel her, und du ersparst dir ein paar gebrochene Rippen.“

Stenmark war sich klar darüber, daß hier mit Worten nichts mehr auszurichten war. Er entschied sich, die Lücke nebem dem Decksältesten, in der der Giftzwerg stand, zu nutzen, um aus dem Vorschiff auf die Kuhl zu gelangen, wo sich Carberry, Ferris Tucker und die anderen aufhalten mußten.

Er fintete plötzlich auf den Bretonen zu, sein Gürtel wirbelte wieder durch die Luft, traf den Decksältesten abermals am Kopf, wich zur Seite aus und rammte den Giftzwerg mit der Schulter, daß dieser wie von einem Katapult geschleudert gegen einen Balken prallte und schreiend zu Boden ging.

Auch Stenmark schrie. Allerdings nicht vor Schmerzen. Er brüllte seinen Kampfruf hinaus, der seine Kameraden zu Hilfe holen würde.

„Arwenack!“

Fast hätte er es geschafft, an Marteau, dem Hammer, vorbei in die Kuhl zu entwischen. Doch der Riese, der bestimmt vom Schlag mit dem schweren Ledergürtel Ohrensausen hatte, war noch so weit bei Besinnung, daß er instinktiv sein rechtes Bein zur Seite ausstreckte.

Stenmark sah es zu spät. Er stolperte. Mit rudernden Armen versuchte er, sein Gleichgewicht zu halten, schaffte es nicht und krachte schwer auf die Decksplanken.

Marteau ließ sich einfach auf ihn fallen. Die mächtigen Pranken des Riesen krallten sich in den Ledergürtel und versuchten, ihn Stenmark zu entreißen.

Der Schwede schüttelte schnell seine Benommenheit ab. Er stieß seine linke Faust hoch und traf Marteaus Nase. Der Riese brüllte vor Schmerzen. Offensichtlich hatte Stenmark seine empfindlichste Stelle erwischt. Dennoch ließ der Kerl den Gürtel nicht los.

Neben sich spürte er das Zittern der Planken. Er fragte sich, warum der Breteone nicht in den Kampf eingriff. Als er den Kopf etwas drehte, sah er den Grund. Der Bootsmann lag neben ihm auf den Planken, alle viere von sich gestreckt.

„Ed! Gott sei Dank“, flüsterte er.

Er sah, wie Edwin Carberry den Riesen, der immer noch auf ihm hockte, im Genick packte und ihn hochriß. Klatschend landete Carberrys Handrücken im Gesicht des Decksältesten, dann erhielt der Riese einen Stoß und taumelte gegen den Giftzwerg, der sich gerade wieder aufgerappelt hatte. Zusammen gingen die beiden zu Boden.

Hinter Carberry tauchten Ferris Tucker, Blacky und Jeff Bowie auf. Sie schirmten das Geschehen vor den anderen Franzosen ab, die den Lärm mitgekriegt hatten und nachsehen wollten, was es wohl im Vorschiff gegeben hatte.

Carberry zog Stenmark zur Seite.

„Was war los?“ fragte er.

Stenmark berichtete keuchend.

„Sie sind ganz versessen darauf, zu erfahren, was es mit unseren Gürteln auf sich hat“, sagte er zum Schluß. „Ich glaube, daß wir noch eine Menge Ärger kriegen.“

„Wir sollten die Schneckenfresser alle über Bord schmeißen“, knurrte Blakky, „dann hätten wir unsere Ruhe.“

Carberry schüttelte den Kopf. Sein hartes, narbiges Gesicht spiegelte die Sorgen wider, die ihm die Entwicklung an Bord der „Mercure“ bereitete.

„Ich werde mir den Bootsmann mal vorknöpfen, wenn er wieder klar aus der Wäsche gucken kann“, sagte er grollend. „Wenn er Stunk an Bord haben will, dann kann er ihn kriegen. Er braucht nur das Maul ein bißchen zu weit aufzureißen, dann werde ich es ihm kalfatern, daß er sich durch die Nase ernähren muß.“

„Affenarsch!“ krächzte „Sir John“, der auf Carberrys Schulter flatterte und nach seinem Ohr hackte.

„Halt’s Maul, wenn ich rede“, sagte Carberry.

Ferris Tucker wiegte den Kopf und schaute seine Kameraden an, die sich inzwischen alle um ihn, Stenmark und Carberry geschart hatten.

„Ich habe auch schon überlegt, ob wir mal mit dem Kapitän oder mit Duval, seinem Steuermann, reden sollen“, sagte er nachdenklich. „Ich glaube kaum, daß das Erfolg haben wird. Wir müssen uns mit der Mannschaft auseinandersetzen. Wenn sie merken, daß mit uns nicht gut Kirschen essen ist, werden sie uns in Ruhe lassen.“

„Du meinst, wir sollen sie alle durchmangeln?“ fragte Bill grinsend.

„Wenn sie es nicht anders wollen, warum nicht?“ erwiderte Ferris. „Allerdings sind wir nur acht, und sie bringen mit dem Steuermann siebzehn Mann auf die Beine. Außerdem weiß ich nicht, wie sich Finnegan und Rogers verhalten werden.“

Carberry wischte Ferris’ Bedenken mit einer kurzen Handbewegung beiseite.

„Auf jeden von uns zwei Mann“, sagte er. „Das ist doch kein Verhältnis. Vielleicht sollten sich der Kutscher, Bill und Luke als Reserve zur Verfügung halten, damit sie einspringen können, wenn einer von uns anderen ein bißchen müde geworden ist.“

 

Es schien für sie alle klar, daß eine Kraftprobe unausweichlich war. Sie waren bereit, noch in dieser Minute loszulegen und den Schneckenfressern zu zeigen, was es hieß sich mit der Crew des Seewolfes aus Arwenack anzulegen.

Mit grimmigen Gesichtern starrten sie dem Bretonen und Marteau, dem Decksältesten entgegen, als die aus dem Vorschiff auftauchten und leicht schwankend über die Kuhl zum Achterdeck hinüberschlurften. Offensichtlich wollten sie dem Steuermann und dem Kapitän Bericht erstatten, daß die verdammten Engländer aufsässig wurden.

Jack Finnegan und Paddy Rogers, die beiden Engländer, die von der „Mercure“ aus dem Wasser gefischt worden waren, wichen den wütend vorbeistampfenden Franzosen aus.

Den beiden Männern war noch deutlich die Anstrengung ihres Zwangsaufenthalts auf dem Mars ihres gesunkenen Schiffes anzusehen. Sie hatten einen schlimmen Kampf mit den Elementen und mit drei Holländern hinter sich, in dem es um Wasser und damit ums nackte Überleben gegangen war. Jack Finnegan hatte nicht viel erzählt, aber Luke Morgan, der sich viel um die beiden gekümmert hatte, wußte inzwischen eine Menge von den beiden.

„Ich werde mit Jack und Paddy sprechen“, sagte Luke. „Ich glaube nicht, daß sie sich auf die Seite der Franzosen schlagen werden, wenn es hart auf hart geht. Und neutral können sie auch nicht bleiben.“

„Tu das“, sagte Ferris. „Zwei Mann mehr können nicht schaden. Auch wenn Ed allein mit den Schneckenfressern fertig werden würde.“

„Ja, ja“, murmelte Jeff Bowie. „Unser Profos und die große Schnauze von seinem Papagei.“

Carberry blickte ihn drohend an, sagte aber nichts. Schließlich konnten sie gerade jetzt keinen Streit unter sich gebrauchen. Aber irgendwann würden sie wieder ein eigenes Schiff haben, und dann würde er Jeff übers Deck jagen, bis ihm das Wasser im Hintern zu kochen begann!

3.

Jesus Valencia wußte, daß seine Karriere als Offizier der Spanischen Marine so gut wie beendet war, als er den Haß in den Augen seines Kapitäns Juan de Faleiro sah.

Sein Geiergesicht war verzerrt, die Mundwinkel waren weiß von getrocknetem Speichel. Er hatte die Perücke abgenommen und sah jetzt aus wie ein Gift und Galle spuckender Gnom aus der Unterwelt. Es fehlen ihm nur noch die Hörer, dachte Jesus Valencia.

„Sie wissen, warum ich Sie zu mir in die Kammer gebeten habe, Señor Valencia?“ begann er mit schleimiger Stimme, aber der Erste Offizier hörte die Boshaftigkeit, die in seinen Worten mitschwang.

„Ich bin mir keiner Schuld bewußt, Señor Capitán“, erwiderte er gepreßt.

„So.“ Juan de Faleiro erhob sich abrupt und ging hinter dem Tisch, auf dem eine Karte ausgebreitet lag, hin und her. „Sie finden es also völlig in Ordnung, wenn ein Untergebener seinem Vorgesetzten in Gegenwart der Mannschaft widerspricht und sogar Befehle verweigert.“

„Ich werde jeden Ihrer Befehle befolgen, Señor Capitán“, sagte Jesus Valencia, „wenn er nicht gegen mein Gewissen oder meinen Glauben verstößt.“

„So. Sie glauben also, daß ein Befehl, der der Erhaltung der vollen Manövrierfähigkeit und Gefechtsbereitschaft des Schiffes dient, gegen Ihren Glauben verstößt?“

„Der Tod der vier Rudersklaven war unnötig“, entgegnete Jesus Valencia fest. „Soweit mir bekannt ist, lautet unsere Order, nach geeigneten Handelsstützpunkten im östlichen Mittelmeerraum zu suchen und wenn möglich, mit den jeweiligen örtlichen Stellen Verträge abzuschließen. Die ‚San Antonio‘ ist nicht dafür ausgerüstet, französische Handelsfahrer zu kapern.“

Die weißen Flecken in den Mundwinkeln des Kapitäns wurden größer. Jesus Valencia kannte das. Gleich würde der Glatzkopf explodieren.

„Das ist Insubordination!“ kreischte de Faleiro. „Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, daß ich Sie an die Rah hängen lassen könnte? Sie haben nicht zu entscheiden, welche Aufgabe für die ‚San Antonio‘ wichtiger ist! Wissen Sie eigentlich, was die Engländer, die sich an Bord des Franzosen befinden, der Spanischen Krone angetan haben? Auf jeden ihrer Köpfe ist eine hohe Belohnung ausgesetzt!“

„Woher wollen Sie wissen, daß es sich um diese Engländer handelt, Señor Capitán?“ fragte der Erste Offizier.

„Haben Sie nicht den Ruf ‚Arwenack‘ gehört?“ Juan de Faleiro blickte seinen Ersten Offizier nicht mehr an. Er schien mit seinen Gedanken weit fort zu sein. Sein Gesicht hatte sich zu einer Grimasse des Hasses verzerrt, als er flüsternd sagte: „Ihr Kapitän, den sie Seewolf nennen, stammt aus Falmouth an der Küste Cornwalls. Er ist mit Drake gefahren, diesem Hundesohn, der unsere Kolonien in Westindien geplündert hat.“ Sein Blick war jetzt wieder klar und voll auf Jesus Valencia gerichtet. „Und Sie meinen, ich hätte kein Recht, diese Feinde Spaniens zu jagen?“

Jesus Valencia schwieg. Er wußte, daß Juan de Faleiro in der besseren Position war. Wenn es stimmte, was er behauptete, dann würde er immer Recht erhalten, wenn es hart auf hart ging. Dann würde ihn ein Marinegericht sogar freisprechen, wenn er ihn hier in der Kammer erschoß.

Der Kapitän sah, wie es in Jesus Valencia arbeitete. Ein häßliches Grinsen breitete sich auf seinem Geiergesicht aus. Er wußte, daß er wieder obenauf war, und er war entschlossen, Valencia für seinen Widerspruch zu demütigen.

Er wollte etwas sagen, doch in diesem Moment verstummte wieder der dumpfe Trommelschlag, der den Takt für die Ruderer angab.

Mit ein paar Schritten war Juan de Faleiro an seinem Ersten Offizier vorbei und stieg den Niedergang zur achteren Plattform hinauf.

Er hörte das laute Geschrei und das Klirren der Ketten durch den stärker werdenden Wind. Eine Peitsche klatschte auf den Rücken eines Ruderers, der sich schreiend krümmte.

Juan de Faleiro sah vorn auf dem Laufgang die Gestalt eines der Aufseher liegen. Sein nackter Rücken war blutüberströmt. Zwei andere Aufseher standen geduckt vor einem der Rudersklaven, der eine gebrochene Kette mit beiden Händen hielt und sie über seinem Kopf schwang.

„Teniente Ribera!“ brüllte Juan de Faleiro. „Schießen Sie den Kerl nieder!“

Der Teniente, der auf der vorderen Plattform neben einer Drehbasse stand, rührte sich nicht.

Die Stimme des Kapitäns überschlug sich vor Wut. Kaum ein Wort von dem, was er über die Lippen brachte, war zu verstehen. Er hastete auf den Laufgang und zerrte seine Pistole hervor, die er vorn im Gürtel seiner Hose stecken hatte.

„Zur Seite!“ brüllte er die beiden Aufseher an, die sich nicht an den Ruderer heranwagten. Die beiden gehorchten nur zu gern. Sie gaben dem Kapitän die Sicht auf den Rudersklaven frei, der immer noch seine Kette schwang, deren eines Glied er geknackt haben mußte.

Die Kugel aus der großkalibrigen Pistole des Kapitäns traf den Mann in die Brust und stieß ihn zurück gegen die drei anderen Ruderer, die mit ihm auf einer Duchts saßen. Sie schrien auf, als sie das Blut ihres Leidensgenossen an ihren Händen spürten, und einer von ihnen brüllte: „Schlagt endlich dieses Schwein von einem Kapitän tot!“

Ehe Juan de Faleiro reagieren konnte, war der Mann aufgesprungen, hatte die lose Kette aufgehoben, die dem Toten aus den Fingern geglitten war, und hieb damit auf de Faleiro ein.

Die Kette streifte den Kapitän an der linken Schulter und riß ihm das Wams entzwei. De Faleiro kreischte wie ein Schwein, das zur Schlachtbank geführt wird. Er stolperte und wäre fast auf der anderen Seite des Laufganges zwischen zwei Duchten gestürzt. Hände griffen instinktiv nach ihm, aber da fauchten die Peitschen der Aufseher durch die Luft und klatschten auf die Arme der Rudersklaven. Einer der Aufseher faßte nach dem linken Arm des Kapitäns und zog ihn auf den Laufgang zurück.

Schreiend riß sich Juan de Faleiro los. Der aufgerissene Ärmel seines linken Armes färbte sich dunkel von seinem Blut. Als er es sah, traten ihm die Augen aus den Höhlen. Der Zeigefinger seiner rechten Hand stach auf den Mann zu, der ihn mit der Kette getroffen hatte.

„Schließt ihn los!“ kreischte er. „Ich werde den verlausten Verbrechern zeigen, was es heißt, die Hand gegen den Kapitän zu erheben! Ich werde ein Exempel statuieren, daß euch Hundesöhnen ein für allemal die Lust vergeht, euch über Schläge und schlechte Behandlung zu beschweren!“

Er hastete den Laufgang zurück bis zum Tabernakel, neben dem Jesus Valencia stand und sich das Schauspiel ansah. Sein Anblick brachte Juan de Faleiro noch mehr in Rage. Er zitterte am ganzen Körper, und über seine flekkige Glatze lief der Schweiß in Strömen. Er wollte Valencia anschreien, doch dann durchzuckte ein Gedanke seinen Geierschädel. Das Zittern seines Körpers hörte von einem Moment zum anderen auf. Er drehte sich um und beobachtete, wie die Aufseher den Rudersklaven, der auf den Kapitän mit der Kette losgegangen war, zusammenschlugen und losschlossen. Zwei Seeleute trugen den schwer verwundeten Aufseher zur achteren Plattform. Der Mann war ohne Bewußtsein. Sein Rücken sah merkwürdig krumm aus, und Jesus Valencia, der mit zusammengekniffenen Lippen auf den Mann starrte, ahnte, daß die Kette dem Aufseher das Rückgrat gebrochen hatte.

Ihm wurde schlecht. Nicht so sehr vor dem Anblick eines halbtoten Mannes – die hatte er in vielen Seegefechten schon mehr als einmal gesehen. Nein, die brutale Gewalt, die an Bord der „San Antonio“ herrschte, bewirkte die Übelkeit, die ihn befiel.

Gewalt erzeugte Gegengewalt, und mit brutalen Schlägen wurde die Leistung eines Rudersklaven eher gemindert als gesteigert.

Jesus Valencia ahnte, daß der Kapitän das wußte. Wenn er dennoch duldete, daß seine Aufseher ihre Peitschen mit aller Brutalität einsetzten, und er es ihnen sogar befahl, dann blieb nur ein Schluß übrig: Juan de Faleior war ein Mann, der sich an den Qualen anderer weidete, der andere quälen mußte, um sich von Tag zu Tag neu seiner Macht bewußt zu werden.

Jesus Valencia starrte auf den schmalen Rücken des kleinen Kapitäns, der die „San Antonio“ in eine Hölle verwandelt hatte. Eine kurze Bewegung zum Gürtel, mit der er seine Pistole herausziehen würde, ein Krümmen des Zeige-fingers – und die Welt wäre von einem üblen Menschenschinder befreit.

Er schüttelte den Kopf. Er würde es nie fertigbringen, einen Menschen kaltblütig zu ermorden.

„Sein Rückgrat ist gebrochen“, hörte er die kalte Stimme des Kapitäns. „Gebt dem Mann eine Kugel, damit er nicht mehr leidet.“

Es war still an Bord. Nur der auffrischende Wind, der das Meer zu kräuseln begann, sägte jaulend an den Wanten.

Carlos Mendez, der Zweite Offizier, durchbrach das entsetzte Schweigen.

„Señor Capitán, wir sollten Segel setzen“, sagte er. „Der Wind frischt immer mehr auf, und die Ruderer brauchen unbedingt eine Erholungspause.“

Mendez sah sofort, daß die letzten Worte zuviel waren.

„Es wird weitergerudert, bis ich den Befehl gebe, die Riemen einzuholen!“ brüllte de Faleiro. Mit einem Wink rief er den Zuchtmeister heran und befahl ihm, den tödlich verwundeten Aufseher von seinen Qualen zu erlösen.

Der Zuchtmeister, sonst brutal wie der Kapitän, wurde ein wenig blaß um die Nase, aber er führte den Befehl aus, ohne lange zu zögern. Als das Echo des Schusses über der „San Antonio“ verhallt war, schien sich Juan de Faleiro wieder wohler zu fühlen. Er starrte den Rudersklaven an, den zwei Aufseher zwischen sich wie in einem Schraubstock hatten.

Der Mann hatte seinen Widerstand aufgegeben. Er wußte daß er ein todgeweihter Mann war, aber der Tod hatte für jemanden, der an Bord der „San Antonio“ Sklavendienste zu verrichten hatte, seinen Schrecken verloren.

„Hängt den Mann an die Rahnock!“ befahl Juan de Faleiro kalt. „Señor Valencia, Sie übernehmen die Hinrichtung. Sobald er baumelt, werden Segel gesetzt!“

Die Trommel wurde wieder geschlagen. Die langen Riemen tauchten ins Wasser und schoben das schlanke Schiff durch die unruhiger werdende See.

Jesus Valencia sah das hämische Grinsen des Kapitäns, und er wußte, daß er sich diesmal seinem Befehl nicht widersetzen konnte. Der Rudersträfling hatte den Kapitän angegriffen, und darauf gab es auf See nur eine Strafe: den Tod.

Mit leiser Stimme befahl Valencia den Aufsehern, die Leiche des von Juan de Faleiro erschossenen Ruderers über Bord zu schaffen und die Hinrichtung so schnell wie möglich vorzubereiten. Dann ging er über den Laufgang hinüber zur vorderen Plattform, wo Teniente Ribera, der Befehlshaber über die Seesoldaten, unbeweglich stand und ihm entgegenblickte.

 

Ribera schien zu spüren, was in Valencia vorging.

„Tut mir leid, Valencia“, sagte er leise, „aber ich konnte es nicht verhindern. Auf diesem Schiff sitzen die wahren Verbrecher nicht auf den Ruderbänken, sondern befinden sich auf dem Laufgang. Es ist ein Wunder, daß nicht schon längst etwas Derartiges geschehen ist. Die Leute werden bis aufs Blut gepeinigt, obwohl keine Veranlassung dazu besteht. Ich glaube, der Tote, den sie da gerade über Bord werfen, hat einen der Aufseher nur mal herausfordernd angeschaut. Der Aufseher hat ihn so lange gepeitscht, bis es ihm zuviel wurde und er plötzlich die Kette hochschwang und zuschlug. Er mußte das Glied schon irgendwann vorher gesprengt haben.“

Jesus Valencia nickte. So ähnlich hatte er sich die ganze Sache ebenfalls gedacht.

„Er ist der Kapitän“, erwiderte er nur.

Ribera nickte grimmig.

„Zum Glück hat er mir und meinen Männern nichts zu befehlen“, sagte er. „Wahrscheinlich wird er in Spanien einen Bericht über mich schreiben, aber er kann sich darauf verlassen, daß mein Bericht auch an die richtigen Stellen gelangt.“

Jesus Valencia war versucht, Ribera ins Vertrauen zu ziehen, aber er unterließ es. Konnte er dem Teniente trauen? Er wußte es nicht. Alles, was er gegen Juan de Faleiro plante, mußte für die anderen wie Meuterei aussehen. Und schließlich war es das auch. Nach seinen Beweggründen würde niemand fragen, wenn er versuchte, de Faleiro die Befehlsgewalt über die „San Antonio“ zu entreißen. Das war sowieso nur möglich, wenn er den Kapitän tötete.

Jesus Valencia schüttelte den Kopf. Er steckte in einer ausweglosen Klemme. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Mund zu halten und den Verbrechen des Kapitäns stillschweigend zuzusehen. Es sei denn, er nahm seinen eigenen Tod in Kauf.

Er ging zurück zur achteren Plattform. Der Kapitän hockte wieder in seiner Kammer und brütete wahrscheinlich über dem Kurs, den die französische Galeone genommen hatte. Carlos Mendez, der Zweite Offizier, wich seinem Blick aus. In den Gesichtern des Zuchtmeisters und der Aufseher sah er Schadenfreude und Gehässigkeit.

Die Seeleute hatten die Großrah abgefiert, so daß die eine Nock dicht über der achteren Plattform schwebte. Einer der Aufseher hatte eine Schlinge geknüpft und legte sie dem Rudersklaven um den Hals. Der Mann wehrte sich nicht. Er stand apathisch da und hatte sich in sein Schicksal ergeben.

Ein Schrei des Zornes und der Entrüstung stieg aus den Kehlen der Ruderer, als die Rah mit dem Delinquenten hochschwang. Sie brüllten sich heiser, bis sich ihr Leidensgenosse nicht mehr rührte und nur noch vom Wind hin und her bewegt wurde.

Jesus Valencia hatte mit bleichem Gesicht zugeschaut. Das Grinsen in den Gesichtern der Aufseher hatte wieder Übelkeit in ihm ausgelöst, doch er behielt sich in der Gewalt. Er wollte vor den anderen keine Schwäche zeigen und sich noch ihrem Spott aussetzen.

Als der Mann sich nicht mehr rührte, befahl er, ihn herunterzuholen und dem Meer zu übergeben. Er übertrug dem Zweiten Offizier, die Segel setzen zu lassen und beobachtete mit steinernem Gesicht, wie die Riemen eingeholt wurden und die Rudersklaven zu Tode erschöpft auf ihren Duchten zusammenbrachen.