Seewölfe Paket 14

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4.

Sie hatten jetzt wenigstens einigermaßen Schutz vor der sengenden Sonne, doch die Lage war nach wie vor hoffnungslos. Finnegan und Rogers kletterten wieder von der Rah auf die Plattform zurück, verfolgt von den Blicken der Holländer. Rogers verspürte nicht übel Lust, den drei Kerlen seine Meinung zu sagen, doch Finnegan hielt ihn durch eine verstohlene Geste zurück.

Sie ließen sich auf dem Rand des Großmarses nieder und ließen ihre Beine hinunterhängen. Kein Wort wurde gewechselt, die Spannung wuchs.

Dirk Pravemann stierte auf die Haie, die gelassen ihre Kreise zogen. Finnegan beobachtete ihn heimlich. Hinter der Stirn des Holländers arbeitete es, in seinem Geist reifte ein Plan heran.

„Vertreiben müßte man die Biester“, sagte Pravemann schließlich. „Oder einfach nur ablenken. Dann kann man ins Wasser und an Land schwimmen, und ehe sie was merken, haben wir’s geschafft.“

„Was redest du denn da?“ fragte Marten verdutzt.

„Ich sage, man müßte die Haie füttern.“

„Was? Du bist wohl nicht mehr ganz richtig im Kopf!“ Marten war regelrecht empört.

„Ein idiotischer Vorschlag“, sagte Rogers verhalten zu seinem Freund, auf englisch allerdings, damit die Holländer es nicht verstehen konnten. „Was sollen wir den Bestien wohl zu fressen geben, wenn wir selbst nichts zu beißen haben?“

„Abwarten“, brummte Finnegan. Sein Blick war äußerst wach, fast lauernd. Er konnte sich bereits ausmalen, was jetzt folgte.

Pravemann grinste und sah erst Marten, dann Reuter an. „Wenn die Biester erst mal satt sind, hauen sie bestimmt ab. Wollen wir wetten?“

Reuter grinste nun ebenfalls, aber Marten hatte immer noch nicht begriffen. Erst als Pravemann beziehungsreich auf die beiden Engländer deutete, ging dem Koloß von Mann ein Licht auf. Er drehte sich langsam zu Finnegan und Rogers um.

„Ja“, sagte er gedehnt. „Als Haifischfutter wären die beiden bestimmt ganz besonders gut geeignet.“

Reuter und Pravemann lachten. Es klang gehässig und nervös.

Jack Finnegan bedachte Jan Marten mit einem abschätzenden Blick. Seine Züge nahmen mit einemmal einen höhnischen Ausdruck an.

„So, das glaubst du wirklich?“ sagte er. „Dann versucht es doch mal. Ihr denkt wohl, ihr könnt das große Wort führen, weil ihr in der Überzahl seid, was? Nur zu. Pullt an. Einen von euch Käsefressern nehme ich bestimmt mit zu den Haien, und wie ich meinen Freund Paddy hier kenne, sorgt er bestimmt auch dafür, daß er nicht allein mit den lieben Tierchen spielen muß.“

„Jawohl“, sagte Paddy.

„Nun mal immer mit der Ruhe“, sagte Piet Reuter. „Dirk hat doch nur Spaß gemacht.“

„Dann nimm’s zurück, Pravemann“, sagte Finnegan zu dem kleinen Mann.

„Es war nur Spaß“, sagte Pravemann und grinste wieder.

Jack Finnegan wies auf das Wasser. „Ganz abgesehen von euren Sprüchen – es würden nicht einmal fünf Kerle ausreichen, um die Freßsucht der Haie zu stillen. Ich selbst habe nämlich bereits acht von den verdammten Biestern gezählt.“

„Acht?“ wiederholte Reuter. „Beim lebendigen Donner, das sind ja mehr, als ich gedacht habe.“

Pravemann hatte den Hals gereckt und hielt nach allen Seiten Ausschau.

„Neun“, sagte er. „Da hinten ist noch einer. Ja, er hält auf uns zu.“

„Wir können uns prügeln und gegenseitig vom Mars stoßen“, erklärte Finnegan. „Aber das wird keinem von uns nutzen. Wir sollten so etwas wie einen Burgfrieden schließen und zusammenhalten, das habe ich schon mal gesagt. Schließlich sitzen wir alle in einem Boot.“

„In einem absaufenden Boot“, brummte Pravemann.

„Nein“, widersprach Finnegan. „Tiefer wird die ‚Zeland‘ nicht sinken, das steht fest. Wenigstens diesen einen Vorteil haben wir.“

„Das ist vielleicht ein Trost“, murmelte Piet Reuter. Er kuschte jetzt aber vor Finnegan, und auch seine beiden Landsleute folgten diesem Beispiel. Im Grunde sahen sie seine Argumente nämlich ein, natürlich hatte er recht.

Jack Finnegan aber wußte, daß die Vernunft bei den drei Holländern bald zum Teufel gehen würde, dann nämlich, wenn sie anfingen, durchzudrehen, vor Durst oder Hunger, aus Panik oder aus nackter Lebensgier. Menschen konnten auch zu Bestien werden, zu schlimmeren sogar als die Haie da unten.

Mit solchen und anderen Überlegungen, die von beiden Parteien geführt wurden, verstrich allmählich der Vormittag, und so sollte der ganze Tag verrinnen, ohne daß sich irgendwo ein Segel an der Kimm zeigte, ein Schiff, das ihnen die Rettung brachte.

Die See ringsum war wie tot, bis auf die Haie. Die waren inzwischen noch mehr geworden. Ein Dutzend belagerte das Wrack der „Zeland“.

Die beiden Beiboote der „Isabella“ waren in der vergangenen Nacht ein beachtliches Stück westwärts gelangt, doch die Hoffnung, daß sie noch am Abend dieses 21. Mai den Delta-Arm des Nils erreichen würden, mußte aufgegeben werden: An diesem Morgen schlief der Wind aus Norden ein, der Sturm vor der ägyptischen Küste hatte sich gelegt.

In dieser Flaute blieb den Seewölfen keine andere Wahl – sie mußten pullen. So wurden die Segel geborgen und die Riemen ausgebracht, und unter Hasards und Bens Kommandos fingen die Männer an, sich kräftig ins Zeug zu legen.

Es wurde eine elende Schinderei, denn die Boote waren überladen und viel zu schwer. Natürlich lösten sie sich gegenseitig ab, aber dennoch wurde es bei der brütenden Hitze eine höllische Quälerei. Gegen Mittag brachte auch das Wasser des Kanals keine Kühlung mehr, die Luft schien zu stehen und war zum Schneiden dick.

„Auf Riemen!“ rief der Seewolf.

Die Männer hoben die Riemen übers Wasser, verharrten in der Ruderbewegung und wandten sich erstaunt zu ihm um.

„Ich habe euch etwas vorzuschlagen“, sagte Hasard, „und will, daß wir gerecht darüber abstimmen, denn diesmal liegt die Entscheidung ganz bei euch.“ Er stand mit leicht abgespreizten Beinen im Heck seines Bootes und sah sie der Reihe nach an – seine Söhne, die O’Flynns, Shane, Ferris Tucker, Smoky, Blacky, Ben und all die anderen.

Träge lagen die Jollen im Kanal der Pharaonen. Rasch gelangten sie zum Stillstand. In der Umgebung regte sich kein Leben, die Wüste war wie ausgestorben, und die Zeit schien angehalten worden zu sein.

Verblüfft blickten die Männer und die Jungen sich untereinander an. Was für ein Vorschlag konnte das sein?

Ben Brighton hatte sich seines Hemdes entledigt wie die anderen auch, er schwitzte am ganzen Leib und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.

„Sir“, sagte er. „Willst du, daß wir nur nachts pullen? Ist es das, was du meinst?“

„Genau. Überlegt es euch. Tagsüber könnten wir unter einer nassen Persenning einigermaßen kühl ruhen oder sogar schlafen.“

„Ihr habt es alle gehört“, sagte Ben zur Crew. „Nun mal raus mit der Sprache. Was haltet ihr davon?“

Die Männer schwiegen. Keiner wollte sich als erster äußern. Carberry warf mit finsteren Blicken um sich und fixierte plötzlich Matt Davies.

„Mister Davies, du sollst deine Meinung sagen!“ fuhr er ihn an. „Hast du das nicht gehört?“

„Ich? Warum ausgerechnet ich?“

„Weil du schon wieder dahockst und in die Gegend starrst wie ein gestrandeter Barsch. Ich seh’s dir doch an, daß dir wieder eine deiner blöden Bemerkungen auf der Zunge liegt.“

Matt setzte eine gallebittere Miene auf. „Mister Carberry, findest du nicht auch, daß ich lieber meine Schnauze halten sollte, wenn es nur eine blöde Bemerkung ist?“

„Na los, Matt“, sagte jetzt Gary Andrews. „Rede doch, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Oder brauchst du eine Sondereinladung?“

Matt räusperte sich. „Ich verstehe immer noch nicht, wieso ausgerechnet ich als erster was sagen soll, aber meinetwegen, ich will ja auch nicht kneifen. Also, wenn’s nach mir ginge, sollten wir weiter ranklotzen, jawohl, denn ich persönlich pulle lieber, bis ich von der Ducht kippe, als daß ich hier in dem Scheißkanal herumdöse und Maulaffen feilhalte.“ Er richtete seinen Blick auf den Profos. „Zufrieden, Mister Carberry?“

„Ja, du Stint!“ rief der Narbenmann so laut, daß es Matt, Gary und den anderen in seiner Nähe Sitzenden in den Ohren dröhnte. „Das ist ganz nach meinem Geschmack, so wahr ich Carberry heiße! Nicht ums Verrecken gebe ich klein bei! Ich pulle mit, Matt, du Rübenschwein!“

„Ich auch!“ schrie Ferris Tucker.

„Ich ebenfalls!“ rief Big Old Shane.

Dann meldeten sich auch die anderen, und alle stimmten sie Matt Davies, dem Profos, Ferris und Shane zu. Damit war Hasards Vorschlag glattweg abgeschmettert. Nein, die Arwenacks wollten nicht im Kanal steckenbleiben. Sie wollten weiter rucksen und die Boote voranbringen, sie wollten heraus aus dem Kanal der Pharaonen und hinein in den Seitenarm des Nils, der sie nach Norden brachte.

Eine Niederlage war ihnen genug. Was geschehen war, hatte ihnen gereicht. Und jetzt ging es los: Ihr alter Kampfgeist, wenngleich auch zuvor etwas lädiert, setzte sich in diesem Augenblick in ihnen durch, und jetzt zeigten sie, was in ihnen steckte.

Unter energischen „Hooo-ruck“-Rufen wurden die Riemen wieder eingetaucht und durchgeholt, die Jollen nahmen wieder Fahrt auf. In Bächen sollte der Schweiß fließen, das kümmerte sie einen Dreck, sie pullten wie die Teufel und bissen die Zähne zusammen.

Hasard hatte allen Grund, sich still zu freuen. Stolz durfte er auf seine Crew sein, denn nur mit solchen Männern waren Situationen zu überstehen, in denen andere längst kapituliert hätten.

Natürlich wurde bei dieser Arbeit nun auch kräftig geflucht und gelästert.

„Nun stellt euch mal vor, wir hätten bei dieser Plackerei auch noch zwei Schreine mit Mumien an Bord gehabt“, sagte Old O’Flynn. „Wie wäre das wohl gewesen?“

 

„Die hätte ich gleich über Bord befördert, damit sie im Kanal in ihrem eigenen Saft weiterschmoren können“, antwortete Carberry, während Sir John zeternd über seinem Kopf hin und her flog. „Was denn wohl sonst? Unnötigen Ballast soll man abladen.“

„Richtig!“ rief der Kutscher. „Aber ich weiß schon, auf was Donegal hinauswill! Wirf einen verschrumpelten Pharao ins Wasser, dann wird er quick-lebendig, schwimmt dir nach und klettert bei Nacht wieder an Bord, um dir den Hals umzudrehen!“

„Jawohl“, bestätigte der Alte grimmig. „Und die Geister der alten Könige gehen sowieso noch überall um, da bin ich ganz sicher.“

„Und die Pharaonen-Gespenster verfügen über Riesenkräfte“, fügte sein Sohn mit einem Grinsen hinzu. „Sie sind so stark, daß nicht mal ein Prof os sie besiegen kann.“

„Haha“, sagte Carberry grunzend. „Daß ich nicht lache. Eins habt ihr Heringe bei euren Spinnereien aber vergessen: daß nämlich so ein Kistenramses gar nicht schwimmen kann. Das war damals noch nicht üblich.“

„Woher willst du das wissen?“ fragte Blacky.

„Das haben mir die Wüstendämonen heute nacht zugeflüstert!“ rief Carberry.

Damit löste er ein brüllendes Gelächter aus, das weithin durch die Wüste schallte.

Carberry stieg bei dieser Aufgabe, die vor ihnen lag und die es zu bewältigen galt, zu ungeahnten Formen auf und bewies wieder einmal, von welch eisenhartem Kaliber er war. Und diese Härte zeigte auch der Seewolf, als sie beide als Schlagleute ihres Bootes pullten.

Da brachte Hasard nun selbst seinen Profos zum Staunen – und wenn der Kapitän eisern und lächelnd durchhielt, Stunde über Stunde, dann konnte auch der Profos nicht aufstecken, oder?

Keiner konnte dies, sie alle gaben, was sie zu geben vermochten und trieben die Jollen mit immenser Willenskraft voran, stundenlang, ohne Aufenthalt nach einem gut durchdachten System, mit dem sie sich immer wieder ablösten.

Hasards Jolle war Bens Jolle etwas voraus, etwa eine Bootslänge. Ben Brighton nahm dies als Ansporn und feuerte seine Männer zu größerer Leistung an. Nun holten sie wieder etwas auf, und es entwickelte sich ein richtiges Wettrennen auf dem Kanal unter der glühenden Sonne Ägyptens. Wer immer sie hätte beobachten können, er hätte sie für verrückt erklärt.

Ohne eine neuerliche Überraschung hätte das Ganze aber nicht ablaufen können, das wäre denn doch zu schön gewesen. Gegen zwei Uhr nachmittags gab es plötzlich einen heftigen Ruck, und Hasards Jolle saß fest. Bens Boot glitt heran, Ben hatte bemerkt, was los war, konnte aber nicht mehr rechtzeitig genug stoppen. Seine Jolle brummte neben der von Hasard auf.

„Hölle und Teufel!“ fluchte der Profos. „Wir sitzen auf, Leute!“

„Eine Sandbank“, sagte der Seewolf und erhob sich von seiner Ducht. „Eine der vielen Barrieren im Kanal, über die wir schon mit der ‚Isabella‘ wegmußten. Diese hier scheint besonders hoch zu sein.“

Er stieg aus und ließ sich in das trübe Wasser sinken. Das Naß reichte ihm gerade bis zu den Hüften, und zwar nicht nur in der unmittelbaren Nähe der beiden Boote, sondern auch weiter entfernt, zu den Ufern hin. Somit war bewiesen, daß die Wassertiefe an dieser Stelle überall gleich war, auch ein Ausweichmanöver nach links oder nach rechts hätte sie vor dem Auflaufen nicht bewahrt.

Hasard lehnte sich mit der Schulter an das Heck seiner Jolle und stemmte sich dagegen.

„Warte!“ rief Ben Brighton. „Wir helfen dir!“

Sofort schickten sich die Männer beider Boote an, ebenfalls außenbords zu springen, und auch die Zwillinge wollten ins Wasser, doch Hasard hielt sie zurück.

„Bleibt, wo ihr seid“, sagte er. „Das schaffe ich auch allein.“

Und er schaffte es – schob die Jolle von der Sandbank und vergewisserte sich, daß sie wieder frei im Kanal schwamm, watete dann zu Bens Boot hinüber und versuchte es auch hier nach demselben Prinzip.

Der Schweiß rann ihm übers Gesicht und über den ganzen Oberkörper, sein Atem beschleunigte sich, sein Herz pumpte heftig, aber er kapitulierte nicht. Etwas schlängelte sich um seine Fußknöchel und verschwand dann wieder, aber er kümmerte sich nicht darum. Der Kanal mochte von Schlangen, giftigen Würmern und Zitteraalen nur so wimmeln – ihn störte es in diesem Moment nicht. Er hatte nur ein Ziel vor Augen: die verdammte Barriere zu überwinden.

„Himmel noch mal, Sir“, sagte Ben Brighton. „Das wäre doch viel leichter, wenn wir aussteigen würden.“

Hasard drückte das Boot mit aller Macht voran, und jetzt – endlich – stellte sich auch hier der gewünschte Erfolg ein, die Jolle hatte wieder Wasser unterm Kiel. Der Seewolf stieß sie von sich weg, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und lächelte seinen Männern zu.

„Warum denn?“ fragte er. „So geht es viel schneller, und wir wollen jeden Zeitverlust vermeiden.“

Mit diesen Worten kehrte er zu seinem Boot zurück und stieg wieder ein. Die beschwerliche Reise konnte weitergehen.

5.

Jack Finnegan glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Hatte die stechende Sonne bereits seinen Geist verblendet?

Nein, das konnte nicht sein. Er saß ja im Schatten. Das Großsegel bewahrte sie nach wie vor vor dem direkten Einfluß der Strahlen. Die See war ein glitzernder Spiegel, die Luft flirrte vor Hitze, doch die Marsplattform hätte eine Oase, ein Paradies sein können, wenn es wenigstens ein wenig zu essen und zu trinken gegeben hätte.

Verdammt, dachte Finnegan, jetzt ganz ruhig bleiben. Er schloß die Augen und öffnete sie wieder. Er hatte sich nicht geirrt: Unter ihnen trieb etwas im Wasser, und zwar dort, wo sich ein paar Fuß tiefer unter der Oberfläche die Kuhlgräting der „Zeland“ befinden mußte.

Finnegan stieß sanft seinen Freund an, der ein bißchen eingedöst war.

„Paddy, he! Verdammt, nun wach doch endlich auf“, sagte er.

Rogers wandte den Kopf und blickte ihn schläfrig an. „Was ist los? Was gibt’s? Ein Schiff? Na gut, ich entere bis zum Masttopp auf und fange an zu signalisieren.“

„Unsinn. Da ist kein Schiff. Aber es schwimmt was im Wasser – eine Pütz.“

Paddy Rogers lehnte sich ein Stück vor und spähte ins Wasser hinunter.

„Richtig“, bestätigte er. „Das ist eine Pütz.“

„Die holen wir uns.“

„Wozu?“

„Man kann nie wissen. Nimm mal an, es fängt an zu regnen. Dann können wir wenigstens ein bißchen Wasser auffangen, Trinkwasser, verstehst du?“

Rogers blickte noch einmal auf die Pütz, dann in das Gesicht des Freundes und schließlich zum Himmel. Da war keine einzige Wolke zu sehen, strahlendes Blau erstreckte sich über ihnen wie eine leuchtende Kuppel. Hatte Finnegan einen Sonnenstich, oder was war los?

„Ich weiß schon, was du denkst“, raunte Finnegan. „Daß ich nämlich nicht mehr ganz richtig im Kopf sei. Aber überleg’ mal richtig. Das Wetter kann sich in dieser Gegend sehr schnell ändern. Das hast du ja selbst gesehen. Der Sturm war mit einemmal da und dann ganz flink wieder weg. Oder etwa nicht?“

„Ja, das stimmt.“

„Also los. Heute nacht könnte es Regen geben. Oder morgen. Wir dürfen das nicht verpassen. Wenn wir Wasser haben, halten wir länger durch. Wir müssen aber wenigstens ein Gefäß haben. Mit den Händen können wir die Tropfen nicht auffangen.“

„Also brauchen wir die Pütz“, sagte Rogers voll Logik. „Aber du hast die Haie vergessen.“

„Nein, das habe ich nicht. Hör’ genau zu. Hier ist eine Verstrebung lokker, die können wir als Waffe benutzen. Sieh mal, die Pütz ist schon ganz dicht am Großmast. Los, nichts wie runter, sie gehört uns. Nimm du die Planke, und wenn die Haie mir zu nahe geraten, gibst du ihnen was auf die Nase.“

Paddy Rogers sah keinen Grund, noch länger das Wenn und Aber dieses Unternehmens abzuwägen. Finnegan hatte das schon richtig geplant, daran bestand für ihn kein Zweifel. Jetzt galt es, keine Zeit mehr zu vergeuden. Je weiter sich die Pütz wieder vom Mast entfernte, desto riskanter wurde die Sache.

Paddy erhob sich und bückte sich nach der Verstrebung. Es bedurfte keiner großen Anstrengung, sie vollends zu lösen, es gab nur ein Knakken, dann hatte er sie in der Hand.

Reuter, Marten und Pravemann schreckten aus ihrem Dahindämmern hoch. Sie sahen ihn an, und Reuter fragte: „He, was tust du denn da?“

„Ich nehme mir die Planke hier“, antwortete Rogers.

„Im Wasser schwimmt eine Pütz“, ergänzte Finnegan erläuternd. „Die holen wir uns. Ihr könnt uns helfen, wenn ihr wollt.“

„Wir brauchen keine Pütz und keinen Kübel und auch keine Planken“, brummte Piet Reuter. „Das ist alles nichts zum zwischen die Zähne schieben, und man kann’s auch nicht die Kehle runtergießen. Wenn es ein Fäßchen Wasser oder Dünnbier gewesen wäre, wäre ich mitgegangen. Aber was sollen wir mit einer dämlichen Pütz, frage ich euch?“

Finnegan erklärte es ihm, doch Reuter lachte nur verächtlich.

„Regen? Den kriegen wir auch in den nächsten zwei Wochen nicht“, sagte er.

„Wie willst du das so genau wissen?“

„Das sagt mir mein Verstand“, entgegnete Reuter.

„Los, Paddy“, sagte Finnegan zu seinem Freund. „Wir vergeuden hier nur unsere Zeit.“ Damit trat er an den Rand der Plattform und kletterte in den Wanten der Backbordseite hinunter. Rogers folgte ihm.

„Eben!“ rief Reuter ihnen höhnisch nach. „Beeilt euch, sonst versäumt ihr was! Es gibt hier ja so verflucht viel zu tun – vierundzwanzig Stunden am Tag reichen nicht aus, man weiß schon gar nicht mehr, wo einem der Kopf steht!“

Marten und Pravemann lachten.

Jack Finnegan hatte inzwischen die Wasserfläche erreicht. Rogers war unmittelbar über ihm und bewegte das Stück Holz hin und her, das als Waffe gegen die Haie dienen sollte. Vielleicht hauen sie ab, wenn sie das Ding sehen, dachte er.

Aber so gute Augen haben Haie nicht. Nur ein direkter Angriff konnte etwas nutzen, das sollte auch Paddy Rogers gleich erfahren.

Reuter, Marten und Pravemann hatten sich über den Rand des Großmarses gebeugt.

„Aufpassen!“ schrie Pravemann. „Die Burschen kommen! He, Finnegan, fall nicht aus den Wanten, sonst endest du wirklich noch als Haifischfutter!“

Sie lachten alle drei, aber Finnegan und Rogers schenkten ihnen keine Beachtung.

Jack Finnegan streckte die Hand nach der treibenden Pütz aus. Fast konnte er sie mit seinen Fingerspitzen berühren, doch dann wurde sie von einer winzigen Welle hochgehoben und entführt. Sie entfernte sich vom Mast und von den Wanten, und Finnegan quittierte dies mit einem saftigen Fluch.

„Ja, es sah wohl einfacher aus, als es ist“, sagte über ihm Reuter. „Gib es auf, Mann, es bringt dir ja doch nichts ein, und die Haie beißen dir höchstens noch die Hand ab.“

„Das ist halb so wild“, sagte Pravemann. „Jeder Mensch hat zwei Hände, die eine als Ersatz. Mit einer Hand schafft man’s immer noch ganz schön weit. Ich kenne einen, dem haben sie in Beirut die Hand abgehackt, weil sie ihn beim Klauen erwischten, und er ist trotzdem über sechzig Jahre alt geworden.“

Wieder lachten die Kerle.

„Eins ist mal sicher“, sagte Paddy Rogers wütend. „Wenn wir wirklich Regenwasser auffangen, kriegt ihr keinen Schluck davon ab. Nicht einen einzigen Tropfen.“

„Die Pütz treibt immer weiter ab“, stellte Finnegan besorgt fest. „Paddy, ich schwimme ihr nach. Paß du gut auf die Haie auf.“

„Verdammt, da sind sie schon!“ stieß Rogers hervor. Dann beugte er sich so tief wie möglich hinunter und holte, während er sich mit der einen Hand an den Webeleinen festhielt, mit der Marsverstrebung nach dem grauen Schatten aus, der sich aus Richtung des Bugs der „Zeland“ näherte und Finnegan im nächsten Augenblick erreichen mußte.

Die Verstrebung sauste auf die Dreiecksflosse des Hais nieder, und sofort hieb Paddy Rogers noch einmal zu. Er war schwerfällig im Denken, aber ein Mann der Tat – zum drittenmal schlug er kräftig mit seiner Behelfswaffe zu, und jetzt, endlich, drehte der Hai ab und glitt zu seinen Artgenossen davon.

Jack Finnegan war jetzt im Wasser und stieß sich von den Wanten ab. Zwei Schwimmzüge genügten, und er schnappte sich die Pütz. Er drehte sich um und wollte zum Mast und zu den Wanten zurückkehren, doch jetzt schob sich einer der heimtückischen Gesellen zwischen ihn und Paddy Rogers und drohte, ihm den Weg abzuschneiden.

Rogers stieg jedoch noch ein Stück tiefer, so, daß das Wasser ihm jetzt bis zu den Knien reichte, und drosch zornig mit der Planke auf den Hai ein. Er sah die dolchspitzen Zähne in dem grauenerregenden Maul, das Verderben schoß geradewegs auf ihn zu und wollte nach seinem Arm schnappen, doch er verlor nicht die Nerven und behauptete seinen Platz.

 

Mitten auf die Nase des Hais knallte das Stück Holz, es schien, als habe Rogers genau Maß genommen. Damit hatte er eine empfindliche Partie des Angreifers getroffen – der Hai schloß sein mörderisches Maul und tauchte. Seine Dreiecksflosse verschwand, und dann war er nur noch ein Schemen unter Rogers und Finnegan, als er in Richtung auf das Vordeck der Galeone davonraste.

Finnegan nutzte seinen Vorteil aus und war mit einer einzigen ruckartigen Bewegung seiner Arme und Beine bei Rogers. Der große Mann half ihm auf die Wanten, sah sich grimmig nach weiteren Haien um, die allzu nah an die Webeleinen heranschwammen – und schlug noch einmal mit seiner primitiven Waffe zu. Diesmal erwischte er den Rücken eines Haies und prügelte derart wild auf das Tier ein, daß dieses sein ursprüngliches Vorhaben vergaß.

Statt nach ihren Beinen zu schnappen, entfernte sich der Hai aus der Reichweite der auf und nieder zukkenden Planke. Finnegan und Rogers konnten höher entern, und danach war die Gefahr vorbei.

Die Haie, ein aufgebrachtes Rudel blutrünstiger Rächer jetzt, zogen heftig ihre Kreise und wühlten das Wasser um den Großmast herum auf. Mit gelindem Grauen blickten die drei Holländer auf das Treiben. Insgeheim bewunderte Reuter sogar den Mut der Engländer, aber er hätte dies niemals offen zugegeben.

Finnegan und Rogers kehrten auf den Großmars zurück, Finnegan stellte die Pütz neben sich ab. Er setzte sich am Rand nieder, ließ die Beine baumeln, beobachtete eine Weile die Haie und sah dann zu Rogers.

„Hast du noch alles?“ fragte dieser. „Haben sie dir nichts abgebissen?“

„Wirklich nicht“, erwiderte Finnegan, und dann lachten sie beide.

Reuter sagte gehässig: „Eine feine Errungenschaft habt ihr da erworben. Eine Pütz! Ist das nicht herrlich? Na, wenn die Langeweile allzu groß wird, können wir ja Fangball damit spielen.“

Er lachte, und Marten und Pravemann stimmten mit ein. Ihr Gelächter klang bösartig, es war eine offene Warnung an Jack Finnegan und Paddy Rogers.

Sir John, der karmesinrote Aracanga, hatte sich auf einen Erkundungsflug begeben. Die schützende Nähe Edwin Carberrys hatte er schon vor gut einer halben Stunde verlassen und war in südlicher Richtung verschwunden.

Der Profos begann bereits, besorgt nach ihm Ausschau zu halten.

„Was ist denn, Ed?“ fragte Dan O’Flynn. „Du glaubst doch wohl nicht, Sir John sei was zugestoßen, oder?“

„Unsinn. Ich will nur nachsehen, ob da irgendwo Karawanen sind.“

„Eigentlich wäre das nicht schlecht“, sagte Big Old Shane. „Diese Beduinen haben bestimmt noch keinen Papagei gesehen, und wenn, dann wahrscheinlich keinen so schönen. Könnte sein, daß sie Sir John anlocken, ihn einfangen und mitnehmen. Na, Ed, wie wäre das? Dann wärst du ihn endlich los.“

„Ach, halt doch das Maul, du Bollerkopf“, brummte Carberry.

„Wie denn? Was denn?“ tat nun der Kutscher überrascht. „Das hört sich ja fast so an, als wäre dir doch was an dem Tierchen gelegen, Mister Carberry. Aber merkwürdig ist das schon: Sonst meckerst du immer nur mit ihm und drohst ihm die schlimmsten Sachen an.“

„Zum Beispiel, ihn bei lebendigem Leib zu rupfen!“ rief Ferris Tucker, der alles erheitert verfolgt hatte, aus dem Nachbarboot herüber.

Carberry fuhr wild zu ihm herum. „Das aber nur, wenn ich wütend bin, du feuerroter Plankenmaat.“

„Also, nun ist es heraus“, erklärte Dan O’Flynn feierlich. „Unser Profos hängt an Sir John, sie sind ein Herz und eine Seele. Das hab’ ich ja schon immer gesagt. Und was ist denn auch Schlechtes dabei? Jeder hat seine schwache Seite im Leben, bloß ein Carberry ist zu stolz, es zuzugeben.“

„Jetzt reicht’s mir aber!“ schrie Carberry, dessen Schläfenadern bereits gefährlich anschwollen. „Paßt bloß auf, daß ihr keinen Hitzschlag kriegt und aus dem Kahn fällt, ihr ungaren Gockel!“

„Immer mit der Ruhe, Ed“, sagte der Seewolf, konnte sich ein Lächeln aber auch nicht verkneifen.

„Das mit der Karawane ist Quatsch“, sagte Gary Andrews. „Ich wette, Sir John ist gleich runter bis nach Nubien geflogen, und da landet er bei den Negern im Kochtopf.“

„Nicht wahr!“ stieß Batuti aufgebracht hervor. „Nicht alle schwarzen Männer fressen Papageien!“

„Schon gut“, sagte Gary beschwichtigend. „Das sollte keine Beleidigung sein, Junge. Denk’ doch an die Chinesen. Die fressen Hunde und sogar Ratten.“

„Und Schwalbennester“, fügte Matt Davies hinzu.

„Und verfaulte Eier“, sagte Stenmark. „Pfui Teufel.“

„Mister Andrews!“ sagte Carberry sehr laut. „Du wirst dich wegen deiner Äußerung da noch zu verantworten haben. Kriege ich jemals raus, daß es dem Vogel wirklich so ergangen ist, wie du gesagt hast, halte ich mich an dich, verstanden?“

„Wieso denn das?“ fragte Gary verblüfft. „Es ist doch nicht meine Schuld, oder?“

„Aber du scheinst ja genau Bescheid zu wissen“, grollte der Narbenmann. „Möglich, daß du hinter den Horizont gucken kannst. Sollte sich das als wahr erweisen, tu’ ich gut daran, dir auf den Schädel zu klopfen, denn ein Jonas bringt einer Crew stets Unglück. Was? Wie?“

„Ich will nichts gesagt haben“, brummte Gary.

„Regt euch ab“, sagte Dan O’Flynn. „Wenn mich nicht alles täuscht, kehrt unser Freund gerade von seinem Ausflug zurück.“ Er wies nach Backbord, also nach Süden, und tatsächlich, dort näherte sich im rotgoldenen Nachmittagslicht ein Punkt, der sich rasch vergrößerte. Dan mit seinen scharfen Augen hatte ihn als erster erspäht, doch jetzt sahen ihn auch die anderen, und wenig später entpuppte sich der Fleck als Sir John, der ziemlich aufgebracht zu sein schien. Sie konnten die Flüche, die er auf englisch und auf spanisch ausstieß, nur allzu gut verstehen.

„Nun mal los, Mister John, Sir!“ rief der Profos. „Was, zum Teufel, ist passiert? Was hast du gesehen?“

Sir John zog eine Schleife über den Booten, dann senkte er sich zielsicher auf die mächtige Gestalt seines Herrn und Gebieters nieder und landete auf dessen Schulter.

Er krakeelte wie verrückt und wollte keine Ruhe geben. Carberry nannte ihn einen „blinden Geier“ und einen „tückischen Zwerghahn“ und wollte ihn von seiner Schulter jagen, um ihn zum Schweigen zu bringen, doch der Papagei setzte bereits wieder ab, nach Backbord voraus, flog ein Stück und kehrte wieder zu den Booten zurück.

„Alle Mann an die Brassen!“ zeterte er. „Breitseite von Steuerbord! Fier weg das Ding! Klar bei Lunten! Stinkstiefel und Himmelhunde! Galgenstricke und Affenärsche!“

„Was meint er denn bloß?“ fragte der Seewolf. „Daraus wird ja kein Mensch schlau.“

Der Papagei saß nun wieder auf Carberrys Schulter, fuhr aber fort zu fluchen.

„Er kann sich eben nicht richtig zivil ausdrücken“, sagte der Profos.

„Zivilisiert“, berichtigte der Kutscher.

„Das ist doch scheißegal, du Knochenbieger!“ fuhr der Profos ihn an, dann wandte er sich wieder seinem Kapitän zu. „Eins steht aber fest, Sir: Es ist was im Busch. Sonst würde sich Sir John nicht so idiotisch gebärden.“

„In Ordnung“, sagte der Seewolf. „Sein Benehmen ist ein klares Alarmzeichen. Richten wir uns darauf ein, daß es gleich Verdruß gibt.“ Er winkte seinen Männern zu und rief: „Klar bei Handfeuerwaffen! Ferris und Al, kümmert euch um die Höllenflaschen!“

„Aye, Sir“, gaben die Männer zurück.

Dann wurden die Riemen eingeholt und eilfertige Betriebsamkeit setzte an Bord der beiden Jollen ein. Im Nu hatten sie die Musketen, die Tromblons und Pistolen unter den Duchten hervorgeholt oder aus ihren Gurten gezogen, die Läufe blinkten matt in der Sonne. Die Ladungen wurden überprüft. Jeder überzeugte sich davon, daß alles seine Ordnung hatte und das Zündkraut ja nicht naß geworden war. Carberry zerdrückte einen neuerlichen Fluch auf den Lippen und preßte mit dem Ladestock eine Kugel in seine Pistole.

Ferris Tucker und Al Conroy, die in Ben Brightons Boot saßen, hielten die Flaschenbomben mit der explosiven Ladung bereit und hantierten bereits mit Feuerstein und Feuerstahl. In jedem Boot wurde ein kleines Kupferbecken mit Holzkohle zum Glimmen gebracht, die Glut zum Anzünden der Lunten war bereit.