Seewölfe Paket 14

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8.

Nach der Sonne zu urteilen, die vorsichtig, fast schüchtern, hinter dem Horizont hervorlugte, schien der 4. Juni im Jahre 1592 ein Tag wie tausend andere zu werden.

Für die Handvoll Seewölfe jedoch, die noch immer in der haiverseuchten Bucht von Kanais vor Anker lagen, war es ein besonderer Tag – ein Tag, angefüllt mit vielen Gefahren und Tücken, aber auch mit Hoffnungen und Erwartungen. Sobald die Männer an die Schätze dachten, die da unten in der wrakken Galeone lagerten, kribbelte es ihnen in den Fingern.

Und heute würden sie einen neuen Versuch wagen, zu der „San Marco“ hinabzutauchen. Doch daß an diesem Tag Menschen, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatten, versuchen würden, ihre Pläne zu durchkreuzen, ahnten sie am frühen Morgen noch nicht.

Ben Brighton und seine Männer sahen noch immer in den Haien, die sich in der Bucht aufhielten, die einzige Gefahr, die ihnen drohte. Deshalb waren Bob Grey und Pete Ballie schon kurz nach dem gemeinsamen Frühstück zum Kap hinübergerudert, um die „Fütterung der Raubtiere“ zu besorgen. Sie hatten die übliche Ausrüstung in das Beiboot gepackt und vertrieben sich nun an der Seeseite des Landvorsprungs die Zeit mit einer Art Wettangeln.

An Bord der Sambuke jedoch wurden inzwischen die Vorbereitungen für einen weiteren Tauchgang getroffen. Ben Brighton und Smoky schlangen sich bereits die Leinen um die Hüften, während die übrigen Männer sorgsam nach den wohlbekannten Dreiecksflossen Ausschau hielten.

Doch die Bucht war wie leergefegt. Nirgends war ein dunkler Schatten zu entdecken, der lauernd durch das Wasser glitt. Bob Grey und Pete Ballie schienen drüben an der Futterstelle recht erfolgreich zu arbeiten.

Old O’Flynn, der dem ganzen Frieden noch lange nicht traute, hatte Flaschenbomben und Musketen herangeschleppt.

„Schließlich kann ich ja nicht tatenlos zusehen, wie euch die Haie die besten Stücke abbeißen“, knurrte er.

Ben Brighton lächelte verschmitzt. „Notfalls kannst du ihnen ja dein Holzbein über den Schädel ziehen.“

Nachdem man sich nochmals vergewissert hatte, daß kein Hai in der Nähe war, tauchten er und Smoky an der Ankertrosse entlang in die Tiefe. Das Wrack der „San Marco“ schien wie ein dunkler Koloß aus dem Meeresboden zu wachsen.

Die Messer griffbereit im Gürtel, arbeiteten sie sich zielstrebig zu der Truhe vor, die man bereits am Tag zuvor aus dem Achterschiff geholt hatte. Rasch wurde eine Hievtrosse um den Behälter geschlagen, dann griff Ben Brighton zur Leine und gab das vereinbarte Signal nach oben.

Langsam wurde die erste Truhe aufgehievt.

Nachdem die beiden Männer noch vorsichtige Blicke in ihre Umgebung geworfen hatten, tauchten sie auf, um Luft zu holen, und, so gut es ging, beim Anbordnehmen der Truhe zu helfen.

Die Sache verlief reibungslos, kein Hai hatte sich gezeigt.

Den Seewölfen gingen fast die Augen über, als sie mehr oder weniger gewaltsam den Truhendeckel lösten. Neben weiteren Edelsteinen fanden sich zahlreiche Gold- und Silbermünzen, dazu eine Menge Schmuck.

Old O’Flynn schlich um die geöffnete Truhe herum wie ein verliebter Kater um die Katze. Verlegen fuhr er sich mit der rechten Hand durch die Bartstoppeln.

Ben Brighton konnte ein Grinsen nicht länger unterdrücken.

„Na, Mister O’Flynn“, fragte er. „Hast du irgendwelche Einwände gegen den Inhalt dieser Truhe?“

„Ich und Einwände?“ fragte der Alte mit empörtem Gesicht. „Hab ich nicht von Anfang an gesagt, daß wir das Zeug raufholen müssen, wie, was?“ Er leckte sich beinahe genießerisch über die Lippen. „O heiliger Patrick“, fuhr er dann fort. „Allein dieser Flitterkram reicht ja schon für eine neue ‚Isabella‘! Da werden Hasard und die anderen Stinte aber die Augen aufreißen, wenn wir damit in Plymouth aufkreuzen.“

Ben Brighton nickte. „Schön, daß du jetzt anscheinend doch nichts mehr gegen unsere Tricks einzuwenden hast, mit denen wir die Haie ablenken.“

„Hab ich vielleicht jemals etwas gegen Tricks und gute Einfälle gehabt, he?“ knurrte der Alte. „Nur das mit der Futterstelle, das will mir noch nicht so recht in den Kopf. Da könnten wir ja nächstens genauso Futterstellen für Kakerlaken einrichten, um sie aus der Kombüse fernzuhalten.“

Al Conroy verschluckte rasch einen kleinen Lachanfall.

„Wie wär’s, wenn du schon mal in dieser Hinsicht über geeignete Maßnahmen nachdenken würdest, Donegal?“ Er sah den alten O’Flynn mit todernstem Gesicht an.

Doch dieser drehte sich um und stelzte erhobenen Hauptes zu seinen schußbereiten Musketen hinüber. Dabei brummelte er irgend etwas von „Haifischzüchtern“ und „Verarschen“ vor sich hin.

Die Arbeit ging weiter.

Genauso unverdrossen wie die Angler, Bob Grey und Pete Ballie, die Haie fütterten, wurden von Bord aus die Tauchgänge fortgesetzt. Als die Mittagszeit herannahte, hatte man drei weitere Truhen heraufgeholt. Ihr Inhalt übertraf die kühnsten Erwartungen der Seewölfe, die mittlerweile in eine Art Goldrausch geraten waren. Immerhin hatten sie bereits vier Schatztruhen an Bord gehievt, von denen jede ein Vermögen enthielt. Hinzu kamen noch die Sachen, die sie schon am Vortag in Segeltuchsäcken geborgen hatten.

Obwohl die Sonne bereits hoch am Himmel stand, und den Männern der Schweiß in Strömen über den Körper rann, dachten sie noch nicht an eine Pause. Immerhin befanden sich noch fünf Truhen im Achterschiff der gesunkenen Galeone, und wenn sich die Haie noch ein wenig hinhalten ließen, konnten die Tauchgänge fortgesetzt werden.

„Wenn es uns gelingt, noch eine oder zwei der Truhen hochzuholen“, meinte Ben Brighton, „dann sollten wir uns zufriedengeben. Die Haie werden sich nicht ewig von uns foppen lassen, und Donegal hat insofern schon recht, wenn er sagt, daß man das Schicksal nicht herausfordern sollte. Es wäre nicht zu verantworten, wenn wegen dieses Zeugs da am Ende doch noch was passieren würde.“

Es sollte tatsächlich noch etwas passieren, und zwar schneller, als die Seewölfe dachten. Bis jetzt waren sie so mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen, daß noch niemand bemerkt hatte, was sich da in der glühenden Mittagshitze an Land und auf See zusammenbraute.

Erst ein lauter Ausruf Old O’Flynns schreckte die Männer, die sich gerade auf einen neuen Tauchgang vorbereiten wollten, hoch.

„Zwei Kamelreiter in Sicht!“ meldete der Alte mit dem verwitterten Gesicht. „Endlich sieht man außer Haien und goldgierigen Rübenschweinen mal wieder menschliche, Wesen. Was die Kerle wohl von uns wollen, he?“

Jetzt sahen auch die übrigen Seewölfe die beiden Reiter, die drüben an der Küste hinter den Dünen aufgetaucht waren.

Auch für Pete Ballie und Bob Grey sollte das Angeln und Fischefüttern rasch zu Ende gehen.

Pete, der von der Futterstelle zum Angelplatz zurückkehrte, erblickte als erster die beiden einmastigen Küstensegler, die sich der Bucht von Osten her näherten.

„Wir kriegen Besuch!“ rief er Bob Grey zu, der gerade einen zappelnden Fisch vom Haken nahm. „Die zwei Nußschalen halten direkt auf die Bucht zu. Ob die wohl was gegen uns im Schilde führen?“

Bob Grey warf seinen Fisch in die Bütte und erhob sich.

„Frag mich was Leichteres, Pete“, sagte er mit einem Schulterzucken. „Ob die Kerle in friedlicher oder feindlicher Absicht erscheinen, das weiß im Moment außer Allah höchstens noch Old Donegal – vorausgesetzt, sein Holzbein hat ihn nicht im Stich gelassen.“

Der kleine, stämmige Rudergänger grinste. „Die Vorsicht ist auf jeden Fall der bessere Teil der Tapferkeit. Es kann nicht schaden, wenn wir unseren Leuten ein Signal geben. Wer weiß, ob die vor lauter Flitterkram noch sehen, was sonst noch auf der Welt vor sich geht.“

Bob Grey nickte.

„Ich komme mit dir, Pete“, erwiderte er. „Falls uns die Burschen auf den beiden schwimmenden Mucks nur eben den Segen Allahs wünschen wollen, können wir ja wieder weiterangeln.“

Die beiden Männer kletterten vorsorglich zur Bucht hinunter, um die Crew zu wahrschauen. Doch dazu sollte ihnen keine Zeit mehr verbleiben.

Kaum spürten sie den heißen Sand des Strandes unter ihren Füßen, da drangen wilde, fremdartige Schreie an ihre Ohren.

Pete Ballie und Bob Grey, die bis jetzt ihr Hauptaugenmerk auf die beiden Küstensegler gerichtet hatten, wirbelten herum. Schlagartig erkannten sie, daß die größere Gefahr im Moment von der Küste aus drohte – zumindest, was sie beide betraf.

Zwei Kamelreiter hielten auf die Bucht zu. Sie ritten ein wildes Tempo und schwangen drohend ihre Säbel und Lanzen. Dabei stießen sie immer wieder laute, schrille Rufe aus. Und sie waren nicht allein. Hinter den Dünen tauchten weitere Reiter auf, die wie Besessene auf ihre Kamele eindroschen. Die Horde schien es zunächst auf die beiden Seewölfe abgesehen zu haben, denn die Sambuke war im Moment noch unerreichbar für sie. Jedenfalls hielten sie direkt auf Pete Ballie und Bob Grey zu.

„Verdammt und zugenäht!“ stieß der blonde, drahtige Bob Grey hervor. „Die Kameltreiber sind scharf auf uns. Die wollen uns bestimmt nicht zum Hammelbratenessen abholen!“

„Ganz bestimmt nicht!“ sagte Pete Ballie grimmig. „Und wir Helden haben vor lauter Fürsorge um den Appetit der Haie die Musketen im Beiboot gelassen. Wenn uns die Kerle hier schnappen, geht’s uns dreckig.“

„Na, dann nichts wie ab!“ Bob Grey setzte sich sofort in Bewegung. „Wenn wir unsere morschen Knochen auf Trab bringen, erreichen wir vielleicht doch noch vor den Kamelen das Boot.“

Die beiden Seewölfe stürmten durch den Sand, so rasch sie die Füße trugen. Das Geschrei hinter ihnen wurde immer lauter: Kein Wunder, denn die Kamele hatten wohl doch längere Beine als Pete Ballie und Bob Grey.

 

Auf der Sambuke hatte man inzwischen die Gefahr erkannt, die den beiden drohte. Seit Old O’Flynn die ersten beiden Kamelreiter gesichtet hatte, waren die Kerle keinen Moment aus den Augen gelassen worden. Als weitere sechs Reiter aufgetaucht waren und ebenfalls auf die beiden Seewölfe zuhielten, wartete Ben Brighton nicht länger ab.

„Wir müssen die Burschen aufhalten!“ rief er. „Sonst haben Bob und Pete keine Chance, das Boot zu erreichen! An die Musketen! Feuer!“

Grelle Feuerzungen stachen aus den Rohren und erfüllten die stille Bucht mit einem ohrenbetäubenden Krachen. Aber es war so gut wie unmöglich, aus dieser Entfernung einen Treffer zu erzielen. Zudem ritten die Kerle noch wie die Teufel. Ihr Geschrei wurde nur noch lauter und fanatischer, nachdem das Krachen und Bersten der Musketenschüsse verklungen waren.

„Wir müssen etwas näher ran, sonst können wir von hier aus nicht viel ausrichten!“ rief Sam Roskill.

„Näher ran ist gut“, sagte Al Conroy. „Sollen wir vielleicht die Ankertrosse kappen?“

„Du bist wohl verrückt!“ sagte Sam Roskill empört. „Unseren guten alten Stockanker lassen wir hier nicht zurück. Ich erledige das schon, seht ihr inzwischen zu, daß die Kerle da drüben Zunder kriegen.“

Bevor jemand etwas einwenden konnte, sprang Sam Roskill ins Wasser und tauchte, um den verklemmten Anker aus der Geschützpforte des Wracks zu wuchten. Haie waren, wie ihm ein rascher Blick bestätigt hatte, keine in der Nähe. Offenbar hielten sie sich noch an der Futterstelle auf.

Noch während die Crew weitere Schüsse zu den Kamelreitern hinüberschickte, gelang es Sam Roskill, den Anker freizukriegen. Von Old O’Flynn und Smoky wurde er sofort hochgehievt. Augenblicke später tauchte auch Sam wieder auf und enterte eilig an Bord.

9.

„Tötet die ungläubigen Hunde!“ brüllte der kleine, untersetzte Omar und schwang seine Lanze. „Laßt sie nicht entkommen. Wir sind schneller als sie!“

„Ja! Tod den Schakalen!“ schrie der hagere Hamed mit sich überschlagender Stimme. „Allah möge sie verderben! Er möge Feuer vom Himmel schicken und sie versengen!“

Die beiden Halunken fühlten sich stark, zumal sich ein Oberschnapphahn mit fünf weiteren Männern dicht hinter ihnen befand. Sie würden den Kerlen von Muley Salah, der einen der Küstensegler befehligte, einmal zeigen, was sie wert waren. Vielleicht erhöhte das ihren Anteil an der reichen Beute, die sie auf der Sambuke zu finden hofften.

Außerdem – was konnte ihnen schon passieren? Aus östlicher Richtung waren bereits die beiden Segler aufgetaucht. Dieser Raubzug würde genauso über die Bühne gehen, wie alle bisherigen Angriffe, die sie an der Mittelmeerküste hinter sich gebracht hatten. Die alte Taktik, vom Wasser und vom Land her aus anzugreifen, würde sich mit der Hilfe Allahs wieder einmal bewähren.

Als die Musketenschüsse der Giaurs über ihre Köpfe pfiffen und teilweise kleine Sandfontänen emporrissen, fuhren sie zwar heftig zusammen, aber der Schreckmoment war rasch vorbei, zumal sie merkten, daß ihnen nichts passiert war. Mochten die Giaurs nur ihre Feuerwaffen krachen lassen! Allah vermochte auch die Eisenkugeln, die aus den langen Rohren flogen, in die Irre zu lenken. Daran zweifelten sie nicht.

Der Oberschnapphahn der Kamelreiter, er hieß Murat el Din, war inzwischen nahe an Omar und Hamed herangelangt.

„Zum Scheitan mit euch!“ brüllte er mit hochrotem Gesicht. „Warum habt ihr nicht gewartet, bis wir euch erreicht haben? Und hatte ich euch nicht befohlen, euch zurückzuhalten, bis Muley Salah mit seinen Seglern angreifen würde?“

„Sie entgehen uns nicht, Murat!“ schrie Omar zurück. Seine dunklen Augen glänzten in fanatischem Eifer. „Hätten wir vielleicht warten sollen, bis die beiden Hunde in ihrem Boot davongerudert wären? Ich kaufe sie mir schon jetzt, Murat! Jawohl, öffne nur deine Augen, und du wirst sehen, wie Omar zu kämpfen versteht!“

Wie ein Irrer schlug der kleine, untersetzte Araber auf sein Kamel ein und preschte – den anderen ein Stück voraus – um die Bucht. Nur noch wenige Schritte trennten die beiden Giaurs von ihrem Boot. Sie sollten es nicht erreichen, dafür würde er sorgen.

Mit einem haßvollen Schrei hob Omar seine Lanze.

Keuchend hetzten Pete Ballie und Bob Grey durch den knöcheltiefen Sand, der ihre Schritte stark bremste. Sie waren froh darüber, daß die Männer an Bord bereits aus allen Rohren feuerten, aber sie bemerkten auch, daß sie bisher keinen der Angreifer getroffen hatten.

„Himmel, lauf doch etwas schneller“, stieß Pete Ballie hervor, „sonst schaffen wir es nicht mehr.“

„Zeig mir doch mal, wie es schneller geht, du Großmaul“, keuchte Bob Grey, der Pete sogar um einige Yards voraus war.

In diesem Moment hörten sie hinter sich den lauten Schrei jenes Reiters, der sich von der Gruppe gelöst hatte. Und damit wurde den Seewölfen schlagartig klar, daß sie ihr Boot nicht mehr unbehelligt erreichen würden.

Beide wirbelten herum.

Pete Balli blickte direkt auf die Spitze der Lanze. Der kleine Araber, der umhüllt von einer schmutzigen Djelaba wie ein Gnom auf seinem Kamel hockte, richtete sie auf ihn.

Bevor der Rudergänger der ehemaligen „Isabella“ ein Wort über die Lippen bringen konnte, zischte die todbringende Waffe bereits durch die Luft. Der Araber hatte sie mit ungeheurer Wucht von sich geschleudert. Und er schien seines Erfolges absolut sicher zu sein.

Doch Pete Ballie hatte sich in seinem Seemannsleben längst an rasche Reaktionen gewöhnt. Er warf sich flink zur Seite – und im selben Augenblick flog die Lanze an ihm vorbei und bohrte sich in den Sand des Strandes.

Einen Atemzug lang spiegelte sich in den dunklen Augen des Kerls ungläubiges Staunen, dann riß er mit einem wütenden Aufschrei seinen Krummsäbel aus dem Gürtel.

Aber Bob Grey war schneller. Ein rascher Griff, und im blanken Stahl seines Messers spiegelte sich das Sonnenlicht. Unheimlich schnell, und für das Auge kaum wahrnehmbar, zischte die Waffe durch die Luft und grub sich tief in die Brust des Angreifers.

Als Omar, der Strandräuber, von seinem Kamel rutschte und im heißen Sand der Bucht von Kanais aufschlug, war er bereits tot. Seine Augen starrten leer und ausdruckslos zum blauen Himmel hinauf.

Pete Ballie und Bob Grey, der ein ausgezeichneter Messerwerfer war, hatten inzwischen, begleitet vom frenetischen Geheul ihrer Verfolger, das Boot erreicht. In Windeseile schoben sie es ins Wasser, sprangen hinein und griffen nach den Riemen.

Kaum hatten sie abgelegt, da erreichten die übrigen sieben Araber den Schauplatz. Doch bevor sie die wie besessen pullenden Seewölfe mit einem Hagel von Lanzen und Pfeilen eindecken konnten, krachte und donnerte es drüben auf der Sambuke aus allen Rohren.

Pete Ballie und Bob Grey erhielten Feuerschutz. Und nur diesem Umstand verdankten sie es, daß sie den Segler unbeschadet erreichten.

Noch während sie an Bord enterten, sahen sie, wie drüben am Strand ein weiterer Angreifer die Arme hochwarf und dann langsam vom Kamel rutschte. Der große, hagere Bursche fiel aufs Gesicht und blieb regungslos im Sand liegen.

10.

Old Donegal Daniel O’Flynn verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. „Das war knapp, ihr Guten“, sagte er. „Möchte nur wissen, was die Rübenschweine von euch wollten?“

„Darüber können wir später nachdenken“, keuchte Pete Ballie, der vom Pullen noch immer außer Atem war. „Im Moment sind die beiden Segler interessanter, die jeden Augenblick in die Bucht einlaufen müssen.“

„Segler?“ fragte Ben Brighton knapp.

„Zwei einmastige Küstensegler“, sagte der kleine, stämmige Rudergänger. „Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie vor der Bucht auftauchen. Ihr konntet sie von hier aus nicht sehen, aber uns sind sie an der Futterstelle schon recht früh aufgefallen. Das war auch der Grund, warum wir in die Bucht hinuntergeklettert sind. Doch leider sind wir nicht mehr dazugekommen, euch zu wahrschauen.“

„Ob die was mit den Wüstenfüchsen da drüben am Strand zu tun haben?“ fragte Al Conroy.

Die Frage mußte zunächst offen bleiben, denn die Araber, deren Wutgeheul unvermindert anhielt, waren von ihren Kamelen gesprungen und einige Schritte ins Wasser gewatet. Offensichtlich, um der Sambuke so nahe wie nur möglich zu sein. Jetzt schickten sie einen Pfeilhagel zu den Seewölfen hinüber. Und für einen Augenblick blieb diesen nichts anderes übrig, als die Köpfe einzuziehen.

„Wenigstens scheinen sie keine Feuerwaffen zu haben“, knurrte Ben Brighton. „Trotzdem werden die Kerle so langsam lästig. Los, geben wir ihnen noch was drauf, vielleicht haben sie dann endlich genug.“

„Jawohl, jagen wir sie zurück in die Wüste!“ rief Old O’Flynn. „Wenn die Segler auftauchen und Stunk veranstalten wollen, haben wir uns um andere Dinge zu kümmern.“

Ben Brighton nickte. „Es ist durchaus möglich, daß die Kerle gemeinsame Sache machen. Zumindest wäre die Methode für Strandräuber nicht neu. Na, wir werden ja sehen.“

Die Seewölfe tauchten hinter dem Schanzkleid der Sambuke auf und nahmen die Araber unter Feuer. Musketenschüsse krachten, und die Tromblons, die Old O’Flynn zum Schuß vorbereitet hatte, wummerten und bestreuten den Strand mit Eisen und Blei.

Ein weiterer Strandräuber kippte vornüber ins seichte Wasser. Ein anderer ließ plötzlich seine Bogen fallen und griff sich mit einem lauten Aufheulen an die linke Schulter. Er war ein Mann, der von der Kleidung her der Anführer der Bande zu sein schien. Wankend verzog er sich zu seinem Kamel, offenbar hatte ihn eine Kugel erwischt.

Jetzt schien auch die restlichen Kerle der Mut zu verlassen. Zumindest sah es so aus, als wollten sie sich aus der Reichweite der Feuerwaffen zurückziehen.

Den Seewölfen war das ganz recht, denn sie mußten ihre Aufmerksamkeit in eine ganz andere Richtung lenken.

„Ho, die Segler sind in Sicht!“ rief Will Thorne, der gerade noch seine Muskete abgefeuert hatte.

„Beim Teufel und seiner buckligen Großmutter!“ entfuhr es dem alten O’Flynn. „Das ist ja direkt ein arbeitsreicher Tag heute. Wir kommen kaum noch dazu, unsere lieben Haifischchen zu füttern.“

Die beiden Einmaster hielten unverkennbar auf die Sambuke der Seewölfe-Crew zu.

„Haltet eure Waffen bereit!“ befahl Ben Brighton und griff gleichzeitig nach dem Spektiv, das er aus der verlorenen „Isabella“ mitgenommen hatte. „Wir werden bald wissen, welche Absichten die beiden Segler haben“, fügte er noch hinzu. „Mister Thorne – du behältst zunächst die Burschen am Strand im Auge!“

„Aye, aye, Sir!“ bestätigte der alte, grauhaarige Segelmacher. Eigentlich hätte es jetzt, in der heißen Mittagszeit, in der kleinen Kombüse genug für ihn zu tun gegeben. Aber im Moment dachte natürlich niemand ans Essen. Es sah vielmehr danach aus, als gäbe es gleich eine ganz andere Arbeit.

Al Conroy und Old O’Flynn waren eifrig damit beschäftigt, die Musketen und Tromblons wieder schußbereit zu machen. Außerdem bereiteten sie einige Flaschenbomben vor und achteten darauf, daß die Pistolen geladen und auch genügend Messer und Degen bereitlagen.

Die übrigen Männer waren mit dem Segelsetzen beschäftigt, und das mußte im Ruck-Zuck-Verfahren erledigt werden, denn die Zweimast-Sambuke begann infolge des Windes aus Nordwesten langsam auf das Land zuzutreiben.

Doch die Seewölfe wußten, wo sie zupacken mußten. Jeder Handgriff saß, und schließlich waren die Segel oben, so daß man Fahrt aufnehmen konnte. Im Nachhinein war jeder froh darüber, daß Sam Roskill so kurzentschlossen hinuntergetaucht war, um den Stockanker aus der Geschützpforte der „San Marco“ zu lösen. Das hatte ihnen jetzt kostbare Zeit eingespart.

Pete Ballie war zur Ruderpinne geeilt und steuerte jetzt bei halbem Wind ostwärts in die Bucht hinaus.

Ben Brighton hatte den Kieker heruntergenommen.

„Bis jetzt ist noch nicht viel zu erkennen“, sagte er mit mißtrauischem Gesicht. „An Bord der Segler sieht alles ganz normal aus. Entweder handelt es sich wirklich nur um friedliche arabische Händler, die die Küstengebiete befahren, oder aber die dicke Überraschung folgt noch. Es wäre ja nicht das erste Mal.“

Er sollte sich in seiner Vermutung nicht getäuscht haben.

Pete Ballie fuhr mehrere Kreuzschläge in die Nordwestrichtung. So gewann die Sambuke Luvraum.

Auf den beiden Küstenseglern mußte man wohl frühzeitig das Vorhaben der Seewölfe erkannt haben, denn auch sie hatten sofort ihren Kurs geändert, nachdem sie zunächst Anstalten getroffen hatten, die Bucht anzulaufen.

 

„Die Burschen scheinen um jeden Preis unsere Bekanntschaft schließen zu wollen“, meinte Al Conroy mit einer Geste in Richtung der Segler.

„Ja, es sieht tatsächlich danach aus“, gab Ben Brighton zurück.

Im selben Augenblick begannen sich die Küstensegler zu teilen, offenbar um die Sambuke in die Zange zu nehmen.

„Ho, laßt die verlausten Rübenschweine nur näher heran“, sagte Old O’Flynn. Über seinem verwitterten Gesicht lagen steile Falten. „Sie kriegen, wenn sie Dummheiten versuchen, genauso die Hucke voll, wie die Wüstenflöhe am Strand.“

Von den Kameltreibern jedoch war nicht mehr viel zu sehen. Offenbar kümmerten sich die Überlebenden zunächst um ihren verletzten Anführer. Außerdem war die Sambuke längst aus jeder Reichweite für sie. Sie konnten höchstens noch von Land aus mitverfolgen, was sich da draußen vor der Bucht von Kanais anbahnte.

Die Küstensegler waren inzwischen nahe genug heran, und ihre Absichten waren mittlerweile ganz offenbar.

Urplötzlich begann ein wildes Geheul, und hinter den Verschanzungen tauchten, wie aus dem Boden gezaubert, wilde Kerle auf, die Messer und Krummsäbel schwangen.

Irgendein hagerer, geiergesichtiger Mann, der einen weißen Kaftan trug, brüllte unverständliche Befehle, und diese schienen auch dem zweiten Segler zu gelten. Er deutete mit wilden Gesten zu der Sambuke hinüber.

Da griffen die Strandpiraten unvermittelt an.

Die Seewölfe, die das Krachen und Bersten von Musketen oder Pistolen erwartet hatten, sahen sich plötzlich zwei Horden von Angreifern gegenüber, die mit Pfeil und Bogen sowie mit Armbrüsten schossen.

Die Seewölfe mußten zunächst hinter dem Schanzkleid der Steuerbord- und Backbordseite in Deckung gehen, um nicht einem heransirrenden Pfeil als Auffang zu dienen. Der Angriff erfolgte von beiden Seiten gleichzeitig.

„Du lieber Himmel“, sagte Al Conroy erschüttert, „die Kerle schießen ja noch mit Armbrüsten! Das scheinen noch Überbleibsel von den Kreuzzügen zu sein.“

„Die müssen verrückt sein“, sagte Ben Brighton. „Sie scheinen den Seekrieg noch wie vor hundert Jahren zu führen. Na, uns soll es recht sein, wenn sie keine Schußwaffen haben.“

Gleich darauf gab der ruhige, besonnene Mann den ersten Feuerbefehl. Musketenschüsse krachten auf beiden Seiten der Sambuke. Auf den Piratenseglern warfen die ersten der zerlumpten Gestalten die Arme hoch und stürzten wie gefällte Bäume auf die Decksplanken.

Das Geschrei und Geheule wurde noch lauter, und erneut wurde ein Pfeilhagel auf die Reise geschickt. Einige davon blieben in den Lateinersegeln der Sambuke hängen, andere bohrten sich in das Holz des Schanzkleides oder landeten jenseits des Schiffes im Wasser.

Lediglich Bob Grey hätte beinahe nähere Bekanntschaft mit den gefährlichen Geschossen geschlossen. Ein Pfeil, der offenbar von einem Armbrustschützen abgeschossen worden war, riß ihm an der rechten Schulter das Hemd in Fetzen.

„Verdammte Schnapphähne!“ fluchte er wütend und gleich darauf leckte eine Feuerzunge aus dem Lauf seiner Pistole.

Einem der brüllenden Kerle da drüben fiel die Armbrust aus der Hand und klatschte ins Wasser. Er selber blieb regungslos über dem Schanzkleid hängen.

Auch die übrigen Seewölfe ließen wieder die Musketen und Tromblons krachen, während Pete Ballie an der Ruderpinne krampfhaft versuchte, die Sambuke aus der Zange, die die beiden Küstensegler gebildet hatten, zu lösen. Auf jeden Fall aber kriegten die Piraten kräftig Zunder, denn den Seewölfen war natürlich längst klargeworden, daß der Angriff von See und von Land aus eine abgekartete Sache war. Die Kamelreiter jedoch hatten ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht, und den Schnapphähnen auf den beiden Seglern sollte es nicht anders ergehen. Jedenfalls hatten sich das die Seewölfe fest vorgenommen.

Die Kerle gaben jedoch trotz ihrer bisherigen Verluste nicht auf. Und als ihnen langsam die Pfeile auszugehen schienen, ließen sie wutentbrannt ihre Krummsäbel und Dolche durch die Luft blitzen. Es gab keinen Zweifel daran – sie wollten die Sambuke von beiden Seiten entern. Enige hielten schon die Enterhaken in der Hand.

Doch darauf wollten sich die Seewölfe nicht einlassen, denn die Schnapphähne waren immer noch doppelt so viele wie sie.

„Sie sind nahe genug heran, um für unsere Flaschenpost empfänglich zu sein“, sagte Ben Brighton mit grimmiger Miene. „Los, Al, zünd ihnen mal etwas Feuer unter ihre karierten Affenärsche an!“

Die Männer grinsten, denn es passierte nur selten, daß der ruhige, besonnene Ben Brighton die Lieblingssprüche Edwin Carberrys zitierte.

„Aye, aye, Sir!“ rief Al Conroy und setzte die Lunte einer Flaschenbombe in Brand. „Bis jetzt haben wir nur mit diesen Kakerlaken gespielt, von jetzt an wird’s ernst!“ Gleichzeitig fügte er seiner Feststellung ein lautes „Ar-wenack!“ hinzu. Der Kampfruf der Seewölfe fand sein Echo aus sieben weiteren Männerkehlen.

Für einen Moment verstummte das Geschrei der Angreifer, setzte dann aber mit doppelter Lautstärke wieder ein.

In diesem Augenblick zischte die von Al Conroy geschleuderte Flaschenbombe durch die Luft und landete mit einer bewundernswerten Treffsicherheit hinter der Verschanzung jenes Küstenseglers, der die Sambuke auf der Backbordseite begleitete.

Ein lauter Knall dröhnte durch die Luft, Feuer schien in alle Richtungen auseinanderzusprühen. Dann fand das Detonationsgeräusch seine Fortsetzung im Krachen und Bersten von Holz, und im Geschrei der Verwundeten.

Auf jeden Fall mußte die Flaschenbombe mit ihrem gehackten Eisen und Blei, mit ihren Nägeln und Glassplittern, eine verheerende Wirkung gehabt haben. Der Mast mit dem zerfetzten Segel war weggerissen worden, und Teile des Schanzkleides waren verschwunden. Rund um den Segler klatschten Planken und Holztrümmer, die hochgewirbelt worden waren, ins Wasser. Auf der Steuerbordseite des Bugs klaffte ein riesiges Leck, in das Wasser einströmte. Einige Männer mußten getötet oder aber verletzt worden sein. Der Küstensegler war auf jeden Fall verloren, von ihm drohte keine Gefahr mehr. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er sinken würde.

Doch wenn die Seewölfe gehofft hatten, daß die verheerende Wirkung der Flaschenbombe den Eifer und Fanatismus der Schnapphähne im zweiten Segler, der sich ihnen auf der Steuerbordseite näherte, etwas gedämpft hätte, dann waren sie auf dem Holzweg.

Nachdem die Kerle beobachtet hatten, was ihrem Begleitschiff zugestoßen war, steigerten sie sich erst recht in einen schier grenzenlosen Haß gegen die ungläubigen Hunde hinein. Der geiergesichtige Mann im weißen Kaftan, der wohl das Sagen hatte, brüllte weiter mit einer sich überschlagenden Stimme seine Befehle. Er schien, koste es was es wolle, die Sambuke entern zu wollen. Auch die erneuten Musketen- und Tromblonschüsse der Seewölfe konnten ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen. Offenbar baute er noch immer auf die Überzahl seiner Besatzung.

„Die Halsabschneider scheinen nichts zu kapieren“, schimpfte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Sie geben nicht eher Ruhe, bis sie auch ihre Flasche gekriegt haben. Zum Donnerwetter, was sind das doch für Neidhammel!“

Ben Brighton zuckte mit den Schultern.

„Sie sollen haben, was sie wollen!“ bestimmte er. „Al, schik ihnen einen Flaschengruß hinüber.“

Wenig später flog die zweite Flaschenbombe durch die Luft.

Die Landung wurde auf dem Küstensegler mit einem lauten Brüllen quittiert, dann flogen auch schon die Fetzen. Der Trümmerregen ergoß sich zum Teil noch auf das Deck der Sambuke, so daß die Seewölfe rasch die Köpfe einziehen mußten. Bei Sam Roskill erfolgte die Reaktion um eine Sekunde zu spät. Ein kleines Holzstück prallte an seinen Hinterkopf, und zunächst saß er einmal mit verdrehten Augen auf dem Achtersteven. Dazu mußte er sich noch vom alten O’Flynn sagen lassen, daß er auch schon intelligenter aus dem Hemd geschaut hätte.