Seewölfe Paket 11

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3.

Vor über zwei Jahren hatten die Spanier die Lichtung von Airdikit in den Dschungel gehauen und dem Regenwald, den sie die „Selvas“ nannten, auch die Anhöhe abgerungen, auf dem die Kettensträflinge in Schwerstarbeit den Festungsneubau zu errichten hatten.

Das gesamte Kellergewölbe dieses großen Kastells war inzwischen fertiggestellt, und Don Felix Maria Samaniego hatte darin die Kerkerzellen, ein Waffenlager, Munitionskammern und Vorratsräume einrichten lassen.

Der Kerker war mittlerweile mit sämtlichen schmiedeeisernen Gittern und Türen versehen, so daß der Kommandant innerhalb der nächsten Tage auch die Gefangenen, die noch in dem Palisadenlager saßen, hierher in das Gewölbe hätte verlegen lassen.

Morgan Young und der junge Spanier Romero hatten dies vorausgesehen und deshalb ihren Fluchtplan während der letzten Nacht zur Ausführung gebracht.

Auf den gewaltigen Fundamenten des unter der Erde befindlichen Grundstocks hatten die Sträflinge nun auch schon einen Teil der Mauer aufgebaut, die nach Abschluß aller Arbeiten die eigentlichen Festungsgebäude umschließen würde. Der westliche Wall, der mit seiner Front zum Lager hinwies, stand bereits, und oben auf dem Söller waren schwere Siebzehnpfünder aufgestellt worden, die beim etwaigen Eindringen von Feinden in das Hafenbecken benutzt werden sollten.

Weiter standen bis über zwei Drittel ihrer geplanten Höhe hinaus als nördliche und südliche Begrenzung der Westmauer zwei sechseckige Türme, und auch ein Teil der Nord- und Südmauer war begonnen worden.

Jede Woche trafen Schiffe in Airdikit ein, die die Baumaterialien anlieferten: schwere Felsbrocken aus den Steinbrüchen, die die Spanier im südlicheren Sumatra eingerichtet hatten, und besonders harte Baumstämme, wie es sie im Dschungel der Insel nicht gab. Sie wurden von den Philippinen herübergeschafft. In der neuen Hafenfeste wurden sie für die Balkenkonstruktion der Gewölbe und der noch zu errichtenden Gebäude verwendet.

Carberry, Shane, Dan O’Flynn, Trench, Josh Bonart, Sullivan, Christians und die vier anderen befreiten Männer aus dem Palisadenlager hatten unter Sumatra-Jonnys Führung die Nordseite des Hügels erklommen und sich in die an dieser Seite noch offene Festung gepirscht.

Nur zwei Posten bewachten zu diesem Zeitpunkt die Steintreppe, die zum Söller hinaufführte. Carberry überwältigte den einen, Jonny den anderen, ohne daß die Überrumpelten einen Schuß oder einen Warnruf abgeben konnten.

Carberry deutete mit dem Zeigefinger auf Trench und Josh Bonart. „Du und du – könnt ihr mit Kanonen umgehen?“

„Und ob“, erwiderte Trench. „Aber wir brauchen etwas, um die Lunten in Brand zu setzen.“

„Ich habe Feuerstein und Feuerstahl dabei“, sagte der Profos. „Los, wir entern den Söller, Leute, und ihr werdet mir ein wenig behilflich sein.“ Er wandte sich zu den anderen um und blickte Shane, Dan O’Flynn und Jonny mit finsterer Miene an. „Und ihr? Seid ihr noch nicht weg?“

„Ed, sei vorsichtig“, raunte Big Old Shane dem Narbenmann zu. Dann gab er Jonny ein Zeichen, und wieder setzte sich der krummbeinige Mann an die Spitze des verbleibenden neunköpfigen Trupps. Er führte sie zum Südturm, verharrte aber dicht neben dem Eingang, drehte sich um und legte den Finger gegen die Lippen.

„Keinen Laut jetzt“, wisperte er. „Drinnen ist die Treppe, die direkt in den Kerker hinunterführt. Don Felix hat zwar bei eurem Angriff auf das Lager die meisten Leute aus dem Kastell abgezogen, aber ich bin sicher, daß unten noch mindestens zwei Dons hocken, die jeden abschießen können, der ins Gewölbe hinein oder wieder raus will.“

Dan grinste plötzlich. „Ich habe da eine Idee“, erklärte er leise. „Und ich finde, wir sollten sie sofort in die Tat umsetzen. Wofür haben wir uns eigentlich als Spanier kostümiert?“ Er wies auf Shanes spanische Uniform und klopfte sich selbst mit den Fingerknöcheln gegen den Spitzhelm.

Die Kleidung hatten sie dem Teniente Moratin und dessen sieben Begleitern abgenommen. Als sie im Lager gelandet waren, hatte sie ihnen nicht viel genutzt, denn sie waren sofort erkannt worden, aber jetzt schien doch der Moment gekommen zu sein, um die Maskierung sinnvoll anzuwenden.

Shane grinste jetzt auch. „Ich habe schon verstanden, was du vorhast, Dan“, flüsterte er.

Acht Siebzehnpfünder standen auf der Plattform des Burgsöllers, aber es war noch Platz für mindestens genauso viele Geschütze dieses Kalibers. Carberry stellte das fest, als er als erster den Platz erreichte und sich aufmerksam umschaute.

Eines Tages, dachte er, werden sie auch die restlichen Kanonen aufstellen, aber es wäre zu schön, wenn sie’s nicht schaffen würden, die Hunde.

Er schob sich geduckt weiter und spähte nach weiteren Gegnern, konnte aber niemanden entdecken. Die beiden Posten, die Jonny und er unten am Treppenaufgang niedergeschlagen hatten, mußten die Order gehabt haben, unten im Hof Wache zu halten, nicht auf dem Söller.

Gut so, dachte Carberry, sehr gut.

Er war jetzt bei dem ersten Geschütz angelangt und tastete mit seinen großen, derben Händen fast behutsam über das Rohr.

Rasch hatte er sich davon überzeugt, daß nicht nur diese, sondern auch die sieben anderen Culverinen fix und fertig geladen waren. Die Lunten und die Luntenstöcke lagen bereit, ebenso alles andere Zubehör wie Kratzer, Wischer, Borstenschwämme und Ladestöcke. Auch an Pulver und Kugeln mangelte es hier oben nicht, nur an Metallbecken mit glimmender Holzkohle darin.

Carberry blickte sich zu Trench und Josh Bonart um, die jetzt dicht hinter ihm waren.

„Hab ich’s doch geahnt“, raunte er ihnen zu. „Wie gut, daß ich vorsichtshalber Feuerstein und Stahl von der ‚Isabella‘ mitgenommen habe, was?“

„Das kann man wohl sagen, Profos“, zischelte Bonart. „Welche Kanone willst du abfeuern?“

„Erst einmal die drittletzte“, erwiderte Carberry und wies zum nördlichen Ende des Söllers. „Der Schuß wird genau über den Lagerplatz weggehen. Danach sehen wir weiter. Los, kommt.“

Sie krochen zu der von Carberry bezeichneten Kanone. Der Profos holte seine Utensilien aus der Hosentasche, und die beiden ehemaligen Decksleute der „Balcutha“ begannen, damit herumzuhantieren.

Carberry schob seine große Gestalt unter das Geschützrohr und bewegte sich auf die Schießscharte zwischen zwei Mauerzinnen zu, um einen Blick auf das Lager zu werfen. Als er seinen Kopf langsam höherbrachte und die Männer zwischen den Hütten erkennen konnte, verzerrte sich seine Miene zu einem Ausdruck grenzenloser Wut.

Deutlich konnte er Hasard, Smoky und Luke Morgan dastehen sehen. Dann entdeckte er auch die Gestalten von Ferris Tucker und Blakky.

„Ich hab’s gewußt“, flüsterte er entsetzt. „Hölle und Teufel, ich habe es vorausgesehen – wie Old O’Flynn, dieser verdammte Hellseher, in die Zukunft zu sehen glaubt. Wie konnte das bloß passieren?“

„Profos“, flüsterte Trench hinter seinem Rücken. „Was ist los?“

Carberry wandte sich kurz zu ihm um. Sein Gesicht sah so fürchterlich aus, daß Trench unwillkürlich zurückschreckte.

„Bereitet die Scheiß-Lunte vor, dann seht ihr, was hier gleich los ist“, zischte Carberry. „Sagt mir Bescheid, wenn sie glüht, dann will ich diese Dreckskanone selber zünden.“

„Aye, Sir“, sagte Trench.

Carberry spähte wieder auf den Platz zwischen den Hütten und der Hafenbucht hinunter, murmelte die wildesten Flüche, die er kannte, und verwünschte die Spanier bis in die hintersten Höllenschlünde. Dann aber unterbrach er sich, denn jetzt war die Stimme des Seewolfs zu vernehmen.

„Ed, Shane, Dan – verlaßt eure Deckungen!“

Fassungslos vernahm der Profos auch den Rest. „Blacky und Ferris schwer verletzt“, wiederholte er. „O Gott. Wenn sie jetzt sterben – ihr Tod darf doch nicht ungesühnt bleiben!“ Er hieb mit der Faust gegen die Zinne. „Sir, das kannst du doch nicht von uns verlangen, daß wir uns kampflos ergeben!“

„Profos“, raunte Josh Bonart ihm zu. „Die Lunte brennt jetzt.“

„Ja.“

„Sollen wir …“

„Ich hab doch gesagt, daß ich diese dreckige, krummgeschissene, spanische Kanone selbst zünden will“, fiel Carberry ihm barsch ins Wort.

Wieder schrie der Seewolf etwas vom Lagerplatz bis zum Kastell hinauf, es war die Wiederholung seiner Aufforderung, der Profos, Shane und Dan O’Flynn sollten die Waffen wegwerfen und kapitulieren.

„Gut“, sagte Carberry mit gepreßter Stimme. „Wenn du es befiehlst, Sir, dann muß ich mich beugen. Disziplin ist Disziplin, und du hast schon deine Gründe dafür, uns hier herauszulocken. Du willst nicht, daß Blacky und Ferris verrekken. Auch Smoky und Luke Morgan sollen nicht krepieren. Und du selbst sollst natürlich auch nicht ins Gras beißen, nein, das sollst du ganz gewiß nicht.“

„Profos, Sir“, raunte Trench. „Die Zündschnur brennt noch ganz herunter, wenn du dich nicht beeilst.“

„Ja doch“, brummte Carberry, nunmehr fest entschlossen. „Sir, du kannst mir alles befehlen, nur kannst du mich nicht an diesem Schuß hindern, mit dem ich Ben Brighton Bescheid geben werde, daß wir seine Hilfe brauchen. Und noch was: Dan und Shane haben deine Worte nicht gehört. Sie sind jetzt schon unten im Kerker. Wenn sie sich nicht ergeben, ist das nicht meine Schuld.“

Damit kroch er zu Trench und Josh Bonart zurück und richtete sich hinter dem Bodenstück der Culverine auf.

Er nahm den Luntenstock mit der glimmenden, knisternden Zündschnur daran aus Trenchs Hand entgegen und brachte die Lunte dem Zündkanal der Kanone nahe.

Trench und Bonart traten zur Seite.

Carberry peilte über das Rohr der Culverine und konnte die Bucht sehen, in der die Fluten jetzt über die Piers gischteten und schäumten, als wollten sie an Land springen und in die Hütten der Spanier eindringen. Wild tanzte die „San Rosario“ – Jonnys Schiff – in den Wogen. Sie zerrte so heftig an ihrer Bugankertrosse, als wollte sie sie zerreißen und sich selbständig machen.

 

Mit Sturmgewalt heulte der Wind über die Lichtung. Eine starke Bö bog die wenigen Palmen, die bei den Piers standen, so weit nieder, daß ihre Wipfel fast den Erdboden berührten.

Bei diesem Wind konnten Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ das Wummern eines Siebzehnpfünders vielleicht gerade noch vernehmen. Was sie vorher garantiert nicht gehört hatten, war das Krachen der Musketen und Tromblons, der Falkons und Minions im Lager der Spanier gewesen. Der auflandige Wind trug all diese Laute in den Dschungel. Daher konnte Ben, der jetzt das Kommando auf der „Isabella VIII.“ hatte, nicht wissen, was geschehen war.

Der Seewolf hatte von Morgan Young erfahren, daß auf dem Festungsbau von Airdikit Culverinen standen. Deshalb hatte er Ben in gleichsam weiser Voraussicht gesagt, er würde eine dieser Kanonen zünden, wenn etwas schiefginge.

Die Glut der Zündschnur sprang auf das Pulver im Zündkanal des Geschützes über.

„Also dann“, sagte der Profos grimmig. „Dies ist ein Salut für dich, Don Felix, du Hundesohn, mit dem ich dich zur Hölle wünsche – und wenn ich mir selbst dabei den Arsch verbrenne.“

4.

Ranon, der Inder, kehrte auf die Kuhl der „Malipur“ zurück und wählte zwei Männer als seine Helfer aus: Calderazzo, den Sizilianer, der mit zu den drei „Altgedienten“ an Bord der Galeone zählte, und Shindaman, einen Bengalen, den René Joslin erst zu Beginn dieser Überfahrt in einem der Dörfer von Sunderbunds angeheuert hatte.

Zu dritt stiegen sie in den achteren Laderaum hinunter. Hier war der Wassereinbruch größer als in dem zweiten Frachtraum, und aus diesem Grund begannen sie hier, zwischen Ballen von Stoffen und Kisten und Fässern mit Gewürzen, die Lenzpumpen einzusetzen.

Bis über ihre Fußknöchel reichte das Wasser jetzt schon, und sie hatten die allergrößte Mühe, die Pumpen überhaupt in Gang zu bringen, denn die Schwankungen des Schiffes waren tief im Rumpf nicht weniger stark als an Oberdeck.

Immer wieder glitten die drei Männer aus und landeten in der hin und her schwappenden Flüssigkeit. Es war so dunkel, daß sie kaum etwas von ihrer näheren Umgebung zu erkennen vermochten, mehrfach gerieten sie sich gegenseitig ins Gehege.

Calderazzo prallte mit Shindaman zusammen, als er wieder einmal ausrutschte. Der Bengale stieß sich den Hinterkopf an einem der gut verpackten Fässer und stöhnte vor Schmerz auf. Der Sizilianer begann wild zu fluchen.

„So schaffen wir es nicht!“ brüllte er zwischen zwei lästerlichen Verwünschungen. „Das weiß auch der Capitaine, das muß er zumindest einsehen! Wir brauchen Verstärkung, um das verdammte Wasser aus dem Bauch des Kahns rauszukriegen!“

„Wenn wir uns mit den Rücken gegen die Tuchballen stemmen, haben wir einen besseren Halt!“ schrie Ranon ihm im Toben des Seewassers an den Bordwänden zu. „Oder aber wir binden uns fest!“

„Damit wir hier unten jämmerlich ersaufen?“ rief Calderazzo. „Wenn die morschen Planken der Wegerung nachgeben, ist hier der Teufel los, das ist doch klar! Dann haben wir nicht einmal mehr Zeit, uns loszuknüpfen!“

Ranon bückte sich nach der einen Pumpe, die umgekippt im zischenden und gurgelnden Naß lag, richtete sie wieder auf und zerrte sie weiter nach vorn in den Mittelgang, der beim Stauen der Ladung zwischen den Packen geblieben war, um den Zugang zum vorderen Frachtraum zu ermöglichen.

Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tuchballen und spreizte die Beine ab. In dieser Haltung vermochte er gegen den Seegang anzukämpfen, die Schiffsbewegungen konnten ihn jetzt nicht mehr aus der Balance bringen.

Allein mühte er sich mit der Pumpe ab, aber all seine Anstrengungen brachten keinen großen Erfolg.

Calderazzo eilte ihm schimpfend zu Hilfe, und zu zweit konnten sie den Pumpenschwengel nun schon schneller hochhieven und wieder hinunterdrükken.

Auch der Bengale hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt. Er rieb sich den Kopf und stöhnte auch noch, doch auch er trug seinen Teil zu der Aktion bei, indem er das Rohr richtete, das durch eine Öffnung in der Decke bis nach oben auf die Kuhl führte und dort das Leckwasser ausspuckte. Das Wasser rann mit den Fluten, die immer wieder von außen her über das Oberdeck rauschten, durch die Speigatten ab.

So arbeiteten sie gut eine halbe Stunde lang hart und verbissen. Der Schweiß lief ihnen über ihre nackten Oberkörper und über die Gesichter, und Calderazzo hörte nicht auf, ihre Tätigkeit durch sein Fluchen zu begleiten.

Schließlich rief er: „Es hat keinen Zweck! Merkt ihr nicht, daß das Wasser steigt?“

„Wir müßten auch die zweite Pumpe einsetzen!“ schrie Ranon.

„Der Henker weiß, wo die abgeblieben ist!“ brüllte der Sizilianer.

„Shindaman!“ rief der Inder dem Bengalen zu. „Übernimm du meinen Platz, und pumpt zu zweit weiter! Ich suche nach den größten Lecks und sehe zu, sie zu stopfen!“

„Das ist Wahnsinn!“ ließ sich Calderazzo vernehmen. „Du säufst dabei ab, sage ich!“

„Laß es mich wenigstens probieren!“

Ranon überließ seinen Platz dem Bengalen, stolperte zur anderen Seite des schmalen Ganges und prallte hier gegen die Ballen. Er suchte mit den Händen nach einem Halt, fand ihn jedoch nicht und sank deshalb bei der nächsten Schlingerbewegung der „Malipur“ zu Boden. Die Galeone hob ihren Bug an, um sich eine anrollende Woge hinaufzuschieben, und Ranon rutschte auf den nassen Planken ein Stück nach achtern.

Er stieß sich die Schulter an einem harten Gegenstand, der im Leckwasser lag, und unterdrückte nur mit Mühe einen Schrei.

Das Wasser sammelte sich im achteren Bereich des Laderaums und stieg derart an, daß es dem Inder schon bis zu den Hüften reichte, als er sich jetzt wieder erhob.

Ranon stellte fest, daß er sich die Schulter an der zweiten Lenzpumpe aufgeschrammt hatte. Bevor sie ihm jetzt auch noch über die nackten Füße rollen konnte, brachte er sich aus ihrer Nähe und watete durch das schwappende Wasser zur Backbordseite, wo sich seines Wissens eins der kritischen Lecks befand.

Er entdeckte es und erschrak, als er feststellte, daß er bereits seinen Finger in die entstandene Öffnung schieben konnte. Das Leck hatte sich unter dem Druck der Wassermassen bedenklich erweitert. Er mußte es abdichten, so schnell er konnte.

So wankte er ein Stück zurück zur Mitte des Schiffsraums, löste ein Stück Persenning von einer der Kisten und zerrte es zu dem Leck. Hier kniete er sich in eine Wasserpfütze, ehe das nächste Stampfen der Galeone ihn wieder umwerfen konnte, und begann, das gewachste und geteerte Segeltuch Stück für Stück in die Spalte zu stopfen, die zwischen zwei Planken klaffte. Es gelang ihm, dies mit seinen bloßen Fingern zu bewerkstelligen. Aber er wußte, daß es nicht genügte. Er brauchte einen Hammer, Nägel und Planken, um seine Arbeit zu vervollständigen, sonst würde sie innerhalb der nächsten Minuten allein durch den Wasserdruck wieder beseitigt werden.

„Ich gehe in die Zimmermannswerkstatt!“ schrie er seinen beiden Kameraden zu. „Ich brauche ein paar Hilfsmittel!“

„Sag dem Kapitän Bescheid!“ rief der Sizilianer.

„Das ist nicht nötig!“

„Doch! Er soll sich die Schweinerei hier unten ansehen!“ brüllte Calderazzo.

Ranon hörte nicht auf ihn, sondern wandte ihm und dem Bengalen den Rücken zu und enterte auf dem Weg durch den nächsten Niedergang in das nächsthöhere Deck auf. Rasch hatte er sich Zugang zur Werkstatt des Schiffszimmermanns verschafft. Er mußte eine Weile herumtasten, bis er das Nötige gefunden hatte, aber bald hatte er alles zusammen und kehrte stolpernd und vor sich hin wetternd in den Frachtraum zurück.

Hier nagelte er zwei Planken über das mit der Persenning zugepfropfte Leck, kroch weiter und suchte nach dem nächsten Leck.

Plötzlich stießen Calderazzo und Shindaman einen Schrei aus.

„Hierher!“ brüllte der Sizilianer gleich darauf gegen das Donnern und Tosen des Sturmes an. „Ranon, hier ist ein neuer Wassereinbruch! Hölle, es sprudelt nur so herein! Teufel, wo steckst du denn bloß?“

„Hier!“ schrie der Inder.

Er preßte nur noch eine Planke auf das zweite Leck, das er gefunden hatte, und hämmerte sie mit drei, vier Nägeln fest. Dann richtete er sich auf und eilte zu seinen Kameraden, die immer noch mit aller Kraft an der Pumpe arbeiteten.

Er spürte das Wasser an seinen Knien und hörte es durch den Frachtraum schießen. Seine Verzweiflung war wieder da. Er sah ein, daß der Sizilianer recht hatte mit seinen Warnungen und Prophezeiungen.

Ranon rutschte wieder aus und stürzte neben dem Bengalen auf die Planken, aber genauso schnell hatte er sich auch wieder aufgerappelt und torkelte durch das einströmende, sprudelnde Wasser bis zu der Stelle im Holzkleid des Schiffes, an der es einbrach.

Seine Finger vermochten den gewaltigen Guß nicht aufzuhalten, er konnte kaum das Loch finden, durch das der Schwall eindrang. Seine Verzweiflung schlug jetzt in Panik um.

„Helft mir!“ schrie er. „Ich kann es allein nicht schaffen!“

Calderazzo und Shindaman ließen von der Lenzpumpe ab und wateten zu ihm.

„Sieh dir das an!“ brüllte der Sizilianer dem Bengalen zu. „Das ist unser aller Untergang! Madonna Santa, diesmal stehen wir es nicht durch! Ich habe dem Alten schon ein paarmal gesagt, der Kahn ist zu morsch und zu brüchig für solche Fahrten geworden, aber er will es ja nicht einsehen!“

„Hör auf!“ rief Ranon. „Reich mir lieber eine von den Planken herauf! Ich habe sie hier irgendwo verloren, du mußt sie finden!“

Fluchend suchte Calderazzo mit seinen Fingern im Wasser herum.

„Shindaman!“ schrie der Inder. „Besorg mir ein Stück Persenning! Na los, reiß sie einfach von einem Ballen Tuch herunter!“

„Der Alte wird sich freuen!“ meinte der Sizilianer.

„Ist mir egal, was er denkt!“

Ranon glaubte, das Leck in der Bordwand gefunden zu haben. Er drückte mit seinen beiden Händen gegen den Wasserstrom an und konnte sich unter erheblichem Kraftaufwand dagegen behaupten. Schließlich preßte er seine linke Faust in das Loch, so daß das Salzwasser jetzt nur noch in dünnen Spritzern eindrang.

„Schnell!“ brüllte er. „Lange halte ich das nicht durch!“

Shindaman hatte einen der Ballen geöffnet, schnitt die Persenning, die irgendwo festsaß, mit seinem Messer durch und balancierte damit durch den schwankenden Raum zu Ranon hinüber.

„Die Planke!“ schrie Calderazzo in diesem Augenblick. „Ich hab sie gefunden! Wo sind der Hammer und die Nägel?“

„Der Hammer steckt in meinem Gürtel!“ rief der Inder ihm zu. „Die Nägel sind in meiner Hosentasche!“

„Dann los!“

„Shindaman!“ schrie Ranon.

Der Bengale hob das wasserdichte Segeltuch ein Stück höher und legte es um Ranons linke Faust. Ranon nickte dem Kameraden zu, riß die Faust weg, und Shindaman schob die Persenning blitzschnell in das Loch.

Ranon zog den Hammer aus dem Gurt und holte die Nägel aus der Tasche. Calderazzo war mit der Planke zur Hand. Shindaman stopfte die Persenning soweit wie möglich in das Leck, dann zog er seine Hände zurück. Der Sizilianer preßte die Planke gegen die Bordwand – gerade noch rechtzeitig genug, ehe der Wasserdruck ihm den geballten Fetzen Tuch ins Gesicht spie.

Der Bengale und der Sizilianer hielten die Planke fest, und Ranon trieb die Nägel hinein. Calderazzo konnte jetzt loslassen. Er bückte sich und forschte in fieberndem Eifer nach einer weiteren Planke. Er fand eine, hob sie hoch und knallte sie unter die erste, und wieder war Ranon mit Hammer und Nagel zur Stelle.

Wenig später glaubten sie, das Leck gut genug abgedichtet zu haben, aber sie lauschten dem Knacken und Knarren, dem Knirschen und Schaben, das überall in dem großen Frachtraum zu sein schien.

„Das ist alles nur Stückwerk!“ schrie Calderazzo dem Inder ins Ohr. „Sag dem Capitaine Bescheid, daß er runterkommt und sich selbst davon überzeugt!“

„Ja“, sagte der Inder. „Ja, das tue ich jetzt auch.“

So schnell er konnte, kehrte er zu dem Niedergang zurück und kletterte nach oben. Er arbeitete sich durch den Achterdecksgang voran und öffnete die Tür zur Kuhl. Kaum war er draußen angelangt und hatte die Tür wieder zugerammt, toste ein neuer Brecher über das Schiff. Ranon klammerte sich an einem Manntau fest, schluckte Wasser, spie es wieder aus und blickte mit vor Entsetzen geweiteten Augen zum Himmel auf.

 

Der hatte sich fast schwarz gefärbt, der Tag war zur Nacht geworden. Blitze zuckten auf die See nieder, schwerer Gewitterdonner übertönte die Schreie der Besatzung, die mit schwindender Kraft an den Schoten und Brassen arbeitete, um die Stellung der Segel beizubehalten.

Bedrohlich krängte die „Malipur“ nach Backbord. Ihre Großrahnock schien in die Fluten der kochenden See zu tauchen.

Voll Panik kletterte Ranon auf das Achterdeck und hangelte an den Manntauen auf seinen Kapitän zu.

„Wir haben zuviel Wasser in den Frachträumen!“ schrie er ihm zu. „Mit den Pumpen schaffen wir es nicht! Wenn wir ein Leck abgedichtet haben, bricht das nächste auf! Sehen Sie es sich selbst an, Monsieur!“

René Joslin wandte ihm sein nasses, gehetzt und abgekämpft wirkendes Gesicht zu. Er wirkte um Jahre gealtert. Auch ihm, das begriff Ranon in diesem Moment, war jetzt voll bewußt geworden, in welch mörderische Gefahr sie sich dieses Mal begeben hatten.

Dennoch brüllte Joslin: „Das glaube ich dir auch so! Hol dir Dobro, den Malaien, und noch einen anderen Mann! Nimm sie mit nach unten! Zu fünft müßt ihr mit dem Wasser fertigwerden!“

„Unmöglich, Monsieur!“

„Das ist ein Befehl, Ranon!“ schrie der Franzose, und seine Stimme überschlug sich dabei. „Ich peitsche dich aus, wenn du meinen Befehl nicht befolgst!“

„Wir müssen eine Bucht anlaufen …“

„Nein!“

„… solange wir es noch können!“ rief der Inder verzweifelt.

„Niemals!“ brüllte Joslin ihn an. „Ich bin der Kapitän, ich bestimme, was zu tun ist!“

Aber vielleicht nicht mehr lange, dachte Ranon, dann drehte er sich um und hastete durch Wolken von Gischt zum Niedergang zurück. Diesmal ergeht es uns allen dreckig, sagte er sich, und du säufst mit uns ab, du Narr.