Seewölfe Paket 11

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7.

Wütend hatten die beiden Landtrupps der Spanier vom Ufer aus verfolgt, wie die Männer der fremden Galeone den Kettensträfling Young geborgen hatten. Jetzt wandten sie sich ab und verschwanden wieder im Busch, um ins Gefangenenlager von Airdikit zurückzukehren und Don Felix Maria Samaniego Bericht zu erstatten.

Zwei andere Soldaten hatten bereits den Leichnam ihres von Morgan Young getöteten Kameraden zurück in die Strafkolonie geschafft, dorthin, wo der junge Spanier Romero inzwischen wie ein Hund verscharrt worden war.

Die beiden zwanzigköpfigen Suchtrupps hatten einen totalen Mißerfolg zu verzeichnen. Ihre Führer wußten nicht mehr weiter, sie waren ratlos und brauchten neue Befehle von ihrem Kommandanten, wie jetzt zu verfahren war.

Für den Rückmarsch ins Lager brauchen sie mindestens eine Stunde Zeit.

Die jeweils acht Mann Besatzung der beiden Pinassen und der Schaluppe hingegen, die auch im Morgengrauen noch rund um die Einfahrt zur geschützten Ankerbucht von Airdikit nach dem verschwundenen Engländer gefahndet hatten, hatten derweil die Explosion der Flaschenbombe vernommen und auch wie aus weiter Ferne Geräuschfetzen gehört, die wie das Krachen von Musketen klangen.

Der Teniente, der den kleinen Verband leitete, beschloß, selbst mit seiner einmastigen Pinasse nach Südosten zu segeln und nach der Ursache für die Schießerei zu forschen. Die zweite Pinasse und die Schaluppe indes sollten weiterhin vor der Einfahrt zur Bucht patrouillieren und den in nordwestlicher Richtung verlaufenden Küstenstreifen kontrollieren, der während der Nacht noch nicht abgesucht worden war.

Der Teniente hieß Leandro Moratin.

Teufel auch, dachte er, während seine Männer die Pinasse wendeten und mit neuem Kurs an den Wind brachten, sollten die Landtrupps diesen verfluchten englischen Bastard wirklich doch noch gestellt haben?

Wenig später sichtete Moratins Ausguck Mastspitzen an der südöstlichen Kimm und kurz darauf die vollständigen Masten einer Galeone, die mit aufgegeiten Segeln da lag.

Was er von der Entdeckung dieses Schiffes nun halten sollte, wußte der Teniente Moratin nicht. Er nahm sich aber fest vor, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Deshalb steuerte er seine Pinasse mit unverändertem Kurs auf die Dreimast-Galeone zu, die ihrerseits beigedreht im Wind liegenblieb.

Hasards breitschultrige Gestalt erschien im Rahmen der Tür zur Achterdeckskammer. Carberry rückte ein Stück zur Seite und hielt sich am Schapp fest, damit er nicht ins Wanken geriet und durch den Raum stolperte. Hasard lehnte sich gegen den Türrahmen und blickte zu Morgan Young und zum Kutscher.

Young setzte sich auf, obwohl der Kutscher es ihm untersagt hatte, und salutierte, wie ein Kadett der Royal Navy es nicht besser fertiggebracht hätte.

„Sir Philip“, sagte er ergriffen. „Es ist mir eine ungeheure Ehre, Ihnen begegnet zu sein, und ich werde es Ihnen und Ihrer Crew nie vergessen, daß Sie mir das Leben gerettet haben.“

Der Profos stieß einen schnaubenden Laut aus. „Das war eine gute Rede, Morgan. Hasard, dies ist Morgan Young, und er stammt aus Southampton, wofür er selbstverständlich nichts kann.“

„Sind wir uns früher schon mal begegnet, Morgan Young?“ fragte der Seewolf.

„Nein, Sir, aber ich weiß trotzdem, daß man Ihnen den Beinamen ‚Seewolf‘ verliehen und Sie zum Ritter geschlagen hat“, erklärte Young stolz. Er war ein großer Mann biederen Aussehens, mit dunkelblonden Haaren, wasserblauen Augen und einem dichten Vollbart, der ihm in der Gefangenschaft gewachsen war.

Hasard musterte dieses Gesicht prüfend, aber er konnte sich nicht entsinnen, jemals zuvor mit diesem Mann zu tun gehabt zu haben. Er trat auf Youngs Koje zu, in die der Mann auf seine Anweisung hin gelegt worden war, blieb am Fußende stehen und hielt sich mit einer Hand am Pfosten der Umrandung fest.

„Wer hat dir das erzählt, Morgan?“ wollte er wissen.

„Ein Landsmann, Sir Philip.“

„Du kannst ruhig Hasard zu mir sagen. Meine Männer pflegen mich so zu nennen.“

„Danke, Sir Hasard. Ich …“

„Den ‚Sir‘ kannst du auch weglassen, denn unser Kapitän legt keinen gesteigerten Wert darauf, mit seinem adligen Titel angeredet zu werden“, unterbrach ihn der Profos. „Aber nun mal fix raus mit der Sprache, Morgan, laß dir gefälligst die Würmer nicht einzeln aus der Nase ziehen: Wer zur Hölle ist dieser Engländer, der dir über den Seewolf erzählt hat?“

„Ein Mitgefangener aus dem Arbeitslager der Spanier, aus dem ich letzte Nacht ausgebrochen bin. Er heißt Jonny. Aber davon abgesehen – ich habe auch in England schon von den Taten des Seewolfs und seiner Mannschaft vernommen, bevor ich auf der ‚Balcutha‘ anheuerte und …“

Diesmal war es der Seewolf, der ihm das Wort durch eine Geste abschnitt. „Augenblick, Morgan. Hast du wirklich Jonny gesagt?“

„Ja, Sir.“

„Jonny?“ wiederholte nun auch der Kutscher verblüfft. „Ja, sollte das etwa unser Freund sein, den wir auf Neuseeland kennengelernt haben?“

„Beschreibe mir bitte diesen Mann“, forderte Hasard den befreiten Sträfling auf.

„Gern“, sagte Morgan Young. Er mußte unwillkürlich lachen. „Also, dieser Jonny ist alles andere als eine Schönheit, aber ein uriger Kerl, das kann ich euch versichern. Er ist nicht sehr groß geraten und viel zu dick für mein Dafürhalten, außerdem hat er so krumme Beine, daß man ein ausgewachsenes Schwein zwischen ihnen hindurchscheuchen könnte.

Seine Nase sieht aus wie eine Kartoffel, seine Augen sind klein und rot, und im Mund hat er statt Zähne lauter häßliche Stummel. Wenn man ihn so sieht, hält man ihn für ein wandelndes menschliches Wrack. Aber ich glaube, er ist in Wirklichkeit ein Teufelskerl. Bei unserem Ausbruch sollte er dabeisein, aber wir haben es nicht mehr geschafft, ihn zu befreien, weil uns ein Posten überraschte, der alle anderen Spanier durch einen Musketenschuß alamierte.“

„Das ist er“, sagte der Kutscher.

„Hat er vielleicht auch einen Bart?“ erkundigte sich der Profos.

„Nein“, entgegnete Young.

„Den hat er sich inzwischen abrasiert“, meinte der Seewolf mit einem Seitenblick auf Carberry.

Carberry begann sich am Kinn zu kratzen und dachte: Hölle und Teufel, das hätte dir aber auch selbst einfallen müssen!

Hasard wandte sich wieder an Morgan Young. „Also, nach deiner Beschreibung müßte das Sumatra-Jonny sein, der sich auf der Insel auskennt wie kein zweiter Weißer.“

„Richtig, Sumatra-Jonny, so nannten ihn seine Leute gelegentlich. Und ich wäre froh gewesen, wenn er mit uns geflohen wäre, mit Romero und mir, aber das wurde leider vereitelt.“

„Morgan“, sagte Hasard. „Am besten beginnst du mit deiner Geschichte ganz von vorn. Wie bist du hierher, nach Ostindien, geraten und weshalb haben die Spanier dich gefangengenommen und in Ketten gelegt?“

„Ich war Decksmann auf der ‚Balcutha‘“, erklärte Morgan Young. „Dieser Dreihundert-Tonner lief vor gut zehn Monaten aus Bristol aus und hatte ungefähr sechzig Abenteurer und Glückritter an Bord, die alle in dieser Gegend hier Fuß fassen wollten. Die einen glaubten, in Ostindien Gold zu finden, die anderen wollten ein Leben in Freiheit führen, wieder andere wollten irgendwo, auf einer der Gewürzinseln oder auf einem anderen einsamen Eiland, eine englische Kolonie errichten. Wir waren Engländer, Iren und Schotten, und es war keiner unter uns, der vorher schon mal weiter als bis nach Nordafrika gesegelt war.“

„Ein Haufen Narren also“, sagte Carberry respektlos. „Was habt ihr euch bloß eingebildet? Daß hier das Paradies auf euch wartet?“

„Der Kapitän der ‚Balcutha‘ stellte uns ähnliche Fragen und gab uns auch zu spüren, daß er uns für Dummköpfe hielt. Aber letztlich konnte es ihm ja egal sein, welche Art von Fracht er beförderte. Wir arbeiteten hart, und obendrein mußten wir für die Überfahrt auch noch bezahlen.“

„Gar nicht auf den Kopf gefallen, dieser Kapitän“, meinte der Kutscher. „Eine Ladung, die ihm kein Risiko brachte. Wenn einer über Bord ging, hatte er selber schuld. Hauptsache, die Decksarbeit wurde verrichtet.“

„So war es“, bestätigte der Mann aus Southampton. „Aber Pech hatte er trotzdem. Wir segelten südlich an Sumatra vorbei, weil es in der Malakkastraße von Piraten wimmeln sollte. Also gerieten wir in die Straße von Mentawai, aber hier kriegten wir einen Sturm auf die Mütze, der es in sich hatte. Ich will mich kurz fassen: Unser Schiff sank mit mehreren Lecks im Rumpf, und fast die ganze Besatzung ertrank, einschließlich des Kapitäns und seiner Offiziere. Nur wir fünf konnten uns an Land retten: Trench, Josh Bonart, Sullivan, Christians und ich. Aber es war unser Pech, daß wir ausgerechnet an der Hafenbucht von Airdikit landeten. Kaum hatten wir das Wasser ausgespuckt, das wir geschluckt hatten, und richtig Luft geholt, da waren wir von spanischen Soldaten umstellt. Sie brachten uns in das Lager, und dort wurden wir erst mal in Ketten gelegt. Am Tag darauf wußten wir, welches Schicksal uns zugedacht war: Wir mußten auf dem Bauplatz schuften, auf dem die neue Festung errichtet wird.“

„Wann sank euer Schiff?“ fragte Hasard.

„Vor etwa zwei Monaten.“

„Und ein paar Schiffbrüchige waren den Dons gerade recht, denn sie brauchen Arbeitssklaven für ihren Festungsbau“, sagte Carberry. „Wieso sind sie überhaupt auf die hirnverbrannte Idee verfallen, mitten im Dschungel ein Kastell zu errichten? Hast du das erfahren, Morgan?“

„Ja. Die Festung wird den Hafen bewachen, in dem eines Tages die Kriegsgaleonen und Kriegskaravellen liegen sollen, die die gesamte Straße von Mentawai kontrollieren. Spanien will es nicht zulassen, daß hier andere Länder Kolonien errichten.“

 

„Aha“, sagte der Profos.

„Die Sträflinge sind Engländer, Holländer und Franzosen, aber auch spanische und portugiesische Meuterer, die hier ihre Strafe abbüßen“, fuhr Young fort. „Es sind insgesamt etwa siebzig Mann, aber vor zwei Monaten waren es noch mehr. Nicht, daß einige etwa fliehen konnten, nein, Airdikit galt bisher als ausbruchssicher. Aber ich habe einige Männer unter der mörderischen Hitze und der erbärmlichen Schufterei sterben sehen, und das war kein schöner Anblick, das kann ich euch schwören.“

„Ganz bestimmt nicht“, sagte der Seewolf. „Wir waren selbst schon Gefangene der Spanier und haben Ähnliches erlebt, können dir also nachfühlen, was du durchgestanden hast. Die Bedingungen sind unmenschlich, und sehr lange hält keiner durch.“

„Romero hat es anderthalb Jahre über sich ergehen lassen, der arme Teufel“, sagte Young mit erbitterter Miene. „Jetzt ist er tot.“ Er berichtete, was sich in der vergangenen Nacht zugetragen hatte und ließ keine Einzelheit aus.

Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker und Old O’Flynn gesellten sich während seiner Schilderung zu ihm und den drei anderen Männern in die Achterdeckskammer, aber Hasard gab ihnen ein Zeichen, und keiner von ihnen sprach ein Wort, ehe Morgan Young nicht geendet hatte.

Als der Mann aus Southampton damit schloß, wie er sich im Morgengrauen vor den Spaniern ins Wasser gerettet hatte und auf die „Isabella“ zugeschwommen war, war es Hasard, der das nun eintretende Schweigen als erster wieder brach.

„Ihr habt eine gehörige Portion Mut aufgebracht, Morgan“, sagte er. „Ich kann dir dafür nur meine Hochachtung aussprechen. Leid tut es mir für den jungen Spanier, der die schier unglaubliche Leistung vollbracht hat, deine Beinketten aufzutreiben. Aber es ist, wie du es schon ausgedrückt hast: Sein Tod hat doch einen Sinn gehabt.“

Young schaute auf. „Wie meinst du das, Sir?“

„Ganz einfach: Wir werden euer Werk zu Ende führen und auch die anderen Gefangenen befreien – die, die es wirklich wert sind. Deine Kameraden, Sumatra-Jonny und dessen ‚glorreiche Zehn‘, wie du sie nennst, und alle anderen, die zu Unrecht in dem Lager und im Kerker der Festung festsitzen.“

„Sir – ist das dein Ernst?“

„Darauf kannst du dich verlassen. Oder glaubst du, daß ein Killigrew ein Versprechen gibt und es dann nicht hält?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Young. „Mein Gott, wenn die armen Teufel es doch bloß schon wüßten, daß es auch für sie bald die Erlösung gibt.“

„Halt“, sagte Old O’Flynn. „Was immer wir auch unternehmen, wir können nicht dafür garantieren, daß es auch wirklich gelingt. Die Dons werden sich mit allen Waffen verteidigen, die ihnen zur Verfügung stehen, und notfalls auch mit Händen und Füßen.“

„Und mit den Zähnen“, meinte der Profos grinsend.

„Ja, grinse du nur“, sagte der Alte giftig. „Ich hab’s ja von Anfang an prophezeit – wir stoßen hier noch mit den Dons zusammen!“

„Aber anders, als du es in den Sternen gelesen hast, Donegal“, brummte Ferris Tucker.

„Eins möchte ich zu gern wissen“, sagte der Profos. „Wie in aller Welt ist Sumatra-Jonny hierhergeraten, da er doch eigentlich nach unserem Abenteuer auf der Insel Tabu mit der ‚San Rosario‘ nach Neuseeland zurücksegeln sollte, um dort die beiden Maori-Mädchen abzuliefern?“

„Das ist mir auch ein Rätsel“, meinte der Seewolf. „Aber es lohnt sich nicht, jetzt darüber herumzugrübeln. Morgan, hat Jonny dir verraten, was ihn nach Sumatra geführt hat?“

„Haben die Spanier ihn denn samt der ‚San Rosario‘ hochgenommen?“ wollte Shane wissen.

„Mir ist folgendes bekannt“, erklärte Young. „Jonny kam mit der Galeone aus südlicher Richtung, und er berichtete mir auch, daß ihr das Schiff den Spaniern abgejagt und dann ihm überlassen hättet. Wo dies alles aber geschehen war, darüber wollte er sich so genau nicht auslassen. Es ist wohl sein Geheimnis, und das soll es von mir aus auch bleiben. Ich bin nicht scharf auf das sagenhafte Südland, ich habe schon jetzt die Nase voll von Ostindien und der ganzen Dschungelhölle. Aber zurück zu Jonny: Vor ungefähr zwei Wochen wollte er mit seiner ‚San Rosario‘ eine spanische Galeone aufbringen, hatte dabei aber ausgesprochenes Pech. Beim Entermanöver wurden er und die meisten Männer seiner Crew von den Dons überwältigt. Nur ein Teil der Meute konnte fliehen, indem er einfach ins Wasser sprang. Wenn die Haie und die Krokodile diese Leute nicht gefressen haben, so müßten sie nach Jonnys Vorstellungen inzwischen wieder zu dem Schlupfwinkel zurückgekehrt sein, den Jonny hier irgendwo eingerichtet hat. Die spanische Galeone schleppte die ‚San Rosario‘ ab bis nach Airdikit, dort liegt sie jetzt im Hafenbecken, während der spanische Dreimaster wieder ausgelaufen ist – mit Kurs nach Manila.“

„So“, sagte der Seewolf. „Der gute Jonny hat sich jetzt also der Seeräuberei verschrieben.“ Seiner Miene war abzulesen, daß er darüber nicht sehr begeistert war. In erster Linie deshalb nicht, weil ihm Jonny ja seinerzeit versprochen hatte, die Mädchen nach Neuseeland zurückzubringen.

Plötzlich polterten Schritte durch den Achterdecks-Mittelgang heran. Hasard, Ben und die anderen wandten die Kopfe und sahen im Halbdunkel des Ganges die Gestalt von Dan O’Flynn auftauchen.

„Sir“, sagte Dan. „Gary hat soeben eine Pinasse gemeldet, die von Nordwesten her hoch am Wind auf uns zusegelt.“

„Das sind die Spanier!“ rief Morgan Young erregt aus. „Sie haben ihre Suche nach mir auch aufs Wasser ausgedehnt! Ich bin sicher, daß sich noch mehr Pinassen oder Schaluppen in der Nähe befinden. Don Felix Maria Samaniego, der Lagerkommandant, ist ein schlauer Mann, der keine Möglichkeit ausläßt, wenn es darum geht, jemanden zu jagen.“

„Warum hat er dann nicht die ‚San Rosario‘ auslaufen lassen?“ fragte Ferris Tucker.

„Sie hat im Gefecht ziemlich schwere Schäden davongetragen, die noch nicht alle wieder ausgebessert sind“, antwortete Young. „Ich schätze, daß er befürchtet, sie könne bei dieser schweren See leckgeschlagen werden und sinken.“

„Sehr gut“, sagte der Seewolf. „Dies alles kommt meinen Plänen sehr entgegen.“ Er drehte sich zu seinen Männern um. „Los, wir hissen sofort die spanische Flagge und signalisieren den Männern in der Pinasse, daß sie längsseits der ‚Isabella‘ gehen sollen. Und daß mir ja alle Blondschöpfe den Kopf einziehen und unter Deck verschwinden! Ich will die Pinasse haben. Noch Fragen?“

„Nein, Sir“, versetzte Ben Brighton grinsend. „Was jetzt folgt, haben wir ja wohl oft genug exerziert.“

Der Teniente Leandro Moratin stand auf der Plicht ganz vorn im Bug seiner Pinasse und spähte durch sein Spektiv zu der fremden Galeone hinüber.

Gischt sprühte ihm ins Gesicht, und das Salzwasser spritzte auch gegen die Optik des Fernrohrs, so daß der Spanier in seinem Ausblick auf das rätselhafte Schiff erheblich behindert wurde.

Was sollte er tun? Er wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, aber im Hinblick darauf, was er von Don Felix alles zu hören kriegen würde, falls er die Situation nicht gründlich genug auskundschaftete, ließ er weiterhin auf die Galeone zusteuern.

Plötzlich wurde er aller bösen Zweifel über die Herkunft und Nationalität des Schiffes enthoben. Während die Pinasse schwer in der stürmischen See rollte und der Wind sie weit nach Backbord krängen ließ, stieg drüben auf der Galeone mit einemmal eine ihm wohlbekannte Flagge im Großtopp hoch. Munter flatterte sie im Wind. Moratin sah durch sein Spektiv gerade noch so viel, daß er den gekrönten schwarzen Adler und das Band des Ordens vom Goldenen Vlies auf rot-weiß-goldenem Untergrund klar erkennen konnte.

Die Flagge der spanischen Galeonen!

Aus dieser Entdeckung schöpfte er Zuversicht.

Plötzlich wurde es an Bord der Galeone auch lebendig. Da liefen Männer auf und ab, da schien man nun auch seine Pinasse gesichtet zu haben, und aus dem Großmars wurde eifrig zu ihm herübersignalisiert.

„Senor Teniente!“ rief Moratins Ausguck. „Wir sollen bei der Galeone längsseits gehen und aufentern!“

„Das habe ich selbst schon aus den Signalen herausgelesen“, gab Leandor Moratin zurück, ein bißchen unfreundlicher vielleicht, als es notwendig gewesen wäre. Er fühlte sich in gewisser Weise erleichtert, aber irgendwie hatte er doch noch seine Zweifel an der Richtigkeit der Dinge.

Denn im Lager war ihm keineswegs gemeldet worden, daß an diesem Morgen eine spanische Galeone vor Airdikit aufkreuzen würde. Wieso war er davon nicht in Kenntnis gesetzt worden?

„Was will die Galeone hier?“ fragte nun auch einer der sieben Männer hinter seinem Rücken. „Was hat sie hier zu suchen?“

Moratin drehte sich zu ihnen um. Er überlegte nur kurz, dann antwortete er: „Das ist doch ganz einfach. Sie hat Schutz vor dem drohenden Sturm gesucht.“ Ja, so mußte es sein. So erklärte sich auch, warum der Kommandant nichts von dem Eintreffen dieses Dreimasters gewußt hatte.

Unplanmäßig war sie hier aufgetaucht, die Galeone, und jetzt kam dem Leutnant noch ein anderer, schwerwiegenderer Gedanke: Konnte es nicht sein, daß die Besatzung den entflohenen Sträfling Morgan Young gefangengenommen hatte, nachdem dieser sich in die See geworfen hatte, um schwimmend den beiden zwanzigköpfigen Suchtrupps an Land zu entwischen?

Moratin stellte sich das so vor: Die Befehlshaber der Landtrupps hatten Young entdeckt, aber Young hatte sich ihnen auf dem Wasserweg entzogen. Da sie keine Boote hatten, mit denen sie ihm folgen konnten, und aus Angst vor den Salzwasserkrokodilen und den Haien nicht hinter ihm herschwimmen wollten, hatten sie einfach der Galeone signalisiert, sie solle eingreifen. Der spanische Kapitän hatte daraufhin sofort gehandelt und einen Kanonenschuß zur Warnung über den Sträfling hinweggejagt – das explosionsartige Geräusch, das der Teniente und die anderen Männer der beiden Pinassen und der Schaluppe vernommen hatten.

Danach hatte der Kapitän wahrscheinlich auch das Musketenfeuer auf den Kerl eröffnen lassen, weil dieser sich nicht ergeben wollte, und so hatte man Young schließlich aus der See aufgefischt – entweder tot oder lebendig.

Er, Moratin, brauchte diesen Hund von einem Engländer jetzt nur noch abzuholen. Im Triumph würde er ihn ins Lager schaffen und dabei etwas von dem Lob ernten, das Don Felix für die Ergreifung des Kerles aussprechen würde.

Leandro Moratin gab das Zeichen, auf die Galeone zuzumanövrieren und in Lee längsseits zu gehen.

Kurze Zeit später, als die Pinasse an der Bordwand des großen Dreimasters längsseits schor, blickte der Teniente nach oben und sah den Kopf eines Mannes, der sich über das Schanzkleid schob.

Der Mann rief in perfektem Kastilisch: „Der Capitán Don Pedro de la Barca erwartet den Führer der Pinasse und eine Abordnung von Soldaten in seiner Kammer. Bitte entern Sie auf, Senores!“

Moratin hatte von einem Kapitän de la Barca noch nichts gehört, aber darüber wunderte er sich in diesem Augenblick nicht.

Tatsächlich gab es einen de la Barca, und er war auch ein Schiffskapitän gewesen, aber jener Mann hieß Victor, nicht Pedro, mit Vornamen und saß am heutigen Tag wahrscheinlich immer noch auf der Insel Tabu fest, wo die Seewölfe ihn seinerzeit zurückgelassen hatten.

Doch all dies konnte Moratin nicht wissen.

Er dachte nur an den entflohenen Kettensträfling, legte deshalb den Kopf in den Nacken und die Hände als Schalltrichter an die Mundwinkel und schrie zu dem Mann der Galeone hinauf: „Haben Sie den Hund von einem Engländer?“

„Selbstverständlich!“ rief der Mann – Ben Brighton – zurück, und das entsprach ja auch der Wahrheit.

„Lebt er noch?“ wollte Moratin nun wissen.

„Ja. Er ist nur am linken Bein verwundet.“

„Ausgezeichnet!“ rief der Teniente. „Er wird sich noch wünschen, so schnell wie möglich zu sterben, das schwöre ich Ihnen! Er und sein Kumpan haben einen unserer Kameraden bestialisch umgebracht!“

„Und einen zweiten Soldaten heute morgen im Dschungel!“ schrie Ben Brighton.

„Ah! Das ist ja ungeheuerlich!“

„Entern Sie nur auf, Senor!“

„Mein Name ist Moratin – Teniente Leandro Moratin!“

„Gut, Teniente. Wir warten auf Sie!“

Moratin drehte sich zu seinen Soldaten um. „Ihr habt es gehört. Fünf Mann mit mir, die beiden anderen bleiben als Bootswachen hier unten zurück.“ Rasch hatte er die Männer ausgewählt, die ihn begleiten sollten, und nur wenig später enterten sie nacheinander an der bereithängenden Jakobsleiter auf.

Sie mußten sich bei dem starken Seegang mit aller Kraft an den hölzernen Sprossen festklammern, sonst wären sie abgerutscht und in die Tiefe gestürzt. Immer wieder knallte die Jakobsleiter gegen die Bordwand des im Wasser bockenden und gierenden Schiffes, und einmal schlug Moratin mit seiner ganzen Bauchpartie gegen die Wand. Er und seine fünf Begleiter waren froh, als sie endlich auf der Kuhl der Galeone angelangt waren.

 

Im nächsten Moment schlug ihre Stimmung jedoch ins Gegenteil um, denn neun, zehn und noch mehr Gestalten wuchsen neben und hinter ihnen hoch und ließen Handspaken und Belegnägel auf ihre Köpfe, Schultern und Hälse niedersausen. Die Spanier wollten sich ihrer Haut wehren, aber es ging alles viel zu schnell. Im Nu waren sie überwältigt, sanken auf die Planken und regten sich nicht mehr. Keiner hatte schreien können, um die beiden anderen unten in der Pinasse zu warnen, und ihr Stöhnen war im Heulen des Sturm-windes untergegangen.

Hasard beugte sich über den Teniente, nahm diesem den Helm ab und stülpte ihn sich über. Er richtete sich wieder auf, beugte sich über das Schanzkleid und winkte den beiden Soldaten in der Pinasse zu.

„Festmachen und raufkommen!“ schrie er ihnen zu, wobei er sich redlich Mühe gab, die Stimme des wakkeren Leandro Moratin nachzuahmen.

Die beiden Soldaten fielen darauf herein und enterten ebenfalls auf, nachdem sie die Pinasse an der Bordwand vertäut hatten. In dem Gischt, der die Pinasse einhüllte, hatten sie wirklich nicht erkennen können, daß es nicht Moratin, sondern der vermeintliche Don Pedro de la Barca gewesen war, der sie gerufen hatte – und in diesem Sturmjaulen und Pfeifen klangen für sie fast alle Stimmen gleich, vor allen Dingen dann, wenn sie so gutes Spanisch sprachen, daß sie weiß Gott keinen Verdacht schöpfen konnten.

Die Erkenntnis kam auch für diese beiden erst auf der Kuhl der „Isabella“, als wieder die Spaken und Koffeynägel geschwungen wurden und auf sie einprasselten. Auch sie brachen zusammen und streckten sich neben ihren Landsleuten aus.

„Großartig“, sagte Carberry und rieb sich die Hände. „So einen Riesenspaß hab ich schon lange nicht mehr gehabt, Sir.“

„Dann freu dich, Ed“, sagte der Seewolf. „Dies war erst der Anfang. Das eigentliche Husarenstück folgt erst jetzt – und wehe dir und den anderen, wenn ihr euch auch nur einen Schnitzer erlaubt!“

Schweigend hatte Don Felix Maria Samaniego dem Bericht der Gruppenführer gelauscht. Die beiden Landtrupps waren im Lager eingetroffen, und jetzt trugen die Offiziere ihre Hiobsbotschaft vor: Morgan Young war entwischt, und ein Schiff, in dessen Großtopp man für kurze Zeit die englische Flagge gesehen zu haben glaubte, hatte ihn in einem kühnen Manöver an Bord genommen.

„Beschreiben Sie mir diese Galeone ganz genau, Senores“, sagte der Kommandant.

Das taten die Offiziere, und sie gaben sich die größte Mühe, die Größe, Breite und Länge, die mutmaßliche Armierung, die Decksaufbauten und die Länge der Masten so präzise wiederzugeben, als könnten sie dadurch noch etwas retten.

„Gut“, sagte Don Felix am Ende zu ihrem Erstaunen. „Ich glaube zu wissen, um welches Schiff es sich da handelt. Ich bin in Malakka, auf Kalimantan und auf den Philippinen gewesen, bevor ich die Aufgabe übernahm, diese Festung zu errichten, das ist Ihnen allen bekannt. Ich habe oft genug Erstaunliches und Erschreckendes über eine Galeone dieser Bauart und deren Besatzung vernommen, denn überall, wo sie aufgekreuzt war, hat sie in unseren Kolonien Angst und Panik verbreitet. Meiner festen Überzeugung nach ist es die ‚Isabella VIII‘. – das Schiff des Seewolfes. ‚El Lobo del Mar‘ hat Morgan Young zu sich an Bord geholt, und Young wird ihm erzählen, daß hier im Lager noch andere englische Gefangene sitzen.“

„Was bedeutet das, Senor Comandante?“ fragte einer der Offiziere.

„Daß der Seewolf nicht davor zurückschrecken wird, Airdikit einen Besuch abzustatten, um seine Landsleute zu befreien. Für ihn ist das eine Ehrensache, er sieht es als seine Pflicht an, sie herauszuhauen.“

„Das werden wir nie zulassen!“ rief ein anderer Offizier erbost aus. „Wir werden sein Teufelsschiff in der Hafenbucht zusammenschießen.“

„Wie?“

„Mit den Geschützen, die bereits auf der Festung stehen, und mit den fahrbaren Kanonen, die wir am Ufer aufbauen.“

„Ja“, sagte Don Felix. „Aber ich bezweifle, daß er mit seiner ‚Isabella‘ in eine solche Falle geht. Senores, dieser Mann ist gewitzt und mit allen Wassern gewaschen. Er ist bekannt für seinen Ideenreichtum und die Vielfalt seiner Strategien. Ich schätzte, er wird sich eine List einfallen lassen, um hier einzubrechen und das Palisadenlager zu öffnen.“

„Was sollen wir tun, Don Felix?“ fragten die Männer.

„Als erstes verdreifachen wir die Wachen. Dann rollen wir die fahrbaren Geschütze, die Minions und Falkons, ans Ufer, wie Sie bereits vorgeschlagen haben.“

„Und weiter?“

„Weiter sehen wir, sobald der Feind hier auftaucht. Er wird nicht lange auf sich warten lassen, verlassen Sie sich darauf“, erklärte Don Felix mit steinharter Miene.

Don Felix Mario Samaniego war ein gescheiter und weitblickender Mann, der sich in seiner Position zu behaupten wußte. Er war weder ein grausamer Mensch oder gar Folterknecht noch ein Patriot, der alle Feinde Spaniens bis aufs Blut haßte. Er tat nur seine Pflicht als Offizier, und die lautete für ihn, das Lager zu schützen und möglicherweise den Seewolf und dessen Männer gefangenzunehmen. Dann würden auch sie in Ketten gelegt werden und – zur Freude des spanischen Königs und seiner höchsten Offiziere – am Festungsbau von Airdikit mitarbeiten.

Don Felix verließ seine Kommandohütte und trat in den Sturmwind hinaus, um auf seinen Gegner zu warten.