Seewölfe Paket 11

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5.

Die „Isabella“ ging eine halbe Seemeile vom Weststrand der Insel entfernt vor Anker.

Alle Männer an Bord sahen es jetzt in grausamer Deutlichkeit, was sich abgespielt hatte. Die Szene war so eindeutig, daß die Wut in ihnen überzukochen drohte.

„Was für eine niederträchtige Ratte muß das sein“, flüsterte der alte O’Flynn bebend vor Zorn. „Wie kann ein Mensch nur zu so etwas imstande sein!“

Sie standen in einer Reihe am Strand. Der Einäugige hatte sie in Ketten legen lassen. Edwin Carberry und seine Begleiter hatten keine Chance mehr, sich noch zur Wehr zu setzen. Daß sie von vornherein keine Chance gehabt hatten, bewies die Zahl der Krieger, von denen sie in Schach gehalten wurden. Eine erdrückend große Übermacht.

Nach und nach erreichten jetzt die überlebenden Besatzungsmitglieder der Karacke den Strand. Sie wurden von einigen der Indonesier in Empfang genommen und versorgt. Die Inselbewohner trugen einfache Sarong-Kleidung, verschiedenfarbige Tücher, die über den Hüften verknotet waren und etwa bis zu den Knien reichten.

„Ich denke, wir sollten nicht länger warten“, sagte Ben Brighton, der neben dem Seewolf auf dem Achterkastell stand. „Wir müssen etwas unternehmen.“

Hasard bedachte ihn mit einem mahnenden Seitenblick. Ausgerechnet Ben, der sonst stets besonnen und überlegt in seinen Worten und Taten war, drängte jetzt auf eine Entscheidung. Dies war ein Anhaltspunkt dafür, wie sehr die ohnmächtige Wut in den übrigen Männern der Crew loderte.

Hasard selbst erging es nicht anders. Aber es gab da einiges zu berücksichtigen.

„Natürlich werden wir etwas unternehmen“, entgegnete er, „aber im Augenblick gibt es dafür keinen Grund.“

„Keinen Grund?“ fragte Old Donegal Daniel O’Flynn, der es mitgehört hatte. „Was für einen Grund erwartest du denn noch? Willst du erst zusehen, wie sie da drüben am Strand hingerichtet werden?“

„Das wird nicht geschehen“, erwiderte Hasard energisch. „Und jetzt reißt euch gefälligst zusammen. Mir geht das Ganze genauso an die Nieren. Aber ich werde nichts tun, was Ed Carberry und den anderen schaden könnte. Und genau das wäre nämlich im Moment der Fall, wenn wir nicht vernünftig bleiben.“

„Das soll einer noch kapieren“, knurrte der alte O’Flynn gereizt.

Ben Brighton nickte indessen nachdenklich.

„Es hat seinen Grund, warum die Männer in Reih und Glied am Strand aufgebaut wurden“, erklärte Hasard. „Wir sollen sie nämlich klar und deutlich sehen. Geht das in deinen Dickkopf hinein, Old Donegal?“

„Klar. So dämlich bin ich nun auch wieder nicht. Aber das Nächste, was sie uns klar und deutlich vorführen werden, ist die Hinrichtung.“

„Ich glaube nicht“, sagte Ben Brighton gedehnt. „Wenn wir uns nämlich fragen, warum sie diesen hinterlistigen Trick angewendet haben, dann stoßen wir auf den Kern der Sache.“

„Himmel!“ stöhnte der alte O’Flynn. „Was nutzt uns dein verdammter Kern der Sache, wenn sie da drüben unsere Leute massakrieren! Vielleicht denkt ihr auch mal dran, daß mein leiblicher Sohn dabei ist.“

„Keine Sorge, Old Donegal“, sagte Hasard schneidend. „Wir vergessen das keine Sekunde. Im Moment hat diese widerwärtige Strandparade nichts anderes zu bedeuten, als daß man Forderungen an uns stellen will. Und es soll deutlich werden, daß wir keinen großen Spielraum für unsere Entscheidung haben.“

Old O’Flynn schüttelte den Kopf.

„Tut mir leid, ist mir zu hoch. Wenn es nach mir ginge, würden wir den ganzen lausigen Haufen zusammenschießen. Ed Carberry und die Jungs wüßten sich dann schon zu helfen. Aber so was mit Kern der Sache und Spielraum und Forderungen …“ Er schüttelte abermals demonstrativ den Kopf.

Ben Bringhton sah den Seewolf an.

„Du bist also überzeugt, daß sie die Gefangenen uns gegenüber als Druckmittel verwenden werden?“

Hasard nickte.

Wie zur Bestätigung entstand an dem dunklen Küstenstreifen Bewegung. Die Menge der Indonesier teilte sich, eine Gasse wurde gebildet; und vier der drahtigen Männer mit nacktem Oberkörper schleppten ein Auslegerboot ins seichte Wasser.

Dann erschien ein weiterer Mann in der soeben entstandenen Gasse. Er hielt eine Bambusstange, an der ein weißes Tuch flatterte. Mit gravitätischen Schritten ging er an den Gefangenen vorbei auf das Boot zu.

Keiner der Männer an Bord der „Isabella“ brachte ein Wort hervor. Fassungslos beobachteten sie das infame Schauspiel.

Der Bursche war kein anderer als der, der sie an der Nase herumgeführt hatte.

Jetzt sah er allerdings ganz und gar nicht mehr wie ein Schiffbrüchiger aus.

Er trug ein helles Hemd, vermutlich aus teurer indischer Seide. Darunter einen breiten Ledergürtel, dessen handtellergroße Messingschließe im Sonnenlicht funkelte. Seine schwarzen Hosen steckten in braunen Stulpenstiefeln. Die Vermutung, daß diese Stiefel aus kostbarem, butterweichem Leder gefertigt waren, lag nahe.

Was den Gesamteindruck seiner noblen Erscheinung jedoch ein wenig störte, war die schwarze Binde über dem nicht mehr vorhandenen linken Auge.

Kapitän Einauge stieg ins Boot und blieb mit der weißen Fahne aufrecht stehen, während die vier Indonesier für ihn das Paddeln besorgten. Zügig glitt das Auslegerboot durch den schwachen Wellengang der Galeone entgegen.

„Jetzt erwartet dieser Strolch doch tatsächlich, daß wir seinen verdammten weißen Lappen anerkennen“, fauchte Old O’Flynn erbost. „Wir sollten den Kerl …“

„Nichts werden wir tun“, entschied Hasard rauh. „Wir hören uns an, was er zu sagen hat, und dann sehen wir weiter.“

Old Donegal Daniel O’Flynn schwieg.

Hasard trat an die vordere Schmuckbalustrade, während das Boot noch zwei Kabellängen entfernt war. Die Männer wandten sich zu ihm um.

„Hasard, Sir!“ rief Ferris Tucker grimmig. „Ich schlage vor, wir schnappen uns diesen Knilch und kitzeln ihn mit einem Messer an der Kehle. Dann steht es fifty-fifty, und sie sind gezwungen, unsere Leute freizulassen.“

„Richtig!“ schrien die anderen. „Eine bessere Gelegenheit kriegen wir nicht wieder!“

„Ruhe!“ befahl der Seewolf mit einer energischen Handbewegung. „Genau das werden wir nicht tun. Ed Carberry und den anderen ist nicht damit geholfen, wenn wir jetzt Druck ausüben. Auf der Insel haben sie immerhin sechs Gefangene, und wir hätten nur den einen als Gegengewicht.“

Dieses Argument zog. Betreten preßten die Männer die Lippen aufeinander.

„Wenn der Mann an Bord kommt“, fuhr Hasard fort, „werdet ihr euch alle sehr ruhig verhalten. Überlaßt das Verhandeln mir, und ihr könnt sicher sein, daß ich das Mögliche herausholen werde. Was wir später tun werden, entscheiden wir dann. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

„Aye, aye, Sir“, murmelten sie bedrückt. Aber sie sahen ein, daß der Seewolf letzten Endes doch recht hatte.

Auch Old Donegal Daniel O’Flynn nickte zähneknirschend, als Hasard sich umdrehte und ihn mit einem fragenden Blick bedachte.

„Ben“, sagte der Seewolf, „ich möchte, daß du dabei bist, wenn ich mit dem Burschen rede. Vor allem soll es ruhig und sachlich zugehen. Es hat keinen Sinn, wenn wir jetzt anfangen, verrückt zu spielen.“

„In Ordnung“, entgegnete Ben Brighton knapp.

Gemeinsam stiegen sie den Niedergang hinunter. Das Auslegerboot war mittlerweile auf Steinwurfweite heran. Durch eine der Pforten im Schanzkleid ließen die Männer widerwillig die Jakobsleiter hinunter. Dann wichen sie zurück, wie Hasard es anordnete. Um den Großmast herum bildeten sie eine schweigende Front voller Ingrimm.

„Gentlemen!“ rief der Einäugige aus dem Boot herauf. „Ist es erlaubt, an Bord zu kommen?“

Hasard und Ben Brighton waren an das Schanzkleid getreten.

„Wir erwarten Sie“, antwortete der Seewolf beherrscht. „Es wird Ihnen nichts passieren.“

„Damit rechne ich auch nicht!“ rief Kapitän Einauge sarkastisch und lachte.

Dann erreichte sein Boot die Jakobsleiter. Er ließ die Stange mit der weißen Fahne zurück und kletterte zum Schanzkleid hinauf. Die Indonesier blieben im Boot. Ihre Mienen spiegelten deutliches Unbehagen. Das große fremde Schiff war ihnen nicht ganz geheuer.

Hasard und Ben Brighton begrüßten den falschen Schiffbrüchigen mit einem reservierten Nicken.

„Gestatten Sie, daß ich mich zunächst vorstelle“, sagte er salbungsvoll, „mein Name ist Laurindo de Carvalho. Ich bin Portugiese und war Kapitän jenes Schiffes, das Sie soeben versenkt haben.“

„Das geschah nicht aus einer Laune von uns“, entgegnete Hasard ruhig. Er nannte seinen Namen und stellte auch Ben Brighton vor.

De Carvalho antwortete mit einer beschwichtigenden Handbewegung.

„Gemach, gemach, Gentlemen. Regen Sie sich nicht auf. Ich spüre natürlich die Welle der Feindseligkeit, die mir an Bord dieses schönen Schiffes entgegenschlägt. Wieviel angenehmer wäre es, auf einem solchen stattlichen Schiff ein gern gesehener Gast zu sein! Aber man kann nun einmal nicht alles haben.“ Er seufzte. „Oder vielleicht doch?“

Hasard hatte von Anfang an keine Sympathie für den Portugiesen empfunden. Jetzt aber spürte er, wie sich Abscheu in ihm entwickelte. Der Kerl war ölig wie eine eingelegte Sardine!

„Ich nehme an, Sie wollen mit uns verhandeln“, sagte der Seewolf und bemühte sich, wenigstens äußerlich gelassen zu bleiben. „Dazu schlage ich vor, daß wir uns in meine Kammer begeben.“

„Verhandeln ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort“, erwiderte de Carvalho leutselig. „Aber natürlich bin ich mit ihrem Vorschlag einverstanden, Mister Killigrew.“

„Das ist nicht Mister Killigrew!“ schrie Old O’Flynn vom Achterkastell. „Das ist Sir Hasard! Die Königin von England hat ihn zum Ritter geschlagen!“

 

Der Seewolf drehte sich um. Ein Blick von ihm genügte, und der Alte zog sich schmollend von der Balustrade zurück.

Laurindo de Carvalho deutete eine Verbeugung an.

„Ich bitte vielmals um Vergebung, Sir Hasard. Es ist mir eine große Ehre, einem Ritter ihrer Majestät, der Königin von England, zu begegnen. Noch mehr ehrt es Sie, Sir Hasard, daß Sie Ihren Rang zu erwähnen vergaßen.“

„Ich legte keinen Wert darauf“, sagte der Seewolf, obwohl er wußte, daß der andere nur spottete. Er brauchte zunehmend mehr Kraft, um sich angesichts dieses öligen Halunken zu beherrschen. Doch er beging auch nicht den Fehler, de Carvalho zu unterschätzen. Hinter seinem Salbadern verbarg sich vermutlich nur, wie gefährlich er tatsächlich war.

„Nach meinem ersten Eindruck“, sagte de Carvalho mit falschem Lächeln, „schätze ich Sie als einen Mann ein, der sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen braucht. Aber bevor wir uns in Ihre Kammer zurückziehen, möchte ich noch auf eines hinweisen: Etwaige tätliche Angriffe auf meine Person wären in höchstem Maße unbedacht. Ich darf in diesem Zusammenhang an unseren kleinen Aufmarsch erinnern, den Sie dort am Strand von Seribu sehen. Jeder hier an Bord wird sich vermutlich leicht vorstellen können, was mit einem oder mehreren der sechs tapferen Männer passieren würde, wenn man annehmen müßte, daß ich um Leib und Leben fürchten muß.“

Ferris Tucker spie demonstrativ über Bord. Voller Verachtung.

Sonst war kein Laut von der Crew zu hören.

Was blieb, war jene Welle der Feindseligkeit, von der der Portugiese so wohlklingend gesprochen hatte.

„Die Männer sind bereits darauf hingewiesen worden“, sagte Ben Brighton schneidend.

Laurindo de Carvalho zog die Braue über dem gesunden Auge hoch und musterte den ersten Offizier mit unverkennbarem Hohn.

Doch Ben Brighton war kein Mann, der sich durch so etwas herausfordern ließ.

„Gehen wir“, entschied der Seewolf knapp.

De Carvalho bedankte sich mit einer wiederum angedeuteten Verbeugung und folgte den beiden Männern in die Kapitänskammer. Drinnen atmete er hörbar auf.

„Ich muß gestehen, Gentlemen, mir war dort draußen nicht ganz wohl. Aber ich glaube, Sie können mir das nachfühlen. Ihnen würde es in meiner Lage sicherlich nicht anders ergehen.“

Der Seewolf baute sich vor ihm auf und stützte die Fäuste in die Hüften.

„Ich an Ihrer Stelle, Senhor de Carvalho, würde mich in Grund und Boden schämen.“

Der Portugiese lachte leise. Unaufgefordert setzte er sich an den Tisch.

Wohl oder übel folgten Hasard und Ben Brighton seinem Beispiel. Ihre Nerven vibrierten. Beide mußten sich zwingen, nicht an ihre Gefährten zu denken, die in Ketten gelegt worden waren. Und noch mehr mußten sie sich zwingen, diesen öltriefenden Hundesohn nicht unangespitzt zwischen die Schiffsplanken zu treiben.

„Gentlemen, ich muß Ihnen einiges erklären“, begann de Carvalho mit einer ausladenden Handbewegung.

„Dazu haben Sie allen Grund“, sagte Hasard.

Kapitän Einauge blieb ungerührt.

„Dabei wäre ich von einem guten Tropfen sehr angetan, Gentlemen. Wissen Sie, vom vielen Reden kriege ich immer leicht eine trockene Kehle.“

„Sie brauchen nicht viel zu reden“, knurrte Ben Brighton, „geben Sie die Gefangenen heraus, und der Fall ist erledigt.“

Hasard blieb ruhig. Er wußte mittlerweile, wie er diese portugiesische Ölsardine einzuschätzen hatte. Der Bursche leistete sich Unverschämtheiten am laufenden Band – weil er wußte, daß er sie sich leisten konnte.

Laurindo de Carvalho lachte abermals.

„Aber, aber, Gentlemen! Benehmen wir uns doch wie zivilisierte Menschen! Ist es von einem Gast zuviel verlangt, daß er um einen kleinen Schluck zur Erfrischung bittet?“

„Ganz und gar nicht“, entgegnete Hasard, wobei er versuchte, die falsche Freundlichkeit des anderen nachzuahmen. Daß ihm dies nicht vollends gelang, lag daran, daß man vermutlich die Persönlichkeit eines Laurindo de Carvalho brauchte, um auch dessen äußeres Gehabe an den Tag zu legen.

Widerstrebend stand Ben Brighton auf.

„Etwas von unserem besten karibischen Tropfen?“

Der Seewolf nickte, und der erste Offizier der „Isabella“ ging zum Schapp hinüber.

„Oh, ich höre, Sie waren in der Karibik?“ bemerkte de Carvalho mit gespielter Überraschung.

„Mehrmals“, antwortete Hasard kurzangebunden.

Der Portugiese lehnte sich zurück und faltete die Hände über dem Bauch.

„Ja, ich muß schon sagen, ich beneide meine Landsleute, die sich in jenem Teil der neuen Welt aufhalten dürfen. Leider ist mir das nicht mehr vergönnt. Aber andererseits – ich bin auch hier zufrieden.“

Ben Brighton kehrte mit einem Krug und drei Zinnbechern zurück und schenkte ein.

„Ein Getränk, das bis vor wenigen Jahren bei uns in Europa noch unbekannt war. Sie nennen es Rum.“

„In der Tat?“ De Carvalho blickte zu Brighton auf. „Ich muß gestehen, daß ich noch nicht davon gehört habe.“

„Die Spanier haben das Zeug aufgespürt“, entgegnete Ben und setzte sich.

„Aha“, sagte de Carvalho und lächelte. „In der Beziehung dürften Sie als Engländer die besseren – hm – Kontakte gehabt haben, um sich derartige hochwertige Waren zu sichern.“

„So kann man es ausdrücken“, erwiderte Hasard, ebenfalls mit einem Lächeln. Er hob den Becher. „Trinken wir darauf, daß wir uns gütlich einigen.“

„Letzteres liegt auch mir am Herzen, Gentlemen.“ Der Portugiese hob seinen Becher gleichfalls. Dann nahm er einen ebenso langen Schluck wie seine beiden englischen Gastgeber.

Hasard und Ben wechselten einen raschen Blick. Unbemerkt.

Laurindo de Carvalho setzte sein Trinkgefäß mit einem jähen Ruck wieder ab, daß es auf die Tischplatte knallte. Im selben Atemzug versteifte sich sein Körper, als habe er einen Besenstiel verschluckt. Seine eben noch gesunde Gesichtsfarbe wechselte in ein elendes Grau und bildete einen deutlichen Kontrast zum Schwarz seiner Augenbinde. Er schluckte krampfhaft, wobei seine Rechte wie haltsuchend den Trinkbecher umklammert hielt. Sein Gesicht verfärbte sich jetzt in ein glühendes Rot, sein Oberkörper hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen.

Hasard und Ben hatten ihre Becher abgesetzt, lehnten sich zurück und lächelten gelassen.

„Das Beste, was wir an Bord haben“, bemerkte der Seewolf, „ein wirklich edler Tropfen, nicht wahr, Senhor de Carvalho?“

Der Portugiese unterdrückte ein Husten. Nur allmählich hatte er sich wieder in der Gewalt. Er rang sich ein Lächeln ab, das schief aussah.

„Allerdings.“ Er keuchte. „Das kann ich nur bestätigen.“

„Dann nehmen wir gleich noch einen“, sagte Ben Brighton und packte den Krug. „Wir freuen uns immer, wenn es unseren Gästen an Bord gefällt.“

De Carvalho streckte abwehrend die Hand aus.

„Nein, nein, Gentlemen, das ist wirklich nicht nötig. Ich hatte doch nur um einen kleinen Schluck gebeten. Ich will nicht den Eindruck erwecken, als wäre ich nur an Bord, um mich auf Ihre Kosten …“

„Einen solchen Eindruck haben wir nicht“, fiel Hasard ihm ins Wort. „Unsere Gäste behandeln wir wie Könige. Das ist alles.“

Kapitän Einauge verzog geschmeichelt das Gesicht. Sein sarkastisches Gehabe war von ihm abgefallen wie ein welkes Blatt – dank der Wirkung des hochprozentigen Stoffs.

Noch einmal ließ er also die Prozedur über sich ergehen, die bei den beiden Engländern nicht einmal ein Wimpernzucken hervorrief. De Carvalho selbst hatte auch diesmal das Gefühl, als bohre sich eine glühende Eisenstange durch seine Kehle bis tief in den Körper hinunter. Er zwang sich mit aller Gewalt, Haltung zu bewahren. Denn schließlich wollte er diesen beiden Burschen den Triumph nicht gönnen, daß sie ihn aus den Stiefeln kippen sahen. Insgeheim betete er, daß sie nicht auf die Idee verfielen, noch einen dritten Umtrunk zu veranstalten.

Dann atmete er auf, als sie ihn erwartungsvoll ansahen. Ihre Gedanken schienen sich also in eine andere Richtung zu bewegen. Endlich Er räusperte sich.

„Also zur Sache, Gentlemen“, sagte er und spürte nicht, daß seine Zunge um einige wenige Unzen schwerer geworden war.

Hasard und Ben bemerkten es sofort. Aber sie ließen es sich nicht anmerken. Immerhin war die Lage dazu viel zu ernst.

„Wir hören“, entgegnete der Seewolf und lehnte sich zurück.

De Carvalho nickte, blinzelte kurz und gab sich einen Ruck, um aufrecht zu bleiben.

„Wie gesagt, ich muß einiges vorausschicken. Die Menschen auf der Insel Seribu befinden sich im Kriegszustand. Ich gehöre zu den Menschen auf Seribu. In führender Position gewissermaßen. Darüber später mehr. Was ich sagen will, ist nur, daß auch ich mich im Kriegszustand befinde und deshalb das Recht habe, gewisse Taktiken anzuwenden, die für das Königreich Seribu von Nutzen sein können.“

„Ein Königreich?“ wiederholte Hasard. „Wenn es sich nur um diese Insel handelt, kann ich mir das nicht ganz vorstellen.“

„Wir haben hier andere Maßstäbe als in Europa, Sir Hasard. Herrscher auf Seribu ist König Sohore Jugung Moharvi. Sein Titel lautet hierzulande ‚Raja‘. Das ist gleichbedeutend mit unserem Ausdruck ‚König‘.“

„Wir haben aber nichts davon gehört“, entgegnete Ben Brighton, „daß Ihr sogenannter Raja England den Krieg erklärt hätte.“

„Auch das ist völlig unerheblich, Gentlemen. Wir haben hier andere Gesetze und Gepflogenheiten. Dazu gehörte auch die Taktik, die ich Ihnen gegenüber anwenden mußte. Um Ihnen das verständlich zu machen, muß ich etwas weiter ausholen.“

„Wir haben zwar wenig Zeit“, sagte Hasard, „aber wenn es sein muß …“

De Carvalho grinste breit. Breiter als jenes süffisante Lächeln, das er zuvor an den Tag gelegt hatte. Auch ein Zeichen dafür, daß er seine Gesichtszüge weniger gut unter Kontrolle hatte.

„Zunächst werden Sie sich wundern, was einen Portugiesen in diese Breiten verschlagen hat. Ich bin nicht allein hier. Noch acht Männer meiner ehemaligen Schiffsbesatzung leben ebenfalls auf Seribu. Sie haben diesen Männern sozusagen das – das Schiff unter dem Hintern weggeschossen.“ Er lachte über seine höchst frivole Ausdrucksweise, wurde aber im nächsten Moment wieder ernst. „Es ist nun schon mehr als drei Jahre her, daß es in unserem persönlichen Schicksal eine entscheidende Wende gab. Mit unserer Karacke, die übrigens den Namen ‚Maria Cristina‘ trug, gerieten wir damals in ein Seegefecht mit einer Übermacht holländischer Galeonen. Das war nördlich von Java, nur wenige Tagesreisen von hier entfernt. Die ‚Maria Cristina‘ wurde damals stark beschädigt. Wir waren manövrierunfähig, und nur eine glückliche Fügung wollte es, daß wir nicht versenkt wurden.“

Ben Brighton warf dem Seewolf einen vielsagenden Blick zu. Hasard wußte, was Ben dachte. Es wäre besser gewesen, wenn der portugiesische Zweimaster seinerzeit gesunken wäre.

„Wir hatten auch weiterhin Glück“, fuhr de Carvalho mit einer theatralischen Geste fort. „Ein günstiger Wind trieb uns auf die Insel Seribu zu, und wir waren in höchstem Maße erstaunt über die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen, die uns hier aufnahmen. Nachdem wir uns einigermaßen erholt hatten, erfuhren wir von den besonderen Problemen, mit denen Raja Moharvi und sein Volk noch heute zu schaffen haben. Die Menschen auf Seribu sind Hindus und damit dem moslemischen Reich von Prinz Fatahillah II. auf Java ein Dorn im Auge. Damit wären wir bei dem Kriegszustand, den ich schon erwähnte. Fatahillah hat immer wieder Seekriegszüge gegen die Insel Seribu geführt, und es war letztlich nur eine Frage der Zeit, wann ihm die Eroberung gelingen würde.“

Hasard nickte. Er hatte den Namen Fatahillah gehört. Allerdings mußte es sich bei Fatahillah II. um einen Sohn oder sonstigen Verwandten des Mannes handeln, der auf Java Geschichte gemacht hatte. Besagter Fatahillah nämlich hatte am 22. Juni 1527 die Portugiesen aus dem damaligen Hafenstädtchen Sunda Kelapa vertrieben und die Stadt auf den neuen Namen „Jayakarta“ getauft. Das bedeutete soviel wie „Stadt des großen Sieges“. Ein Sieg für die Moslems, denn der siegreiche Fatahillah war ein Schwiegersohn des Sultans von Demak gewesen.

„Wir beschlossen spontan, uns für die Hilfsbereitschaft erkenntlich zu zeigen“, spann de Carvalho seinen Faden weiter. „Wir setzten unsere Karacke instand, und beim nächsten Angriff der Flotte Fatahillahs brachten wir ihr eine vernichtende Niederlage bei. Denn die Segler, die sie hier verwenden, sind Schiffen europäischer Bauart natürlich nicht im entferntesten gewachsen. Ja, und dieser Erfolg war dann der Anfang der Geschichte, die meine Freunde und mich an diese Insel fesselte. Der König hatte nämlich beschlossen, mich als eine Art Kriegsminister einzustellen, und meine Freunde erhielten ebenfalls führende Posten. Um diesem Vorschlag ein wenig mehr Gewicht zu verleihen, gab mir der Raja seine Tochter zur Frau. Da es sich um ein wahrhaft engelsgleiches Geschöpf handelt, fiel mir die Entscheidung leicht. Im übrigen leben meine Freunde und ich hier mit Privilegien, von denen man in Europa kaum eine Vorstellung hat.“ Er hielt inne und grinste von neuem. Er spürte, daß er von einem seltsamen Teufel geritten wurde. „Eigentlich könnten wir jetzt noch einen Schluck von diesem edlen karibischen Tropfen zu uns nehmen.“

 

Ben Brighton unterdrückte einen glucksenden Laut. Dann schenkte er ein, und sie prosteten sich abermals zu. Diesmal verdrehte der Portugiese das Auge und ließ ein wohliges „Aaaah“ hören. Ben sah den Seewolf verblüfft an, doch Hasard lächelte nur. Karibischer Rum hatte seine besondere Wirkung, und die war nun einmal bei jedem Menschen verschieden.

„Gut“, sagte Hasard, „nach dieser aufschlußreichen Geschichte fehlt uns nur noch ein Grund dafür, weshalb Sie uns so hinterlistig hereingelegt haben. Ein Seekriegsgericht würde Sie dafür vermutlich zum Tode verurteilen.“

De Carvalho schloß das Auge, wobei er sanft den Kopf von einer Seite zur anderen bewegte. Dazu setzte er wieder sein breites Grinsen auf.

„Ich sagte schon, hier gelten andere Gesetze. Und statt ‚hinterlistig‘ sollten Sie das Wort Taktik gebrauchen. Meine Karacke, die hier übrigens keinen Namen mehr trug, weil das nicht üblich ist, befand sich in einem äußerst schlechten Zustand. Aber woher sollte ich ein neues Schiff vergleichbarer Bauweise nehmen? Geld gibt es auf Seribu nicht und irgendwelche Bodenschätze schon gar nicht. Deshalb ist Ihre Galeone für mich ein Geschenk des Himmels, Gentlemen. Ich denke, damit habe ich alles gesagt, was zu sagen ist.“

„Sie wäre ein Geschenk des Himmels“, verbesserte Ben Brighton, „wenn Sie sie kriegen würden.“

Laurindo de Carvalho zog die Augenbraue hoch.

„Oh, mir scheint, in dem Punkt mißverstehen wir uns. Sie verkennen den Grund meines Besuches an Bord. Nennen wir es ein Geschäft Zug um Zug. Da meine ursprüngliche Taktik leider nicht funktioniert hat, wird es so ablaufen: Sie übergeben mir das Schiff und erhalten dafür die sechs Männer zurück, die sich in meinem Gewahrsam befinden. Ich werde sogar so zuvorkommend sein, Ihnen und Ihrer gesamten Mannschaft seetüchtige Auslegerboote zur Verfügung zu stellen. Damit erreichen Sie mühelos Java, wo Sie sich selbst weiterhelfen können.“

Philip Hasard Killigrew blieb noch immer ruhig. Nur in seinen seeblauen Augen glomm ein gefährliches Feuer.

Er stand auf.

„Ich habe es gehört, Senhor de Carvalho. Sie begehen nur einen Denkfehler. Zu einem Zug-um-Zug-Geschäft gehören immer zwei. Und ich erwidere nur eins: Ihre Forderung ist die größte Unverschämtheit, die ich jemals gehört habe.“

Der Portugiese sprang mit einem Ruck auf. Im selben Moment mußte er sich an der Tischkante festhalten, denn er drohte das Gleichgewicht zu verlieren und hintenüberzukippen. Sein Gesicht rötete sich, und er schwankte.

„Seien Sie vorsichtig mit Ihren Äußerungen!“ schrie er. „Wenn Sie mir das Schiff nicht bis Sonnenuntergang übergeben, wird der erste Ihrer Männer sein Leben aushauchen!“

Der Seewolf schüttelte den Kopf.

„Anders herum wird ein Schuh draus, de Carvalho“, sagte er eisig. „Sie geben auf der Stelle die Gefangenen frei. Andernfalls schießen wir Ihre hübsche Insel in Grund und Boden.“

„Versuchen Sie es!“ bellte Kapitän Einauge. „In dem Fall werde ich den ersten Mann vor Ihren Augen hinrichten lassen! Ich bin gespannt, wie Ihnen das gefallen wird.“

„Verlassen Sie mein Schiff!“ befahl der Seewolf schneidend. „Ich rate Ihnen, sich zu beeilen, bevor ich es mir anders überlege.“

„Wagen Sie es nicht, Hand an mich zu legen!“ keifte der Portugiese. „Wagen Sie es nicht, wenn Ihnen das Leben Ihrer Männer lieb ist!“

„Verschwinden Sie“, sagte Hasard nur, „und zwar schnell.“

De Carvalho schoß einen haßerfüllten Blick auf den Seewolf ab. Dann drehte er sich abrupt um und stelzte mit unsicheren Schritten hinaus.

Hasard und Ben Brighton folgten ihm. An Deck sahen sie das Grinsen der Männer, die den Portugiesen auf seinem schwankenden Weg zum Schanzkleid beobachteten. Und jeder von ihnen wünschte sich, daß de Carvalho die Jakobsleiter verfehlte und ein erfrischendes Bad nahm. Doch wider Erwarten erreichte er das Auslegerboot trocken. Wütend schleuderte er die Bambusstange mit dem weißen Tuch ins Wasser und herrschte die Indonesier in einer Sprache an, die die Männer auf der „Isabella“ nicht verstanden.

Sobald sie zu ihren Gefährten hinüberblickten, die noch immer in Ketten am Strand ausharrten, war ihre momentane Schadenfreude dahin. Die Rumseligkeit des Einäugigen half ihnen nicht dabei, die Gefangenen zu befreien.