Seewölfe Paket 11

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„Der hat nichts begriffen“, stellte Ben Brighton mit einem ungläubigen Unterton fest, ohne das Spektiv abzusetzen. „Wollen die sich etwa wirklich ernsthaft mit uns anlegen?“

Hasard schwenkte den Kieker zur Insel hinüber. Und er brauchte nur einen kurzen Blick, um endgültig zu verstehen, welches Spiel hier getrieben wurde. Der Zorn fraß sich wie ein glühender Klumpen in seinem Magen fest.

„Dafür begreife ich um so mehr“, knurrte er. „Sieh dir an, was aus unserem Schiffbrüchigen geworden ist!“

Ben tat es und zerbiß einen Fluch auf den Lippen.

„Diese Dreckskerle! So was verstößt gegen jedes Ehrgefühl. Hilfsbereitschaft zu wecken und dann …“ Unbändige Wut ließ ihn verstummen.

„Wenn wir die Sache in den Griff kriegen“, entgegnete Hasard, „dann verdanken wir es unserem Moses. Wäre die Rechnung dieser Strolche aufgegangen, dann wären sie über uns hergefallen, solange wir noch vor Anker lagen.“

„Was, zum Teufel, ist los?“ fragte Old Donegal Daniel O’Flynn wild. Er hatte die erste Drehbasse längst geladen. „Was redet ihr ellenlang herum? Schießen wir diesen Stinker nun zu Klump oder nicht?“

„Damit brauchen wir uns nicht zu beeilen.“ Al Conroy grinste. „Dem werden gleich die Augen übergehen.“

Hasard erklärte ihnen mit wenigen Worten, was sich auf der Insel abspielte. Denn mit bloßem Auge konnten sie es nicht erkennen. Den Männern verschlug es die Sprache. Pete Ballie, der es gleichfalls mithörte, packte das Ruder fester mit seinen Riesenfäusten. Soviel Hinterhältigkeit und Verlogenheit hatten sie lange nicht mehr erlebt. Dies hier erinnerte schon fast an die Gemeinheiten des sehr ehrenwerten Sir Francis Drake.

Erneut hob der Seewolf das Spektiv.

Die Distanz zu der Karacke hatte sich wieder etwas vergrößert und betrug jetzt gut eineinhalb Kabellängen. Der Zweimaster war erstaunlich schnell, aber ob er es mit der Galeone aufnehmen konnte, würde sich noch zeigen.

Auf jeden Fall dachte Hasard nicht daran, diese lächerliche Verfolgung noch endlos lange hinzunehmen.

„Al!“ sagte er, ohne den Kieker zu senken.

„Sir?“

„Bring ihn zur Vernunft!“

„Mit Vergnügen, Sir!“ Der Stückmeister beugte sich hinter die Visierung des drehbar gelagerten Geschützrohres und hob die Lunte.

Hasard gab Ben Brighton einen Wink. Der erste Offizier trat an die vordere Schmuckbalustrade.

„Batuti! Shane!“

„Sir?“ tönte es wie aus einem Mund.

„Zeigt es ihm!“

„Aye, aye!“

Ben Brighton nickte zufrieden. Während er wieder zu dem Zweimaster spähte, schnappten sich Batuti und Big Old Shane die ersten Pfeile, keineswegs gewöhnliche Pfeile. Was dahintersteckte, sollten die Stinte auf der Karacke gleich merken.

Al Conroys Drehbasse entlud sich mit brüllendem Krach. Ein mächtiger Feuerstrahl stieß aus dem Geschützrohr und trieb die Ladung aus bleiernen Kleinigkeiten mit Urgewalt vor sich her.

Einen Sekundenbruchteil später zierte ein gezacktes Lochmuster das Focksegel des Zweimasters.

Mit einem Satz war Al Conroy bei der geladenen Drehbasse, und Old O’Flynn humpelte zu dem noch rauchenden Geschütz, wischte es aus und lud nach.

Ein Ruf ertönte bei den Culverinen. Die Männer hatten alle acht Culverinen auf der Backbordseite geladen. Ben Brighton gab die Meldung an den Seewolf weiter. Hasard antwortete mit einem knappen Handzeichen, denn im erneuten Drehbassendonner wäre seine Stimme untergegangen.

Von der Kuhl zischten die ersten Pfeile weg und zogen eine weiße Rauchspur hinter sich her.

Al Conroys zweite Ladung zerriß das Focksegel der Karacke in der unteren Hälfte an Backbord. Das Tuch flatterte nutzlos im Wind.

Und dann krachten zwei helle Schläge an Deck des Zweimasters, als die Pulverladungen detonierten, die sich in den hohlen Schäften der Brandpfeile befanden. Eine Erfindung von Big Old Shane, unter Al Conroys fachmännischer Anleitung meisterhaft verwirklicht.

Auf der Kuhl der Karacke entstand Wuhling. Kleine Flammen züngelten auf, und die braunhäutige Crew erhielt alle Hände voll zu tun. Ein wilder Schrei klang herüber. Sie gerieten aus der Fassung.

Von der „Isabella“ zischten jetzt die pulvergeladenen Brandpfeile in rascherer Folge. Batuti und Big Old Shane schossen sich ein, arbeiteten ruhig und besonnen in schöner Regelmäßigkeit.

Al Conroy stieß die Lunte ins Zündloch seiner Drehbasse. Als das Geschützrohr aufbrüllte, glühte auch auf dem Vordeck der Karacke das erste Mündungsfeuer auf. Die beiden Schüsse vereinten sich zu einem einzigen weithallenden Donner.

Doch es zeigte sich, daß der Schütze auf der Karacke weit weniger Geschick hatte als der Stückmeister der „Isabella“.

Weit achteraus prasselte die Ladung ins Wasser, ohne der Galeone den geringsten Schaden zuzufügen.

Al Conroys bleierne Grüße indessen flogen dem Mann an der Drehbasse drüben um die Ohren, daß er schleunigst in Deckung verschwand. Schreie gellten. Die Männer, die auf dem Vordeck der Karacke mit dem Löschen beschäftigt waren, verschwanden wie weggeputzt von der Bildfläche. Drüben hatte es jetzt die ersten Verwundeten gegeben. Spätestens jetzt mußten sie begreifen, daß dies für sie ein Törn in die Hölle zu werden drohte.

In unveränderter Regelmäßigkeit klatschten die Brandpfeile in die Decksplanken des Zweimasters, und sofort darauf detonierten die Ladungen der Pfeilschäfte.

Der Stückmeister setzte seine Arbeit an den Drehbassen fort, und der alte O’Flynn war ihm dabei eine zuverlässige Hilfe.

Philip Hasard Killigrew dachte nicht daran, Mitleid zu zeigen. Denn bei dem Gedanken an seine Männer, die auf der Insel in die Falle gelaufen waren, kochte es in ihm.

Was den unverfrorenen Angreifern jetzt widerfuhr, hatten sie sich einzig und allein selbst zuzuschreiben.

4.

Mit seiner schwarzen Augenklappe und dem schulterlangen schwarzen Haar sah der Portugiese aus wie der Leibhaftige in Person. Dieser Eindruck verstärkte sich für die Seewölfe noch dadurch, daß sich das Gesicht de Carvalhos zu einer wütenden Fratze verzerrte.

Er zischte einen Fluch in seiner Muttersprache, an seinen Fäusten traten die Knöchel weiß hervor.

Dan O’Flynn zögerte nicht länger. Dies war der Moment der Verwirrung, und diesen Moment mußte er nutzen.

Blitzartig riß der hochgewachsene junge Mann die schwere Pistole hoch. In der Bewegung spannte er den Hahn, und der Flint schlug klakkend auf den Reibstahl der Pulverpfanne.

Kapitän Einauge vergaß seine Wut jäh. Und er reagierte mit einer Schnelligkeit, die Dan O’Flynn nicht erwartet hatte.

Während Ed Carberry und die anderen nach beiden Seiten auseinanderhasteten, schnellte der Portugiese aus dem Stand heraus nach vorn, zu Boden.

Und er lag flach, als die Pistole Dan O’Flynns krachte. Haarscharf fauchte das Mündungsfeuer der großkalibrigen Waffe über den Einäugigen weg. Die schwere Bleikugel schlug weit entfernt mit vernehmlichem Klatschen in das Lavagestein.

Von See her donnerten die Schüsse der Drehbassen.

Noch während der Pulverrauch aus Dan O’Flynns Waffe aufstieg, lösten sich die Indonesier aus ihrer Schweigsamkeit. Wilde Schreie gellten, dann stürmte die ganze Meute auf die Männer der „Isabella“ los.

Ed Carberry und die anderen formierten sich blitzschnell zur Abwehrstellung, rissen die Pistolen aus den Gürteln und feuerten.

Das Krachen der Schüsse brachte die heranbrandende Woge der Angreifer vorerst ins Stocken. Zwei, drei der braunhäutigen Krieger brachen zusammen.

Dan O’Flynn fand unterdessen noch Zeit, die Pistole umzudrehen und am Lauf zu packen.

Mit katzenhafter Gewandtheit schnellte der Portugiese vor ihm hoch und sprang Dan O’Flynn mit einem gewaltigen Satz an.

Dan wich zur Seite. Gerade noch rechtzeitig.

Wie ein menschliches Geschoß stieß der Einäugige ins Leere.

Von den Indonesiern tönte wütendes Geheul. Von neuem drangen sie in breiter Front auf die Seewölfe ein, und keine dreißig Yards waren es mehr, die die Riesenmeute der Angreifer von der kleinen Schar der Verteidiger trennte.

Ed Carberry und seine Gefährten ließen die nutzlos gewordenen Pistolen fallen. Denn zum Nachladen blieb keine Zeit.

Wenn Dan O’Flynn geglaubt hatte, der Portugiese würde der Länge nach zu Boden schlagen, so hatte er sich getäuscht.

Kapitän Einauge rollte sich wie eine Katze, gelangte aus dem Sprung heraus auf beide Beine, schnellte federnd hoch und wirbelte herum. Geduckt stand er da, doch ohne Waffen. Was um ihn herum geschah, schien ihn nicht mehr zu interessieren. Weder das für ihn niederschmetternde Geschehen auf See noch das Getümmel, das in unmittelbarer Nähe am Strand begonnen hatte.

Das Auge des Portugiesen war zu einem Schlitz zusammengekniffen, als er den schlanken jungen Mann fixierte.

Dan O’Flynn wandte sich ihm ruhig zu, mit einer demonstrativen Bewegung warf er die Steinschloßpistole zur Seite. Mit einem dumpfen Laut landete die schwere Waffe im Sand.

Einauges Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen.

„Fühl dich nicht zu stark, mein Junge!“ zischte er.

Dan O’Flynn antwortete nicht. Er konzentrierte sich auf seinen Gegner. Jeden Sekundenbruchteil konnte dessen lauerndes Verharren in einen wilden Angriff übergehen.

Und unverändert rollte der Geschützdonner von See her.

Der Profos und seine Männer hatten die Entermesser herausgerissen. Ed Carberry stieß die mächtige Klinge hoch.

„Versohlt ihnen den Hintern, diesen verdammten Kakerlaken!“ brüllte er.

Es war das Zeichen zur erbitterten Gegenwehr. Die Seewölfe stürmten los und unterliefen den ersten Hagel von Wurfspießen, der über sie wegzischte. Um den Portugiesen nicht zu gefährden, verzichteten die Insulaner anscheinend darauf, diese vorsintflutlichen Waffen in massierter Form einzusetzen. Und ein zweites Mal kamen sie nicht mehr dazu.

 

Wie ein Keil stießen die Seewölfe in die quirlende Meute vor. Die Klingen der Entermesser verursachten flirrende Lichtreflexe. Schäfte von Wurfspießen zerbrachen wie morsche Zweige. Schreie gellten. Krummdolche blitzten auf.

Jeder einzelne der Männer von der „Isabella“ hatte sich auf Rundumverteidigung eingestellt. Der Profos mit seiner Riesenstatur ragte über alles hinaus, und seine wüsten Flüche begleiteten das Kampfgetümmel.

„Ho, ho, ihr nichtsnutzigen Affenärsche! Das schmeckt euch, wie? Wartet nur ab, ihr kriegt noch mehr davon, ihr lausigen Wanzen!“ Unter seinen Hieben sanken sie zu Boden, und er bemühte sich dabei, nur die flache Klinge zu verwenden, wo es eben ging. Doch während Ed Carberry sie vorn niedermähte, klammerten sie sich hinten wie Kletten an seinen Rücken und versuchten ihn zu Fall zu bringen.

„Wollt ihr wohl Vernunft annehmen!“ brüllte er mit Donnerstimme und rammte zwei Angreifer fast gleichzeitig zu Boden. Doch dafür hatte er ein halbes Dutzend von ihnen im Nacken, und zum ersten Mal geriet er ins Wanken.

Die Indonesier stimmten Triumphgeschrei an, denn sie hatten längst begriffen, daß dieser rauhbeinige Hüne eine Art Mittelpunkt der Kampfmoral für die fremden Männer war.

Matt Davies, Luke Morgan, Sam Roskill und Bob Grey kämpften mit der gleichen Verbissenheit wie ihr Profos. Matt war der einzige, der sich ein einigermaßen freies Umfeld verschaffen konnte. Denn mit seinem Entermesser in der Linken und seinem spitzgeschliffenen Stahlhaken, dort, wo sich einmal seine rechte Hand befunden hatte, war er nicht nur ein furchteinflößender Anblick, sondern auch ein nahezu unüberwindbarer Gegner.

Luke, Sam und Bob waren indessen von dichten Trauben der Indonesier umlagert. Die furchtbaren Hiebe der Entermesser verfehlten zwar ihre Wirkung nicht, doch wegen der übermächtigen Zahl der Angreifer blieb der Erfolg gering.

Dan O’Flynns Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die donnernden Schüsse von See, der wilde Kampf am Strand und der hämisch lauernde Einäugige – alles zusammen hätte jeden Zartbesaiteten an den Rand des Wahnsinns getrieben.

Dan kannte solche Empfindsamkeit nicht. Er war sich darüber im klaren, was von ihm abhing. Ed Carberry und die anderen waren der Übermacht auf die Dauer nicht gewachsen, selbst dann nicht, wenn sie übermenschliche Kräfte entwickelten. Und ein Wunder, das ihnen zu Hilfe kommen konnte, war nicht abzusehen.

Deshalb, so kalkulierte Dan folgerichtig, lag alles bei ihm. Bezwang er diesen hinterlistigen einäugigen Strolch, wendete er möglicherweise das Blatt. Denn er war überzeugt, daß der Portugiese für die Indonesier eine Art Häuptling war. Ohne ihn würden sie nicht weiterkämpfen.

Laurindo de Carvalho schien die Gabe des Gedankenlesens zu haben.

„Bilde dir keine Schwachheiten ein, junger Mann“, sagte er grinsend, „du und deine lieben Freunde, ihr werdet es niemals schaffen. Also gib lieber gleich auf. Oder willst du allen Ernstes noch gegen mich antreten?“

Noch während er die letzten Worte aussprach, stellte er abermals seine Tükke unter Beweis.

Dan O’Flynn war fast versucht, zu antworten, als er begriff.

Das Wortgeplänkel de Carvalhos war nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver.

Mit einem pantherhaften Satz schnellte der Einäugige auf Dan O’Flynn los, ohne daß es dafür einen erkennbaren Ansatz gegeben hätte.

Dan, durch den Trick des anderen sekundenlang irritiert, reagierte um einen winzigen Moment zu spät. Und er bereute es zutiefst, daß er die Pistole fortgeworfen hatte.

De Carvalhos Rammstoß traf ihn gegen die rechte Schulter.

Dan wurde herumgerissen. Er stolperte zur Seite, drehte sich ungewollt wie ein Kreisel und mußte alle Energie aufwenden, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Genau damit hatte aber offenbar der Portugiese gerechnet, der seinen Ansturm abbremste, herumruckte und von neuem auf den schlanken jungen Mann eindrang.

Dan O’Flynns Gegenwehr traf ihn mit unerwarteter Gewalt. Geschickt unterlief Dan die Fäuste des Portugiesen und schmetterte ihm einen Hieb aufs Zwerchfell.

Der Schmerz und die Wucht des Schlages trieben de Carvalho zurück. Er wankte, vollführte kurze, schnelle Schritte und ruderte mit den Armen. Sein Gesicht färbte sich graugrün.

Sofort setzte Dan nach. Nur am Rand seines Blickfelds sah er das Kampfgetümmel, das nach wie vor zwischen den Männern der „Isabella“ und den indonesischen Kriegern brandete. Die ersten Triumphschreie, die die braunhäutigen Burschen ausstießen, nahm Dan nur im Unterbewußtsein wahr. Denn er konzentrierte sich voll und ganz auf seinen Gegner.

De Carvalho hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden. Doch er krümmte sich. Der Schmerz war übermächtig.

Zwei Schritte genügten für Dan O’Flynn, und er war bei ihm. Mit unbarmherzigen Fausthieben trieb er den Portugiesen weiter vor sich her. De Carvalho wankte und riß schützend die Arme hoch. In Dans Ohren dröhnte das Donnern der Schüsse von See her.

Der Sohn des alten O’Flynn legte seine ganze Muskelkraft in den nächsten Schlag, der den Einäugigen von den Beinen riß.

De Carvalho schlug der Länge nach hin, stöhnte vor Schmerzen und atmete keuchend.

Sofort war Dan wieder bei ihm und wollte ihn auf die Beine ziehen.

Plötzlich wurde er von hinten gepackt. Er hatte die Schritte nicht gehört. Sie waren Meister der Lautlosigkeit. Verzweifelt setzte er sich zur Wehr, doch gegen die Übermacht richtete er nichts aus. Vier oder fünf Indonesier waren es, die seine Arme gepackt hielten. So sehr er sich auch wand, es half nichts. Zwar mußten sie sich höllisch anstrengen, um ihn zu bändigen. Aber das gelang ihnen letztlich dank ihrer überlegenen Zahl.

Ed Carberry und die anderen konnten Dan O’Flynn nicht mehr zu Hilfe eilen.

Das Gesicht des Einäugigen war haßverzerrt, als er sich mühsam aufrappelte. In der Umgebung der Augenklappe glühte seine Stirn, in dem gesunden Auge loderte die Wut. Seine Muskeln bebten, als er langsam auf den wehrlosen jungen Mann zuging.

Einen Schritt vor ihm blieb er stehen. Ohne ein Wort und ohne Ankündigung schlug de Carvalho zu.

Dan O’Flynn schrie auf Wieder wand er sich vergeblich im Griff der Indonesier. Er konnte den gemeinen Hieben nicht ausweichen. Der Schmerz durchflutete seinen Körper wie eine alles auslöschende Woge. Der Klang seiner Schreie ging für ihn selbst in einem Rauschen unter, das seinen Kopf auszufüllen begann. Und de Carvalho hielt nicht inne.

Bewußtlosigkeit erlöste Dan O’Flynn.

Die Männer an Bord des Zweimasters entschlossen sich zu einem wahnwitzigen Manöver.

Philip Hasard Killigrew erkannte es in dem Moment, als sie begannen, es auszuführen.

„An die Brassen!“ rief er in Ben Brightons Richtung, der an der vorderen Schmuckbalustrade des Quarterdecks stand. „Kurs Süd!“

Der erste Offizier der „Isabella“ verstand sofort, und er brüllte seine Befehle mit Stentorstimme zur Kuhl hinunter. Die Lautstärke war notwendig, denn Al Conroy ließ in regelmäßigen Abständen nach wie vor die Drehbassen krachen. Und Batuti und Big Old Shane sorgten mit ihren pulvergeladenen Brandpfeilen für die hellen kleinen Detonationen an Bord der Karacke.

Jetzt allerdings ließen sie ihre Bogen fallen und hasteten gemeinsam mit den anderen los. Alle hatten sie nur darauf gewartet, zu zeigen, was in ihnen steckte. Und nun wußten sie, daß der entscheidende Moment da war. Jetzt sollten diese Himmelhunde spüren, was es hieß, sich mit der Crew des Seewolfs anzulegen – und mit ihrem Schiff, das auf den Weltmeeren nur selten seinesgleichen begegnete.

„Pete, hart Backbord!“ befahl Hasard, wobei er das Geschehen auf dem Zweimaster unverwandt beobachtete.

„Aye, aye, Sir, hart Backbord!“ schrie Pete Ballie gegen den Lärm der Drehbassen an und ließ das Steuer unter seinen Fäusten wirbeln.

Auf der Karacke quirlte die Crew durcheinander. Und es war ein wirkliches Durcheinander. Diese Indonesier konnten nicht auf jene jahrzehntelange Erfahrung bauen, die man nun einmal brauchte, um ein rahgetakeltes europäisches Schiff voll und ganz in den Griff zu kriegen. Trotz der Entfernung, jetzt wieder etwa eine Kabellänge, konnte Hasard die gellenden Befehle von Bord des Zweimasters hören. Einige der europäisch gekleideten Männer hatten ihren Platz auf dem Achterkastell verlassen und sich in die Wuhling auf der Kuhl gemischt. Das Focksegel war zu nichts mehr nutze. So blieben ihnen nur die Marssegel und das Großsegel für ihr irrsinniges Vorhaben.

Nichts anderes beabsichtigten sie, als der Galeone die Breitseite zu zeigen. Wenn es eine Herausforderung sein sollte, dann war es ein geradezu tolldreistes Unterfangen. Sie kalkulierten damit, daß sich der Seewolf dieser Herausforderung stellen würde. Zu Recht nahmen sie das an. Doch wenn sie darauf bauten, daß sie den ersten Schuß abfeuern konnten, dann mußten sie wirkliche Phantasten sein.

Die Segel der „Isabella“ begannen zu knattern, als die Rahen herumschwangen. Mit geradezu elegantem Schwung drehte die Galeone ihr Heck durch den Wind, und der Südost griff in die jetzt backgebraßten Segel.

„Al, du wirst bei den Culverinen gebraucht!“ rief Hasard.

„Aye, aye, Sir!“ Al Conroy ließ die Drehbassen mit Old O’Flynn allein und lief zum Niedergang.

Sehr schnell verlor die „Isabella“ an Fahrt, ein Ächzen und Knarren ging durch laufendes und stehendes Gut.

Drüben, auf der Karacke, waren sie gerade so weit, ihre Halse zu beginnen. Spätestens jetzt mußten sie begriffen haben, daß sie gegen die ranke Galeone und ihre in zahllosen Seegefechten siegreiche Crew hoffnungslos unterlegen waren. Hasards Männer standen bereit und warteten darauf, erneut blitzschnell zuzupakken, wenn es galt, das nächste Manöver durchzuführen.

Während Pete Ballie auf Anweisung des Seewolfs knappe Ruderkorrekturen ausführte, besorgte Al Conroy mit sicherem Blick das Richten der Culverinen.

Je acht dieser 17-Pfünder-Kanonen befanden sich an Backbord und Steuerbord. Mit ihren überlangen Rohren hatten die Culverinen eine enorme Reichweite und überdurchschnittliche Treffgenauigkeit.

Trotz intensiver Beobachtung hatte Hasard bislang noch keinen Namenszug am Heck der Karacke entdecken können.

Der Zweimaster hatte die Halse noch nicht vollendet, als der Seewolf Feuerbefehl gab.

Der Lage entsprechend ließ Al Conroy zunächst vier Culverinen abfeuern. Ein urgewaltiges Donnern lief durch den Schiffsrumpf, doch die „Isabella“ krängte nur leicht nach Steuerbord. Auch in dieser Hinsicht stellte die Galeone die Meisterleistung ihres englischen Erbauers unter Beweis.

Vier Feuerzungen leckten aus den offenen Stückpforten, dichte Wolken von Pulverrauch stiegen auf. Im Nachhall des Kanonendonners war das Rauschen der Kugeln nur noch schwach zu hören.

Von der Karacke tönte ein vielstimmiger Entsetzensschrei herüber.

Der Seewolf lächelte grimmig. Wie es schien, hatten die Indonesier niemals ein Seegefecht dieser Art erlebt. Dabei war es für sie nur ein Anfang. Zu einem wirklich ernstzunehmenden Gegenschlag sollte der Zweimaster nicht kommen.

Zwei der 17-Pfünder-Kugeln orgelten flach über das Vordeck der Karacke weg. Die Schreie verdichteten sich.

Die beiden anderen Kugeln krachten mit geringem Abstand in den Steuerbordbug des Zweimasters. Knapp über der Wasserlinie.

Jetzt, endlich, zeigte er der „Isabella“ seine volle Breitseite. Und völlig überhastet wurden die Geschütze abgefeuert.

Schon am Winkel der aus den Stückpforten zuckenden grellroten Blitze erkannte Hasard, daß die Visierlinie viel zu tief lag.

Al Conroy reagierte mit der gewohnten Präzision. Aus den ersten beiden Treffern und den beiden Fehlschüssen hatte er in Sekundenschnelle seine Schlüsse gezogen und die vier anderen Culverinen nachgerichtet.

Jetzt stießen sie ihr furchterregendes Brüllen aus – haargenau in dem Moment, als die Kugeln der Karacke weit vor der Galeone mächtige Fontänen aus der Wasseroberfläche rissen.

Die Antwort von der „Isabella“ folgte prompt. Das schmetternde Krachen der Einschläge war überdeutlich zu hören. Diesmal waren es vier Treffer, die allesamt in der Wasserlinie lagen. Für Al Conroy war das nichts Ungewöhnliches. Er hatte seine Meisterleistungen schon unter weit schwierigeren Umständen vollbracht.

 

Die Männer auf der Kuhl der Galeone stimmten Triumphgebrüll an. Dann vereinten sich ihre Stimmen zu jenem Schlachtruf, der schon zahlreichen Gegnern zur See einen Schauer über den Rücken gejagt hatte.

„Ar – we – nack! Ar – we – nack!“

Hasard und Ben Brighton stimmten mit ein in diesen alten Kampfruf derer von der Feste Arwenack in Cornwall, und der Seewolf glaubte gar, die hellen Stimmen seiner Söhne herauszuhören.

Al Conroy gab sich nicht zufrieden, obwohl der Zweimaster rapide nach Steuerbord zu krängen begann. Den Schlachtruf noch immer auf den Lippen, luden der Stückmeister und die anderen die Culverinen neu.

Während der Pulverrauch verflog, beobachtete Hasard das Geschehen an Bord der Karacke. Panik war dort drüben ausgebrochen. Die ersten braunhäutigen Gestalten stürzten sich an Backbord in die See – trotz des Gebrülls jener europäisch gekleideten Männer, die offenkundig dieses Schiff befehligten.

Der Seewolf schwenkte das Spektiv zur Insel. Was er dort am Strand erblickte, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Und hatte er auch nur einen Moment gezögert, so kannte er jetzt keine Gnade mehr.

Sein erneuter Feuerbefehl bedeutete den Todesstoß für den Zweimaster.

Kurz nacheinander donnerten abermals jeweils vier Culverinen an der Backbordseite der „Isabella“. Diesmal hüllte der Pulverdampf das Schiff fast vollends ein. Als er sich jedoch verflüchtigte, war das Bild eindeutig.

Tiefe Wunden waren in den Bauch des Zweimasters gerissen worden. Die weißen Männer an Bord gaben jeglichen Versuch auf, ihre Crew zurückzuhalten. Denn jetzt saß ihnen selbst die Angst im Nacken. Bei rasch zunehmender Schlagseite nach Steuerbord gelang es ihnen gerade noch, ein Beiboot abzufieren. Die Indonesier sprangen kurzerhand über Bord und retteten sich schwimmend.

Die Karacke sank rasch. Ihr Anblick erinnerte an ein waidwund geschossenes Tier, aus dem das Leben mit einem letzten Hauch wich.

Abermals stimmten die Männer an Bord der Galeone Jubelgebrüll an.

Doch dann wurden sie bald ruhiger, als sie die Kommandos Ben Brightons ausführten und die „Isabella“ wieder Kurs auf die Insel nahm.

Die Siegesfreude der Seewölfe wich bedrückter Stimmung. Denn soviel erkannten sie, ohne daß sie einen Kieker dazu brauchten: Ihre Gefährten, die nichts weiter vorgehabt hatten, als einen bedauernswerten Schiffbrüchigen zu retten, waren in eine verdammt bedrohliche Klemme geraten.

Daß es ihnen gelungen war, die Karacke zu versenken, hatte dagegen nicht mehr besonders viel Wert.

Mit zwei, drei Kabellängen Entfernung rauschte die „Isabella“ an den Männern vorbei, die sich schwimmend und im Beiboot retteten. Niemals wäre der Seewolf auf den Gedanken verfallen, seinen Zorn an diesen Schiffbrüchigen auszulassen. Denn jetzt sah er sie nicht mehr als Gegner, sondern nur noch als Schiffbrüchige. Wäre nicht Land in Sicht gewesen, hätte er sie an Bord genommen.

In dieser Beziehung unterschied sich Philip Hasard Killigrew grundlegend von jenem Mann, der sie dort auf der Vulkaninsel mit List und Tücke in die Falle gelockt hatte.