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Reise durch den Stillen Ozean

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Eine grosse, flache Schüssel aus schwarzbraunem Holz wurde in die Mitte gewälzt, und mir gegenüber schienen einige jüngere Männer sich an die Zubereitung unseres Getränkes zu machen. Wurzelstücke wurden mit Messern zerschnitten und vertheilt. Nur auf Augenblicke, wenn gerade die beiden Feuer frisch geschürt höher flackerten, konnte ich davon etwas wahrnehmen. Hatten die Jünglinge ein Stück Wurzel zurechtgekaut, so förderten sie das Resultat ihrer Arbeit mit den Fingern zu Tage und legten es in die Bowle. Schliesslich goss einer der Männer, dem das wichtige Amt des Brauens oblag, Wasser aus hohlen Kokosnüssen darauf, rührte um mit den Fingern und machte sich an die schwierige Operation des Filtrirens. Hierzu dient gewöhnlich der Bast des »Wau«, der einheimischen Baumwollenpflanze, indem man damit wiederholt in die Flüssigkeit taucht, die holzigen Reste der ausgelaugten Wurzel fängt und zwischen den Fasern des Filters auspresst. Dies muss unter gewissen gesetzmässigen Bewegungen der Arme geschehen, worauf noch immer grosses Gewicht gelegt wird.

Einer der Alten, die um uns herumsassen, legte ein Stück Bambus quer über seine Kniee und klopfte mit zwei dünnen Stäbchen einige Takte darauf, zum Zeichen, dass ein Gesang angestimmt werden sollte. Dieser bestand aus mehreren Strophen, zwischen welchen einige Sekunden Pause gemacht wurde und die grösste Stille herrschte. Man hörte dann nur das Krachen der Wurzeln zwischen den Zähnen der Kauenden und das Herumpantschen der Flüssigkeit in der grossen Schüssel. Die einförmige, ewig wiederkehrende Melodie war entschieden wohlklingender, als die in Neuseeland gehörten Lieder der Maoris, endete stets am Schluss einer Strophe mit einem kurz, fast bellend ausgestossenen Vokal und wurde mit symmetrischen Armbewegungen, Hin- und Herbeugen des Oberkörpers und Händeklatschen begleitet, während die Gesichter einen ernsten andächtigen Ausdruck bewahrten. Der Bambusmusikant schlug den Takt dazu, welcher im Daktylustempo sich bewegte.

Auch mein naturalisirter Freund, der Perlfischer, ein geborener Schotte, sang mit und schwang seine Arme und wiegte sich in den Hüften und klatschte in die Hände, ganz ebenso wie die braunen Wilden. Mein laienhaftes Verständniss konnte keinen Unterschied in seinen Leistungen bemerken.

Der Hymnus war zu Ende, und die Kawa war fertig. Ein Junge brachte in gebeugter, geduckter Haltung – denn aufrecht zu gehen in der Hütte eines Höheren wäre eine grosse Frechheit – den Becher, die Hälfte einer Kokosnussschale, und kredenzte ihn dem Häuptling, welcher galant diese Bevorzugung des Erstlingstrunkes an mich abtrat. Der Junge hockte vor mir nieder und klatschte dreimal in die Hände, als ich ihm die Schale abgenommen hatte. Ich war bereits instruirt, dass man jedesmal ganz austrinken müsse. Es nicht zu thun wird von den Wilden der Südsee ebenso übel genommen, wie von den Wilden einer deutschen Studentenkneipe. Ich that meine Pflicht und würgte die ganze Schale hinunter. Es schmeckte abscheulich, ungefähr so, wie Seifenwasser mit etwas Tannin schmecken möchte.

Die Zechgenossen hatten mehr Freude an meiner That als ich selbst. Alle klatschten sichtlich befriedigt dreimal in die Hände und blärrten unisono und läppisch grinsend: »Amala«, worauf mein Führer und Mentor mir zuflüsterte, ich müsse jetzt »Mole, mole« danken, was ich gewissenhaft und gehorsam that, indem ich die geleerte Schale nach der Schüssel zurückwarf.

Nach mir trank der Häuptling, dann der Perlfischer, und dann kam abermals ich an die Reihe. Was von dem zweimaligen Rundgang unter uns dreien übrig blieb, erhielten die Anderen. Jeder Trunk geschah unter dem bereits geschilderten Zeremoniell.

Die Musik des Gelages lockte mehr Bewohner des Dorfes herbei. Noch ein paar Dutzend krochen durch die Thüre herein, dann wars so voll, dass kein Platz mehr übrig war. Einer stellte sich aufrecht vor uns hin und machte militärisch Honneur, indem er die Hand an seinen Turban legte. Es war der nackte Policeman des Ortes, an der weissen Uniformsbinde erkannte ich ihn wieder.

Ich habe später noch oft Kawa oder vielmehr Yankona, wie man auf Viti sagt, getrunken. Sie sieht bei Tageslicht aus wie Thee mit sehr wenig Milch. Ihr Seifenwassergeschmack weicht bald einem Gefühl der Kühle im Gaumen, so dass ich sie manchmal nicht ungern trank, namentlich wenn ich längere Zeit keine Spirituosen zu sehen bekommen hatte. Man sagt der Yankona alle möglichen üblen Wirkungen nach. Lähmungen, Hautausschläge und Augenentzündungen sollen aus ihrem zu häufigen Genuss entstehen. Vorläufig sind hierüber noch keine exakten Beobachtungen vorhanden. Nur ihre schweisstreibende Wirkung scheint mir unzweifelhaft zu sein. Ich habe allerdings nie mehr als vier Kokosnussschalen von je vielleicht ein halb Liter auf einmal getrunken. Nicht ein einziges mal erfuhr ich eine Veränderung in meinem Gemeingefühl. Ich konnte danach lange nicht einschlafen und transspirirte sehr beträchtlich, das war Alles. Die Kawa ist ebensowenig ein berauschendes als ein gegohrenes Getränk, sondern ein reiner Aufguss, wie unser Thee, höchstens vielleicht mit dem Unterschiede, dass der wahrscheinlich geringe Stärkemehlgehalt der Wurzel durch den Speichel in Zucker umgesetzt ist.

Die Yankona erfreut sich nicht nur bei den Eingeborenen, sondern auch bei den weissen Ansiedlern allgemein einer grossen Beliebtheit. Selbst der Gouverneur soll ein Verehrer dieses Getränkes sein. Dabei besteht überall jenes primitive Verfahren der Zubereitung, und es wird keine Maschine gebraucht, die die Zähne der Jungen ersetzte, wie wohl denkbar wäre. In früheren Zeiten allerdings sollen die Wurzeln künstlich geraspelt worden sein, wie alte Männer dem Missionär Williams erzählten. Jetzt zieht man die einfacheren und billigeren Instrumente von unübertrefflicher Qualität vor, die jeder Vitijunge im Munde mit sich herumträgt.

Ich habe es oft erlebt, dass Europäer ihren dienenden Geistern befahlen, schnell eine Bowle zurechtzukauen. Die Weissen sagen für Kawa oder Yankona gewöhnlich »Grog«, und zwar »Fiji Grog« zum Unterschied von »White mans Grog«, was den Schnaps im europäischen Sinn bedeutet. »Was wollen Sie trinken?« ist eine stehende Frage, wenn man irgendwo zu Besuch kommt, »Fiji Grog or White mans Grog?« Und zwar hat diese ursprünglich jedenfalls spasshafte Bezeichnung sich so eingebürgert, dass sie allen humoristischen Klang verloren hat und ganz ernsthaft gebraucht wird, ohne dass es dem Betreffenden einfiele, einen Witz machen zu wollen. Die Bezeichnung »Grog« hat sogar angefangen, auch von den Eingeborenen gebraucht zu werden, und nicht blos für das Getränk, sondern sogar für die Pflanze. Ich wurde oft von Vitis angesprochen »Grog?« indem sie mir die Wurzel zum Verkauf anboten, und »Grog, Grog« machte mich oft unser Junge aufmerksam, wenn wir im Walde an einer Piper methysticum-Staude vorüberkamen. Vielleicht wird dereinst das Wort Grog das alte Vitiwort Yankona ganz verdrängt haben, ein merkwürdiges Beispiel der Uebertragung von Wortbegriffen.

Aeusserst befriedigt von den reichen Erlebnissen dieses ersten Tages legte ich mich zu Bett. Ich war entzückt, noch soviel Ursprünglichkeit der Sitten vorgefunden zu haben. Meine kühnsten Erwartungen waren übertroffen. Die letzte Nacht hatte ich noch auf dem Dampfer zugebracht, und jetzt – es war mir, als ob ich schon Monate unter den Insulanern gelebt hätte. Ich konnte lange nicht einschlafen. War es meine Aufregung, oder war es die genossene Kawa, oder waren es die Moskitos, welche durch die Löcher meines Moskitozeltes zu mir hereinwimmerten, oder das halbe Dutzend Besoffener, welches links und rechts von meinem Zimmer ein schauerliches Konzert zusammenschnarchte, was mich wachhielt, ich wälzte mich schweisstriefend mehrere Stunden auf dem Lager.

Die rohen Bretterwände des Hotels reichten blos bis zu einer gewissen Höhe, oben waren alle Stuben offen, und über uns nichts als das gemeinschaftliche, steil ansteigende Schindeldach. Der Mond sah durch die Glasthüre, welche auf die Veranda führte, herein und verrieth mir das geschäftige Hin- und Herrennen einer Menge schwarzer zweizölliger Schaben über die dünne Gase meines Moskitonetzes. Unter sämmtlichen Thieren ist gerade diese Sorte mit den ewig ruhelosen, ewig nervös gestikulirenden geiselförmigen Fühlern mir die verhassteste, trotz aller Zoologie. Hie und da raschelte eine Eidechse über den Boden.

Einige längere Promenaden auf der Veranda draussen in dem herrlichen Mondschein waren unter solchen Umständen viel genussreicher. Ringsum zirpten Tausende von Zikaden, die See glänzte und wogte und ebenso glänzten und wogten die Palmen. Weit draussen brauste die Brandung über den Korallenriffen, und unten rollten die Wellen gegen das Ufer, so dass ich das Schnarchen der Besoffenen nicht zu hören brauchte, und kein menschlicher Ton die zauberhafte Poesie der Tropennacht störte.

Früh am nächsten Morgen brachen wir auf, um nach Gavatina, Herrn Kleinschmidts Wohnsitz, zu fahren. Auch die zwei biederen ihrer Muttersprache entfremdeten Landsleute waren schon aufgestanden, um uns zum Abschied die Hände zu reichen und mich einzuladen, sie in Waidule, wo sie zu Hause waren, zu besuchen. Ich rieth ihnen dringend, sich wieder ins Bett zu legen. Die peinlichen Folgen ihrer gestrigen Ausschweifung waren nur zu deutlich in ihren verstörten Gesichtern zu lesen. Trotz des unermüdlichen Grimassenschneidens gelang es ihnen nicht, die Augen aufzumachen. Mit einem Auge ging es noch leidlich, aber alle beide auf einmal, das ging nicht, so grosse Mühe sie sich auch gaben.

Aus dem Ziegen- und Hühnerstall hinten, in dem die drei verunglückten Seeleute der Nachtruhe genossen, fing die Thüre rhythmisch zu brummen an, und eine rauhe Bassstimme brüllte die Melodie des »Herrn Fischer« dazu mit dem ewigen »Ja, ja«. Es war der Mexikaner, der sein Morgenlied anstimmte.

Ich erhielt noch Gelegenheit, meine Anthropologie mit zwei Neuhebriden-Insulanern zu bereichern, welche in Diensten eines in Wailevu ansässigen weissen Kaufmanns arbeiteten, und flüchtig zu konstatiren, wie sehr verschieden ihre bläulich schimmernde schwarze Haut von der Farbe der vergleichsweise röthlichen Eingeborenen Kandavus sich abhob. Dann luden wir mein Gepäck und ein für ein Pfund Sterling erhandeltes und entsetzlich schreiendes Schweinchen in zwei Böte und segelten ab.

 

XIII
GAVATINA UND SANIMA

Der Isthmus Yarambali. Das Sonntagspublikum von Namalatta. Bootfahrt an der Nordseite Kandavus entlang. Gavatina, unser idyllisches Thal. Niketi und Ruma. Besuche der Wilden. Der Tui und die Marama. Ethnologisches. Der Busch, seine Mühen und seine Thierwelt. Kanuubau hoch oben auf dem Berge. Riffleben und Fischfang. Spaziergang nach Sanima. Tapa-Bereitung. Doktor Hink und seine Kopra-Projekte. Gottesdienst in Sanima. Das Missionswesen auf den Inseln. Kehrseiten der Tropenpracht. Klimatisches und Kulinarisches. Die Kokospalme und ihre Anwendungen. Enge Verhältnisse.

Der nach Süden geöffneten Angaloa Bai, an welcher Wailevu liegt, tritt im Norden oder genauer Nordwesten die Namalatta Bai entgegen. Beide Buchten nähern sich einander auf etwa 500 Schritt, wodurch die ganze Insel Kandavu in eine kleinere südwestliche und eine grössere nordöstliche Hälfte zerfällt. Ein flacher niedriger Isthmus mit einem schönen Kokospalmenhain stellt die Verbindung her, südlich von einem Mangrovesumpf, nördlich vom ebenen reinlichen Strand aus Korallen und Muschelsand begrenzt. Der Isthmus heisst Yarambali, was so viel bedeutet als »Etwas hinüber heben«, da die Eingeborenen hier ihre Kanuus von einer Seite der Insel nach der anderen zu schaffen pflegen.

Auch wir mussten auf diesem Wege mit den Böten nach der anderen Seite hinüber. Wir hatten uns verspätet, die Ebbe lief bereits stark ab, es war höchste Zeit, den Isthmus zu erreichen. Wir ruderten geradewegs in die Bucht hinein, dem saftigen Grün der Mangroven entgegen. Es dauerte nicht lange so stiess das grössere Boot auf Grund. Die vier rudernden Vitis sprangen ins seichte Wasser, und dadurch wurde es wieder flott. Ein schmutziger Kanal, über dem die Mangroven sich wölbten, nahm uns auf. Links und rechts nichts als stinkender Sumpf mit sperrigen Luftwurzelpyramiden, in dem eine Menge Krebse sich herumtrieben. Soldatenkrabben sassen in runden Löchern, die unverhältnissmässig lange gelbe Scheere zum Zugreifen bereit herausstreckend, und zogen sich schnell ganz zurück, als wir uns näherten, Eremitenkrebse, merkwürdig dicke und schwere Schneckengehäuse schleppend, bummelten an den Zweigen und Wurzeln herum, liessen sich erschreckt vor uns fallen und machten dabei ein Geräusch, als ob es regnete. Kleine Schnecken (Auricularia) bedeckten allenthalben den Boden.

Bald stiessen die Böte alle beide auf Grund, und jetzt mussten auch wir ins Wasser steigen und schieben helfen. Glücklich gelangten wir so bis zum Ende des Kanals, wo der feste Sandboden des Isthmus sich erhob. Wir luden die Kisten und Fässer und das schreiende Schweinchen aus und schafften zunächst die Böte über Land. Der geradlinige Weg durch die Kokospalmen ist für diesen Zweck mit Palmblättern belegt, auf deren glatten Schäften unsere zwei Fahrzeuge, mit vereinten Kräften an Stricken gezogen und von allen Seiten geschoben, rasch dahinglitten. Ein Handelsmann aus Wailevu, ein deutscher Jude mit einem indischen Sonnenhelm auf dem Haupt, begegnete uns, und hinter ihm drein trugen vier Vitis seine kleine Nussschale auf ihren Schultern. Wohl ein Dutzend mal mussten unsere Burschen hin und her laufen, bis das ganze Gepäck auf der anderen Seite war. Ich setzte mich unterdessen auf den schönen Korallensand des nördlichen Ufers und betrachtete die anmuthige Landschaft der Namalatta Bai, die geschützt vor den südlichen Winden und unbewegt in den herrlichsten smaragdgrünen und violetten Tinten prangte.

Es war Sonntag, von der Kirche des nahen Dorfes Namalatta ertönte ein frommer Gesang, und nach dem Gottesdienst strömte die braune Kinderschaar zu uns heraus. Männer und Weiber folgten ihnen, und als wir die Böte wieder zu Wasser gebracht und beladen hatten, war wohl so ziemlich das gesammte Dorf um uns versammelt, erstaunt unsere sabathschänderische Arbeit betrachtend. Von dem ganzen Christenthum vermag nämlich den Wilden kein Gebot intensiver einzuleuchten als das Nichtsthun am Sabath. Ein paar kleine Mädchen von höchstens zwölf Jahren fielen mir auf durch enorm entwickelte, ja eigentlich unanständig grosse und pralle Brüste. Sie waren zur Feier des gottgeweihten Tages mit dem von den Missionären erfundenen Busenhemdchen angethan. Aber die Bedeutung des züchtigen Gewandes schien ihnen unklar zu sein. Denn sie trugen es, aus den lästigen Aermeln herausgeschlüpft, über die Schultern zurückgeworfen.

Wir stiessen ab. Der sandige Boden unter dem klaren Wasser senkte sich, hörte auf und machte Korallenklüften und Klippen Platz. Zum ersten mal schwebte ich dahin über diese merkwürdigen Gebilde, diese geheimnissvollen Gründe, aus denen zarte Baumkronen und Geweihe in den mannigfaltigsten Farbentönen emporstarrten. Himmelblaue und scharlachrothe Fischchen schossen in den phantastisch durcheinander wachsenden Formen herum, und indigoblaue Seesterne klammerten sich mit gespreizten Strahlen an den Abhängen fest, die zu unergründlich dunkelgrünen Schluchten hinunterfielen. Das Wasser, glatt wie ein Spiegel und so durchsichtig, dass es dem Auge kein Hinderniss bot, schien nur die eine Eigenschaft zu besitzen, höheren Farbenreiz zu verleihen.

Eine geraume Weile lag ich so an der Spitze des Fahrzeuges und blickte hinab auf die unten vorübergleitende Märchenwelt, und als ich wieder in die Höhe und um mich sah, waren wir schon weit weg vom Lande. Zu beiden Seiten streckte sich die lange Insel. Zwischen kulissenartig vortretenden Bergrücken, über und über mit dichtem Buschwerk bedeckt, breiteten sich liebliche Thäler mit Palmenhainen, unter denen hie und da eine weissgetünchte Hütte hervorguckte. Wir fuhren nach Osten, und hinter uns trat der Bukelevu heraus, das Haupt in Wolken gehüllt, der westliche Pfeiler Kandavus.

Eine hellglänzende Sanddüne umsäumte die üppige Vegetation der herrlichen Südseeinsel. Smaragdgrüne und violette Tinten schillerten allerwärts über den Untiefen der Korallenbänke, und weit draussen brandete die hohe sattblaue See in leuchtenden Schaumstreifen an dem Wall der Aussenriffe. Ueber dem Ganzen ein strahlender Himmel und strahlender Sonnenschein.

Etwa vier Stunden dauerte diese Bootfahrt an der Nordseite der Insel entlang. Wir hatten keinen stetigen Wind, und nur wenn wir gerade in das Bereich einer Thalschlucht kamen, durch die eine frische Brise herüberblies, konnten unsere Burschen vom Rudern ausruhen und dem schnell aus einer Decke improvisirten Segel die Arbeit überlassen. Noch eine Ecke des Ufers, und das Thal von Gavatina lag vor uns, die Stätte wo Herr Kleinschmidt seinen Wigwam aufgeschlagen hatte, kenntlich schon von Weitem an der schwarzweissrothen Flagge, die vom Maste des vor Anker liegenden Kutters wehte.

Eine weibliche Gestalt mit winkendem Taschentuch, die Gattin meines Freundes, ein eingeborener Junge und einige kleine Hunde tauchten aus dem Unterholz des Palmenhaines und erschienen auf dem Strande uns zu bewillkommnen. Wir waren am Ziele, und es begann nun für mich eine wundersame Idylle in tropischer Naturpracht und wohlthätiger Abgeschiedenheit von europäischer Zivilisation, die leider nur zu kurz währte.

Ganz Kandavu besteht aus Bergzügen von etwa 200 Meter durchschnittlicher Höhe ohne bestimmte allgemeine Richtung und ist 50 bis 60 Kilometer lang und durchschnittlich etwa 5 Kilometer breit. Da wo zwischen den gegen die See vorspringenden bewaldeten Bergrücken Bäche herabkommen und alluviale Dreiecke sich gebildet haben, stehen Palmenhaine und in diesen gewöhnlich auch Dörfer. Gavatina ist ein solcher zur menschlichen Wohnstätte geschaffener Platz. Ein Dorf hat einst hier gestanden, in welchem der jetzt in Wailevu residirende Häuptling der Insel gar manches Kind gebraten haben soll, und von dem gegenwärtig nichts mehr als der Name übrig geblieben ist.

Zwei Hütten aus Palmblättern, von denen die grössere Herrn Kleinschmidt und Gattin als Wohnung, Schlafgemach, Speisesaal, Waarenlager, Arbeitsraum und Museum diente, während in der kleineren die beiden eingeborenen Jungen Niketi und Ruma schliefen und für uns kochten, und ein Zelt, in welchem ich mein hartes Lager aufschlug, bildeten unsere bescheidene Kolonie, rings umwachsen und halb überdeckt von üppig wucherndem Farnkraut, Buschwerk und Schlingpflanzen und beschattet von steifblätterigen Dilobäumen und Kokospalmen, deren Kronen majestätisch im Winde sich schaukelten. Zwanzig Schritte führten auf einem schmalen Pfad nach dem hellglänzenden Seestrand, und draussen auf dem blauen Wasser lag der Kutter, in dessen Miniaturkajüte Mister Daymac, Herrn Kleinschmidts Gehilfe, wohnte.

Nebst den genannten sechs Gliedern der menschlichen Gesellschaft rechneten sich noch zwei Affen, die an einem Pfosten im Gebüsch angekettet waren und sich Nachts in ein altes Segel wickeln durften, zwei Papageien in Käfigen, eine glatthaarige Hündin mit zwei halberwachsenen Sprösslingen, die einem immerfort an den Beinen herumzappelten und vor Freundlichkeit gar nicht wussten, wie sie sich drehen und wenden sollten, ferner etliche Schweine und Hühner zu den berechtigten Einwohnern von Gavatina, zwischen welchen sich noch ein unzählbares illegitimes Gesindel von Ratten, Eidechsen und Eremitenkrebsen, von Moskitos und Fliegen herumtrieb. Eine eigenthümliche Zierde unseres niedlichen Gehöftes bereiteten hundert mächtige langbeinige braunrothe Spinnen, indem sie äusserst regelmässige Netze, so gross wie mittlere Wagenräder, zwischen den Bäumen und Sträuchern um uns spannten.

Herr Kleinschmidt, schon seit mehreren Jahren in Viti ansässig, war erst seit Kurzem von C. Godeffroy in Hamburg als Naturforscher angestellt worden. Er hatte bisher die übrigen grösseren Inseln der Gruppe sammelnd bereist. Kandavu war ihm noch neu, sein Aufenthalt hier auf drei Monate projektirt, und waren diese um, so packte er wieder seine ganze Habe in den Kutter und segelte von dannen, um irgend wo anders seine Hütte aufzuschlagen, ein nomadisirender Pionier der Wissenschaft. Da ich ähnliche Zwecke wie er verfolgte, so konnte mir nichts Glücklicheres passirt sein, als dass mich der Zufall mit ihm zusammenbrachte. Wir gingen miteinander in den Busch um Vögel zu schiessen und Pflanzen und Käfer und andere Thiere einzuheimsen, zur Ebbezeit machten wir Ausflüge auf die Riffe voll tropischen Lebens, und ausserdem setzten wir noch zwei längere Partien, eine nach dem Ostende und eine nach dem Westende der Insel auf unser Programm.

Obwohl mir, der ich zum ersten mal in der reichen Natur der heissen Zone weilte, fast jede Stunde eine Fülle überraschender Eindrücke bot, so fesselten doch auch hier mein Hauptinteresse die eingeborenen Menschen.

Den kleinen sanften Niketi, der etwa 12 Jahre alt sein mochte, hatte ich schon in Wailevu, wohin ihn Herr Kleinschmidt mitgenommen, kennen gelernt. Sein Kollege Ruma, vielleicht zwei Jahre älter als Niketi, war gänzlich von ihm verschieden. Ruma war ein richtiger junger Kannibale, starkknochig und ungeschlacht, mit einem mächtigen vorstehenden Gebiss, finsterem Gesichtsausdruck und schielenden Augen, grausam gegen sich und andere. Sein Körper trug zahlreiche Narben, und so lange ich in Gavatina war und ihn beobachten konnte, beschäftigten ihn oft zwei Haufen von erbsengrossen, eiternden Wunden, die er sich an beiden Oberarmen beigebracht hatte, und mit denen er sich, wenn Besuche aus dem benachbarten Dorfe da waren, produzirte, indem er die Krusten abriss, die so entstandenen frischen Flächen mit Sand einrieb, mit Glasscherben kratzte oder mit einer glühenden Kohle brannte, ohne eine Miene zu verziehen. Wenn er unbeobachtet zu sein glaubte, schnitt er dafür nur um so schlimmere Grimassen, und seine gezwungene Heiterkeit und Lebhaftigkeit dem Publikum gegenüber, jedesmal wenn er eine derartige Operation an sich vollzogen hatte, verriethen nur zu sehr seine schmerzhaften Empfindungen.

Ausser bei Ruma bemerkte ich noch bei einigen anderen braunen Jünglingen solche Verletzungen. Dass sie sich gerade an den beiden Oberarmen quälten, beruhte auf einem ähnlichen psychologischen Vorgang wie die Einführung der Krinoline in Europa. Der Regierungsarzt in Wailevu war eben damit beschäftigt, die Bevölkerung von Kandavu dörferweise zu impfen, und Impfpusteln an beiden Oberarmen waren die neueste Mode. Manche mochten es nun nicht erwarten können, bis sie auf offiziellem Wege des eiterigen Schmuckes theilhaftig werden sollten. Oder wollten sie etwa die gesetzlich angeordnete Impfung umgehen, indem sie simulirten, bereits geimpft zu sein? Welch interessanter Fall für einen simulantengierigen Militärarzt.

 

Wenn Ruma einen Käfer gebracht hatte, den wir nicht brauchen konnten, so ging er damit hinter den nächsten Busch, riss ihm erst langsam die sechs Beine und die Flügel aus und frass ihn. Hatte er ein Huhn zu schlachten, so wurde es erst gemartert, falls man ihn unbeaufsichtigt liess, und unsere Braten trugen nicht selten die Spuren der an ihnen verübten Grausamkeiten in der Form von Hautabschürfungen und Knochenbrüchen.

Uebrigens attrapirte ich auch einmal den anderen Schlingel, den sanften Niketi mit dem scheinheiligen Gesicht, wie er ein Schweinchen, das er abstechen sollte, zuvor mittels eines scharfen Glasscherben kastrirte, so geschickt, dass kein deutscher Professor der Chirurgie ihn übertroffen hätte.

Grausamkeit und Achtlosigkeit gegen Thiere bildeten überhaupt einen hervorstechenden Charakterzug der Eingeborenen, der sich fast an jedem Huhn oder Schwein dokumentirte, das wir kauften. Aber nicht blos Hühner und Schweine trugen gewöhnlich Verletzungen, sondern auch andere Thiere, die wir wegen ihres naturhistorischen Werthes von ihnen erhandelten, um sie aufzubewahren. Deshalb werden diese Eingeborenen auch stets nur von sehr untergeordnetem Werthe als Beihilfe zum Sammeln für den Naturforscher sein. Ich habe kaum eine Schnecke oder ein Insekt von einem Eingeborenen erhalten, welches unversehrt gewesen wäre. Gewöhnlich fehlten ein paar Beine oder ein Fühler, oder die Schalen waren eingedrückt und an der Mündung schartig.

Ruma und Niketi, deren Hütte an mein Zelt anstiess, wussten sich Nachts immer viel zu erzählen. Sie hatten ein merkwürdig geringes Schlafbedürfniss und plauderten oft Stunden lang miteinander, und wenn sie schliefen, litten sie oft an schweren Träumen und seufzten und stöhnten. Oft auch in kühlen Nächten husteten sie fast beständig. Mich dauerte ihr nackter Zustand, und ich schenkte ihnen zwei alte Unterhemden. Diese benützten sie aber nur, um während des Tages in der Sonnenhitze damit zu paradiren, Nachts lagen sie eben so nackt wie vorher auf ihren Matten.

Obwohl unsere kleine Kolonie wie gesagt sehr versteckt und abgelegen war, so fehlte es doch während des ganzen Tages nicht an Besuchern aus den benachbarten Dörfern. Schon am frühen Morgen, wenn die Sonne noch hinter den Bergen war und ringsum noch tiefes Schweigen herrschte, höchstens von einem vorwitzigen Papagei unterbrochen, der von einer Palme zur anderen fliegend sein unmelodisches Giek gak, Giek gak ertönen liess, und ich mich eben unter meinem Zelte auf der harten Matte dichter in die Decke wickeln wollte, kamen sie in hellen Schaaren heranzogen, lustig wie immer, schon von Weitem durch einen munteren Gesang sich ankündigend.

Dass wir beide, Herr Kleinschmidt und ich, ausgemachte Narren waren, unterlag für sie nicht dem geringsten Zweifel, wir, die wir den ganzen Tag nichts thaten, als Käfer und anderes Gewürm in Gläser zu stecken, Gras und Kräuter zu trocknen und Vögel abzubalgen. Aber wir waren ihnen entschieden höchst interessante Narren. Namentlich ich. Denn Herrn Kleinschmidt kannten sie schon länger und er kannte sie und alle ihre Schliche und sprach auch ihre Sprache. Ich aber war ein ganz echter Papalang, eben erst herzugereist und jedenfalls »sehr weit her«, wenn sie auch ungläubig lachten, so oft Herr Kleinschmidt ihnen sagte, dass ich fünfzig Tage und fünfzig Nächte mit dem grossen Feuerkanuu fahren müsste, um nach Hause zu kommen.

Ich hatte ausserdem noch eine ganz neue verrückte Liebhaberei, nämlich zuweilen mit der Scheere unter sie zu treten und Haarproben aus ihren dicken Perrücken herauszuschneiden und sammt den daranhaftenden Nüsschen in Papierkapseln zu wickeln, was jedesmal ein grosses Halloh erregte. Auch war ich toleranter gegen ihre Neugierde als Herr Kleinschmidt, der sie immer gleich wegjagte, wenn sie ihm zu sehr im Wege standen. Ich liess sie bei Allem zusehen, und höchstens wenn ein paar Mädchen sich mit ihren Brüsten zu dreist über meine Schultern lehnten, machte ich eine rasche Bewegung, als ob ich hineinbeissen wollte, so dass sie zeterschreiend auf einen Augenblick davonliefen.

Für unseren Sammeleifer hatten die Wilden nicht das geringste Verständniss. Als ich einst im Walde einem neugierigen Kerl begegnete, der gerne wissen wollte, was ich in meiner Pflanzenmappe hätte, so dass ich ihm den Inhalt zeigte, kam er bald darauf wieder zu mir mit einem ganzen Korb voll Gras und Blätter und wollte einen Shilling dafür haben.

Nächst uns übten die zwei Affen eine grosse Anziehungskraft auf unsere Besucher. Ganze Nachmittage konnten sie um dieselben herumhocken und sich an ihren zornigen Grimassen und possirlichen Sprüngen ergötzen. Aber sie durften ihnen nicht zu nahe kommen. Denn die Affen hassten wüthend die braune Rasse. Wenn wir alle zusammen ausgingen, konnte die Hütte nicht besser von Neugierde und Unfug geschützt werden, als indem man die Affen unmittelbar vor der Thüre ankettete. Kein Viti wagte sich in ihr Bereich.

Schon am ersten Tage nach meiner Ankunft lernte ich den alten Häuptling der Insel, den »Tui Kandavu«, kennen. Er wollte mit der englischen Regierung nichts zu thun haben und hatte deshalb beim Beginn einer neuen Ordnung der Dinge nach der Annexion seine Würde an einen jüngeren Häuptling, der jetzt in Wailevu residirt, abgetreten, um in stiller Zurückgezogenheit in dem uns benachbarten Dorf Sanima das Ende seiner Tage abzuwarten.

Der Tui ist eine achtunggebietende malerische Erscheinung. Ein würdiger Greis von hoher Statur, den Oberkörper mit einem feinen europäischen Hemd, die Hüften mit einem langhinabreichenden braungemusterten Stück Tapa, welches eine gefranzte Schärpe schneeweisser Tapa festhält, bekleidet, barfuss und unbedeckten kahlen Hauptes erinnert er an etwas dunkel gehaltene Apostelfiguren der Heiligenbilder. Ein weisser Vollbart umrahmt das ernste strenge Gesicht, und ein asthmatischer Husten an dem er litt gaben diesem einen schmerzlichen Ausdruck. Er kam in einem Kanuu herangerudert, um mich zu konsultiren, da die Kunde meiner ärztlichen Eigenschaft bereits nach Sanima gedrungen war.

Unsere Jungen und seine Begleiter, von denen einer eine alte zerrissene amerikanische Uniform aber keine Hose trug, erwiesen ihm die grösste Ehrfurcht und schienen vor ihm viel mehr Respekt zu haben als vor uns Weissen. Er trank eine Tasse Schokolade mit uns, über die er sich wohlgefällig äusserte, und rauchte dann eine Suluka. Zwei Schiffszwiebacke, die ihm vorgesetzt wurden, steckte er wie Pistolen in die Gürtelschärpe um sie seiner Frau zu bringen. Keiner der Jungen wagte es, sich ihm anders als in geduckter Haltung zu nähern, und wenn sie ihm etwas reichten, kauerten sie nieder und klatschten dreimal in die Hände.

Das dreimalige Händeklatschen bei Ueberreichung irgend eines Gegenstandes, einer Schale Wasser, einer Suluka, eines Feuerbrandes oder was es auch sei, beobachtete ich überall auf Kandavu als noch in Geltung. Später einmal sah ich in Sanima eine sehr komische Degeneration jener alten Sitte. Ein Kerl hatte dem Tui eine Zigarette gewickelt, in seinem eigenen Munde angezündet und übergab sie, wobei selbstverständlich geklatscht werden musste. Statt nun aber erst lange niederzuhocken, hob er einfach den rechten Oberschenkel in die Höhe und klatschte dreimal auf dessen Rückseite, nicht etwa zum Spass, sondern nur aus Schlendrian und Faulheit. Denn er machte dabei ein ganz ernsthaftes Gesicht, und keiner der Beistehenden schien Anstoss daran zu nehmen.