Es war einmal ein kleines Mädchen ...

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Wenn ein Kind kein Model sein wollte, dann sollte es das auch nicht sein müssen. Meine Mutter bestach oder zwang mich nie, zu einem Vorsprechen zu gehen oder zu arbeiten, wenn mir nicht danach war. Natürlich, ich war ziemlich jung und stellte mich kaum einmal gegen meine Mom, aber ich erinnere mich nicht daran, unter Druck gesetzt worden zu sein, etwas zu tun, wozu ich keine Lust hatte. Mom gab mir das Gefühl, dass die Entscheidung ganz bei mir läge. Sie sagte, dass ich jederzeit aufhören könnte. Ich wollte selbstverständlich nichts anderes, als sie glücklich zu machen, weshalb ich mich fast nie weigerte, etwas zu machen. Egal, was für ein Tag es war, wenn ich gesagt hätte, dass ich einen Job doch nicht machen wollte, hätte Mom den Stromstecker des Telefons gezogen oder wäre mit mir in den Central Park geflüchtet. Das erzürnte die Klienten und Agenturen, aber machte mich ironischerweise nur begehrter. Nein ist schon ein mächtiges Wort.

Seltsamerweise erhielt ich nur wenig Jobs in der Werbung. So warb ich zwar für Heftpflaster der Firma Johnson and Johnson sowie für die Puppe Holly Hobbie, doch schon bald schien es, als wäre mein Aussehen nicht „amerikanisch“ genug. Ich wurde oft mit der Begründung abgewiesen, dass ich zu „europäisch“ wirken würde. Wann immer ich aber einen Job bekam, wusste ich, dass ich – egal, was kommen würde – meinen Spaß haben würde, und sich auch meine Mutter freuen würde. Es war als eine Win-win-Situation.

Ich lernte schon früh: Je netter ich zu den Erwachsenen war, desto liebenswürdiger verhielten sie sich mir gegenüber. Es war alles nur so zum Vergnügen während dieser Jahre – oder zumindest kam es mir so vor.

Ich ging zur Grundschule in Manhattan, während ich arbeitete, und verpasste kaum einmal einen Tag, um zu modeln. Bei manchen der größeren Trips verpasste ich vielleicht einen Freitag. Sogar als ich ein wenig älter wurde, behielt Mom diese Regel bei. Wenn die Agentur anrief und sagte, dass wir ein Shooting um zehn Uhr vormittags an einem Donnerstag hätten, antwortete Mom, dass das toll wäre und wir um 15 Uhr erscheinen würden. Wenn sie dann Druck auszuüben versuchten, erklärte sie, dass es okay wäre, ein anderes Kind zu engagieren, wenn sie mich nicht haben wollten. Aber ich wäre eben nicht verfügbar, bevor die Schule nicht um 14 Uhr 40 aus wäre. Während die anderen Kinder Sport betrieben und sich zum Spielen verabredeten, wurde ich für unterschiedliche Kataloge fotografiert. Ich kann nicht sagen, dass es mir etwas ausmachte, mich nicht mit Sport zu beschäftigen beziehungsweise nicht dazu gezwungen zu werden, meine Zeit getrennt von meiner Mutter zu verbringen.

Ich habe viele tolle Erinnerungen an diese frühen Jahre. Einmal wurde ich für eine Werbung als Jean Shrimptons Tochter gecastet. Mom sagte immer, dass ich ihr ähnlicher sähe als jedes andere Model und jede andere Schauspielerin. Mom fand sie wunderschön und hielt ihr Gesicht für perfekt symmetrisch.

In den nächsten Jahren modelte ich für Werbungen und Kataloge von Firmen wie Macy’s, Sears and Roebuck, Bloomingdale’s, Alexander’s, McCall’s und Butterick. Jedes Mal, wenn ich einen Vorstellungstermin hatte, hielt sich Mom im Hintergrund. Auf dem Set war meine Mutter keine, die ihre Anwesenheit zu sehr betonte. Sie umschwirrte nie das Kreativteam oder gab mir ungefragt Ratschläge. Zwar entging ihr nichts und sie hatte zu jedem eine Meinung, doch damals war sie eher subtil und teilte ihre Einschätzungen nicht mit mir.

Unser Leben war aktiv und lustig. Wir verfolgten im Grunde genommen beide eine richtige Karriere. Ich modelte und Mom managte. Als ich zehn wurde, wurde es allerdings unumgänglich, dass ich mir eine breiter aufgestellte und glaubwürdigere Vertretung suchte. Mom sah sich bei zahlreichen verfügbaren Modelagenturen um und war offenbar nicht einverstanden mit dem, was sie vorfand. Sogar damals schon hatte sie hohe Ansprüche und wollte sich mit nichts zufrieden geben, was in ihren Augen gewöhnlich oder pöbelhaft wirkte.

Da sie auch privat in vielen Fotostudios und Künstlerateliers verkehrte beziehungsweise Freunde in der Kosmetik- und Haarpflegebranche hatte, kannte sie die Besten im Geschäft. Jene Models, die ihr gefielen, schienen allesamt von der Ford Modeling Agency vertreten zu werden, und sie wusste, dass sich alle angesehenen Werbefirmen dort nach Models erkundigten. Ford war eine Agentur, die über ein solches Prestige und solchen Einfluss verfügte, dass Mom entschied, es wäre die einzige geeignete Vertretung für ihr kleines Mädchen.

1974 betreute Ford Models noch keine Kinder und hatte auch gar nicht vor, diesen Bereich in den bereits florierenden Betrieb einzugliedern. Allerdings hatten wir ein Ass im Ärmel. Eileen und Jerry Ford, die die Agentur gegründet hatten, kannten meinen Vater aus diversen gesellschaftlichen Kreisen. Außerdem stellten sie Models für Aufträge von Revlon zur Verfügung und ebendort arbeitete mein Vater mittlerweile als Verkaufsleiter.

Ich erinnere mich, dass meine Mutter Eileen und Jerry Ford schon viele Male getroffen hatte. Sie pflegten einen freundschaftlichen Umgang miteinander und so entschloss sich Mom, persönlich an Eileen heranzutreten. Sie liebte es, mir die Geschichte zu erzählen, wie sie die Türe öffnete und die drei Treppen hinauf zu Eileens geräumigen und hellen Büro marschierte. Mom sagte, dass sie vor Eileens Arbeitstisch stand, beide Hände in die Hüften stützte und ihr erklärte: „Diese Agentur hat keine Abteilung, die sich um Kinder kümmert. Sollte sie aber! Brooke wird euer erstes Kindermodel.“

Eileen war anfangs dagegen, weil sie keine Kinder vertreten wollte. Sie gab Mom einen Korb. Ich bin mir sicher, dass meiner Mom diese Zurückweisung nicht gefiel, sie hätte aber nie zugegeben, dass es so abgelaufen war. Stattdessen behauptete Mom lieber, dass sie an diesem schicksalhaften Tag sowohl meine Zukunft verändert als auch ihren Anteil zum Erfolg von Ford beigetragen hätte. Ford startete schließlich doch eine Vertretung für Kinder, die auch heute noch besteht. Ich war aber nicht das erste Kindermodel in ihren Reihen, wie mir vorgemacht worden war. Mom schrieb sich stets auf ihre Fahnen, diejenige gewesen zu sein, die Eileen Ford davon überzeugt hätte, Kindermodels zu vertreten. Aber hat sie nicht zumindest den Stein ins Rollen gebracht?

Im Laufe der Zeit fing ich an, Moms Trinkerei doch irgendwie als problematisch zu empfinden. Wir waren so beschäftigt, dass es leicht zu übersehen war, aber rückblickend wird mir klar, dass meine Mutter eine hochgradig funktionierende Alkoholikerin war – obwohl mir damals noch das Vokabular fehlte, um dies in Worte zu fassen.

Sie hielt das jahrelang geheim, aber die Anzeichen waren alle da, auch wenn ich zu jung war, um diese zu bemerken. Unlängst traf ich bei einem Begräbnis einen Mann, der in einem Apartment in der East Seventy-Ninth Street gewohnt hatte. Als ich zwei oder drei war, hatten wir eine Zeitlang ein Stockwerk über ihm gelebt. Er hatte sie gemeinsam mit meinem Vater kennengelernt und sich mit ihr angefreundet. Er erzählte mir, dass meine Mom gelegentlich an seine Tür klopfte und sagte: „Ich gehe schnell was trinken. Hier, nimm sie für eine Weile.“

Sie ließ mich dort zurück und wir verbrachten Zeit miteinander. Das war so gegen 22 oder 23 Uhr. Er und ich gingen dann zu Bett und schliefen einfach ein. Er sagte, dass er nie gewusst habe, wie spät es werden würde, aber irgendwann sei meine Mom dann zurückgekommen, um mich wieder abzuholen. Es ist schon ein wenig traurig, wenn ich darüber nachdenke, dass sie mich einfach ablieferte, nur damit sie einen heben gehen konnte, aber zumindest schleifte sie mich nicht die ganze Nacht mit.

Trotz allem bedeutete Mom die Welt für mich – sowohl zuhause als auch bei der Arbeit. Und wir hatten wunderbare Zeiten miteinander.

Der Alkohol spielte jedoch eine immer größere Rolle. Es gelang ihr, unser Leben jahrelang in der Spur zu halten, bevor es zu einem offensichtlicheren und hinderlicheren Problem wurde und die negativen Auswirkungen sich nicht mehr von der Hand weisen ließen. Auch ist es ziemlich überraschend, wie amüsant die Resultate ihrer Trinkerei anfangs gewesen sind.

Mom ging jeden Sonntag in die Kirche, egal, wo sie gerade war. Ich wurde katholisch erzogen und besuchte den Erstkommunionsunterricht, um zum ersten Mal die Kommunion empfangen zu dürfen, und wurde später auch noch gefirmt. Jeden Sonntag begleitete ich sie in diese kleine Kirche an der Ecke Seventy-First Street und Second Avenue.

Dort sang ich zum ersten Mal auf einer Bühne und zwar am Konzert anlässlich des St. Patrick’s Days. Ich sang „When Irish Eyes Are Smiling“ und war so nervös. Ich drehte den Saum meines grünen Samtkleids zu so einem großen Knoten, dass die ganze Kirchengemeinde meine weißen Unterhosen sehen konnte. Ich gewann zwar einen Preis, aber ich werde nie ganz sicher sein, ob das für meinen Song oder diesen frühen Versuch eines Stripteases war.

Mom und ich waren einmal zusammen in der Messe, wobei mir nicht bewusst war, dass sie verkatert war. Ich war immer noch ziemlich naiv in Bezug auf solche Dinge. Ihrer Trinkerei ging sie wohl hauptsächlich nach, wenn ich schon schlief. Mom döste während der Predigt ein und ich bekam das nicht einmal mit, bis zu dem Augenblick, als die Kirchengemeinde sich erhob. Wir standen alle auf, auch meine Mom, allerdings fing sie an, energisch zu klatschen. Sie muss gedacht haben, dass sie sich im Theater befand, und überspielte das Ganze dann, indem sie vorgab, sich Staub von ihrer Kleidung zu klopfen. Es war wie eine Szene aus einem Lucille-Ball-Sketch und wir sollten diese Anekdote noch jahrzehntelang erzählen. Damals schien so etwas einfach nur witzig zu sein.

Aber irgendwann hörte ihre Trinkerei auf, lustig zu sein. Eines Tages, als ich die dritte Klasse der Grundschule besuchte, begleitete mich Mom auf meinem Weg zur Schule und wir unterhielten uns. Ich erinnere mich daran, gedacht zu haben, wie schön es wäre, wenn ich meine Mutter nur am Morgen kennen würde. Vielleicht war sie ja verkatert, aber ich bekam das nie mit. Ich merkte nur, dass sie vor der Schule nie betrunken war. Wenn ich aber um 15 Uhr zuhause war, fand ich sie in einem anderen Zustand vor. Es wurde unvermeidbar, dass sie einen glasigen Ausdruck in ihren Augen hatte, wenn sie mich abholte. Ich musste nur ihre trockenen Lippen sehen, um zu wissen, dass sie getrunken hatte.

 

Eines Abends, kurz nachdem mir dieses Muster aufgefallen war, platzte es aus mir heraus, wie ich mich fühlte. Ich kann mich nicht mehr an ihre Reaktion erinnern. Aber auch nachdem ich wütend erklärt hatte, dass ich sie am liebsten nur am Morgen kennen würde, änderte sich ihr Verhalten nicht. Ich kann mir keine Abhängigkeit vorstellen, die so stark ist, dass eine Bemerkung wie diese von einem Kind mich ungerührt ließe.

Wenn Mom aus irgendeinem Grund nicht zuhause war, wenn ich nach einem Besuch bei einer Freundin heimkam, wusste ich, wo ich sie finden konnte. Es gab da eine Bar an der Ecke Seventy-Third Street und First Avenue namens Finnegan’s Wake. Entweder war sie dort oder in der Third Avenue, in einem italienischen Restaurant namens Piccolo Mondo. Es war jedes Mal eine solch körperlich spürbare Erleichterung für mich, sie zu sehen, dass ich darüber hinwegsah, dass sie dabei war betrunken zu werden – wenn sie das nicht ohnehin schon war. Üblicherweise überredete ich sie entweder, mit mir mitzukommen, oder wir aßen noch etwas, bevor wir nachhause gingen, um ein bisschen fernzusehen. Mom war nicht gewalttätig und es wäre vielleicht einfacher für mich gewesen, mir ihre Krankheit einzugestehen, wenn ich jemals körperlich misshandelt worden wäre.


Jedoch wurde ich auf viel subtilere Art misshandelt, was einen länger nachwirkenden Effekt nach sich zog. Jedes Mal, wenn Mom trank, ließ sie mich im Stich. Ich war erst Jahre später in der Lage, das zu artikulieren – und auch dann erst nach viel Nachdenken und Therapie. Ich fühlte mich verlassen von ihr, wenn sie trank, aber solange mir körperlich nichts fehlte und sie auch wohlauf war, konnte ich vor mir rechtfertigen, dass alles in Ordnung wäre. Da ich nie wirklich wusste, was mich zuhause erwarten würde, entwickelte ich eine unterschwellige Unruhe. Ich blieb aber unrealistisch optimistisch, dass es eines Tag anders sein könnte. Mom würde ihr Versprechen halten und sich an diesem einen Geburtstag oder zu irgendeinem anderen Anlass nicht betrinken.

Mehr und mehr begann ich, die Hintergründe der Trinkerei meiner Mutter auf einer tieferen Ebene zu begreifen. Ich erinnere mich daran, dass ich nicht wusste, wie ich mich darüber beklagen sollte. Ich fühlte mich immer gut versorgt und sehr geliebt. Auch war sie noch nicht so verbal ausfallend, wie das in den kommenden Jahren der Fall sein würde. Ich versuchte Wege zu finden, um ihr mitzuteilen, dass ihr Alkoholkonsum zu einem Problem werden würde. Es fing ganz unauffällig an: Ich schlug Mom etwa vor, dass sie doch zum Abendessen mit mir ein Ginger Ale trinken könnte. Oder ich sagte: „Hey, Mama, vielleicht trinkst du heute mal nichts und wir schauen zusammen einen Film.“ Sie versicherte mir, dass alles in bester Ordnung wäre, und tat dann einfach das, worauf sie Lust hatte. Manchmal war sie clever genug, um sich eine Zeitlang einzuschränken, um dann sobald ich mich scheinbar ein wenig beruhigt hatte, umso heftiger wieder loszulegen.

Mom war nie jemand, der gerne den Weihnachtsbaum schmückte. An einem Weihnachtsabend kamen wir, nachdem wir die Messe und ein lokales Diner, in dem Alkohol ausgeschenkt wurde, besucht hatten, zurück in die Wohnung. Ich musste noch den Baum fertig dekorieren und während ich mich darauf konzentrierte, muss Mom wohl eingeschlafen sein. Als ich mich zu ihr umdrehte, um sie zu fragen, was sie vom geschmückten Baum hielt, bekam ich als Antwort nur ein Schnarchen. Sie hatte im Grunde auf der Couch das Bewusstsein verloren. In diesem Moment fiel mir sofort ein, wie ich ihr vor Augen führen könnte, dass sie ein Problem hatte. Ich beschloss, sie nicht aufzuwecken. Es bestand dabei ein Risiko, auf das ich mich einlassen musste. Es ging einfach darum, sie irgendwie so festzunageln, damit ich ihrer Trinkerei die Schuld für meine Unzufriedenheit geben konnte. In den Jahren zuvor hätte ich sie einfach aufgeweckt und so getan, als wäre einerseits der Typ mit dem Bart und dem roten Outfit eine reale Person und andererseits ihr Alkoholkonsum gar kein Problem.

Wenn Mom von selbst aufwachen würde und irgendwie die Geschenke noch unter den Baum legen würde, wäre das der Beweis – so redete ich mir ein –, dass Santa Claus existierte sowie die Trinkerei meiner Mutter tatsächlich nicht so schlimm wäre. Falls sie allerdings durchschlafen würde und sich nicht aufraffen könnte, Santa zu spielen, könnte ich ihr vorwerfen, dass sie ohnmächtig geworden war und Weihnachten ruiniert hatte. In diesem Fall könnte ich sagen: „Siehst du, es gibt gar keinen Weihnachtsmann, und weil du betrunken warst, weiß ich das jetzt und bin am Boden zerstört. Ich hasse dich und deine Sauferei.“

Dies war das Jahr, in dem mich die Realität einholte – und das gleich dreifach. Mom war betrunken, es gab keinen Santa Claus und Moms Trinkerei hatte Weihnachten kaputtgemacht – und auf gewisse Weise sogar alles andere auch.


Neben all der Nähe und den Turbulenzen, die ich mit meiner Mutter durchlebte, hatte ich immer noch etwas anderes, nämlich die Beziehung zu meinem Vater und seiner Familie. Ich verbrachte ziemlich viel Zeit bei ihm in den Hamptons, wo Pop-Pop, der ehemalige Tennis-Champ, im Meadow Club in Southampton so etwas wie eine Legende war. Mom und ich verbrachten die Sommer dort draußen, besuchten meinen Dad und ließen es uns im Strandclub, in dem mein Großvater Mitglied war, gutgehen. Wir hatten dort zwar kein eigenes Haus, aber Mom wollte, dass ich meinen Dad kannte und an seiner privilegierten Existenz, die ihm seine Herkunft ermöglichte, teilhaben konnte.

Zuerst wohnten wir bei Freunden oder bei Verwandten meines Vaters, aber wir mieteten auch ein Zimmer über dem Laden Herrick Hardware in Southampton. Tagsüber war ich im Ferienlager und lernte im riesigen, rechteckigen, scheinbar Olympia-tauglichen Swimmingpool des Strandclubs zu schwimmen. Es gibt viele Fotos von mir und meinen kleinen Freundinnen, wie wir Hotdogs und Eis essen und dabei unsere kleinen Badehöschen von Lilly Pulitzer mit Blumenmotiven ohne die zugehörigen Oberteile tragen.

Als ich noch ein Baby war, nahm mich Mom mit in den Meadow Club, wenn sie dazu eingeladen wurde, und als ich älter wurde, lieferte sie mich dort am Vormittag ab und verschiedene Mütter und Familien passten auf mich auf, als wäre ich eines ihrer Kinder. Ich bin mir nicht sicher, was Mom in der Zeit, die ich im Strandclub verbrachte, tat, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie die ganze Zeit dort gewesen wäre. Sie hätte speziell eingeladen werden müssen, da sie kein Mitglied war. Mom schaffte es dennoch, sich zu beschäftigen. Sie freundete sich mit einem Barmann in einem Lokal namens Shippy’s an. Es befand sich in der Stadt und war ein beliebter Ort, um zu essen und zu trinken. Es wurde de facto zu Moms Lieblingskneipe. Sie hatte ihre Anlaufstellen in jeder Stadt, die wir gerade bewohnten. Ich kann mir vorstellen, dass Mom viele Stunden an der aus dunklem Holz gefertigten Bar dieses speziellen Etablissements verbrachte.


Es liegt eine gewisse Tragik darin, wenn ich daran denke, wie ich diesem Segment der Gesellschaft vorgestellt und dort auch willkommen geheißen wurde, während meine Mutter nur eine untergeordnete Rolle spielen durfte. Sie ließ es sich nie anmerken, ob sie sich wie eine Außenseiterin fühlte oder sich gewünscht hätte, in diese exklusive Welt aufgenommen zu werden. Retrospektiv scheint es, als ob sie es wieder einmal genossen hätte, im Grenzgebiet zwischen diesen elitären Kreisen und ihren eigenen Wurzeln, die in Newark lagen, die Grenzen zu verwischen. Ihr gefiel es gleichermaßen, mit den Ortsansässigen und den Wohlhabenden zu verkehren.

Am Ende eines Tages am Strand, wenn all die anderen Kinder in ihre großen Häuser am Meer zurückkehrten, wurde ich entweder abgeholt oder von jemandem zurück in das kleine Zimmer über Herrick’s Hardware gebracht. Es war eine sehr bescheidene Unterkunft. Die Badewanne stand in der Küche und war mit einem langen Holzdeckel bedeckt. Um baden zu können, musste man diesen Deckel abnehmen und dann Wasser einfüllen. Mein Vater wohnte bei diversen Freunden und Verwandten, die in atemberaubenden Häusern in unmittelbarer Nähe zum Ozean wohnten. Dort gab es außerdem noch Rollrasen, Swimmingpools und Gästehäuser. Ich war glücklich, egal, wo ich war, und wechselte zwischen den Herrenhäusern und dem Zimmer über dem Laden hin und her. Ich muss einfach glauben, dass ich die Nähe zu meiner Mom in diesem winzigen Zimmer gut fand. Ich fühlte mich manchmal unwohl in diesen enormen anderen Unterkünften und im Kontrast dazu einfach geborgen in unserem isolierten kleinen Nest. Ich war immer noch so jung, dass ich die sozioökonomischen Unterschiede, die diese unterschiedlichen Unterbringungen symbolisierten, nicht begriff.

Eines Nachts, als ich schon ein wenig älter war, vielleicht fünf oder sechs, waren Mom, ich und meine Freundin Lyda zusammen zu einer Dinnerparty weit draußen in den Kartoffelfeldern eingeladen. Meine und Lydas Mutter waren gleichzeitig schwanger gewesen und nun beide alleinerziehende Mütter. Zwischen ihnen bestand ein spezieller Bund, weshalb auch „Lydes“ und ich allerbeste Freundinnen wurden. Ihre Großmutter besaß ein Haus in Southampton und wir verbrachten einen Großteil des Sommers bei ihnen.

An besagtem Abend trank Mom konstant ziemlich viel. Die Erwachsenen saßen nach dem Abendessen im Wohnzimmer, während die Kinder auf dem Boden spielten. Mom machte eine Bemerkung zu den schönen Haaren eines der Mädchen. Sie streckte dann ihre Hand aus, um sie zu berühren. Als sie dies tat, verlor sie das Gleichgewicht. Mom trug immer viele Ringe, manchmal auf all ihren Fingern außer dem Daumen. Einer dieser Ringe verfing sich in den Haaren des Mädchens und sie wurde zusammen mit Moms Hand zu Boden gerissen. Die Mutter des Mädchens wurde sehr wütend und beschuldigte meine Mom, absichtlich an den Haaren ihrer Tochter gezogen zu haben. Sie sagte, dass Mom sich von ihrer Tochter fernhalten solle. Untypischerweise ließ sich Mom nicht auf eine Auseinandersetzung ein. Ursprünglich hätten wir alle über Nacht bleiben sollen, aber dieser Vorfall veränderte die Lage drastisch. Lyda rief bei ihrer Großmutter an, die schon bald darauf aufkreuzte. Lyda sagte zu mir: „Brookie, du kannst mit zu meiner Großmutter kommen, wenn du willst.“

Ich erklärte ihr, dass ich bei meiner Mutter bleiben müsse. Ich musste mich um sie kümmern.

Auch damals begriff ich, dass etwas nicht in Ordnung war. „Du hast so ein Glück, Lyda, dass du irgendwohin kannst“, sagte ich noch zu ihr. Ich war sehr jung, aber ich machte mir mehr Sorgen um das Befinden meiner Mom als um mich. Klar hätte ich die Wärme, den Komfort und die Gemütlichkeit eines hübsch dekorierten Gästezimmers in einem dramafreien Zuhause vorgezogen, aber ich fühlte mich meiner Mutter zutiefst verbunden und dazu verpflichtet, für ihr Wohlbefinden zu sorgen. Ich hätte meine Mutter niemals im Stich lassen können, indem ich mich für meine Freundin und gegen sie entschieden hätte. Ich war ja die einzige, die sich um meine Mom kümmerte, und ich machte mir ständig Sorgen, dass ihr etwas zustoßen könnte. Ich hatte ihr still versprochen, bei ihr zu bleiben und sie zu beschützen – und ich würde es nicht zulassen, dass diese Episode etwas daran ändern würde.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir mit dieser speziellen Familie nie wieder Kontakt pflegten. Auch kann ich mir vorstellen, dass dieser Zwischenfall die Gerüchteküche bezüglich Moms Alkoholkonsums und ihres Verhaltens zum Brodeln brachte. Nie verstand ich, warum Mom nie wen von ihrer Unschuld zu überzeugen versuchte. Alles hatte doch nur mit einer warmherzigen Geste gegenüber einem kleinen, blonden Mädchen angefangen. Und überhaupt: Warum sollte eine Erwachsene absichtlich an den Haaren eines Kindes ziehen? Mir kam das alles unfair vor und ich genierte mich für meine Mom. Es machte mich traurig.

 

Über die Jahre hinweg sammelte ich auch viele lustige Erinnerungen sowohl an den Strandclub als auch an die ortsansässigen Menschen. Ich erinnere mich daran, dass ich in dieser zweigeteilten Welt willkommen war und mir der Unterschied zwischen den beiden Hälften gar nicht bewusst war.

Für viele Jahre war ich einfach zu jung, um die sozialen Barrieren verstehen zu können. Mir waren von meiner Mutter sehr strenge Manieren beigebracht worden. Andere Mütter sagten gerne, wie höflich ich sei und wie gut ich mich benähme, weshalb ich auch immer zum Spielen eingeladen wurde. Bei einer solchen Verabredung zum Spielen mit einem anderen Kind trug ich nach dem Essen meinen Teller zum Spülbecken. Ich wurde schnell von der Mutter daran erinnert, dass ich das hier nicht zu tun bräuchte.

„Aber meine Mommy hat gesagt, dass ich immer meinen Teller zum Spülbecken bringen soll.“

Als ich nachhause zurückkehrte, erhielt meine Mutter einen Anruf von dieser Frau, die zu ihr sagte: „Bitte sagen Sie Ihrer Tochter, dass wir Leute haben, die für uns den Tisch abräumen. Wenn sie zu Besuch ist, braucht sie ihren Teller nicht zum Küchenbecken zu bringen.“

„Nun, wir haben keine Leute, die das für uns tun, und Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass meine Tochter das noch einmal machen wird, weil sie nicht mehr zum Spielen kommen wird. Aufwiederhören.“

Mom lachte, als sie mir die Geschichte später erzählte. Ihr gefiel, dass eine Frau aus Newark ihrer Tochter bessere Manieren beigebracht hätte, als das Leute mit mehr Geld jemals hätten tun können.

Als ich fünf Jahre alt war, heiratete Dad Didi Auchincloss. Die Hochzeit fand am 1. Mai 1970 in Manhattan statt. Didi stammte aus einer prominenten New Yorker Familie und hatte eine dementsprechende traditionelle Ausbildung genossen. Sie war zuvor mit Tom Auchincloss, Jackie Kennedys Stiefbruder, verheiratet gewesen.

Ich kann mich nicht daran erinnern, wie wir sie getroffen haben oder miteinander ausgingen. Da ich meine Mutter und meinen Vater nie als verheiratetes Paar, das zusammenlebte, gesehen hatte, fühlte ich keinerlei Eifersucht gegenüber Dads neuer Braut. Eigentlich fand ich sie sogar sehr hübsch und alles in ihrem Haus war so elegant. Sie war zierlich und achtete auf strenge Ordnung in ihrem Leben. Sie war eine brünette, wohlerzogene und gebildete Debütantin, die mich an Jackie Onassis erinnerte. Dad hatte sich für eine Antithese zu meiner Mutter entschieden. Das muss Mom zweifellos sehr gestört haben. Es gibt ein nettes Foto, das Dad und Didi zeigt, wie sie gerade lächelnd aus einer Kirche an der Upper East Side kommen und die Straße überqueren. Dad trägt Abendanzug und Didi hat Blumen im Haar. Auf mich wirkte das wunderschön und vollkommen. Ich starrte gerne jedes Detail auf diesem Foto an, wenn ich die beiden in ihrem Apartment in der Eighty-Sixth Street besuchte. Alles daran wirkte so klassisch und schön.


Didi hatte zwei Kinder aus ihrer ersten Ehe. Ihre Tochter Diana war sechs Jahre alt und ihr Sohn Tommy war neun. Plötzlich hatte ich eine Familie und war angesichts dessen, was die Zukunft bringen würde, sehr aufgeregt. Es sollte nicht lange dauern, bis sich ein weiteres Baby ankündigte. Meine Stiefschwester Diana und ich konnten von Glück reden, dass ihre Mom und mein Dad heirateten – denn obwohl wir es damals noch nicht wussten, sollten wir Partnerinnen, Verbündete, Vertraute und lebenslange Schwestern werden.

Didi brachte schließlich meine erste Halbschwester, Marina, zur Welt, als Diana und ich sieben und sechs Jahre alt waren. Stellt euch doch bitte mal vor, wie sehr ich mich darüber freute, nun eine ältere Schwester zu sein und ein Baby zum Spielen zu haben! Ich hätte mir gewünscht, dass Mom noch ein Kind bekommen hätte, aber das war nicht möglich. Ich kann mich noch vage daran erinnern, wie sie ins Krankenhaus musste und sich einer „Frauenoperation“ unterzog. Ich schlug vor, dass wir ein Baby adoptieren könnten: „Hol doch einfach eines aus dem Findelhaus.“ Ich wollte zwar nicht, dass sie mit einem Mann zusammen war, doch wollte ich sehr wohl ein kleines Geschwisterchen. Nun hatte ich endlich eines und Mom war damit vom Haken.

Im Laufe der Jahre fingen Diana und ich an, immer mehr Zeit miteinander zu verbringen und hemmungslos gemeinsam zu lachen. Diana baute auch eine ziemlich enge Bindung zu meiner Mutter auf und Mom stellte uns oft als ihre beiden Töchter vor. Das ist doch mal unkonventionell! Didi schien keine Probleme damit zu haben, dass ihre Erstgeborene Zeit mit der Exfrau ihres Ehemanns verbrachte. Sie erlaubte Diana, sehr viel Kontakt zu uns zu haben und sich oft in unserem vergleichsweise kleinen Apartment in der Seventy-Third Street aufzuhalten. Später durfte sie sogar mit Mom und mir überall auf der Welt herumreisen. Diana und ich wurden zu äußerst innigen Freundinnen und meine Mom liebte uns beide. Alle involvierten Parteien schienen unsere Zweisamkeit zu unterstützen. Zu dritt wurden wir zu einem echten Team, wovon alle profitierten. Diana vertraute meiner Mutter, die sie wiederum aufrichtig liebte. Ich hatte nun eine Vertraute, der ich mein Herz ausschütten konnte. Während der Zeit, die Diana mit meiner Mutter und mir verbrachte, schien es, als würden wir nur Spaß haben und lachen.

Bald zogen Dad und Didi ans nördliche Ende von Long Island, da sie sich ein wunderschönes Haus in einer Gegend namens Meadowspring gekauft hatten. Das Haus war riesig und der Garten groß. Ich teilte mir bei meinen Besuchen das Zimmer mit Diana. Tom und Marina hatten ihr jeweils eigenes Zimmer.

Über die nächsten sieben Jahre hinweg sollten sich kleine Mädchen zur wachsenden Kinderschar hinzugesellen – zuerst war Cristiana und dann noch Olympia „das Baby“.

Manchmal blieb Diana in der City bei Mom und mir. Wir drei fuhren durch die Gegend in unserem silbernen Cabrio, mit offenem Verdeck, und aßen Kirschen oder Pfirsiche vom Obststand. Wir parkten vor Dads Büro, hörten laut Radio und warteten auf meinen Vater, der Diana dann wieder nach Long Island mitnahm. Es erinnerte alles ein wenig an damals, als Mom Dad gerne vor seinem alten Bürogebäude auflauerte. Mittlerweile zielte das Ganze ein wenig mehr darauf ab, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Man stelle sich ein altes, silbernes Cabrio vor, das Verdeck offen, laute Musik und Gelächter darin, das vor einem Bürogebäude voll mit Investmentbankern und Firmenbossen in der Park Avenue parkt.

Manchmal nahm Dad uns beide und manchmal nur Diana mit. Ich verbrachte viele Wochenenden auf Long Island mit Dads Familie und begleitete sie auch in die Frühlingsferien auf die Bahamas. Ich führte zwei völlig unterschiedliche Leben und hatte anscheinend keinerlei Probleme vom einen ins andere und wieder zurück zu wechseln. Bei meinem Dad herrschte Ordnung und Routine und wir alle verhielten uns dementsprechend. Es gab drei Mahlzeiten am Tag, die immer zu ungefähr denselben Tageszeiten serviert wurden. Die Kinder wuschen sich vor dem Essen und aßen oft gemeinsam mit der Nanny. Während der Dinnerpartys speisten die Erwachsenen im Esszimmer und die Kinder in der großen Küche. An Abenden, an denen Dad erst spät von der Arbeit aus Manhattan zurückkehrte, richteten ihm Didi oder die Nanny einen Teller her, den er sich dann später aufwärmen konnte. Es gab nicht viele Überraschungen. Am Ende eines Tages konnte man meinen Dad immer in seinem Arbeitszimmer vorfinden, wo er vor der Glotze saß. Die Schlafenszeit war in Stein gemeißelt und nur spätabendliches Geflüster hielt einen vom Schlafen ab.

Im krassen Kontrast dazu gab es bei meiner Mom keine festen Essenszeiten. Wir aßen oft in chinesischen oder italienischen Restaurants und später als für Kinder üblich. Es gab nur selten einmal ein warmes Frühstück. Stattdessen gingen wir in einen Feinkostladen an der Ecke, um ein Brötchen mit Butter zu essen, Kaffee zu trinken und Zeitungen wie die Daily News und die New York Post zu lesen. Wir lasen uns gegenseitig unsere Horoskope vor und genossen den Geschmack von gesüßter Butter auf dem Brötchen. Es war immer perfekt knusprig außen und weich innen. Mein Kaffee bestand vorrangig aus Milch und Zucker, aber ich liebte es, mit „Das Übliche, bitte!“ bestellen zu können.