Es war einmal ein kleines Mädchen ...

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Dad sei schockiert gewesen, als er zurückkehrte, um ihre Beziehung wiederaufleben zu lassen, und habe sofort von ihr verlangt, ihn zu heiraten. Mom liebte ihre dramatische Ausschmückung, dass Dad gedacht hätte, wenn er zurückkehren würde, sie wieder dünn und ohne Kind wäre, aber als er gesehen habe, dass sie hochschwanger war, sofort eine Familie haben wollte.

Der Version meiner Mutter zufolge habe sie ihm die Tür geöffnet. Er sei kreidebleich geworden und habe sagte: „Jesus Christus, Teri … ich dachte …“.

Da sie noch nie jemand gewesen war, der man sagen konnte, was sie zu tun habe, genoss Mom die Vorstellung, dass sie das Ruder so fest in der Hand hatte und gleichzeitig so schockierend sein konnte.

Aber die Wahrheit war, dass Mom ihm aus dem Weg ging, bis er sagte, dass er sie heiraten wolle. Ich glaube, dass sie ihn damit mürbe machte. Er liebte und vermisste sie tatsächlich, obwohl er noch nicht bereit für all das war. Schlussendlich war Mom unsterblich in meinen Vater verliebt. Sobald er verkündete, dass er sie heiraten wolle, beendete sie ihr abweisendes Possenspiel.

Dad kaufte einen mit einem Diamanten bestückten Verlobungsring bei Tiffany (er sollte letztlich während eines Streits zwischen meinen Eltern aus der siebten Etage gepfeffert werden). Eines Tages im April schließlich begab sich Mom – sie trug ein graues, wollenes Gabardine-Umstandskleid – gemeinsam mit meinem Vater in die City Hall. Dad hatte seinen Ausweis zuhause liegen gelassen und musste mit dem Taxi zurückfahren, um ihn zu holen. Jahrelang erzählte Mom eine Version der Geschichte, derzufolge mein Vater so jung war – und im Vergleich noch jünger war –, dass der Standesbeamte ihn nach seinem Ausweis fragen musste, weil er befürchtete, Dad wäre noch minderjährig.

Traurigerweise begreife ich erst jetzt, indem ich diesen Teil niederschreibe, dass auch dies eine kleine Lüge war. Er hatte tatsächlich seinen Ausweis vergessen, aber es hatte nichts damit zu tun, wie jung er aussah. Jeder muss sich ausweisen können, wenn er um eine Heiratserlaubnis anfragt. Ach, wie vielen Minilügen, die meine Mutter mir erzählte, habe ich doch über die Jahre hinweg bereitwillig Glauben geschenkt. Ich nahm diese lustigen Anekdoten einfach als bare Münze – und Mom zimmerte sich derweilen die Filmhandlung ihres Lebens nach ihren eigenen Vorstellungen zusammen. Wenn man Geschichten immer und immer wieder erzählt, werden sie irgendwann und irgendwie zu einer neuen Wirklichkeit.

Wenn Mom Jahre später über diese Zeit sprach, schien es, als würde ihr nichts Kummer bereiten können. Sie fühlte sich großartig und schluckte so viele Vitamine, dass man damit einen Schuhkarton hätte füllen können. Sie erinnerte sich daran, wie sie an einer Straßenkreuzung stand und darauf wartete, dass das Licht grün werden würde. Und sie bemerkte, dass ihr Haar – normalerweise war es dünn und schütter – gesund und kräftig geworden war. Zum ersten Mal konnte sie spüren, wie es im Wind wehte. Sie genoss es, schwanger zu sein, und sie litt kaum einmal unter morgendlicher Übelkeit.

Meine Eltern zogen in ein Apartment in der East Fiftieth Street. Ich habe nur zwei Fotos von meiner schwangeren Mutter. Auf einem liegt Dad auf der Couch und Mom steht mit einem Glas in der Hand am Fenster. Das war wahrscheinlich das einzige Foto von meiner Mutter mit Glas, in dem sich kein Alkohol befand. Mom lebte während ihrer Schwangerschaft extrem gesund und trank nur sehr wenig, wenn überhaupt. Auf diesem einen Schnappschuss fällt das Licht von hinten auf sie und sie trägt ein weites, gelbes Kleid, das an ein hawaiianisches Muumuu erinnert. Sie lächelt.

Diese Zeit scheint für meine Eltern relativ ereignislos verlaufen zu sein. Mom bereitete sich auf das Baby vor und Dad ging seiner Arbeit in New York City nach. Ich besitze Fotos von unterschiedlichen Dinner-Theater-Abenden, auf denen mein Vater meine schwangere Mom mit liebevollem Blick ansieht. Sie waren ein so schönes und zufrieden wirkendes Paar.

Am 31. Mai 1965 waren meine Eltern gerade gemeinsam mit meiner Patentante Lila sowie ihrer Verabredung auf dem Weg, sich das Indy-500-Autorennen auf einem Großbildschirm außerhalb der City anzuschauen. Das Quartett hielt bei einem Diner, um vor dem Start des Rennens noch einen Happen zu essen. Mom stand auf, um die Damentoilette aufzusuchen, als plötzlich ihre Fruchtblase platzte. Ich war zwei Monate zu früh dran und meine Mutter wurde von Panik erfasst. Die einzige Person im Restaurant, die Ruhe bewahrte, war anscheinend die Kellnerin, die sofort anfing, die Sauerei auf dem Boden mit ihrem Putzlappen aufzuwischen. Mom erwähnte später, wie locker diese Frau gewesen und wie ungerührt sie geblieben sei angesichts dessen, was soeben vorgefallen war. Als mein Dad Mom schließlich auf die Entbindungsstation des Cornell Medical Centers brachte, lag sie bereits in den Wehen. Jeder war höchst alarmiert, weil ich viel zu früh kam. Mom sagte, dass man ihr Medikamente gegeben habe und sie sich von diesem Moment an an nichts mehr erinnern konnte. Sie erwachte, als mein Vater sich über sie beugte und sagte: „Wir haben ein perfekt geformtes kleines Mädchen.“

Mom erinnerte sich daran, dass sie dachte, Dad wäre ein verdammter Glückspilz, da er immer bekam, was er wollte – er hatte auf ein Mädchen gehofft und Mom für einen Jungen gebetet. Ich wusste nicht, warum meine Mutter einen Jungen einem Mädchen vorgezogen hätte. Ich konnte nur spekulieren, ob es vielleicht etwas Psychologisches war und mit dem Verlust ihres Vater oder ihrer nicht unbedingt perfekten Beziehung zu ihrer Mutter zu tun gehabt hatte, aber aus irgendeinem Grund hatte sie sich einen Jungen gewünscht. Mom hatte sich bereits den Namen John ausgesucht und war sich absolut sicher, dass ich ein Junge werden würde. Jedoch sollte es noch Tage dauern, bis Mom schließlich ihr perfekt geformtes kleines Mädchen zu Gesicht bekommen sollte, weil man mich in einen Brutkasten auf der Kinderstation gelegt hatte, um mich im Auge zu behalten. Es vergingen die Tage und Mom hatte mich nicht ein Mal sehen dürfen. Ihr kam das langsam verdächtig vor. Warum enthielt man ihr ihre Tochter vor? Sie fing an, spätabendliche paranoide Schübe zu bekommen, und vermutete, dass alles nur eine Lüge wäre und es gar kein Baby gäbe. Mom fürchtete, dass das Baby gestorben wäre und ihr niemand die Wahrheit sagen würde. Ich würde erst viel später erfahren, warum meine Mom eine solche Angst davor hatte, dass ich sterben könnte. Die Ärzte versicherten ihr, dass sie Mutter einer gesunden, zwei Kilogramm und 238 Gramm schweren Tochter sei, die sicher in ihrem Brutkasten untergebracht sei, und forderten sie auf, sich zu entspannen.

Mom versuchte in der darauf folgenden Nacht verzweifelt, etwas Schlaf zu finden, und behauptete, dass sie eine quietschende Tür wachhalte. Sie ließ eine Krankenschwester kommen und bat sie, die Tür ölen zu lassen, damit sie schlafen könne. Die diensthabende Schwester sah meine Mutter direkt an und erklärte leicht genervt, dass die „quietschende Tür“ in Wahrheit ihr Neugeborenes wäre, das sich in der Kinderstation nebenan befände, und sie nichts tun könne, um es zum Aufhören zu bewegen.

Nachdem die Schwester wieder gegangen war, wartete Mom still und humpelte schließlich mit anwachsender Verzweiflung heimlich aus ihrem Zimmer. Sie war nicht überzeugt, dass die Geschichten über ihr Baby der Wahrheit entsprachen, und so schlich sie sich zunehmend hysterisch davon, um die Wahrheit herauszufinden. Dazu war sie fest entschlossen. Mom betrat vorsichtig die Kinderstation und fing an, wie wild auf den Krippen nach dem Namen ihrer Tochter zu suchen. Ihre Angst und ihre Verwirrung wurde noch durch den Umstand verstärkt, dass die Herstellerfirma der Brutkästen und Krippen Shields and Company lautete. Zuerst hatte sie noch gedacht, dass sie gar kein Baby hätte, und nun stand auf jeder einzelnen Krippe der Nachname ihres Babys. Das muss schon sehr surreal gewesen sein.

Mom blickte an das hintere Ende der Kinderstation und sah dort zwei Krippen stehen, die ein wenig abseits der anderen standen – eine war zum Glasfenster und die andere zur Wand gerichtet. Es waren ungewöhnlich viele Babys zu dieser Zeit zur Welt gekommen und der Platz war knapp. Damals wurden Babys, die zur Adoption freigegeben wurden, in Kinderbettchen gelegt und dann von der Glasscheibe weggedreht, damit ihre leiblichen Mütter sie nicht sehen konnten und die Angelegenheit nicht ganz so schmerzhaft für sie wäre. Nun war es aber so, dass ich eines der beiden Babys war, die an dieser Rückwand standen. Meine Mutter stand da und betrachtete diese beiden Krippen – eine zur Glasscheibe gedreht, die andere zur Wand. Sie wusste nicht, welches Baby ihres war, und fürchtete, dass jemand ihr Baby zur Adoption freigegeben hätte. Es brachte sie um den Verstand. Mom begann zu schreien und eilte los, um die Namen auf den beiden Krippen herauszufinden.

Eine Krankenschwester eilte zu ihr, um sie zu beruhigen, und erkundigte sich, was sie denn bräuchte.

„Ich will mein Baby sehen!“, schrie sie immer wieder. „Ich will mein Baby sehen!“

„Beruhigen Sie sich, Miss!“

„Ich werde mich nicht beruhigen, bis ich mein Baby gesehen habe! Ihr habt mich alle angelogen von wegen quietschender Türen und perfekter Babys und ich glaube nichts von alledem!“

„Okay, schon gut! Bitte entspannen Sie sich. Hier ist Ihr kleines Mädchen.“

Die Schwester griff in die Krippe, die nicht zur Wand gedreht war, und hob mich auf. Ich starrte meine Mutter an. Meine Mutter musste erst einmal schlucken, da ich total mit Kindspech bedeckt war. Ich nehme an, dass schon länger keiner mehr nach mir gesehen hatte und ich mich in der Zwischenzeit mit diesem schwärzlich-grünen A-a, das Neugeborene ausscheiden, beschmutzt hatte. Dies war tatsächlich ein Zeichen dafür, dass ich gesund war, doch die Krankenschwester ließ mich in dem Moment, als sie bemerkte, dass sie ein glitschiges, strampelndes, grün-schwarzes kleines Ungeheuer in Händen hielt, fast fallen.

 

„Das ist die quietschende Tür, Mrs. Shields. Ich werde sie waschen und dann können Sie sie halten.“ Von diesem Moment an hätte mich Mom am liebsten nie wieder aus den Augen gelassen.

Sie entließen uns aus dem Krankenhaus, sobald ich etwas Gewicht zugelegt hatte. Einem Kind die Brust zu geben, war 1965 wohl nicht sehr populär. Ich denke, Mutter zog es gar nie in Erwägung. Ich bekam Enfamil und wurde nachhause geschickt.

Mom behauptete, dass meine Augen seit der Geburt geschlossen gewesen wären. Sie brachte mich nachhause und wartete darauf, dass sie sich öffnen würden. Irgendwann begann sie, sich Sorgen zu machen, da sie einfach nicht aufgingen. Nun, Mom brachte mich also zurück zum Arzt, der zu ihr sagte: „Oh, Sie wollen, dass die Augen offen sind?“

Als Mom nickte, schnalzte er so fest er konnte mit seinem großen Mittelfinger und Daumen gegen meine Fußsohlen. Meine Augen sprangen sofort auf, ich stieß einen Schrei aus und begann zu weinen.

„Gern geschehen!“

Wie gemein! Ich war ja zwei Monate zu früh zur Welt gekommen. Vielleicht war ich einfach noch nicht so weit, die große, weite Welt zu sehen. Steht ihr mal zwei Monate, bevor es Zeit zum Aufstehen ist, aus eurem gemütlichen Bett auf!

Mein Vater wollte mich nach seiner Mutter nennen, doch Mom gefiel der Name Brooke besser. Sie hatte nämlich ein hübsches Foto von einer Frau auf einem Feld gesehen, das ein Fotograf namens Christian Brooks geschossen hatte. Sie dachte, dass Brooke mit einem „e“ statt einem „s“ ein ziemlich schöner Mädchenname wäre. Als ich schließlich getauft werden sollte, meinte der Priester, dass er mich nicht Brooke taufen könnte, da es keine Heilige mit diesem Namen gäbe. Meine Mom konterte sofort: „Dann ergänzen Sie doch ‚Christ‘ und geben einfach ein ‚a‘ ans Ende. Ist das dann katholisch genug für Sie?“ Ich gehe davon aus, dass der Name Christa auch etwas mit dem Fotografen, der ja Christian im Vornamen hieß, zu tun hatte – doch ihre angebliche Reaktion war natürlich eine viel bessere Story.

So kam ich als Brooke Christa Shields zur Welt und wurde schließlich auf den Namen Christa Brooke Shields getauft. Nach der Taufe gingen Mom und Dad zu P. J. Clarke’s, setzten mich auf die Bar und stießen auf mich an. Mein Ehemann und ich haben exakt dasselbe mit unseren beiden Töchtern gemacht. Mit einem Bier in der Hand und dem Baby auf der Bar zu feiern, ist ein bisschen zu einer Tradition geworden. Mich hat nie wer Christa gerufen, aber mein Monogramm war immer schon BCS.

Meine Mom hatte große Angst vor plötzlichem Kindstod. Das Kind eines Politikers war gerade erst daran verstorben und Mom konnte den Gedanken daran einfach nicht verdrängen. Sie schlief buchstäblich mit mir auf ihre Brust geschnallt und hielt mir immer wieder einen Spiegel vor den Mund, um nachzuprüfen, ob ich noch atmete. Der Hauch meines Atems wurde so zu ihrer Ruhequelle. Ich war eine schlechte Esserin und aß jede halbe Stunde nur 15 Gramm. Mom sagte, dass sie zahllose Fläschchen mit 15 Gramm des Muttermilchersatzpulvers vorbereitet habe, sie neben ihrem Bett aufbewahrt und mich damit gefüttert habe. Das ging ungefähr ein halbes Jahr lang so dahin, bis ich schließlich in meine Holzkrippe umzog. Ich begann schon bald, mich in meinem Bettchen hochzuziehen und darauf herumzuknabbern.

Mom und ich waren uns körperlich sehr nahe, wohingegen Dad offenbar weniger bewandert und ungezwungen im Umgang mit seinem Baby war. Eines Tages kam Mom am Badezimmer vorbei, als Dad gerade unter der Dusche stand. Ich hätte ein Bad nötig gehabt und Mom schlug ihm vor, dass er doch mit mir duschen und mich gleichzeitig saubermachen könnte. Er nahm mich zwar auf den Arm, aber als Mom ein bisschen später wieder beim Badezimmer vorbeikam, sah sie, wie er meinen kleinen nackten Körper unter der Dusche hielt, sich aber inzwischen seine blauen Boxershorts übergezogen hatte.

Ein anderes Mal ging Mom in die Kirche und ließ mich allein bei meinem Vater. Damals benutzte man Stoffwindeln, und als Mom aus der Kirche zurückkam, lag ich nackt auf dem Bett, während neben mir auf dem Boden ein großer Haufen dieser Windeln lag. Als sie ihn danach fragte, erklärte Dad, dass er nicht wüsste, wie er diese Sauerei saubermachen sollte, weshalb er die Windeln wie Taschentücher verwendet hätte. Man muss fast nicht dazusagen, dass der monatliche Vorrat an Stoffwindeln damit aufgebraucht war. Es bestand kein Zweifel daran, dass mein Dad mit seiner Vaterrolle überfordert war.

Dad fand aber auch schon bald heraus, dass die Mutter seines Kindes eine ganz schöne Unruhestifterin sein konnte. Während eines Streits zwischen meinen Eltern kam es so weit, dass ein sexy roter Spitzen-BH meiner Mutter, den sie sich gegönnt hatte, zerriss. Außerdem ging auch noch ein Stuhl zu Bruch. Es kam nicht oft vor, dass meine Eltern eine solche körperliche Auseinandersetzung austrugen, weshalb es schon ein großer Streit gewesen sein musste – oder es war Mom, die den ganzen Schaden anrichtete. Ein kaputter Stuhl und ein zerrissener Büstenhalter waren ihr durchaus zuzutrauen. Jedenfalls trug sich dies alles an einem Samstag zu und mein Vater stürmte schließlich aus dem Apartment. Wohin er flüchtete, das wusste sie nicht, was sie wohl nur noch wütender gemacht haben dürfte.

Meine Mutter war nicht zufriedengestellt. Sie wollte das letzte Wort haben. Deshalb beschloss sie, die Überreste des zerrissenen roten Spitzen-BHs an den zertrümmerten Stuhl zu hängen, und ließ das Ganze dann an den Manhattaner Racquet- und Tennisklub schicken, wobei es sich um einen der ältesten Klubs nur für Männer in ganz New York City handelte. Es war eine unglaublich altmodische Einrichtung. Die Möbel in der Bibliothek, wo Zigarre geraucht und Backgammon gespielt wurde, waren mit Leder bezogen und an den Wänden hingen riesige Ölgemälde, die detailreiche Fuchsjagdszenen oder aufgereihte, tote Gänse unter den wachsamen Augen eines geschickten Jagdhundes zeigten. Frauen war die Mitgliedschaft untersagt.

Nun, meine Mutter marschierte geradewegs zum Klub, betrat mitsamt dem kaputten Stuhl, der mit roter Spitzenunterwäsche umwickelt war, die Lobby, beschriftete ihn schlicht mit „Mr. Frank Shields“ und platzierte ihn in der Mitte des Eingangsbereichs. Ich bin mir sicher, dass die Angestellten nicht wussten, wie sie reagieren sollten. Was sollte das denn sein? Vermutlich hielten sie es für eine Art künstlerischer Installation, die einem der Mitglieder gehörte. Es waren ja immerhin die Sixties. Paketlieferungen konnten nur wochentags abgeholt werden, weshalb – so erzählte meine Mutter die Geschichte – dieses Symbol öffentlicher Erniedrigung das ganze Wochenende in der Lobby, wo es jeder sehen konnte, stehenblieb. Dads Demütigung konnte von so manchem verehrten Klubkollegen bestaunt werden, seine Schande war offenkundig.

Mom wollte zwar weiterhin von der High Society akzeptiert werden, doch liebte sie es ebenso, gesellschaftliche Moralvorstellungen und sexistische Regeln in Frage zu stellen. Das war sie also, Dads eigene Variante des Pelzmantel-Vorfalls. Eigentlich hätten da bereits alle Alarmglocken bei ihm läuten müssen.

Rückblickend denke ich mir, dass dieses Vorkommnis wohl nur eine von vielen haarsträubenden Episoden war. Allerdings reichte sie nicht aus, um sie auseinanderzubringen – noch nicht jedenfalls. Ich gehe davon aus, dass sie etwas an sich hatte, dem er einfach nicht widerstehen konnte. Sie verfügte meiner Meinung nach über eine Art von Macht über ihn, die jener glich, die schon seine Mutter über ihn gehabt hatte. Zweifellos war meine Mutter wie niemand sonst in seinem Leben. Da er aber wegen seiner Arbeit oft verreiste, konnte er auch mal abschalten. So flog er etwa wieder einmal nach Europa, von wo aus er begann, meiner Mutter Briefe zu schreiben – in sehr kleiner, ordentlicher Handschrift, üblicherweise auf Hotelbriefpapier. Was sich in den nächsten paar Monaten abspielte, ist durch diese Briefe gut dokumentiert. Dad brachte darin seine Verwirrung und seine Traurigkeit angesichts der Tatsache zum Ausdruck, dass sein Vater Mom und das Baby noch nicht besucht hatte. Seine Familie war keine, die oft zusammentraf. In seinen Briefen wirkte Dad gekränkt, dass sein Vater nicht auf mich und Mom zukam. Mein Vater machte sich außerdem Sorgen darüber, dass Mom nicht mehr Unterstützung bekam. Er brachte oft seine Bedenken zum Ausdruck, dass sie oft genug vor die Türe kam und jemanden um Hilfe bitten sollte, damit sie doch ein wenig Zeit mit sich selbst verbringen könnte.

Er versprach außerdem, Mom mehr Geld zu geben, sobald er mehr verdiente, sowie irgendwann eine richtige Hochzeit in einer Kirche. Manchmal schrieb er davon, Geld zu überweisen, beziehungsweise dass er gerne mehr schicken würde, aber die italienischen Banken in dieser Hinsicht alles andere als hilfreich seien. Ich bin ganz gerührt von der Zärtlichkeit, die Dad „der kleinen Brookie“ entgegenbrachte, und wie traurig er darüber war, fort zu sein. Es schien ihm ziemlich ernst damit gewesen zu sein, alles auf die Reihe bringen zu wollen.

In einem seiner sensibleren schriftlichen Momente betonte er, wie sehr er sich darüber gefreut habe, von Mom und mir eine Valentinstags-Karte zu bekommen. Er sagte, es hätte ihm den Tag gerettet und es täte ihm leid, dass er den Lieblingsfeiertag meiner Mom nicht mit seinen „Mädels“ verbringen konnte. Es bricht einem das Herz, wenn man diese Verletzlichkeit aus seinen Briefen herausliest, nur um zu erfahren, dass er schon bald einen schweren Schlag würde hinnehmen müssen.

Stellt euch mein eigenes Entsetzen vor, als ich Dads nächsten Brief, abgestempelt am 16. Februar 1966, durchlas:

„Mumsy, nachdem ich so ein wunderbares Valentinstags-Telegramm bekommen habe, war das Telegramm von heute Morgen ein echter Schock und plötzlich kann ich gar nicht mehr klar denken. Ich spüre den Verlust, ein Gefühl der Leere, der Antriebslosigkeit. Ich weiß nicht, was ich tun soll, und fühle mich als Ganzes sehr schlecht in mir drinnen. Bis heute Morgen habe ich mich noch nie mit den Auswirkungen einer Scheidung auseinandergesetzt, denen ich selbst, meine Frau und mein Baby ausgesetzt sind. Ich versuche mir weiszumachen, dass es sich bloß um ein Dokument handelt und es sich nicht auf einen Gefühlszustand bezieht, der ja weder rückgängig gemacht noch aufgelöst werden kann. Ich wollte noch einmal von vorne beginnen, aber ich sah keine Notwendigkeit, rechtlich mehr als eine Trennung anzustreben … ­Ich möchte mit euch beiden eine glückliche Familie sein und werde meine Denkweise auch nicht ändern. Für mich bist du während meiner Abwesenheit von New York meine Ehefrau geblieben und ich hoffe bei Gott, dass ich mich in deinen Augen rehabilitieren kann, damit wir wieder zusammenkommen … Ich versuche die Gedanken an diesen Trip nach Mexiko aus meinem Kopf zu verdrängen. Ich weiß einfach nicht weiter …“

Er war ganz offensichtlich verwirrt und wusste nicht, wie er weiterschreiben sollte. Er liebte meine Mom und sie hatten ein gemeinsames Kind, weshalb er gedacht haben mag, dass eine Trennung womöglich helfen würde. Doch schien er sich selbst etwas vorzumachen. Meine Mom wollte nicht länger auf das in ihren Augen Unausweichliche warten. Sie befürchtete, dass sie beide es nicht schaffen würden. Obwohl sie überzeugt war, dass mein Vater versuchte, das Richtige zu tun, dachte sie, dass sie auf lange Sicht so nicht glücklich werden würde.

Ich besitze keine Briefe meiner Mom an meinen Dad aus jener Zeit, aber ich habe ein paar der Tagebücher gefunden, in denen sie darüber schrieb, wie sehr mein Vater sich für sie geschämt hätte: „Ich bin ihm finanziell und vor allem gesellschaftlich ein Klotz am Bein“, stand da etwa. „Er schämt sich, sich mit mir in der Öffentlichkeit zu zeigen, da er fürchtet, ich könnte etwas sagen, das ihn in Verlegenheit bringt.“ In einem anderen Eintrag schrieb sie: „Ich bin zu eigensinnig und benehme mich in der Öffentlichkeit nicht angemessen. Ich bin eine billige Erscheinung. ‚Geschmacklos‘ ist das Wort, das er verwendet hat.“

Sie erzählte mir, dass sie ihn genervt hätte, vor allem ihre Art zu sprechen. Sie hatte das Gefühl, mein Vater würde sich ihrer schämen. Mom schrieb, dass sie gerne eine andere Person, die aus einem anderen Milieu stammte, gewesen wäre. Ich glaube, sie fürchtete sich, dass Dad sie letzten Endes verstoßen würde – und diesen Schmerz wollte sie sich ersparen.

Sie wusste in der Tiefe ihres Herzens, dass mein Vater uns liebte, jedoch wollte er ein anderes Leben führen. Vielleicht tat sie dies alles letztlich für ihn, um ihm seine Freiheit zu schenken. Ich kann nicht sagen, was tatsächlich die Wahrheit war oder worin die Unsicherheiten meiner Mom bestanden, aber aus irgendeinem Grund traf sie diese präventive Entscheidung. Wahrscheinlich hatte meine Mutter gehört, wie mein Vater das Wort „Trennung“ ausgesprochen hatte, und sich zu einem raschen Entschluss durchgerungen.

 

Sie flog nach Mexiko, wo man sich sehr leicht ohne direkte Einverständnis des Partners scheiden lassen konnte. Mom ließ mich inzwischen bei Lila und reichte die Scheidung ganz allein ein. Als Dad wieder aus Europa zurückkehrte, hatte meine Mom sich bereits als alleinerziehende Mutter eintragen lassen.

Was so schockierend und traurig an der Sache ist, ist der Umstand, wie fassungslos Dad angesichts der Erklärung meiner Mutter war. Ich glaube, er war noch nicht so weit, von meiner Mom befreit zu sein, aber ich frage mich, ob er sich nicht insgeheim ein bisschen erleichtert fühlte.

Moms Handlungen waren oft impulsiv und selbstzerstörerisch. Sie sah sich selbst als Einzelgängerin und obwohl sie sich nach Liebe und Beziehung sehnte, hatte sie Angst, dass sie dafür nicht würdig genug wäre, weshalb sie oft die Reißleine zog, bevor sie sich die Finger verbrannt hätte. Nun hatte sie jedoch dieses kleine Baby, das nicht weg konnte und völlig auf sie angewiesen war.

Meine Mutter erklärte meinem Vater, dass sie weder Alimente noch irgendeine andere Form des Kinderunterhalts von ihm wollte. Sie sagte, sie würde schon irgendwie auf uns beide aufpassen. Doch sie bestand darauf, dass er mir Schulbesuch und College ermöglichen müsse.

Ich bezweifle, dass Dad noch einmal das Thema Ehe anschnitt, aber sie nahmen sich definitiv ausreichend Zeit, um sich voneinander zu lösen. Wegen mir fanden sie einen Weg, weiterhin viel Zeit miteinander zu verbringen. Er half aus, wenn es ihm möglich war. Sie verbrachten ein paar Jahre lang manche Feiertage gemeinsam. Ich habe tatsächlich viele Fotos von uns zusammen, auf denen ich noch ein kleines Kind bin. Es war so, als ob mein Vater ohne den Druck der Ehe sich entspannen und uns beide lieben konnte. Ich habe keine Ahnung, ob die Trennung für meine Mom schmerzlich war in dieser Phase, doch bin ich mir sicher, dass eine neuerliche Heirat auch wehgetan hätte, wenn es dazu gekommen wäre.

Mein Vater sollte sein Wort halten und für meine gesamte formale Ausbildung bezahlen – auch war er bei jeder meiner Abschlussfeiern dabei und strahlte vor Freude. Auch wenn der Wirbelwind des Lebens und die Emotionen, welche die Ereignisse von 1964 und 1965 begleiteten, ihre Spuren hinterließen, waren Mom und Dad dennoch nicht lieblos und sie waren in der Lage, stets eine gewisse Form von gegenseitigem Respekt und Verständnis füreinander aufzubringen.