Es war einmal ein kleines Mädchen ...

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Sie bewarb sich um einen Job an der Kassa der Kosmetik-Abteilung eines noblen Kaufhauses in Uptown namens Lord and Taylor. Hier war es, wo sie auf ihre langjährige Freundin und meine spätere Patentante Lila Wisdom treffen sollte. Lila stammte aus Tucson, Arizona, und war ein paar Jahre jünger als Mom. Sie wurden zu besten Freundinnen, Mom sah sich aber selbst immer als die Tonangebende, die Kapitänin des Schiffes sozusagen, an. Ich kannte sie ausschließlich in dieser Rolle, weshalb das für mich Sinn ergibt. Lila war in einer kleinen Stadt aufgewachsen und hatte einen College-Abschluss. Mom benahm sich wie ihre herrische große Schwester und diese Dynamik funktionierte.

Da Mutter auch keine Ausbildung in der Welt des Make-ups vorweisen konnte – abgesehen davon, dass sie wusste, wie sie ihren allgegenwärtigen feuerroten Lippenstift sowie passenden Nagellack auftrug –, musste sie kreativ sein und selbstbewusst wirken. Ihr Job bestand darin, Kundinnen zu schminken und ihnen in weiterer Folge Produkte anzudrehen. Mom war Rechtshänderin und nicht in der Lage, ihre linke Hand ruhig einzusetzen oder ihre rechte Hand so zu verdrehen, dass sie mit dem Schminkpinsel Lidschatten gleichmäßig auf beiden Augen verteilen hätte können. Nachdem sie ein paar Picasso-Gesichter aufgemalt hatte, kam sie schließlich zu einer Lösung. Sie schminkte zuerst die linke Seite des Gesichts einer Frau mit ihrer rechten Hand und drehte daraufhin die Frau mit dem Gesicht zum Spiegel. Dann überreichte sie der Kundin das Pinselchen, als wäre sie eine weise Lehrerin, und sagte: „Nun sehen wir mal, ob Sie das, was ich gerade mit der einen Gesichtshälfte gemacht habe, auch selber hinbekommen.“

Die Frauen liebten ihre Aufmerksamkeit und die Anleitung. Indem sie von einer Expertin eine Fertigkeit erlernten, fühlten sie sich befähigt, das Schminken in die eigenen Hände zu nehmen. Sie kauften daraufhin reichlich Produkte bei ihr und alle waren glücklich. Die Geschäftsleitung hielt Mom für ein Genie und so wurde sie rasch befördert. Lila war anfangs Moms Vorgesetzte, schon bald aber war Mom es, die den Laden schmiss. Das war eine ihrer Begabungen: ihre Schwächen in Stärken zu verwandeln. Die Leute sahen zu ihr auf und glaubten, dass sie alles vollbringen könnte, sogar Dinge, in denen sie nicht formell ausgebildet worden war. Sie war ein Mensch, der nie zugegeben hätte, etwas nicht zu wissen.

Mom verkehrte nun mehr in vornehmeren Kreisen und hatte schon bald viele neue Freunde. Sie erlebte die fabelhaften Fünfziger in New York City sowie alles, was damit verbunden war. Zu ihrem Freundeskreis zählten viele schwule Männer, die entweder Frisöre oder in der Modebranche tätig waren, und sie betörte viele Vertreter der gehobeneren Gesellschaft New Yorks. Damals war sie blond – eine ein Meter und 75 Zentimeter große Sexbombe mit einer schmalen Taille, langen hinreißenden Beinen sowie einer sexy Stundenglasfigur. Sie schien ihre äußerlichen Vorzüge zu zelebrieren und hatte kein Problem damit, Bikini oder Minirock zu tragen.

Eine ihrer Freundinnen hieß Joanne, die ebenso eine Blondine war. Joanne hatte einen fiesen Papagei, dem Mom zu fluchen beibrachte. Jo und Mom trugen oft die Badeanzüge der jeweils anderen und fotografierten sich in witzigen Posen auf verschiedenen Booten und mit unterschiedlichen männlichen Verehrern. Derselbe Einteiler mit Leopardenmuster ist auf vielen Fotos von Mom und auch von Jo getragen.



Mom liebte es, fotografiert zu werden, wobei sie immer ein Glitzern in den Augen sowie ein Glas in der Hand hatte. Auf Fotos, die sie mit anderen Leuten zeigen, zieht meine wunderschöne Mom stets die Aufmerksamkeit zuerst auf sich. Ihre Begleiter waren entweder reich oder attraktiv und man konnte ihnen ansehen, dass sie sie mit Wohlstand überhäufen wollten – ein Leben, nach dem sie sich sehr sehnte. Ein spezielles schwules Pärchen zählte zu den besten Freunden meiner Mutter. Sie wohnten auf Fire Island und erzählten gerne und oft die Geschichte, in der Mom eines Tages einen ihrer Pudel an der Leine über die Uferpromenade spazieren führte. Der Hund wickelte die Leine rund um eines ihrer Beine. Mom verhedderte sich und fiel der Länge nach auf die Holzplanken. Ihr Kleid rutschte ihr dabei über den Kopf – und sie trug dabei nicht einmal einen Hauch von Unterwäsche.

Mom machte mit ihren vielen Talenten keine Karriere in einem Bereich, sondern fing ständig neue Jobs an. Ihre Straßenschläue und ihr innovativer Geist halfen ihr dabei, sich in ihnen auszuzeichnen, bis sie eben wieder weiterzog. Es wirkte so, als sei sie auf der Suche nach einer Art von Anerkennung oder sozialem Status beziehungsweise als würde sie ihren Wurzeln entkommen wollen.

Es sollte nicht lange dauern, bis Mom einen Mann traf, mit dem sie sich verlobte. Ich habe nie viel über ihn gewusst und war schockiert und traurig, als ich herausfand, warum sie schließlich nicht gemeinsam vor den Altar getreten waren. Mom erzählte mir die Geschichte von seinem Tod jedes Mal, wenn sie mich in das erste P. J. Clarke’s an der Ecke 55th und Third Avenue mitnahm, um einen Cheeseburger zu essen. Es stellte sich heraus, dass Mom und ihr Verlobter – später erfuhr ich, dass er Morton Gruber hieß – mit einer Freundin von Mom sowie deren Freund auf ein gemeinsames Date gegangen waren. Sie alle stiegen zusammen ins Auto und waren auf dem Weg zum Abendessen mit ein paar Drinks im P. J. Clarke’s. Sie fanden keinen Parkplatz und die Ladys sollten auch nicht zu weit zu gehen haben. Moms Verlobter saß hinterm Steuer und schlug vor, dass er die anderen drei Passagiere vor dem Restaurant absetzen könnte, um schon mal einen Tisch zu organisieren. Er würde inzwischen einen Parkplatz suchen und sich ihnen dann drinnen anschließen. Mom und die anderen beiden begaben sich hinein, warteten die üblichen zehn Minuten auf einen Tisch und setzten sich dann nieder, um erst einmal einen Cocktail zu bestellen. Es verging noch etwas mehr Zeit und die kleine Gruppe fing an, sich über die üble Parkplatz-Situation zu unterhalten. Schließlich verging noch mehr Zeit und das Trio begann, sich Sorgen zu machen. Hatte der Verlobte etwa plötzlich kalte Füße bekommen? Dieser Scherz sollte sich schlussendlich als schreckliche und morbide Vorahnung herausstellen. Nur Augenblicke später hörte man Sirenen und sah Rotlicht durch die Fenster. Alle eilten vor die Türe und jeder war zu Tode erschrocken angesichts dessen, was sich vor ihnen offenbarte.

Zu jener Zeit war die Third Avenue noch keine Einbahnstraße. Morton hatte das Auto auf der anderen Straßenseite geparkt, hatte die Fahrbahn überquert und war dabei von einem Wagen erfasst worden. Sein Körper war an die zehn Meter weit durch die Luft geschleudert worden. Er war sofort tot gewesen. Als die Rettung schließlich eintraf, hatte ihm bereits jemand seine Uhr und seine Geldtasche entwendet. Die ganze Geschichte war unglaublich. Ich konnte nicht fassen, dass es Leute gab, die einen Toten oder einen sterbenden blutenden Mann bestehlen würden.

Wenn er überlebt hätte, hätte ich wohl nie existiert.

Laut meiner Mutter wurde die Third Avenue am nächsten Tag in eine Einbahnstraße umgewandelt. Man konnte nun auf ihr nur mehr Richtung Uptown fahren. Eigentlich kam es zwar erst ein wenig später zu dieser Umwandlung, aber für sie klang „am nächsten Tag“ eben etwas dramatischer und ansprechender. Das war nur eine der leicht manipulierten Wahrheiten meiner Mutter.

Ich kann mir den Schmerz, den meine Mutter erfahren musste, nur ausmalen. Ich glaube, dass durch den Verlust ihres Vaters als Kind und später ihres Verlobten eine tiefgründige Angst vor dem Verlassenwerden in ihrem Herzen Wurzeln schlug. Mom war in vielerlei Hinsicht eine Person, die sich nicht unterkriegen ließ, und sie unternahm alles in ihrer Macht Stehende, um ihren Weg weiterzugehen. Sie war keine, die über ihre wahren Gefühle sprach, sondern eine, die still für sich und alleine litt.

Ihr Leben ging weiter und sie fand andere Verehrer, allerdings nahm sie keine Heiratsanträge mehr an. Sie wollte auf Dates gehen, sich amüsieren, unterhalten werden beziehungsweise – so nehme ich an – Alkohol trinken. Mom war das Herzstück jeder Feier und ihre Trinkerei hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Auswirkungen, außer vielleicht, dabei zu helfen, ihren Status als „lustiges Mädel“ aufrechtzuerhalten.

Irgendwann traf Mom dann doch einen anderen Mann, von dem es heißt, dass es zwischen ihr und ihm sehr ernst gewesen sein soll. Allerdings sollten noch Jahre vergehen, bis ich die Wahrheit über diese Beziehung erfahren sollte.

Obwohl sie in ihrem Leben einige Tragödien durchleben musste, hatte sie auch ziemlich viel Spaß. Mom liebte den Broadway und jeden, der mit dem Theater zu tun hatte. Einige Jahr traf sie sich mit einem verheirateten (aber in Trennung lebenden) Mann namens Murray Helwitz, der als Schatzmeister am Shubert Theatre tätig war. Sie dateten für eine Weile und Mom öffnete sich so die Welt der Premierenfeiern, der spätabendlichen Cocktails sowie der Dinnerpartys in unterschiedlichen Clubs, wo auch getanzt wurde. Gesellschaftliche Events dieser Art hauchten meiner Mutter Leben ein. Sie freundete sich mit allen Barmännern, Garderoben-Girls und Restaurant-Managern an. Dies schien der Beginn eines lebenslangen Musters zu sein, denn sie fühlte sich immer zu jenen hingezogen, die sie als „Underdogs“ bezeichnete.

Obwohl sie sich auf der Suche nach einer fabelhaften und glamourösen Zukunft befand, schien sie sich stets an den Randgebieten aufzuhalten. Es war, als ob sie in zwei sich widersprechenden Welten zuhause sein wollte. Es war eine paradoxe Situation, da sie zwar einen höheren sozialen Status anstrebte, doch sich gleichzeitig nicht von einem düstereren und problematischeren sozioökonomischen Umfeld lossagen konnte. Sie strebte nach Anerkennung und einem Aufstieg in ihrem Leben, schien sich aber gleichzeitig dagegen zu wehren. Es wirkte, als ob sie sich danach sehnte, ihre Wurzeln hinter sich lassen zu können, doch konnte sie ihnen nie wirklich ganz entsagen. So fing sie immer an, sich ein wenig ungehobelter auszudrücken, wenn sie sich eingeschüchtert fühlte. Ich sagte immer, dass sie ihre Herkunft aus Newark wie ein Polizeiabzeichen mit sich führte, um es hervorzuholen, wenn sie es für notwendig hielt oder sich bedroht sah. Wann immer sie das Gefühl hatte, ihre Rüstung hätte eine Delle abbekommen, wann immer sie glaubte, sich ungeschickt verhalten zu haben, würde sie mithilfe ihrer barschen Newark-Erziehung gegensteuern. Sie begründete ihre Zähigkeit jedenfalls oft und offen damit, dass sie aus Newark stammte. Ich war mit ihr immer gerne dort zu Besuch, weil sich alles so unkompliziert anfühlte. Aber ich ließ diese Welt auch immer wieder gerne hinter mir, da ich mich irgendwann langweilte – so wie sie ja auch.

 

Die Barmänner schienen besonders auf sie aufzupassen. Einmal, als Murray und Mom sich gestritten hatten, sah ein Barkeeper Murray mit einer anderen Frau. Sie saßen auf dem Tisch, der eigentlich jener war, auf dem Murray immer mit meiner Mom saß – „ihr Tisch“ sozusagen. Der Barmann griff sich das Telefon und rief Mom an. Er informierte sie mit leiser Stimme, dass ihr Beau sich mit einem anderen Mädel im Lokal amüsierte. Mom dankte ihm, sprang schnell unter die Dusche und schlüpfte in den neuen Zobelmantel, den ihr Murray zusammen mit einem Paar hochhackigen Schuhen geschenkt hatte. Ausgestattet mit nichts außer Pelzmantel und High-Heels fuhr Mom nun in einem Taxi ins Restaurant, begab sich zu dem besagten Tisch, baute sich vor den beiden auf und wandte ihren Blick Murray zu, drehte sich jedoch mit dem Körper etwas mehr in Richtung der anderen Frau, die sich als seine Ehefrau herausstellen sollte. Es schien so, als wären sie doch nicht so getrennt voneinander! Sie erkundigte sich, ob ihm der neue Pelzmantel gefiele. Während sie diese Frage stellte, öffnete sie den Mantel, stieg heraus und vollführte eine volle Drehung, bevor sie sich wieder einpackte und sich aus dem Restaurant verabschiedete. Auf der Straße mag sie geweint haben oder auch nicht, aber sie hatte zumindest ihren Standpunkt klargemacht. Mom liebte es, solche Szenen zu machen, und ihre zahlreichen theatralischen Einlagen wurden legendär.

Auch von der Pelzmantel-Episode abgesehen spielte Kleidung eine wichtige Rolle in Moms Leben und sie wählte sie mit Bedacht aus. Schon früh erkannte sie die Strahlkraft gewisser Labels. Allerdings begriff sie auch, dass sie nicht in der Lage war, sie sich zu leisten. Sie wusste, wie sie sich für gewisse gesellschaftliche Umgebungen zu kleiden hatte, und ließ es nicht zu, dass ihre beschränkten finanziellen Mittel sich negativ auf ihre Garderobe auswirkten.

In den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern war etwa Emilio Pucci eine enorm angesagte Marke. Mom liebte Puccis farbenfrohe Kleider und fand es innovativ, wie er seinen Namen in die Muster einarbeitete. Doch konnte sie sich keines der berühmten, bunt bedruckten Minikleider, die all die Ladys aus Uptown trugen, leisten. So musste Mom wieder einmal in die Trickkiste greifen. Und kreativ war sie ja ohne Zweifel. Sie kaufte sich also einen Stoff mit einem Druck, der praktisch nicht von jenem der mittlerweile so berühmten Pucci-Muster zu unterscheiden war, und schneiderte sich ihr eigenes Etuikleid. Sie nähte es eigenhändig zusammen und schrieb dann mit einem Füller „Teri“ in Kursivschrift auf all jene Stellen, auf denen normalerweise „Emilio“ gestanden wäre. Später erinnerte sie sich an viele Damen der Gesellschaft, die auf Cocktailpartys zu ihr kamen und ihr zu ihrem besonderen Kleid gratulierten: „Ich liebe dein Pucci-Kleid, Teri!“ Mom sagte, dass sie sich stets bedankte und dann weiterging, um sicherzustellen, dass ihr Geheimnis gewahrt bliebe. Sie scherzte später, dass alles in Ordnung war, solange sie nicht in einen Regenguss kam, weil in diesem unglücklichen Fall das Kleid sich in einen Rorschach-Test verwandelte, da die Tinte dort, wo sie ihren Namen so hübsch platziert hatte, zu verlaufen begann.

Mom begehrte die Kleidungsstücke, die die reichen Frauen trugen, und fand schließlich heraus, dass man diese Teile auch in den Second-Hand-Läden auf der Upper East Side erstehen konnte. Sie wusste, dass dies die Orte waren, in denen die Damen aus der Park Avenue ihre alten Sachen von Gucci, Courrèges und anderen Designern ablieferten. Sie durchstöberte die Regale und Stapel und war mit der Zeit in der Lage, dank ihres scharfen Blickes sich eine Garderobe zusammenzustellen, die auch jede reiche Hausfrau von der Upper East Side goutiert hätte.

Dank dieser Kleidungsstücke und ihrer erst unlängst aufmerksam wie gierig erworbenen Manieren, traf Mom sich immer öfter mit kultivierten Herren und verschaffte sich dadurch Zutritt zu Kreisen, die eigentlich für die High Society reserviert waren – die Gebildeten und Reichen, die Elite eben. Mom fühlte sich dort wohl, und falls sie überhaupt in puncto ihres Bildungsstandes ein wenig unsicher war, dann glich sie dies mit ihrem Humor, ihrem Stil und ihrer Beobachtungsgabe wieder aus. Moms trockener Witz sowie ihre kühnen Einschätzungen bezüglich im Raum anwesender Personen machten sie zu einem gefragten Date. Jeder durfte sich glücklich schätzen, sie an seinem Tisch sitzen zu haben. Wenn man zu diesen Eigenschaften noch Alkohol hinzufügte, konnte man ihr nur schwer widerstehen. Ihr Alkoholkonsum wirkte sich zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens, in dem er wahrscheinlich notwendig war, um ihr Selbstvertrauen zu festigen, noch immer nicht negativ aus. Mom verabredete sich mit Senatoren, Theaterbesitzern, Bankern und reichen Erben. Sie wurde von ihnen allen ordentlich hofiert. Und somit erarbeitete sich Mom mit der Zeit ihren Ruf in der Stadt als die schöne und temperamentvolle „Teri Terrific“.

Mom sieht auf den Fotos, die ich aus dieser Zeit habe, glücklich aus. Ich glaube, dass sie das während dieser Phase ihres Lebens auch tatsächlich war. In ihren Augen lag noch keine Traurigkeit. Wahrscheinlich habe ich sie nie glücklicher gesehen. Sie befand sich auf dem Weg nach oben und amüsierte sich. Sie sah so gut aus wie nie zuvor und wurde für alles, was sie sein wollte, gefeiert. Ich gab mich der Fantasie hin, eines Tages in der Lage zu sein, es Mom zu ermöglichen, noch einmal diese Gefühlslage zu erreichen.

Sie wirkte zum Niederknien, schien sorgenfrei und sehr lebendig. Sie lebte das Leben einer alleinstehenden Frau in New York City in den frühen Sechzigerjahren. Allerdings wurde auch sie gemäß der damals gängigen Moralvorstellungen älter. Ich denke, dass sie anfing, sich ein wenig mehr Sicherheit sowie eine dauerhaftere Beziehung zu wünschen.

Nun, so eine Beziehung sollte schon auf sie warten. Und auch wenn es vielleicht nicht das war, was sie sich erwartet hatte, sollte sich dennoch der Verlauf ihres Lebens grundlegend ändern.


Wenn man sie danach fragte, verkündete Mom stets, dass Ende 1964 und Anfang 1965 für sie eine sehr gute und sehr geschäftige Zeit gewesen sei. Im Verlauf eines Jahres traf meine Mutter meinen Vater, wurde schwanger, heiratete ihn, brachte mich zur Welt und ließ sich wieder scheiden.

Kennengelernt hatten sie sich wie folgt: Mom hatte in Begleitung eines Freundes, der von seiner Partnerin sitzengelassen worden war, versucht, in einer Kneipe Liebeskummer zu betäuben. Er hieß Jack Price und war ein Bekannter meines Vaters. Mom und Jack hatten sich also aufgemacht, um ihre Sorgen zu ertränken. Nun kam mein 24 Jahre alter Vater, der immer noch grün hinter den Ohren war und gerade sein Studium an der University of Pennsylvania abgeschlossen hatte, in diese Bar auf der Upper East Side spaziert. Er war zwei Meter groß und hatte kräftiges, schwarzes Haar, das er mit Pomade zur Seite gescheitelt und wie ein kleiner Junge gekämmt hatte. Sein kräftiger Kiefer und seine Römernase verliehen seinem Gesicht etwas Fürstliches – in meinen Augen ähnelte sein Gesicht immer ein bisschen der Freiheitsstatue oder jenem eines griechischen Gottes. Meiner Mutter zufolge trug Dad polierte belgische Slipper, ein frisches Hemd und einen Navy-Blazer. Er war ein schöner Mann.

Mom behauptete, dass ihr ein Blick auf ihn gereicht hätte, um zu dem Entschluss zu kommen: „Den will ich haben!“ Das gegenseitige Kennenlernen ging so vonstatten, wie es in solchen Bars voll mit Stammkunden oft vorkommt. Freunde von Freunden stellten einander vor und Mom legte sich rasch einen Plan zurecht. Sie fuhr damit fort, ihren Trinkkumpan betrunken zu machen, damit sie ihn auf diese Weise loswürde. Sobald Jack anfing, undeutlich zu sprechen, erfasste Mom die Gelegenheit beim Schopf. Sie bat meinen Vater, ihr dabei zu helfen, ihren Freund in ein Taxi zu setzen. Dem Taxifahrer teilte sie noch die Adresse mit und stand dann mit meinem Dad auf der Straße und war offen für Vorschläge.

„Kannst du das glauben, dass er mich gerade allein gelassen hat!?“ Dad bot ihr an, sie nachhause zu begleiten. Hier war sie nun, diese ein Meter 75 große blonde Schönheit mit Beinen wie Cyd Charisse, der Garderobe einer kultivierten New Yorkerin und ihrem fesselnden Witz. Dies waren die Jahre, in denen sie am schönsten war, und wenn man noch ein paar Cocktails zur Senkung jeglicher Hemmschwellen beimischte, wurde sie schier unwiderstehlich. Wie hätte er sich ihr da entziehen können?

Das ist leider auch schon alles, was ich von dieser Story weiß, aber offenbar kam sie noch in sein Apartment mit, das sich in der East Fiftieth Street befand. Mein Vater verpasste am nächsten Tag seinen Flug nach Los Angeles und musste jener Freundin, die er dort eigentlich hatte besuchen wollen, eine Lügengeschichte auftischen. Mom behauptete, dass sie daraufhin drei Tage lang die Wohnung nicht mehr verließen. Dieses spezielle Detail hätte ich nicht unbedingt wissen müssen, aber es schien zwischen ihnen wohl alles gepasst zu haben. Mom und Dad begannen miteinander zu gehen – und lernten einander näher kennen.

Der familiäre Hintergrund meines Dads unterschied sich sehr stark von jenem meiner Mutter, die ja aus Newark stammte. Seine Mutter hieß Infanta (Donna) Marina Torlonia und sie war eine in Italien geborene Aristokratin sowie die Tochter des vierten Principe di Civitella-Cesi, Marino Torlonia, und Elsie Moore, seiner amerikanischen Ehefrau. Marino war der erste Privatbankier des Papstes gewesen und war nun der oberste Verwalter der Finanzen des Vatikans. Mussolini hatte sogar eines seiner Eigenheime als Sommerresidenz in Beschlag genommen, wofür er ihm nur einen Dollar bezahlt hatte. Dads italienische Mutter Marina heiratete schließlich den in New York City geborenen Tennisspieler Francis Xavier Alexander Shields. „Pop-Pop“ oder „Big Frank“, wie ihn die Leute gerne nannten, war sowohl in Wimbledon als auch bei den U.S. Open im Finale gestanden und dies war seine zweite Ehe. Pop-Pop war außerdem Schauspieler, der gemäß dem alten Studiosystem unter Vertrag stand. Es hieß, dass sein Vertrag als Einsatz in einer Partie Poker hatte herhalten müssen und er sich aus diesem Grund gezwungen sah, das Studio zu wechseln. Mom und ich sahen uns später ein paar seiner Filme an, etwa Nimm, was du kriegen kannst, bei dem Howard Hawks Regie geführt hatte und neben Großvater auch noch Frances Farmer zu sehen war.

Meine Großeltern ließen sich scheiden, nachdem mein Vater, der ebenso Frank hieß, und seine Schwester Marina zur Welt gekommen waren. Seine Mutter heiratete daraufhin Ed Slater, ebenfalls Amerikaner, und ließ sich auch von ihm wieder scheiden, nachdem sie mit ihm einen Sohn und eine Tochter bekommen hatte. Pop-Pop hatte noch zwei weitere Kinder mit seiner dritten Ehefrau, Goody Mortimer.

Es ist schon interessant, dass in fast jeder dieser Ehen Vertreter der italienischen Aristokratie über gesellschaftliche Schwellen hinweg amerikanische Bürgerliche heirateten. Meine adelige Großmutter heiratete einen Tennisspieler und Schauspieler aus New York und mein Dad eine Frau aus Newark – und ich sollte wiederum später einmal einen Tennisspieler aus Las Vegas ehelichen. Dad fiel das später auf, als meine Hochzeit mit Andre Agassi bevorstand. Und offensichtlich hatte keine dieser Ehen ein Happy End.

Ein paar Jahre später hieß es, dass meine Großmutter sich in einen verheirateten Mann verliebt hätte. Nach der Hochzeit ihres Neffen in Italien war sie auf dem Empfang zur Feier gewesen, als sie bei einem furchtbaren Autounfall ums Leben gekommen war. Es wurde gemunkelt, dass sie absichtlich nicht im Wagen ihrer geheimen Liebe mitgefahren sei, um so einen Skandal zu vermeiden. Die traurige Ironie bei der Sache war, dass der Sohn dieses Mannes, Roffredo Gaitani Lovatelli, auf dieselbe Weise ums Leben kommen sollte. Besonders schlimm war, dass Dads Mom bei diesem Unfall enthauptet wurde und ihr einziger Sohn, der damals gerade 18 Jahre alt war, die Leiche identifizieren musste. In Italien gilt der erstgeborene Sohn als nächster Angehöriger. Da sie damals in Scheidung lebte, musste er von der University of Pennsylvania, wo er in seinem ersten Studienjahr war, nach Italien fliegen, um seine Mutter zu identifizieren.

 

Es muss eine sehr traurige Zeit im Leben meines Vaters gewesen sein. Ich denke, er war wohl nie wieder derselbe, nachdem seine Mutter gestorben war. Obwohl er Internatsschulen besucht hatte und nicht oft bei seiner Mom gewesen war, hatte sie doch eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt. Sie hatte das Leben einer Aristokratin gelebt und war quer durch Europa gejettet. Mom erzählte mir einmal, dass sie Postkarten von Dads Mutter gesehen hatte, die sie aus Orten wie Gstaad in der Schweiz verschickt hatte. Darauf stand dann, dass es ihr zwar Leid täte, sie aber Weihnachten nicht mit ihm verbringen könne, da sie im Skiurlaub sei, ihn aber bald wiedersehen würde. So wie auch meine Mom war Dads Mutter groß und ähnelte einer Statue. Zwar würde man seine Mutter wohl eher als „gutaussehend“ bezeichnen, aber sie war keine solche Schönheit wie meine Mom. Dennoch konnte man seiner Mutter – sowie auch meiner Mom – nicht absprechen, über eine starke Ausstrahlung verfügt zu haben. Marina war stark und hatte die Kontrolle. Sah mein Dad vielleicht etwas von seiner Mutter in meiner Mom? Ich bin mir sicher, dass er sich sowohl von ihrer Power, ihrem scheinbaren Selbstvertrauen als auch von ihrer Schönheit angezogen fühlte. Mit ihrem Alter schien er kein Problem zu haben. Sie war ja immerhin acht Jahre älter als er, und das war in den Sechzigerjahren nicht gerade alltäglich. Ich vermute, er konnte dieser umwerfend feurigen Frau einfach nicht widerstehen. Jedoch sollten der soziale Hintergrund und die Erziehung später noch zu einem großen Problem werden.

Aber damals, so bin ich überzeugt, fand Dad ihr Charisma und ihren Humor erfrischend, auch wenn sie keine College-Absolventin oder Debütantin aus der Oberschicht war. Sie war bekannt für ihre energiegeladene Persönlichkeit und ihre wagemutige Einstellung. Es wirkte, als könnte sie sich mit Leuten aus allen Bereichen des Lebens unterhalten und als hätte sie keinerlei Schwierigkeiten, sich in unterschiedliche gesellschaftliche Szenarien einzufügen. Allerdings hatte er nicht von Anfang an wissen können, wie flatterhaft und anfällig für Drama sie in Bezug auf ihre Beziehungen war. Es bestand jedenfalls kein Zweifel daran, dass er in seine ganz eigene Version des Pelzmantel-Vorfalls verwickelt werden würde, wenn er nur lange genug am Ball bliebe.

Bald schon entdeckte meine Mutter, dass sie schwanger war. Als sie meinen Dad davon in Kenntnis setzte, muss diesen Panik befallen haben – und nicht ganz zu Unrecht. Er war noch nicht bereit, Vater zu sein. Gerade erst war er ins Geschäftsleben eingestiegen und musste viel umherreisen. Auch Geld hatte er nicht so viel, wie man vielleicht denken möchte. Außerdem war er ja noch selbst ein Kind. Dad wusste nicht wirklich, wie er mit der Sache umgehen sollte. Er muss seinen Vater eingeweiht haben, denn dieser machte sich auf, meine Mutter davon zu überzeugen, die Schwangerschaft abzubrechen. Mir wurde erzählt, dass mein Großvater meine Mutter zu einem Treffen einlud, um die Situation mit ihr zu besprechen. Mom besuchte Pop-Pop in seinem Apartment, die beiden nahmen Platz und unterhielten sich. Er forderte meine Mom auf, die Schwangerschaft abzubrechen, da ein uneheliches Kind das gesellschaftliche Ansehen meines Vaters kosten könnte. Mom erklärte, dass sie nicht vorhätte, meinem Vater die Pistole auf die Brust zu setzen, damit er sie heirate. Auch würde sie ihn wegen des Kindes nicht zur Rechenschaft ziehen. Persönlich glaube ich, dass Mom meinen Dad zwar schon hatte heiraten wollen, doch niemals absichtlich schwanger geworden wäre, um dieses Ziel zu erreichen. Sie wollte das Baby. Punkt. Sie sehnte sich nach bedingungsloser Liebe. Pop-Pop wies als Nächstes darauf hin, dass Mom und sein Sohn Frank aus so unterschiedlichen sozialen Milieus stammten und sie deshalb kein sehr angemessenes Paar abgeben würden. Generell würde es einfach nicht gut aussehen, wenn mein Dad mit jemandem aus Newark ein Kind hätte. Er steckte ihr diskret einen Briefumschlag zu und bat sie, sich um die „Angelegenheit“ zu kümmern.

Laut meiner Mutter habe sie genickt und erklärt, dass sie die Sachlage voll und ganz verstünde, habe den Umschlag und sei aufgebrochen. Sie hatte nicht die Absicht, eine Abtreibung durchführen zu lassen, sah aber keinen Grund, das Geld nicht anzunehmen. Statt in eine Klinik begab sie sich umgehend zu ihrem liebsten Antiquitätenhändler. Dort gab sie das Geld für einen ovalen Couchtisch aus Kirschholz aus. Seine vier Seitenwände ließen sich mithilfe von Messingspangen hochklappen, wodurch sich eine Art Ablagekasten formte. Sie war weder überrascht noch wütend über den Vorfall, nur trotzig wie immer. Mom wusste, dass sie das Baby wollte, und basta. Es ist schon witzig – dieses Tischchen, das sie kaufte, wurde zu meiner liebsten Stehhilfe, als ich ein wenig größer wurde. Ich weiß noch, dass ich gerne darauf herumknabberte und es liebte, die Seiten rauf und runter zu klappen.

Ich fand erst unlängst heraus, dass Mom, nachdem sie sich den Couchtisch gekauft hatte, plötzlich beschlossen hatte, die Unnahbare zu spielen. Mom sagte Dad, dass sie nichts von ihm wolle und sich nur wünsche, das Baby zu bekommen. Sie weigerte sich, ihn zu treffen oder auch nur mit ihm zu sprechen. Mom wollte, dass Dad begriff, dass er ohne sie nicht leben könne. Mein Vater, verzweifelt wegen der Schwangerschaft und um seine Zukunft bangend, ging am selben Tag, als er von der Schwangerschaft erfuhr, zum ersten und letzten Mal in seinem Leben zur Messe und empfing die Kommunion. Ihm tat sein Herz weh. Er war anscheinend so sehr in meine Mutter verliebt, dass er ihr massenhaft Blumen kaufte und sogar meiner späteren Patentante Lila etliche Kakteen schickte, da sie aus Arizona stammte. So sehr er auch in meine Mom verliebt war, war er dennoch nicht bereit, zu heiraten oder Vater zu werden. Er wusste, dass Mom nichts abbrechen würde außer ihrer Beziehung, und er war hin- und hergerissen. Mom zeigte ihm einige Monate lang die kalte Schulter und hoffte, dass er sie so sehr vermisste, dass er ihr schließlich einen Antrag machen würde. Sie stellte unmissverständlich klar, dass sie das Baby austragen würde – und sowohl mein Vater als auch mein Großvater wussten dies.

Als mir meine Mutter die Geschichte zum ersten Mal erzählte, hatte sie sie völlig abgeändert und beschlossen, mir zu sagen, dass mein Vater während dieser Zeit nicht im Land gewesen wäre. Sie behauptete, dass er, als er zurückkehrte und bemerkte, dass sie keine Abtreibung durchführen hatte lassen, ihr einen Antrag gemacht hätte. Ihr zufolge hätte sie einfach ruhig auf seine Rückkehr gewartet und das neue Leben, das in ihr heranwuchs, genossen. In dieser Version der Geschichte war Dad einige Monate verreist gewesen und war schlussendlich nicht länger in der Lage, getrennt von ihr zu leben. Sie hörte sich wie ein Detektiv aus einem Comicheft an, wenn sie behauptete: „Dein Dad konnte seine Finger nicht von mir lassen und ich wusste, dass er irgendwann wieder hinter mir her schnüffeln würde.“