Jeden Abend Captain's Dinner

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In den Sonnenuntergang hinein fahren wir durch den großen Belt. Der kleine Seebär fährt das Schiff, neben ihm sitzt der Chief und lässt sich mit einem stillen Lächeln die Sonne ins Gesicht scheinen.

Die nächste Passagierin ruft an, eine Kapitänswitwe. Sie fragt nach der Ankunftszeit und gibt ihre Vorlieben bekannt: Sie trinke nur trockenen Rotwein, es sei also dafür zu sorgen, dass ein ausreichender Vorrat an Bord sei. Der kleine Seebär braucht lange, um sie abzuwimmeln: »Offenbar eine ziemlich resolute Dame!«

Ihr Mann ist auf Großcontainerschiffen gefahren, und der kleine Seebär fürchtet den Vergleich: Auf Großcontainerschiffen gibt es einen Dritten Offizier, es gibt einen Ausguck und einen Rudergänger. Die Aufgaben von Ausguck und Rudergänger übernimmt hier der Wachoffizier, die des Dritten Offiziers der Kapitän. Und wenn ihr Mann zu Zeiten gefahren ist, als es noch Funkoffiziere gab: Seit es das Satellitentelefon gibt, übernimmt der Kapitän auch deren Aufgaben. Nicht nur die Kommunikation, auch die Administration. Im Hafen, und wann immer es die See erlaubt, ist er zwischen Listenstapeln vergraben. Was sie sonst noch, außer dem Steward, der ihr den trockenen Rotwein serviert, vermissen wird, habe ich schon von der Madame gelernt.

Der Muffkopf kommt auf die Brücke. Die Wünsche der Passagierin machen ihn nicht freundlicher. Es sei kein trockener Rotwein an Bord, und er werde auch keinen bestellen!

Dann mault er über Passagiere. Einer sei während einer komplizierten Ansteuerung auf die Brücke gekommen, habe sich in die Ecke gepflanzt und das Fernsehen eingeschaltet, so laut, dass es den Funkverkehr übertönte. Als der Muffkopf sich das verbat, wurde der patzig: Wo er denn bitte sonst fernsehen solle! Ein anderer hat ohne Warnung nachts auf der Brücke fotografiert, mit Blitzlicht und direkt ins Gesicht. Einer wollte alles ganz genau wissen und fragte nach der Funktion jedes Schalters, jedes Hebels und jeder Anzeige. Dann gab es noch den mit den Halluzinationen; und einen, der die Antenne reparieren wollte und dabei die Stecker verwechselte. Es gab lustige Skatrunden in der Messe, die auch zu den Essenszeiten nicht weichen wollten, es gab Angeber und Besserwisser. Und einer hat, kaum an Bord, nach Bier verlangt. Als der Kadett ihm eins brachte, wurde der zornig: Er brauche einen ganzen Kasten. Täglich.

Am Nachmittag des nächsten Tages sind wir wieder in Bremerhaven. Auf dem Kai steht die Madame des Chiefs und winkt. Jedes Mal, wenn das Schiff in Bremerhaven anlegt, kommt sie zu Besuch. Sie hat ihm zwei Packungen Zigarillos mitgebracht. Diesmal kommt sie nicht an Bord, sie und ihr Mann gehen in der Stadt ein Bier trinken, in das Lokal, dessen Wirtsleute sie vor einigen Jahren noch waren. Auch der Muffkopf geht in die Stadt. Besorgt er trockenen Rotwein? Ratsam wäre es.

Die Admiralin-die-nur-trockenen-Rotwein-trinkt ist an Bord. Niedergangfüllend im Walkürengewand und mit verschiedensten Farbtönen im Gesicht walzt sie in die Messe und nimmt dort eine Hälfte der Bank vollständig ein, und zwar die Kapitänshälfte. Sie überprüft das Besteck und reklamiert ein fleckiges Messer. Dann weist sie den Koch an, wie sie ihr Essen serviert zu haben wünscht: Zwischen Vorspeise und Hauptgang eine kleine Pause, und, bitte, neues Besteck für den Hauptgang. Den Salat auf einem separaten Teller, von der Nachspeise nur eine kleine Portion.

Der kleine Seebär drückt sich in die Ecke und versucht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Frau Admiralin würdigt ihn kaum eines Blickes, vermutlich spricht sie nur mit Kapitänen. Was wird sie wohl sagen, wenn er seine abgegessenen Teller neben sie auf die Bank stapelt? Und wird sie den vom Muffkopf verölten Salat essen? Und was wird sie sagen, wenn sie erfährt, dass kein trockener Rotwein an Bord ist? – Spätestens in Rotterdam wird der trockene Rotwein wohl da sein. Ich lasse den kleinen Seebären mit der Admiralin allein.

Ein eigenartiges Volk

Um Punkt neunzehn Uhr fährt der ICE in den Bahnhof Hamburg-Altona ein. Ich rufe auf der Annette an, um den Liegeplatz bestätigen zu lassen: »Wir warten!«

Merkwürdiger Humor. Zur Vorsicht gehe ich recht zügig zu den Taxis.

Der Hafenpförtner blättert in seinen Listen. Er findet meinen Namen nicht, auf der Annette haben sie wohl vergessen, mich als Passagierin anzumelden. Erst als ich ihn mit Hilfe meines Beförderungsvertrags überzeugen kann, dass ich auf das Schiff darf und nachdem ich ein Zusatzformular ausgefüllt und unterschrieben habe, lässt er mich hinein. Der Shuttle kurvt durch die Containerlandschaft des Waltershofer Hafens und kommt an einem Wartekai vor einer schäbigen Gangway zum Stehen. Sie führt auf die Annette.

Egal wie groß es ist, egal wie komfortabel es ist, und egal aus wie vielen Räumen es besteht: Es heißt nicht Kabine, nicht Kajüte, schon gar nicht Zimmer oder Suite. Es heißt Kammer.

Hier macht es seinem Namen alle Ehre: Ein spartanisches Kämmerlein. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett, ein Schrank, in dem es nach Mottenkugeln riecht, abgenutzter Linoleumboden. Das spartanischste aller Kämmerlein ist dies aber nicht. Die Mannschaft hat zum Teil noch kleinere, auf dem Plan ist meins für zwei Matrosen vorgesehen. Eigene Bäder haben hier nur der Kapitän, der Chief und der Erste Offizier. Die anderen teilen sich jeweils eins zu zweit.

An den Türen sind Schilder, außer ihrem Rang haben sie hier auch Namen. Ob die Namen hier auch benutzt werden? Auf der Antares und der Spica haben sich die deutschen Offiziere mit dem Vornamen angeredet, die Namen der Anderen wurden nur benutzt, wenn es mehrere des gleichen Rangs gab. Der Zweite Offizier war überall der Second. Der auf der Spica war ein Second, der auf der Antares ein Second!, denn sein Arbeitseifer war nicht besonders ausgeprägt: Es war üblich, dass man etwa zehn Minuten vor Beginn der Wache auf der Brücke erschien, der Second! aber erschien – verschlafen und in einem Trainingsanzug, der wohl auch als Pyjama diente – etwa fünf Minuten nach Beginn seiner Wache. Wenn der Kapitän ihn vorher anrief, um ihn nicht sehr freundlich daran zu erinnern, dass in Kürze ein wenig Arbeit zu verrichten sei, kam er drei Minuten vor Beginn – verschlafen und im Trainingsanzug. Nach seiner Wache war die Brücke vollgekrümelt, es standen schmutziges Geschirr und benutzte Aschenbecher herum. Auf dem Computer waren angefangene Spiele, daneben Kaffeeflecken. Wenn der Kapitän ihn anbrüllte, schwieg er und räumte im Zeitlupentempo die ein oder andere gebrauchte Tasse in die Spüle. Er war ein Russe, und sein Verhalten soll auf russischen Schiffen nicht ungewöhnlich sein. – Und hier sind außer den Offizieren nur Russen!

Die Maschine wird angeworfen, dann werden sie jetzt wohl zu einem Ladekai fahren. Als mir klar wird, worauf, bzw. auf wen die da am Wartekai gewartet haben, sind wir schon in Teufelsbrück. Ich gehe nach oben in die Nock. Im Ruderhaus sind zwei ältere Herren. Einer hat sich zwischen Listenstapeln in der Kartenecke vergraben, von ihm sieht man nur eine von einem wirren schwarzen Haarkranz umgebene Halbglatze. Der andere sitzt im Steuerstand und ist nicht zu übersehen. Hakennase, fettige schüttere Haarsträhnen, ein Hemd, so groß wie ein Zelt. Wie ein Schwangerschaftskittel hängt es über dem Bauch. Was ist das? Ein See-Elefant? Irgendwann wälzt es sich nach draußen, brummt einen Namen und »Kapitän«. Ich bedanke mich, dass er gewartet hat, er knurrt etwas – » …egal …« – und dann erlaubt er mir noch gnädig, ins Ruderhaus hineinzugehen. Damit ist die Unterhaltung beendet, und er wälzt sich wieder hinein.

Im Ruderhaus lungert ein Russe am Fenster herum. Gönnt man sich hier einen Ausguck? Das Einzige, was er tut, ist, auf Befehl des See-Elefanten die Tür zu schließen, der mag sich selber wohl nicht noch einmal wälzen. Zwei ältere Herren kommen auf die Brücke, meine Mitpassagiere. Und, im blitzsauberen Arbeitsanzug, mit Glatze und weißem Vollbart, der Chief, der sich hier Meister nennt. Jetzt sind schon fünf ältere Herren auf der Brücke. Im Gegensatz zu den Nautikern ist der Chief höchst gesprächig, und das in Maschinenraumlautstärke. Meine beiden Mitpassagiere, ein kleiner Wichtigtuer und ein Unauffälliger, der ab und zu etwas in seinen Vollbart nuschelt, scharen sich sogleich um ihn und lauschen andächtig. Das beflügelt den Chief, und er beginnt zu schwadronieren: Er sei ganz alleine für die Maschine verantwortlich. Er kenne sämtliche Schiffs- und Schiffsmaschinentypen. Auf allen sei er schon gefahren. Und wo er überall gefahren sei. Sogar auf den großen Seen. Die ganze Welt habe er gesehen!

Wo bin ich denn hier hingeraten! Ich ziehe mich in mein Kämmerlein zurück, zu meinem Fernet. Gläser gibt es keine, nur einen Zahnputzbecher. Egal, dann nehme ich eben den. Der erste Schluck schmeckt so, als sei der Becher länger nicht gesäubert worden. Egal, Fernet desinfiziert. Und wenn die hier entweder gar nicht oder nur über sich selber reden, dann fragen sie mich wenigstens auch nichts. Prost! – Wie viel Fernet passt eigentlich in ein Zahnputzglas hinein? Egal!

Am nächsten Morgen stelle ich fest, dass es ziemlich viel sein muss, und verschlafe das Frühstück. Wir sind in Bremerhaven, es regnet. Weil Samstag ist, lasse ich auch das Mittagessen ausfallen. Auf deutschen Schiffen gibt es am Samstag Eintopf. Und am Donnerstag, dem Seemanns-Sonntag, und am richtigen Sonntag gibt es Kuchen oder Eis zum Nachtisch. Das hilft, die Wochentage zu unterscheiden. Die Arbeit ist jeden Tag gleich, ein Wochenende gibt es nicht. Ich habe keine Lust auf Eintopf, und auf Eintopf, den ein russischer Koch zubereitet hat, schon gar nicht.

In Brunsbüttel müssen wir warten, dann fahren wir in die alte Schleuse. Der kleine Wichtigtuer will unbedingt von Bord, in den ›berühmten Kiosk‹. Soll er doch, der ›berühmte Kiosk‹ ist in der neuen Schleuse. In ihm ist es dunkel, staubig und unordentlich. Es gibt Telefonkarten, Batterien, Seife, Rasierschaum, Feuerzeuge, Schnaps und Süßigkeiten. Zeitungen und Illustrierte in allen Sprachen, vor allem Russisch, Polnisch und Philippinisch. Und eine Ecke, die der Kadett der Spica, gerade mal sechzehn Jahre alt, noch gar nicht betreten dürfte. Mit angestaubten Videokassetten und eselsohrigen Schmuddelheftchen.

 

Ein Schönlings-Lotse mit dauergewelltem Haar kommt an Bord. Der kleine Wichtigtuer baut sich sogleich vor ihm auf, reckt sich, nimmt einen bedeutungsvollen Gesichtsausdruck an und stellt ihm irgendeine Frage. Der Lotse findet sich nicht nur schön, er hört sich auch ebenso gerne reden wie der Chief. Und er antwortet mit einem nicht enden wollenden Redeschwall. Der kleine Wichtigtuer und sein Kumpel scharen sich wieder zum Bewunderungsgrüppchen.

Das Abendessen lässt mich an meinem Vorurteil gegen russische Schiffsköche zweifeln: Es ist ausgezeichnet, und die folgenden Essen sind es auch. Die Offiziere und meine Mitpassagiere haben sich schon am Tisch breit gemacht und lassen sich bedienen. Ich mache es so, wie ich es auf der Antares und der Spica gelernt habe: Ich gehe in die Küche, suche mir mein Essen aus und nehme es mit in die Messe. Der Koch meint feixend, dass ich es so aber am Ersten Offizier vorbeibalancieren müsse. Der macht mir Platz und nimmt die Gelegenheit wahr, um schweigend in sein einsames Büro zu verschwinden.

Das Büro ist unten, neben der Messe. Es ist verraucht, die Möbel sind schäbig: Ein Schreibtisch mit einer abgeschabten Resopalplatte, ein zerschlissener Bürostuhl, zwei fleckige Küchenstühle, Regale, aus denen Ordner und Papiere quellen. Der Schreibtisch und die Stühle sind mit Papierstapeln bedeckt, und auch an die Wände sind Papiere gepinnt. Hier vergräbt sich der Erste Nacht für Nacht in seinen Listen, sortiert und heftet ab, ohne dass die Stapel je kleiner würden.

Bei Rendsburg kommen Schweigelotsen. Der Wichtigtuer baut sich mehrmals vor ihnen auf und tut interessiert. Die Lotsen tun nicht interessiert und sind es offenbar auch nicht. Nach einigen vergeblichen Versuchen verzieht er sich, seinen Kumpel im Schlepptau, beleidigt in seine Kammer.

Ruhe. Ich mache es mir in der Sitzecke am Fenster bequem, und endlich wird meine These ›Mindestens einen Netten gibt es auf jedem Schiff‹ bestätigt: Hier ist es der Second, den ich bisher nur mit Papier, Schere, Stift und Kleber über Handbücher und Seekarten gebeugt erlebt habe.

Er ist aus Kroatien. Dort gibt es wenig Arbeit, und es gibt auch kaum kroatische Schiffe. Aber umso mehr Agenturen, die Seeleute an Reedereien vermitteln, und über eine davon ist er auf die Annette gekommen. Elf Wochen muss er noch bleiben, im Sommer kann er nach Hause. Dann fährt mit seinem kleinen Boot hinaus auf die Adria und angelt, oder er legt an einem der vielen unbewohnten Inselchen an. Er würde gern auf einem größeren Schiff fahren, dann hätte er längere Seestrecken und eine etwas regelmäßigere Arbeitszeit. Er schaut mich aus müden Augen an, hier hat er kaum Ruhezeiten: Bei jedem Manöver ist er für die Leinen verantwortlich, und in den Häfen überwacht er die Ladearbeiten. Manchmal kommt der Erste Offizier erst nach dem Abendessen auf seine Wache, dann bleibt der Second eben zwei Stunden länger. Im Nord-Ostsee-Kanal muss er während der ganzen Durchfahrt auf der Brücke sein, der Kapitän und die anderen Offiziere schlafen. Richtig gesehen hat er den Kanal nie, er nutzt die Zeit, um die Seekarten zu berichtigen.

Der Second! auf der Antares hatte nicht so viel zu tun: Er musste sich ab und zu vom Kapitän anbrüllen lassen, zweimal täglich für vier Stunden auf der Brücke herumlungern und sich um die Leinen kümmern. Für die Ladung war der Erste Offizier verantwortlich, wie auch auf der Spica.

Am nächsten Tag darf der Second eine weitere Zusatzaufgabe wahrnehmen: Die Sicherheitseinweisung für die Passagiere. Er geht mit uns durch das ganze Schiff, erklärt die Alarmsignale und zeigt uns die Feuerlöscher, die Schwimmwesten und das Rettungsboot. Und er warnt uns vor dem kaputten Kran, unter dem sich eine Ölpfütze gebildet hat, mit der ich bereits schlüpfrige Bekanntschaft gemacht habe. Gestern hat der Chief an ihm herum geschraubt, aber das Öl tropft immer noch. Am nächsten Tag hängt eine Auffangwanne an der tropfenden Stelle, und der Chief bestellt ein Ersatzteil.

Die Decks sind nass, aber nicht, weil man sie etwa gewaschen hätte. Es hat vor Stunden geregnet, und die Abflüsse sind verstopft. Und überall sind Farbtröpfchen, an manchen Stellen sogar kleine Rostflecken. Was würde da der kleine Seebär sagen!

Die Offiziersmesse ist geräumig, mit viel freiem Platz, und sie ist mit Radio, Fernsehen und sogar einer Karaokeanlage bestückt.

Gemütlich ist sie nicht, dafür sorgen die Offiziere. An Land würden sie sich wohl aus dem Weg gehen, hier müssen sie die Eigenarten ihrer Kollegen ertragen.

Auf der Antares und auf der Spica hat man das mit viel Humor und noch mehr Toleranz geregelt. Wenn der Muffkopf mal wieder schmollend in seiner Ecke lungerte: Irgendwann würde er schon wieder sprechen. Und wenn er mal wieder den Salat verölte, dann aß man eben keinen Salat. Wenn der Chief wieder vor sich hinträumte und allen im Weg war: Irgendwann würde er schon wieder in die Realität zurückkehren. Oder wenn der kleine Seebär seinen Stapel abgegessener Teller neben sich auf der Bank türmte: Irgendwer würde sie schon wegräumen. Und wenn er – egal was es gab, und egal wie gut es war – am Essen nörgelte, nur weil keine Kartoffeln dabei waren: Es schadete nicht, wenn er mal nichts aß.

Auf der Antares haben sie gern ein wenig gestichelt: »Deine Maschine ist schuld, dass wir so langsam sind!«

»Nein, du bist schuld! Wenn Du nicht so einen komischen Zick-Zack-Kurs gesteuert hättest, wären wir auch schneller gewesen. Warum bist du nicht woanders gefahren?«

»Das ging ja nicht. Der Wetterbericht …«

»Wenn das wieder was von deinem Navigationskrams ist, will ich es eigentlich gar nicht wissen.«

»Ohne meinen Navigationskrams steckten wir jetzt im Eis fest!«

»Und ohne meine Maschine wären wir gar nicht erst zum Eis hingekommen!«

Hier herrscht verdrossenes Schweigen. Der See-Elefant knurrt ab und zu mal etwas, der Erste Offizier ist so gut wie stumm. Der Chief reagiert nur auf Schmeicheleien. Beim Abendessen tut der kleine Wichtigtuer ihm mal wieder den Gefallen: »Also der Einzige, der sich hier ›kopperativ‹ verhält … Ich will ja keinen Namen nennen …«

Kooperativ? Was hat er erwartet? Ein Empfangskomitee? Dass die Seeleute nebenberuflich als Animateure angestellt sind? Der ›kopperative‹ Chief lehnt sich breit grinsend in seinem Stuhl zurück und antwortet mit einer Art Insiderwitz: »Der Kapitän!«

Der Wichtigtuer kichert, zu lange und zu intensiv, und er lässt es sich nicht nehmen, doch noch den Namen zu nennen, und zwar den Vornamen. Ein Rumoren im Niedergang erspart dem Chief eine Antwort.

Der See-Elefant wälzt sich schnaufend in die Messe. ›Guten Abend‹, ›Mahlzeit‹ oder ähnliches scheint man hier nicht zu sagen. Er quetscht sich in seinen Platz am Kopfende, die Eckbank ächzt. Der Koch bringt ihm eine große Portion Kartoffeln, Fleisch und Soße, der See-Elefant mengt alles zusammen und schaufelt es, tief über den Teller gebeugt, Ellenbogen auf dem Tisch, in sich hinein. Mit vollem Mund brummt er vor sich hin. Als er seine doppelte Portion in sich hineingeschlungen hat, will er die Messe verlassen. Dazu muss er zunächst aufstehen: Er wuchtet sich zur Seite, die Bank knarrt. Dann stützt er sich mit der einen Hand auf den Tisch, der Tisch knarrt. Mit der anderen Hand klammert er sich an das Bullauge und hievt sich daran hoch. Vor dem Bullauge ruht er sich ein wenig aus und schaut hinaus. Dann schleppt er sich wortlos aus der Messe.

Kaum ist sein schwerer Schritt verhallt, fängt der Chief an. Mit seinen Kollegen redet er nicht, aber über sie! Der Kapitän sei so fett, dass es ekelhaft sei; und ihn würde es nicht wundern wenn ihn eines Tages der Schlag …

Jeden Abend Captain’s Dinner! Und damit nicht genug: Jeden Morgen Captain’s Breakfast und jeden Mittag Captain’s Lunch.

In der Nacht wird die See rau, das Schiff beginnt zu rollen. Und beim Frühstück richtet der Chief ausnahmsweise das Wort an mich: »Na: Seekrank?« Er grinst feist.

»Da müssen Sie mir schon etwas mehr bieten!« Ich weiß, dass wir bald in die Bucht einbiegen, und für den Notfall habe ich noch Fernet und das Zahnputzglas.

Im Hafen von Södertälje ist die Annette das einzige Schiff. Kein Kran bewegt sich, kein Container wird angeliefert, kein Mensch ist zu sehen. Es ist der erste Mai, auch hier in Schweden ein Feiertag. Um Punkt Mitternacht wird es sich schlagartig beleben: Denn dann beginnt der zweite Mai, und hier wird rund um die Uhr gearbeitet.

Kaum sind alle Leinen fest, patrouilliert ein Russe mit einem Bund altmodischer Bartschlüssel durch das Schiff und verschließt sämtliche Türen. Wenn man jetzt auf sein Deck hinaustreten möchte, muss man nach unten gehen, am Büro des Ersten Offiziers vorbei, zur einzigen offenen Tür hinausgehen, an der Gangwaywache vorbei und dann außen wieder nach oben gehen. Auf der Spica konnte man zu jeder Tür hinausgehen, sie hat an den Außentüren Riegel, die sich von innen öffnen lassen. Und auf der Antares konnte man, wann und wo immer man wollte, hinein- und hinausgehen, aber das war vor der Einführung der neuen Sicherheitsbestimmungen.

Beim Captain’s Lunch fragt der Wichtigtuer den See-Elefanten, warum er nicht langsamer gefahren sei, statt jetzt einen halben Tag lang zu warten. Der knurrt etwas von »nicht durchgeschaukelt werden wollen«, »auch mal schlafen wollen« und »egal«. Dann beendet er das Gespräch, indem er das Fernsehen einschaltet, auf ›laut‹ dreht und mit höchster Aufmerksamkeit eine schwedische Kindersendung verfolgt.

Nicht einmal ein Pförtner ist da, der Hafen ist ausgestorben. Man kann ihn durch eine Drehtür verlassen, in die andere Richtung lässt sie sich nur öffnen, wenn man eine Codenummer eingibt. Die Nummer gibt mir der See-Elefant, ordentlich auf einen zurechtgeschnittenen Zettel notiert, zusammen mit dem Liegeplatz und den Telefonnummern des Schiffes und der Taxizentrale von Södertälje. Wie man am besten in die Stadt kommt, weiß keiner, hier gehen sie so gut wie nie von Bord.

Der Hafen liegt in einem Industriegebiet. Der Weg in die Stadt führt an einer staubigen Straße ohne Bürgersteig entlang, an Fabrikhallen und Lagerschuppen vorbei. Die Stadt ist klein, ein paar Kaufhausblöcke in einer kahlen Fußgängerstraße und ein ungepflegter Park, in dem eine spärlich besuchte Mai-Kundgebung stattfindet. In einer zugigen Ecke liegt noch alter Schnee.

In der Bucht hinter dem Handelshafen sind ein Yachthafen und ein paar zwischen kahlen Bäumen verstreute Villen Kunterbunt. Für den Fall, dass die Codenummer nicht funktioniert, ist auch ein Restaurant da, in dem man warten könnte, bis der Hafen wieder geöffnet wird. Die Codenummer funktioniert aber. Und warten hätte man sowieso nicht müssen: Der Zaun, ein offenbar in Eile aufgestellter Bauzaun, reicht an einer Stelle nicht weit ins flache Wasser. Mit einem beherzten Schritt könnte man hier auf dessen andere Seite gelangen. Das Schlimmste, was einem dabei zustoßen kann, sind nasse Füße.

Wann wir fahren? Egal. Der See-Elefant weiß es nicht, und es interessiert ihn auch nicht. Warten scheint eine seiner Lieblingsbeschäftigungen zu sein.

Wir fahren am nächsten Morgen. Nach dem Frühstück kommt ein Lotse an Bord und macht es sich auf der Brücke gemütlich: Er kramt eine Plastiktasse, eine Thermoskanne und eine Brotdose aus einer speckigen Aktentasche und baut alles im Steuerstand auf. Dann macht er Freiübungen: Zehn Kniebeugen, zehn Rumpfbeugen, zehn Liegestützen. Anschließend schüttelt er Arme und Beine lange aus, zieht sich karierte Pantoffeln an, und es kann endlich losgehen.

Durch einen engen Kanal fahren wir in den Mälarsee. Der See verbirgt sich hinter Regenschleiern. Nur verschwommen erkennt man die vielen bewaldeten kleinen Inseln, manche unbewohnt, manche mit einem Quermarkenfeuer, andere mit niedrigen Holzhäuschen. Jedes Haus hat einen eigenen Bootssteg. Auf einer der Inseln soll die Königsfamilie ein Domizil haben, und irgendwo, in Dunstschwaden verhüllt, muss Schloss Gripsholm sein.

Beim Captain’s Lunch brummt der See-Elefant wieder vor sich hin: Der Lotse ist ihm nicht recht. Er habe auf der Brücke Sport getrieben und sich erlaubt, seine Aktentasche auf dem Kartentisch abzustellen! Dann wäre der Kartentisch endlich zu etwas gut gewesen, Seekarten liegen schließlich nur dann darauf, wenn der Second sie wieder aktualisieren darf. Außerdem habe er eine eigene Tasse mitgebracht. Ein anderer Lotse habe die Schiffstassen mit einer Taschenlampe ausgeleuchtet, ob sie auch sauber seien. Zur Strafe habe der dann überhaupt nichts bekommen, keinen Kaffee und auch nichts zu essen.

 

»Lotsen sind ein eigenartiges Volk. – Ich kann hier auch alleine fahren. Habe ich vor zwanzig Jahren auch gemacht.«

Zwanzig Jahre? Zwanzig Jahre lang Hamburg – Schweden – Hamburg – Schweden – Hamburg – Schweden …

Als wir Västeras erreichen, regnet es immer noch. Der Hafen besteht aus einem einzigen langen Kai, an dem mehrere kleine Schiffe liegen. Dahinter Schrott, Holzstapel, einige Haufen Schüttgut, ein paar Container. Die Annette, die in Hamburg zwischen den Containergiganten aus Fernost so winzig wirkte, ist hier das größte Schiff. Wir legen am hintersten Ende des Kais an, fast außerhalb des Hafens. Kaum sind alle Leinen fest, da müssen sie auch schon wieder losgemacht werden, und wir fahren weiter nach vorne, dorthin, wo geladen wird.

Der See-Elefant füllt wieder Landgangszettel aus. Als sie fertig sind, ruft er an. Ich gehe ins Büro, dort ist nur der Erste Offizier. Er schaut irritiert auf, weiß nichts und wühlt fahrig in seinen Papierstapeln. Bis der See-Elefant sich persönlich aus der Messe wälzt und die Zettel übergibt.

Es regnet nicht mehr, es schüttet. Ich warte an Deck, bis es nachlässt, und unterhalte mich mit dem Second. Er wäre wohl gern an Land gegangen, aber er darf nicht, er muss sich um die Ladung kümmern. Er kann nur dann an Land, wenn im Hafen nicht gearbeitet wird. Das war gestern der Fall. Zum ersten Mal, seit er an Bord ist.

Der einzige Ausgang des Hafens ist am von der Stadt abgewandten Ende. In der Nähe ist ein Bushäuschen mit abblätternder Farbe. Ohne Fahrplan und wohl auch ohne Bus. Einen Bürgersteig gibt es auch nicht. Ab und zu rast ein Lastwagen vorbei, und man muss in den Schlamm am Straßenrand springen, um sich in Sicherheit zu bringen. Die Straße kreuzt sich mit einer vierspurigen Schnellstraße, die in die Stadt führt. Vorbei am Hafen, einem Kraftwerk und Schwerindustrieanlagen. In der Stadt ist nichts Bedeutendes, man hätte unter einem Dach gehen können, aber inzwischen hat wenigstens der Regen aufgehört. Ein Betrunkener mit einer Bierdose in der Hand torkelt durch die Einkaufspassage, bemüht ignoriert von den wenigen Passanten.

Ich gehe früh zurück zum Schiff. Die Ladearbeiten sind noch in vollem Gang. Der Second eilt mit an einem Klemmbrett befestigten Listen zwischen den Containern auf dem Hauptdeck umher, überprüft, blättert und hakt ab. Die Russen klettern in den Laderäumen herum, beschaffen Twistlocks und Laschingstangen, laschen die Container fest und helfen den Hafenarbeitern, sie in ihre Positionen zu bringen. Nur Einer sitzt in sich zusammengesunken auf dem Sockel eines Krans und döst. Und der Erste Offizier spaziert gemächlich neben dem Schiff auf und ab, raucht und überprüft gelegentlich eine Leine.

Meine beiden Mitpassagiere waren nicht in der Stadt. Sie haben eine andere Nachmittag füllende Beschäftigung gefunden: Sie haben in einen Laderaum hineingeschaut. Und eigentlich hätte ich das auch lieber getan.

Beim Abendessen tönt der Chief in Maschinenraumlautstärke, dass der Regen, der inzwischen wieder so stark ist, dass man kaum etwas sieht, kein Problem sei. Aber im Winter: Da sei alles voll Schnee, und im See türmten sich die Eisschollen. Ich höre nicht zu und stelle mir vor, wie der See-Elefant, allein auf der Brücke, grollend im Eis stecken bleibt, wie der Chief, künstlich besorgt um seine Maschine, nach oben stürzt, und wie der Erste Offizier rauchend in seinem einsamen Büro neben der Messe seine Listen umsortiert und von allem nichts mitbekommt.

Auf der Antares waren immer alle Offiziere auf der Brücke, wenn es etwas zu sehen gab. Auch der Chief. Kaum hatten wir in Helsinki abgelegt, kam er auf die Brücke, ein Putztuch hing noch aus seiner Hosentasche, und postierte sich neben den Ersten Offizier hinter den Steuerstand, in dem der Kapitän saß und sein Schiff durch die zugefrorene See lenkte. In der finnischen Winterdämmerung tastete sich der Eisscheinwerfer durch eine weiße Wüste, in der sich vage die Spuren anderer Schiffe schlängelten. An Steuerbord die Umrisse zweier kleiner Holzfrachter, sie steckten fest. Wir kämpften uns langsam voran, am Bug krachten die Schollen. Die Rinne wurde enger, wir wurden langsamer: zwei Knoten, ein Knoten, und dann Null. Wir fuhren ein wenig rückwärts, wieder vorwärts, und wir kamen noch ein Stück voran. Dann steckten wir wieder fest, nichts ging mehr. Wir riefen den Eisbrecher, wir warteten. Die Sonne stand tief, die Eisschollen warfen lange Schatten. Ein Schatten, dunkler als die anderen, bewegte sich. Kegelrobben! Eine Mutter mit ihrem Kind sonnte sich auf einer Eisscholle, ganz nah am Schiff. Sie ließen sich auch nicht vom Eisbrecher vertreiben, der uns einen Weg zu einer anderen Rinne brach.

Die Redezeit des Chiefs ist heute begrenzt, er muss in den Maschinenraum. Wir legen ab, und gegen Mitternacht sind wir schon wieder in dem Kanal von Södertälje. Am Morgen liegen wir in einem kleinen Ostseehafen, der auch bei Sonnenschein trist wäre. Es regnet aber. Geröll, Schutthaufen, ein paar Schuppen, ein bisschen Industrie, die Rauchschwaden einer Müllverbrennung. Ein Abwasserkanal mit Lachmöwen und ein paar Schären mit abgestorbenen Bäumen, in denen Hunderte von Kormoranen nisten. Viel Ladung bekommen wir nicht, und wir legen bald wieder ab.

Der Chief möchte seinen zwei neuen Freunden den Maschinenraum zeigen. Auf die Idee, dass ich auch Interesse haben könnte, kommt keiner. Meinetwegen, ich habe genug Maschinenräume gesehen, so anders als auf der Antares und der Spica wird es hier nicht sein.

Beim Mittagessen plappert der kleine Wichtigtuer, wie großartig es war: Er hat eine Schiffsmaschine gesehen, riesengroß und ohrenbetäubend laut! Und was der Chief alles weiß! Und was er alles gezeigt hat! Sogar eine kleine Kläranlage ist an Bord! Und das Trinkwasser macht der Chief aus Meerwasser selbst!

Wir sind auf dem Heimweg. Der nächste Hafen wird Hamburg sein. Vor uns liegen noch über vierhundert Seemeilen, fast dreißig Stunden Ostsee, dann der Nord-Ostsee-Kanal und die Elbe. Die Niedergänge werden gewischt, und neue Lappen zum Abputzen der Schuhe werden ausgelegt.

Die Außendecks, die Wände und die Fenster werden abgewaschen. Das macht ein einzelner Russe ganz alleine. Das Schiff glänzt, und endlich glänzt auch die Sonne. Der einzige Deckstuhl, den es hier gibt, ein schmuddeliger weißer Plastiksessel für vier Euro fünfundsechzig aus dem Baumarkt, ist besetzt. Einer der Russen hat es sich mit einer Tasse Tee und ein paar Zeitschriften in der Sonne gemütlich gemacht.

Mittags ist hier die Zeit, zu der man auf die Brücke gehen sollte: Die Wache des Second. Er zeigt mir unseren Kurs auf der elektronischen Seekarte, wir trinken Kaffee und unterhalten uns. Dann kommt der See-Elefant herein gewalzt, und der Second verzieht sich in die Kartenecke. Der See-Elefant lässt sich am Computer nieder, und der Bürostuhl muss wieder seufzen. Er bleibt auf der Brücke, der Second bleibt in der Kartenecke. Vor dem Abendessen schleppt sich der See-Elefant nach unten und kommt mit einer großen Geldkassette zurück. Dann muss der Second die Russen einzeln auf die Brücke rufen, und der See-Elefant zählt ihnen ihre Heuer auf den Tisch. Aber nur, wenn sie vorher quittieren.

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