Za darmo

J’accuse

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Meine Beschwerde legte ich dem Kommandanten persönlich vor, der mich, nachdem er sie nochmals gelesen, rufen ließ. Es war dies auf dem Hofe. Er nahm mich beiseite, dann sagte er, er selber sei außer sich, daß so etwas vorgekommen sei, aber er könne nichts dabei tun. Ob ich nun damit zufrieden sei, daß er sofort nach Corté geschrieben, der Gouverneur möchte provisionell Order geben, daß ich als Offizier nach Corté berufen werde. Er selber könne nur verfügen, daß, ich nicht weiter unter Herrn Dr. M. zu stellen habe. Ich sprach nun sehr erregt zu ihm, erst französisch, dann riefen wir den Dolmetsch, Comte Peraldi. Ich bat ihn, dem Kommandanten zu sagen, daß ich nicht für mich spräche, sondern für die anderen. Dr. M. hat heute zwei Herren, Radei und Bonitz, die sich krank gemeldet, gesund geschrieben, und läßt sie wegen falscher Krankmeldung einsperren. Aber er hat kein Urteil über ihre Krankheit und kann es nicht haben, da er sie nicht einmal den Rock hat öffnen lassen, geschweige denn irgendeine Untersuchung vorgenommen hat. Ich kann wissenschaftlich beweisen, daß der Herr Dr. M. so keine Diagnose stellen kann, daß es sich bei ihm also nur um persönliches Uebelwollen handelt. Ich fuhr noch erregter fort: „Herr Kommandant, so sterben die Menschen hin, und so wird einer nach dem andern diesem Arzt zum Opfer fallen.“ Graf Peraldi verdolmetschte, ich griff des öfteren in schlechtem Französisch ein und sprach mit Händen und Füßen. Er fragte, was ich von ihm verlange. Ich antwortete, wir bäten um einen anderen Arzt, der Kranke sich zum mindesten ansähe. Weiter bat ich, man möchte von einer Bestrafung Radeis und Bonitz’ Abstand nehmen. Sie könnten weder arbeiten noch ins Gefängnis; sie seien krank. Er versprach alles, der arme Mann, wenn er es auch halten könnte! Um seinen Worten Applomb zu geben, rief er den Leutnant Simeoni, dem diktierte er die Namen beider mit dem Befehle, sie dürften nicht arbeiten, auch nicht in der Infirmerie, es sei ihnen auch jede Strafe zu erlassen.

Dann wandte er sich an mich und fragte, ob ich nun zufrieden sei. Ich war es und dachte, es würde geschehen, wie er es gesagt. Ich Optimist! Es waren wenige Stunden nach dieser Unterredung vergangen. Ich stehe in der Küche mit Bonitz und Radei und erzähle ihnen von dem Erfolge bei dem Kommandanten. Da kommt die Ordonnanz des Arztes: Bonitz und Radei sollen kommen zur Arbeit. – Ich sage: Ich habe Auftrag vom Kommandanten, die beiden dürfen nicht arbeiten. Er kommt zum zweiten Male; ich rufe mir den Comte, der heute verdolmetscht hat. Der sagt der Ordonnanz: Sagen Sie dem Dr. M., Befehl vom Kommandanten, daß Bonitz und Radei arbeitsfrei sind. Jetzt kommt er zum dritten Male. Der diensthabende Offizier Simeoni steht da; ich wende mich an den. Simeoni sagt, daß er den Befehl habe, die beiden nicht zur Arbeit zu schicken.

Während ich mit dem verhandle, stürzt wie eine Viper aus dem Verstecke Dr. M. auf mich zu, den keiner vorher gesehen hatte. Er ergreift mich an der Weste: „Sie sollen’s mir büßen; jetzt sollen Sie arbeiten!“ Im Nu war ich umringt von bewaffneten Forestiers und wurde abgeführt.

Nun kommt, was folgt:

Casabianda, 10. Dezember 1914.

Herr Kommandant!

Meiner gestrigen Beschwerde über Herrn Dr. M. füge ich heute eine neue, weit schwerere zu:

Herr Dr. M. hat mich gestern handgreiflich festgenommen, mich unter Zurufung der Forestiers, unter Androhung von Gefängnis zum Lazarett zur Zwangsarbeit führen lassen, ist selber dorthin gekommen und hat mir aufgetragen, den Abort des Lazaretts zu reinigen und mich zur Arbeit angetrieben. Ich habe die Arbeit getan, bis ich durch Sie, Herr Kommandant, erlöst wurde. Der französische Militärarzt hat mich als wehrlosen gefangene deutschen Militärarzt in einer Weise, die mich entehren sollte, beleidigt.

Mit dem Vorgehen des Herrn Dr. M. gegen mich ist der internationale Aerztestand durch einen Arzt, der Offizierstand durch einen Offizier beschimpft. Ich bitte Sie, Herr Kommandant, mich zu schützen vor den Angriffen dieses Herrn und meine Beschwerde höheren Ortes vorzulegen.

Ich bin…

Der Vorfall hatte natürlich im Lager das größte Aufsehen erregt. Marcantoni stand wie ein Satan neben mir; ich war völlig ruhig, er um so erregter. Er schaufelte mit den Händen Schmutz vom Boden und sagte mir, so sollte ich es machen. Ich nahm einen Eimer, Wasser zu holen, während er im Lazarett blieb. Den Eimer ließ ich am nächsten Wasserkran stehen und lief herauf zum Kommandanten, der gerade im oberen Lager war. Der ging mit Simeoni und dem Comte. Ich trat auf ihn zu und berichtete deutsch, was mir Dr. M. zugemutet. Er war äußerst erregt, schickte sofort den Comte mit mir zu Dr. M., mit nun endlich energischem Befehl, mich zu keiner Arbeit, sei es, welche es sei, zuzuziehen. Der Comte war selber erregt, als er den Befehl überbrachte. Der Arzt gab mich frei.

Es war viel und Schweres, was mir in der kurzen Zeit durch den Kopf ging. Widerstand, Weigerung! Fünf bis zehn Jahre Zwangsarbeit stehen darauf. Den Mann niederschlagen! Tod ohne Zweifel, füsiliert werden. Ehrlos verscharrt werden in französischer Erde, nie den Meinen sagen dürfen, was mir geschehen und in mir unserer Nation, unserem Stande!

Ich bin mit Willen der Waffengewalt gewichen und tat das einzige, was ich tun konnte und mußte. Die Gründe sind klar. Erstens stehen Bonitz und Radei mir gesellschaftlich nicht nach, und was die arbeiten müssen, kann ich auch. Außerdem hat man mir eine Waffe in die Hand gegeben, die ich für andere gebrauchen kann. Ueber einen Zwischenfall traurigster Natur, der in diese ganze Aufregung fällt, will ich hier berichten. Schielke und Pressel sind flüchtig geworden, sie wollten am Strande ein Boot nehmen und nach Elba oder Sardinien fahren. Das ist fehlgeschlagen, sie sind festgenommen und zu vier Wochen schweren Kerkers verurteilt worden. Was das heißt, weiß keiner, der nicht diese vorweltlichen Löcher gesehen. Lt. Simeoni hat sich geäußert, sie wüßten wohl, daß da keiner nach vier Wochen lebendig herauskäme. Wir hoffen, es zu erreichen, daß die Strafe gemildert wird, sonst fürchten wir für ihr Leben.

Mein Kelch ist nicht voll, er beginnt sich langsam zu füllen. Ich bin gefaßt auf alles. Das eine hoffe ich jetzt mit immer größerer Zuversicht, daß man mich nicht geistig unterkriegen wird, wenn der Körper standhält. Ich spüre im Gegenteil etwas wie Gesundung. Je mehr auf mich geschlagen wird, desto härter will ich werden.

Am nächsten Morgen, dem 10. Dezember, überreichte ich meine Beschwerde persönlich dem Kommandanten. Er geriet in heftigste Erregung, ich habe ihn nie so gesehen. Aber die Angst, die Beschwerde weiterzugeben, überwog doch alles anständigere Denken. Er beschwor mich, ich solle ruhig bleiben, die Schuld trage die wahnsinnige Erregung der Franzosen gegen uns. Ich blieb fest, der Comte unterstützte mich. Der Kommandant sagte in größter Erregung: „Le docteur est un homme charmant mais d’un race sale.“ Der Comte übersetzte mir das: Dr. Br. ist ein scharmanter Mann, aber leider eben Deutscher. – Ich hatte mir das Wort, das ich nicht verstand, aber gemerkt, und ließ es mir später richtig übersehen, sale heißt schmutzig. So beleidigte also auch der Kommandant seine Gefangenen, der uns als Gentleman galt.

Der Kommandant lief dann noch einige Male im Zimmer umher. Schließlich blieb er vor mir stehen und sagte: „Besinnen Sie sich 24 Stunden, so lange gebe ich Ihnen Bedenkzeit. Wenn Sie dann auf der Beschwerde bestehen, werde sich sie weiterreichen. Aber ich warne Sie.“ Ich ging, und nach 24 Stunden trat ich wieder vor ihn.

Was wird nun kommen? Vielleicht leugnet M. alles, dann komme ich vors Kriegsgericht wegen Verleumdung, oder 30 Tage Kerker! – Gut! —

Repressalien folgen auf Repressalien, unerträglich fast.

Die Arbeiter und die Soldaten haben durchaus minderwertige Ernährung und weigern sich, hungernd zu arbeiten. Ein Trupp Soldaten wird vom Arbeitsführer zurückgebracht, jeder einzelne hat erklärt, er habe Hunger und fühle sich nicht fähig zur Arbeit. Sie werden vor das Haus des Kommandanten geführt, der droht ihnen, Bericht zu machen und ihren Transport nach Marokko zu beantragen. Aber er fühlt doch, daß es so nicht weitergehen kann, und so verhandelt er mit einigen von ihnen und gibt den Arbeitern Zulage an Brot und sonstiger Nahrung. Wieder wurde eine drohende Gefahr beseitigt. —

Wenn in unserem Zimmer auch keine Infektion aufgetreten ist, so hatten wir doch einen schweren Fall von Blinddarmentzündung, der für uns den immer wiederkehrenden Streit mit dem Lagerarzte auslöste. Marcantoni wird gebeten, den Kranken zu sehen. Er verweigert das: „Herunter soll er kommen, oder oben krepieren.“ Wer nur eine Ahnung von Blinddarmentzündung hat, der kennt auch die Gefahr, welche ein Aufstehen und Gehen mit sich bringt. Die Temperatur steigt und Schüttelfrost tritt auf. Zufällig kommt nachmittags der Kommandant zu uns, nun bitte ich ihn, den Kranken zu sehen, wir ständen machtlos, da uns jede Hilfe verweigert würde. Der Kommandant sagte, wie ein Greis mit den Achseln zuckend, wieder dasselbe: „Ich kann nichts tun. Marcantoni und immer noch Marcantoni! Keiner ist verantwortlich als der.“ Nun aber nahte auch die Aera Marcantoni ihrem Ende und heute war der Vielgeplagte auf Urlaub gefahren, ein junger Arzt vertrat ihn, der ihn bald ersetzen sollte. Das überdachte in diesem Augenblick der gestrenge Kommandant, und er gab mit Genehmigung dieses Arztes die Erlaubnis, das zweietagige Bett abzusägen und den Patienten im Bett herunterzutragen. Der hat sich in wenigen Wochen vom ersten Anfall erholt, und Marcantoni ließ seiner wissenschaftlichen Ader wieder freien Lauf und gab der Krankheit einen anderen Namen. – Aber es ging abwärts mit Marcantoni. Die Schweizer Kommission kam unter Führung des Obersten Marvall. Auf den trat ich im Beisein Marcantonis zu, Dr. Heller auch, und nun berichteten wir von diesem Manne, der sich seines Standes unwert gezeigt, als Arzt und als Offizier. Wir wurden erregter und erregter, Marcantoni sah hämisch drein, er konnte nicht Deutsch, aber er fühlte jedes Wort, und unsere Augen wandten sich immer wieder zeigend gegen ihn, und der Oberst hörte zu und machte Notizen. Als ich auf das unerhörte Vorgehen Marcantonis gegen mich kam, wandte sich der Oberst zu mir: „Ah, Sie sind Doktor Brausewetter?“ Als ich bejahte, sagte er: „Nun, dieser Vorfall ist schon dem Roten Kreuz genau zur Vorlage gekommen; aber bitte, berichten Sie darüber noch einmal ausführlich.“ Einige Male unterbrach er: „Wurden Sie mit Gewalt bedroht?“ Ich bejahte, er notierte. Wir wollen hiermit die Tragödie Marcantoni beschließen, auch Patroklus-Maurer ist gestorben! Marcantoni verschwand bald von der Bildfläche, man hat ihn nicht wieder gesehen. Nach Berichten hat er die Uniform ausziehen müssen und ist zu 30 Tagen Gefängnis verurteilt. Jedes weitere Wort über diesen psychologischen Jago wäre zuviel. – Ob wir dafür Herrn Obersten Marvall zu danken hatten, weiß ich nicht. Marcantoni war zum Fällen reif gewesen, und ich weiß auch, wer in der Schweiz so energisch für mich und gegen diesen Partei ergriffen.

 

Mit dem neuen Kommandanten, den wir als Ersatz des Herrn Teissier in Herrn Pleit, erhielten, sahen wir das Aufgehen gerechterer Tage, und es schien wirklich so, aber der Herr blieb nur kurze Zeit bei uns, wir haben es bedauert. —

Fünf unserer Mitgefangenen sind entflohen.

Sie haben am Strande ein Boot genommen, das sie eingerichtet haben. Zwei Nächte noch mußten sie auf der Insel kampieren, während sie am Tage segelten, am dritten Tage kamen sie nach Sardinien, wo sie gut aufgenommen und nach Rom befördert wurden. Dort nahm die deutsche Botschaft sie in Empfang und versorgte sie zur Weiterfahrt. Die Glücklichen! Sie haben Mut bewiesen und ihr Glück verdient. – Daß wir darunter litten, war klar. Wieder wurde verschärft, was noch zu verschärfen war. Ein neues Mittel wurde erfunden. Sämtliche Ausgänge wurden mit Gefangenen als Posten besetzt, das war ein ergötzliches Bild und führte zu ergötzlichen Szenen. Marder, welcher an dem Tore, das zu den Ställen führte, Wache hatte, waltete streng seines Amtes. Ein Franzose hatte einen Gefangenen beauftragt, ihm etwas von dort zu besorgen, Marder ließ ihn nicht durch. Nun kam der Franzose selber und forderte den Durchgang für den Beauftragten, worauf M. ihm kühl erwiderte: „Sie dürfen durch das Tor und sich alles besorgen, der Gefangene darf nicht durch. So ist mein Auftrag.“ Ein „sale boche!“ fluchend, mußte der sich nun selber bemühen. Gleich darauf wurde Marder seines Amtes, das er zu genau verwaltet hatte, entsetzt. Man kann es den Herren nie recht machen. —

In diese Zeit fällt der Entscheid über meine von allen Seiten unterstützte Eingabe um Freilassung. Und nun muß ich noch einmal, trotz meines Schwures, den Namen des widerlichen Mannes erwähnen. Die französische Regierung schrieb an die amerikanische und spanische Botschaft, daß sie gern meine Freilassung verfügt hätte, besonders da eine so hohe Dame, wie die Infantin Beatriz von Spanien, sich darum bemüht habe, daß dies jedoch unmöglich geworden sei durch das Attest des Arztes. Dr. Brausewetter sei „en parfait état de sante“, wie eine „enquête minutieuse“ ergeben, und „mobilisable“. Das war die Rache Marcantonis gewesen. Ich war ja so vieles gewöhnt worden, aber um meine Frau war mir’s leid. Die hatte so tapfer gekämpft, und nun diese Enttäuschung!

Der Zorn war bei ihr aufgewallt und bei mir. Ich setzte mich sofort hin, schrieb an beide Botschaften und auch an die Infantin Beatriz, daß mich das sichere Urteil des Arztes und die „enquête minutieuse“ aufs äußerste in Erstaunen gesetzt habe. Dr. Marcantoni habe nie eine Frage meiner Gesundheit wegen an mich gestellt, trotzdem die Bescheinigung des preußischen Kriegsministeriums vorgelegen, daß ich wegen Lungentuberkulose aus dem Heere geschieden sei; viel weniger habe er auch nur einmal mich untersucht. Es sei unerklärlich, wie er zu solchem Urteil käme und wie die Note der französischen Regierung von einer „minutieuse enquête“ sprechen könne. Wieder kam der Stein ins Rollen, aber der Weg, den er rollen mußte, war vorgezeichnet. Ein Arzt aus Bastia kam nach einiger Zeit, mich – nun zum ersten Male – zu untersuchen. Er bestätigte meine Angaben nach genauer Feststellung des Befundes und sagte mir dann, ich würde nun freikommen, sein Bericht sei günstig für mich. Durch das Bureau erfuhr ich, daß er mich als immobilisable für jeden militärischen Dienst eingegeben habe, und daß damit meiner Freilassung nichts im Wege stände. Aber das konnte dem Ministerium natürlich nicht passen, es wäre in eine schlimme Lage gekommen und hätte der Infantin gegenüber einfach bekennen müssen, daß die leichtsinnige oder bewußt feindliche Eingabe des Marcantoni zu einem Irrtum geführt habe. Ein zweiter Arzt wurde beordert, das war bestellte Arbeit; er untersuchte mich und erklärte, daß zwar die Leiden vorhanden seien, daß ich aber doch soweit gesund sei, um einen service militaire zu tun. Was sollte das wohl für ein service militaire sein? Ich war doch Arzt, sollte ich zum Schreiber degradiert werden? Die Antwort der Regierung war klar. Es sei, so hieß es, nach dem Attest des ersten Arztes schon meine Freilassung verfügt gewesen, man habe aber nach dem Attest des zweiten die Verfügung wieder streichen müssen. Das war ja sonnenklar und hat uns nicht weiter überrascht. Ausharren hieß es nun und immer wieder ausharren, ob auch schwere Wolken über uns hingen.

Daß die fünf Flüchtlinge nicht zurückkehren wollten, erzürnte die Machthaber, und deren Gereiztheit stieg. Nun hatten wieder fünf Mann einen Fluchtversuch gemacht: Marder, Seifried, Liebscher, Soennickens und Kühl, aber das Glück hatte sie nicht begünstigt wie ihre Vorgänger, sie wurden eingefangen und Gegenstand neuer unerhörter Vorgänge in Casabianda. Der frühere Polizeipräfekt von Paris, Herr Lepine, kommt nach Casabianda und betrachtet den Schauplatz so vieler Fluchtversuche. Die Erregung steigt auf allen Seiten aufs höchste, und ein seltsamer Abend war es, wie die Vorabende schwerer Ereignisse, als ich am 29. März, unserem Hochzeitstage, noch spät aufsaß und an meinem Tagebuch schrieb. Ich war lange über Erlaubnis aufgeblieben und schrieb alles nieder, was mir durch Herz und Sinne ging. Da öffnete sich gegen elf Uhr etwa, ohne daß ich ein Geräusch hörte, die Tür, ein Korporal wies auf mich: „Voilà.“ Hinter ihm trat der Chef-Adjutant, der Schwarze oder Mephisto, wie wir ihn nannten, ein, eine unheimliche Figur, wie auf der Lauer. Als er mich sah, war er ruhig: „Es ist Zeit, zu Bett zu gehen!“ sagte er, weiter nichts; dann ging er, lautlos wie er gekommen. Die Reitpeitsche, die ihn immer begleitete und die noch eine große Rolle spielen sollte, hatte er in der Hand getragen. Was hatte er gewollt, auf wen fahndete er? Etwas war im Gange gewesen, und der nächste Morgen brachte die Enthüllung. Wenige Stunden nach dem rätselhaften Besuche, der wohl mir nicht gegolten hatte, waren aus dem Nebenraum wieder sechs Mann entflohen. Sie hatten sich an Seilen von ihrem Fenster, dessen Kreuz sie ausgebrochen hatten, an der Stallmauer herabgelassen, waren so ins Freie auf gefährlicher Tour gelangt. Am nächsten Morgen war eine furchtbare Aufregung im Lager, die Flüchtlinge waren schon um drei Uhr morgens wieder eingefangen und saßen im Kerker.

Das war in der Nacht vom 29. zum 30. März geschehen. Vor wenigen Tagen hatten wir erfahren, daß der Chef-Adjutant drei der früheren Flüchtlinge in ihrer Kerkerzelle aufgesucht und mit der Reitpeitsche geschlagen hatte. Was diese Nacht geschehen, war das Ungeheuerlichste, was wir in unserer Gefangenschaft erlebten. Es drang erst gerüchtweise zu uns, wir wollten ihm nicht Glauben schenken, bis eine dahingehende Frage, die den vorübergeführten Gefangenen rasch gestellt worden war, bejaht wurde. Immer mehr kam aus guten Quellen eines nach dem anderen zutage. Simeoni hatte die Flüchtlinge um drei Uhr morgens, als sie von der Wache herangeführt wurden, vor dem Tore sich nackend entkleiden lassen, sie mit der Peitsche blutig geschlagen, auf den nackten Körper, jeden einzelnen, ihre Kleidung ins kalte Wasser geworfen, sie dann mit der Peitsche in den Kerker getrieben, dort von neuem gepeitscht. Wir wollten nicht glauben, was wir erfuhren, aber der Graf Peraldi selber sagte einem von uns alles, und als die erste Beschwerde abging, in welcher wir fälschlich den Chef-Adjutanten bezichtigten, gab er das Schreiben zurück: es sei nicht der, sondern Simeoni und ein anderer Offizier gewesen, den wir Falstaff nannten. Darüber hinaus gab es nichts, war das möglich gewesen, so konnten wir alles erwarten und es galt jetzt zu handeln. Faikos hatte die erste Beschwerde als Gruppenführer geschrieben, es war keine Antwort erfolgt. Jetzt trat an andere die gleiche Aufgabe heran, an mich als etwa Rangältesten, an Baron v. Weichs und Dr. Steinbrecher, die von ihren Gruppen dazu ersehen waren. Wir unterzogen uns der Aufgabe, der Gefahr uns wohl bewußt. Ehe ich die Eingabe machte, habe ich noch einmal mir von den Gefangenen die Einzelheiten bestätigen lassen, und folgende Briefe trafen aus dem Kerker ein.

Zivilist X., Korporalschaft Y.:

Lieber X.!

Simic, Lariga und ich waren heute zur Untersuchung. Der Arzt sagt, daß wir uns, die von dem Hieb herrührenden Wunden selbst beigebracht hätten. Ich konnte allerdings an seinen Mienen und an denen des Mephisto und des Grafen sehen, daß sie vom Gegenteil überzeugt waren. Man hat eben nur der Form genügt. Der Rote wartete draußen auf das Resultat. Der Graf und Mephisto sind uns wohlgesinnt. Der Graf bedauerte mein hartes Los. Ihr könnt mir alles bringen, Mephisto drückt beide Augen zu. Laß Dir also von Klos zwei Decken, Unterhosen und Mundharmonika geben und bringe den Kram rauf, auch Eßwaren aus der Kantine und falls Pakete angekommen sind. Auslagen vergüte ich Dir. Ebenso die weißen Schuhe vom Wandbrett und Spielkarten von X., und an der Bettstelle hängt ein kleiner Mantel, in welchem Du alles verstauen kannst. Besten Dank usw.

Lieber X.!

Zuerst die Angelegenheit mit Simeoni. Wir wurden also hinter dem Gut an der Düngergrube von einem Posten 3¼ Uhr und unter vielem Theater an das verschlossene Eingangstor geführt. Nachdem wir etwa eine Viertelstunde gestanden, kam Simeoni mit der Wache, die Bajonette aufpflanzen mußte. Simeoni gebärdete sich wie ein in höchster Ekstase befindlicher Wahnsinniger. Die eine Faust im Munde, knirschte er wie ein angeschossener Eber und in der erhobenen Rechten schwang er einen dreizölligen Ochsenziemer, den er zunächst wahllos über alle herniedersausen ließ. Als er dann des Heer ansichtig wurde, glaubte ich, er platze vor Wut: cochons, boches usw. regnete es. Er fuhr Heer mit der Linken an die Kehle und ließ die Rechte fast drei Minuten lang auf dessen Schädel platzen, während ihn außerdem noch ein Förster festhielt. Dann hieß es, obgleich wir durchnäßt von Schweiß waren, splitternackt ausziehen. Heer war zuerst fertig, unter beständigen Schlägen, bekam einige besonders wuchtige Hiebe und flog nach links. Dann kam Simic, dem der bärtige Oberleutnant Stefani an die Kehle fuhr und ihn an die Wand drückte, mit der Rechten fest den Kopf bearbeitend. Dann flog er zu Heer. Mittlerweile hatte Simeoni bei Reichel das um den Leib gewickelte Seil entdeckt. Neuer Ausbruch des Vesuvs. Mit dem umgekehrten Ochsenziemer einen Schlag über den Kopf, das Loch sieht man heute noch. Noch einige Schläge über Rücken, Gesicht und Schenkel, und er flog samt Amade rüber zu den übrigen. Amade erhielt einen Hieb über den Rücken von ungelogen 2 Zentimeter Breite. Jetzt erblickte er mich. Ich wurde die ganze Zeit von einem Förster visitiert, der mich vielleicht so vor dem Strafgericht zu retten dachte. Simeoni zu mir: Was, du Schwein bist noch nicht ausgezogen? begleitet von einigen Hieben. Ich zog mich so schnell als möglich aus, welchen Augenblick Lariga benutzte, um zu den anderen zu entweichen. Ich bekam seine Hiebe mit und flog mit einem Fußtritt zu den anderen. So standen wir etwa sechs Minuten. Dann mußten wir die Kleider über die Arme nehmen und zum Kerker marschieren. Ich war der letzte und bekam unterwegs noch einige Hiebe über den Rücken. Am Kerker neue Wutszene. Wir mußten einzeln vor die Halle treten, bekamen jeder zwei echte germanische Jagdhiebe und durften eintreten. Dann wurde Reichel herausgeholt, natürlich immer noch ohne jedes Bekleidungsstück. Mit der Linken hielt er ihm den Revolver vors Gesicht, in der erhobenen Rechten wieder den Ochsenziemer. „Jetzt sagst du Schwein mir die Wahrheit, wo ihr heruntergekommen seid.“ – „Bei der Bäckerei.“ Klatsch, gab’s einen Hieb. „Willst du die Wahrheit sagen.“ Reichel blieb dabei. Dann kam ich und ich sagte natürlich dasselbe, und daß wir Eier holen wollten. „Du lügst, du Hund, um vier Uhr war man bei mir und hat mir alles gesagt.“ Ich sagte: „Ich verstehe das nicht, da doch alles so ist, wie ich sage.“ In dem Augenblick kam der Kommandant und wir durften uns anziehen. – Wer hat nun die Geschichte brühwarm hinterbracht? Gruß

 
Ulrich.

Ein anderer Herr im Lager hatte einen Beschwerdebrief aufgesetzt, der mir und vielen anderen viel zu lau gegen diese unerhörte Barbarei erschien; ich sagte ihnen, ich wolle selber das Schreiben verfassen und verlas es dann. Es hatte vollen Beifall und folgenden Inhalt:

1. 4. 15.

An die amerikanische Botschaft, Paris.

Im Namen und Interesse der in Casabianda unter Militärverwaltung internierten Zivilgefangenen erlaube ich mir folgendes vorzutragen:

Die in Casabianda internierten Zivilgefangenen sehen sich in der dringenden Lage, die Hilfe der nordamerikanischen Botschaft, deren Schutze sie unterstellt sind, anzurufen, weil ihre Behandlung dem hohnspricht, was sie selbst in Kriegszeiten als menschenwürdig anzusehen gewohnt sind. – Alle Repressalien, welche gegen sie ergriffen sind, wiegen nichts gegen das eine, die entehrendste aller Strafen, die Prügelstrafe in ihren Reihen. Die Prügelstrafe durch eine Reitpeitsche auf den bekleideten und nackten Körper ist ausgeführt durch drei französische Offiziere und ausgeübt an etwa acht Gefangenen durch dieselben Offiziere. – Der erste Fall der Prügelstrafe betraf einige Flüchtlinge im Kerker. Der zweite ist noch gravierender, er ereignete sich vor zwei Tagen, nachdem eine Beschwerde über den ersten Fall eingereicht worden war, und trug sich so zu: Sechs Gefangene, welche auf einem Fluchtversuche eingeholt waren, wurden morgens etwa drei Uhr am Tore von Casabianda durch zwei französische Offiziere des Lagers gezwungen, sich nackend auszuziehen, mit dem Revolver bedroht und gepeitscht. Dann mußten die armen Gefangenen ihre völlig durchnäßte Wäsche in den Arm nehmen, wurden den etwa 150 Meter weiten Weg zum Kerker heraufgetrieben, dort wiederum gepeitscht. Sie mußten im nassen Hemde, von Frost und Schmerzen fast erstarrt, im Kerker bleiben; erst heute ist ihnen Stroh und Unterzeug gegeben. – Ein Fluchtversuch, der von den Franzosen aus deutschen Lagern als Heldentat in französischen Zeitungen gepriesen wird, kann, von Deutschen ausgeführt, keine Schande sein und eine Strafe fordern, die bisher jeder Kulturstaat als unmenschlich aus seinen Rechtsbüchern ausgestrichen hat.

Eure Exzellenz bitten wir um schleunige Entsendung einer Kommission zur Feststellung unserer verzweifelten Lage und Bericht bei unseren Regierungen, da wir den augenblicklichen Stand für gefährlich erachten.

(gez.) Dr. M. Br…

Zugleich hatten Baron Weichs und Dr. Steinbrecher ihre Schriften verfaßt und sandten sie auf demselben Wege zum Kommandanten. Dessen erste Eingebung war, uns jeden auf 30 Tage, das Höchstmaß seiner Strafbefugnis, einzusperren.