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V

Im Herbst verreiste Meta Wartens für längere Zeit. Sie ging zuerst nach Südtirol, dann an die Riviera, nach Berlin, Wien und Paris. Vielleicht würde sie später auch nach Heluan gehen oder eine Küstenfahrt auf dem Mittelmeer machen – sie wußte es noch nicht. Der Abschied von daheim wurde ihr nicht schwer. Die Rosen im Garten waren entblättert; sie hatte sich auch während der Blütezeit nur wenig um sie gekümmert, weniger noch als um die Bücher und Bilder, die still und schön auf ihre Rückkehr harren würden. Hans? Nun ja, Hans war ein lieber, netter Junge, aber sie empfand nicht die geringste Lust, durch verschneite Monate neben ihm zu sitzen. Er war frisch und jung, aber eben doch in jedem Sinne sehr primitiv. Von einer künstlerischen Ausgestaltung des Lebens wußte er ebensowenig wie von reizenden, kleinen Gourmandisen der Liebe. . . . Er ahnte nichts von spannenden Vorbereitungen, von entzückenden Verzögerungen, von raffinierten Steigerungen . . . Nicht ein Fünkchen war in ihm von der erlesenen Liebestechnik Meister Harros, der auch in den Armen einer Frau sein dramatisches Temperament nie vergaß. Dieser junge Mensch da, dem Kraft und Lebensfrische aus allen Adern spritzte, wollte nur den Genuß und wurde, sobald die Ernüchterung begann, ein sehr trivialer Alltagsmann. Er trug natürlich auch keine Lackschuhe, keine durchbrochenen Seidenstrümpfe und kein indisches Amulett auf der Brust; Parfüm, Mandelkleie oder irgendwelche diskrete Eleganz waren ihm unbekannt. Ja, es gab intime Details, die Meta Martens geradezu chokierten. – Auch sonst war er eigentlich ein kleiner Bauer. Er hatte spießbürgerliche Tischsitten, legte zum Beispiel das benutzte Besteck immer neben statt auf den Teller und sagte, bevor er zu essen begann: »Wünsche wohl zu speisen«, was Meta Martens nervös machte. Von ihrem Wesen, ihren Interessen, ihren Zwiespältigkeiten und Seelenkonflikten verstand er natürlich gar nichts. Es wäre unmöglich gewesen, mit ihm auch nur ein Wort über Harro Brachmann zu reden. Offenbar hatte er auch nie von diesen Beziehungen gehört, die doch die ganze gebildete Welt mit Interesse erfüllten.

Meta Martens war sehr fröhlich auf ihrer Reise. Mit ihrer großen, steilen Schrift zeichnete sie eilig ihren Namen auf jeden Meldezettel, in jedes Fremdenbuch ein. Hatte zwar immer ihre berühmt gewordene abgespannte Miene, wenn sie eine Halle oder einen Speisesaal betrat, freute sich aber doch, wenn alle Köpfe sich nach ihr drehten, Flüstern sich erhob, wenn sie kam oder ging. Schöner aber noch als in den Palasthotels des Südens war es in den großen Städten, wo man sie empfing, ihr huldigte und über sie schrieb, als wäre noch alles wie früher. Sie war fast jeden Abend im Theater, machte jeden Tag Feste aller Art mit. Und immer und überall sagten sie ihr, welch ein Jammer es sei, daß sie sich von der Bühne zurückgezogen habe, welch ein unersetzlicher Verlust . . .

Auch von Harro Brachmann hörte sie allerlei. Man erzählte, daß er sich damit beschäftige, Maria Duffey zu »bilden«. Er war mit ihr in Frankreich und Italien gewesen, »damit ihr Ohr sich dem Reiz romanischer Sprachen öffne«, führte sie vor die Meisterwerke der Plastik und Malerei, um den Rhythmus der Linie und der Farbe auf sie wirken zu lassen, auch mußte sie lernen, Laute zu spielen und ästhetische Gymnastik bei Dalcroze in Genf treiben.

Meta Marterls lächelte ironisch, da sie es hörte.

»Ach, mein Lieber, wenn man einen andern erst bilden muß! Was für eine trostlose Arbeit! Als ob man einen Menschen überhaupt zu sich heranbilden könnte, als ob er nicht für uns geboren, für uns bestimmt sein müßte, vom Urbeginn unsrer und seiner Tage an. Vergebens wirst du Zeit, Kraft und Illusionen an die Lächerlichkeit verschwenden, die Maria Duffey heißt. Du wirst sie ebensowenig zu deinesgleichen wandeln, wie ich Hans zu meinesgleichen –«

Je mehr sie von ihm hörte, um so froher wurde sie. Geschickt wußte sie aus den Worten, die von ihm sprachen, herauszuhören, was den Erzählenden selbst verborgen blieb. Sie kannte ja Harro Brachmann so genau, wußte, welcher Depression, welcher Zerfahrenheit er anheimgegeben war, wenn ihm ein Stück mißlang. Wußte es, ohne daß sie's je mit ihm erlebt hatte, denn solange sie an seiner Seite gestanden, war ein glücklicher Wurf dem andern gefolgt. Sie verbrachte Weihnachten in Berlin. Sie schickte an Hans eine große Photographie von sich, in dem neuen Abendkleid von Drecoll, und schrieb darunter: »Gut sein!« Außerdem ihren Namen, links unten das Datum des laufenden Jahres und rechts unten den Tag, an dem er sie kennen gelernt hatte. Sie fand dies Geschenk sehr sinnig, trug es selbst zur Post und verbrachte einen sehr gemütlichen Christabend bei alten Freunden –

Als die Gesellschaftssaison sich zu Ende neigte, kehrte Meta Martens heim. Sie hatte sich köstlich amüsiert, fühlte sich sehr erfrischt; nun aber trieb eine innere Unrast sie aus dem brausenden Leben der Städte fort zu der beschaulichen Stille des Landes. Auf den Bergen lag noch Schnee bis weit herunter und die Wege waren so grundlos, daß man kaum aus dem Haus gehen konnte. Es war schwer zu glauben, daß schon vier oder fünf Wochen später das Dorf wieder verschüttet liegen sollte unter der schimmernden Last der Baumblüten. Und doch war es so. Doch war fast ein Jahr vergangen, seit Meta Martens zum letzten, zum allerletzten Mal auf der Bühne gestanden hatte.

Ein Jahr; da sie es ausrechnete, konnte sie es kaum glauben. Ein Jahr – welch eine Summe von Arbeit, Energie, Triumph und Gold hatte sonst ein Jahr für sie bedeutet! Dies letzte Jahr war spurlos in ihrem Leben dahingegangen, nicht die leiseste Erinnerung ließ es zurück. Die kleine Episode mit Hans? Ach ja, der war immer noch ein lieber, guter Junge, der ihr für Augenblicke selbst die Illusion großer Jugend gab, aber weiter auch nichts. Wenn sie's bedachte, war dies Jahr verronnen, wie Sand durch die Finger rinnt; eilig und dennoch so leer waren die Tage dahin getickt wie ein Uhrwerk, aus dem man die Hemmung genommen hat. Ob das immer so weiterging? Sie wollte sich sagen: »Ja, es geht immer so weiter!« Aber in ihrem Innern schrie eine Stimme auf: »Nein, nein, es geht nicht so weiter, alles kommt anders, alles ändert sich, vielleicht über einen Monat, vielleicht in einer Woche, vielleicht morgen schon!« . . . Und sie saß da in ihrem weißen Gewand, blaß, mit glänzenden Augen, horchte mit Seele und Ohr hinaus, als wollte sie einen Schritt erlauschen, der durch das weiße Blütenmeer des Frühlings zu ihr hergezogen kam.

Therese, die auf Reisen und in den Städten aufopfernd, heiter und unterwürfig gewesen, wie sonst, zog nun wieder schiefe Gesichter und gab alle Augenblicke Anlaß zu Ärger oder wenigstens zu Verwunderungen. Sie, die sonst der Herrin jeden Wunsch, jede Ahnung eines Wunsches vom Auge abgelesen, versah jetzt ihren Dienst zwar pflichtgetreu, aber ohne tieferes Verständnis. Die Meta Martens, die hier in einem hübschen Landhaus lebte, nichts tat, als lesen, spazierengehen, Kleider wechseln oder Auto fahren, diese Meta Martens war für Therese kein Idol mehr, sondern nur eine gnädige Frau, wie irgend eine andre gnädige Frau auch. Sie fühlte sich gar nicht mehr bemüßigt, deren Launen nachzuspüren oder auf deren Nuancen einzugehen. Wenn sie sonst die Herrin mit diesen glänzenden Augen, und diesem gespannten Ausdruck wie entrückt in einem Armsessel oder am Fenster lehnen sah, hatte sie sich still und scheu zurückgezogen, wie vor einem köstlichen Mysterium. Jetzt zog sie sich auch zurück, aber nicht ehrerbietig, sondern verdrossen oder höhnisch. Meta Martens hörte, daß sie einmal zur Köchin sagte: »Sie soll das Larifari doch einmal aufhören, das paßt sich gar nicht mehr für sie!« Dann hatten die beiden Mädchen getuschelt, halblaut gelacht und Therese hatte zugefügt: »Und überhaupt die Geschichte mit dem jungen Menschen, wie sie sich nur nicht schämt! Sie könnt' ja fast seine Mutter sein . . . und überhaupt . . .«

Im ersten Impuls hatte Meta Martens sich vorgenommen, Therese sofort zu entlassen. Sie tat es aber nicht. Sie war zu sehr an das Mädchen gewöhnt und dann . . . wer konnte sagen, wie lange das alles hier noch dauerte?! Wer konnte wissen, ob sie nicht morgen schon dies stille, blütenumsponnene Idyll über den Haufen warf und herrisch sagte: »Genug!«

Sie wartete und wartete und im Warten rannen die Tage wieder hin, wie Sand, der durch die Finger rinnt. Meta Martens aber lächelte und war glaubensstark. Sie fühlte deutlich, daß ihre Stunde unaufhaltsam näher kam. Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, daß Harro Brachmann reuig wieder heimfand zu ihr. Er würde kommen, wie früher auch, nur würde er sie nicht mehr finden wie früher. Sie hatte gelernt, für sich zu leben, ohne ihn. Dies sollte ihr Triumph sein, wenn er kam. Ihr Triumph, ihre Rache und seine Verarmung. – –

Alles geschah, wie sie's ahnte. Eines Morgens brachte Therese in großer Erregung einen Brief, der an Format fast einem Kanzleischreiben glich. Myrtengrünes Büttenpapier, ungefähr so dick, wie ein mäßiger Pappdeckel mit zwei weißen Siegeln. Auf dem großen Bogen standen nur ganz in der Mitte zwei Zeilen in einer fuseligen, kleinen Schrift gekritzelt:

»Kann Meta Martens verzeihen?

Harro Brachmann.«

Einen Augenblick schloß sie die Augen, wie überschäumt von Glück. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schrieb:

»Meta Martens, die der Schmerz so vieles gelehrt hat, kann verzeihen. Sie erwartet Harro Brachmann.«

Nun war sie fast jeden Tag im Garten, bei ihren Rosen, und probierte all die schönen Stellungen durch, in denen sie sich früher oft hatte photographieren lassen. Einen Rosenkelch am Stamm zu sich herunterbiegend . . . mit beiden Händen sehnsuchtsvoll nach einem Rosengehänge greifend . . . eine vollerblühte Rose auf den flach ausgestreckten, durchsichtigen Händen tragend, wie ein Opfergeschenk. Sie sagte zu Hans: »In diesen Tagen kommt ein alter Freund von mir, ein berühmter Dichter! Den sollst du kennen lernen, Hans, und hübsch artig mit ihm sein . . .«

 

Der junge Mensch wurde blutrot. Er mußte im Dorf schon allerlei Anzüglichkeiten hören, die nicht gerade schmeichelhaft waren. Die jungen Dinger besonders höhnten ihn, daß er sich an die reiche Frau hing, die so viel älter war als er . . .

»Aber . . . aber . . . zu so jemand pass' ich ja gar nicht!«

Sie lachte, fuhr ihm mit der Hand übers Gesicht: »Du paßt schon, lieber Dummkopf! Sei nur einfach und natürlich, wie ich auch!«

Dann kam die Stunde, in der sie schon von fernher die wohlbekannte Huppe mit dem Siegfriedmotiv vernahm. Ihr Herz begann so heftig zu schlagen, daß sie nach einem Halt tastete und einige Sekunden lang nichts mehr sah. Sie raffte sich aber zusammen und ging dem Eintretenden mit einer schönen Gelassenheit einige Schritte entgegen. Sie hatte sich lange überlegt, wie sie ihn begrüßen sollte.

»Du bist heimgekehrt, Harro?«

»Ja, denn ich war sehr müde!«

Sie wies stumm auf einen Stuhl. Sie war bewegt und auch nicht vorbereitet auf weitere Tiefsinnigkeiten. Sie betrachteten sich gegenseitig einen Atemzug lang und jeder fand, daß der andre gealtert aussähe.

»Wahrhaftig, sie fängt an dick und bürgerlich zu werden!« dachte Harro. »Es war höchste Zeit, daß ich kam. Sie wäre einfach verwahrlost, wenn sie noch länger geistig nur auf sich angewiesen bliebe!«

Sie betrachtete indessen sein glattrasiertes Gesicht mit dem großen, nervösen Mund, den spinnwebfeinen Runen an den Schläfen und dem spärlichen Haar, über dem schon da und dort Frühreif lag. Sie dachte: »Ja, ja, mein Lieber, in deinen Jahren macht man nicht mehr ungestraft leidenschaftliche Eskapaden mit einer Achtzehnjährigen! Du bist kein König Salomo, der den jungen Weibern ihre Jugend stiehlt, im Gegenteil, diese junge Gans hat dich um deine letzte Frische gebracht. Eigentlich bist du nur mehr eine interessante Ruine!«

Jeder wußte ungefähr, was der andre dachte, es war ihnen aber gar nicht besonders peinlich. In dem schonungslosen Urteil, das sie übereinander fällten und sorgfältig verschwiegen, spürten sie ihre alte Zusammengehörigkeit.

Sie sprachen zunächst allgemeine und ziemlich gleichgültige Dinge.

Meta sagte: »Du hast einen neuen Chauffeur?«

Er sah sie rasch, wie erschrocken, von der Seite an. »Woher weißt du es schon?«

Sie lachte. »Ich sehe es doch, Harro! Ich kannte doch Eberlein gut.«

»Ach ja!« Er schwieg, schien befreit von einer Angst, die ihn angefallen hatte.

Der Name Maria Duffey wurde vorerst nicht erwähnt. Harro mochte ihn nicht nennen, wollte, daß Meta Martens ihn sprechen und ihm Gelegenheit zu einer wundervollen Explosion des Ekels und des Gefühls geben sollte. Meta Martens sprach ihn aber nicht. Sie fühlte sich diesem Mann gegenüber so sicher wie nie zuvor. Langsam, tropfenweise, wie ein Feinschmecker ein Glas edlen Weines schlürft, schlürfte sie diese Minuten, in denen der Mann eine verzweifelte Bitte erwog, die sie lächelnd verneinen würde. Sie sprachen Gleichgültiges und spürten doch beide, daß jedes Wort hier eine andre Bedeutung hatte als sein Laut. Wie eine Exposition zu einem Drama floß ihr Gespräch, scheinbar uninteressant, aber schon voll geheimer Hindeutungen auf Späteres . . . Wie zwei geschickte, seit Jahren zusammengespielte Schauspieler brachten sie sich Rede und Gegenrede.

Nach einer Stunde etwa sagte Meta: »Laß uns vor dem Mittagessen noch einen kleinen Spaziergang machen!«

Sie führte ihn durch Wiesenwege und über Felder, ließ im Gehen grüne Ähren durch die Finger streifen, pflückte einen Büschel Arnika und steckte ihn in den weißen Gürtel. Wie sie's berechnet hatte, trafen sie unterwegs den Forstgehilfen. Er wollte grüßend vorbeigehen, aber Meta rief ihn an.

»Das ist der berühmte Dichter!« sagte sie, leise den Kopf gegen Harro neigend. Dann legte sie ihre durchsichtige Hand leicht, federleicht auf den graugrünen Ärmel des Forstrockes. Mit jener scharmanten Einfachheit, die der höchste Ausdruck ihrer großen Kunst war, sagte sie zu Harro: »Das ist Hans!«

Die Situation war etwas ungewöhnlich und peinlich. Die beiden Männer sahen sich zugleich hilflos und feindselig an, zwischen ihnen führte Meta ein immer wieder spröde abspringendes Gespräch, das lang schien, obgleich es nur etliche Minuten währte. Dann verabschiedete sie Hans und sie ging mit Harro weiter.

Harro war sehr chokiert. Dies selbstverständliche »Das ist Hans« war denn doch ein bißchen stark . . . Wirklich, sie verwahrloste, wenn er sie noch länger allein ließ, fiel wieder in Geschmacklosigkeit und ästhetische Unkultur zurück, darin sie tief gesteckt war, als er sie kennen lernte. »Das ist Hans!« Der Kuckuck mochte wissen, wo sie diesen schlechten Theaterstil gelernt hatte! Sentimental wie aus dem Volksstück und dabei unzart, gewöhnlich im Effekt, wie aus einer Posse. Wer in aller Welt sonst präsentierte einen hübschen Bauernjungen so selbstverständlich, wie man doch nur Harro Brachmann präsentieren konnte?!

Er fragte nichts und sie sagte nichts; die Namen »Hans« und »Maria« blieben ausgeschaltet. Das Mittagsmahl verlief sehr angeregt und heiter, Therese, die servierte, glühte vor Freude und bediente Harro wie einen teuern Herrn, der dem Hause allzulange ferngeblieben war.

Meta fühlte sich wie in einen Zauber eingesponnen. Zum ersten Male seit einem Jahr redete ein Mensch wieder ihre Sprache, dachte ein Mensch wieder ihre Gedanken, begriff ein Mensch wieder nur aus einer kleinen Handbewegung, aus einer leisen Brauenfalte, aus einem kaum merklichen Blinzeln, was in ihr vorging oder was sie meinte. Ihr war zu Mute wie einem großen Klavierkünstler, der monatelang den Reichtum seiner Töne in sich hatte verschließen müssen oder nur auf scheppernden Dorfklimperkasten ausströmen konnte und der zum ersten Male wieder einen Blüthner-Flügel spielt. Es war gar keine Liebe, die sie für Harro spürte, gar keine besondere Sympathie, aber sich fühlte sie in ihm, ein Stück ihrer eigenen Natur und es wurde ihr warm und froh, wie seit langem nicht mehr.

Sie saßen beim Mokka und rauchten langsam parfümierte Zigaretten, die Harro liebte. Er hatte die breiten Lider über die etwas vorstehenden Augen halb sinken lassen und sah Meta mit verschwommenen Blicken an. Jede Frau, die er so ansah, dachte: »Er brennt vor Begier! Im nächsten Augenblick stürzt er mir zu Füßen,« aber Meta dachte es nicht. Sie kannte jede Fiber, jede Miene, jede Gedankenverbindung. Und sie wartete, daß er endlich das Schweigen brechen, von Maria sprechen sollte und von dem neuen Drama. Dann kam ja der große Augenblick, auf den sie seit einem Jahr wartete, der Augenblick, in dem sie Harro sagen würde, daß sie nie mehr ihre Kunst der seinen dienen lassen wollte . . . Harro sah sie immer noch mit dem verschwommenen Blick an. Er dachte aber gar nicht an sie, sondern er dachte: »Das ist Hans!« Das bohrte quälend in ihm, nicht mit der Eifersucht des Mannes, sondern mit der Eifersucht des Künstlers, der nicht mehr weiß, wie weit seine Grenzen reichen, der seine bunte Welt vom wirklichen Leben bedroht sieht. Wie weit ging diese Sache mit Hans? Wieweit war sie dabei mit dem Gefühl beteiligt, soweit bei ihr eben von Gefühl die Rede sein konnte?! Sie näherte sich nun schon den Jahren, in denen nichts so gefährlich und verlockend für die Frauen ist, wie ein hübscher naiver Bursche . . . Freilich, er hatte früher nie bemerkt, daß sie besonders verliebter Natur war; aber früher war sie eben bei der Bühne gewesen, hatte Abend für Abend künstlerisch ausgelebt, was jetzt, in der Stille des Privatlebens, vielleicht ungestillt in ihr schrie und unter den Küssen dieses brünetten Bauernbengels verstummte?! Wenn es so war, dann würde er sie nie zurückholen können, für sein neues Stück. Wenigstens nicht so schnell zurückholen, wie er wollte. Wenn es so war, – für ihn stand es fast außer allem Zweifel, daß es nur so und nicht anders sein könne. War nicht immer die Jugend, die dumme, gefräßige Jugend die Allsiegerin?! War es nicht eine alte, ewig neue Geschichte, daß die reife Frau dem jungen Mann auch das Letzte und Höchste hinwirft, was sie je im Leben errungen hat?! In hundert Romanen, in hundert Dramen hatte er diese banale Wahrheit, diesen blödsinnigen Fatalismus behandelt, psychologisch zerfasert, seelisch vertieft gefunden, – warum sollt' es im Leben anders sein?! Im Leben sah man Fürstinnen, die ohne jeden psychologischen Aufputz mit strammen Bereitern durchgingen, immer behielt die Jugend, behielt die Kraft recht, gleichviel ob das Weib Maria Duffey hieß oder Meta Martens. Er überlegte ein wenig, ob er nicht einen passionellen Handstreich wagen, Meta an sich reißen und mit ihr im Auto davonfahren sollte; er ließ den Gedanken aber gleich wieder fallen. Er war fünfundvierzig, ein wenig neurasthenisch und kam aus einem Flitterjahr mit einer Achtzehnjährigen. Er glitt mit den Fingern langsam über die breite Stirn, auf der leicht geritzt drei Furchen standen, besah seine purpurn glänzenden Nägel, ließ das goldene Armband, das er trug, ein wenig weiter vorfallen . . . dachte an die lachenden Augen, an die breiten Schultern des Forstgehilfen und seufzte ein wenig affektiert und ein wenig aufrichtig.