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Die verkaufte Erinnerung

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Meine Nerven zerrieben sich bei den trostlosen Wanderungen durch die verödeten Galerien mit dem Spukbildnis. Meine Nächte waren ohne Schlaf, meine Tage ohne Heiterkeit. Ich sah blühend aus wie die Gesundheit selbst, aber ein schweres Gemütsleiden überfiel mich, und so viele Ärzte Herr von Hauteville auch zur Konsultation berief, keiner wußte Rat.«

»Sind Sie denn nicht wieder nach der Rue de Venise gegangen?« fragte die Marquise de Tours interessiert.

»Ich ging wohl wieder hin, aber der Italiener war nicht mehr da. Ich ließ ihm nachforschen, aber er war nicht mehr aufzufinden. Ob Paris ihn eingeschluckt, ob die Fremde ihn gelockt hatte – ich weiß es nicht. Ich begab mich damals auf Reisen ins Ausland. Angeblich, um in fremden Bädern Heilung zu suchen, in Wirklichkeit, um ihm nachzuforschen, dem ich meine Erinnerung verhandelt hatte, und der sie mir zurückgeben sollte. Ich will euch nicht mit ermüdenden Einzelheiten schildern, wie ich schließlich doch wieder auf seine Spur kam, genug, eines Tages wußte ich, daß er als Goldmacher im Fürstenschloß einer kleinen deutschen Residenz lebte. Unverzüglich fuhr meine Berline nach dem pauvren Nest, das in lächerlicher Weise versucht, Versailles zu imitieren.

Der Italiener war sehr überrascht, als er mich sah.

»Wie, Madame, Sie hier? Was hat eine junge und schöne Pariserin in dieser gottverlassenen Einöde zu suchen?«

Ich brach in Tränen aus, erzählte ihm unter Schluchzen, bebend vor Aufregung, wie unglücklich ich durch den Handel geworden sei, den ich mit ihm getrieben hatte, und bat ihn himmelhoch, mir meine Erinnerung wieder zu geben, wärʼ es auch um den Preis meiner Jugend und Schönheit. Er zuckte gleichmütig die Achseln.

»Ich warnte Sie, Madame, ich sagte Ihnen, daß die Erinnerung ein hoher Preis sei. Ich warnte Sie, wie ich jeden warne, weil ich die Wirkungen meines Mittels genau kenne. Sehen Sie mich an, Madame, wie ich da vor Ihnen stehe, bin ich ein Sterbender. Ich habe keine drei Monate mehr zu leben. Die giftigen Aushauchungen meiner Retorten, die ständige Berührung mit den stärksten Säuren und Mixturen hat meinen Organismus zerstört. Keine drei Monate habe ich mehr zu leben! Und trotzdem, trotzdem ich weiß, daß meine Tage gezählt sind, gebrauche ich mein eigenes Mittel nicht, habe ich nie daran gedacht, es an mir selbst zu versuchen, denn lieber will ich tot sein, als ohne Erinnerung leben. Bis zum letzten Atemzug will ich von meiner gewesenen Liebe und von meinem gewesenen Haß wissen.«

Grauen überfiel mich. Ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu fragen: »Schrecklicher Mann! Wenn Sie wußten, wie grausam Ihr Mittel wirkt, warum haben Sie es erfunden? Warum machen Sie die Menschen damit unglücklich?«

»Es erfüllt ihnen nur einen uralten Wunsch!«

»Einen uralten Wahn erfüllt es,« rief ich erschüttert, »einen Wahn, dessen Erfüllung uns todelend macht.«

»Haben Sie etwas anderes erwartet, Madame? Ich wundere mich, daß eine Landsmännin Voltaires nicht skeptischer, nicht philosophischer über Erfüllungen zu denken gewohnt ist.«

Ich fiel vor ihm auf die Kniee nieder:

»Helfen Sie mir! Geben Sie mir meine Erinnerung zurück!«

»Ich kann Ihnen nicht helfen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich Ihnen nicht helfen. Es gibt nur einen, der Ihnen aufs neue Erinnerungen schenken kann —!«

»???«

»Der Tod, der Tod von eigner Hand. Wenn Sie selbst Ihr Leben enden, kehrt für die letzten Augenblicke die Vergangenheit zu Ihnen zurück. In Blitzesschnelligkeit wechselnd und bunt wie die Bilder eines Kaleidoskops wird sie an Ihnen vorüberziehen, während Ihr Auge bricht.«

»Ich weinte leise; nicht vor Schmerz, sondern vor Glück. Ich trocknete mein Gesicht, griff nach einem Stilet, das auf dem Arbeitstisch des Italieners lag, prüfte mit dem Finger die nadelfeine Spitze und stieß sie mir in die Brust, wo ich das Herz zu treffen meinte. Da ich mein Blut heiß über meine Haut rinnen fühlte, verlor ich das Bewußtsein. Als ich wieder erwachte, fand ich mich in einer fremden Umgebung. Ich lag in meinem Bett im Gasthof, wo ich abgestiegen war, und fühlte mich unsäglich schwach und elend. Ein Arzt und zwei Nonnen waren um mich bemüht; als ich eine Frage tun wollte, legten sie warnend den Finger an die Lippen.

Später erzählten sie mir im Flüsterton, daß ich auf einem Spaziergang von einem Banditen überfallen und niedergestoßen und nur wie durch ein Wunder gerettet worden sei. Ich nickte, lächelte und schien alles zu glauben, wie sie selbst ihre fromme Lüge zu glauben schienen. Dann versank ich in einen langen wohltätigen Schlaf, und als ich wieder erwachte, dachte ich voll Sehnsucht an Paris, an diesen Park, und dazwischen fiel mir eine Pockenepidemie ein, die uns alle vor Jahren geängstigt hatte. Da liefen mir vor Freude Tränen überʼs Gesicht, und weil ich nicht wollte, daß die Nonnen mich weinen sähen, wühlte ich mein Antlitz in meine Haare hinein, in Haare, durch deren Blond sich breite, graue Streifen zogen. Als ich mir zum ersten Mal den Spiegel reichen ließ, blickte mich eine Matrone an – —«

Frau von Hauteville machte eine Pause. Die Marquise de Tours fragte:

»Und der geheimnisvolle Italiener? Haben Sie ihn nicht wiedergesehen?«

Der Herzog von Noailles aber warf einen scheuen Blick nach der großen Terrasse, auf der man immer noch schattenhaft die Silhouette des Königs sich bewegen sah, und fragte leise:

»Und Seine Majestät? Haben Sie uns nichts weiter mehr von Seiner Majestät zu sagen?«

»Den Italiener habe ich nie wieder gesehen. Als ich nach einer langwierigen Rekonvaleszenz mich abermals ins Schloß begeben wollte, um ihm zu danken, und auch, um diese und jene Frage an ihn zu richten, war er gestorben. Er wurde gerade an dem Tag begraben, an dem man mich zum ersten Mal ins Freie trug.