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Die große Gauklerin

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»Selbstverständlich bleibst Du bei uns, wenn es Dir lieber ist. Vielleicht ist es ganz gut, wenn man die Neuvermählten zu Anfang sich selber überläßt! Es ist wohl nicht gar so leicht, die zweite Frau eines älteren Mannes zu werden, und Eleonore dankt Dir's gewiß noch, wenn Du sie jetzt allein läßt! Bleibe bei uns, wir sind beide sehr zufrieden, wenn Du Dich bei uns behaglich fühlst!«

Die alte Gräfin entgegnete nichts. Sie hatte das Gesicht dem Fenster zugewendet, damit Elisabeth nicht sehen sollte, wie es von Sorgen zerwühlt und von Tränen überströmt war. Die junge Frau sah aber doch an den zuckenden Schultern, daß die Gräfin weinte. Da stand sie leise auf und ging, weil sie dachte, daß es unzart wäre, eine Mutter zu stören, die über ihre Tochter weint.

Die Hochzeit war für Oktober festgelegt. Jeder hatte den Wunsch, die Feierlichkeit auf einen ganz kleinen Kreis zu beschränken. Lissignolo, der schon verheiratete Kinder hatte, war zufrieden, daß seine Braut nicht auf einem Hochzeitsfest bestand, zu dem ganz Venedig vor und in der Kirche zusammenlief, die Priulis wiederum wollten kein großes Aufsehen und keine anstrengenden Festlichkeiten, weil Elisabeth ein zweites Kind erwartete und mehr unter ihrem Zustand litt als das erste Mal. Man lud also von beiden Seiten nur die nächsten Verwandten ein, die Kinder Lissignolos und Carlo Priuli, weil er den Namen trug und fast Haus an Haus mit der Familie der Braut wohnte. Ettore hatte zwar gemeint, daß man von ihm absehen könne, denn er sei doch gar nicht sehr nahe verwandt und habe sich auch nie sehr verwandtschaftlich gezeigt oder benommen, aber Elisabeth meinte, daß er doch einmal zur Familie gehöre, und weil auch die alte Gräfin und Eleonore diese Meinung teilten, gab Ettore nach und lud Carlo ein. Wenn Ettore behauptete, daß sein Vetter sich nicht sonderlich verwandtschaftlich benahm, so hatte er insofern recht, als Carlo mit seinen Verwandten nur einen oberflächlichen Verkehr unterhielt. Denn Carlo hatte Ettore nie besonders gemocht und für verliebte Gänse (wie er Elisabeth im stillen nannte) gar kein Interesse. Er kam wohl ab und zu, sah das junge Paar da und dort in Gesellschaft, und da Elisabeth ihm immer ein heiteres Gesicht zeigte, meinte er, daß sie wirklich genau so töricht sei, wie sie ihm erschienen war, da er sie zuerst kennen lernte. Gegen Ende des Winters wollte es ihm freilich etliche Male scheinen, als ob ihr Gesicht, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, müde und unzufrieden aussah, und er hatte dann wohl gedacht:

»Aha, sie merkt endlich, an wen sie sich gebunden hat!«

Kaum aber hatte er's gedacht, so kam er sich schon sentimental vor und spottete sich selbst aus, daß er für den Ausdruck verborgener Empfindungen nahm, was vermutlich nur Festmüdigkeit war. Als er dann noch hörte, daß bei Priulis abermals ein freudiges Ereignis bevorstand, nannte er sich selbst einen Esel und nahm sich fest vor, sich nie mehr auf die Psychologie junger Frauen einzulassen, weil ein Junggeselle sich damit doch nur blamieren konnte.

Es war am Abend vor der Hochzeit. Im Hause Priuli war schon alles still und dunkel, denn man hatte von einer festlichen Veranstaltung für diesen Abend abgesehen. Ettore war wie jeden Abend so auch heute im Klub, die Gräfin und Eleonore hatten sich längst schlafen gelegt, und auch von der Dienerschaft war kaum mehr einer wach, denn Ettore liebte es nicht, daß man seine Heimkehr erwartete. Elisabeth hatte sich sehr früh zu Bett gelegt, um für die Strapazen des kommenden Tages auszuruhen. Sie lag wachend da, versuchte allerlei harmlose Mittel, um einzuschlafen, zählte, stellte sich ein unablässig wogendes Kornfeld vor, sagte sich allerlei Gedichte her, über denen sie sonst einschlief, aber gerade heute, wo sie die Ruhe so sehr ersehnte, wollte nichts helfen. Sie warf sich von einer Seite auf die andere, fand, daß es im Zimmer unerträglich heiß sei, spürte, wie ihr Herz hastiger und lauter klopfte, und sprang schließlich aus dem Bett, um die Fenster zu öffnen. Da drang eine weiche, von sanftem Duft erfüllte Luft herein, daß die junge Frau sie entzückt einschluckte, als wär's ein Trunk frischen Bergwassers, und am offenen Fenster stehen blieb, um die Kühle zu genießen und hinunterzusehen auf den kleinen, schwarzen Kanal, der so dunkel dalag, daß er nicht einmal das Sternenlicht wiedergab, das vom Himmel auf ihn niederfiel.

Elisabeth stand und sah hinaus, obgleich es um diese Stunde hier nichts zu sehen gab. Weit und breit keine Gondel und kein Ruderschlag, verträumt spannte die schmale Eisenbrücke, die ihn überdachte, ihren Bogen über den kleinen Kanal hin, schweigend lagen die Häuser, die ihn besäumten, und auf den Stufen, die zum Wasser hinunterführten, oder auf dem schmalen Pflasterrand, der hier und da zu einem Gäßchen umbog, erging sich niemand als da und dort der Schatten einer Katze. Ganz still und ganz menschenleer war's ringsum, nur jetzt huschte eine weibliche Gestalt um die Ecke der kleinen Gasse, an der die Bank von San Marco lag. Sie trug das große, schwarze Fransentuch der Frauen aus dem Volk, ging aber nicht barhäuptig mit zierlich frisiertem Haar, wie diese es tun, sondern hatte den Kopf und auch fast das ganze Gesicht mit einem dichten Schleier umwunden, so daß nur die Augen hervorsahen, um den richtigen Weg zu erspähen. Die Beleuchtung hier war sehr schlecht, ein Erkennen der Gesichtszüge nur in nächster Nähe möglich, aber dennoch blickte die Gestalt immer wieder nach allen Seiten scheu um, suchte auch mit prüfender Angst den Palazzo Priuli ab, als fürchtete sie, daß jemand ihr nachgegangen sei oder sie erwarte. Elisabeth, die sie zuerst nur für einen Nachtvogel gehalten hatte, wurde durch das seltsame Gebaren aufmerksam, und wie die Gestalt jetzt leichtfüßig und schnell, aus dem Dunkel der Häuser heraustretend, die kleine Brücke hinanlief, beugte sich Elisabeth weiter aus dem Fenster, um ihr ins Gesicht zu sehen. In diesem Augenblick hob die Frau auf der Brücke den Kopf voll empor, ahnte mehr als sie unterscheiden konnte, daß da jemand am Fenster stand und sie ausspähte. Sie zögerte eine Sekunde, überlegte wohl blitzschnell, ob sie den Weg, den sie eben gekommen war, wieder zurücklaufen sollte, machte dann, wie um sich Mut einzuflößen, eine trotzige Bewegung mit den Schultern und lief auf der andern Seite der Brücke hinab, dem schmalen Steinrand zu, der um den Palast herum zu einer Hintertüre für Dienstboten und Lieferanten führte.

Elisabeth stand und traute noch immer ihren Augen nicht. Schon gleich zu Anfang hatte sie gemeint, die Gestalt zu erkennen, hatte sich aber lächerlich und phantastisch gescholten und eben darum mit um so größerer Aufmerksamkeit verfolgt, als was sich die Frau da unten schließlich ausweisen würde. Nun aber, seit sie, beglänzt vom Sternenlicht, zögernd auf der Brücke gestanden war, um schließlich den Weg zu der Hinterpforte so sicher zu nehmen, wie nur jemand, der den Palazzo genau kannte, nun war kein Zweifel mehr möglich. Elisabeth begriff später niemals, daß sie in jenem Augenblick sich gar nicht mit Empfindungen oder Reflexionen abgab, sondern nur dachte:

»Was aber, wenn die Hinterpforte abgeschlossen ist? Dann muß sie jemand herausläuten, und wir haben morgen, am Hochzeitstag, den Skandal!«

Sie ging vom Fenster weg über den Korridor auf die Treppe zu, beugte sich über das Geländer, um zu hören, ob drunten ein Schlüssel vorsichtig eingesteckt würde und sich drehte.

Sie wagte nicht, Licht zu machen, um nicht durch den hellen Schein irgend jemand zu wecken, fürchtete auch, daß sie die Gestalt, die draußen stand, am Ende verscheuchen und zu unberechenbarem Beginnen treiben könnte. Sie horchte, atmete auf, als jetzt ein ganz leiser Schritt die Treppe im Dunkel heraufhuschte, und hatte doch die Kehle zugeschnürt vor Angst und Erregung. Als die Gestalt die schwere Pforte leise wieder ins Schloß gelegt hatte, knipste Elisabeth das Licht auf. Ein halb unterdrückter Schrei, eine Bewegung zur Flucht. – Und Elisabeth, obwohl sie doch genau wußte, wer da stand, fragte, als könne sie's noch immer nicht glauben:

»Du, Eleonore? Wo kommst Du her?«

Eleonore blieb, durch die Treppe von der Schwägerin getrennt, stehen. Jetzt, im elektrischen Licht, sah Elisabeth, daß das Mädchen totenbleich und erregt war, daß unter dem Schleier ihr Haar zerwühlt und nur flüchtig aufgesteckt hing, während in ihren dunklen Augen ein seltsamer, verträumter Glanz lag. Sie zog das schwarze Fransentuch fester um sich, wie sonst ihren Schlafrock, warf den Kopf zurück, preßte die Lippen aufeinander und sah über die Treppe hinauf herausfordernd die Schwägerin an.

Elisabeth winkte sie heran.

»Komm herauf, Eleonore, komm in mein Zimmer. Wir wollen nicht hier stehen bleiben, wo uns jeden Augenblick ein Dienstbote überraschen kann!«

Eleonore entgegnete nichts. Sie folgte Elisabeth, die ihr voranschritt, und wußte selbst nicht, warum sie ging, wohin die andere wollte. In Elisabeths Zimmer stand Eleonore in derselben Haltung an der geschlossenen Tür, wie sie vorhin unten an der Treppe gestanden war. Elisabeth, die sich nicht mehr auf den Füßen halten konnte, ließ sich in einen Stuhl fallen, drückte die Handflächen gegeneinander und fragte noch einmal leise, angstvoll, als scheue sie die Antwort

»Wo kommst Du her?«

Eleonore reckte sich in die Höhe.

»Ich bin Dir keine Rechenschaft schuldig!«

»Rechenschaft nicht, aber – aber –«

Die junge Frau wirkte so hilflos und eigentlich so bedauernswert, daß Eleonore sich selbst und alles, was in diesen letzten Stunden geschehen war, mit ungestümer Lebensfreude empfand. Und nicht als ob sie von Unrecht, sondern von Triumph berichtete, brach es aus ihr hervor, wie ein ungestümes Bekenntnis der Lust und der Leidenschaft:

»Gut, ich will Dir sagen, wo ich gewesen bin. Bei meinem Schatz bin ich gewesen, bei meinem Herzliebsten, den ich nicht lassen werde, heut' nicht und morgen nicht und niemals auf der Welt!«

 

Elisabeth schlug entsetzt die Hände zusammen.

»Um Gott, Eleonore, und Du willst Lissignolo heiraten! Du schämst Dich nicht, den einen Mann zu heiraten und die Geliebte eines andern zu sein?«

Eleonore schüttelte den Kopf und lachte. Es war ein Lachen, das bitter klang und weh tat.

»O nein, Du Siebengescheite! Bis heute bin ich nicht seine Geliebte gewesen, denn ein Mädchen soll geizig mit sich sein und sich nicht verschenken! Aber weil ich morgen Lissignolo gehöre, bin ich heute zu meinem Schatz gelaufen und habe ihm heute noch geschenkt, was ich ihm übermorgen nicht mehr hätte schenken können. Glückselig sind wir gewesen ein paar Stunden lang, und was auch jetzt noch kommen mag, die paar armseligen Stunden voll Glück kann mir kein Mensch mehr nehmen!«

Wie in einer Flamme von Leidenschaft und Hingebung stand das Mädchen da. Bewegt sah Elisabeth sie an, hätte ihr kein hartes Wort mehr sagen können. Sie fragte nur leise:

»Und er? Er hat Dich wieder gehen lassen? Er hat Dich nicht gehalten und alles auf sich genommen, nachdem Du so, so zu ihm gekommen bist?«

Vor dem weichen Ton, in dem Elisabeth sprach, brach sich des Mädchens Auflehnung. Ihre Stimme zitterte, als sie entgegnete:

»O nein, so ist er nicht! Aber glücklich waren wir deswegen doch … Und wenn Du Lissignolo etwas sagst, dann –«

Elisabeth schüttelte müde den Kopf.

»Ich sage nichts, Du brauchst keine Angst zu haben. Du tust mir nur schrecklich leid, so leid, wie ich es Dir gar nicht sagen kann. Und ich möchte Dich auf den Knien bitten: Laß diese unselige Sache mit heute abgetan sein! Versuch's, in Deiner Ehe glücklich zu werden, und hänge weiter keine Gedanken an einen Menschen, der's nicht wert ist, daß er Dir die Schuhbänder löst!«

Eleonore, die sich jetzt wieder gefaßt hatte, sah, daß ihr Spiel gewonnen war, und hielt es darum für klug, ein wenig einzulenken.

»Selbstverständlich ist mit heute alles zu Ende! Ich hätt's nur nicht ertragen, wenn ich ihm nie ganz gehört hätte, nun ist's vorbei, nun will ich Dir folgen und versuchen, so gut es geht, aus meinem Leben noch etwas herauszuholen. Aber Du schweigst, nicht wahr?« setzte sie mit nochmals aufsteigender Angst hinzu. Elisabeth nickte. Eleonore umarmte und küßte sie.

»Gute Nacht, Lisa, ich bin furchtbar müde und will mich ausschlafen.«

Fort war sie. Elisabeth legte sich wieder zu Bett, konnte aber kein Auge zutun. Unablässig hörte sie wieder das leidenschaftliche Geständnis des Mädchens und die Worte: »Ich lass' ihn nicht heute, nicht morgen und niemals auf der Welt!« Freilich, das war vielleicht im Ueberschwang gesprochen, und Eleonore hatte ja auch gelobt, daß mit der heutigen Nacht alles zu Ende sein sollte. Hatte es gelobt, hatte vielleicht auch den Willen dazu, aber Elisabeth fragte sich doch voll Bangen, wie die Ehe, die morgen eingesegnet wurde, wohl gehen würde. Ihr Verstand gab eine Antwort, die ihr Herz nicht glauben wollte.

10

Venedig im Regen, – nichts Trüberes ist zu denken. Grau und schleimig, wie eine Riesenqualle liegt die Lagune an die Stadt gepreßt, der sie alle Schönheit und alle Lust aufzusaugen scheint. Das leuchtende Weiß und Orangegelb der Paläste ist von einem trüben Grau überströmt, Balkone, Loggien, Friese, die gestern noch wie ein letzter Gruß der Renaissance und des Barock waren, sehen heute gespenstisch, unmotiviert aus, wie Kleinodien fernster Zeit in einem Museum der Toten. Mißmutig, fast bestürzt über eine Unbill, die sie in lachender Sonne völlig vergessen haben, drängen sich die Menschen in den winkligen Gäßchen der Merceria und der Frezzeria, armselig lungern die Gondolieri auf nassen Randsteinen umher. Wer nicht muß, besteigt heute sicher keine Gondel, und wenn eine daherfährt, so ist's, als käme sie vom Begräbnis der letzten, menschlichen Freude. Selbst der Markusplatz mit dem Löwen und dem Kampanile sieht aus wie eine Theaterdekoration, die lieblos ins Tageslicht gestellt und im Regen vergessen worden ist, nur die Vaporetti eilen fauchend und prustend wie immer den Canal Grande auf und ab, als wollten sie mit ihrem Lärm verkünden, daß das Leben, das Leben von heute, niemals stille steht. Aber das Leinendach, das heute über ihr Verdeck gespannt ist, klatscht vor Nässe und flattert wie ein müder Vogel, der sich die Nässe des Gewitters aus den Federn schütteln will, und das Fauchen und Prusten klingt wohl nur so, wie wenn einer recht laut spricht, um sich Mut zu machen, weil er fühlt, daß um ihn her unsichtbare Gespenster stehen. Vom Fischmarkt am Rialto her und aus allen kleinen Kanälen steigt ein seltsamer, beklemmender Geruch von toten Fischen, von zersetzten Muscheln, von fauligem Gemüse. Und die Calle stehen schwarz, undurchdringlich, als lägen auf ihrem schlammigen Grunde immer noch mit verglasten Augen und vermoderten, altfränkischen Kleidern Leichen, an deren Hälsen noch die blauen Fingermale oder die Dolchstiche der Republik zu sehen sind. Regen in Venedig, – wie ein Bußtag hängt er über der Stadt, auf daß sie in Reue alter Frevel gedenke und der Toten, von denen keiner mehr weiß, und deren Verwesungsgeruch heute doch überall schwebt …

Elisabeth saß in ihrem Zimmer und schrieb Briefe an ihre Brüder. Sie hatte vor alle Fenster die Vorhänge gezogen und das elektrische Licht über dem Schreibtisch ausgedreht, obwohl draußen der Kanonenschuß eben den Mittag verkündete. In der Calle war es aber trüber noch als auf dem großen Kanal, und Elisabeth fand seit langem Venedig bei Regen so unerträglich, daß sie es gar nicht sehen wollte und bei schlechtem Wetter nie ausging. Sie konnte sich nicht an den Verwesungsgeruch gewöhnen und mußte dann immer voll schmerzlicher Sehnsucht denken, wie schön ein Regentag daheim in Deutschland war, selbst wenn man ihn im Augenblick als lästig empfand und auf ihn schalt. Wie über die spiegelnde Nässe breiter Straßen unablässig Autos, Straßenbahnwagen, Equipagen jagten, wie Menschen, die gewöhnt waren, mit einem rauhen Klima zu rechnen, sich von ihm weder die Laune noch das fröhliche Gesicht rauben ließen, durch Regen und Wind der Stimme nachliefen, die sie an diesen Tagen wie an allen andern hinausrief zur Arbeit, zum Kampf um das Leben, um das tägliche Brot. Wie aus all dem Lärm und Gewirr und Gehaste die Rasenpläne, die rot und weißen Blütenkerzen der Kastanien, die süßduftenden Flieder- und Jasminbüsche, die flammenden Kolben der Rhododendren auf Anlagen und Plätzen auftauchten, wie all das Grünen und Blühen und Duften sich dem Naß entgegenreckte, das vom Himmel herabfiel, und wie die Regentropfen lustig klatschend von Ästen und Blättern heruntersprangen, als wären sie ausgelassene Schulbuben beim wilden Spiel. Daheim, in Deutschland, genoß man das alles, ohne darüber nachzudenken, meinte wohl, es könne nur so und nicht anders sein, hier aber, an die Riesenqualle gepreßt, merkte man gerade an Regentagen mit leisem Schauder, wie fern diese Stadt der Natur und allem Lebendigen stand. Nicht auf Erde, sondern auf marmornen Fundamenten erbaut, ohne Grün, ohne Vogelsang, ohne den Hufschlag der Rosse, ohne den erregenden Lärm rollender Räder schien sie wider die Gesetze der Natur und der Menschlichkeit gezeugt, und wenn etwas an ihr nicht steinern, sondern natürlich und menschlich war, dann war es mit Schlamm überzogen und roch nach Verwesung. So wenigstens schien es Elisabeth. Die Zeit, da sie Venedig mit den verliebten Augen ihrer Jugend betrachtet hatte, lag weit hinter ihr, und wenn die Fürstin Tassini sie heute gefragt hätte: »Do you like Venise?« so hätte Elisabeth wahrscheinlich gesagt oder wenigstens gedacht, daß sie diese Stadt verabscheute, in deren schlammigen Kanälen die Gallionen ihrer Träume und Hoffnungen schmählich untergegangen waren. Zum erstenmal hatte sie dies Grauen vor der Stadt an jenem Abend empfunden, da sie mit Ettore von der Lügenreise nach seinen Gütern heimkehrte; seitdem war es zuerst sprungweise, dann schleichend immer wieder gekommen, wollte sie nicht mehr verlassen, so sehr sie sich auch gemüht hatte, es zu versuchen und Venedig wieder zu lieben, wie sie es früher geliebt hatte. Sie fand aber das alte Gefühl nie mehr. Vielmehr dachte sie jetzt manches Mal an die Abneigung, die ihr Bruder, der Leutnant Otto, damals, auf ihrer ersten Italienreise, gegen dies Land empfunden hatte, und wenn sie ihn damals belächelt hatte, so gab sie ihm heute recht. An den Marmorquadern dieser unnatürlichen Stadt und an den Geschöpfen, die sie hervorbrachte, an den Gesetzen, von denen sie sich beherrschen ließ, stieß sich jeder die Stirne ein, der mit einem Herzen voll Sehnsucht und Idealen zu ihr kam.

Das Zimmer, in dem Elisabeth saß, war das rosenfarbene Damastboudoir, das Ettore eingerichtet hatte, als sie heirateten. Es hatte immer noch seine kostbaren, überzierlichen Möbel, aber es sah doch ganz anders aus als früher, da es eigentlich nur für die Phantasien einer großen Weltdame bestimmt schien. Allerlei praktische, vom modernen Kunstgewerbe gefertigte Gegenstände hatten die Damaststimmung mehr und mehr verdrängt, zeigten, daß in diesem Raum ein Mensch wohnte, der es gewöhnt war, sich auf sich selbst zu besinnen, und der seine Anregungen nicht von außen her bezog. An den Wänden hingen jetzt neben den Rokokobildern, die sich so stilvoll dem rosenfarbenen Damast angepaßt hatten, allerlei Familienporträte der Schöttlings und ganz moderne Kunstblätter, auf dem Schreibtisch stand in einem bescheidenen Rahmen eine Photographie, welche die beiden Knaben Elisabeths zeigte, ihr gegenüber die ihres Vaters. Auf einem großen Büchertisch lagen sowohl moderne Schriften wie deutsche und französische Klassiker, und die Böcklin-Mappe hielt gute Nachbarschaft mit einem großen, italienischen Werk, das Reproduktionen aus den Uffizien, dem Pitti und der Academia in Venedig barg. Schön und behaglich war das Zimmer, weil man eben überall die Spur eines Menschen, einer Frau fühlte. Doch wie dieser Raum seit wenig Jahren seinen Charakter völlig verändert hatte, so war auch Elisabeth eine andere geworden, als sie damals gewesen, da sie mit ihrem Vater zum erstenmal Venedig grüßte.

Aeußerlich war sie wohl ziemlich die gleiche geblieben. Wer sie zum erstenmal und nur flüchtig sah, mochte denken, daß sie immer noch eine hübsche Blondine war, wer aber schärfer hinsah, merkte, daß auf diese weiße Stirn das Leben schon das grausame Wort geschrieben hatte, in dem schließlich jedes Frauenschicksal ausklingt: »Entsage!«

Die Ehe Priuli sah nach außen noch ziemlich tadellos aus, war aber in Wirklichkeit nichts mehr als eine Fassade, hinter der die Gatten sich unbemerkt immer weiter voneinander entfernt hatten, so daß sie jetzt einander kaum mehr zu unterscheiden vermochten. Die Leere, die Elisabeth schon so bald nach der Hochzeit zwischen sich und ihrem Mann gespürt hatte, war nie auszufüllen gewesen, hatte sich im Gegenteil immer mehr erweitert, so daß sie jetzt oft tagelang kaum anderes zueinander sagten als »Guten Tag« und »Adieu«, nur weil sie sich gar nichts zu sagen hatten. Die Mahlzeiten mit der alten Gräfin waren jetzt meist die einzige Gelegenheit, wo ein Gespräch sich entwickelte, denn die Gräfin füllte wenigstens mit allerlei banalen Reden und Stadtneuigkeiten die Leere aus, die öde und beklemmend zwischen dem Ehepaar lag. Die Kinder aßen nicht mit am Tisch, für kurze Zeit hatte Elisabeth zwar versucht, den älteren Knaben neben sich zu setzen, aber Ettore fütterte ihn unvernünftig mit allen möglichen Speisen, die das Kind nicht essen sollte, gab ihm unter schallendem Gelächter Wein und Kaffee zu trinken, ließ ihm alle Unarten durchgehen, so daß Elisabeth, die ihre Kinder genau so streng und einfach erziehen wollte, wie sie selbst erzogen worden war, den Kleinen wieder ins Kinderzimmer zu dem jüngeren Bruder und der Bonne zurückschickte. Ettore und seine Mutter waren zwar empört, spöttelten über die Pedanterie Elisabeths und begriffen nicht, daß ihr ein Erziehungsprinzip mehr galt als das Vergnügen, den Kleinen bei Tisch zu haben. Elisabeth ließ sie reden und sagte nichts. Sie war's schon so gewöhnt, daß sie mit all ihren Ansichten in diesem Hause allein stand. Zu Anfang freilich hatte sie manches Mal verzweifeln wollen, daß es zwischen ihr und ihrem Mann so gar nichts Gemeinsames mehr gab, nun aber hatte sie gelernt es zu ertragen und hing dem Unabänderlichen nicht weiter nach.

Ettore war immer oder fast immer so heiter, wie nur ein Mensch sein kann, der mit sich und seinem Dasein sehr zufrieden ist. Er führte jetzt das Leben, das er stets erträumt hatte, das Leben des reichen Müßiggängers, und er fühlte sich durchaus nicht bedrückt, daß er es nur dem Geld seiner Frau zu danken hatte. Während Elisabeth sich unter Herzeleid und allen Qualen der Angst von ihm losgerungen hatte, war er lächelnd von ihr weggetänzelt wie von einem Abenteuer, das angenehm war, dessen Zeit aber nun um ist. Wenn er zunächst auch noch leidlich vorsichtig war, so wußte sie doch, daß er in Varietés und untergeordneten Lokalen den vulgären Zerstreuungen nachlief, die schon sein Junggesellenleben geschmückt hatten. Niemals hatte Elisabeth ein Wort oder auch nur eine Anspielung darüber verloren, denn es hätte ihrem Stolz widerstrebt, als eifersüchtige Frau vor ihrem Manne zu stehen. Die kleinen Mädchen waren ja auch noch gar nicht das Schlimmste; viel schlimmer war das andere, das sich ihr unversehens vor etlichen Monaten geoffenbart hatte.

 

Das war eine Nacht, in der Ettore erst nach Hause kam, als die Morgendämmerung schon mit ruckweisem Flimmern das Dunkel zu verdrängen begann. Es geschah jetzt nicht selten, daß er übermäßig lange im Klub oder sonst bei einem Amüsement blieb, und Elisabeth wunderte sich auch gar nicht mehr, stellte sich schlafend und blinzelte nur unter geschlossenen Lidern nach ihm hin, weniger aus Neugier, als um zu sehen, ob er nicht bald das Licht verlöschte, das ihrer Müdigkeit wehe tat. Sie erschrak, als sie sein Gesicht erblickte. Sie war's wohl gewöhnt, daß er übernächtig heimkam, aber so wie heute war er noch nie gewesen. Sein Gesicht sah fahl und verzerrt aus, das dichte Haar hing ihm in Büscheln zusammengeklebt in die Stirn, die Krawatte war verschoben, der Hut hing auf dem Hinterkopf, und seine Hände zitterten wie von einer großen, inneren Erregung. Er begann sich zu entkleiden, warf achtlos den Hut hierhin, den Rock dahin, knöpfte den Kragen ab, schleuderte ihn in eine Ecke, ließ sich schwerfällig in einen Stuhl fallen und starrte vor sich hin. Bei jedem andern Mann hätte Elisabeth gedacht, daß er betrunken sei, aber sie wußte, wie nüchtern Ettore war und daß er, wo immer er sein mochte, nie um einen Tropfen mehr trank, als er gemächlich vertrug. Es mußte also etwas anderes sein, das ihn so zerwühlt hatte, und weil sie sich nicht denken konnte, was es sei, vergaß sie alles, was zwischen ihnen lag, und rief ihn an. Er fuhr aus seinem Hinbrüten auf, starrte sie einen Augenblick an, fuhr sich mit einer wilden Geste durch die zerzausten Haare, ließ die Arme wieder sinken und verbarg das Gesicht in den Händen wie einer, der zu Ende ist mit seiner Kraft und seinem Denken. Elisabeth fühlte, wie ihr das Herz bis zum Halse schlug vor Angst.

»Ettore! Um Gottes willen, Ettore, sag' doch, was geschehen ist!«

Er ließ die Hände sinken, starrte seine Frau wieder mit gläsernem Blick an, sprang dann auf, schritt heftig gestikulierend, fluchend, nach Unbekannten mit Schimpfwörtern werfend im Zimmer hin und her. Da erfuhr sie's denn: er hatte in dieser Nacht im Klub an 80 000 Lire verloren.

»Verloren, haha, das sagt man wohl so! Verloren, was heißt verloren? Abgenommen haben sie mir's, abgeschwindelt, abgegaunert wie professionelle Falschspieler, diese Lumpen, diese Betrüger, diese …!«

Elisabeth hatte sich im Bett aufgesetzt, sah auf den rastlos hin und her schreitenden Mann und verstand wohl, daß er jetzt Dinge sagte, die er schwerlich verantworten konnte, und an die er bei ruhigem Blut selbst nicht glaubte. Eins nur blieb Wahrheit: er hatte wie ein Wahnsinniger gespielt und verloren. Sie ballte die Fäuste, streckte sie zornig nach ihrem Manne aus, als wolle sie ihn treffen, preßte sie dann vor die Augen und stöhnte zwischen Abscheu und Tränen:

»Ettore, o Ettore, was hast Du getan!«

Wütend blieb er stehen.

»Ettore, o Ettore, was hast Du getan!« äffte er sie mit verzerrtem Gesicht nach. »Glaubst Du vielleicht, daß das Geld davon wieder herkommt? Ah, ah, le brutte bestie, dieser Gaulo, dieser Nicco Fabbriani! Hat man je so etwas gesehen? Ausgeplündert, ausgeraubt haben sie mich wie Banditen. Aber ich werd's ihnen schon zeigen, diesen Halunken, diesen Griechen! Bei der Polizei müßte man sie anzeigen und ihnen das Handwerk legen. Wie sie's gemacht haben, weiß der Kuckuck, aber mit rechten Dingen ist es nicht zugegangen, das schwör' ich bei allen Nothelfern und bei meiner ewigen Seligkeit!«

Er wetterte und fluchte noch eine Weile fort, kam dann langsam zu Elisabeth hin, setzte sich auf den Rand ihres Bettes, umfaßte sie mit beiden Armen und fing an zu schluchzen.

»Carina, ich bin so unglücklich, Du weißt gar nicht, wie mir zumute ist! Sei nicht böse, bitte, bitte, Liebste, sei nicht böse, wenn ich abscheulich und roh gegen Dich war. Aber wenn Du wüßtest, wie diese Bestien zugesetzt haben …«

»Scht, scht!«

Elisabeth bezwang den Ekel, der ihr im Halse saß, glitt leise tröstend über Ettores wirres Haar, versuchte ihm zuzureden, seine Anklagen zu ersticken, aber sie brachte kein Wort heraus. Sie hielt ihn nur an ihrer Brust und weinte lautlos, stoßweise über seinen Kopf hin, weinte viel weniger über das Bekenntnis, das er abgelegt, als über alles, was zwischen ihnen in Scherben lag …

Als Ettore eine Weile wie ein Kind an der Brust seiner Frau gestöhnt und geschluchzt hatte, war er auch müde wie ein verweintes Kind, legte sich zu Bett und schlief bis in den Mittag hinein einen bleischweren Schlaf. Als er aufwachte, fühlte er sich wohl und erquickt, und als er gar erst die Sonne am Himmel stehen sah, kam ihm diese ganze Nacht nur wie ein unwahrscheinlicher Spuk vor. Er machte sorgfältig Toilette, frühstückte behaglich und spürte nur eine leise Verlegenheit, als er des Geldes wegen in das Zimmer seiner Frau gehen mußte. Elisabeth hatte auf den ausdrücklichen Wunsch ihres Vaters hin die Verwaltung ihres Vermögens in Händen behalten, und wenn auch Ettore stets jede Summe hatte erheben können, die er wollte, so bedurfte er doch jedesmal die Unterschrift seiner Frau. Um die ganze Geschichte ihrer Wichtigkeit zu entkleiden und sie nur wie ein kleines peinliches Abenteuer darzustellen, gab er sich Mühe, recht sorglos auszusehen, legte sein scharmantes Lächeln auf und spazierte heiter, Hut und Stöckchen in der Hand, zu seiner Frau hinein.

Wie er sie erblickte, wurde ihm unbehaglich zumute. Er merkte, daß sie wieder das Gesicht trug, das er schon auf der Hochzeitsreise an ihr gesehen hatte und später noch einmal, nach der Heimkehr von den Gütern, – das Gesicht der fremden Frau, die er nicht kannte. Er küßte ihr die Hand, erkundigte sich teilnehmend, wie sie geschlafen habe. Dann mit leiser, schmelzender Stimme:

»Carina, möchtest Du mir nicht den Scheck ausfüllen? Ich will diese leidige Angelegenheit doch so bald wie möglich in Ordnung bringen!«

Sie stand an ihrem Schreibtisch, reichte ihm den Scheck, der schon seit heute morgen ausgestellt dalag. Sie kämpfte noch mit sich, denn es war ihr peinlich, dem Manne Vorwürfe zu machen oder Verhaltungsmaßregeln zu geben, aber sie bezwang sich und sagte, während sie ihm den Scheck reichte:

»Ettore, so peinlich es mir auch ist, so muß ich doch noch zwei Worte über diese Sache sprechen. Ich habe Dir stets meine Bereitwilligkeit gezeigt, all Deinen Wünschen und Neigungen entgegenzukommen, und ich gebe Dir auch heute diesen Scheck, weil ich weiß, daß Spielschulden innerhalb vierundzwanzig Stunden zu bezahlen sind. Aber ein zweites Mal tu ich's nicht, merk' Dir das! Ich habe nicht Lust, das Vermögen der Kinder von Dir verspielen zu lassen. Es heißt ja wohl, einmal ist keinmal, darum wollen wir über das, was gestern nacht war, nicht weiter reden, aber ich bitte Dich um Deinet- und um meinetwillen, tu' es kein zweites Mal, denn es gäbe nur peinliche Szenen und für Dich jedenfalls die unangenehmsten Folgen. Es gibt Dinge, von denen mich kein Mensch auf der Welt, auch Du nicht, abbringen kann. Zu diesen Dingen gehört meine Verachtung für alles, was Spiel und Spieler heißt, und ich würde mich unter keiner, hörst Du, unter keiner Bedingung dazu hergeben, einem Spieler irgendwie zu helfen –«