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Die große Gauklerin

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Während die Gondel langsam auf dem Kanal dahinglitt, dachte sich Ettore ein wenig sein künftiges Dasein aus. Er träumte gar nicht von besonderen Ausschweifungen oder Extravaganzen, sondern nur von einem unendlichen süßen Genuß, in dem man weder von Gläubigern gestört wurde noch Carlo Priuli um ein Darlehen angehen mußte. Die Hand dieser blonden, gütigen Deutschen würde ihm alles geben, was er vom Leben begehrte, und je mehr er an sie dachte, um so lieber wurde ihm ihr stiller Reiz, gerade weil so vieles an ihr seinem eigenen Wesen fremd und unverständlich blieb.

Die Hauptsache war nun freilich, sie endlich kennen zu lernen. Das war offenbar schwerer, als es den Anschein hatte, denn Ettore erwog diesen und jenen Plan, der zu einer Anknüpfung dienen sollte, verwarf sie aber alle als töricht oder gar zu plump. Hätte sich's um eine Amerikanerin gehandelt, so wäre er ganz einfach mit dem Portier des Hotels in Verbindung getreten, aber sein Instinkt sagte ihm, daß er hier vorsichtiger sein müßte, daß dies Mädchen und seine Rasse subtilere Begriffe von Liebe und Ehe hat als die Völker des Südens oder des andern Erdteils. Da fiel ihm ein, daß in etwa acht Tagen auf dem Canal Grande ein großer Blumenkorso geplant war, und er beschloß, diese festliche Veranstaltung auszunützen, um sich den Schöttlings zu nähern. Freilich waren acht Tage eine lange Zeit, und die Schöttlings konnten inzwischen abgereist sein, aber Ettore fühlte sich schon so sicher, daß er solche Abreise gar nicht mehr ernsthaft in den Kreis seiner Betrachtungen zog, sondern sich auf Elisabeths Verliebtheit und ihre Frauenlist verließ. Die Kleine war gewiß schon vergafft in ihn, und wenn er es klug anstellte, da und dort nochmals wie von ungefähr ihren Weg kreuzte, würde sie gewiß den Vater drängen, immer noch ein paar Tage zuzugeben, bis sie vor dem Blumenkorso standen, den sie als eifrige Italienreisende doch sicher nicht versäumen wollten. Als Ettore in seinen Gedanken so weit gekommen war, fuhr die Gondel wieder sacht am Palazzo Priuli vor, und er sprang vergnügt die breite Marmortreppe hinan, um der mamma und Eleonore von seinen heiteren Zukunftsplänen zu sprechen! –

Am Tag des Blumenkorsos bot der Canal Grande ein prächtiges Bild. Von den Fenstern aller Paläste hingen purpurfarbene oder golddurchwirkte Prunktücher hernieder, zwischen den Schiffspilonen spannten sich grüne oder bunte Girlanden, und von den Knäufen wehten farbige Wimpel in eine helle, von sommerlicher Lust durchleuchtete Luft hinein. Zahllose Gondeln tummelten sich auf der sanftbewegten Welle, und ihr düsteres Schwarz verschwand beinahe unter der weißen, rosigen, violetten, blauen, zitronenfarbenen und scharlachenen Blumenpracht, mit der man sie verschüttet hatte. Was Venedig an Schönheit, Adel und Reichtum besaß, kam in der Blumenbarke einhergefahren, gerudert von Gondolieri in prächtigen, hellen Gewändern mit Blumensträußen auf den breitrandigen Hüten und im Schärpengurt. Da sah man weltberühmte Schönheiten, vor deren Zauber selbst Kaiser die Stirne neigten, Spitzen, Ohrgehänge, Ringe und Hutagraffen, die den Brautschatz einer Königstochter beschämt hätten, und neben ihnen jüngere Reize, jüngeren Reichtum, denen aber noch das verbriefte Recht der allgemeinen Anerkennung fehlte, und die doch danach drängten, morgen das zu sein, was die Erbgesessenen heute schon waren. Ueber allen aber, gleichviel zu welcher Zeit und zu welcher Kaste sie gehörten, lag eine jauchzende Fröhlichkeit, die kindliche Freude des Südländers am Dasein, an der Stunde, überall sah man dunkle Augen, die entzückt leuchteten, rote Lippen, die übermütig lachten, üppige Frauenkörper, die sich wie in wonnigem Rausch über den Blumenhügel beugten, der zu ihren Füßen lag, mit Verschwenderwonne hineingriffen, jauchzend eine Garbe voll köstlichen Duftes in eine andere Gondel hineinschleuderten, um von dort die holde Gegengabe zu empfangen. Mit all seinen geschmückten Palästen und Gondeln, seinen schönen, heiteren Menschen sah der Canal Grande aus, als wäre aus dem Schutt und der Nüchternheit der Gegenwart Venedig für ein paar Stunden zu seiner alten Pracht erwacht und feiere in der Sonne eines Frühsommertags ein Fest der Renaissance. Schöttlings, die ihre Abreise von Tag zu Tag verschoben, hatten zuerst gemeint, daß sie den Blumenkorso von einem Hotelfenster aus ansehen wollten. Der Direktor des Hotels hatte ihnen aber zugeredet, doch lieber eine Gondel zu mieten, damit sie den ganzen Kanal überblicken konnten, und so fuhren sie jetzt in einer etwas banal und dürftig mit Mimosen geputzten Gondel daher, sahen auch, sie fühlten es wohl, mit ihren blonden Gesichtern und ihrer diskreten Eleganz, die jede kecke Farbe oder Nüance verschmähte, fremd und ernsthaft aus in dem dunkeläugigen, bunten und jauchzenden Getriebe um sie her. Sie hatten aber kaum Muße, über sich oder den Eindruck, den sie hervorbrachten, nachzudenken, denn immerfort gab es, bald auf dieser, bald auf jener Seite, irgend etwas zu sehen, was ihre Aufmerksamkeit fesselte und entzückte; außerdem schaute sich Elisabeth die Augen fast blind, ob sie nicht die eine Gondel sähe, um derentwillen sie eigentlich gekommen waren, die Gondel der Priuli. Vorläufig war sie aber noch nirgends zu erblicken, und Elisabeth mußte sich damit begnügen, die Insassen der andern Gondeln zu mustern.

Unter all diesen Gondeln fiel ihr eine besonders auf, weniger weil sie so verschwenderisch mit weißen Rosen verbrämt war, daß sie einem schwimmenden Rosenbeet glich, als wegen der Dame, die in den schwarzen Kissen saß. Es war eine schlanke Frau mit rötlichen, krausen Haaren, den hellen Augen und dem langen, etwas vorgeschobenen Kinn der Engländerin. Sie trug ein silberfarbenes Seidenkleid und einen breitrandigen Hut mit fünf oder sechs langen, weißen Straußenfedern. Um ihren Hals hingen bis über den Gürtel herab sieben, acht Perlenschnüre von einer Größe und einer Schönheit der Perlen, wie man sie sonst nur in den Schatzkammern von Fürstenschlössern sieht. Das Gesicht wirkte auf den ersten Blick frisch und jugendlich, sah man aber näher hin, so merkte man, daß es wie zersägt war von tausend kleinen, feinen Linien des Lebens und wie versteint in hochmütig getragenem Leid. Hochmütig war auch das Lächeln um die herabgezogenen Mundwinkel, hochmütig die Geste, mit der sie nachlässig ein Blumengeschoß versandte oder empfing. Es war auch, als ob die laute Lust der andern vor dieser weißen Rosengondel stiller würde, als ob diese Frau mit dem rötlichen Haar und dem versteinten Gesicht ihnen allen fremd geblieben sei, wenngleich sie seit Jahrzehnten mit ihr lebten und verkehrten. Elisabeth fragte den Gondoliere, wer die Dame sei.

»La Principessa Tassini!« Erläuternd machte er Elisabeth auf die Perlenschnüre der Fürstin aufmerksam, die so schön seien, daß nur die Königin-Mutter Margherita schönere besäße. Man sah ihm an, daß er gern noch mehr von diesen Perlen und der Fürstin gesprochen hätte, aber er mußte auf seine Gondel aufpassen, scheute sich wohl auch hier zu berichten, was ganz Venedig wußte und flüsterte. Jedenfalls aber merkte Elisabeth, daß es mit dieser Frau und ihrem Schmuck ein besonderes Bewenden haben müsse, und sie nahm sich vor, den Hoteldirektor bei der Rückkehr danach zu fragen.

Da kam dann auch endlich die Gondel, nach der sie so lange und sehnsüchtig ausgeschaut hatte, und über der sie jetzt alles andere vergaß. Ettore und Eleonore Priuli saßen in einem Gefährt, das über und über mit Büscheln aus fleischfarbenen Rhododendren geschmückt war, und inmitten dieser üppigen Blüten des Orients wirkte ihre dunkle, junge Schönheit so sieghaft, daß, wo sie vorbeikamen, die Menschen erstaunt und bewundernd blickten. Vielleicht war Eleonore für deutschen Geschmack etwas zu auffallend mit ihrem gigantischen Hut und einem hellroten Musselinkleid, vielleicht auch zu stark geschnürt und zu weiß gepudert, aber Elisabeth meinte doch, kaum je ein schöneres Mädchen gesehen zu haben, suchte und fand entzückt in Eleonorens Gesicht die Züge Ettores wieder. Eleonore sah die Deutsche mit großen Augen an und lächelte ihr zu. Der Bruder hatte ihr ja schon ausdrücklich gesagt, was er von diesem Blumenkorso hoffte, und Eleonore war entschlossen, die Initiative zu ergreifen. Sie beugte sich jetzt ein wenig zur Seite, griff ein paar Hände von den fleischfarbenen Blüten und schleuderte sie geschickt in Elisabeths Schoß. Die wollte eben ein wenig linkisch mit Mimosen erwidern, da kam ein ganzer Regen von Rhododendren auf sie nieder, von Ettores Hand geschleudert, der aufgestanden war und sich jetzt mit flammenden Blicken vor der Gondel des deutschen Paares verneigte. Sie dankten dem Gruß, Elisabeth befangen, der Oberst entzückt von dieser leichten Art sich zu geben und eine Huldigung zu erweisen. Dann waren die beiden Gondeln aneinander vorübergeglitten, und es dauerte geraume Zeit, ehe sie sich im Gewirr der andern wiederfanden. Aber sie fanden sich wieder, und jedesmal grüßten sich Blumen, Blicke, Lachen und Lächeln.

Nach einiger Zeit lichtete sich das übergroße Gedränge. Elisabeth, die sich außer für die Priuli jetzt nur noch ein wenig für die Fürstin Tassini interessierte, hätte gerne noch einmal das schwimmende, weiße Rosenbeet gesehen, aber die Fürstin war nur ein einziges Mal auf- und abgefahren und dann in ihren Palast zurückgekehrt. Auch die Priuli hatten eigentlich schon genug von der Blumenschlacht und wollten nur den Augenblick abwarten, wo die Schöttlings zu ihrem Hotel fuhren. Sie hielten sich dicht hinter ihnen, und als die Gondel vor dem Hotel anlegte und ein alter Bettler sie mit dem Enterhaken herangezogen hatte, sprang Ettore behend aus der seinen und schüttete, noch ehe Elisabeth den Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatte, den Rest seiner Rhododendren, die er eigens zu diesem Zweck aufgespart hatte, vor ihr auf die Stufen hin, daß sie wie über einen Blütenteppich schritt. Am nächsten Tag speiste das Geschwisterpaar auf der großen Terrasse des Hotel Bauer-Grünwald an einem Tisch, den Ettore schon morgens hatte belegen lassen, und der dicht neben dem der Schöttlings stand. Im Verlauf des Dejeuners ließ Eleonore ganz zufällig und geschickt nach der Schöttlingschen Seite hin ein Armband fallen, das der Oberst dienstbeflissen aufhob und mit etlichen verbindlich geradebrechten Worten zurückgab. So war unschwer die von den jungen Leuten ersehnte Gelegenheit zur Anknüpfung gefunden, und kaum vierzehn Tage später verkündete Ettore auf dem Lido seinen erstaunten Freunden, daß er sich nun wirklich mit Fräulein von Schöttling verlobt habe.

 

5

Nun kamen für Elisabeth Tage so voll Glück, daß sie beinahe schwer daran trug und vor der Buße bangte, die sie dem Schicksal dafür späterhin zahlen mußte. Wie bei anderen das Unglück, so kam bei ihr das Glück Schlag auf Schlag. Zuerst der Reichtum, dann die Italienfahrt und als deren Krönung nun die Vermählung mit einem Mann, den sie wie in einem Märchen sich zu eigen gemacht hatte, kaum daß er sie erblickt hatte. Wie jedes verliebte Mädchen hätte natürlich auch sie mit dem Geliebten freudig ein bescheidenes Los geteilt, wäre mit ihm, wenn es die Notwendigkeit erfordert hätte, in ein kleines Nest gegangen oder von einer Provinzgarnison zur anderen, aber dies eben erschien ihr so wunderbar, daß der Mann ihres Herzens sie auch noch einem Geschlecht, einem Hause zuführte, das ihre Einbildungskraft lebhaft beschäftigte, und daß sie nun zeitlebens in der Stadt wohnen sollte, in der ihr jeder Tag wie ein Feiertag erschien. Wie sie als Braut zum erstenmal mit ihrem Vater am Palazzo Priuli vorfuhr, war sie blaß und ernst, und als Ettore sie zärtlich über die Marmorstufen durch die dunkle Erzpforte geleitete, überlief sie ein kleiner Schauer, den sie selbst nicht begriff, und über den Ettore lachen mußte.

»Sie friert, die arme, kleine Deutsche. Sie friert schon jetzt, im Sommer, weil keine Zentralheizung da ist und kein Kachelofen.«

Elisabeth lächelte einen Augenblick, wurde aber gleich wieder ernst.

»Nein, das ist es gewiß nicht! Aber ich bin doch heute zum erstenmal in Deinem Hause, denn früher war ich doch nur in Deiner Galerie. Und siehst Du, in solch einem Palast steckt so viel Altes, Ueberkommenes, Bindendes, – ein großer Name legt auch große Verpflichtungen auf, und ich frage mich, ob ich sie alle erfüllen kann.«

Ettore, der sich niemals mit solchen Ideen trug und in seinem ganzen Leben noch nicht über die Beziehungen zwischen seinem Namen und seiner Lebensaufgabe nachgedacht hatte, war zuerst ein wenig verblüfft, küßte dann aber Elisabeths Hand und meinte heiter:

»O, la carina, was sie für Gedanken im Kopf hat! Das mußt Du Dir abgewöhnen, Schatz, oder vielmehr, ich werde Dir's abgewöhnen. Eine schöne, junge Frau muß immer lachen und fröhlich sein und soll keine Dinge denken, bei denen sie zwei Falten auf der Stirne ziehen muß, wie Du jetzt!«

Elisabeth entgegnete nichts. Es war nicht leicht, Ettore alles auseinanderzusetzen, was in ihr vorging, denn er sprach kein Wort Deutsch, und die Konversation mußte also entweder französisch geführt werden, von dem er wenigstens ein paar Brocken wußte, oder italienisch, das wiederum Elisabeth doch nicht genügend beherrschte, um für alle Empfindungen oder Dinge stets den rechten Ausdruck zu finden. Sie durchschritten die Bildergalerie, um zuerst in eine kleine Flucht früherer Prunkräume zu gelangen und dann hinaufzusteigen zu den Wohnräumen der Familie und etlichen Gesellschaftszimmern, die aber seit dem Tode des alten Priuli nicht mehr oder nur selten benutzt wurden. Vor der ›Dogaressa‹ blieb Elisabeth stehen, während der Oberst als taktvoller Brautvater sich in die Betrachtung einer uninteressanten, aber entfernt hängenden Landschaft vertiefte. Elisabeth, die eben in diesen Tagen einen neu erschienenen Essay über das Bild gelesen hatte, fragten ihren Bräutigam:

»Hast Du das schon je gehört, daß die ›Dogaressa‹ eigentlich Venedig selbst darstellen soll?«

Ettore schüttelte den Kopf. Nein, er hatte es nie gehört. Es interessierte ihn auch gar nicht.

»Ich halte es für gar nicht unwahrscheinlich, gerade weil man im Hintergrund den Dogen auf dem Bucentauro sieht. Ich finde diese neueste Deutung sehr hübsch, nur sollte die Venezia dann strahlender aussehen, nicht so, als ob sie sich heimlich über ihre Hochzeit kränke.«

Ettore fand dies Kunstgespräch sehr langweilig. Er legte den Arm um Elisabeths Schultern, küßte sie mit kleinen Küssen hinter das Ohr, wo das Haar in einem blonden Flaum endete, und meinte überzeugt:

»Laß Dir doch keine solchen Dinge einreden! Die ›Dogaressa‹ ist ganz gewiß eine Priuli. Aber selbst wenn sie keine ist, was kümmert's uns? Sie hält einen Ring, und sie wartet gewiß mit derselben Ungeduld wie ich darauf, daß ich ihn meinem gelehrten Fräulein anstecke und sie als Gräfin Priuli hierherführe!«

Er zog sie fester an sich, redete ihr tausend süße, heiße Dinge vor, so daß sie am liebsten alle beide immerfort hier vor dem Bild geblieben wären, statt die Gemächer zu besichtigen, die für das junge Paar eingerichtet werden sollten.

Elisabeth sah alles mit verliebten Augen, und darum kam ihr alles schön und richtig vor, zudem ja auch die Priuli sich Mühe gegeben hatten, den allzu sichtbaren Verfall zu verkleistern und zu verstecken. Man hatte vom Speicher alte Bilder und Waffen geholt und sie über die allergrößten Risse der Seidentapeten gehängt, ein billiger Hausarbeiter hatte in Eile ein paar klaffende Sprünge der Plafonds ausgefüllt, der elegante Diener, der sonst nur für die Besuchsstunden der Galerie vorhanden war, stand jetzt als Kammerdiener in Ettores Dienst, die alte Magd war, wie ein Möbel, dessen man sich schämte, in die Küche gedrängt, und so machte alles, wenn auch nicht einen reichen, so doch einen anständigen Eindruck. Die Schöttlings wußten wohl, daß hinter den Priuli kein Reichtum mehr stand, Ettore hatte bei seiner Werbung daraus kein Hehl gemacht, wenngleich er die Armut seiner Familie wie seine Schulden verschwieg und so tat, als ob immerhin ein festes, wenn auch kleines Einkommen vorhanden sei.

Auch die Familie Priuli gefiel den Schöttlings. Eleonore hatte schon durch ihre Schönheit gewonnenes Spiel, und die Gräfin-Mutter, die sich vor den neuen Verwandten natürlich weder unfrisiert noch im Schlafrock, sondern nur im würdigen Seidenkleid mit altem Familienschmuck sehen ließ, erschien Elisabeth verehrungswürdig, weil sie Ettores Mutter war. Von weitläufigeren Verwandten lernte sie zunächst nur Carlo Priuli kennen und fand ihn nicht unangenehm, obschon Ettore ihn als Egoisten und Geizkragen geschildert hatte. Ettore hatte guten Grund, seine Braut gegen den Vetter einzunehmen, denn er fürchtete, daß Carlo am Ende von den Darlehen sprechen könnte, die er Ettore so oft gegeben hatte, und von noch manch anderem dazu, was nicht gerade für die Ohren einer Braut, noch dazu einer deutschen Braut bestimmt war. Er war jetzt Carlo gegenüber um so unsicherer, weil der Ingenieur leidlich Deutsch sprach und es tadellos verstand, so daß er selbst in Ettores Gegenwart Dinge hätte erörtern können, die jenem unverständlich blieben. Carlo dachte aber gar nicht daran, die Befürchtungen seines schönen Vetters zu erfüllen. Er hielt Ettore zwar für einen ausgemachten Tunichtgut, – aber welchen Sinn hätte es gehabt, ein verliebtes Mädchen zu warnen, oder einen Vater, der schon freudig seine Einwilligung gegeben hatte und nicht zu ahnen schien, was sich hinter Venedig und seinen Palästen bergen konnte! Zudem hätte man ja auch nichts wirklich Belastendes gegen Ettore vorbringen können, denn die Liebesgeschichten und Schulden, die er auf dem Konto hatte, zählten ja nach der landläufigen Auffassung von Junggesellen- und Kavaliersgepflogenheiten nicht mit, und daß er ohne Beruf und Arbeit in der Welt umherlief, lag so klar am Tag, daß die Schöttlings es selber sehen mußten, wenn sie es sehen wollten. Was hätte also Carlo Priuli sagen sollen, selbst wenn er die Schöttlings, die er gleich als ehrbare und tüchtige Menschen erkannte, vor Untiefen hätte warnen wollen, die er wohl vermutete, aber nicht mit Namen nennen konnte? Ein einziges Mal nur versuchte er leise anzutippen in einem Gespräch, das er mit dem Oberst über die Kaufkraft deutschen Kapitals und die Widerstandsfähigkeit deutscher Banken führte. Der Oberst als neugebackener Kapitalist erwog den Ankauf verschiedener ausländischer und überseeischer Papiere, und da sagte Carlo ruhig und bestimmt:

»Ich finde es immer begreiflich und klug, wenn die Deutschen ihr Kapital im Lande behalten, statt es auf fremden Börsen oder in fremden Unternehmungen zu riskieren!«

Ettore, der mit Elisabeth ein wenig abseits saß und flüsterte, aber doch immer hinhorchen wollte, was die beiden verhandelten, fing jetzt das immer wiederkehrende Wort »Bank« und »Kapital« auf, dessen Bedeutung er doch kannte, und fragte mit lauernder Liebenswürdigkeit:

»Ihr verhandelt wohl nur über Geldsachen?«

Carlo sah ihn an.

»Ja. Ich habe eben Deinem Schwiegervater gesagt, daß ich immerfort Deutschland für das beste Anlagekapital halte!«

Ettore lachte gezwungen.

»Du bist ja ein glänzender Patriot! Du diskreditierst uns und möchtest wohl am liebsten das Geld von uns fernhalten, statt es zu uns hereinzuführen!«

»Das sind Dinge, die sich nicht prinzipiell, sondern immer nur von Fall zu Fall bestimmen lassen!«

Die beiden Vettern hatten nach italienischer Art sehr lebhaft, scheinbar heftig miteinander geredet, so daß Elisabeth intervenieren wollte. Sie ergriff Ettores Hand:

»Laß doch, Du sollst nicht mit jemand um Geld streiten! Was geht uns überhaupt das Geld der andern an?«

Ettore warf Carlo einen triumphierenden Blick zu, fragte Elisabeth halb im Scherz, halb im Ernst:

»Carina, werden wir uns überhaupt nie streiten?«

»Mit meinem Willen nie!« versicherte Elisabeth so ernsthaft, daß Carlo ärgerlich den Kopf wegwandte und bei sich dachte, daß die Liebe doch wirklich jeden Menschen unzurechnungsfähig mache.

Sehr lange dauerte aber der Aufenthalt der Schöttlings in Venedig nicht mehr. Sie mußten nach Deutschland zurückkehren, um Elisabeths Aussteuer zu bestellen und die Hochzeitsvorbereitungen zu treffen, während Ettore den Palazzo Priuli glänzend instandsetzen lassen wollte, denn er gedachte mit seiner jungen Frau ein großes Haus zu führen. Er wollte mit Elisabeth das obere Stockwerk bewohnen, im unteren Stockwerk neben den Prunkräumen, die vielleicht für ganz besondere Feste mit herangezogen werden konnten, sollte die Wohnung für die alte Gräfin und Eleonore hergerichtet werden, was ziemlich lange Zeit in Anspruch nehmen konnte, denn hier fehlten alle Vorbedingungen für Wirtschaftsräume und mußten erst, zuweilen unter beträchtlichen Schwierigkeiten, neu geschaffen werden. Ettore hatte zwar zuerst gemeint, wenn auch nicht klipp und klar ausgesprochen, daß eigentlich ein gemeinsamer Haushalt das Praktischste wäre, ja, eigentlich dasjenige, was ihm am natürlichsten und bequemsten schien. Hier aber hatte der Oberst Widerspruch erhoben. Nein, seine Elisabeth sollte Herrin in ihrem Hause sein, einzige und absolute Herrin! Von einer Schwiegermutter hatte er ganz bestimmte deutsche Ansichten, in denen er sich nicht beirren ließ, und eine Schwiegermutter im Hause kam ihm vor wie die ewige Verdammnis. Elisabeth, die ihre neue Verwandtschaft schon liebte und die alte Gräfin mit ihrer jammernden Stimme und ihren Kirchgängen rührend fand, begriff den Widerstand ihres Vaters nicht.

»Ich weiß nicht, Papa, ob Du da in allem recht hast!«

»Natürlich hab' ich recht! Ich habe gar nichts gegen die alte Gräfin einzuwenden und bin überzeugt, daß sie in ihren vier Wänden und auch sonst eine sehr scharmante Frau ist, aber in Deinem Hause, nein! Ein junges Paar gehört für sich allein! Du wirst mir's noch einmal danken, daß ich da gescheiter war als Du!«

Für den Oberst wie für Elisabeth war diese Frage des gemeinsamen oder getrennten Haushaltes sehr wichtig gewesen, denn sie konnte bei den Priuli allerlei Verstimmungen nach sich ziehen. So wenigstens hatten Schöttlings gedacht und waren einige Tage mit Sorgen im Kopf umhergegangen, aber weder Ettore noch seine beiden Damen waren verstimmt oder gar beleidigt. Die alte Gräfin schien sogar sehr zufrieden, daß im untern Stockwerk eigens für sie eine Küche gebaut wurde, und Ettore beschloß die Debatte lachend mit seinem Lieblingswort:

»Alles in schönster Ordnung! L'Italia farà da sè!«

Die Hochzeit fand im Spätherbst statt. Ettore, der erst einige Tage vor der Trauung nach München gekommen war, wurde allgemein bestaunt und bewundert, sogar der Leutnant Otto fand, daß der Schwager ein fescher Mensch sei. Ueber seine innern Qualitäten konnte man sich in der kurzen und bewegten Zeit, die einer Hochzeit vorangeht, natürlich keine rechte Meinung machen, zudem ja hier die Sprachschwierigkeiten noch akuter waren als in Venedig. Ettore hatte allerdings seiner Braut beim Abschied versprochen, daß er Stunden im Deutschen nehmen werde, aber er hatte nicht die geringsten Fortschritte gemacht und konnte zu Elisabeths Staunen und Ergötzen eigentlich nichts ordentlich sagen als: »Gib mir einen Kuß«. Dagegen traten die deutschen Verwandten zu wiederholten Malen, wenn auch nur beiläufig, mit einer Frage an ihn heran, deren Sinn er nicht recht begriff, und die ihm so überflüssig vorkam, daß er seine Schwäger im stillen für Spießbürger hielt. Sie fragten ihn nämlich, was er für einen Beruf habe oder arbeite. Ettore fühlte wohl, daß er ihnen nicht klarmachen konnte, wie überflüssig für einen italienischen Nobile von altem Geschlecht Beruf oder Arbeit sei. Er begnügte sich also etwas von oben herab und obenhin zu entgegnen, daß er sich jetzt ganz und gar der Verwaltung und Hebung seiner Güter widmen wollte. Fügte auch gleich mit seinem hübschen Lächeln, das ihm die Herzen gewann, hinzu:

 

»E vero, bis jetzt war ich ein rechter Leichtfuß und habe nur an mein Vergnügen gedacht, aber nun ist's aus mit dem Junggesellenleben, nun werde ich ein braver Ehemann und Familienvater, und da ist's selbstverständlich, daß ich mich nach allen Seiten hin um unseren Grundbesitz bekümmere! L'Italia farà da sè!«

Diese kindliche Offenheit gefiel allen sehr. Die Schwäger freuten sich, daß die Schwester weder einen Duckmäuser, noch einen unverbesserlichen Lebemann heiratete, und jeder von ihnen war überzeugt, daß Elisabeth, die sie trotz aller gelegentlichen Schwärmerei und Verstiegenheit für rechthaberisch hielten, diesen heiteren, naiven Mann um den Finger wickeln würde.

Die Hochzeitsreise ging nach Süditalien und sollte nach einem Abstecher nach Korsika in Aegypten enden, wo das junge Paar bis nach Neujahr oder noch länger bleiben wollte, je nachdem eben Zeit benötigt wurde, um alle die Arbeiten im Palazzo Priuli zu beenden, die jetzt in vollem Gange waren.