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Das große Schweigen

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Die Herren erwarteten Tilla am Fuß der Treppe. Der Staatsrat küßte ihr die Hand. »Meinen Dank, gnädigste Frau, für diesen Tag! Und meinen besonderen Dank, daß Sie sich noch einmal bemühten . . .«

»Aber, Exzellenz, es war keine Bemühung! Es war mir eine Ehre, wenn Exzellenz sich bei uns ein bißchen wohl gefühlt haben, und ich bedaure nur, daß Exzellenz uns schon verlassen.«

Sie sprach immer scharf Ex–zellenz, was ein wenig an die Sardousche Salondame erinnerte, aber sonst war sie wieder ganz tadellos, ganz Frau von Stil. Exzellenz küßte ihr also nochmals sehr entzückt die Hand, wechselte kräftige Händedrücke mit Rudolf, dessen Gesicht etwas ruhiger schien, als vorher, aber immer noch gleichsam von innen erleuchtet.

»Mein lieber Herr Schütting, sehr selten noch habe ich einem Manne mit so großer Freude gesagt: ›Auf Wiedersehen, auf recht baldiges Wiedersehen!‹«

Nochmals Verneigungen und verbindliche Beteuerungen. Dann begann das Auto zu schnurren, der Chauffeur ließ die Huppe ertönen, und eine Sekunde später war der Staatsrat den Blicken des Ehepaars entschwunden. Sie standen noch ein paar Sekunden und sahen gedankenlos der kleinen Staubwolke zu, die ihm nachwirbelte, gedankenlos, aber bestürmt von Gefühlen, denen sie im Augenblick keinen Ausdruck, keinen Namen hätten geben können.

Über Rudolf lag immer noch der leichte, köstliche Höhenrausch, den nur die Bezwinger ungeheurer Ziele kennen. Tilla befand sich in einer seltsamen Spannung, die ihr Herzklopfen verursachte. Sie hatte ganz plötzlich die Ahnung, fast die Gewißheit, daß in den nächsten Minuten sich etwas ereignen müsse . . . etwas Jähes . . . Sprunghaftes . . . etwas, das alles über den Haufen warf, was bis heute gewesen. . . Ein Ereignis, ja, ein Ereignis stand vor der Tür, die sich eben hinter dem Staatsrat geschlossen hatte. . . . Schon hob es die Hand, um zu pochen. Und diese Sekunde, die verrann, ehe man sein Pochen vernahm, war so quälend und zugleich so erregend, daß vor Tillas Augen alles verschwamm und sie sich mit einem kleinen Seufzer an die Mauer lehnen mußte, sonst wäre sie umgesunken vor Schwäche und Erwartung . . . Und so, nur halb ihrer selbst bewußt, spürte sie, wie jemand ihre herabhängende Hand ergriff und krampfhaft zwischen seine beiden Hände nahm.

»Tilla! O Tilla . . .!«

Wie ein Aufschrei kam es. Oder nein, nicht wie ein Aufschrei, wie das wonnige Aufstöhnen einer Seele, die lange krank gewesen und die heute gesund geworden war – in der Sonne des Erfolges, des Glückes, das ihn wie ein leidenschaftlicher Traum umfangen hielt. Und wie in einem leidenschaftlichen Traum sprach er weiter zu ihr, schüttete alles über sie hin, was er seit Jahren gedacht, gewollt, gelitten, ertragen, durchgesetzt und errungen hatte: »Kein Mensch weiß, wie ich geschuftet habe. Keiner, du auch nicht, Tilla. Und die Nächte . . . in denen einen die Pläne zermartern . . . und die Zweifel . . . Und all das Zeug, von dem man abhängt . . . All die Idioten, die mit ein bißchen Worten oder Säbelgerassel nach einem guten Diner die Börsen machen . . . Zwanzigmal hat man schon gemeint, man ist ganz oben – da wirft einem irgend ein blödsinniger Zufall noch einen Knüppel zwischen die Beine. Ein Attentatsgerücht aus Rußland . . . Eine ›Times‹-Hetze gegen die deutsche Industrie . . . Weiß der Kuckuck, was sonst noch . . . O, was für Tage und Nächte hab' ich hinter mir! Aber hinter mir – das ist das Schöne! – hinter mir!«

Er lachte glückselig auf und sprach weiter, erregt, krampfhaft, mit abgerissenen, lebhaften Gesten, die Tilla nie an ihm gekannt hatte. Ohne daß sie selber wußten wie, waren sie hinaufgestiegen, in das rote Mahagoniboudoir. Tilla hatte ihrem Mann einen bequemen Armstuhl zurechtgeschoben und saß ihm gegenüber auf einem schmalen, hochbeinigen Sofa. Er achtete weder auf seine Umgebung, noch auf sie, er redete weiter in diesem Rausch, der ihm aus der Erinnerung an durchfrondete Jahre und aus dem Lohn dieser einen Stunde kam . . . Er wartete keinen Einwurf ab, keine Antwort, keine Bestätigung . . . Wie eine übermächtige, lang zurückgedämmte Welle stieg es aus ihm hervor, restlos alles überflutend und ertränkend, was sonst je gewesen Von seinem Lebenswerk sprach er, von nichts anderm und zu sich sprach er, zu keinem andern. Diese Frau, die da saß, seine Frau, das war nur eine Zufallserscheinung, war nur der Mensch, den man unbedingt als Hörer nötig hat, wenn der Höhenrausch aus einem spricht . . .

Tilla sah vor sich nieder. Ihre Brust atmete schwer. Von den Worten ihres Mannes hörte sie nur den Klang, nicht den Sinn. Wie eine übermächtige Welle stürzten sie aus ihm hervor und wie eine übermächtige Welle schlugen sie über sie hin . . . Vorhin, als er ihre Hand gefaßt und ihren Namen gesprochen hatte, war ein lähmender Schreck über sie gekommen. Der erste Ton seiner Stimme, der in das große Schweigen hineinklang, das so lange zwischen ihnen stand, hatte ihr weh getan, beinahe eine körperliche Qual verursacht. Sie hatte sich ja an das Schweigen gewöhnt, wie an einen Schmerz, und sie fror, da sie sich plötzlich vor ihm lösen sollte.

Der Qual folgte Staunen. Staunen, daß der Mund dieses Mannes sich plötzlich entsiegelte und sprach . . . zu ihr sprach. Und mit jedem Wort, das er sprach, zerstörte er mehr und mehr das Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte und in ihrem Herzen trug.

»Hüttenbesitzer?! – Beleidigter Übermensch?« – »Ach nein, mein Lieber, du bist ja gar nichts von alledem . . . du bist nur ein Mensch wie alle andern, – nicht um Linienbreite mehr. Wie dumm von mir, daß ich mich täuschen ließ, dir Wunder was andichtete! Dein Schweigen hat mir so maßlos imponiert; ich dachte, nie mehr, bis zum Tode, würdest du ein Wort an mich richten. Statt dessen sitzest du da und erzählst mir Geschichten . . . Lebensbeichte heißt man, glaub' ich, so was . . . Ich glaubte an ein ewiges Verstummen – du hast nur geschmollt. Zehn Jahre lang geschmollt, aber doch eben nur geschmollt. Das tun andre auch. Nur bist du eigensinniger als sie und darum hast du's länger ausgehalten! Wie töricht von mir, mich so klein zu fühlen, neben dir! Natürlich, du bist ein glänzender Geschäftsmann . . . Aber sonst! Wer gibt dir denn das Recht, dich so erhaben zu fühlen über mir?!«

So ungefähr waren Tillas Gedanken. Sie wußte gar nicht mehr, daß nicht Rudolf sich über sie erhoben, sondern daß sie aus eigenem Willen sich in ihrem Innern vor ihm erniedrigt hatte.

Ein stechendes, bitteres Gefühl stieg in ihr auf. Sie haßte. Haßte wieder wie einst den Mann, der sie mit seinem Schweigen bis aufs Blut gequält hatte. Früher hatte sie ihn gehaßt, weil er schwieg – heute, weil er sprach. In der Erinnerung schritt sie die schrecklichen Jahre durch, die er erbarmungslos über sie verhängt hatte. Sie erlebte aufs neue, wie sie sich vor ihm demütigte . . . wie sie ihn zu locken versuchte . . . wie er sie von sich schleuderte . . . wie sie um ein Wort bettelte . . . wie sie in tödlicher Angst mit ihm am Tische saß und das Fauchen des unsichtbaren Ungetüms hörte . . . wie es auf lautlosen Sohlen hinter ihr dreinlief, gleich einem schwarzen Haremswächter. . . . Die Erinnerung an jene Tage, durch die sie so armselig, so gehetzt gelaufen war, erschütterte sie so stark, daß sie die Arme auf den Tisch warf, den Kopf darauf legte und laut weinte.

Rudolf sah erstaunt auf sie.

»Warum weinst du, Tilla?«

»Ich weine um all die schönen Jahre, die du mir gestohlen hast . . . um meine Jugend, die du mir verdorben und verquält hast . . . über mich wein' ich und über all das Elend, das mir von dir gekommen ist, von dir und deiner Härte . . .!«

Sie war außer sich. Sie ballte die Hände zu Fäusten und streckte sie gegen ihn. Dann weinte sie wieder bitterlich.

Er legte seine Linke auf ihren blonden Kopf, streichelte gütig und zugleich gleichgültig ihre Haare.

Er sagte sanft: »Tilla!« Und dann noch einmal: »Tilla!«

Seine Gedanken waren aber gar nicht bei ihr. Da ihr Weinen nicht verstummte, wollte er ihren Kopf in die Höhe heben: »Komm doch, Tilla! Komm!«

Sie biß in die Hand, die er ihr unters Kinn gelegt hatte. Fest biß sie mit ihren spitzen Zähnen, daß tiefe, weiße Male am Zeigefinger blieben. Sie konnte nicht anders, sie mußte ihm wehe tun.

Er lächelte, strich abwesenden Blickes mit den Fingern der heilen Hand über die gebissene. Er stand auf, beugte sich über Tillas blonden Kopf und küßte ihn. – – –

Spät in der Nacht noch saß Tilla allein auf und sann diesem Tag nach. Ein einziger Tag hatte zerrissen, was zehn Jahre gesponnen. Mehr als sie je gehofft hatte, war ihr heute neu geschenkt worden: Frieden – Versöhnung – Liebe – Vertrauen. Hatte ihr Mann nicht rückhaltlos, wie einst, sie zur Mitwisserin dessen gemacht, was ihn im Tiefsten bewegte? Hatte er nicht wie einst an ihrem Herzen ausgeruht, berauscht vom Duft ihrer Haare und von der Wärme ihrer Haut? So hatte sie doch endlich die Macht über ihn errungen, von der sie geträumt. Er selbst hatte sich heute in ihre Hand gegeben, – wenn es ihr gefiel, konnte sie jetzt eine späte Rache nehmen . . .