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Das große Schweigen

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Sonst gab sie zuweilen eine süße Speise an, die sie besonders liebte, heute vergaß sie es. Dies Diner mit Staatsrat von Ebeling war ihr sehr peinlich, wie all diese Geschäftsdiners im Hause, denen sie, Herrn Schüttings Gattin, doch um des äußeren Ansehens willen, beiwohnen mußte. Es war so mühevoll, Fremden den Riß zu verbergen, der durch die Ehe ging, wenigstens so zu verbergen, daß er von ihnen nicht als peinlich gesehen, empfunden wurde. Daß die Schüttings nicht in Harmonie zusammen lebten, wußte wohl jeder, aber das Bild der Zerstörung wollte man doch nicht bieten. Jedesmal nach solchem Mahle war sie erschöpft, gepeinigt, gedemütigt, und sie zog sich mit einem Gefühl der Erleichterung zurück, wenn die Tafel zu Ende war und die Herren im Rauchzimmer saßen.

Nun ging sie an ihren Kleiderschrank, die Toilette für morgen zu wählen. Auf Kleider hielt sie viel und sie hatte auch Geschmack; sehr selten nur verriet eine allzugrelle Farbe, eine allzukühne Schleife die einstige kleine Schauspielerin. Morgen wollte sie sehr schön sein; Staatsrat von Ebeling sollte sehen, daß das Haus Schütting nicht nur männliche, sondern auch weibliche Werte besaß, daß hier eine Frau herrschte, deren sich der Gatte nicht zu schämen brauchte. Schön wollte sie sein; sie wußte ja jetzt schon, wie gedrückt sie sich morgen fühlen würde, und sie wollte dann wenigstens den Reiz ihrer Erscheinung haben, wollte sich sagen dürfen: »Schön bin ich doch!«

Sie wählte ein Gesellschaftskleid aus weicher, blaßvioletter Seide, dessen Schnitt ganz einfach schien, dessen Falten aber sehr geschickt jeden kleinen Mangel der Gestalt milderten, jede schöne Linie sanft unterstrichen. Es war mit Gold gestickt und schloß hoch am Hals mit einer dichten, weißen Tüllkrause ab, denn Tillas Hals war nie schön gewesen. Dagegen ließen seine weiten, schwankenden Ärmel bei jeder Bewegung die Arme bis zum Ellbogen frei, diese Arme, um deretwillen Tilla einst die »Iphigenie« hatte spielen dürfen, obgleich sie keinen Schimmer von dem Geiste der griechischen Priesterin besaß. . . . In das blonde Haar steckte sie eine blaßviolette Schleife, über die Brust herab ließ sie eine lange Perlenkette à la Sarah Bernhardt hängen. Als sie erst noch einen Puderhusch über ihr Gesicht gebreitet und mit einem feinen Schwarzstift die allzuhellen und dünnen Brauen nachgefahren war, durfte sie wohl mit ihrem Spiegelbild zufrieden sein. Ein leiser Duft von Veilchenparfüm schwebte um sie her. Als sie das Wohnzimmer betrat, in dem sie absichtlich die Herren zuerst allein gelassen hatte, las sie gleich in des Staatsrats Augen ein bewunderndes: »Alle Wetter, was für eine hübsche Frau!«

Das Diner verlief, wie all diese Diners zu verlaufen pflegten. Zwischen ausgezeichneten Speisen und Getränken gingen scheinbar angeregte Gespräche, die doch jeder als überflüssig empfand. Die Herren wollten ja eigentlich von Geschäften reden und unterließen es nur, weil eine Dame mit ihnen am Tisch saß, die Dame des Hauses. Tilla machte sehr gut Konversation und so geschickt, daß man kaum merkte, wie sie und ihr Mann geflissentlich aneinander vorbei sprachen. Der Staatsrat sah zuweilen die blonde Frau mit langen Blicken an, dann den Mann, dann den Tisch, der mit schönem, schwerem Silber und sehr feinem, englischem Porzellan gedeckt war, dann das Zimmer mit den schweren Eichenmöbeln und dem altmodischen, grünen Samtbezug der Stühle. Und er dachte bei sich: »Sapristi, der junge Schütting hat sich herausgemacht! Alles hier ist diskret, reich, aber ohne alle Protzerei . . . Die Frau ist nicht nur hübsch, sondern auch recht gewandt . . . Wie tadellos kachieren diese Leute ihre schlechte Ehe! . . . Merkwürdig eigentlich, daß man mit einer so scharmanten Frau schlecht leben kann! Aber vielleicht gerade. . . . Es wurde ja früher einmal so allerlei gemunkelt, was, weiß ich schon nicht mehr . . . wahrscheinlich nur so ein Gerede. . . Nein, es ist alles tadellos hier, man spürt förmlich die solide Basis. Wenn ich denke, wie der alte Schütting mit durchschnittener Gurgel in seinem Zimmer auf dem Fußboden lag und noch im Todeskampf gelallt haben soll: ›Der Staatsanwalt! Der Staatsanwalt!‹ . . . Meinen Respekt vor dem Sohn, der über all das weg so weit gekommen ist!«

Und laut sagte er, indem er sein Glas hob: »Auf das Wohl Ihres Hauses, meine Herrschaften, daß es wachse und gedeihe, Ihnen und unsrer Industrie, ja, ich darf sagen: unserm Lande zur Freude!«

Rudolf Schütting strahlte, nicht nur bei diesen schmeichelhaften Worten, sondern schon die ganze Zeit über. Erstaunt sah Tilla auf ihn; seit Jahren, seit der Zeit ihres ersten jungen Eheglücks hatte sie ihn nicht mehr gesehen wie heute, so heiter, so bebend, so förmlich aufgelöst im Glück. Er war redselig, zum Lachen und Scherzen aufgelegt; wenn er das Glas ergriff, zitterten seine Hände ein wenig. Sein Gesicht war ganz verjüngt, leuchtete gleichsam von innen heraus. Tilla mußte an die grauen Muschellampen denken, die bei Tag so unscheinbar sind und so wundervollen, warmen Schein geben, sobald das Licht in ihnen aufglüht . . . Gütig und froh sah der Mann jetzt aus, den sie seit so langer Zeit nur mehr verschlossen, streng und frühgealtert kannte. Gütig und froh sah er aus, weil Glück in ihm brannte. Glück, das ihm gehörte, ihm allein, weil er's ganz allein sich geschaffen hatte. . . . Sie dachte daran, wie dieser Tag heute wohl geworden wäre, wenn nicht – – – Da mußte sie ihr kleines Spitzentaschentuch vor den Mund halten und schnell ein paarmal darauf beißen, sonst wäre ihr das Weinen gekommen.

Das Diner war zu Ende. Die Herren hatten sich ins Rauchzimmer zurückgezogen. Tilla ging in ihr Boudoir und schlief ein Stündchen, dann setzte sie sich ans Fenster und wollte ein wenig sticken. Die Sonne schien aber so schön, daß sie die feine Nadelarbeit beiseite warf, ein weißes Seidentuch umnahm und in den Garten lief, der die Villa von drei Seiten umschloß.

Es war einer jener köstlichen Tage, die noch auf der Scheide stehen, zwischen dem zagenden und dem prangenden Frühling. Das Laub der Bäume fing eben erst an, sich schüchtern aufzurollen, aber die Hecken, welche die weißen Kieswege begrenzten, blickten schon durch grüne Schleier und die Mandelsträucher schimmerten in sanftem Erröten, als schämten sie sich, daß sie's gar so eilig hatten mit ihrer Blüte. Die Sonne hatte noch keine Glut, nur Wärme, eine Wärme, die nach Frische duftete, nach ersten Veilchen und die unbestimmten Sehnsüchte weckte und löste. Ein zärtlicher, warmer Wind kam dahergelaufen, streichelte die junge Pracht, scherzte ein wenig mit ihr und lief eilig weiter, als wollt' er sagen: »Heut werd' ich überall erwartet!«

Tilla ging langsam hin und her. Sie liebte sonst diese erste Zeit des erwachenden Jahres, liebte die zage Schwermut, die sie über all unsre Empfindungen breitet, heut aber achtete sie kaum auf die holdseligen Wunder der sich befreienden Natur. Sie dachte an das Diner . . . an die bewundernden Blicke des Staatsrats. . . . O, nicht oder nur wenig an seine männliche Bewunderung für sie, die scharmante Frau . . . sie hatte die Blicke wohl gesehen und verstanden, mit denen er ihren Mann und die ganze Umgebung gemessen hatte. Ohne daß jemand ein Wort gesagt hätte, wußte sie, daß heute ihr Mann das Ziel erreicht hatte, das er in rastlosem Fleiß zeitlebens angestrebt: sein Werk stand neu gefestigt, das Vertrauen der Regierung gehörte ihm.

Sie kam sich arm vor neben ihm, klein, enterbt. Wie die meisten Frauen maß auch sie den Wert eines Menschen nach seinem Erfolg. Rudolf Schulung, der eben den Erfolg erreicht, um den er jahrzehntelang gerungen hatte, schien ihr daher einen Schuh hoch über andern Menschen zu stehen. Philipp Derblay genügte schon nicht mehr ganz, obwohl ihr der »Hüttenbesitzer«-Typ immer noch sehr entsprach. Aber ein »Hüttenbesitzer« mit einer kleinen Gloriole . . .

Draußen auf der Straße, am Portal der Villa, fuhr ein Auto vor. Der Staatsrat trat den Heimweg an. Tilla hörte, daß die beiden Herren über die Treppe herunterkamen, sie ging daher tiefer in den Garten hinein, denn sie wollte nicht mehr gesehen, nicht beim Abschied anwesend sein. Es dämmerte schon leise. Wenn sie sich ein bißchen beeilte, konnte sie im Schatten der Baumstämme verschwunden sein, ehe die Männer das Haus verließen und ins Freie traten. Aber schon kam Martin, der Diener, eiligen Schrittes auf sie zu: »Gnädige Frau, Seine Exzellenz Herr Staatsrat von Ebeling fahren eben fort! Der gnädige Herr lassen die gnädige Frau bitten, Seiner Exzellenz Adieu zu sagen.«

»Gut. Ich komme gleich.«

Sie war sehr erstaunt. Es geschah zum allerersten Mal seit ihrem Zerfall, daß Rudolf sie noch einmal zur Verabschiedung seiner Gäste entbieten ließ. Sonst verschwand sie auf Nimmerwiedersehen nach dem Mahle. Heute aber– Sie lächelte bitter. Ja freilich, die Freude über Ebelings Mission, über seine Anerkennung warf alles über den Haufen. Ließ sogar im Triumph einer letzten stolzen Stunde uralten Hader und Groll vergessen, als wär' er nichts . . .