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Das große Schweigen

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Sie weinte wie ein Kind. Er stand auf und ging, ohne ein Wort zu sagen – –

Und immer tiefer demütigte sie sich vor ihm. Heute noch wurde ihr heiß, wenn sie daran dachte, mit welchen Mitteln sie's versucht hatte, seinen stummen Mund endlich zu entsiegeln . . .

Alles vergebens. Sie hatte keine Macht mehr über ihn . . .

Sie begann dies Schweigen zu fürchten. Es schien ihr noch viel unheimlicher als früher. Es war gar nicht der Tod, der offene, grinsende Tod. Es war wie ein verstecktes, greuliches Schrecknis, das irgendwo ungesehen hockte und lauerte. Wie ein grauenhaftes Ungetüm, das man nicht erblicken kann, aber das man fauchen hört, und dem man im nächsten Atemzug unrettbar verfallen ist – –

Diese stummen Mahlzeiten wurden zu einer unsäglichen Qual. Oft hatte sie das Gefühl, daß sie in einem eisernen Zimmer säße, dessen Wände rot zu glühen begannen. Oder die Seen ihrer Heimat fielen ihr ein, die sich im Winter mit einer stillen, feinen Eisschicht bedeckten, während darunter das schwarze, todkalte Wasser gluckste und verschlang.

Sie fing an, den Mann zu hassen, der sie so grausam, so raffiniert quälte. O, wie sie ihn haßte, wie sie von Rache träumte, von einem Augenblick, der ihn in ihre Macht geben sollte! Oder auch nur von einer Stunde, in der er mit sich selbst zerfallen, unglücklich, gebrochen bettelnd die Hände ausstrecken würde: »Tilla, ein Wort! Sag ein Wort!« Dann wollte sie höhnisch, boshaft lächeln und ihn ebenso mit Schweigen peinigen, wie er sie jetzt . . . Sie probierte mitunter vor dem Spiegel, wie sie dann verächtlich die Lippen schürzen, den Kopf wenden und hoheitsvoll abgehen wollte, ungefähr so, wie die Königin im »Don Carlos«, wenn die weinende Eboli vor ihr kniet.

Sie lauerte gierig, ob nicht ein Schlag kam, der ihn traf. Sie wußte, daß, seitdem sie aus seinem Herzen geschieden war, nur noch geschäftliches Unglück ihn niederwerfen konnte. Mit Hast und Spannung studierte sie nun jeden Tag die Börsen- und Marktberichte, freute sich, wenn sie von absteigender Konjunktur las, hoffte, daß Fallissements andrer Firmen ihn nachziehen sollten. Und wenn sie selber auch dabei die Frau eines Bankrottierers geworden wäre, sie hätt' es gern auf sich genommen, nur um endlich den Sturz, die Qual dieses hochmütigen Peinigers zu erleben . . .

Doch nichts dergleichen geschah. Die Werke standen und blieben. Unentrinnbar war sie in den Ring des Schweigens gebannt. Niemals konnte sie daraus heraus. Es verfolgte sie, wo sie ging und stand, es lief ihr nach, wo immer sie war. Immerfort, auch wenn sie weit, weit vom Hause weg war, hörte sie den fauchenden Atem des grauenhaften, unsichtbaren Ungeheuers. Es vergällte ihr jede Freude. Es nahm ihr den Mut und die Lust zu jedem neuen Abenteuer. ja, hätte Rudolf Schütting gedroht, bei jedem Argwohn getobt, sie eifersüchtig überwacht, – wer weiß, ob es das Weib, die Komödiantin in ihr nicht gereizt hätte, ihn wenigstens zu erschrecken, ihn immer in der Angst zu lassen und dabei selber den wohligen Kitzel zu genießen, den die Eifersucht eines andern gibt . . . Aber so?! So war sie wie gelähmt von diesem Schweigen, das auf unhörbaren Sohlen, gleich einem stummen, schwarzen Haremswächter hinter ihr drein rannte.

Mitunter war sie so gelähmt davon, daß sie weinte, stundenlang weinte, aus Angst, aus Verlassenheit, aus Mitleid mit sich selbst, und aus tiefem Schmerz über das, was sie verloren. . . . Nicht um Glück weinte sie, um Liebe oder Zärtlichkeit, sondern um die Macht, die sie über diesen Mann gehabt hatte und die nun dahin war. Jetzt, da sie vor dem Rätsel seiner Natur in tödlicher Angst erschauerte, jetzt erst begriff sie ganz, was es bedeutete, wenn man Macht über ihn hatte . . . Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, daß er, dem sie jetzt nur mit heimlichem Spähen, wie einem Richter gegenübersaß, daß er einmal kein größeres Glück gekannt hatte, als ihr das Leben leicht zu machen, sie eingehüllt in Liebe und Reichtum durch die Jahre hinzutragen bis ans Ende. Wenn ihr das einfiel, biß sie die Zähne aufeinander und stöhnte. Sie hätte mit dem Kopf gegen die Wand rennen mögen, daß sie leichtsinnig so Köstliches verscherzt hatte. Und um welchen Preis! Lieber Gott, um welchen Bettelpreis! Um ein paar verliebte Stunden mit einem Schmierenkomödianten. Denn das stand jetzt fest bei ihr: er war ein Schmierenkomödiant gewesen, obschon sie ihn früher, als sie mit ihm zusammenhielte, für ein großes Talent gehalten hatte – – –

Die Zeit kam, sah sich das Tun und Treiben der Menschen ein wenig an und ging dann gelassen weiter. Im Hause Schütting änderte sich äußerlich wenig. Das Ehepaar war älter geworden, Tilla strahlte nicht mehr so jugendfrisch und hell wie sonst, und Rudolfs Haar begann zu ergrauen über den tiefen Querfalten, die seine Stirne durchschnitten. Immer noch saßen sie sich, wie vor Jahren, schweigend gegenüber, aber Tilla war innerlich ruhig geworden. Sie fürchtete das Schweigen nicht mehr, sie wußte jetzt, daß kein Schrecknis mehr dahinter lauerte, daß es nur ein starrender, toter Krater war, aus dem keine Flammen der Liebe oder des Zornes mehr aufschlugen. Sie haßte auch ihren Mann nicht mehr, sie träumte nicht mehr davon, ihn vernichtet, gebrochen, in ihre Hand gegeben zu sehen. Sie hatte sich an das Schweigen gewöhnt, wie man sich wohl an einen Schmerz gewöhnt, so sehr gewöhnt, daß man ihn liebt, daß man ihn nicht mehr missen möchte. Und sie liebte den Mann, der ihrem Leben diesen tiefen Ton der Qual gegeben hatte, sie liebte ihn viel mehr, als sie einst den jungen Rudolf Schütting geliebt hatte, der berauscht war vom Duft ihrer Haare und den sie um den kleinen Finger hatte wickeln können . . . sie liebte ihn nicht mit Feuer, aber mit Ehrfurcht; die Hartnäckigkeit seines Verstummens bezwang sie sicherer, als tausend törichte Worte heißer Leidenschaft hätten tun können. Sie verstand ihn nicht, aber sie bewunderte ihn. O, das war eine so andre Art, als die ihre, die heute küßte, was sie morgen verdammte und übermorgen vergaß! Der hielt fest, was er einmal gewählt hatte und ließ wohl erst im Tode davon ab . . .

Nun war's ihr Wonne, sich in Gedanken ganz klein, ganz erbärmlich zu machen und ihn immer größer, immer heroischer. Was sie ehedem raffiniert grausam gescholten hatte, schien ihr jetzt männlich-stark, vom Standpunkt des beleidigten Gatten, dieses beleidigten Gatten aus, nur gerecht. Andre wären wahrscheinlich kleiner, alltäglicher gewesen. Sie hätten sich scheiden lassen oder sie hätten verziehen, so rückhaltlos verziehen und vergessen, daß sie nach ein paar Jahren schon nicht mehr gewußt hätten, was ihrer Ehe einmal geschehen war. Dieser hier nicht. Er schändete nicht, er verstieß nicht, aber er verzieh auch nicht, vergaß nicht. Die Liebe in ihm hatte erlöschen können, nicht die Erinnerung an seine Schande.

Je mehr sie über ihn nachdachte, um so tiefer neigte sie sich vor ihm. Sich wieder vor ihm zu demütigen, wie einst, wäre ihr eine süße Qual gewesen, süß wie die Qual verzückter Märtyrerinnen, die Himmelswonnen empfanden, während ihr Blut unter den Streichen der Henker floß. . . . Sie wagte aber gar keine Annäherung mehr an ihn.

Da sie's gewohnt war, all ihre Empfindungen mit Bühnenerinnerungen zu verquicken oder zu begleiten, so fiel ihr ein, daß ihr Mann eigentlich eine Art »Hüttenbesitzer« sei, Philipp Derblay, der herrliche Mann der Arbeit, der nimmer vergessen mag, was die hochfahrende Frau ihm angetan. Sie hatte die Claire sehr oft gespielt, und sie dachte sich's wundervoll aus, wenn Rudolf gleich Derblay im letzten Akt dann doch zu ihr zurückkehren würde, ein neues Leben in Liebe und Glanz zu beginnen. Ach! leider schrieben nur die Bühnenautoren solch schöne letzte Akte! Das Leben gestaltete seine Schauspiele zugleich banaler und konsequenter . . . Oft aber, wenn sie ihren Mann so ernst und verarbeitet am Tisch sitzen sah, hatte sie eine ungeheure Sehnsucht, den Kopf an seine Schulter zu lehnen, sich fest, fest in seine Arme zu pressen: »O du! Du bist so stark und ich bin so schwach! Halte mich und laß mich nie mehr los, denn ohne Schutz bin ich ein armselig Ding!«

. . . Es klopfte an der Tür des roten Mahagoniboudoirs. Frau Tilla wußte, wer draußen stand und sagte gelangweilt: »Herein!«

Nun beriet sie mit der Köchin eine kleine Weile, ob man für morgen Forellen oder Wildsaiblinge gäbe, ob Rehrücken oder gefüllte Kapaunen – schließlich endete die kleine Konferenz wie alle diese kulinarischen Konferenzen im Hause Schulung endeten. Tilla sagte nämlich: »Ach, kochen Sie, was Sie wollen, wenn's nur gut ist!«

Sie hatte sich in der langen Zeit, da sie dem Haushalt vorstand, weder häusliche Kenntnisse angeeignet, noch irgendwelches Interesse dafür bekommen. Sie hielt gutgeschulte Dienstleute, die von all diesen Dingen mehr verstanden, als sie, Dienstleute, die sie ob ihrer Überlegenheit ein wenig fürchtete, aber auf die sie sich verlassen konnte.