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Ihre Wirksamkeit in der Kolonie Severinshof ließ sich auch nicht rasch in die klare Form und zu der segensreichen Ausdehnung bringen, wie sie sich gedacht gehabt.

So manche Mutter, mit der sie früher aus eigenem herzlichen Antrieb oder auf Wunsch ihres damaligen Vorgesetzten, des Herrn Magers, über die Fehler ihrer Kinder gesprochen oder über die Wünschbarkeit besserer Pflege für die schwächliche Gesundheit der Kleinen, kam nun vertraulich mit drängenden und unerfüllbaren Ansprüchen. Es schien gerade, als hätten Mütter und Kinder von der Schicksalswendung der Lehrerin für sich auch goldene Berge erwartet. Jeder und jede, denen Klara früher in besonderer Freundlichkeit Anteilnahme bewiesen, erhob nun Forderungen.

Aber diese Dinge konnte sie mit ihrem Schwiegervater besprechen und von ihm tröstend vernehmen, daß die Ungleichheit und die Bedürftigkeit doch nie aus der Welt zu schaffen sei, und wenn alle Milliardäre und Millionäre ihr Gold zur Verteilung brächten.

Das Neinsagen ist bitter, wenn man am gut besetzten Tisch speist, fand Klara. Und sie erkannte schon sehr rasch, wie das Bitten und Betteln gerade dem Mildherzigen seine sorglose Lage vergällt.

Noch ehe ihr überhaupt auch nur einmal das Gefühl gekommen war, sie sei selbst eine reiche Frau geworden, fing sie schon an, die Lasten und Verantwortungen des Reichtums zu spüren.

Auch eine halb verlegene, halb humoristische kleine Episode hatte es gegeben. Ihr früherer Kollege, dessen glühende Verehrung für sie den vergnügten Spott der Schuljugend gefunden hatte, weil eben der arme Herr Kehl seine seelische Abhängigkeit von Fräulein Hildebrandt nicht zu verbergen vermochte, der kam und brachte ihr seine zum achten Male umgearbeitete Novelle. In zitternder Scheuheit stand er vor ihr, und ihre unveränderte freundliche Güte ergriff ihn und steigerte sichtlich seine Begeisterung. Er erbat von Klara Prüfung seiner Novelle und die Besorgung eines Verlegers oder die Herausgabe auf ihre Kosten und vor allen Dingen ihr Urteil. Klara dachte sich wohl, daß er von ihr ging mit dem Gefühl: nun durch ihre mächtige Hand eins, zwei, drei zu Ruhm und Gold zu kommen. Aber sie hatte ja gar keine mächtige Hand und genau ebenso wenig Beziehungen zu Verlegern oder großen Redaktionen wie Herr Kehl selbst. Und obendrein war die Novelle von überwältigender Komik und spielte in der Gesellschaft des Hochadels, von der er fabelhafte Vorstellungen hatte. Als Klara ihm schrieb, daß er vielleicht besser tue, die Welt, die er kenne, zu schildern, und andeutete, daß sie seine Arbeit nicht für druckreif halte, fürchtete sie schon, daß sie sich einen Feind mache. Als sie ihm dann einmal begegnete, grüßte er kaum und mit gehässigem Blick. Und von Herrn Magers hörte sie dann, daß man den Kehl entlassen müsse. Er spreche bei jeder Gelegenheit in den Stunden davon, daß Reichtum den Charakter verderbe, und Herrn Magers’ kluges Töchterlein hatte gesagt: »Papa, es klingt, als wenn er Fräulein Hildebrandt meint.« – Für die Kinder war sie noch immer »Fräulein Hildebrandt«. –

Auch vielleicht kaum der Mühe wert, über die Episode Kehl nachzudenken! Und doch, wie war es wunderlich, daß das eigene Leben in keine Bewegung kommen kann, ohne, gleichwie in sich fortpflanzenden Wellen, auch anderer Leben in Bewegung zu setzen.

Ihr Schwiegervater überwies ihr bald eine bestimmte Summe, die ihr in monatlichen Raten ausbezahlt wurde. Damit sollte sie dann nach eigener Erkenntnis helfen, wo es ihr gerecht schien. Es würde nicht ohne schmerzende Erfahrungen abgehen, meinte er. Aber auch auf diesem Gebiet heiße es: Lehrgeld bezahlen. Er besprach auch mit ihr die vorhandenen Wohlfahrtseinrichtungen, davon ein Krankenhaus und die Schule die hauptsächlichsten waren. Das beschäftigte sie auf erhebende Art. Sie wollte trachten, sich in diese wichtigen Dinge besonnen einzuarbeiten.

Alles zusammengenommen: ihr Leben war nicht leer.

Und im letzten Grunde reizten ja auch die Schwierigkeiten und machten fühlbar, daß man mit sich und anderen vorwärts kam.

Die wichtigste aller Fragen aber war natürlich diese: Wie weit war sie mit ihrem Mann gekommen?

Beinahe hätte sie sich rasch geantwortet: sehr weit – überraschend weit!

Aber wenn sie es ganz genau bedachte, mußte sie sich sagen: ich weiß es nicht!

Was für ein ganz anders geartetes Menschentum ist doch im Manne, dachte sie.

Davon natürlich hatte sie vorher nichts wissen können. Und sie grübelte dem Rätsel »Mann« nach.

Sie wußte nun schon, daß Mann und Weib zwei verschiedene Welten in sich tragen und daß nur die Liebe die große Kluft überbrücken kann, die zwischen beiden sich dehnt. Überbrücken – nie ganz ausfüllen …

Welches Wunder: einsam steht der eine hüben, die andere drüben!

Und jeder und jede denkt über den anderen Teil wie über etwas nie ganz Ergründliches nach.

Das hatte ganz gewiß irgend einen geheimnisvollen Zweck und Grund – war keine Laune der Natur. –

Von ganzem Herzen, mit einem gewissen freudigen Eifer war sie in die Ehe gekommen, in der Hoffnung: in ihr lerne ich meinen Mann lieben! Sie wollte, sie mußte ihn lieben lernen. Damit nicht gar eines Tages die klugen Augen des Vaters doch durchschauten, daß sie ein Opfer gebracht hatte – ein Dankopfer … Und auch aus einem eigenen, kräftigen Lebensgefühl heraus: sie wünschte sich das Glück! Wer wünscht es sich nicht? –

Aber bis zu dieser Stunde war die Liebe – jene, die sie ersehnte – immer noch nicht erwacht. Sie meinte es mit keinem Menschen auf der Welt besser als mit Wynfried. Voll Zartheit, immer nur in Sorge, ihr heimliches Wirken zu umschleiern, suchte sie ihn zu halten, zu fesseln, zu beeinflussen, anzuregen.

Es würde sie erschöpft haben, ihre Nerven hätten überreizt davon werden können, wenn nicht der Erfolg gewesen wäre.

Sie sah es: er kam zum gesunden Dasein zurück – er begann Reiz an der Arbeit, Interesse für das Werk zu gewinnen. Er wurde ein anderer …

War es nicht genug Glück, das zu sehen?

Gab es nicht sehr wahrscheinlich Tausende von Ehen, wo diese ruhige Freundlichkeit des Gemütes und die große Pflicht zur Arbeit als voller Inhalt genügte?

Daß es solchem Inhalt an Sittlichkeit fehle, konnte man gewiß nicht sagen …

Allmählich kam dann vielleicht noch die Gewohnheit hinzu – all die tausend kleinen Dinge des Lebens sind ja wie Ringe und bilden zuletzt eine Kette von nicht mehr übersehbaren Gliedern – und die umschlingt dann zwei Menschen und macht ihr Schicksal zu einem …

Ihr erster Erfolg hatte sie ganz betroffen gemacht – es war nur eine lächerliche Kleinlichkeit gewesen. – Und doch: wie hob es sie gleich.

Am Tage nach ihrer Verlobung achtete sie auf sein linkes Handgelenk – ob da wohl wieder das fatale Armband zum Vorschein käme, das ihr gestern so unangenehm aufgefallen war – sie merkte: es war fort!

Vielleicht war es eine Erinnerung an jene schlimme Frau gewesen, um deretwillen er so viel Jugendjahre vergeudet. – Es tat Klara wohl, daß er es nicht mehr trug.

Wenn man keine heiße Liebe zueinander hat, fühlte sie oft, muß immer wachsame Rücksicht die Zartheiten der Liebe ersetzen.

Mit sich selbst und ihrem ganzen Verhältnis zu ihrem Manne war sie völlig im klaren: wenn sie auch keine Leidenschaft für ihn empfand, wenn auch niemals ihre Wärme für ihn, über die herzliche schwesterliche Teilnahme hinaus, in beseligte Hingabe sich wandeln konnte – so mußte dennoch er und nur er der Mittelpunkt ihres Lebens sein und bleiben. Sie wollte, sie durfte niemals einen anderen lieben! Ihrem Manne irgend etwas zu verweigern, was innerhalb der Ehe sein Recht zu fordern war, durfte ihr nie beikommen. Sie mußte und wollte ihr Dasein daran setzen, damit das seine ihm nützlich und hell werde.

Das war alles sehr ernst, es war mit voller Einsicht übernommen worden, und sehr klar.

Ganz unklar aber war ihr noch sein Verhältnis zu ihr. Da fingen lauter Rätsel an.

Das erste und größte war dies gewesen: ein Mann konnte, ohne von glühender, ausschließlicher, heiliger Liebe für eine Frau erfüllt zu sein, dennoch in gewissen Stunden und Stimmungen von einem Rausch hingerissen werden, der der Liebe gleich sah, der ihre Gebärden, ihre Mienen, ihre bedrängende Hingebung annahm. Und vermochte in solchem Rausch, was nur Liebe können sollte …

Klara ahnte wohl, da lagen die tiefsten Gründe der Verschiedenheit zwischen Mann und Weib.

Sie wußte so wenig vom Wesen des Mannes, daß sie keinen Begriff davon hatte, wie der erste und alleinige Besitz eines schönen jungen Weibes auch für einen nicht Liebenden voll Reiz sein kann.

Sie würde sich nicht im mindesten gewundert haben, wenn Wynfried als ihr anspruchsloser Freund neben ihr dahingelebt hätte, ohne jemals ihre Schlafzimmertür zu öffnen.

Sie ertrug die letzte, geheimste Gemeinsamkeit der Ehe, das Anrecht des Mannes an ihren körperlichen Besitz mit einer tapferen Selbstverständlichkeit, die ihr geadelt wurde durch den Gedanken an alles, was sie in diese Ehe hineingezwungen.

Aber schon nach einigen Wochen fing sie an, das, was ihr ein peinliches Rätsel gewesen war, als tiefe Weisheit der Natur anzustaunen.

Klara wußte: sie würde im Frühling Mutter werden.

Und nun dachte sie immer und immer: dann komme doch noch die große Liebe.

In den Wundern der Mutterschaft mußte sie ihr erblühen, für den Vater ihres Kindes.

Sie bemühte sich, wie sie hier saß und voll Andacht an die Zukunft dachte und an all das Glück, das dann vielleicht über sie käme, immer dringlicher, sich ihres Mannes angenehme Eigenschaften zu vergegenwärtigen.

Er war ritterlich. Das erleichterte alles.

Klara hatte wohl eine sorgenvolle Ahnung davon, daß ihre Gespräche nicht so eigentlich seine Interessen trafen.

Von seinem früheren Leben erzählte er sehr wenig. Höchstens einmal, wenn Klara davon sprach, wie herrlich es in Tirol gewesen sei, wohin sie ihre Hochzeitsreise gemacht hatten, und wie schön es werden würde, wenn sie nach und nach mehr von der Welt kennen lerne. Denn Vater sagte: er bestehe darauf, daß die Kinder jedes Jahr eine große Reise machen sollten. Dann beschrieb Wynfried Paris oder London oder die Plätze, wo er Wintersport getrieben, und den Nil, auf dem er mit »Freunden« eine mehrwöchentliche Reise in einer Dahabije gemacht habe. Aber von den »Freunden« sprach er nicht genauer. Und wenn Klara einmal fragte, so lehnte er mit einem Lächeln ab und sagte: in sein jetziges Leben paßten die nicht mehr. Und der bittere Zug erschien in seinem Mundwinkel, der in ihr dies etwas kindliche und etwas törichte rührende Mitleid auslöste, das unerfahrene Frauen haben können, wenn sie sich denken: ein Mann leidet, weil ein Weib ihn verriet.

 

Ein herdenmäßiges Gemeinsamkeitsgefühl regte sich dann ziemlich stark, wenn auch unbewußt in ihr: der Hang des Weibes, zu trösten und das gut zu machen, was eine Geschlechtsgenossin verbrach.

Klara war klug, war vielleicht bestimmt, sich zu einem bedeutenden Menschen zu entwickeln. Aber ihre Phantasie war nicht genährt durch Wissen vom wirklichen Kampf zwischen Mann und Weib. Und von den Dunkelheiten auf diesem Gebiet wußte sie gar nichts.

So wirkten diese Schleier, die er um sein Vorleben zu hüllen wußte, nur interessant, und es war, als sehe man unter ihnen undeutlich Gluten schimmern und wilde Szenen von Zorn und Klage.

Das gab seiner Person einen Schimmer von Poesie und Romantik.

Sehr gefiel ihr vom ersten Augenblick an seine Haltung in der Hauptsache. – Die »Hauptsache« war für Klara ja nicht ihre Ehe und seine Stellung zu ihr selbst, sondern seine Beziehung zum Werk.

Sie war dabei gewesen, wie Wynfried mit dem Generaldirektor Thürauf zum erstenmal über künftige Tätigkeit sprach. Klara hatte einen fast etwas furchtsamen Respekt vor Thürauf, und sie war recht unruhig gewesen, wie diese Aussprache verlaufen werde. Man konnte dem schlanken, noch merkwürdig jugendlich wirkenden Mann mit den immer beherrschten Zügen und den klaren, scharf blickenden Augen eigentlich nie anmerken, in was für einer Stimmung er war. Der Geheimrat sagte von ihm, sein Generaldirektor sei der objektivste Mensch, den er kenne. – Nun, kaltes Blut und fester Blick war wohl für seine Aufgaben nötig. Was gehörte dazu, solchem Mann zu sagen: »Ich werde fortan mit dir arbeiten – als künftiger Besitzer – als Teilhaber.« Aber Wynfried hatte den Geschmack, das nicht zu sagen.

Er streckte dem Mitarbeiter seines Vaters die Hand entgegen und sagte, mit mehr Lebhaftigkeit als sonst: »Ich bitte Sie, mir zu helfen. Es wird viel kosten, bis ich mich eingearbeitet habe. Ohne Sie, Ihren Rat, Ihre Offenheit, Ihre Warnungen kann ich’s nie! Und vor allen Dingen: stehen Sie mir bei, daß ich mir keine Blößen gebe – vor den Abteilungsvorständen. Sie wissen wohl, das kann man auf zweierlei Art – nicht nur durch Hineinsprechen, was man denn vielleicht nicht recht zu begründen versteht – auch durch Zurückhaltung kann man’s, die schon von fern nach Unsicherheit aussieht.«

Soweit Klara sich schon traute, Männer wie den Generaldirektor zu beurteilen, schien ihr, daß ihm das wohlgefallen habe.

Jedenfalls war das Verhältnis das beste, und da die ersten Monate doch die schwersten waren, durfte man hoffen, es bleibe gut.

Natürlich waren Wynfrieds Stimmungen sehr ungleich.

Von seinen Knabentagen an hatte niemand und nichts ihn zur Regelmäßigkeit gezwungen. Er hatte auch nicht die gesunde Schulung der Militärzeit durchgemacht. Um irgend einer Kleinigkeit willen war er davon freigekommen, als Einjähriger zu dienen. Das Wort »Pflicht« klang nur ganz von fern an seine Ohren – wie es so viele Worte tun, die doch Unentrinnbarkeiten benennen, aber mit denen man sich erst in unbestimmter Zukunft näher zu befassen hat.

Es gab Tage, wo er es einfach nicht über sich gewann, ins Büro zu gehen, sich auf dem Hüttenwerk auch nur zu zeigen.

Und da Klara nicht in die unleidliche Rolle der schulmeisternden und antreibenden Frau fallen wollte, waren ihr solche Tage schwer. Dann brütete er vor sich hin. Zuweilen ritt er stundenlang und kam erschöpft heim. Er war unfreundlich, und alles schien ihn zu langweilen.

Ihr gutes Glück hatte Klara geleitet, daß sie ihre Sorge dann verbarg und mit keiner Frage, keiner Bemerkung zeigte, wie bekümmerlich oder wie auffallend sie sein Verhalten finde. Sie blieb freundlich und schien nichts Besonderes zu bemerken.

»Verzeih,« sagte er das eine und andere Mal dann von selbst, »ich bin heute unleidlich …«

Nach solchen Tagen voll Unruhe und Verstimmung kam meist ein Anfall von Eifer – von erhöhter Liebenswürdigkeit.

Dann erzählte er bei Tisch, offensichtlich seiner Frau zu gefallen, von den Ereignissen drüben auf dem Werk: er hatte den ganzen Morgen in der Einkaufsabteilung gearbeitet. Gerade traf der Dampfer »Severin« wieder aus Spanien ein, hatte aus Katalonien eine Ladung Roteisenstein geholt – was für ’n humorvoller, frischer Mann der Kap’tän Fehrs. – Oder: ein neuer Dampfer sei seit kurzem bestellt, er lag schon auf den Hellingen, und sobald die Lübecker Schiffswerft ihn von Stapel laufen lassen konnte, mußte Klara ihn taufen – »Klara Lohmann« sollte er heißen und nicht anders. Ein andermal: er hatte an der Beratung teilgenommen, zu welcher sich der Generaldirektor, der Chemiker Doktor Thomas und der Ingenieur Dröscher um den Stuhl des alten Herrn versammelt gehabt. Es handelte sich darum, daß aus der Schlacke die Kalkteile herausgeschieden werden sollten, um zur Zementfabrikation verwendet zu werden. Und er, Wynfried, hatte auch seine Meinung sagen sollen, denn er habe doch als Volontär auf dem Hüttenwerk Häphestos im Rheinland gearbeitet, wo man bekanntlich den Kalkgehalt der Schlacke so verwerte. Er berichtete ganz ehrlich, daß er seinem Vater und den Herren offen habe eingestehen müssen, daß er während seiner Zeit auf Häphestos nicht das allergeringste Interesse für diese Dinge gehabt habe.

Da war Klara ganz erschreckt gewesen.

»Was sagte Vater?« fragte sie rasch. »Es war ihm sicher peinlich, daß du solche Antwort geben mußtest. Was hast du denn getan damals auf Häphestos?«

»Vater schwieg,« antwortete er nur.

»Bist du auf Häphestos nicht nach und nach in allen Abteilungen beschäftigt worden?« fragte sie und sah ihn in lebhaftem Interesse an.

»Ich – nein – ich mußte damals oft in Paris sein – ein – Freund dort bedurfte meiner.«

Dann, in plötzlichem Entschluß, als sichere er ihren fragenden Blicken etwas zu, sprach er: »Alles läßt sich nachholen – Klara – du sollst noch Respekt vor mir bekommen.«

Und nach diesem Gespräch schien er eine Aufwallung von frischer Lebensfreude zu haben – war so liebevoll mit seiner Frau. Klara wurde von einem Gefühl der Beklommenheit ganz verwirrt – ja – so sah es aus, als fange er an, sie sehr, von ganzem Herzen zu lieben. Als sei sie ihm sein Halt, sein Stolz. Da spürte sie noch etwas ganz anderes als jenen Rausch, den sie nicht verstand und der ein Wunder war und ein Rätsel und vielleicht sehr abscheulich oder vielleicht ein großer Naturzweck –

Ob sie wohl je dahin kommen würde, das wechselnde Wesen ihres Mannes zu verstehen? Und die tiefsten Gründe seiner Unausgeglichenheit aufzuspüren?

Unbegreiflich war ihr auch gewesen, in welcher Art er es aufnahm, daß ihre Zweisamkeit sich im Frühling zur Familie erweitern würde.

»Schon Vater werden? – Wie alt kommt man sich vor. – Ja, das ist dann wieder eine neue Lebensepoche – man wird immer mehr Philister …«

Sie sah ihn an – starr – staunend – vor peinlicher Überraschung stumm. Doch ehe es dazu kam, daß diese ihre Überraschung sich in Schmerz auflösen konnte, erfaßte Wynfried schon ihre beiden Hände. Küßte ihr die Rechte – küßte ihr die Linke und sagte: »Welche erhebende Aussicht …« Und ließ sie allein – als treibe ihn Verlegenheit fort.

Von da an kamen immer häufiger die Augenblicke, wo Klara sich fragen mußte: liebt er mich doch? Es machte sie glücklich und ängstlich zugleich –

Und sie steigerte sich in die Hoffnung hinein: ich werde ihn auch lieben – einmal – dann … ja dann …

Es wurde sehr stark an die Tür geklopft. Das machte ihrem Nachsinnen ein Ende. Sie wußte, wer kam und wer so klopfen ließ. Sonst war ihr erster Weg jeden Morgen hinauf zu ihrem Schwiegervater, aber er hatte gestern gesagt: »Du sollst dir deinen Glückwunsch von mir nicht holen. Ich bring’ ihn dir. So viel Höflichkeit steckt doch noch in mir altem brüchigen Mann.«

Er machte sonst die Fahrt mit dem Lift, die ihm ärgerlich war, nur einmal am Tage, wenn er zum Essen herunterkam.

Nun schob Leupold den Fahrstuhl herein. Dieses Gefährt kleidete gewissermaßen den alten Herrn nicht so gut – im mächtigen Ledersessel thronte er. Hier sah man so deutlich, daß ein Gelähmter darin saß. Vielleicht hatte er selbst ein dunkles Gefühl davon, denn er konnte sich mit seinem Fahrstuhl nicht vertragen. Voll Ungeduld entdeckte er täglich neue Ärgernisse an seiner Konstruktion und bestritt, daß sie von der möglichsten Vollkommenheit sei.

Klara eilte ihm entgegen und umarmte ihn. Er war sehr in Anspruch genommen von dem Geschenk, das er brachte. Leupold nahm es dem blonden Georg ab, der in militärischer Haltung dem Zuge folgte und einen Damenpelz über dem Arm trug. Eine förmliche Prozession, und die junge Frau lachte. Erst als der zweite Diener sich zurückgezogen hatte, hob der alte Herr ihr den Pelz entgegen, den man ihm auf die Knie gebreitet. Eine Mütze war auch dabei. –

»Ja, lach mich nur aus. Auf einmal soll man und will man galant sein. Hab’ seit vielen, vielen Jahren weder Ursache noch Gelegenheit gehabt, für junge Damen was einzukaufen.«

»O wie schön. – Prachtvoll, Vater – wie danke ich dir –« Und sie dachte: »Was soll ich nur damit?!«

»Hab’ Wynfried um Rat gefragt. Der versteht ja von Damentoiletten mehr als vorderhand vom Eisenguß –«

»Wynfried?« fragte sie.

Ihre erstaunte Frage war ihm unangenehm – er begriff: das war eine überflüssige Bemerkung gewesen …

»Na – das kam mir vielleicht auch nur so vor – er war sehr erpicht darauf, daß ich dir was Statiöses schenke – Klara ist zu uninteressant angezogen … sagte er.«

»Ich?« fragte sie wieder dazwischen; »kann man denn ›interessante‹ Kleider haben?«

»Muß man ja woll. Kind, ich meine, du bist immer gerade recht gekleidet,« sagte er mit Nachdruck. »Aber für Wynfrieds Geschmack muß es Nerz und Hermelin sein – sieh dir das mal an – Leupold, laß mich da – hol mich in einer Stunde wieder – du weißt, der Kommerzienrat Kreyser hat sich angemeldet. – Na, mein Kind, was staunst du denn den Pelz an –«

»Vater, mir ahnt, das ist was sehr Kostbares.«

»Ziemlich. Aber sieh mal: wenn Wynfried dich doch gern in solchem Dings sehen mag …«

Klara dachte an ihre alte dicke Winterjacke und die pastellblaue Wollmütze.

Der bittende Ton des alten Herrn rührte sie. Mit Vorsicht breitete sie den Pelz auf den graublauen Sofa hin und sprach: »Wir müssen ihm schon den Gefallen tun – denn, nicht wahr, Vater? er tut sein Bestes, vor dir nach und nach zu bestehen.«

»Vor mir? Kind, vor dir! Du bist es und der Respekt vor dir, der ihn aufweckt! Man kann nicht alles auf einmal verlangen. Das Gleichmaß fehlt noch – noch die Ausdauer – aber es kommt! – Alle Begabungen sind da – Thürauf ist oft ganz glücklich. – Du kannst dir woll denken, daß Thürauf und ich unter vier Augen keine schönen Redensarten über wichtige Dinge machen, sondern klipp und klar Wahrheiten sagen. Ja, Klara – das bist allein du! Meine Hoffnungen erfüllen sich. Ich kann kein Dankeswort sagen … Du weißt von selbst, was ich fühle …«

Er sah sich um. Immer sprach dieser Raum zu ihm. Stimmen aus vergangenen, schweren und doch erhebend schönen Zeiten füllten ihn. Von der Wand sah das lieblich-ernste Angesicht der heiligen Toten …

»Nicht nur dich hast du ins Haus gebracht – mit all dem Segen, der du uns bist – nein, auch diesen Tempel des Gedächtnisses –«

Er sah nach der Uhr, wo in melancholischer Lebendigkeit die kleine gelbe Pendelscheibe zwischen den Alabastersäulen hin und her und her und hin ging – er sah den fiedelnden Amor an –

»Klara,« sagte er, »wir machen ja nicht viel Worte zusammen, du und ich verstehen uns so. Aber heut ist so ’n Tag – dein erster Geburtstag als Frau Klara Lohmann – da muß ich dir doch mal aussprechen, wie glücklich es mich macht, daß du den Namen trägst, den ich deiner Mutter nicht geben durfte. Und wie es mich mit der tiefsten Ruhe erfüllt, daß du meinem Einzigen hilfst, ein werktätiger Mann zu werden. Was er sonst ist oder wird, als dein Gatte, wie er dir deine Hingabe, deine Liebe lohnt – das macht zwischen euch zweien aus. Aber, gottlob – mir scheint, du bist glücklich! Anders zerfräß’ es mir auch das Herz. – Ich kann in Frieden weggehen – du weißt, wenn der Dunkle, der neben mir wartet, nochmal mit der Sense ausholt …«

 

Klara bückte sich zu dem Sitzenden und umarmte ihn mit Leidenschaft.

»Nicht so – o nein, Vater – du bleibst noch Jahrzehnte bei uns –«

Er lächelte resigniert – aber doch in jener Resignation, die Starke sich selbst vorheucheln. Starke, die sich nicht vorstellen können, wie ihr Werk ohne sie sich ausnehmen wird.

»Um was ich dich damals bat, als du seine Braut geworden warst: hilf ihm ein Mann der Arbeit zu werden, denn seine Mutter hat ihn zu einem Luxusmenschen erzogen, und er kam nachher in üble Hände. – Ja, das hast du erfüllt. – Er wird einmal mein Werk als ein Berufener weiterführen. Das sehe ich schon. – Wie herrlich, diese Beruhigung. – Heut kommt Kreyser – ein alter Freund. – Weißt du, was er will? Mit mir die Umwandlung seiner Betriebe in eine Aktiengesellschaft beraten. – Wahrscheinlich werden wir uns so stark beteiligen, daß wir die Dinge da in die Hand bekommen. – Die Kreyserschen Fabriken sind schon seit vielen Jahren Abnehmer unseres Roheisens. – Kreyser hat kein Interesse mehr an seinem Werk. – Hatte einst auch gedacht: er arbeitet für Söhne. Und nun? Einer im Duell gefallen – üble Sache – man spricht besser nicht davon. Der andere, toll vor Lebensgier, hat sich irgendwo Tuberkeln geholt – fristet sich im Süden hin und soll nach Australien, was ja als das Heilkräftigste gilt. – Früher sagte Kreyser woll mal: Na, Sie haben ja auch Not mit dem Ihren! Nun wird er sehen: keine Not mehr – wachsende Zuversicht. – Höre, Klara, es ist dir doch angenehm? Ich muß ihn bitten, daß er zu Tisch bleibt. – Ihr habt so wie so Gäste?«

»Wynfried hat Agathe Hegemeister und zwei Herren von drüben zum Frühstück eingeladen – Likowski und seinen Oberleutnant,« sagte Klara zerstreut.

»Ist die pummelige Baronin dir wirklich so flink ’ne Busenfreundin geworden? Daß Wynfried gerade Likowski und Marning so heranzieht, freut mich. Beide haben meine starke Sympathie.«

»Ach – Agathe? – Sie kommt sehr oft – sie ist so wenig mit ihrem Leben zufrieden – ich glaube, sie hat sich nur an mich gehängt, um irgend etwas Neues zu haben.«

»Kind, du sprichst mit mir. Wo sind aber deine Gedanken? Anderswo!«

Klara lächelte.

»Es ist unheimlich, wie du mich kennst.«

»Wo also waren sie? Ich nehme an, daß du keine Heimlichkeiten vor mir hast,« sagte er scherzhaft.

»Doch! Ich habe sogar Wynfried gebeten, sie mir zu lassen – bis heute …«

Sie kniete neben ihm nieder – wie das oft geschah – dem Gelähmten schien sie dann am nächsten, konnte am besten zu ihm emporsehen – oben in seinem Zimmer hatte sie ihr niedriges Stühlchen neben seinem Thron.

Sie faltete ihre Hände um seine Rechte. Die schlanken, weißen Finger preßten förmlich diese große Männerhand …

»Vater,« sagte sie leise, »ich glaube, dein Haus wird weiterblühen. Und du mußt durchaus leben, damit du siehst, daß ich dein Enkelkind in deinem Sinne erziehe.«

»Klara? …«

»Ja,« sprach sie, »im April.«

Sie hatte ihre Blicke zu ihm emporgewandt und schaute voll in das große Auge …

Darin blitzte ein Strahl heißer Freude auf … Und gleich wurden sie von feuchtem Glanz verschleiert … Klara sah zum erstenmal eine Träne in diesen gebieterischen Augen. –

Sie schwiegen vollkommen. Es war eine feierliche Andacht zwischen ihnen, die keiner Worte bedurfte. Vergangenes und Zukünftiges zog durch die Gedanken des alten Mannes. In dieser ernsten, holden jungen Frau wurde ihm beides zur Gegenwart. Dafür dankte sein Herz ihr inbrünstig. Und er begriff es vollends, daß die Liebe zu ihr das Glück seines Alters war. –

Um halb eins fanden sich die Gäste zum festlichen Frühstück ein. Die Baronin Hegemeister kam ohne ihren Schatten. Gerwaldchen sei in Berlin, da feiere ihre alte Mutter in ihrer sogenannten Gartenwohnung drei Treppen hoch ihren Fünfundsiebenzigsten – ach, in so mageren Lebensumständen – Gerwaldchen habe mit einer Träne davon gesprochen, und so was könne man doch nicht mitansehen. – Und da habe sie ihr das Reisegeld geschenkt und sonst noch dies und das mitgegeben, so daß die alte Dame ein kleines Weilchen in Wohlleben sich guttun könne.

Das erzählte Agathe verschämt, weil sie halb und halb dachte, ihre Gutmütigkeit werde ausgenutzt, und sie doch nun einmal nicht anders konnte. Nein sagen konnte sie nicht. Durchaus nicht. Am wenigsten auf Bitten, die man mehr erriet, als geradezu hörte. Und diese widerstandsunfähige Gutherzigkeit, so schuldbewußt gebeichtet, war sehr liebenswürdig.

Auch die Doktorin Lamprecht fehlte. Sie hatte einen furchtbaren Husten. Und Likowski berichtete, daß die alte Dame vor Ärger ganz krank sei, weil sie hier heute fehlen müsse, denn offenbar habe sie in irgend welchen ganz unlogischen Gedanken die Ansicht, sie gehöre verdienstvoll hierher.

Der alte Herr brachte den Kommerzienrat Kreyser mit und machte ihn bekannt. Da dieser Name einen hallenden Klang hatte für alle, die ungefähr von den »Kapitänen der Industrie« etwas wußten, nahm man die Vorstellung mit einem großen Respekt auf. Das bartlose, große, fleischige Gesicht des stämmigen Mannes zeigte eine Freundlichkeit, die nur wie ein allzu durchsichtiger Schleier über der schweren Stimmung lag, die ihn eigentlich beherrschte. Er saß neben der jungen Hausfrau, deren nächste Pflicht es nun war, sich diesem sehr wichtigen Geschäftsfreund des Werkes und persönlichen Freund ihres Schwiegervaters zu widmen. An ihrer anderen Seite hatte sie den alten Herrn, der in seinem Fahrstuhl stets, als an dem für ihn bequemsten Platz, zu Häupten des Tisches präsidierte.

Auf diese Weise war Klara fast wie von dem jugendlichen Teil des kleinen Kreises geschieden. Denn ihr Gegenüber, der Hauptmann von Likowski, gab sich immer väterlich und war heute in erbittertem und gespanntem Zustand. Er politisierte mit den beiden alten Herren und verschwor sich: »Ich politisiere nie! Ein Soldat hat zu schweigen, bereit zu sein und dreinzuschlagen, wenn’s befohlen wird. Aber man hat ja noch seinen gesunden Menschenverstand. Und der sagt mir denn doch: wir lassen uns ja rein alles gefallen … Aber ich hoffe auf übernächstes Jahr … Sie sollen mal sehen – das ist das Schicksalsjahr. – Dann geht’s los! – Nun, wir sind fertig! – Es muß mal kommen …«

Klara mußte sich Mühe geben, zuzuhören. – In ihr war eine stille und doch eine so starke Freude gewesen, als wenn diese kleine Feier ihres Geburtstags ein Erlebnis werden würde. – So war ihr manchmal zumut, wenn Gäste kommen sollten. – Dieselben Gäste – aber immer kam eine Art von Trauer oder Schwere über sie, gleich einer grenzenlosen Enttäuschung.

Die blonde Baronin war desto munterer, und Klara sah, wie leicht und lebhaft sich ihr Mann in den neckischen Ton fand. Agathe konnte auf eine so durchsichtige und naive Weise klagen, um sich die Vorteile eines faustdicken Kompliments oder eines Versprechens zu gemeinsamen Vergnügungsfahrten zu erringen. Sie nahm es aber nicht im mindesten übel, wenn man sie mit ihrer Methode neckte. Klara glaubte auch zu beobachten, daß Stephan von Marning wenig sprach. – Sie wußte längst: Agathe hoffte auf ihn. Man hätte blind sein müssen, das nicht zu erkennen. Und sie fragte sich wieder: wird er sich herbeilassen …?

Denn dies war das Merkwürdige an dem Fall, den alle Menschen dieses geselligen Kreises beobachteten: niemand sagte: »Welches Glück für den unbemittelten jungen Offizier,« sondern jeder fragte: »Ob er sie wohl nimmt?«

»Nein,« dachte Klara, »nein – das ist nicht die Frau, die ich ihm wünsche –«

Ihre Vorstellungskraft versagte, wenn sie sich diese beiden als Paar vorstellte.

Wynfried hatte einmal gesagt: ein schönes Paar – er groß, schlank, dunkel – sie so blond, üppig, ganz weiche Weiblichkeit und so entzückend gepflegt –