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Aber Agathe merkte nichts davon, daß ein Teil ihrer Gäste nicht sehr munter schien. Sie war ganz und gar beschäftigt. Mit glücklichem Gefühl beobachtete sie, daß Stephan sich mit der jungen Frau Lohmann steif und höflich unterhielt – natürlich mochte er sie nicht leiden – daneben versäumte sie nicht, in Wynfried Lohmann die Erinnerungen an jenen schönen Abend von damals wachzurufen.

Er lächelte.

»Ich bin gewiß sehr unbescheiden gewesen! Was man so als junger Dachs alles wagt! Und nach sechs Jahren darf ich es wohl gestehen: ich war an jenem Abend rasend in Sie verliebt.«

»Ach, wie entzückend, das noch nachträglich zu hören. Ja – jetzt sind Sie nicht mehr so ganz flammender Schwärmer. – Ein würdiger Mann. – Schrecklich ernsthaft verheiratet. – Teilhaber an Severin Lohmann. – Und machen es wie Ihr Vater und arbeiten von früh bis spät?«

»Meinen Vater kann niemand erreichen. Die Natur gab ihm zu seinen Geistesgaben auch noch die Hünenkraft – sie ist ja noch fast ungebrochen. – Wenn die linksseitige Lähmung nicht wäre. – Aber ich versuche mich einzuarbeiten. – Das große Interesse, das meine Frau hat, ist dabei nicht unwichtig. – Teilhaber werde ich offiziell am 1. September.«

»Ich will versuchen, mich mit Ihrer Frau zu befreunden,« sagte Agathe in plötzlichem Entschluß. Der von ihr geliebte Mann verkehrte doch bei den Lohmanns. – Grund genug zum Wunsch, aus der förmlichen Beziehung eine nähere werden zu lassen.

»Es würde mich freuen, wenn Ihnen das gelänge, Baronin. Meine Frau hat eine sehr ernste Jugend gehabt. So ist sie ein verschlossener Mensch geworden. Ein wenig Fröhlichkeit könnte unserem Hause nicht schaden.«

Der arme Mann darbt gewiß an allen Ecken und Enden, dachte Agathe.

Und er dachte, daß es immerhin unterhaltend sein könnte, dieses wundervolle Weib öfter zu sehen. Zuweilen ging es ja wie ein Erwachen durch ihn hin – ein leiser, noch nicht bestimmter Wunsch wollte aufwallen, daß ihm das Dasein wieder genießenswerter werden möge.

Und diese Frau, wenn man sich zufällig einmal näher zu ihr neigen mußte, hatte einen Duft an sich – einen ganz bestimmten Duft, süß und zart, den Wynfried kannte. Und dieser feine, eindringliche Wohlgeruch störte Erinnerungen aus dem Schlaf auf.

Er fragte endlich leise: »Was haben Sie für ein Parfüm – verzeihen Sie die Frage, Baronin – aber Sie wissen: was weckt mehr Erinnerung als ein Duft!«

Und sie nannte die Mischung und das Pariser Haus als Bezugsquelle. – Worte, die ihm ins Ohr klangen wie ein Nachhall aus verrauschten Tagen … Der bittere Zug kam in seinen Mundwinkel. – Er sah zu seiner Frau hinüber. Zufällig trafen sich ihre Blicke.

Da lächelte er freundlich …

Das war sein redlicher, gütiger Kamerad, an dessen Hand er wieder emporkam … Und im Trotz gegen diesen Duft nickte er ihr zu.

Klara dachte, daß das Tafeln niemals ein Ende nähme.

Wie förmlich der Freiherr von Marning neben ihr saß. Nein, mehr noch: gezwungen, konnte sie denken. – Und sie wußte nicht, was für Gespräche sie versuchen sollte – jedes starb gleich ab. Auf das qualvollste fühlte sie sich befangen – und es war geradezu lächerlich, wie ihr eine ganz kleine Sache immer auf der Zunge lag und wie sie sich doch nicht zu entschließen vermochte, davon zu sprechen. Sie war nie dazu gekommen, ihm für die arme kleine pastellblaue Wollmütze zu danken, die er damals gefunden und ihr zugesandt hatte. In ihrer kurzen Brautzeit war sie ihm einmal begegnet, mit Likowski, der sie ansprach. Bei dieser Begegnung gratulierte er ihr mit so viel Zurückhaltung, daß es ihr weh tat.

Sie ahnte: er sei einer von denen, die dachten, sie habe sich an einen reichen Mann verkauft.

Das verschloß ihr den Mund.

Auch neulich, als er bei ihnen zu Gast gewesen, fühlte sie sich außerstande, von der kleinen blauen Mütze zu sprechen – als sei das wunder was gewesen, ein Erlebnis, daran man nicht rühren dürfe … Und nun rang sie mit dem Wunsch, doch davon anzufangen. Es war aber unmöglich.

Einmal fragte sie: »Wo standen Sie früher?«

»In Köln, gnädige Frau. Zuletzt war ich in Berlin – zur Turnanstalt kommandiert.«

»Da ist freilich eine andere Welt gewesen. Wird es Ihnen nicht schwer auf dem Lande, in der kleinen Stadt? Das Leben ist so anders.«

»Wo ein so gewaltiges industrielles Unternehmen wie die Severin Lohmann die Gegend beherrscht, ist weder Kleinstadt noch Landstille. Man hat immer das Gefühl, als wohne man nebenan bei einem Riesen, der von Funken umsprüht dasteht und der Welt zuruft: arbeite!«

»Wie freut es mich, daß Sie es so empfinden,« sagte Klara lebhaft. »Mir ist oft, als sähe ich die ganze wunderbare Arbeit der Natur, die uns sonst geheimnisvoll verborgen bleibt, sich in einem geschlossenen, durchsichtigen Prozeß vor unseren Augen abspielen. In so einem Hüttenwerk mit all seinen Nebenprodukten lernt man in die Wirtschaft unserer Mutter Erde hineinsehen. Die Chemie hat ihr ihre Misch- und Kochkünste abgelauscht und wiederholt sie oben im Licht, auf sicherere und positivere Art.«

»Gnädige Frau haben Verständnis und Interesse für das Lebenswerk Ihres Herrn Schwiegervaters.«

Das war nun wieder eine abschließende Bemerkung. Aber Klara fragte: »Haben Sie das Hüttenwerk schon besucht?«

»Nein; ich fand noch keine Gelegenheit, darum zu bitten.«

»Wir wollen es Ihnen zeigen – Wynfried und ich – oder mein Mann allein,« setzte sie rasch hinzu. »Wenn er mich nicht dabei haben mag …« dachte sie.

»Ich nehme es mit Dank gelegentlich an,« sagte er unbestimmt.

Sie suchte nach einem anderen Thema.

»Sind Sie aus eigenem Wunsch oder in einer Familientradition Offizier geworden?« fragte sie.

»Aus Wunsch und Tradition, gnädige Frau.«

»Es ist jetzt nicht leicht, Offizier zu sein,« sagte sie, »der lange Friede – und das mehr und mehr entschwindende Verständnis für die Größe Ihres Berufs …«

Er sah sie überrascht an. Ihre Blicke trafen sich.

»Ganz gewiß, gnädige Frau. Man hat manchmal zu tun, Bitterkeit von sich abzuwehren, daß sie einem den frohen Mut nicht verdirbt. Die Gage ist schmal – die Zulage klein – Offizier sein, heißt von tausend Fällen neunhundertmal: mit stiller Würde entsagen können und auf alle sorglos reichlichen Lebensformen verzichten. Man hat sich dem Vaterlande gelobt und ist mit dem guten Bewußtsein zufrieden, das volle Hingabe immer gibt. Aber wenn man denn so spürt, daß diese Hingabe von breiten Volksschichten gar nicht verstanden und gewürdigt wird – das tut weh. Es ist auch kein erhebendes Gefühl, wenn man todmüde vom Dienst kommt und dann als Erfrischung ein Witzblatt in die Hand kriegt, wo alles, was Uniform trägt, als Troddel dargestellt wird. Naß bis auf die Haut ist man vielleicht, tat in Wind und Kälte seit Morgengrauen Dienst – vielleicht nach halbdurchwachter Nacht bei kriegswissenschaftlicher Arbeit. Und dann liest man, noch nicht mal bloß in sozialdemokratischen Blättern, Urteile, Schilderungen über uns, deren Böswilligkeit oder Unverständnis einfach grotesk ist. Die Hoffnung, endlich einmal zeigen zu können, wozu wir da sind, was wir gearbeitet haben – ja, die wird schon fast Ungeduld. Wenn auch nicht alle so viel davon sprechen wie Likowski. Und doch – während man so ungeduldig ist, muß man zugleich aus tiefstem Herzen wünschen, daß dem Volke das Grauen eines Krieges erspart bleibt. – Ja, er ist nicht ganz einfach, unser Beruf … Konflikte … keine leichten …«

»Es gehört stilles Heldentum dazu,« sprach Klara. »In dieser Zeit, wo gewisse Schichten das Wort ›Vaterland‹ nicht hören können, ohne von Hurrapatriotismus und Sentimentalität zu höhnen.« Und nach einer kleinen Pause sagte sie langsam vor sich hin, was ihr von allen seinen Worten am stärksten gewesen war: »Und man ist mit dem guten Bewußtsein zufrieden, das volle Hingabe immer gibt.«

Er fühlte, daß sie diesen Ausspruch auch für sich annahm – so deutlich fühlte er es, als habe sie es ihm erklärt.

Er versank in Nachdenken. Das seltsame Gefühl der Vorsicht, das ihn zwang, sich fern und feindlich von ihr zu halten, war ihm entglitten. Er dachte: »Wir verstehen einander – sie und ich …«

Aber sie hatte sich ja doch verkauft – und das war gegen seine Einschätzung von Frauenwürde. Er sagte es sich noch einmal nachdrücklich.

Als man nach Tisch hinauskam, stand die stille, dunkle Hochsommernacht so mächtig da, daß alle Leute sich von etwas rätselvoll Großem wie gebändigt fühlten und alle einfachen Herzen in Andacht schwiegen. Der hinschwindende Mond war nur noch eine schmale, orangenfarbene Sichel ohne Leuchtkraft. Die Sterne schienen ferner als sonst noch – zu kleinen Pünktchen geworden, in unermeßbarer Höhe, kaum erkennbar. Und die eine Seite des Himmels rabenschwarz. Drüben unten blinkerten die Lichter von Travemünde. Daß der Leuchtturm, dessen Lampen man von hier nicht sah, wachsam seine Arbeit tat, erriet man aus dem gespenstigen Schein, der nach regelmäßigen Pausen über die grenzenlose Dunkelheit hinhuschte, von der man wußte: sie ist das Meer …

Stephan Marning schrak aus verträumtem Hinsinnen auf. Ohne daß er darauf achtgegeben, hatte Agathe sich ihm genähert. Sie flüsterte, als sei schon geheimes Einverständnis zwischen ihnen: »Richten Sie es so ein, daß wir zusammen ins Ruderboot kommen.«

Der heiße Ton der dringlichen Mahnung berührte ihn, als wolle eine Frauenhand ihn streicheln, die er um keine Liebkosung gebeten hatte … Er nahm sich zusammen. – Sie nicht verletzen – klug sein. – Heute nachmittag, in durchdufteter Sonnenglut hätte er doch beinah die roten Lippen geküßt … Sie war ihm also doch kein reizloses Weib …

»Wenn es unauffällig geschehen kann …« flüsterte er zurück.

Nun zog die Gesellschaft zum Ufer hinab, um die Fahrt in den geschmückten Booten auf dem nächtlichen Wasser des Wyk zu machen. Nur ein paar ältere Herren und die Baronin Bratt blieben zurück.

»Es wetterleuchtet!« schrie Fräulein Edith.

 

»Keine Spur. Das ist das Blinkfeuer des Leuchtturms,« sagte jemand.

Fräulein von Gerwald hatte auch gesehen, daß es sehr starkes Wetterleuchten gewesen war. Aber sie schwieg. Sie wollte ihrer Herrin nicht das Programm verderben. Und würgte lieber die jäh aufsteigende, schlotternde Angst hinunter.

Dieser Menschentrupp, von einer teils künstlichen, teils echten Lustigkeit wie besessen, hatte für Stephan etwas merkwürdig Törichtes.

Im unsicheren Licht, das die an den abwärtsführenden Wegen aufgehängten bunten Laternen hergaben, sah er dicht vor sich Frau Klara Lohmann. Zuweilen konnte er ganz deutlich den schlanken Hals mit dem feinen Haaransatz erkennen und den braunen Haarknoten. Jetzt erst, in diesem Dämmerlicht fiel ihm auf, wie einfach sie gekleidet war … Sonderbar. Sie hatte doch reich werden wollen …

Unten am Bootshaus war ein Gedränge und Gelächter.

Edith tat, als sei sie beständig in Gefahr, ins Wasser zu fallen, und war recht laut. Sie wollte auch durchaus selbst ein Ruder haben, und deshalb stieg sie in das Ruderboot, wo die blonde Hausfrau, ein wenig schwer atmend, schon saß und sich von Wynfried Lohmann einen Schal umlegen ließ. Das Boot füllte sich so rasch, daß es Stephan keine Mühe kostete, sich auszuschließen.

Frau Agathe rief: »Aber Herr von Marning sollte doch mit hier herein …«

Und andere Stimmen riefen dagegen: »Kein Platz mehr.«

»O Gott, es wetterleuchtet wirklich!« sagte ein Fräulein Thürauf.

»Das kommt nich!« beruhigte der Bootsmann.

Stephan saß dann im Motorboot, vorn auf der kleinen Querbank, neben der jungen Frau Lohmann. Und die Maschine fing an, eilig und mit kleinen, dunklen Tönen zu puckern. Man hörte ein paar aufgestörte wilde Enten mit rauschendem Flügelschlag davonstieben. –

»Wie schade,« sagte Klara.

»Was?«

»Daß wir die Sommernacht entweihen.«

Er hatte dasselbe gefühlt.

Fräulein Thürauf II und III waren musikalisch, hatten hübsche Stimmen und fingen an zu singen. Es klang sentimental. In den Gesang hinein schrie wieder jemand: »Es wetterleuchtet aber fix.«

Wie schwarz das Wasser und die Nacht. Ohne die Laternen an Bord hätte man vielleicht den metallischen Blauglanz der Hochsommernacht erkannt. Die roten, durchleuchteten Papierkugeln töteten den Zauber.

»Zu solchen gewaltsamen Vergnügungen muß man bei frischer Laune sein,« dachte Stephan und konnte selbst nicht begreifen, weshalb ihm dies alles so überflüssig und geschmacklos schien.

Jetzt war es gar kein Zweifel mehr, daß das Wetterleuchten immer rascher trübrot die Gewölkwand am nordöstlichen Himmel zerriß. Es schien aber niemand im Boot ein Gefühl für die wilde Schönheit der zuckenden Scheine zu haben. Vielmehr stritten alle, ob man umkehren oder weiterfahren solle. Aber die behielten noch die Vormacht beim Entscheid, die auftrumpften: »Das Ruderboot denkt nicht an umkehren – seht! Es schießt flott weiter hinaus. – Und da ist doch die Baronin selbst an Bord – und sie ist doch so ängstlich … Und Likowski ist dabei – bloß keine unnütze Angst, meine Herrschaften.«

Das Wasser gluckerte vorn am Bug, und es klang, als plauderten liebliche Stimmen unbekümmert vor sich hin. Laue Luft wehte den Fahrenden entgegen, wie das Boot so mit raschem Lauf durch die Flut rauschte. Einige Minuten lang schwiegen die Insassen.

Mit einem Male zuckte am westlichen und gleich darauf auch am nördlichen Himmel ein Blitz. – Niemand hatte gemerkt, daß rundherum Wolken heraufgezogen waren. – Eine Frauenstimme stieß einen gellenden Schrei aus.

Und von diesem Augenblick an wurde die Szene grotesk.

Die Blitze sausten zackig von dem schwarzen Himmel nieder, Donner schütterte durch die Luft, das Wasser gärte in Unruhe. Aber man hätte dieses große Schauspiel ohne Angst ansehen können, denn der Mann an der Maschine lenkte, auf einen Zuruf des Oberleutnants von Marning hin, ruhevoll das Steuer uferwärts. In acht, in zehn Minuten konnte man wieder sicher unter das Dach des Bootshauses eingeglitten sein. Höchstens konnte etwa bald einsetzender Regen für die Damen unangenehm werden.

Aber die Frauen wurden von jenem unerklärlichen weiblichen Bedürfnis gefaßt, sich in Gefahr und Angst hineinzusteigern. Die instinktive Begier nach Schrecknissen und die Bereitschaft zum Abenteuerlichen packte sie … Sie wurden wie Kinder, die im dunklen Zimmer schreien, weil sie den schwarzen Mann und andere unbekannte Bedrohlichkeiten fürchten.

Die Offiziere baten – beschworen – wurden streng. – Umsonst. Das leiseste Schaukeln ließ die Sinnlosen von der einen Seite des Bootes sich auf die andere hinüberstürzen. Es schwankte so sehr, daß es zweimal in Gefahr geriet, umzuschlagen.

Und diese wahnwitzige, überflüssige Angst war so ansteckend wie alle nervösen Anfälle, die aus Zeugen oft genug Miterleidende machen. Selbst die vernünftigen beiden Fräulein Thürauf weinten – und die eine schrie: »Wir wollen an Land schwimmen.« Sie mußte gehalten werden, um sich nicht ins Wasser zu stürzen.

Stephan saß neben der jungen Frau. – Er faßte beruhigend nach ihrer Hand. – Klara saß ganz still. Sie schien sehr bleich zu sein. Mit großen Augen sah sie dem angstzuckenden Gebaren zu – es hörte ja auf, lächerlich zu sein, weil es eine ernste Gefahr für das Boot und alle Insassen war.

Ein nächster Augenblick – ein Ungefähr konnte das Unglück herbeiführen – es brauchte nur ein Blitz greller und näher herabzufahren. Der Donner brauchte nur rascher heranzukrachen, und die Frauen würden völlig den Verstand verlieren.

Klara allein war nicht von dem Taumel der Furcht, von der Besessenheit des Grauens erfaßt worden. Aber sie sah deutlich: diese Tollen beschworen herauf, was ohne Tollheit gar nicht vorhanden gewesen wäre.

Und sie machte sich auf ein furchtbares Ereignis gefaßt … Da fühlte sie, daß eine starke Hand tröstend die ihre umfaßte. Sie wußte plötzlich: es kann ja nichts geschehen.

Er sah ihre Selbstbeherrschung – wie liebte er gefaßte Haltung, geschmackvolles Betragen an Frauen. Das dieser jungen Frau inmitten all der sinnlos sich Gebärdenden war eine Wohltat. Und er dachte: »Ich habe ihr Unrecht getan!« Diese Frau, in deren Gedanken und Wesen er heute ein wenig, nur ein wenig hatte hineinsehen können – die war keiner niedrigen Handlung fähig.

Warum nicht fortan herzlich und freundlich ihre Freundschaft suchen – warum nicht trachten, sie näher kennen zu lernen?

Ein Schrei zerriß seine Gedanken … ganz nahe war ein Blitz niedergefahren. – Polternd schien die Luft auseinander zu fallen – als ob ihre Räume zerbarsten, klang es.

Gleichzeitig legte sich, weil die Frauen sich hinüberwarfen, das Boot steuerbord so stark auf die Kante, daß nur das Gegengewicht, das mit Geistesgegenwart von den Offizieren gegeben wurde, es noch einmal rettete. Und im nächsten Augenblick schüttete es jäh vom Himmel nieder – als käme ein Tropenregen herab, so gewaltig und groß prallten die Tropfen auf und in solchen Mengen, als habe einer neben dem anderen keinen Platz.

Und dieser grandiose Regen goß die alberne Angst aus.

Die fürchterliche und prickelnde Aufregung vor Tod in Wasserfluten, die Begierde auf Rettung durch starke Männerarme, die Schwelgerei weiblicher Schutzbedürftigkeit in Gefahr – alles erlosch. Und nur noch der eine Gedanke hatte Leben, stärkstes Leben: »O Gott, mein Kleid!«

Die Papierlaternen waren feuchte erloschene Fetzen. Die Spitzen und Tülle der Kleider nur noch anklebende Lappen.

Stephan begann seinen Überrock aufzuknöpfen, und die junge Frau erriet auf der Stelle, daß er ihn ausziehen und ihr umlegen wolle.

»Lassen Sie, bitte. Wir sind in einer Minute da.«

Auch das Ruderboot kam rasch heran – an seinem Borde schien kein Kampf der Furcht sich abgespielt zu haben.

Im Bootshause, auf den innen umlaufenden Stegen war ein Gedränge halb komischer, halb tragischer Art. Man lachte, weinte, trumpfte auf, schämte sich.

Die schöne Hausfrau ertrug es mit Humor, daß ihr blaßlila Chiffonkleid nur noch ein unzulänglicher Badeanzug war, und sie fing schon gleich an, ihr blondes Haar auseinander zu lösen – alle konnten so seine Fülle sehen – das machte ihr Spaß. –

Am Ufer warteten die zurückgebliebenen Väter und Gatten neben den Blausilbernen, die ihren Glanz in Gummimäntel gehüllt hatten. So viel Regenschirme es im Schloß Lammen nur gab, waren zur Stelle.

Aber was halfen nun noch Schirme.

»Wir sind wie gebadete Katzen,« schrie Fräulein Edith, vor Vergnügen außer sich.

Stephan sah, daß Wynfried Lohmann sich in herzlicher Besorgnis seiner Frau zuwendete.

»Vielleicht,« dachte er, »vielleicht ist das Unwahrscheinliche wahr, und sie lieben sich.«

So endete das Sommerfest auf Lammen, und Agathe hatte wohl Recht, als sie nachher noch sagte: »Diese gräßlich schöne Natur. – Verlaß ist nie darauf.«

5

Klara dachte über die vergangenen Monate nach.

Der Tag lud sie förmlich dazu ein. Es war ihr Geburtstag, und ihr dreiundzwanzigstes Lebensjahr begann.

Sie saß in ihrem Zimmer. Es nahm die Ecke des Erdgeschosses ein und hatte ein Fenster nach dem Hüttenwerk, eines nach den Anlagen und dem Fluß zu. Aber auch von diesem Fenster, an dem die junge Frau ihren gewohnten Sitzplatz sich hergerichtet, hatte man den schrägen Blick hinüber auf die rauchende, flammende und rumorende Welt der Arbeit.

Die schönen Sachen von Klaras Mutter möblierten das Zimmer. Sie waren völlig unbeschädigt erhalten gewesen, und man hatte nur ihrem Mahagoniglanz nachgeholfen. Das weite, tiefe Sofa mit dem graublauen Seidendamast stand an der Hauptwand. Darüber hing das Bild der Mutter. Das Angesicht, das dem der jungen Frau so sehr glich, leuchtete fein und hell vor dem grünen Hintergrund im dunkelgoldenen Rahmen. Und auf dem halbhohen Teeschrank an der Wand gegenüber ging zwischen den kleinen Alabastersäulen die gelbbronzene Pendelscheibe hin und her; oberhalb des Zifferblattes, auf der alabasternen Brücke, schritt der kleine, fiedelnde Amor. Nichts war hier neu als der Teppich, der zu der Einrichtung passend beschafft worden war, die Spitzenvorhänge an den Fenstern und die elektrischen Lampen. Wenn die junge Frau nicht durch häusliche Pflichten oder durch ihren Schwiegervater in Anspruch genommen war, saß sie am liebsten hier, wo sie den weiten Blick hatte über den Fluß, das wellige Gelände, die kleine Stadt, die freundlich und rotbunt mit all den vielen Fischräuchereien drüben sich um den Kirchturm drängte. Sie sah auch die Schornsteine und die Spitzen der wunderlich phantastischen Bauten des Hüttenwerks. An den Hochöfen, die sich nach oben zu in gebrochenen Linien verjüngten, konnte sie all die sie umgebenden Rohrwülste und umlaufenden Galerien erkennen. Sie verfolgte, wie an den Schrägaufzügen die kleinen Erzwagen hochklommen, und wußte, daß die dann oben ihren Inhalt in die Beschickungsöffnungen hineinschütteten.

Der Novemberwind nahm den Schornsteinen den Rauch schon vom Rande weg und zerjagte ihn ostwärts in der Luft. Ein fahler Sonnenschein bekam manchmal die Wege frei, wenn die grauen Wolken nicht gerade an der hellblanken Scheibe im Himmelsraum vorbeisausten. Das Wasser des Flusses und der Bucht, zu der er sich gleich hinterm hohen Ufer des Städtchens erweiterte, wechselte die Farbe mit der unruhigen Belichtung. Bald gleißte es in einem beizenden Spiegelglanz, bald sah es stumpf aus, wie trübes Zinn. Und die Möwen flogen, mit weißem Flügelschlag im Schatten, mit silbrigem Blitzen in der Sonne.

Im Vordergrund, an den Büschen und Bäumen der Anlagen hing hie und da noch rostfarbenes Laub. Von den meisten Ästen und Zweigen aber hatten Nebel, Regen und Sturm es längst fortgerissen.

Zwischen der Front des Hauses und dem hohen Gitter, das die Landstraße von der Besitzung schied, arbeitete der Gärtner, um die Rosen niederzulegen und allerlei niedrige Ziersträucher, die den Vorgarten schmückten, für den Winter mit Tannendecken zu schützen.

Aber die junge Frau war keineswegs von Herbstmelancholien niedergedrückt. Voll guten Mutes und in Dankbarkeit dachte sie über den Weg nach, den ihr Leben in den letzten Monaten zurückgelegt.

Auf das allermerkwürdigste war dabei die große Veränderung in allen äußerlichen Daseinsbedingungen kaum ein Gegenstand ihrer Betrachtungen. Eigentlich hatte sie sich von heute auf morgen hineingefunden, in einem reichen Hause zu leben. Vielleicht, weil doch in ihr noch Erinnerungen genug wach waren an die Üppigkeit, die ihre erste Jugend umgab; vielleicht auch, weil sie in diesem Raum eine ganz gewohnte Umgebung behalten hatte; und endlich vielleicht auch, weil sie den Sturz vom Reichtum zur Sorge miterlebt hatte und sich der Tränen ihrer Mutter entsann. Menschen, die den Wechsel irdischen Glanzes an sich erfuhren, tragen als Gewinn all des Jammers Unabhängigkeit davon. Klara wunderte sich selbst oft, wie unabhängig sie von dem Bewußtsein der Millionen dieses Hauses war. Sie sagte auch ganz nüchtern und einfach, wenn etwa ihre Pflegemutter wie trunken und staunend von dem Reichtum sprach: es ist ja gar nicht meiner! – Sie war keinen Augenblick berauscht von dem Wissen, daß ihr nun aller Luxus freistehe. Ganz sicher fühlte sie sich in der neuen Lage und hatte vor allen Dingen die eine bestimmte Erkenntnis, daß es von ihr nicht geschmackvoll sein würde, Aufwand für ihre Person zu verlangen oder zu treiben.

 

»Darum habe ich Wynfried nicht geheiratet,« sagte sie, wenn die alte Doktorin Lamprecht immer wieder ihre einfache Kleidung besprach und meinte: »An deiner Stelle würde ich …« Ja, was nicht alles? Sich mit Schmuck behängen? Und von Samt und Gold starren?

Klara wußte, was sie getan hatte. Ihrer Tat treu zu bleiben, war ihr einziger Wunsch, ihre einzige Pflicht.

Was sie auf sich genommen hatte, um eine riesengroße Dankesschuld abzutragen, bestimmte all ihr Tun und Lassen.

Nun saß sie an diesem Novembermorgen, der für sie wie ein Auftakt zu einem festlichen Tage war, und dachte nach, wie weit sie denn eigentlich gekommen sei und ob alles schwer oder leicht gewesen.

Mit dem alten Herrn? Oh, wie leicht, wie beglückend! Von jenem ersten Augenblick an, wo sie als Braut seines Sohnes neben seinem Sessel niederkniete und die Hand küßte, die den Schimpf vom Grabe ihres Vaters und die Not von den Tagen ihrer Mutter fern gehalten …

Wynfried stand dabei, und der alte Mann und das junge Mädchen konnten nicht von dem sprechen, was sie zumeist bewegte. Er konnte nicht bitten: rette meinen Sohn! Sie konnte nicht schwören: mein Leben für ihn – damit er dir recht leben kann!

Aber sie verstanden sich auch ohne Worte auf das wunderbarste, und wie sie sich damals mit langen, tiefen Blicken alles gesagt, so war es bis auf den heutigen Tag geblieben: ein Lächeln, ein andeutendes Wort, ein rascher Blick – und sie wußten voneinander, was sie dachten. In großen Fragen und in kleinsten Alltagsdingen. Und der alte Herr sagte manchmal: »Kind, ich muß mir’s immer mit Gewalt vergegenwärtigen, daß du nicht von meinem Blute bist.« Und er sprach auch von dem Geheimnis seelischer Übertragungen. »Deine Mutter hat mich geliebt und hat mich verstanden. – Das hat hinübergewirkt auf dein Wesen – vielleicht ohne daß sie es wußte, hat sie aus dir mein Kind geformt.«

Klara fühlte auch, wie der tägliche Umgang mit ihm sie reich machte und wie viel Interesse er in ihr weckte, wie er ihr Wissen erweiterte. Ihr geistiges Leben, so dachte sie oft, begann in der Zeit, als sie den Kranken jeden Sonntag hatte besuchen dürfen.

Jeder Tag brachte ihr in immer neuer Befriedigung das Gefühl: ich habe recht getan. –

Die Gesundheit des alten Herrn besserte sich so sehr, wie kein Arzt es für möglich gehalten; seine Stimmung war so gleichmäßig und milde, wie man es noch nie an ihm beobachtet hatte.

Und der Generaldirektor Thürauf, der ihm mit bewundernder Treue ergeben war, sagte der jungen Frau: »So kommt der große Arbeiter, der nie für sein privates Leben viel Wärme gehabt hat, doch noch zu einem schönen Abend.«

Ja, diese Gedanken waren hell, mit keinerlei Zweifelsfragen behangen.

Und sonst? Die Aufgaben im Hause und die der Stellung?

Da war’s nicht so leicht gewesen und auch zur Stunde noch nicht immer einfach. Die Dienerschaft zwar, das erriet Klara bald, hatte von vornherein die Annahme: Die junge Frau regiert den alten Herrn, also heißt es bei ihr in Gunst und Gnaden stehen. An Beflissenheit fehlte es demnach nicht. Da aber Klara nicht im mindesten auf die Führung eines so großen Hausstandes vorbereitet war, mußte sie all ihre rasche Intelligenz zusammennehmen, um in die Aufgabe hineinzuwachsen. Die gute alte Doktorin Lamprecht konnte ihr, aus dem engen kleinen Rahmen ihres wirtschaftlichen Lebens heraus, auch keinen Rat geben. Aber sie entdeckte in sich überraschenderweise die Begabung für diese Dinge, die vielleicht nur selten einer echten Frau fehlt. Das machte ihr Mut, und sie arbeitete sich freudig in den Betrieb hinein. Als ihr Schwiegervater einmal schalt, daß sie zu viel umherlaufe und sich mit der Organisation der Rechnungsablage, mit der Kontrolle der Wäschevorräte und der Kellerei und anderer Zweige des Haushaltes plage, sagte sie: »Ach, Vater – das meinst du gar nicht wirklich. Es sind doch Werte! Wenn es auch vielleicht für deine Einkünfte gleichgültig ist, ob ein paar Tausend im Jahr mehr verbraucht werden – für deine Leute ist es nicht gleichgültig. Ich denke manchmal, wenn Dienstboten in großen Häusern allzu flott wirtschaften dürfen, können sie nachher keine guten Haushalter werden in ihrer eigenen, oft so sorgenvollen kleinen Selbständigkeit.«

Dazu hatte er dann genickt. Es war ja ganz in seinem Sinne.

Er lebte seit vielen Jahren als großer Herr. Seine unerhörte Arbeitsleistung konnte sich ungehemmter entfalten, wenn viele und rasche Bedienung, jede Erleichterung des Verkehrs, alle Bequemlichkeiten ihm die Mechanik des Alltagslebens unspürbar machten. Außer dieser Notwendigkeit, sich nie durch geringe Umstände und den Ablauf der Nebendinge gestört zu sehen, bestimmte ihn noch ein anderer Grund zu reicher Lebensführung. »Wer in bedeutendem Maße Geld verdient,« sagte er zu Klara, »soll es auch in Umlauf bringen; aber Verschwendung ist mir verhaßt. Sie ist von Grund aus unsittlich. Und du tust recht, nicht nur zur Erziehung der Leute, sondern auch um unsertwillen, Aufsicht zu führen.«

So verstanden sie sich auch hierin. Um Klaras Kleidung kümmerte er sich nicht. Sie merkte wohl: er sah gar nicht, daß sie bei möglichster Einfachheit blieb, und sie lächelte oft gerührt in sich hinein, wenn sie spürte, wie er sie bewunderte. – Sie dachte dann immer: es ist ja eigentlich meine Mutter, der er huldigt.

Es gab aber auch eine peinliche Schwierigkeit. Die hatte einen Namen und hieß Leupold. Ein Diener, der sich in fünfundzwanzig Jahren so in die Art seines Herrn eingelebt hat, daß er sie immer versteht und sich ihr immer anpaßt, der in so langer Zeit nie unredlich Vorteile gesucht, der in schweren Nächten treu gewacht und an mühselig-langen Tagen Essen und Trinken vergaß, um nur ja nicht einen Wink des Leidenden zu versäumen – ein solcher Mann verdient alle Rücksichten und alle Hochachtung. Mit der stattlichen Entlohnung und der schönen Ziffer im Testament war es nicht getan.

Leupold hatte der jungen Volksschullehrerin sehr wohl gewollt. Das wußte Klara noch. Er hatte sogar einen ganz leisen Protektor- oder Gönnerton gehabt, wenn sie kam und ging. Denn sie brachte seinem Herrn ein bißchen Zerstreuung. – Von den Betrachtungen, die er früher still bei sich angestellt über seines Herrn Vorliebe für Fräulein Hildebrandt, wußte Klara natürlich nichts.

Sie spürte aber, daß er die Schwiegertochter seines Herrn nicht mit Wohlwollen, sondern durchaus mit Eifersucht ansah. Vielleicht, so dachte sie mit feinem Spürsinn für die Gemütsvorgänge in Halbgebildeten, vielleicht fand Leupold auch die Heirat des jungen Herrn nicht standesgemäß. Und ganz gewiß dachte er, die Pflege der Schwiegertochter sei dem alten Herrn angenehmer als die Handreichungen des Dieners. Sie las ihm förmlich die bitteren Gedanken von der Stirn: »So lange hab’ doch ich’s am besten verstanden …« Nun mußte sie ihm gewissermaßen den Hof machen, rief ihn oft zur Hilfe, wenn es gar nicht nötig gewesen wäre und wenn der Geheimrat auch sagte: »Wozu erst Leupold rufen?«

Und es war schwer, hier die rechte Grenze zu finden: sich nichts vergeben durch zu große und verkehrte Rücksichtnahme und dennoch immer dem Manne zeigen, daß auch sie dankbar seine Verdienste schätze.

Wie störend. Nur ein Nebenumstand – nicht mehr. Aber doch. – Mit den großen Sachen, die man deutlich sieht und fest fassen kann, wird man immer bald fertig. Aber die Dinge, von denen man sich immer wieder sagt: es ist ja nicht der Mühe wert, darüber so viel nachzudenken – das sind die rechten Störenfriede.