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Er machte eine ganz kurze Pause und fuhr dann in einem kühleren Ton fort: »Die überragende Persönlichkeit des Geheimrats nahm so völlig all mein Interesse in Anspruch, daß ich mit den jungen Herrschaften mich nicht eingehend genug unterhalten habe, um irgend ein Urteil abgeben zu können.«

»Ich hab’ immer das Gefühl, daß Sie zu schroff über dieses Paar denken,« meinte Likowski.

»Es geht mich so wenig an, daß ich gar nichts darüber denke,« sagte er kalt.

»Fabelhaft der alte Herr! Ist es wahr, daß er den Gebrauch der linken Hand wieder erlangt hat?«

»Ja. Nur das linke Bein ist noch sehr lahm. Aber sein Geist, seine Stimmung ist von einer Frische …« erzählte Marning.

»Die Freude! Das Glück! Er soll seine Schwiegertochter vergöttern!«

»Ach, Likowski, Sie haben immer ’n Faible für das Mädchen gehabt,« neckte Agathe.

»Meine teuerste Freundin,« sprach er voll Haltung, »so ’n rauher Kriegsmann ich auch bin: für Frauenwürde und Tugend hab’ ich das Gefühl nich verloren. Und wenn’s, wie ich dringlich hoffe, demnächst endlich losgeht, sag’ ich nich nur: mit Gott für König und Vaterland, sondern auch: und zum Schutz der deutschen Frau.«

»Oh!« rief Fräulein von Gerwald, »wie herrlich empfunden! …«

»Ich bin rasend gespannt auf Wynfried Lohmann,« sagte Agathe laut vor sich hin träumend. »Vor sechs Jahren hab’ ich ihn mal erlebt – sein Vater gab das erste große Diner nach dem Trauerjahr für die Frau – Wynfried war gerade zum Besuch – ich hatte ihn neben mir bei Tisch – Gott, wir waren beide noch so jung – die Jüngsten in der ganzen Gesellschaft – wir verstanden uns himmlisch. – Er war schön wie ’n junger Gott damals – hoch, schlank, blond – und so viel Verständnis für die Frau – ach, es war ein Abend …«

Und in ihrer Stimme klang irgend etwas Schwüles mit – etwas Sehnsuchtsvolles. – In ihre Augen kam ein feuchter Glanz – sie verlor sich in träumerische Gedanken.

»Auf diese Weise kommen wir mit unserer Festordnung nicht weiter,« erlaubte Marning sich zu sagen.

Agathe stand auf, reckte sich lässig – die ganze üppige Gestalt schien sich in wohligem Behagen zu dehnen … Freilich trat dabei auch hervor, daß der Oberkörper eigentlich ein wenig zu groß sei …

»Ach was,« sagte sie, »wir überlassen es Fräulein von Gerwald. Sie machen das – nicht wahr?«

»Aber sehr gerne!«

»Halten Sie nur fest: Herr Lohmann führt mich – alles andere ist weiter keine Etikettenfrage, alle Gäste kennen sich und passen zueinander.«

Die junge Frau Lohmann war im Augenblick ihrem Gedächtnis völlig entglitten.

»Ich ziehe mich zurück, meine Herren, um frisch zu sein zu dem Zauberfest. Tun Sie desgleichen – Sie wissen ja – das grüne Fremdenzimmer … Um fünf Uhr Tee, allmähliche Anfahrt der Gäste – Begeisterung über die schöne Aussicht – Promenaden – Gruppenbildungen. Halb acht Diner. Nachher Mondscheinwasserfahrt. – ›Nur für Natur‹ …« schloß sie, falsch singend und sich ein wenig im Walzertakt wiegend.

Likowski suchte das grüne Fremdenzimmer auf, denn er wußte: da stand auch ein Kistchen mit den schweren Importen, die die schöne Hausfrau in ihrer Gegenwart nicht geraucht haben mochte.

Fräulein von Gerwald, im soliden hell- und dunkelgestreiften grauen Seidenkleid, auf dessen undurchdringlich unterfüttertem Spitzeneinsatz sie eine Bernsteinbrosche trug, zog sich mit ihrem Material in einen kleinen Raum neben dem Eßsaal zurück. Durch die offene Tür sah sie manchmal sinnend zu, wie die Blausilbernen und zwei Mädchen, in hellen, knisternden Kattunkleidern, mit Tüllmützchen auf dem Kopf, die Tafel deckten. Und dann wieder paarte sie mit emsiger Feder Männlein und Weiblein zur Tischgenossenschaft. Der jungen Frau, geborenen Hildebrandt, gab sie den Freiherrn Stephan von Marning. Das kam ihr sehr angebracht vor. Vielleicht waren Likowski und Marning ja die einzigen Herren, die die junge Frau kannte oder genauer kannte. Es mußte für die arme kleine Person, der Fräulein von Gerwald vorweg rasendes Lampenfieber und heimliche gesellschaftliche Ungewandtheit zutraute, doch eine Erleichterung sein, sich auf einen Bekannten stützen zu können. Und Likowski – den teilte sie sich selbst zu. – Welch ein Mann! Einer von den wenigen wirklich noch edeldenkenden Männern … Wie er mit blitzenden Augen von Frauenwürde und Tugend sprach! … »Tugend« – das war für Fräulein von Gerwald: wenn man nie das Mindeste mit einem Mann zu tun gehabt hat. Sie durfte von sich sagen, daß sie eine Überfülle von Tugend besaß … Und Likowski wußte das zu schätzen! Er war auch in finanzieller Hinsicht nicht gebunden. – Ach, man konnte nicht wissen. – Sie wollte ihm bei Tisch noch innig für seine ritterlichen Worte danken …

Stephan Marning aber mochte sich nicht oben im Fremdenzimmer von Likowski einräuchern lassen. Er ging in den Garten. Der war stilisiert und ganz auf Blumenzucht und dekorative Wirkungen angelegt. Bänke und Sitzgelegenheiten waren der Anlage reichlich eingeordnet. An diesen Garten, der eine Fläche auf der Uferhöhe vor dem Schloß einnahm, grenzte eine schräg zum Wasser hinuntersteigende Baumpflanzung – eine Art Wäldchen, von Serpentinen- und Treppenwegen durchzogen. Unten war ein geräumiges Bootshaus in das Wasser des Wyks hineingebaut. Da lagen ein Motorboot und ein großes Ruderboot. Zwei Leute hantierten darin herum und hängten Lampions an Drähte, die kunstreich vom Heck zum Bug und rund um die Schiffsränder gespannt waren.

Braungoldener Schatten lag unter dem niederen Dach, das Wasser im Bootshaus hatte den dunklen Schimmer von Rauchtopas. Man sah durch den Bau wie durch einen Tunnel. Seine Öffnung nach dem Wyk zu war voll Sonnenglanz und funkelnder Wellenunruhe.

Er schaute eine Weile zu, wie die Männer in den schaukelnden Booten faltige Formen auseinanderbogen, daß sie zu bunten Ballons wurden.

Aber seine Gedanken waren anderswo als seine Blicke …

»Was geht es mich an, ob sich diese junge Frau verkauft hat oder nicht?«

Er dachte auch an seine Schwester Martha. Sechs Wochen nach ihrer Hochzeit war er mit ihr und ihrem Manne, dem Hauptmann von Strenglin, zusammengetroffen. Und man hatte wohl gespürt, daß die beiden, die in Armut und Treue lange aufeinander gewartet, kaum ihr seliges Liebesglück vor den Augen anderer recht zu verstecken wußten …

Von solchem elementar sich verratenden, heimlichen Glück hatte er neulich nichts gespürt, als er mit dem Ehepaar zusammen am Tische des alten Herrn saß …

Aber freilich: auch nichts von Unfrieden, feindseliger Kälte, gelangweilter Höflichkeit …

Ihm schien: freundlich und herzlich war die junge Frau gewesen. – Er auch, der junge Ehemann auch.

Nach krassem Unglück sah das nicht aus. Und der alte Herr sprach davon, wie seine letzten Jahre nun gesegnet seien, und nahm zärtlich die Hand der Schwiegertochter …

Und welche Ergebenheit, welche liebevolle Art hatte sie – wenn sie den alten Herrn bediente …

»Was geht das alles mich an? …«

Er stieg langsam wieder hinauf, durch die noch so wenig imposante Anpflanzung.

»Ein junges Stückchen Wald – halbwüchsiges Baumgedränge hat keine Schönheit,« dachte er. »Merkwürdig … wie bei manchen Menschen und manchen Schicksalen: sie brauchen Reife, um ihre Schönheit zu offenbaren.«

Oben glühte die Nachmittagssonne. Er ging zwischen Wänden von weißen, quadratisch geordneten Holzstäben hin. Sie waren anmutig berankt und durchflochten von allerlei Kletterpflanzen, die er nicht kannte. Wie ein Korridor war dieser Weg, und er endete an der fernsten Seitengrenze des Gartens in einem Rundell.

Dies war umgeben von dicht übersponnenen Gitterwänden; der noch blühende rote Crimson rambler bedeckte sie ganz. Vor ihnen, in gefälligen Abständen voneinander, bildeten schneeweiße Bänke einen Kreis. In der Mitte trug ein Beet eine gedrängte Fülle von niederen Rosenbüschen; in allen Farben blühten sie jetzt zum zweitenmal.

Stephan setzte sich. Er fühlte sich von einer unbegreiflichen Traurigkeit übernommen. Er dachte: »Was tue ich hier eigentlich?« Und sagte sich dann: »Nun, man muß gesellig sein – das Leben, der Stand bringen das so mit sich –«

Und woher und warum so niedergeschlagen – fast mutlos und überdrüssig?

Er liebte seinen Beruf mit Inbrunst. Seine schmale Zulage hatte ihn nie bedrückt. Es war sein Stolz, mit ihr sich einzurichten – wie das, gottlob, der Stolz von Tausenden von Offizieren war. Unter Entbehrungen, in der Stille arbeiten, damit alles bereit sei, wenn einmal die ernste, große Stunde käme …

Heiß war die Luft, sie bebte in Wellen über den Rosen, man sah sie zittern. Und die Rosen atmeten ihren Duft hinein, die Hitze nahm ihm die Keuschheit, mischte ihm etwas Fades und zugleich Berauschendes bei.

Man wurde schläfrig davon – und doch so seltsam erregt …

Es war dem jungen Manne, als sei ihm die ganze Brust voll von Wünschen – und er hätte dennoch keinen beim Namen nennen können. Eine unklare Begierde kam über ihn, nach irgend einem Glück – einem großen, seligen Glück …

Die Üppigkeit der Stunde voll Rosenduft, Sonnenglanz und feierlich-froher Stille übernahm ihn ganz. Wie Arme beim Anblick reicher Lebensführung sich in ihrer Zufriedenheit erschüttert fühlen, so wühlte das Prangen dieser Hochsommerschwüle in seiner Seele Sehnsucht auf.

Er erschrak und fuhr aus seinem Hinträumen auf – irgend ein Laut hatte das Gespinst zerrissen. Er horchte: fern der Heulton eines Dampfers, der vielleicht flußauf fuhr … Nein, das hatte ihn nicht gestört. – Nun wußte er es: Schritte … Auf lockerem Silberkies von Gartenwegen kann auch der kleinste Frauenfuß nicht unhörbar gehen.

Und da war auch schon die Herrin dieses durchglühten, durchdufteten und weltfernen Gartens.

Er wollte aufspringen – war sehr überrascht.

»Nein, ich setze mich zu Ihnen.«

»Ich dachte, Baronin, Sie wollten ruhen.«

»Will ich auch – aber erst eine Stunde nach Tisch – ich möchte nicht dick werden – lieber kastei’ ich mich.«

 

»Was Frauen nicht alles für ihre Schönheit opfern können.«

»Na – sie ist immerhin keine ganz nebensächliche Angelegenheit. Obgleich es ja gerade für mich ganz egal ist, ob ich hübsch oder häßlich aussehe,« sagte sie.

Sehr dicht saß sie neben ihm, seitwärts und ihm zugewendet. Sie hatte den Ellbogen auf die Rücklehne der Bank gestützt, und der runde, weiße Arm zeigte sich in seiner ganzen Schönheit.

»Warum gerade für Sie?« fragte er erstaunt.

»Ach,« sprach sie mit einer gewissen gelassenen Bekümmertheit, »wer sieht mich denn wirklich an? Mit Freude oder Interesse, meine ich. Denken Sie denn, daß es von Wert ist, wenn die gute dumme Gerwald sagt: Frau Baronin sehen heute wunderbar aus. Oder wenn Likowski mal schwört, ich hätte meinen beau jour. Oder wenn sonst einer der Herren mir ’n Kompliment sagt – halb versteckt, damit ihre Frauen nicht eifersüchtig werden. – Ja, man hat eben keinen Menschen, dem man die Hauptperson in der Welt ist …«

Stephan war ein wenig betroffen, er liebte solche Ergüsse nicht – aber doch, sie hatte im Grunde Recht. Ihr Leben war, trotz allen Reichtums und aller Vergnügungen, eigentlich einsam – vielleicht gar innerlich arm.

Wie schwer, darauf zu antworten.

»Ich habe immer gedacht, das Bewußtsein ihrer Schönheit beglücke eine Frau – denn Schönheit ist immer Ausnahme, Auszeichnung,« sagte er.

»Aber sie braucht Anerkennung – Verständnis – ich sage nicht: Publikum! Das meine ich nicht. Die Anerkennung der Gesellschaft nicht. Ein Wort, ein Blick der Bewunderung von einem geliebten Menschen … ach, dafür gibt eine Frau alle Triumphe der Welt hin. – Und das hab’ ich nicht – hatt’ ich nie …«

Das klang aus ihrem Munde nicht geschmacklos – wurde alles mit einer Art von Kindlichkeit oder Natürlichkeit vorgebracht.

Er wurde fast verlegen. Hieraufhin konnte er doch unmöglich, um sie zu trösten, ihre Ohren mit Schmeicheleien füllen.

»Ihr Gatte wird nicht blind gewesen sein,« sprach er.

»Es war ihm angenehm, daß man mich nicht häßlich fand. Das war alles. Sie wissen es doch – warum soll ich ein Hehl daraus machen: man hatte mich in die Ehe mit diesem alten Mann gezwungen. Meine Eltern fühlten sich nicht disponiert, eine erwachsene Tochter zu bewachen. Papa mit seiner rasenden Arbeit – ähnlich wie der Geheimrat, aber in Textilindustrie – und Mama mit ihren zahllosen Vorstandspflichten – Mama ist eine Vereinsdame – Mama hatte auch eine Schwäche für Adel – ein Baron sollte es sein –«

»Ich bitte Sie, Baronin, Sie erwarten Gäste, Sie wollen froh sein – lassen Sie die schweren Lebensumstände heute unbesprochen – es erregt Sie.«

»Sehen Sie, sehen Sie,« sagte sie mit klagendem Ton. »Niemand hat Interesse für mich – nicht einmal meine Freunde – ich dachte, Sie wären mein Freund geworden. Wenn ich einmal von mir sprechen will, ermahnt man mich gleich, zu schweigen.«

Sie hat ja Recht, dachte er. Es war undankbar und ungerecht, sie niemals zur rechten Aussprache kommen zu lassen.

Merkwürdig, wie viel diese volle, weiche, schöne Frau von einem unverantwortlichen Kind hatte – zum Schutz, zum Bevormunden herausforderte.

»Sie sollen mir ein andermal so viel von Ihrem Leben erzählen, als Sie mir nur immer anvertrauen mögen – ich erbitte es als besondere Gunst,« sagte er sehr herzlich.

Durch seine Gedanken huschte die Erinnerung an den Klatsch über ihre Mädchenjahre – wer wußte etwas Sicheres? Sicher war dagegen, daß er selbst viele Züge der Gutherzigkeit, der freundlichsten Gefälligkeit an ihr hatte beobachten können … Und was pries die Gerwald immer? Ihre Dame sei gar nicht imstande, ihr eine Demütigung zuzufügen. Welche Seltenheit – eine Frau, die eine gebildete Untergebene immer zu schonen versteht –

Man kann so rasch denken. – Das alles war ihm gegenwärtig, während er sprach, und färbte seinen Ton noch viel herzlicher, als er wußte.

Und sie hörte noch mehr hinein …

»Ach ja – ja,« flüsterte sie, »ja – ein anderes Mal – aber bald – nicht wahr? Bald?«

Sie griff nach seiner Hand, und das zwang ihn, die ihre zu küssen.

Eine angenehme, träumerische Befangenheit machte ihn still.

Wie diese Frau hineinpaßte in die prangende Hochsommerfülle und Glut – als verkörpere sich die heiße Stunde in ihren weißen, vollen Gliedern.

Er fühlte immer stärker eine Versuchung in sich aufsteigen – sie drängte ihn zu diesem roten Mund. Der war ein wenig verzerrt vor Begehrlichkeit. Und ihre schwimmenden Augen hatten weichen Glanz – schlossen sich halb – zwischen den Lidern hervor brach ein Strahl von Hingegebenheit … von glühendem Verlangen … daß sein Herz zu klopfen begann …

Mit einem Male begriff er: sie wollte ihn! Er fühlte, wenn er jetzt der Versuchung erlag, entschied es über sein Leben. Ein Kuß auf diese lechzenden Lippen, und er war gebunden …

Er riß sich zusammen – mannhaft und überlegen. – Nicht in Abwehr. Aber in Besonnenheit.

Er küßte noch einmal ihre Hand … Das ihr angeborene, wunderlich zutreffende Verständnis für die Annäherung und den vorsichtigen Rückzug eines Mannes blitzte in ihr auf … Dieser Handkuß – das war eine Abschlagszahlung – ein Vertrösten – keine Zurückweisung. – Aber doch: es war quälend, in diesem Augenblick, wo sie ihr Leben darum gegeben hätte, sich satt zu küssen.

Sie stand auf – reckte sich wieder. – Das war immer wie ein Schauspiel und ein unbewußtes Sichdarbieten – lachte ein wenig gezwungen, und doch war zärtliches Gurren in der Stimme.

»Ja – an einem ruhigen Tage – dann kommen Sie – Sie allein – und ich erzähle Ihnen mein Leben. – Und jetzt will ich wirklich ruhen …«

Sie ging, und zwischen den Gitterwänden, wo grünes Gerank all die zahllosen Quadrate durchflocht, wandte sie sich noch einmal um, winkte mit ihrer weißen Hand, an der die Brillanten blitzten …

Er blieb ein wenig betäubt zurück. Kein Zweifel mehr: sie war in ihn verliebt, und er konnte sie haben. – Da war also ein Glück! Er hatte sich doch schweren Herzens vorhin nach einem Glück gesehnt. Eine Frau von üppiger Schönheit. – »Sie hat so irgend etwas an sich, als müßte sie in einen Harem passen,« dachte er. – Eine Frau mit großem Vermögen und Erbaussichten auf noch viel mehr. Eine Frau von gutherzigem Wesen. »Sie weinte neulich beinahe, weil ein Landstraßenköter ihren Foxterrier gebissen hatte – sie ist außerstande, sich etwas Schönes zu kaufen, ohne gleichzeitig die Gerwald zu beschenken, damit der das Zusehen nicht sauer wird.«

Was wollte er, als bescheidener Oberleutnant eines Linieninfanterieregiments, noch mehr erwarten?

Es war sozusagen das große Los.

Er sah wieder den roten Mund, die feuchten Augen, den runden Arm, die weiße Haut … Sein Blut wallte auf … Und wenn sie jetzt noch hier gewesen wäre … Aber nein! Besonnen bleiben! Sie prüfen – nichts überstürzen –

Nachher fand man sich wieder zusammen, war auf der Terrasse, im Salon, der sich mit zwei Türen auf die Terrasse zu öffnete, in der Diele, die wiederum an den Salon stieß, so daß der ganze mittlere Teil des Erdgeschosses für gesellige Zwecke sich wie ein einziger sehr großer Raum benutzen ließ. Likowski stellte fest, daß eine derartige Beweglichkeit und der Hang, alle paar Minuten den Platz zu wechseln, ihm etwas Neues an der allergnädigsten Hausfrau sei. Ferner stellte er fest, daß sie eine andere Toilette trug, die er »unerlaubt« schön nannte, weil die armen Männer schwach wie Adam bei solchem Anblick werden mußten. Und bei sich dachte er: sie hat jawoll noch weniger an als vorher … Aber dies zarte Lila, dieser hauchdünne Chiffon kleideten sie köstlich.

Agathe lachte etwas nervös und meinte, das Erwarten der Gäste, die viel zu spät kämen, spanne ab.

Und ihr Blick – den Likowski sah und höchst vielsagend fand – glitt hinüber zu Stephan Marning. Und – wahrhaftig: erwiderte der Oberleutnant den Blick nicht? Unbefangen sah er nicht aus – das konnte man bei schärferem Beobachten merken. War die Geschichte spruchreif? Hatte sein Oberleutnant begriffen und zugegriffen? Er, Likowski, gab seinen Segen. Von Herzen. Vorausgesetzt, daß Marning nicht den Abschied nähme, um in Wohlleben zu versumpfen. Aber da war ja wohl keine Gefahr. Marning zog des Königs Rock um kein Weib, kein Gold und keine Vorteile aus! Er wußte, was jetzt mehr als je die Pflicht des deutschen Soldaten war: das Schwert blank halten. – Die Stunde kam bald doch mal, wo … Ja, der Stephan Marning – ein ganzer Kerl – man konnte ihn heiraten lassen … Es interessierte Likowski fabelhaft … Er dachte: kein kleines, aber vielleicht auch ein ziemlich anstrengendes Pläsier, der Erlöser Agathens zu sein …

Und dann kamen die Gäste in rascher Reihenfolge. Etwa fünfundzwanzig an der Zahl. Da war der Großindustrielle Herr Detlev Stuhr mit seiner bemerkenswerten Tochter Edith, die heute zum erstenmal in der Gesellschaft erschien, weil ein Sommerfest, wie ihr Vater sagte, nicht für voll rechne. Fräulein Edith war von der bezauberndsten Häßlichkeit, sehr rothaarig, sommersprossig, mit einem kecken Näschen und hellbraunen Augen, aus denen allerlei lustige und zündende Farben sprühten. Ihr Kopf saß fein auf sehr schlankem Halse, und ihre Gestalt konnte man sich ebensogut in Jünglingskleidung denken wie in diesem blassen Blau dünner Stoffe. Und das zu rote Haar war mit einer so malerischen Berechnung geordnet, daß eine Schauspielerin hätte davon lernen können. Likowski verkehrte im Ton väterlicher Dreistigkeit mit ihr. Der eigene Vater, ein hastiger Mann mit scharfklugen Zügen, kokettierte damit, daß er zu schwach sei gegenüber der Tochter, und klagte über sie in Wendungen, die im Grunde lauter Lob und Preis dieses einzig dastehenden Wesens waren.

Dann sah man das kurzbeinige Ehepaar Herrn und Frau von Pankow. Er setzte sich gleich in einen der Rohrlehnsessel auf der Terrasse, mit auseinandergestellten Knien, wie Männer mit erheblichen Bäuchen tun, sprach den Erfrischungen und den Sandwichs eilig zu und hielt dabei einen kleinen Vortrag, dem der Generaldirektor Thürauf, die Finger um ein Glas Gießhübler geklammert, in kühler Ruhe zuhörte.

»Wär’ ja Selbstmord … ’ne Verfassung?! Seit 1755 haben wir uns famos bei der bisherigen befunden … bin meinem Großherzog loyal ergeben – das versteht sich – aber ’ne Verfassung? Da kriegt er die Ritterschaft nich zu – nie! Mecklenburg wäre ja nich mehr Mecklenburg – nein.«

Und sein breiter Dialekt, aus dem die eu- und oi-Laute wuchtig aufklangen, gab seiner obotritisch-ritterschaftlichen Ansicht erst die rechte Färbung. – Sein rundes Gesicht war rot von der Hitze der überstandenen Fahrt. Aber sein bißchen blondes Scheitelhaar befand sich in glänzender Ordnung. Der Alte-Kaiser-Bart hatte noch kein weißes Härchen.

Frau von Pankow, auch kaum mittelgroß und ebenso rundlich, sprach etwas leutselig mit Fräulein von Gerwald, der sie sich immerhin näher als mancher anderen Anwesenden fühlte, weil die Gerwalds eben doch sehr alter Adel waren.

Beide Gatten, in mangelnder Kritik, gefielen sich in Stoffen, wie sie für Körperfülle gar nicht ungeeigneter sein konnten. Seinen Spitzbauch umglänzte eine weiße Weste. Und ihren Busen, ihre Hüften umprallte hellgrauer Atlas.

»Wie viel Glanzlichter auf wie viel Rundungen,« sagte Fräulein Edith zum jungen Leutnant Hornmarck. Und sie lachten.

Likowski warf einen Blick hinüber. Sein kleiner Hornmarck, an dem er wie ein alter Bruder herumerzog, ging ihm zu hitzig mit der frechen Krabbe um – alle Woche zweimal spielte man Tennis zusammen – es kamen Freundinnen aus Lübeck – Referendare – allerhand halbwüchsiges Volk, das sich aber natürlich für voll und lebensreif hielt. – Und Hornmarck hatte sich verliebt. – Na, das war ja selbstverständlich. – Aber es hieß aufpassen: tüchtige Entwicklungen nicht durchqueren lassen von zu frühen Gedanken an Verloberei. Likowski kannte das: mit zwanzig denkt man intensiver ans Heiraten als um die dreißig herum. – Und denn diese Edith! Zu amüsant! Amüsante Frauen sind was Zweischneidiges …

Die blonden, ruhigen Töchter des Generaldirektors Thürauf sprachen vernünftig mit zwei Offizieren und dem Freiherrn von Brelow, der als Administrator eines der großen mecklenburgischen Rittergüter verwaltete, die sich mit fetten Wiesen, weiten Feldern und ruhevollen Wäldern an der Küste hinzogen. Er war nicht mehr ganz jung; ein etwas stiller, stattlicher Mann, mit einem schmerzlichen Zug im Gesicht, den Sorge hineingeschrieben.

»Wissen Sie,« sagte Herr von Pankow vertraulich, »das wär’ der Mann für Ihre Älteste. Er ist tüchtig und hat Charakter. Ich wollt’s ihm gönnen, daß er wieder auf eigene Scholle zu sitzen käme und sich wenigstens das kleine, eigentliche Stammgut der Brelows zurückkaufen könnte – sein Vater war ’ne Jeuratte – der Sohn is nich belastet – rührt keine Karte an – nee, kann ich beschwören – tut er nich.«

 

»Das dürfte ein zu kostspieliger Schwiegersohn für mich sein, Herr von Pankow. Ich habe drei Töchter – drei!« sagte der Generaldirektor lächelnd.

Pankow stieß mit dem Zeigefinger scherzend ein Loch in die Luft, auf sein Gegenüber zu.

»Soll ich Ihnen zehn Mark vorstrecken?! Seit fünfzehn Jahren Generaldirektor mit ’n Ministergehalt und Tantieme auf Severin Lohmann! Wenn das nicht flutscht …«

»Die Herren Agrarier denken immer, daß wir Großindustriellen uns nur so auf Goldsäcken herumwälzen.«

In einer anderen Gruppe sprach die hübsche, dunkelhaarige Frau Thürauf mit der Baronin Bratt und dem Oberleutnant von Marning.

»Ja, darüber wundern sich immer alle Menschen, wie sehr meine Töchter meinem Mann ähneln. Von mir keinen Zug.«

Die Hausfrau kam hinzu. Es war immer, sowie sie Neuankommende begrüßt hatte, als zöge es sie magnetisch dahin, wo Stephan Marning stand. Und sie ahnte nicht, daß die ganze Gesellschaft es bemerkte. Sie trug eben ihre Verliebtheit vor sich her wie ein Licht – vom Betrachten und Bewachen der Flamme wird der Blick blind für alles ringsum.

»Lohmanns kommen aber sehr spät,« sagte sie. »Und ich bin so gespannt! Als sie bei mir Besuch machen wollten, war ich in Berlin – Papas Geburtstag. – Und als ich bei Lohmanns vorfuhr, waren sie aus.«

»Ich glaube,« sagte die alte Baronin, deren Gesicht von Wind und Wetter braun war wie das eines Mannes, »das junge Paar macht sich nicht viel daraus, zu verkehren. Der Geheimrat hielt ja immer drauf – er sah ja auch in der Geselligkeit so ’ne Art volkswirtschaftliche Pflicht – fand es auch menschlich freundlich, mit den Gütern weit hinaus Beziehungen zu unterhalten. – Neulich, als ich mal zu ihm fuhr – ich verdanke ihm ja manches – als ich Witwe wurde und mein Niehaus allein bewirtschaften mußte. – Na, das gehört nicht hierher. – Neulich hielt er mir einen kleinen Vortrag über diese Sachen. Auf seinen Wunsch haben die Kinder dann Besuch gemacht – bei mir waren sie mal nachmittags, zur Kaffeezeit. Ich hatte auch Vorurteile – wer hat sie nicht! – die Heirat war so überraschend. Für den jungen Lohmann war es wohl das Beste. Ich kann aber nicht anders sagen: die junge Frau hat mir gut gefallen. Mir ist auch des Geheimrats Urteil maßgebend. Und er stellt sie hoch.«

Da fiel ihr ein, daß es taktvoller sei, mit der Gattin des Generaldirektors von Severin Lohmann nicht über die Schwiegertochter des alten Herrn zu sprechen. Aber gerade sagte noch Frau Thürauf: »Wissen Sie, Baronin, es war recht eigen – gerade für mich! Das kann man sich wohl denken. Ich hatte manchmal mit Fräulein Hildebrandt zu tun gehabt – solange keine Frau im Herrenhaus war, kümmerte ich mich, ohne Mandat sozusagen, manchmal um Severinshof – in solcher Arbeiterkolonie kann man immer mal helfend einspringen – auch im Schulhause sprach ich wohl vor – und da Fräulein Hildebrandt doch die Tochter des Vorgängers meines Mannes war, tat mir’s immer extra leid, daß ihr Leben so anders lief, als es wohl einst zu erwarten war. Ich hatte auch ohne das viel Sympathie für sie, die ich sie merken ließ. So was fühlt sich gegenseitig. Und mit einem Male ist sie die Schwiegertochter unseres Chefs … Aber welch ein Takt! Wissen Sie, ihr erstes war, mir noch zu danken für die Sympathie, die ich ihr früher gezeigt, und die Hoffnung auszusprechen, daß das eine gute Vorbedeutung gewesen sein möge für unser weiteres Verstehen. – Es berührte angenehm. Keine Spur von Auftrumpfen …«

»Wie alle diese Frau loben!« dachte Stephan. Es reizte ihn. Warum die Nachsicht? Immer wieder sollte man es hart und laut sagen: »Sie hat sich doch verkauft.«

»Da sind sie,« sagte die Baronin Bratt unwillkürlich halblaut, obgleich das Ehepaar Lohmann fern in der Diele erschien, während sie selbst in der Tür zwischen Salon und Terrasse stand.

Agathe eilte ihnen entgegen. Über die ganze Gesellschaft legte sich plötzlich Schweigen; aber da jeder einzelne das sofort spürte und als taktlos empfand, dauerte es keine zweite Sekunde, bis die Stimmen mit erhöhter Lebhaftigkeit sich erhoben.

Das Wiedersehen enttäuschte Agathe. Damals war der junge Wynfried schön wie ein Apoll gewesen – eine Erscheinung, wie man sie unter der männlichen Jugend der englischen Aristokratie zuweilen trifft. – Er war gealtert – der Jünglingszauber war davon – stattlich sah er zwar aus; aber gar nicht mehr auffallend – so auf der Stelle bezaubernd.

Agathe fand auch die junge Frau nicht schön. Ihr Schönheitsideal waren natürlich blonde, üppige Frauen mit herrlichem Teint. Und diese Klara Lohmann schien ihr zu schlank, die Züge zu streng, die Farben zu matt. Höchstens konnte man gelten lassen, daß die Augen groß und ernst waren und sogleich fesselten.

Nun konnte Fräulein von Gerwald erkennen, daß ihre Voraussetzungen unzutreffend gewesen waren. Die junge Frau Lohmann nahm die Vorstellungen mit einer schlichten Freundlichkeit, gänzlich unbefangen entgegen; die ihr schon Bekannten – und es waren schließlich die meisten – bekamen ein besonders helles Lächeln. Auch der junge Ehemann zeigte eine ruhige Verbindlichkeit.

Likowski betonte sich als alter Freund und Hausgenosse. Der Freiherr Stephan von Marning wechselte mit dem Ehemann einen flüchtigen Händedruck und verneigte sich fremd vor der jungen Frau.

»Wissen Sie,« sagte die rothaarige Edith zu ihrem Ritter, dem Leutnant Hornmarck, »dies Ehepaar interessiert mich fabelhaft. Sie machen so ’n gänzlich unverheirateten Eindruck.«

»Den näher erläutert zu bekommen, wäre interessant,« meinte der kleine Leutnant.

»Ach, wer da so ’reingucken könnte!« sagte Edith mit einer wahrhaft gierigen Teilnahme an dieser vielbesprochenen Ehe.

Der Nachmittag ging rasch hin. Die junge Welt trödelte im Garten umher und war genügsam des Beisammenseins froh, das ja durch mancherlei kleine Schwingungen, verborgene Wünsche und Elektrizitäten vielerlei Reize hatte.

Agathe versäumte oft ihre Hausfrauenpflichten und tröstete sich damit, daß Fräulein von Gerwald beflissen um die älteren Damen besorgt sei. – Es zog sie – es trieb sie – sie mußte, mußte immer wieder Stephans Nähe haben. Sie beobachtete zweimal, daß Edith Stuhr, dies Mädchen, dem man einfach alles zutrauen konnte, mit ihrem Pierrotlachen ihn ansprach. Ihr Fraueninstinkt wußte: diese eben dem Backfischtum entronnenen Mädchen sind die Todfeindinnen der reifen Frauen – halten eine Achtundzwanzigjährige schon für alt. Eifersucht quälte sie …

Es war Ende August, und die Dämmerung füllte schon früh den schwülduftenden Garten. Seine hohe Lage gab den Blick frei nicht nur auf die weite Ferne und Wyk und Meer, sondern auch auf einen ungeheuren Himmelsraum, dessen Blau nun langsam erlosch, um sich in eine feine Farblosigkeit zu verwandeln.

Da kam Fräulein von Gerwald eiligst herangerauscht, suchte ihre Herrin und gab die empfangene Meldung weiter, daß man zu Tisch gehen könne. Und da erst fiel es Agathe ein, daß man die junge Frau Lohmann gar nicht im Garten gesehen habe. »Sitzt bei der Baronin Bratt, Hauptmann von Likowski und Frau von Pankow.« Das erinnerte an so viel Würde. – Mein Gott, ja, sie war nun immerhin die Gattin von Wynfried Severin Lohmann. – »Was haben Sie ihr für einen Tischherrn gegeben?« fragte Agathe, als sie mit ihrer Gesellschaftsdame auf die Terrasse zuging.

»Den Freiherrn von Marning.«

Es war Agathe im Grunde sehr, sehr recht. Ungefährlicher konnte der geliebte Mann ja nicht untergebracht sein. – Aber doch: Frau Klara Lohmann würde sicher erwarten, daß Herr von Pankow sie führe. Entschieden – so war es nicht ganz taktvoll … Eine Änderung aber im letzten Augenblick unmöglich.

Es zeigte sich auch weiterhin, daß Fräulein von Gerwald keine glückliche Hand gehabt hatte. Ihre Gutherzigkeit wollte fördern, wo sie zwei auf dem Wege zueinander witterte. So gesellte sie Edith und den Leutnant Hornmarck, und darüber waren Ediths Vater und Likowski ärgerlich; sie setzte Brelow neben die älteste Thürauf, und das beunruhigte den Generaldirektor und seine Frau und raubte ihnen die Stimmung. Hinwieder ließ sie die Baronin Bratt von Herrn von Pankow führen, der dafür bekannt war, daß er gern was Hübsches, Junges zur Seite hatte und obendrein als Grenznachbar des Brattschen Gutes in vielerlei kleinen Ärgernissen mit der ihm zu autoritativen Baronin lebte.