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»Herr Oberleutnant sagten: es sei wichtig.«

Wichtig? Für ihn? Für wen? Vielleicht war er anderen Sinnes geworden. Kam auf das Anerbieten zurück – wollte doch zur Industrie übergehen – kam, um Hilfe für den Weg dahin zu erbitten.

Das entschied. Seine Zuneigung für Marning wallte auf. Es hieß eben, sich zusammennehmen.

»Also ja …«

Und wenige Sekunden nachher stand Stephan Marning vor ihm, sehr blaß, sehr ernst.

»Lieber Marning. – Es freut mich, Sie zu sehen. – Wenn Sie’s nicht wären … Ich bin ein verstimmter, ungeduldiger alter Kerl – hab’ im Moment zu viel bunte Gedanken im Kopf. – Sie müssen schon Nachsicht mit mir haben. Und mir ein bißchen knapp sagen, was Sie wünschen. Meine Gesinnung kennen Sie – die ist unverändert …«

»Herr Geheimrat,« begann Stephan. »Ich komme nicht in eigener Angelegenheit.«

Irgend etwas im Ton und in der Miene des jungen Mannes ließ den Alten scharf aufmerken.

»Das Botenamt, Herr Geheimrat, war zu allen Zeiten ein gefürchtetes.«

»Wenn der Bote Übles brachte! Und das tun Sie demnach.«

»Ernstes. Ja.«

»Sagen Sie’s nur schlankweg. Man bildet sich immer ein, vor uns Alten und Brüchigen dürfe man das Wort ›Tod‹ nicht laut aussprechen. Ich bin kein Feigling. Wenn Altersgenossen weggeholt werden, zittere ich nicht gleich, weil’s mich doch auch mal treffen muß. Bin seit zwei Jahren an eine gewisse Nachbarschaft gewöhnt. Ist Ihr Onkel, mein verehrter Freund, gestorben? Ein schmerzlicher Verlust wär’s.«

»Nein, Herr Geheimrat. Ich habe Ihnen von Likowski Nachrichten zu bringen.«

»Wa – was …? Unser prachtvoller Hauptmann? Aber das ist ja unmöglich –«

Wie sonderbar seine Gedanken die eine Fährte verfolgten – die des Todes.

»Likowski befindet sich wohl – er wird in zwei, drei Tagen zurück sein – er wäre schon heute eingetroffen – aber er hat … auch mußte er sich beim Oberst melden.«

»Nun also – was ist mit ihm los. – Nehmen Sie’s mir nicht übel, lieber Marning – aber Sie verstehen sich drauf, einen ungeduldig zu machen.«

»Verzeihen Sie,« sprach der jüngere Mann halblaut, »ich bin ungeschickt. – Mein Amt ist schwer. – Likowski hat ein Duell gehabt – mit – mit Ihrem Herrn Sohn.«

Der alte Mann fuhr auf – blieb erstarrt – sah den andern an – mit offenem Munde.

Langsam wich jede Farbe aus seinem Gesicht.

Er war furchtbar anzusehen.

Und endlich, endlich sprach er laut und fest. »Er ist tot!«

So sprach das Schicksal selber – ehern – ergeben – furchtgebietend.

»Nein – nein. – Er lebt – er kann – er wird weiterleben –«

Da sank das schwere Haupt zurück. – Die Augen schlossen sich – und ein wunderbares Lächeln – geheimnisvoll – unbegreiflich, irrte um die Lippen. – Und unter den geschlossenen Lidern heraus perlte langsam eine Träne und rann über die bleiche Wange.

Stephan wandte sich ab. Ergriffen und scheu.

Was jetzt im Herzen des alten Mannes vorging, wußte Gott allein.

Sprach dennoch die unergründliche Stimme der Natur, die verstummt gewesen war? … Reckte sich das ganz einfache Gefühl empor? – Rauschte das Blut – das Blut, das auch in seines Sohnes Adern rann, ihm zu: Gottlob nicht tot? … Tiefste Rätsel. –

»Was wissen wir von uns selbst!« fühlte der Alte.

Stephan stand Minuten und sah in den matten, sturmgepeitschten Sonnenschein hinaus und wagte nicht, sich umzuwenden.

Bis eine beherrschte Stimme ihn aufrief: »Nun lassen Sie mich alles im Zusammenhang hören.«

»Ich denke, Herr Geheimrat, ich begehe keine Taktlosigkeit, wenn ich Ihnen Likowskis Brief gebe – wie er nun mal ist. – Ganz Likowski. – Ich befürchte da kein Mißverstehen.«

Es wäre ihm ja unmöglich gewesen, alles mit lauten Worten zu sagen. Ihn däuchte, als müsse jedes einzelne zum Posaunenton werden und durch Mauern und Estrich hinabdringen in das Ohr der geliebten Einen.

»Mißverständnisse? Zwischen mir und dem, was Likowski sagt und tut und schreibt? Ausgeschlossen. Her damit!«

Stephan legte den Brief – diesen Brief, dessen Inhalt ihn fast betäubt hatte – nun in die Hand des alten Herrn. Er setzte sich auf den nächsten Stuhl, den Säbel zwischen den Knien, die Hände auf dem Korb gefaltet – so wartete er, und sein Gedächtnis, das den langen Brief auswendig wußte, konnte den Blicken folgen, die nun lasen … Wort um Wort …

»Lieber Marning! Kamerad! Freund! Da bürde ich Ihnen nichts Gutes auf. Aber es muß sein! Der alte Herr, den wir verehren und lieben, der muß wissen, was los ist. Er soll mir verzeihen, wenn er kann! Wenn er nicht kann, muß ich’s ertragen. Mein Bewußtsein ist: ich habe getan, was sein mußte. Mein Mandat? Das des Mannes und Offiziers, der kein edles Weib kränken lassen darf. Auch nicht, wenn sie selbst vielleicht noch nichts davon weiß.

»Zu Ihnen hab’ ich nie davon gesprochen – auch die anderen Kameraden nicht zu mir – das war zu delikat, wo es ein Haus betraf, das uns so oft Gastlichkeit bot. Wenn man auch ein rauher Krieger ist, man hat doch sein Zartgefühl. Aber es war ja in allen Blicken, zwischen den Worten war es, in jedem plötzlichen Verstummen war es, daß auch wir genau wußten, was sämtliche Spatzen der ganzen Gegend pfiffen. Nämlich, daß Herr Wynfried Severin und die mollige Baronin sich zusammen auf das beste unterhielten und offenbar nicht gerade zusammen im Katechismus lasen. Sonst wären sie doch wohl mal bis ans sechste Gebot gekommen …

»Ich kann Ihnen gestehen, Freund, ich hab’ was an stiller Wut in mich ’reingefressen. Wo die junge Frau für mich so ungefähr das Anbetungswürdigste von edler Weiblichkeit ist, was mir auf meinem Junggesellenpfad begegnete. Und wo ich ihr alter Freund und Hausgenosse gewesen bin. Und wo ich weiß, daß der Geheimrat toben würde, wenn er wüßte, daß man ihr ein Haar krümmen will. – Na, und so stand es lange fest bei mir: ich sag’s ihm in sein schönes, nobles Gesicht, daß es für mich sehr häßlich aussieht.

»Bloß die Gelegenheit! Wo die herzwingen, ohne Skandal?

»Aber so was fällt ja dann vom Himmel, wenn man gerade mit all seinen Gedanken mal weit davon weg und in behaglicheren Regionen ist.

»Geh’ mit Vetter Adolf und Gesponsin, sowie mit einem seiner Regimentskameraden, gleichfalls beweibten Zustandes, in ein Restaurant. So ’n ganz pickfeines, wo es schon was kostet, wenn der Kellner sich verbeugt. Sonst nicht meine Wahl – das wissen Sie wohl. Aber Madame Adolf hat die Schwäche und – das Geld! Leider. Geld ohne Geschmack – das ist eine schlimme Mischung. Da hätte sich Adolf vorsehen müssen. Na, dies nebstbei. – Und wer sitzt da in diesem Lokälchen, an zart bestrahltem Tisch, wo zwischen Blumen und dem Leuchter mit dem rosigseidenen Schirmchen der graue Kaviar vom Eisblock glänzt? Wer?

»Na, ich sage Ihnen, die pummelige Agathe wurde rot – röter – am rötesten.

»Ich war ganz ruhig. Ich ging ’ran – so mit ’ner gewissen Vorsicht – Distanz wahrend – damit nicht etwa die Baronin mir gleich die Patschhand freundschaftlich hinstreckte. – Und da bat ich ihn denn, mich anzuhören. Drei Worte genügten ja. Daß er sie nicht einstecken konnte, wenn er ’n Mann von Ehre bleiben wollte, war klar. Und dann lief die Geschichte ihren Gang. Ehrengericht damit befassen war unmöglich. Die Losung mußte sein: sofortige Abwicklung! Ehrengericht kann die Sache nachträglich prüfen. Und hier gleich in Parenthese: ich melde mich sofort beim Oberst. Auf einen Monat Festung bin ich gefaßt. – Zum Glück hatte Wynfried Severin ein paar Freunde da in der Gegend – Herren, die schlagenden Verbindungen angehörten – einer war aus ’m ganz feudalen Korps und fabelhaft bewandert in der Regie des Duells. – Und kurz und gut – heut im Nebelgrau standen wir einander gegenüber. – So ’n rechter schwerer Rheinnebel war’s. – Das Gelände, zwischen Schonungen, nicht weit vom Fluß – seltsam war’s mir: man hörte durch den Nebel den Heulton der Dampfer. Wenn ich Ihnen sage, Marning, daß so ’n Heulruf ihm das Leben gerettet hat!

»Es war mein Vorsatz: den lösch’ ich aus. – Der verdirbt sonst noch dieser köstlichen Frau, an die man bloß mit Andacht denken kann, das ganze Dasein. – Ich haßte ihn. Kräftig.

»Aber was soll ich Ihnen beichten? – Wie ich so ziele – in diesen gräßlichen Sekunden – ein, zwei sind’s bloß – da heult von fern und leise ein Dampfer – wie bei uns – plötzlich seh ich unseren Fluß vor mir, das Werk, den alten Herrn. Gott verzeih’ mir: es war verrückt. Total. Beinahe mag ich es nicht schreiben: mir war’s, als riefe der alte Herr. Es war direkt unheimlich.«

Stephan sah, daß die beschriebenen Blätter in der Hand des Greises zitterten …

Ja, das war diese Stelle – seltsam – und so ganz außer Likowskis Linie …

Aber weiter …

»Vielleicht hätt’s ihn doch schwer geschlagen – wenn sein Sohn … es ist immerhin der einzige! Obschon – unter uns – manchmal dacht’ ich: heiß ist die Liebe nicht. Und Enkel und Schwiegertochter sind ihm alles. Aber wer kann in so was ’reingucken? Na und kurz und gut: ich nahm nicht dies flotte Herz zum Ziel. Aber treffen wollt’ ich, und ich traf. Besser als er, der den ersten Schuß hatte und damit bloß ein Loch in die Luft machte. Nicht vorsätzlich. Ih nee – ich merkte, wie er zielte. Aber natürlich: schlechter Schütze, nicht eingeschossen. Meine Kugel ist ihm unterm Schulterknochen durchgeschlagen, hat Sehnen und viele Blutgefäße zerrissen und die Lunge gestreift.

»Schon nach zwei Stunden brachte mir Vetter Adolf die Nachricht: voraussichtlich längeres Krankenlager, aber durchaus keine Lebensgefahr – wahrscheinlich auch längeres Schonungsbedürfnis.

»So weit wäre ja nun alles ganz gut und schön gewesen und hätte ganz sachte vertuscht werden können. Dem alten Herrn konnte man was von einem Automalheur erzählen. Was ist heutzutage leichter, als sich auf der Straße die Knochen zu zerbrechen!

»Aber nun kommt’s hochdramatisch. Ohne sich um Wunsch und Willen des vorerst Bewußtlosen zu kümmern, läßt ihn unser Paukarzt ganz einfach in eine Privatklinik schaffen, die ein ihm befreundeter Chirurg hält. Na, das war vernünftig. Als Lohmann zu sich kommt, fällt ihm ja wohl bei kleinem ein, daß die Baronin Nachricht haben muß. Er läßt telephonieren, die Damen möchten abreisen, und seine Sachen sollten vom Hotel in die Meinhardtsche Klinik geschickt werden.

 

»Vielleicht hatte die mollige Agathe schon Lunte gerochen – und dann das Wort ›Klinik‹. Kurz: nach einer halben Stunde saß sie schon am Bett. Und erklärte jedermann: da ist mein Platz! Und nimmt mit der Gerwald mehrere Räume in der Klinik und macht es offiziös. – Straf’ mich Gott, wenn ich in diesem Falle von meiner sonst gutbeschlagenen Menschenkenntnis sollte verlassen sein! Aber Agathe ist vielleicht, in all ihrer Unbefangenheit, nicht böse über das Duell! Denn nun kann er gar nicht anders. Zu seiner Frau kann er nicht zurück. Sitzen lassen kann er hiernach die Baronin nicht. Und so strafen ihn die Götter und bedienten sich dazu meiner bescheidenen Person.

»Dieses Auftrumpfen Agathens: ›Mein ist der Mann, und mir gehört er zu!‹ – macht es unmöglich, den Fall zu vertuschen. Ehe der alte Herr gar in den Zeitungen davon liest – ehe der Sohn ihn benachrichtigen kann – denn von wegen Agathe kann er nun nicht eine glaubhafte Flunkerei von einem Unfall nach Haus drahten. – Die Lage ist nicht einfach für ihn. Donnerwetter! Na also, ehe was geschieht, das den Schlag zu roh und plump gegen das Gemüt des Vaters führt – gehen Sie sofort zu ihm.

»Er hat Sie lieb. Er achtet Sie hoch. Oft hat er’s mir gesagt. Es ist mir handlicher, mich mit diesem Auftrage an Sie als an den vortrefflichen Thürauf zu wenden. Sie sind mein Kamerad – mein Freund – das sagt alles.

»Von Frau Klara kein Wort! Da verbiet’ ich meiner Feder jedes. Sie wird leiden – jetzt – zunächst in jedem Fall! Aber sie wird mir doch noch mal im Leben freundlich die Hand geben – darauf hoffe ich!

»Und nun: Gott befohlen!

Ihr Likowski.«

Wie langsam der Greis gelesen hatte – ganz gewiß, er mußte jeden Satz wiederholt in sich aufgenommen und lange bedacht haben.

Und nun faltete er mit zögernden Bewegungen die Bogen zusammen. Ein wenig mußte er sich vorneigen und den Arm ausstrecken, um sie auf den Tisch legen zu können, der rechts von ihm aus der Wand vorsprang.

Stephan stand schon auf, um ihm den Brief abzunehmen.

Seine Blicke trafen sich mit den tiefen, großen Blicken des Alten – sie kamen wie aus einem Abgrund von Gram herauf.

Aber dennoch – auf seinen Zügen lag der Ausdruck einer wunderbaren Gefaßtheit.

Welche Erschütterungen auch durch ihn hingewandelt sein mochten – er stand darüber, stand auf Herrscherhöhen. – Von wo aus die Wirrnisse des Lebens weithin übersehbar sind, wo man erkennen kann, woher die Wege kommen und wohin sie gehen.

Ein leises, schmerzliches Lächeln voll Vatergüte ging um seinen Mund.

»Sie wollten mir und allem, was zu mir gehört, für immer entfliehen,« sprach er, »und nun spielt unser Freund, noch viel mehr als er selbst weiß, Schicksal und schickt gerade Sie zu mir.«

»Ich konnte den schweren Auftrag nicht ablehnen.«

Er war verwirrt – sein Herz klopfte. Er wünschte sich auf der Stelle verabschieden zu dürfen.

»Lieber Marning – Sie sehen – der Sohn ist mir verloren – vielleicht nicht ganz als Sohn. Mag die Zukunft – mag vielleicht eine ferne Stunde, die meines Todes vielleicht, noch einmal seine Hand in meine legen. Was kann ich davon wissen, was darüber sagen? Nichts! – Ich will mein Alter nicht mit Unversöhnlichkeit beflecken. – Es liegt an ihm –«

Er mußte innehalten. – So lebendig stand plötzlich das Bild der genußsüchtigen, selbstischen Frau vor ihm, die seines Sohnes Mutter gewesen … Er seufzte schwer …

»Möchte der Weg, auf den ihn alles nun zwingt, ihm nicht zu hart mit Reue gepflastert sein.«

Dann fuhr er lebhafter fort. »Meine Tochter – mein Enkel – mein Werk – das gehört zusammen – zu mir – bis übers Grab hinaus: zu mir! Und davon hat mein Sohn sich geschieden. Er hat die Würde seiner Frau und die Würde meines Werkes verraten. – Vielem und Vielen sollte er zum Herrn gesetzt sein. Das kann nur einer, der strebt. Nicht einer, der spielt. Er bleibt von meinem Werk geschieden – auf immer!«

Nun sah er den jungen Mann voll und groß an – bezwingend –

»Ich tat einmal eine Frage an Sie. – Heute ist der Augenblick, sie zu wiederholen. – In dieser Stunde braucht mein Werk noch keinen Helfer und Leiter. Ein vorbildlicher Mann steht an der Spitze. Aber der Tag wird kommen, wo auch er jüngere Schultern als Mitträger braucht. Und mein Enkel. – Noch bin ich da! O – ich hoffe, dem Dunklen, der mir schon mal so nahe war, noch manches Jahr zu trotzen. Aber dennoch – es ist Menschenlos. – Mein Enkel und meine Tochter – einmal brauchen sie vielleicht einen klugen, besonnenen Mann von Ehre und Herz als – als Freund. – Und so, Marning, so frage ich in dieser Stunde, wo mein Sohn für mein Werk verloren ging: wollen Sie zu mir kommen – wollen Sie meinem Werke dienen?«

»Ja!«

Laut und feierlich klang das durch den Raum.

Der alte Herr streckte seine Hand aus. Stephan ergriff sie und tat wie damals, als er für immer zu scheiden glaubte: er neigte sich tief und küßte voll Ehrfurcht diese Hand – die Hand, die sein Schicksal auf ungeahnte, nie mehr erhoffte Höhen des Glückes führen wollte.

Den Greis übermannte Rührung. Er zwang das nieder.

Er wußte, mit diesem »Ja« hatte ein ganzer Mann sich seinem Werke angelobt. Und nicht nur seinem Werke.

»Nun Klara,« sagte er, »sie muß wissen …«

Stephan trat erschrocken zurück.

»Nicht in meiner Gegenwart.«

»Doch!« – Er hatte schon das Zeichen für Leupold gegeben, und dieser kam so rasch, daß kein Wort mehr gewechselt wurde.

»Bitte meine Tochter herauf. Aber sage nichts davon, daß ich Besuch habe.«

»Herr Geheimrat …« bat Marning.

Die alten Augen sahen ihn tief und wissend an.

»Sie werden mich nicht verlassen wollen, wenn ich Ihnen sage – ich brauche Sie – sonst – sonst – es könnte mir die Fassung zerbrechen. – Ich hab’ diese zwei zusammengeführt – ich! Bin ich nicht ein Schuldiger vor ihr?«

»Nein,« rief Stephan, »nein – nichts von Schuld …«

Sie warteten schweigend. Stephan stand am Fenster, hinter dem mächtigen Stuhl, in dem der Alte saß. Im Schatten, einer schwarzen Silhouette gleich.

Und dennoch erkannte sie ihn, kaum, daß sie die Schwelle überschritten.

Sie blieb stehen – ihr Fuß wollte sie nicht weitertragen.

Was war das? Ein Zufall? Eine von jenen lächerlichen Notwendigkeiten des Alltags, die sich in das Große mengen? Gerade jetzt? In diesen qualvollen Tagen der Unklarheit, wo ihr Frauenschicksal in der Schwebe hing …

»Mein Kind,« sprach der alte Mann ihr entgegen, »komm – sieh, hier ist unser Freund. Er hat ernste Nachrichten gebracht …«

Und nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Von – meinem – Sohn …«

Nun war sie vor ihm und sah ihn an – nur ihn – als sei nicht noch einer hier, der ihren Blick und Gruß erwarten durfte.

Und doch sah, fühlte sie nur die Gestalt, die hochaufgerichtet, schweigend und unbeweglich dastand.

»Ja, mein Kind – Wynfried – er hat – ein Unfall … Später erfährst du das Genaue. – Er liegt in Köln – krank …«

Sie wich ein wenig zurück – im Schreck. Und wußte sofort: dann muß ich dahin – ihm helfen – er ist meines Kindes Vater – ich muß. – Ich wollte ja Geduld haben – wollte vergeben – nun muß ich es beweisen …

»Dann will ich zu ihm – gleich – ja gleich. – Ihn pflegen – ihm beistehen –«

»Nein, mein Kind. Du wirst nicht hinfahren. Eine andere Frau, der nun wohl seine Zukunft gehören muß, sitzt an seinem Bett. Und deine Ehe – sie wird gelöst werden.«

»Vater!« schrie sie auf.

Sie legte beide Hände vor ihr Gesicht.

Und die Männer schwiegen.

Sie ahnten, der Greis wie der junge Mann, daß in ihrer Seele eine ungeheure Bitterkeit aufwallte und alles, alles andere überflutete. – Die Bitterkeit der edlen Frau, die sieht: alle Opfer waren umsonst! Die erkennt: meine Würde hat er, dem ich alles gab, nicht geachtet! –

Niemand sieht ohne Erschütterung den Bau seines Lebens in Trümmer zerfallen – auch wenn dieser Bau nicht im Glanze seliger Liebe errichtet ward …

Aber dieser bittere Strom von schweren Erkenntnissen ebbte langsam zurück.

Und ein großes, schmerzliches Entsetzen erwachte.

Nun verlor sie Vater und Heimat –

Sie hob ihr Gesicht aus den Händen. Sie sah den alten Mann an – sie sah wohl, welch eine Welt von Liebe ihr aus seinen Blicken entgegenkam.

Aber dennoch, es war sein Sohn, um den es ging – sein einziger Sohn – trotz allem.

»Nun muß ich dich verlassen!«

»Klara!«

»Aber das Kind – es gehört mir. – Du wirst nicht den Versuch machen, es mir zu nehmen. Nein – das nicht – das weiß ich.«

Sie war außer sich.

Er streckte seinen Arm nach ihr.

»Nein – besinn dich doch. – Gehören wir nicht zusammen? – Das Werk, das Kind – du und ich? Er hat sich von uns geschieden, nicht wir von ihm! Und hier steht einer – ich hab’ sein Wort: er will in die Arbeit hineinwachsen und dem Werke dienen und – meines Enkels Freund sein –«

Er brach ab.

»Vater!«

Sie kniete schon neben ihm nieder, und er nahm das schmale, weiße Gesicht zwischen seine Hände.

»Meine Tochter!« sprach er leise und bedeutungsschwer.

Oft hatte er sie so genannt – aber sie fühlte, was dieser Name, in diesem Augenblicke ihr gesagt, alles auf sie legte an großen und heiligen Pflichten; was er ihr versprach an Glück, das nach still und stark ertragenem Leid einst ihr Leben zu einem Wunder machen sollte.

Sie hob den Blick – sie wagte es, den Mann anzusehen, der als stummer Zeuge hinter dem Stuhl des Vaters stand.

Und das beredte Auge sagte ihr, was der Mund noch verschweigen mußte.

Und in diesem erhebenden Schweigen gelobten ihre Seelen einander, der Vatergüte des großen alten Mannes immer wert zu sein – nach seinem Vorbilde zu wirken und rastlos ihre Pflicht zu erfüllen, im täglich erneuten, stillen Heldentum der Arbeit, die dem Ganzen dient.