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Es gab noch eine Unterbrechung, weil sich ein Knochensplitter zeigte, der erst herausheilen mußte. Aber dann konnte Likowski doch Marning vorrechnen: »Wenn Krieg kommt, kann ich’s wagen, mitzureiten. Bleibt Frieden, gehe ich Ende September nach Wiesbaden und erscheine hier nach sieben, acht Wochen als Jüngling und Schnelläufer wieder. Und dann kommen Sie um Ihre Versetzung ein – wenn Sie nicht anderen Sinnes geworden sind.«

Und an einem Tage, als der öde Regen durch stürmisches Unwetter eine Abwechslung erfuhr und anstatt der zinnfarbenen Gleichmäßigkeit am Himmel wildes Gewölk schwarz und schwer sich dahinwälzte, kam endlich die junge Frau.

Sie hatte am Nachmittag vorher den Leutnant Hornmarck bei Thüraufs getroffen und zufällig erfahren, daß heute eine Übung stattfinden solle, von der die Kompanien erst gegen Abend zurückkehren würden. So war sie sicher, dem einen nicht zu begegnen, von dem ihr Herz Abschied genommen hatte …

Likowski humpelte ihr am Stock drei Schritt entgegen. Er war ganz betroffen! Was hatte denn Klara angewandelt! War sie noch gewachsen? War man so des Anblicks von holder Schönheit entwöhnt, daß einem die bekannten Gesichter noch herrlicher als vordem erschienen?

Welch ein Lächeln voll Güte … Und dennoch – irgend etwas Rührendes darin …

Und wie sonderbar: sie machte gar kein Aufhebens davon, daß sie noch nicht hier gewesen sei – ging schweigend daran vorbei. Und da wußte er in zartem Verstehen: sie hat einen Grund gehabt. Also: Achtung davor, wenn man ihn auch nicht erfährt!

Sie saß neben ihm, und er nahm sich die Freiheit, ihre Hand lange in der seinen zu behalten und sie voll Ehrerbietung und zärtlich zu streicheln, als sei er ein guter alter Papa. Er fragte nach Severin dem Großen und Severin dem Kleinen.

Und Klara sagte, daß ihr Vater oft so still und in Nachdenken versunken sei; es schien, als ermatte seine Frische. Da sei es ihr lieb, daß ihr Mann die eigentlich für den Hochsommer mit ihr geplant gewesene Reise aufgegeben habe. Er hatte gleich von Warnemünde aus Anfang Juli seine Jacht nach der Elbmündung gehen lassen, wo er die Segelei großartiger und interessanter finde; er fahre nun jede Woche zwei, drei Tage nach Hamburg, oder vielmehr nach Kuxhaven, und der Segelsport habe ihn mit Haut und Haar. Das sei mehr Erholung als eine Reise, sagte er. Und sie freue sich dessen für ihn. Nun könne sie ihren Vater recht pflegen. Was aber Severin den Kleinen anlange … Ihr Angesicht schien wie verklärt!

»Er gedeiht! Sie glauben nicht, wie! Und lacht und strampelt! Und streckt die dicken Händchen nach seinem Großvater aus! Ja, der ist ein bißchen vernarrt und einseitig und sagt: Solchen Jungen hat’s noch nie gegeben – Wie eben Großväter sind …«

»Und junge Mütter auch! Ich hab’ mich bisher als Barbar betragen gegen Severin den Kleinen. Babys sind wie Tierchen, aber wenn er nun Mensch wird – na, da will ich gut freund mit ihm werden, wenn ihm auch noch auf lange hinaus meine blanken Knöpfe anziehender erscheinen sollten als mein Charakter.«

Klara lachte. Wie wirkte sie glücklich in diesem Augenblick!

Nein, er konnte nicht fragen, warnen, andeuten. – Und doch riß es ihn zu mächtig in die Nähe dieser Sorge. Plötzlich fragte er: »Na, und die Baronin? Hängt sie Ihnen immer noch mit solcher Backfischschwärmerei an?«

»Ich weiß nicht,« sagte Klara unbefangen, »sie verfehlt mich beständig. Wär’s nicht die gutherzige Agathe, die wohl gegen keinen Menschen je feindselig sein kann, dächt’ ich: Absicht. Wynfried hat mehr Glück mit ihr – traf sie mal in Hamburg – fuhr mal, auf dem Wege nach Pankow, auf Lammen vor –«

»Unsere Tages- und Lebenseinteilung ist auch so verschieden,« setzte sie beschönigend hinzu. »Vormittags bin ich ganz gebunden, habe überhaupt viele Pflichten: Vater – das Kind. – Agathe hat keine.«

Wie schlicht immer ihr Wesen war. Bei aller Jugend voll Ruhe – wie bei einem Menschen, der seiner sicher ist.

Likowski, im Gemüt infolge der letzten Wochen ein wenig mürbe, war eigentlich ganz weich – so etwas wie Reue wollte ihn ankommen, daß er früher nicht doch … Aber Unsinn – weg mit solchen Anwandlungen! Selbst eine Klara konnte ihn nicht wankend machen: weder Weib noch Kind sollten Anspruch an sein Leben haben – das gehörte einer großen Aufgabe allein! Eine Familie gründen – nein! Aber ihre Heiligkeit schützen – ja! Und er schwor Klara in seinem Herzen zu: wenn der Mann dich verrät, schieße ich ihn über den Haufen.

So friedfertig, so voll Herzlichkeit war er, daß sie von diesen schweren Gedanken nichts ahnte.

Sie kamen auf Erinnerungen, und das Wort »Wissen Sie noch?« stand über ihren Gesprächen. Da lebte Vollerts Vorgänger wieder auf, Mau, der durchaus nicht begreifen konnte, daß es nicht heiße »djewoll, Herr Hauptmann«, und erst nach strengen Vermahnungen sich sein »to Bafehl« angewöhnte. Und die gute alte Lamprächtige nahmen sie ein wenig durch. Und es war so wunderbar sonnig im Zimmer, als schleppten draußen am Himmel nicht schwarze, zerrissene Wolkenfetzen auf den Horizont herab. Und Likowski sagte: »Wissen Sie noch: so ’n ähnliches Wetter war an jenem Morgen, als wir uns an der Fähre trafen. Ich denke noch manchmal daran: ich stellte Ihnen Marning vor; Sie hatten Ihre pastellblaue Wollmütze auf, die Ihnen entzückend, e–n–t–zückend stand; und keiner von uns hatte ’ne blasse Ahnung, daß Sie sich noch selbigen Tags mit Wynfried Severin verloben würden –«

»Ja« sprach Klara leise, »ich weiß es noch …«

»Was mir Marning geworden ist! – Und vor allem in den letzten Wochen! Das ist ein Mensch! Eins a! Und er wird mir fehlen – will sich nu mal partout versetzen lassen – ist ja nur noch hier, weil er die Kompanie führen muß. Na, aber eh’ es so weit kommt, ziehn wir doch unter der gleichen Fahne ins Feld! Es wird Ernst! Und wenn’s den einen von uns trifft – schön wär’s, den letzten Blick in Freundesauge zu tun, von Freundeshand den letzten Druck zu spüren. – Aber wie Gott will …«

Klara stand auf. Bleich und still. Sie ließ noch einmal ihre Hand dem treuen Mann. Er küßte sie – immer wieder.

»Aber Likowski!« sagte sie mit einem mühsamen Lächeln scheltend.

»Weiß selbst nicht – mir ist so wunderlich – grad als sollt’ ich Ihnen sagen: wenn Sie mal jemand brauchen – soweit mein Kaiser mich nicht braucht – allzeit Ihr treuer Freund. – Aber nicht wahr, dies ist kein Abschied? Wir sehen uns wieder?«

Verwundert und doch seltsam befangen, als wirke die kaum verborgene Erregung des Mannes auf sie hinüber, sprach sie: »Warum sollten wir uns nicht wiedersehen? Sie sind nun bald so weit, daß wir Ihnen das Auto schicken können. Vater freut sich schon auf Sie.«

Und dann nahmen die Tage einen so gespannten, nervösen Charakter an, daß alles Persönliche zurücktrat.

Jetzt, jetzt war es so weit. – Der September war da – ein Tag schlich vorbei – wieder einer – eine Woche. – Und die große Frage brannte in aller Herzen: Krieg? Krieg? Ja! Nein? Der eine Kamerad hatte dies aus Berlin gehört, der andere das. – Jede Nachricht widersprach der anderen.

Likowski fieberte vor Aufregung und übte Bewegungen und schrie nach der alten Frau, damit sie bestätigte: es sei schon fabelhaft viel besser. Er ordnete all seine Sachen und machte sein Testament. In Rücksicht auf den guten Vermögensstand seiner Verwandten vermachte er seinem Freunde, dem Oberleutnant Stephan Freiherrn von Marning, fünfundzwanzigtausend Mark.

Stephan war ruhig. Ernsten, gefaßten Blickes sah er dem Geschick entgegen. Auch er ersehnte den Krieg. Er hatte Humboldt gelesen, und dessen Ausspruch, daß der Krieg zur Erziehung der Völker notwendig sei, hatte ihn tief ergriffen. Die Geschichte lehrte ihn, daß Humboldt recht habe. Er hoffte: siegend zu sterben! Sein Leben hingeben zu dürfen für das Größte.

Er war bereit, es tapfer einsam zu tragen – auch ohne die eine, die er liebte. Aber wenn er es für das Vaterland einsetzen durfte, das würde wie Erlösung und Krönung sein. –

Und dann, dann dämmerte die Entscheidung herauf. Sie fuhr nicht wie ein Blitz hernieder, und die Lage wurde nicht jäh deutlich erhellt. Nein, auf die flammenden Herzen, die bebenden Nerven legte sich, gleich Ernüchterung, die Gewißheit: die Lage entspannte sich – wieder einmal! –

Die schweren Nebel sanken. Hunderttausende jubelten, daß sie wieder einen klaren Himmel über sich sahen. Aber Millionen fühlten, daß die Muttererde mit den Nebeln gärende Keime eingesogen habe.

Likowskis Vetter, der Kapitänleutnant, schrieb, was auch zugleich schon in den Zeitungen stand: die Reserven seien entlassen.

Friede –

Als Marning bei dem Freunde eintrat, fand er einen anderen, als er erwartet hatte.

Hochaufgerichtet, in fester Haltung hatte der Hauptmann am Fenster gestanden und in die sinkenden Tropfen gestarrt. Nun wandte er sich dem Freunde zu.

»Marning,« sprach er, »es scheint unser Los: wir sollen das Schwert in der Scheide behalten – vielleicht überhaupt so lange, wie wir den Rock noch tragen – wer weiß es. Eine andere Art von Tapferkeit wird von uns gefordert – die, die wir schon so lange üben. – Arbeiten wir weiter! Still. Zäh. Beißen wir die Zähne zusammen, wenn man uns schmäht, nicht mehr sieht, was wir tun – wozu wir da sind. – Ein Tag wird dennoch kommen, wo man erkennt: wir taten unsere Pflicht! Tun wir sie – stolz und schweigend. – Ich will nie mehr davon sprechen – nie mehr. – Aber denken wollen wir immer daran – denken!«

Die beiden Männer umarmten sich in heißen, stummen Gelöbnissen.

Der ewige Regen hatte auch dem alten Herrn die Stimmung des Hochsommers und Herbstes nicht leichter gemacht. Jeden Tag von neuem rauschten die Wassermengen herab oder tröpfelten in leisem Fall auf die Erde, die sie nicht mehr aufnehmen konnte. Verschlammt lag das Land.

Er verstand ja nichts vom Segelsport, aber daß Wynfried gerade in diesem Sommer, der nicht nur Arbeit, Ernte und Wohlstand, sondern auch Spiel und Frohsinn zerstörte, eine solche fanatische Vorliebe zur Segelei faßte, war ihm nicht begreiflich. Jede Woche fuhr er für zwei, drei Tage nach Hamburg. Und als es Herbst ward, ließ er dort auch die Jacht in Winterquartier legen und die Mannschaft abheuern. – Der Geheimrat dachte unruhig: so kann sie niemals hier davon sprechen, ob wirklich gesegelt worden ist.

 

Sein Sohn hätte ihm gefallen sollen. – Er sah es selbst: ein schöner Mann, voll lachender Lebensfreude. Eine merkwürdige Blüte war über ihn gekommen. Derlei beobachtet man sonst wohl bei Frauen, die einen neuen Liebesfrühling erleben – seltsam. Und wenn Wynfried zu Haus war, arbeitete er froh, forsch, geschickt.

Trotz allem – sein Sohn gefiel ihm nicht.

Er brachte auch sehr oft von seinen Fahrten Klara eine schöne Aufmerksamkeit mit – in feinster Wahl zum Luxusgebrauch einer verwöhnten Frau ausgesucht.

Alles sah geregelt, unauffällig aus.

Weshalb sich sorgen?

Er beobachtete Klara. – Und er sagte es sich jeden Tag: jetzt erst, jetzt sah sie ihrer Mutter völlig ähnlich. Und er verstand in diesem Angesicht zu lesen, wie dereinst in dem der Toten.

Diese edlen Linien waren von einem reinen und tiefen Schmerz wie verklärt.

Niemals sprachen sie zusammen von dem Manne, der hier früher doch so gern gesehen worden war … Und sie verstanden sich in diesem Schweigen.

War es nicht, als ob die junge Frau dem sorgenvollen alten Mann unablässig zeigen wollte: ängstige dich nicht um mich! Sie suchte heiter zu scheinen, und wenn sie ihr Kind herbeitrug, war es dem Greis voll Bedeutung. Sie hingen dem Kinde mit Leidenschaft an. Es war ihr Trost – es war die Zukunft.

Dennoch – die Wochen, die Monde lasteten. Kampf und große Stimmungen hätten den alten Mann zu frischem Lebenswillen wieder aufrufen können.

Er bewunderte den stillen Heldenmut, mit dem diese junge, geliebte Frau ihr Herz überwand.

Er bewunderte auch den Mann, der sich schweigend und beherrscht zurückgezogen hatte.

Aber das ohnmächtige Zusehen ließ ihn leiden.

Wenn er doch wenigstens die Doktorin Lamprecht einmal vor seinen Krankheitsthron hätte fordern dürfen. Das wollte er nicht, um kein Aufsehen dadurch zu machen. Aber diese alte Frau war ja wie von einem Magneten drüben festgehalten – war eine von den putzigen Weibern, die im Untergrund ihres Herzens Tod und Unglücksfälle als Fest genießen, weil es Abwechslungen sind, die ihnen Zunge und Glieder beweglich machen. Plagte sicherlich den Hauptmann mit Übermaß von Aufopferung und Geschwätzigkeit. Aber der natürlich war waffenlos dagegen – er wußte doch: sie meinte es redlich.

Und eine gewisse Frage brannte ihm im Herzen. Nur die Alte konnte sie beantworten.

Endlich reiste Likowski ab. Ohne sich vorher noch, wie der Geheimrat ihm anbieten ließ, mit dem Auto zum Besuch herüberholen zu lassen. Er schrieb herzliche Abschiedsworte. Zu grotesk komme er sich jetzt vor – er möge niemanden und am wenigsten seinem selbst an den Stuhl gefesselten hochverehrten Freund und Gönner was vorhumpeln. Er denke sich nun in Wiesbaden wieder einen festen, geraden Gang heranzubaden, werde danach seinen Urlaub noch mit kurzen Besuchen bei seinen Vettern beschließen, davon etliche in Frankfurt, Köln und Hannover an seiner Reiseroute garnisonierten, und hoffe, sich in der zweiten Novemberhälfte wieder vorstellen zu dürfen.

Hiernach konnte man alsbald den Besuch der von ihrem Pflegeramt befreiten Alten erwarten. Am nächsten Tag war sie da. Vorerst entlud sie bei Klara in sich überstürzendem Durcheinander ihre Bewunderung des Kindes und den Bericht über Likowskis Krankheitsgeschichte und Abreise. Dann ließ sie sich etwas ängstlich oben beim Geheimrat anmelden, denn in diesem Augenblick kam ihr die Reue, daß sie sich so viele Wochen gar nicht nach ihm umgesehen. Aber er war ja so großmütig, er würde verzeihen.

Sie trat auch gleich mit einem Schwall von Entschuldigungen an ihn heran.

»Ach lassen Sie das doch. Setzen Sie sich dahin und hören Sie zu. Ich muß Sie was fragen,« sprach er. »Aber – offen, Lamprächtige! Ich kann ausweichende Vielrederei nicht ertragen. Kurz und klar sollen Sie antworten.«

»Aber Herr Geheimrat, wie sollte es mir beikommen, Ihnen ausweichend zu antworten?«

Und da geschwätzige Frauen stets ein wenig von schlechtem Gewissen geplagt sind, ward ihr sogleich bänglich.

Er sah sie nachdenklich an. Sie war eigentlich immer etwas in Furcht vor seinen Augen.

»All die tragischen Ereignisse bei und nach dem Tode von Klaras Vater sind Ihnen erinnerlich?«

»Wie sollten sie nicht!« sprach sie zitternd, und das böse Gewissen nahm sofort ein Riesengewicht an.

»Die Umstände brachten es mit sich, daß Sie alles erfuhren. Freiwillig hätte ich gerade Sie nicht ins Vertrauen gezogen. Denn – nicht wahr? – das Schweigen ist nicht so recht Ihre Sache. Aber daß ich sonst genau weiß, was ich von Ihnen zu halten habe, bewies ich ja, indem ich Ihnen Klara zur Pflegetochter gab.«

Die graue kleine Frau weinte sogleich ein bißchen in ihr Taschentuch hinein – halb vorweg aus Rührung – unbestimmt und ahnungsvoll. Und dann: eben das Gewissen …

»Sie haben Ihr Gelöbnis, zu schweigen, in diesem einen ernsten, furchtbaren Fall gehalten?«

»Unverbrüchlich!« sagte sie und hob ihr Oberkörperchen in verdienstvoller Haltung, »es gibt keinen Menschen, der in dieser Sache mir vorwerfen kann, ich hätte geschwatzt.«

Er besann sich. Fragte dann weiter: »Können Sie mir etwas darüber sagen, weshalb Klara sofort einwilligte, Wynfrieds Frau zu werden?«

»Sie konnte doch gar nicht anders. Das hat sie doch aus Dankbarkeit getan. – Wo Sie doch hofften – daß Klara Ihren Sohn – daß Ihr Sohn durch Klara … Nach all dem, was Sie an Klara und ihren Eltern getan …«

Er fuhr in lodernder Ungeduld auf.

»Aber eben beteuerten Sie Ihr unverbrüchliches Schweigen!« rief er heftig.

»Ich meinte – gegen alle anderen Menschen – aber als Klara so leidenschaftlich auf mich eindrang – es war ja wohl zwei Wochen vor der Verlobung – Klara hatte aus Ihren eigenen Erzählungen über Ihr Werk und Ihr Leben Verdacht geschöpft – was sollte ich da machen?« sagte sie beleidigt. Und um sich auch noch in dieser Wendung ein Verdienst zuzuerkennen, setzte sie hinzu: »Ich denke, Herr Geheimrat, Sie wären der letzte, mir einen Vorwurf daraus zu machen. Wie oft haben Sie mir gesagt: Lamprächtige, seit ich meine Tochter habe, bin ich erst ein Mensch. – Und nun gar Severin der Kleine – Ihr Enkel!«

»Ich – ich!« sprach er vor sich hin. – »Aber sie! Ihre Jugend – ihr Leben – ihr Glück. – Zu viel der Opfer …«

Er legte die Hand gegen die Stirn. Ja, nun wußte er, warum Klara seinen Sohn geheiratet hatte. Es änderte nichts, gar nichts an der Lage – es belud nur sein Herz noch schwerer.

Weinerlich sagte die Alte: »Das hab’ ich ja auch nicht gedacht, daß Klara selbst vielleicht zu kurz dabei käme! Ich dachte: so reich zu werden! Das war doch schön. Und solchen Vater zu bekommen! Das war doch für die Verwaiste herrlich. Und ich dachte: in Klara muß man sich doch verlieben – ihr Mann kann gar nicht anders – muß sie anbeten – ja, daß er doch nach anderen Frauen guckt – aber das ist wohl bei den Männern heutzutage Sitte –«

»Was?!« rief der Geheimrat. Und seine Augen sprühten. Man konnte wieder einmal nur vor ihm zittern. Sie duckte sich förmlich …

»Nichts. O Gott. Nichts Bestimmtes,« brachte sie heraus, »nur – die Leute – es heißt – er sei sehr viel – sehr – mit der Baronin Hegemeister zusammen.«

Er lachte auf. Es blieb ihr verborgen, wem dies zornige Auflachen galt …

Aber die nächste Zeit schien nun gerade beweisen zu wollen, daß alle Sorgen und alles Geschwätz müßig seien.

Die Reisen Wynfrieds wurden seltener. Das schien erklärlich. Das Absegeln der verschiedenen Jachtklubs hatte schon gegen Ende September stattgefunden. Wynfried hatte seine »Klara« erst drei Wochen später auf einer Hamburger Werft in Winterquartier gegeben.

Aber mit dem Freundeskreis, den er sich in Hamburg in Seglerkreisen, unter Mitgliedern des Norddeutschen Regattavereins gebildet, wolle er doch Fühlung behalten, sagte er. – Wie klar alles …

Täuschte ihn sein Vaterauge? Spiegelten ihm seine uneingestandenen Hoffnungen, daß dennoch alles gut enden möge, etwas vor? Schien Wynfried nicht aus seiner freundlichen Liebenswürdigkeit heraus in neue, andere Stimmungen zu kommen? Verfolgte sein Blick nicht manchmal in besonderer Aufmerksamkeit die Gestalt seiner Frau, wenn sie in ihrer anmutsvollen Ruhe, schlank und vornehm dahinschritt? –

Und an Klaras Geburtstag sah er: es war keine Täuschung. Er war der Zeuge … wie sollte die Gegenwart eines Vaters, der seine Schwiegertochter anbetet, den jungen Gatten stören – er sah es: Wynfried befestigte selbst eine kostbare Brillantnadel, die er seiner Frau geschenkt, am Ausschnitt ihres Kleides, und seine Blicke suchten zärtlich, werbend ihre Augen. Klara erglühte …

Und in dem alten Herrn regte sich all das Feinste und Vornehmste, was in ihm war. Anstatt sich zu freuen, klopfte sein Herz ihm hastig – sein keusches Mannesempfinden war verletzt.

Auch Klara erbebte.

Seit ihre Seele wußte, was lieben, leiden und entsagen ist, war sie erwacht.

Sie wollte ihre Pflicht tun – auch als Gattin. Aber es war eine heiße Sehnsucht in ihr, ihr möge Zeit vergönnt sein. – Sie mußte erst weiter sein, weniger wund vielleicht. – Ihr Wille, über das Grab in ihrem Herzen hinweg sich doch noch zu dem Gatten hinzutasten, mußte erst die Anfänge von Sieg sehen. – Sie spürte: er begann, sich leidenschaftlich in sie zu verlieben. – Und in zitternder Angst bebte sie zurück – ohne zu ahnen, daß seine keimende Verliebtheit dadurch nur angefacht ward.

So, in schwülen Unklarheiten, liefen die Wochen in einen düstern Herbst hinein.

Es war an einem Morgen, an dem die Nebel gleich dickem weißem Filz vor den Fenstern standen und jeden Ausblick wehrten. Sie hatten das Hochofenwerk und drunten den Fluß und drüben die rote kleine Stadt verschluckt.

Da fuhr ein Auto am Herrenhause vor, und Agathe stieg aus. Ein Pelzmantel, dessen Rauhwerk nach außen gekehrt war, machte ihre üppige Gestalt allzu umfangreich. Die Nerzmütze auf ihrem blonden Haar trug als Schmuck über der Stirn einen kecken Reiherbusch. Ihr Gesicht war erhitzt. Zufällig war es Leupold, der ihr die Tür öffnete.

»Ach Leupold. Wie geht es Herrn Geheimrat? Und melden Sie mich doch bei der gnädigen Frau.«

»Herr Lohmann ist verreist,« sagte der alte Diener kalt und sah an ihr vorbei.

Agathe wurde noch heißer rot.

»Ich wünsche der gnädigen Frau gemeldet zu werden,« wiederholte sie. Sie gab sich eine hochmütige Haltung. Denn sie fühlte auf der Stelle, daß Leupold sie mit Absicht falsch hatte verstehen wollen.

Und dann stand sie peinliche Minuten. Ließ Klara sie warten? Fand der Diener die Frau des Hauses nicht gleich? Wurde sie vielleicht gar abgewiesen?

Alle Schrecknisse ihrer Lage stürzten über sie her. – Gewiß – Klara wußte schon alles und wollte sie nicht sprechen. – Aber eine Unterredung mit Klara, ein Anruf ihrer Großmut – und alles war ja gut! Was sollte werden, wenn es zu dieser Unterredung nicht käme?

Ach – gottlob! Da war Leupold wieder!

Und mit seinem undurchdringlichsten Gesicht meldete er: »Die gnädige Frau läßt bitten.«

Agathe wurde in das Wohnzimmer ihrer Freundin gelassen. Nun wartete sie zwischen den Möbeln, die von Klaras Mutter stammten, und das Bild der Toten sah auf sie herab. Fein und hell hob es sich von dem grünen Hintergrund ab. Wieder verrannen Minuten. Agathe zitterte. Dies war, dies mußte Absicht sein! Und als endlich sich die Tür öffnete, erschrak sie so, daß ihre Knie unsicher wurden.

Klara kam eilig herein – mit einem freundlichen Gesicht – unbefangen.

»Endlich einmal wieder – Agathe!« sagte sie beinahe fröhlich. »Verzeih, daß ich dich warten ließ. Doktor Sylvester war da. Denke dir: der fünfte Zahn ist bei unserem Jungen durch! Sein Großvater tut, als wäre es ein Wunder, ein persönlichstes Verdienst von Severin dem Kleinen.« Sie lächelte glücklich. »Aber nun sage – es war ja unglaublich mit uns – vier Monate einander immer zu verfehlen!«

»Das hat auch Mühe genug gekostet,« dachte Agathe.

Und in leidenschaftlicher Aufwallung von Reue, Beschämung und in dem unklaren Wunsch, durch jede Geste schon bittend, bezwingend zu wirken, fiel sie der jungen Frau um den Hals und küßte rechts und links ihre Wangen und war ganz aufgelöst vor Erregung.

»Liebste, einzige Klara!« stammelte sie.

Das war Klara etwas zu viel der Wiedersehensfreude. Aber sie bat gütig: »Lege doch ab – bleib zu Tisch – Vater und ich sind allein. Wynfried ist seit einigen Tagen fort. Er war zu einer Konferenz auf den Kreyser-Werken und ist dann nicht zurückgekehrt, wie wir dachten. Er depeschierte, er bleibe noch etwas aus – sein Telegramm kam aus Köln.«

 

Niemand wußte genauer als Agathe, daß Wynfried sich in Köln befand. Sie war von dort gestern abend zurückgekommen.

»Nein – nein – ich kann nicht hier bleiben,« sprach sie abwehrend. Und sie brachte allerlei heraus von Handwerkern auf Lammen, von der Modistin, die aus Berlin mit Anproben käme.

Dann saßen sie beieinander, auf einer Chaiselongue, in der Nähe des Fensters. Der bleiche Nebel draußen hing vor den Scheiben. Und Agathe war plötzlich stumm. Ihr Herz klopfte. Und in ihrem kleinen Hirn jagten hilflos die Gedanken, um die schöne, innige Rede wieder zusammenzubringen, die sie sich in zwei schlaflosen Nächten ausgesonnen. Eine Rede, durch die sie sich selbst immer wieder zu Tränen gerührt hatte, die auch Klara das Herz erweichen mußte! Mit deren Erfolg sie Wynfried überraschen wollte! Noch diese Nacht dachte sie nach Köln zurückzufahren. Aber eine Depesche sollte ihr vorauseilen – ihm sagen: alles ist geordnet.

Nun aber war die Rede fort. Völlig verweht im Sturm der Angst … Was sollte werden, wenn sie die rechten Worte nicht fände?

Ihr war so unheimlich zumute! Sie konnte das Gefühl nicht los werden, daß aus dieser unglückseligen Begegnung mit Likowski sich irgend eine Katastrophe entwickle. Ein größeres Pech konnte es auch gar nicht geben! Sie saß mit Wynfried in einem kleinen Weinrestaurant in der verborgensten Ecke. Oft waren sie schon dort gewesen, und sie hatten niemals eine Uniform dort gesehen, außer der der Bonner Husaren. Und nun kam eine kleine Gesellschaft, zwei höhere Artillerieoffiziere mit ihren Damen – und mit ihnen Likowski, in Zivil.

Es war ihr schrecklich gewesen, schrecklich! Aber Wynfried schalt sie aus – ach, er war nicht mehr der strahlende, anbetende Freund der ersten Zeit. Er sagte: »Likowski ist Kavalier, als solcher weiß er, daß er uns nicht zu sehen und zu erkennen hat.«

Aber Likowski kam dennoch heran – auf eine so fremde, ferne Art – einen Schritt vom Tisch blieb er und grüßte kalt. Und sprach in einem Ton, der nicht aus Agathens Ohren wollte: »Bitte, Herr Lohmann – auf ein Wort.«

Und Wynfried stand auf und folgte dem Hauptmann. – Sie blieben außer Hörweite stehen. – Steif und höflich sah es aus, wie sie ein paar kurze Worte zusammen sprachen. – Dann verneigten sie sich sehr förmlich voreinander.

Wynfried kehrte zu ihr zurück – leichenblaß und stumm, und wehrte allen Fragen ab. Und bat – nein – befahl, daß sie am nächsten Morgen abreise.

Von diesem Augenblick an erwuchs in Agathe der Gedanke: Klaras Großmut wird alles in das rechte Geleise bringen. –

»Nun?« fragte Klara. »Wie ist es dir denn in diesen letzten Monaten ergangen? Du warst viel mit deiner Gerwald auf Reisen?«

»Schlecht ist es mir ergangen,« sagte Agathe gedrückt.

»Dir? Schlecht?«

Das tiefe Erstaunen in diesen fragenden Wiederholungen war für Agathe eine Kränkung. Ihr Dasein kam ihr in diesem Augenblick sehr mühselig und beladen vor. Aber das war immer ihr Los gewesen: kein Mensch glaubte ihr, wenn sie litt.

»Ich bin sehr unglücklich,« sprach sie mit weinerlicher Stimme. »Wenn man entsagen und immer wieder entsagen soll …«

Klara erschrak. Kam ihr die gutherzige, törichte Frau wieder mit ihrem Liebesjammer?

Nur das nicht! Nicht diese kindischen Klagen hören, um einen, den sie selbst in heiliger Entsagung liebte. Das hätte ihre wunde Seele zu peinlich gequält.

Sie suchte nach einem ablenkenden Wort. Aber noch ehe sie es fand, warf sich die andere plötzlich gegen sie – umklammerte ihren Hals und fing schluchzend an, zu weinen.

»Mein Gott – Agathe – fasse dich doch …«

»Nein,« stammelte Agathe, »nein – ich habe alle Fassung verloren – ich kann nicht mehr – ich kam – weil du – du allein bist es, die mir mein Glück geben kann. – Leben – Ehre – Glück – alles …«

Was hieß das? Gab es denn, außer dem Vater, der ahnungsvoll ihr geheimstes Leid zu erraten schien und es andächtig beschwieg, gab es einen Menschen, der von ihrer Herzensqual wußte?

Und wie sonderbar drückend war ihr die Körperlast der Weinenden. Sie schob sie von sich und sprach mit blassen Lippen: »Ich habe kein Glück zu vergeben, und ich kann dir nicht helfen.«

»Doch: Gib ihn frei – laß ihn mir – ich liebe ihn über alles in der Welt – ich sterbe, wenn ich auf ihn verzichten soll.«

»Von wem sprichst du?« fragte Klara. Und zitterte vor dem kommenden Wort.

»Von Wynfried – von Wynfried!«

Das kam jammernd heraus – als umschlösse der Name allein alles Unglück ihrer Gegenwart.

»Von – von …?«

»Ich träume,« dachte Klara, »das ist ja Unsinn.«

»Hast du es denn nicht gespürt? Du mußt doch gemerkt haben, wie glücklich und froh er war. – Aber das ist es – so was kannst du nicht merken – du bist ja nur seine gute Freundin – du bist kalt – ach – du weißt nicht, wie es ist, wahnsinnig zu lieben. – Deshalb kann es dich auch nichts kosten, gar nichts, ihn frei zu geben.«

Verstummt, gelähmt saß die junge Frau. Die vergangenen Monate zogen in rasendem Fluge an ihr vorbei. Sie sah ihren Gatten – immer liebenswürdig, höflich – rücksichtsvoll – ohne Ansprüche an ihre Hingabe. – Wie war es friedlich – wie erlösend gewesen. – Aber nun. – Diese allerletzten Wochen? Umwarb er sie nicht? Begehrlich – wie ein Verliebter?

O Schmach!

Und unterdessen ging die jammernde Rede der anderen immer weiter – wurde ruhiger – nahm endlich den Ton des Rechtes an. Mit der Miene eines kleinen Mädchens, das seine ersten Liebessorgen hat – naiv – manchmal fast treuherzig. Und sie schloß: »Siehst du, geliebte Klara, ich habe dir ja nichts weggenommen. Ihr habt euch nicht aus Liebe, sondern nur dem Vater zu Gefallen geheiratet. Und Wynfried sagt, er sei eben damals so herunter und so willenlos gewesen, daß er sich habe verheiraten lassen. Deshalb brauche ich dir gegenüber auch kein schlechtes Gewissen zu haben. Ich hab’ dich auch viel zu lieb, als daß ich dir etwas hätte antun wollen. O nein, dazu bin ich ein zu anständiger Mensch. Laß ihn frei, damit ich sein Weib werden kann. Ich sterbe sonst …«

Und sie drückte ihr Taschentuch gegen die Augen.

Klara fuhr auf. Sie hatte gedacht – gedacht – und doch, in fiebernder Doppeltätigkeit, alles gehört.

»Vor einem Jahr wolltest du um einen anderen sterben.«

Agathe hörte wohl den Hohn. Aber sie fühlte jetzt zu leidenschaftlich, und alles war doch anders.

»Jetzt weiß ich erst, was wahre Liebe ist!« schluchzte sie.

Wie diese Tränen Klara schrecklich waren – sie wuschen alle Würde von den Worten.

»Du wirst entsagen müssen,« sprach sie hart.

»Dazu ist es zu spät,« sagte Agathe.

Und sie erschrak, weil sie es gesagt hatte! – Ihre Tränen versiegten – eine Art von Trotz kam ihr – sie wartete und sah die Frau an – die blaß, in aufrechter Haltung, mit verschlossenem Gesicht dasaß. – Wie von Unergründlichkeit umwittert. – Was würde ihr nächstes Wort sein?

Welche Drohung lag darin, daß es so lange ausblieb?

»Ich habe auch mein Recht!« dachte sie.

Und endlich fragte Klara – kurz und klar: »Schickt dich Wynfried?«

Agathe erschrak sehr. Sie war ja eigenmächtig hier! Ein dumpfes Gefühl sagte ihr, daß Wynfried diesen Schritt mißbilligt haben würde, weil – weil – er vielleicht gar nicht frei sein wollte.

Aber gerade das hatte sie hergejagt. Nach der Begegnung mit dem Hauptmann gab es nur noch eins: sich öffentlich zueinander bekennen. Als Held und Heldin einer unbezwinglichen Leidenschaft das Urteil der Welt gewinnen – sozusagen fast gesegnet von der ersten Frau des Geliebten.

Aber etwas kleinlaut sagte sie: »Nein. Ich kam, weil – weil – es so nicht weitergehen kann – ich habe solche Angst.«

Wieder schwieg die junge Frau lange. Sie erwog: vielleicht fühlt diese, daß er anfängt, sich von ihr zu wenden – mir zu. Und sie will sich deshalb zwischen ihn und mich werfen … Und vor ihrem Gedächtnis brannten seine begehrlichen, bittenden Blicke … O Schmach! Ein siedender Strom von Zorn und Abwehr brauste durch ihren Körper.