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Stephan sah wohl: der Schmerz, der bezwungen werden sollte, setzte sich in Aufregung um. Es hieß beschwichtigen.

»Man leistet ja heute Fabelhaftes! Ich bin sicher, Sie können in vierzehn Tagen reiten – wenn vielleicht auch noch nicht allein aufsitzen.«

»Nicht wahr? Man leistet Fabelhaftes! Aber, Marning – Ihre Versetzung … Ihr Urlaub … Sie müssen nun doch die Kompanie führen – bis ich selbst wieder so weit bin!«

»Es versteht sich von selbst,« sprach Stephan mit fester Stimme, »daß ich keine Schritte tue, bevor Sie wieder dienstfähig sind.«

Sein Gesicht war verschlossen – sein Blick in die Ferne gerichtet – ernst und fest.

»Der hat was Schweres – was Großes,« dachte Likowski, »und macht es still mit sich ab.«

Wie schwer wohl! – Wenn’s nicht mal einer treuen Kameradenseele anvertraut werden durfte …

Da er eine unwillkürliche Bewegung gemacht hatte, zerriß ein aufzuckender Schmerz seine Gedanken.

»Donnerwetter!« fluchte er. »Wo bleibt denn die Bande?«

»Es ist einfach unmöglich, daß schon Hilfe hier sein kann.«

»Und ich wälze mich im Dreck der Landstraße …«

Die vier Soldaten versuchten vergebens, mit den belaubten Zweigen, die sie herbeigeschleppt hatten, einen Baldachin zu bauen. Die Landstraße war nur obenauf feucht – ihr festgestampfter Bau nicht erweicht, und man konnte unmöglich diese schwankenden, schief abgebrochenen Äste in den Boden stecken.

Nun versuchten die Leute dem Daliegenden die Fliegen ab- und Kühlung zuzuwedeln.

»Nee – nee, Kinder – das nu nich – hier is nich Finale erster Akt Lohengrin – setzt euch da hin – man immer mitten ’rin ins patschnasse Gras – vielleicht sind eure Sitzböden wasserdicht. – So – nu – Donnerwetter …«

Die Soldaten grinsten und hockten sich am diesseitigen Rande des Chausseegrabens nieder. Stephan setzte sich auf den Meilenstein, der gerade dicht neben der Unglücksstelle stand. So warteten sie.

Aber Likowski war in dieser Lage nicht der Mann, still zu warten.

Er riß sich mit der Rechten das Taschentuch herab, das Stephan ihm über Kopf und Stirn gelegt, zum Schutz vor Sonne und Fliegen.

Wenn es doch nicht in vierzehn Tagen heilte! Und wenn noch in dieser Woche – in der nächsten vielleicht – die Mobilmachung begänne! Das machte ihn toll. –

»Auf eins bin ich gespannt: wird es eine Männerschlacht oder eine Maschinenschlacht werden?« sagte er.

»Ich glaube,« meinte Stephan, »daß man große Überraschungen erleben wird, und daß im letzten Grunde jeder Krieg eine Männerschlacht sein muß und wird. – Die Seele wird irgendwie ihr Recht behalten – Mut, Tapferkeit, Besonnenheit. Der Furor teutonicus – ja mein Gott – ist ein Krieg denkbar, ohne daß all das aufflammt? Wir stehen vor Rätseln – ich will selbst zugeben: vor scheinbar unlöslichen. Und dennoch: im letzten Ende wird es nicht auf die Maschinen, sondern auf den Mann ankommen – auf Disziplin und Opfermut und wahnwitzige Tapferkeit. – Und es wird nicht daran fehlen –«

»Gott segne Sie, Kamerad, für diese Ansicht! – Es sind auch meine Gedanken. – Die geben den zähen Mut zur Arbeit –«

»Herr Hauptmann!« schrie einer von den Vieren am Grabenrand. Und die anderen drei schrien aufspringend dazu: »Sie kommen!«

In der Perspektive der Chaussee raste was heran – Der Lazarettwagen – der »Kommißäskulap« auf Likowskis Stichelrappen.

»Na gottlob!« sagte der Hauptmann. Und eigentlich erschien ihm dieser Augenblick schon als Beginn der Heilung.

In der Tat fingen ja jetzt erst die Schwierigkeiten an. Die provisorische Einschienung, der Rücktransport – das kostete Mühe und Zeit. Likowski bestand darauf, in seiner eigenen Wohnung zu liegen. Da war die alte Doktorin Lamprecht und klagte emsig treppab und treppauf und lief unnütz herum und brachte doch Herzlichkeit und Fürsorge mit sich. Und Likowski war ja an ihre Wieselart gewöhnt und kannte ihr ergebenes Altfrauengemüt.

Und dann kam der Professor aus Lübeck und nannte den Bruch bildschön und geradezu ideal, und Likowski lächelte bloß – wenn auch recht grimmig – zu den unvermeidlichen Schmerzen. Chloroform verbat er sich schroff. Endlich lag er dann geradezu hübsch anzusehen da – großartig eingeschient – getragen von dem Glauben, daß seine Knochen flink und glatt wieder zusammenwachsen würden – frisch, als sei überhaupt gar nichts passiert.

Und er neckte die strahlende kleine graue Alte.

»Nu mal aus Ihrem Mächenherzen keine Mördergrube gemacht, Lamprächtige! Na – was? So ganz tief inwendig freuen Sie sich doch, mich hier fest zu haben. So als Ihr kleines Kind! Aber das sag’ ich Ihnen gleich: es wird ’ne kurze Freude. Ich stelze Ihnen, im Notfall – Sie wissen in was für einem! – ganz einfach die Treppen ’runter und weg – so wie ich da bin! Das Wasserglas hält wie Eisen.«

Die Alte lächelte selig verlegen – und wehrte den schändlichen Verdacht, als freue sie sich, mit vielen Gesten und Worten ab.

Stephan sah: er konnte nun gehen. – Er kam erst gegen zwei Uhr zu seinem Essen. Seit dem Morgengrauen hatte er nichts genossen. – Aber darauf muß ein Soldatenmagen eingerichtet sein. Nervös überhungert? Das gab’s doch nicht! Und dennoch. Er schob, vielleicht aus solcher Empfindung heraus, den Teller bald von sich – er saß und starrte auf das Tischtuch nieder.

Ja, nun wurde alles anders …

Sein Gemüt war schwer.

Er konnte nicht fortgehen. Wie er es sich und einer heißgeliebten Frau schuldig war.

Und sie würde es hören! Sie würde sofort den Grund begreifen und daß seine Pflicht ihn hier noch hielt. – Aber er wußte von selbst: sie hatte das Vertrauen, daß er es doch verstehen werde, sie zu meiden!

Sie kannten sich ganz genau – ohne Worte. – Ihre Seelen sprachen zueinander – ein geheimnisvolles Begreifen war zwischen ihnen – übertrug sich von einem zum anderen.

Sie waren füreinander bestimmt gewesen.

Aber sie war nicht frei! Also fort aus ihren Wegen!

Dem Schicksal als Mann von Ehre begegnen.

Und die Frau ehren, die er liebte!

Sie stand so hoch, daß nicht einmal eine Versuchung sie beunruhigen durfte.

Fort aus ihren Wegen!

Er betete sie an in seinen schmerzlichen, heißen Gedanken, weil sie ihn fortgewiesen.

Ihr ängstliches, verzweifeltes »Nein – nein«, womit sie seinen Blicken abwehrte, hallte immer in ihm nach.

Wunderliches Erleben, das aus einem »Nein« mehr Segen und Beglückung strahlen ließ als aus jedem hingebenden Wort …

Sie hatte gesagt, ihre Ehe sei unlöslich. Zwei lange Nächte voll Qual und Not grübelte er darüber nach.

Er mußte ihr Recht geben.

Keine Übereilung, kein Liebeswahn hatte sie in die Ehe hineingelockt.

Mit klarem Bewußtsein suchte sie in ihrer Ehe kein zärtliches Glück – sie gab ihr als Ersatz einen würdigen Inhalt, in sittlichem Pflichtgefühl.

Gerade diese Ehe, so geschlossen, mußte unzerbrechlich sein.

Und nichts durfte der teuren Frau die Erfüllung ihrer Pflicht erschweren! Seine Liebe durfte ihr keinen Kampf und keine Beunruhigung bringen. Er konnte sie ihr am größten dadurch beweisen, daß er still beiseite ging und fern und einsam litt.

Fort aus ihren Wegen …

Er stand auf. Ging nach seiner Wohnung. – Er merkte unterwegs: es tropfte – jene großen, schweren Tropfen begannen herabzuspielen, die einen prasselnden Gewitterregen einzuleiten pflegen. – Und da fuhr auch ein Blitz nieder. – Der jähe Schein strich ihm förmlich über die Augen. Ein Schlag polterte nach, und dann stürzte der dicke Regen hinterdrein, daß die Luft wie von Kristallperlen durchsät war. Und nach fünf Minuten war auch das vorbei. – Wie ein ganz merkwürdiges, kurzes Aufpochen all der droben auf der Lauer liegenden Gewalten war das gewesen …

In Stephans Zimmer brütete stumpfe Hitze. Voß hatte die Fenster geschlossen gehalten. Luft! – Fenster aufgestoßen! – Die Litewka her. – Eine halbe Stunde Ruhe. – Um vier wieder Dienst. –

Voß meldete: da liege ein Brief.

Stephan hatte ihn nicht bemerkt zwischen all den Büchern und Papieren auf dem Schreibtisch. Seine Gedanken waren nicht, wie die jener Menschen, die große Korrespondenz haben, zuerst auf den Posteingang gerichtet, wenn er heimkam.

Voß sagte: Georg, des Herrn Hauptmanns früherer Bursche, habe ihn gebracht.

Stephan sah schon – das waren die Schriftzüge des Geheimrats.

Sofort überfiel ihn Unruhe. Die bloße Ankunft eines Briefes von drüben bewies ja, daß die Fäden sich schwer zerreißen ließen – ja, daß sie gar nicht zerrissen werden konnten, ohne daß Aufsehen entstehe.

Er besah die Aufschrift. Schon in diesen großen, steilen Buchstaben spürte man die Herrscherhand, die sie hingesetzt:

»Stephan Freiherrn von Marning, Oberleutnant im Infanterieregiment Großherzog Paul.«

Und als er las, wuchs seine Unruhe.

»Lieber Marning! Ich möchte mit Ihnen sprechen. Für Sie vielleicht Wichtiges. Besuchen Sie mich heute gegen Abend. Wenn Sie zum Essen bleiben können, freut es uns. Welcher Plural aber nicht meinen Sohn miteinschließt. Er ist verreist. Telephonieren Sie, ob ich Sie erwarten darf. Freundschaftlich der Ihre Severin Lohmann.«

Es war ihm sogleich klar, daß er dieser geforderten Unterredung nicht aus dem Wege gehen könne. Und ebenso gewiß wußte er, daß es ihm unmöglich sein werde, mit diesen beiden Menschen im engsten Kreis traulich zusammen am Abendtisch zu sitzen. Sich bezwingen in Blick und Wort, steif, fremd tun – vor den durchdringenden Augen dieses Mannes! Das holde, sanfte Glück genießen, die geliebte Frau in ihrer töchterlichen Fürsorge um den Vater zu sehen. – Ihr Wesen war heiterer, offener, bezaubernder, wenn ihr Gatte nicht neben ihr stand – wenn all ihr Dasein nur dem hilfsbedürftigen alten Mann zu dienen schien. – Und sie! Würde sie das ertragen, ihm noch an ihrem Tische zu begegnen? – Nein!

Er ging hastig auf und ab und dachte nach. – Sein Dienst – der verunglückte Kamerad – dieser Ruf nach drüben …

 

Voß wartete und stand in seinem weißgrauen Leinenanzug stramm.

Er war kein Genie im Telephonieren. Er hatte schon die fabelhaftesten Bestellungen und Auskünfte in die Welt hinausgesprochen.

Wie nun sein Oberleutnant stillstand und ihn ansah, verhedderten sich seine Gedanken schon vorweg, und er ahnte Trübes.

Aber in der Tat sah Stephan ihn gar nicht – er hatte diesen vertieften Blick, der in die Dinge sich hineinzubohren scheint, während er sie gar nicht bemerkt.

Plötzlich wußte er, wie er alles einrichten konnte. Mit rascher Hand ließ er den Bleistift über einen Zettel gleiten, und um jedem Irrtum vorzubeugen, mußte Voß den Inhalt laut vorlesen. Er tat es mit seiner nasalen, breiten, niedersächsischen Aussprache. Es berührte Stephan eigen, daß unfreiwillig humoristisch laut durchs Zimmer klang, was für ihn voll geheimer Aufregungen war.

»Leupold ans Telephon fordern. Bestellen: Oberleutnant von Marning lasse vielmals danken. Er werde sich erlauben, um sechs zu kommen. Zum Abendessen könne er nicht bleiben. Es sei dem Herrn Hauptmann ein Unfall zugestoßen und der Oberleutnant wolle den Abend bei ihm verbringen.«

Voß machte kehrt und marschierte zur Tür, als schwenke er in Reih und Glied im Zuge ab.

Lange noch stand Stephan in schwerem Nachdenken. Aber er war doch voll Ruhe.

Er wußte es: sie würde es verstehen, ihn nicht zu treffen, wenn er ihr Haus betrat.

Jede Begegnung wäre quälender Schmerz und eine Verhöhnung des Abschieds, den sie in schweigendem Verstehen voneinander genommen. –

Und dann mit einem Male kam die Frage: Was will der alte Herr mit mir? Wichtiges? Die Unsicherheit regte ihn doch auf.

Um dieselbe Zeit etwa, als der Hauptmann an sich erfuhr, daß auch der beste Reiter stürzen kann, besuchte Klara ihren Schwiegervater. Er saß bei offenen Fenstern im Erker, und um seinen mächtigen Ledersessel herum waren die mechanischen Tische mit Schriftstücken bedeckt. Gerade ging Lebus, der Sekretär, mit den Stenogrammen, um sie auszuarbeiten. Ehe er noch die Tür erreichte, rief ihm der Geheimrat nach: »Und Georg soll sofort meinen Brief hinübertragen. – Ach – Klara! Mein Kind – Ich hab’ schon gewartet, wo du bleibst!«

Sie küßte ihm die Stirn.

»Guten Morgen, Vater – ich wagte nicht, zu stören. Du weißt, jetzt geht der Verunglückte sogar dir vor. Als ich von Severinshof zurückkam, hattest du schon den Generaldirektor bei dir. Ich hörte eure Stimmen, als ich eintreten wollte. Und dann weiß ich ja – halb elf kommt Lebus.«

»Ja. Thürauf kam sofort aus dem Auto zu mir herauf. Hatte den Nachtzug von Rotterdam nach Hamburg benutzt, wo ja gleich Anschluß ist. Kannst dir denken, wie bekümmert und ärgerlich er war! Durchbruch! Produktionsstörung! Ein Mann verunglückt! Wie geht es ihm denn?«

»Sylvester hat heute mehr Hoffnung als gestern. Die Nacht war gut. Und ich bin bei dem Mädchen gewesen, das der Mann liebt. Ich habe mit ihr gesprochen. Sie war verlegen und mitleidig. Sie will ihn besuchen und ihm verzeihen.«

Der Geheimrat lächelte.

»Du bringst sie noch zusammen.«

»O nein,« sagte Klara, »nein – wie sollte ich das wagen. – Wenn sie ihn nicht liebt …«

Er hörte die heftige Abwehr in ihren Worten. Sie fühlte selbst: sie hatte es zu leidenschaftlich gesagt.

Eine kurze Stille, schwer von Inhalt, legte sich über beide. Klara wollte diese Befangenheit zerstören.

»Ich denke,« sagte sie, »man wollte Thürauf nichts von dem Vorfall depeschieren? Es hätte ja auch keinen Zweck gehabt. Aber er kam sofort zu dir herauf? Das sieht doch aus, als wußte er schon? … Ach – vom Chauffeur …«

»Nicht der Chauffeur. – Denk dir – von Wynfried!«

»Von Wynfried?« wiederholte sie in großem Erstaunen, »der ist doch heute früh mit der ›Klara‹ nach Warnemünde gesegelt – begleitet als Outsider die Wettfahrt – wollte doch an Bord übernachten?«

Er hatte sich den Sonnabend, trotz des schweren Vorfalls auf dem Werk, in einer so fröhlichen Stimmung gezeigt, wie weder sein Vater noch seine Frau ihn je gesehen. Am späteren Nachmittag war er mit dem Motorboot nach Travemünde gefahren, wo ja zurzeit auch die »Klara« lag. Er wollte den Bierabend des Jachtklubs mitmachen, der unter dem Vorsitz des Kaisers stattfand. Vater und Frau fanden es selbstverständlich. Am Sonntag vormittag, so war der Plan, sollte die »Klara« dann die Wettfahrt in der Lübecker Bucht begleiten, später dachte Wynfried am Klubessen im Kurhause teilzunehmen und am Montag früh mit nach Warnemünde zu kreuzen. Es erschien als das bequemste, von Sonnabend an Wohnung an Bord zu nehmen, um so mehr, als nun Klara an den Vergnügungen des Sonntags nicht teilnehmen wollte. Auf Wynfrieds Wunsch war sie dazu entschlossen gewesen; er hatte sich sogar vor einigen Tagen das Kleid zeigen lassen, in welchem sie bei dem Festdiner erscheinen sollte. Ihr Hang zur Einfachheit war ihm immer beunruhigend.

Aber nun konnte sie nicht. – Alles in ihr wehrte sich gegen Fest und Lärm und Frohsinn. – Würden nicht die Augen des Verunglückten ihr immer zusehen? Diese Augen voll Qual?

Und die Erschütterungen, die durch ihr geheimstes Seelenleben gegangen? –

»Verzeih,« bat sie, »daß ich dich nicht begleite. Wenn du den armen Judereit in seinem ersten grauenvollen Schmerz gesehen hättest, möchtest du auch nicht. Und ich habe ihm versprochen, ihn dreimal am Tage zu besuchen.«

»Du bist sentimental,« antwortete Wynfried scherzend, »das hätt’ ich nicht vermutet. – Aber wie wird es nun? Ich hatte deine Freundin Agathe nebst Duenna eingeladen, uns Sonntag vormittag zu begleiten?«

»Aber Agathe soll sich doch durch mein Fernbleiben nicht stören lassen. – Und Fräulein von Gerwald ist doch dabei –«

»Ja, die wahrt immerzu das Dekorum. – Das ist ihre Mission, ihr Beruf, ihr Schicksal,« lachte Wynfried.

Wie dankbar war Klara, daß er keine Verstimmung zeigte. Und sie rühmte sein liebenswürdiges Wesen vor seinem Vater.

So nahm er für mehrere Tage Abschied und stellte es als wahrscheinlich hin, daß er von Warnemünde aus noch nach Rügen oder vielleicht nach den dänischen Inseln hinübersegeln werde.

Und nun hatte der Generaldirektor ihn in Lübeck getroffen, auf dem Bahnsteig der Hamburger Züge. Der Vater erzählte, was Thürauf berichtet: Wynfried habe vorgezogen, im Hotel zu übernachten, und nach einer etwas allzu späten Sitzung mit Klubfreunden dann die Zeit verschlafen. Das Gewitter sei dazugekommen – er habe den schweren Seegang gefürchtet, etwas verkatert wie er sei, und die »Klara« allein lossegeln lassen, um sie nun in Warnemünde wieder zu treffen, wohin er mit der Bahn fahre.

Klara lächelte und meinte: das wirke nicht sehr sportmäßig …

Der Geheimrat lächelte nicht. Er hatte in Thüraufs kühlen, klugen Augen einen besonderen Ausdruck gesehen. Eine ferne, leise Unruhe wollte aufsteigen: war es vielleicht dem Generaldirektor aus irgend einem Grunde zweifelhaft, daß Wynfried auch wirklich nach Warnemünde fuhr? Es gibt so lächerlich kleine Umstände und Zufälle, die verräterisch sind. Ein Billett, das aus der Hand fällt – der Fahrplan, der aussagt, daß um diese Zeit gar kein Zug nach dem angegebenen Ziel fährt … Aber nein. – Was für törichte Mißtrauensgedanken. – Wozu brauchte Wynfried Heimlichkeiten? Er konnte kommen und gehen, wann und wohin er wollte. – Keine Tyrannei, keine Fragen belästigten ihn.

Und er bat in seinen beschämten Gedanken dem Sohn ab, daß er immer noch nicht felsenfest im Glauben an ihn sei.

»Ich habe uns zu heute abend einen Gast eingeladen,« sagte der Geheimrat nun. Und auf Klaras fragenden Blick fügte er hinzu: »Ja – Marning.«

Sie erschrak. Aber auf dergleichen hatte sie vorbereitet sein müssen – war es auch, denn sie wußte ja, daß er seinen Posten nicht sofort verlassen könne. Da waren Formalitäten zu erfüllen – ein Offizier ist kein freier Mann. Sie wußte auch sofort, wie sie ihm ausweichen könne.

Denn es schien ihr wie Entweihung, ihn noch einmal zu sehen.

An das feierliche Lebewohl durfte sich nicht das Nachspiel alltäglicher Begegnungen voll Heuchelei hängen.

Sie sprach, ein wenig stockend: »Und ich wollte dich gerade um Entschuldigung bitten – ich war so lange nicht bei Agathe – ich wollte sie heute am späteren Nachmittag besuchen – wenn sie mich dann zum Abendbrot –«

»Aber Kind! Warum so verlegen, weil du mal einen kleinen eigenen Plan hast! Wenn dich die Gewitterluft nicht stört – ich fürchte, es gibt noch was – wie sticht die Sonne! – Im Grunde ist es vielleicht ganz gut, daß ich Marning allein habe. – Möchte viel mit ihm reden reden – Wichtiges.«

»Du?!« fragte sie. »Du – mit ihm?«

Sie saß ganz befangen und verwirrt auf ihrem Stuhl da – die Hände um ihr Knie gefaltet, vorgebeugt – und dachte immer: »Es ist doch schwer. – Das muß ich lernen –«

Gleichgültig von ihm sprechen. –

»Ja, mein Kind, was wirst du sagen: ich will ihn auffordern, ganz zu uns zu kommen!«

Sie fuhr in die Höhe – stand leichenblaß da – ein Laut brach von ihren Lippen – fast ein leiser Schrei.

Das kam zu jäh – darauf hatte sich ihr Herz nicht rüsten, sich nicht vorweg mit Haltung umpanzern können.

Und der alte Mann sah sie an – in einem tiefen Erstaunen, das in eine langsam heraufdämmernde Angst überging.

Was war das? …

Und nun sagte die junge Frau mit fliegendem Atem und befehlend – ja befehlend: »Das wirst du nicht tun!«

Sie, die Bescheidene, stand da wie eine Herrscherin.

Und was flammte denn in ihren Augen?

Der Alte fühlte sein Herz klopfen. Aber er vermochte doch mit leidlicher Ruhe zu fragen: »Und warum nicht?«

Sie antwortete nicht gleich. Sie konnte sich nicht in seine Arme werfen und sagen: »Weil ich ihn liebe – weil ich es nicht ertragen könnte, ihn immer, immer sehen zu müssen …«

Sie ging mit hastigen Schritten im Zimmer hin und her.

Plötzlich dachte sie: »Meine Mutter hat das gleiche getragen!«

Wie ein Segen kam der Gedanke über sie.

Es gelang ihr, sich zu fassen. Sie fühlte: mit der Schwere der Prüfung mußte und würde ihre Tapferkeit wachsen.

Sie begriff, nun hieß es: lügen!

Hatte sie sich nicht schon verraten? Die Wahrheit nur zu ahnen, würde schon eine zu schwere Last für das Gemüt des alten Mannes werden – nein, die konnte und sollte er nicht tragen.

Sie auf ihn wälzen, hieße: ihre Tat des Dankes auslöschen –

Woher eine Lüge nehmen?

Lügen müssen glaubhaft sein – sonst sind sie noch schlimmer als harte Wahrheiten.

»Wenn ich sagte: Wynfried wird eifersüchtig werden, daß man einen solchen Mann zu seinem Mitarbeiter ausbilden will?«

Vielleicht war es nicht einmal eine Lüge. Klara kannte ja ihren Gatten gar nicht. Sie kannte einen schönen, immer verbindlichen, liebenswürdig-freundlichen Mann von angenehmsten Formen und vornehmen Lebensgewohnheiten, der in den ersten Monaten ihrer Ehe auch in zärtlichen Aufwallungen sich als Liebender gebärdet hatte. An dem urteilsfähige Beobachter eine starke und raschbewegliche kaufmännische Begabung festgestellt hatten.

Von dem, was an Möglichkeiten im Grunde seines Wesens schlummerte, wußte sie nichts. –

So blitzschnell das alles durch sie hinging – sie fühlte doch: dies große, forschende Auge ruhte wartend auf ihr. Und sie sagte, was ihr eingefallen war.

»Weil Wynfried eifersüchtig werden könnte, wenn du einen anderen heranziehst, der sich möglicherweise zu einem Rivalen heraufarbeiten kann.«

»Keine Sorge,« sprach der Geheimrat, »ich habe Wynfried von meinem Einfall gesagt – er ist mir nicht von gestern auf heut gekommen. – Und Wynfried ist sehr einverstanden. Der ist froh über jeden Mitarbeiter, der ihn entlastet. – Und wenn Marning nach ein paar Jahren sich so eingearbeitet hätte, daß man ihn an eine leitende Stelle setzen kann, wäre niemand zufriedener als Wynfried. Ich muß es einmal aussprechen: sein Interesse am Werk ist das des Sportmannes. – Es ist nicht diese umspannende, ideale Empfindung, die das Volkswirtschaftliche, Wissenschaftliche, das Kulturelle in unserer Tätigkeit fast noch über den Gewinn stellt … In Marning habe ich ein merkwürdiges Verständnis, ja eine Begabung für all dies erkannt. Denke doch auch, welche Aussichten für ihn, der so arm ist …«

Sie fühlte, daß die großen Augen eine besondere Wachsamkeit behielten – fühlte sich belauert. Und nahm sich noch fester in die Hand.

»Nun – dann!« sagte sie. Und sie dachte: »Wie dürfte ich ihm zerstören, was ihn in freiere, größere Verhältnisse bringen kann?«

Mochte er entscheiden nach seinem Willen und Wunsch!

»Wir werden stark bleiben,« dachte sie. Und es war wie ein Schwur!

Aber die forschenden Augen mußten ja getäuscht werden.

»Wie du immerfort voraussorgst, Vater,« sagte sie. »Manchmal denk’ ich, du bist wie ein Forstmann, der die Setzlinge pflanzt, die erst späteren Generationen als große Bäume Schatten geben können. Wenn wir alle mal nicht mehr sind, wird dein Enkel als Greis noch sagen: das hat mein Großvater begonnen.«

 

»Ich weiß nicht, Klara. Vielleicht ist alles Vorausdenken Kurzsichtigkeit – vielleicht sind wir bei unserer Arbeit von Schranken umgeben, die wir nicht einmal ahnen, weil uns noch die Möglichkeit fehlt, sie zu erkennen. Dein Sohn vielleicht wird sie spüren und zersprengen. Wer will denn heute sagen, unter welchen Bedingungen mein Enkel einmal das Eisen aus den Erzen schmilzt! Vielleicht wirft die Wissenschaft uns bald unsere braven Winderhitzer um und macht die Gebläsemaschinen unnötig, mit denen wir den Koks im Hochofen die heiße Luft zublasen, damit sie rascher brennen. Wir wissen ja schon, daß wir dabei als Ballast all den Stickstoff in der Luft mitschleppen. Vielleicht glückt es schon bald, daß wir reinen Sauerstoff verwenden können. Versuche sind schon im Gange. Sie haben ergeben, daß die Leistungsfähigkeit der Hochöfen, bei geringerem Koksverbrauch, erheblich gesteigert würde. Und der abfallende Stickstoff ließe sich dann wieder zu Salpetersäure und Kalkstickstoff für landwirtschaftliche Zwecke verwerten.«

Er seufzte.

»Sieh mein Kind,« schloß er melancholisch, »wenn ich an all diese Entwicklungen denke … Schwer ist es, sich zu sagen: du mußt davon. – Man möchte wissen, wie es weiter wird, welche Wunder noch zu Selbstverständlichkeiten werden. In dieser Begierde, zu wissen, die vielleicht jedem Menschen eingeboren ist, der etwas Phantasie hat, liegt das Geheimnis des Erfolgs von Büchern, die uns die Zukunft vormalen. Man scheint beim Lesen in ihr mitzuleben. Merkwürdig schwer, sich vorzustellen: ich bin einmal nicht mehr dabei. – Es muß doch wohl so ein Stück Unsterblichkeitsrecht in uns stecken.«

Nun dachte Klara: er ist abgelenkt – er sucht nicht mehr, weshalb ich so erschrak …

Er aber dachte: Noch schwerer wäre es, fort zu müssen, wenn Zerstörungen drohen. – Weshalb entsetzte sie sich so? Was will da an mein Haus herankommen? …

Bald nach drei Uhr, als eben rasch verprasselnder Gewitterregen mit einem Blitz und Donnerkrach vorbeigezogen war, kam Leupold mit einer Bestellung. Marnings Bursche hatte diesmal genau telephoniert.

Klara hörte mit ruhigem Gesicht und sprach: »Also kein Gast zum Abend. – Sagen Sie meinem Schwiegervater, daß ich nur einen kurzen Besuch auf Lammen machen würde und ihm beim Abendessen jedenfalls Gesellschaft leistete. – Ach – ja – und: fragen Sie doch nachher einmal bei Frau Doktor Lamprecht an, was für ein Unfall denn das ist, den Herr von Likowski hatte …«

Der Himmel verdüsterte sich und ward hell – dies launische Wetterleben da oben verhieß nichts Gutes. Der besorgte alte Herr ließ durch Leupold noch besonders darauf aufmerksam machen. Aber Klara blieb eigensinnig dabei: sie habe es sich nun einmal vorgenommen.

Sie wollte nicht im Hause sein, wenn Stephan es betrat – gerade heute nicht. – Eine zufällige Begegnung war möglich, ein Ruf des alten Herrn konnte sie herbeizwingen. Und heute, wo eine so große Frage an ihn herankam, sollte kein Blick von ihr, kein Beben ihrer Stimme zu einem Einfluß werden. –

Halb sechs fingen die Wolken an, ihren Inhalt herabzuschütten. Und als der alte Herr trotzdem unter seinem Fenster den hellen Warnruf des Gabrielshorns hörte, hinter dem drein gleich die Hupe ihren dunkeln Laut ertönen ließ, da wußte er: Klara fuhr davon!

Seine Stirn runzelte sich. Er dachte wieder an den angstvoll ausgestoßenen Befehl – sah wieder ihren Schreck und das, was aus ihren Augen flammte.

Und er fragte sich kaum noch – er fühlte: sie flieht vor diesem Mann!

Sein Ausdruck wurde gramvoll. –

Und Klara fuhr im Regen. Er sprühte herein und sprengte Tropfen auf ihr hellgraues Kleid. Sie beachtete es nicht. Sie hätte die schwüle Luft in geschlossener Karosserie nicht ertragen.

Zum erstenmal empfand sie die Schnelligkeit des Fahrens als Wohltat für die Nerven.

Über die Hochbrücke glitt mit dumpfen Schüttern das Auto. Blitzschnell huschte das Bild des Flusses am Auge vorbei, und eine Sekunde haftete das blaugraue Band, auf dem eine Schlange dahinkroch, deren Kopf rauchte: ein Schleppdampfer mit mehreren langen, bedeckten Lastkähnen hinter sich drein; und der Regen, der sich darauf herniederstürzte.

Die Landschaft flog vorüber. Und diese Flucht der Dinge nötigte der Seele Ruhe auf. –

Klaras Auto bog von der Landstraße ab und in die noch junge Allee hinein, die zwischen jetzt tropfenden Ebereschen bis an das Portal von Lammen führte.

Aber als man vor diesem stattlichen Portal hielt, öffnete es sich nicht. Niemand eilte dienstbeflissen herzu. Klara saß und wartete, ihr Chauffeur ließ die Hupe wiederholt rufen.

Endlich zeigte sich im Fenster einer der sonst Blausilbernen in gestreifter Leinenjacke. Als er erkannte, wer im Auto saß, kam er herausgerannt.

Frau Baronin würden gewiß sehr bedauern. Die Damen seien heute vormittag abgereist.

Klara sagte: »Abgereist?«

Das klang fragend und erstaunt – während sie nur dachte: nun komme ich zu früh zurück.

Der Diener meinte, nähere Auskunft geben zu müssen. Förmlich vertröstend setzte er hinzu: »Wahrscheinlich nur auf einige Tage. Ich habe nicht genau verstanden, ob nach Hamburg oder nach Hannover.«

»Nun, ich spreche ein andermal wieder vor.«

Sie hatte sich entschlossen: sie wollte noch nach Pankow. Das dicke Ehepaar würde sich vielleicht wundern. – Gleichgültig. – Und so brauste denn das Auto weiter ins Land hinaus, vom Regen begossen, mit dem kleinen Schweif von Rauch hinter sich. –

In seinem Riesensessel thronend erwartete unterdessen der alte Herr seinen Besuch. Nicht mit dem freien, wohlwollenden Gefühl des väterlichen Freundes, der einem ihm sympathischen und von ihm hochgeachteten jungen Mann eine Lebenswendung zum Unabhängigen anbieten will. In dieser Stimmung hatte er ihn herberufen. Sie war zerstört. Unruhe und Wachsamkeit war an ihre Stelle getreten. Voller Spannung, von nervöser Ungeduld durchzittert fragte er sich: »Wird Marning ebenso erschrecken wie Klara?«

Und wenn das geschah, dann mußte er die Gründe erfahren – er mußte!

Das Herrische in ihm verband sich mit der heißen Liebe zu seiner Tochter.

Er ertrug keine Unklarheiten vor ihrem Bilde. –

Mit der Pünktlichkeit, die der Geheimrat erwartet hatte, wurde ihm der Freiherr von Marning gemeldet.

»Wie farblos und wie ernst er aussieht,« dachte er.

Aber da war ja erst allerlei anderes zu besprechen; der Geheimrat wußte schon: Likowski hatte den linken Unterschenkel gebrochen. Und er sprach lebhaft davon, wie dem Manne zumute sein müsse, in einem Augenblick so jämmerlich als Opfer eines schikanösen Unfalls festgebunden zu liegen, wo die Kriegsstimmung durch Deutschland fieberte.

Und zwischendurch sah er unruhig nach dem Fenster, denn der Regen nahm den heftigsten Charakter an und strich schräg und dicht hernieder. Und er sagte, daß es seiner Tochter beigekommen sei, in diesem Wetter auszufahren.

Ihm entging nicht das Aufblitzen in dem Auge des jungen Mannes.

Stephan dachte: ich habe es gewußt!

Und dann erlaubte er sich, daran zu erinnern, daß er in wichtiger Sache hergerufen sei.

Der alte Herr legte seine Hände auf die breiten Armlehnen und richtete seinen Kopf gerade auf. Wenn er in dieser Herrscherhaltung zu den tiefer vor ihm Sitzenden herab sprach und sah, hatte er immer etwas von einem Richter und Regenten, dessen Willen schwer zu entrinnen sei.

Auch Stephan wurde von dem Gefühl bedrückt, daß jetzt ein Reiferer und Größerer ihn gleichsam in die Hand nehmen wolle – um mit ihm nach Befund und Gefallen zu verfahren.

Und daß diese Augen bis auf den Grund seines Herzens sehen würden …

»Ich meine, lieber Marning, es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß ich herzlich Teil an Ihnen nehme.«

Stephan verneigte sich im Sitzen.

»Es ist mir nicht entgangen, Herr Geheimrat,« sprach er. »Schon bei den gelegentlichen Begegnungen im Hause meiner Verwandten fühlte ich mich durch die Aufmerksamkeit geehrt, die Sie mir schenkten. Und die gütige Aufnahme, die ich hier gefunden habe, empfinde ich mit Stolz und Dank.«