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»Liebste Baronin – eine Frau wie Sie – so schön – verzeihen Sie, aber diese Ihre Worte geben mir die Pflicht, deutlich zu sprechen – so wundervoll schön – so ganz hingebende Weiblichkeit – so voller Herzensgüte – die muß und wird Liebe finden – keinen ›Käufer‹ – nein, einen leidenschaftlich liebenden Gatten.«

Agathe sah ihn mit ihren schwimmenden Blicken halb beseligt, halb bekümmert an.

»Wenn Sie so sprechen. – Und doch – glauben Sie mir – es scheint, mir ist die Gabe versagt, Herzen zu gewinnen.«

Sie drückte ihre Hand gegen die Augen. Sie wirkte nicht viel anders als ein Backfisch, der in unruhiger Überfülle unklar drängender Empfindungen mehr ausspricht, als geschmackvoll ist.

»Ja, die Weiber!« dachte Wynfried sehr angeregt. Die Siebzehnjährige vorhin hatte ihn von Geschäften und Zahlen und mit Bosheiten unterhalten, und diese reife Frau sprach wie ein sentimentales Mädel.

Aber ein so bekümmertes und verschmachtendes Frauenherz ganz ohne Trost zu lassen, wäre völlig gegen Wynfrieds Art gewesen.

Er nahm sacht die Hand, die weinende Augen verborgen hatte. Er dachte sich wohl, daß dies noch die allerletzten Tränen seien, die dem unerbittlichen Stephan nachflossen. Und er hatte längst herausgefühlt, daß bei Agathe in die abschwindende Liebe sich schon eine neue Verliebtheit mischte – wie der Mond noch, immer mehr verblassend, am Himmel steht, wenn die Morgensonne sich strahlend erhebt.

Er hielt tröstend und innig ihre Hand zwischen seinen beiden.

Er sah ihr tief in die Augen, und seine Blicke sagten ihr, daß sie ganz gewiß die Gabe habe, Herzen zu gewinnen.

Es schien ja eigentlich kein Grund zum Erröten vorzuliegen. – Aber Agathe errötete doch – und ihr Atem fing an, rascher zu gehen.

»O,« rief Fräulein von Gerwald, »Fehmarn!«

Sie stand auf und stieg vom Sitzplatz aus die zwei Stufen empor auf Deck. Ihr Herz klopfte … Dieser Blick zwischen den beiden … Gottlob, daß da gerade Fehmarn war …

Hingebreitet in den blauen Fluten lag die flache Insel, mit ihrem hellen Sandstrand, ihren goldgelben, reifenden Ährenfeldern und dem kleinen Städtchen Burg mit seinen dunklen Dächern unter und zwischen der Ehrwürde uralter Ulmen und behaglicher Obstbaumwipfel. So liebenswürdig pastoral tauchte der Kirchturm aus dem Gehäufe der Ortschaft auf.

Man war nah genug, alles zu erkennen, und doch noch so fern, daß jede etwa störende Kleinigkeit der Uferszenen verschwand. Ein Bild wie von kluger und sehr feiner Kunst hingemalt.

Und zur Rechten das weite, uferlose Meer, im letzten Glanz der Sonne, die hinter der Küste zur Linken unterging. Voraus öffnete sich der schmale Fehmarnsund.

Das alles war sehr schön, und Fräulein von Gerwald, die am Kajüteneingang lehnte und hinaussah, dachte immerfort, von schwersten Zweifeln geplagt, ob es nicht ihre Pflicht sei, ihre Herrin darauf aufmerksam zu machen, oder ob sie klüger handle, sie ungestört mit Herrn Lohmann zu lassen. Und außerdem: war es nicht Zeit, zu Abend zu essen? – unten warteten Hummer! – Und war es nicht Zeit, umzukehren? Wann kam man nach Haus? Großer Gott – es konnte sehr spät werden. –

Agathe schien jetzt keine Neugierde auf Fehmarn und den reizvollen Anblick der korngelben Insel im Rahmen blauer Wogen zu haben.

»Sie sind immer wie ein wahrer Freund zu mir,« sagte sie halblaut, »dafür bin ich Ihnen so dankbar.«

»Ich wünschte nur, ich sähe eine Möglichkeit, Ihnen Ihr oft so schweres Gemüt zu erhellen.«

»Mag Klara es aber auch haben, wenn Sie so freundschaftlich um mich besorgt sind?« fragte Agathe bedenklich. Sie hatte doch Klara wirklich lieb – teils aus ihrem allgemeinen Bedürfnis zum Lieben, teils weil sie sie neidlos bewunderte – neidlos, aus dem unbewußten Gefühl heraus, daß Klara nichts daran lag, Gefallen zu erwecken.

»Ich bitte Sie!« sprach Wynfried sehr lebhaft. »Klara und einem Menschen etwas nicht gönnen: das gibt es gar nicht. Und noch dazu Ihnen – ihrer Freundin …«

»Ja, sie ist so selbstlos und gütig,« seufzte Agathe.

»Eine famose, großartige Frau! Ich weiß nicht – Sie sind doch Freundinnen – hat sie sich je über unsere Ehe ausgesprochen?«

»Nie. Klara spricht nie von sich – sie ist so verschlossen. Ich bewundere es.«

Wynfried neigte sich noch näher herüber und sprach, beinahe flüsternd: »Sehen Sie, liebste Freundin – im tiefsten Vertrauen! Man muß meine Ehe mit Klara anders beurteilen – wie wohl sonst Ehen. Wir haben uns gewissermaßen meinem Vater zu Gefallen verheiratet. Wissen Sie – als ich heimkam – Gott, es sind schon dreizehn Monat seitdem, wie ist es möglich! Da hatte ich so viel Schweres durchgemacht – eine Frau hatte mich verraten …«

Agathe preßte seine Hand.

»Sie! Verraten?! Das konnte ein Weib?«

Und er hörte wohl, daß sie es unfaßlich fände, ihn zu lassen, wenn man von ihm geliebt sei …

Er erwiderte dankbar den Händedruck.

»Und damals war ich so angeekelt vom Dasein, daß ich mich nicht viel wehrte, als Vater in einer raschen Heirat mit Klara für mich die einzige moralische Rettung sah. – Heut freilich – heut gelänge es Vater freilich nicht so leicht, mich einzufangen!« Er lachte leise auf – als spreche er von sehr drolligen, wenn auch höchst liebenswürdigen Geschichten. »Ja – und Klara – ich dachte erst, sie sei in mich verliebt – man neigt als etwas verwöhnter Mann zu arroganten Einbildungen. – Aber nein – Klara hat eigentlich nur so ’ne schwesterliche Hingebung für mich. – Geheiratet hat sie mich wegen Vater – etwas aus Dankbarkeit und besonders, weil sie ihn vergöttert.«

»O,« sagte Agathe, »das ist ja aber eigentlich tragisch – oder … nein … Ich wollte sagen – es hätte tragisch werden können …«

»Keine Spur,« versicherte er mit Nachdruck. »Gerade diese schöne, ruhige Ehe voll Freundschaft gefällt uns beiden sehr gut – glauben Sie bitte nicht, daß ich es bereue. – Ich verdanke Klara viel. Wie klug hat sie das angefangen, meine Arbeitslust zu wecken … Und ich habe sozusagen meine Jugend wiedergefunden … Und dann: wie mein alter Herr nun glücklich ist! Er trägt sein Schicksal, gelähmt im Stuhl zu sitzen, in Frieden. – Wie hätt’ er sich sonst daran verzehrt …«

»Das ist ja alles sehr schön,« sagte Agathe mit einem Male auf unbestimmte Art ernüchtert.

Aber dies flaue Gefühl wich rasch einer stürmischen Aufwallung. Denn Wynfried sah sie wieder mit vielsagendem Ausdruck an.

»Es beraubt also Klara in keiner Weise, wenn ich nicht blind für den holdesten, weiblichsten Zauber bin …« sprach er leise und langsam.

Inzwischen hatten die Kämpfe in Fräulein von Gerwalds Brust zu einer Entscheidung gedrängt. Ihre Phantasie sah immer das leckere, von roter, steinharter Schale umpanzerte Hummerfleisch – und diese Zwangsvorstellung entschied.

Sie kam herbei, ein wenig schwankend und balancierend auf der schrägen Ebene des Decks der gerade sehr nach Backbord überliegenden Jacht.

»Es ist schon Abend!« sagte sie in dem erstauntesten Ton von der Welt, als falle ihr diese alltäglich wiederkehrende Tatsache zum ersten Male in ihrem Leben auf.

Agathe erwachte …

»O – wann kommen wir heim? …« rief sie geängstigt.

»Wann wir wollen!« beruhigte Wynfried; »ich habe zu Haus darauf vorbereitet, daß es spät in der Nacht werden kann …«

»Liebste Baronin, Sie müßten aber jetzt etwas genießen,« ermahnte die Gerwald.

Man ging hinab. Vorher sprach Wynfried noch mit dem Schiffer. Der Wind flaute ab, blieb aber Nordnordost und verhieß glatte, wenngleich langsame Rückfahrt.

Dann aß man in einer unbegreiflich übermütigen Stimmung. Roter, schäumender Romané füllte die Glasbecher. Das rosig verhüllte Licht gab eine Traumbeleuchtung. Aus vier Birnen kam es, die an den getäfelten Wänden, zwischen den Wandschränkchen, angebracht waren. Die Hummerschüssel stand auf Eis, und alle drei Tischgenossen griffen tüchtig zu.

Fräulein von Gerwald hob einmal ihr Glas mit dem prickelnden Burgunder gegen das von Wynfried. – Sogleich rief Agathe: »Wir wollen auf Klaras Wohl trinken!«

Und sie tranken auf die Gesundheit der jungen Frau. –

Die Gesellschafterin fühlte sich wieder einmal ganz beglückt – seit drei Jahren hatte all das Elend der Demütigungen und des ewigen Wechselns von Häuslichkeit zu Häuslichkeit ein Ende. – Rührung erfaßte sie, wenn sie bedachte, wie herrlich nun ihr Leben sei. Und in dieser Stunde war sie wie berauscht – nicht gerade vom leise und fein schäumenden Burgunder – nein, vielmehr noch von der Schwärmerei ihrer Herrin und von der Mannesschönheit Wynfrieds.

Agathe war vor Glückseligkeit wie benommen. – Ach, es lohnte sich ja doch noch, zu leben! – Und war es nicht, als ob Wynfried ein ganz anderes Wesen bekommen hätte – gleichsam als habe eine Zauberhand über sein Gesicht gestrichen und ihm einen neuen, fröhlich unternehmenden, sprühenden Ausdruck gegeben?

Ja – Wynfried fühlte sich wirklich wie verwandelt – nicht verwandelt – vielmehr wie ein Erwachender – wie ein Zurückgekehrter, der lange verbannt war – so dergleichen – er wußte selbst nicht, wie ihn das ankam. – Jedenfalls war es eine Gehobenheit. – Er war ganz durchrieselt von jenen köstlichen, gespannten Empfindungen, die Mann wie Weib in den Anfängen der Liebe überraschen. – Ach, was gab es denn Lebensvolleres als dies Vorahnen möglicher Wonnen, dies sich Einanderentgegendrängen mit Blick und Lächeln und sinnschweren Worten. –

Und dann die Servietten hingeworfen und hinauf …

Der Abend war gekommen; er hatte sanfte Töne über Himmel, Land und Meer gelegt – dunkelveilchenfarbene, ins Grau hinüberspielende.

Fräulein von Gerwald sagte mit etwas unklarer Stimme, sie wolle es recht mit Andacht genießen, und suchte sich vorn am Bug ein Plätzchen, da wo der Klüverbaum über Bord hinausragte wie ein Spieß … Dort hockte sie nieder und fand Lehne und Halt.

Wynfried und Agathe setzten sich auf die Kissen des vertieften Sitzplatzes. Dicht nebeneinander – er nahm ihre Hand und küßte sie und legte sie ihr in den Schoß zurück.

 

»Solche Stunden,« sagte Agathe, »entschädigen für alles, was man gelitten hat.«

»Was haben Sie denn so schwer gelitten, teure Freundin?« sprach Wynfried. »Daß Ihre Ehe kein Vergnügen war, kann ich mir denken. Bitte, erzählen Sie nichts davon – mir ist, als würde ich zu zornig werden. – Es gibt nur eins: vergessen!«

Sie redeten sehr leise miteinander.

»Man kann nicht alles vergessen, es gibt das Wort vom Ewig-Gestrigen. Es ist wahr! Wenn immer wieder zu einem zurückkommt und sich immer neu straft, was man einmal verbrach …«

»Verbrach?! Sie – Agathe. – Nein, Sie können keine Schuld auf sich geladen haben. – Sie, die Sie nicht imstande sind, einer Fliege weh zu tun.«

»Nein – keine Schuld. – Und doch – aus Unkenntnis – aus Neugier – aus einer schrecklichen Sehnsucht nach – ach, ich weiß selbst nicht, wonach – nach Liebe, oder nach Glück – oder nach Geheimnis – ja, aus Unkenntnis kann man fehlen.«

»Nur das Gesetz ist so grausam, sie nicht als Entschuldigung anzunehmen. Erfahrene Herzen urteilen anders.«

»Dann haben meine Eltern keine erfahrenen Herzen, sie verzeihen mir nie, woran doch auch sie die Schuld trugen.«

»Wollen Sie mir nicht vertrauen – liebe Agathe. – Ich – verstehe alles –«

Er legte ganz sanft, und um sie zu ermutigen, den Arm um ihre Taille.

Und sie neigte den blonden Kopf näher zu ihm – stockend – in immer wachsender Leidenschaftlichkeit sprach sie von ihrer Jugend.

Immer dunkler ward die Sommernacht – die Flut glänzte in der Nähe schwarzblank und war in der Ferne ein Abgrund von Finsternis. Aus den Wogen kam eine gleichmäßige, an- und abschwellende Musik herauf – von der Jacht ging steuerbord ein kleines rotes Strahlenbündel hinaus und backbord ein grünes – die glitten als magischer Schein mit der Fahrt und schwebten über der Tiefe.

»Ich bin als einziges Kind immer sehr allein gewesen,« erzählte Agathe. »Und immer von zwei Gouvernanten bewacht – ich sollte Französisch und Englisch wie Deutsch können. Viel wollten meine Eltern mit mir. Hoch hinaus. – Mama ist eine Vereinsdame, gibt Geld mit vollen Händen, hat große Verbindungen – das war so ’ne Art Vorarbeit, begriff ich später – das sollte mir dann den Eintritt in die allererste Gesellschaft sichern. Und mal ’ne ganz, ganz große Partie! Hochadel oder allererste Finanzaristokratie. Papa wollte dergleichen haben für sein Geld, und Mama für all ihre Schufterei in den Vereinen. Und deshalb wurde an mir herumerzogen – und gar keine lustige Kindheit hatt’ ich – und keine Freundin durft’ ich haben – damit nicht einmal unerwünschter Anhang da sei. – Mama sagte manchmal: bis man seine gesellschaftliche Position ganz fest begründet hat, ist es vorsichtiger, allein zu bleiben – man muß erst sehen, wohin man gelangen kann.«

»Eine kluge Dame Ihre Mama …«

»Ja! Und solche Art Liebe und solche Art Voraussorgen war mir bloß erbitternd. Ich wollte lustig sein, eine Freundin zum Liebhaben wollte ich – und da waren nur die steifen Gouvernanten – und sie und ich, wir haßten uns.«

»Armes Kind!« sagte Wynfried leise, obschon er nur flüchtig zuhörte, sondern nachprüfend Agathens Parfüm aufatmete und dachte: ja, es ist das Parfüm.

»So wurde ich sechzehn Jahre. Und wir lebten immer da draußen, zwischen den Fabriken – das Haus war prachtvoll – aber doch in Berlin selbst hätte ich vielleicht mehr Freiheit gehabt – mehr Zerstreuung. Ich sah oft die Herren aus dem Bureau – sie begegneten mir und grüßten – wenn ich mit meinem Nero spielte – ja, ich hatte eigentlich bloß meinen Bernhardiner zum Vergnügen. Und die Ingenieure sah ich auch. Wenn ich Nero in die Spree hinausschwimmen ließ zum Baden – dann mußte ich hinter dem Hause entlang gehen, wo die Herren alle wohnten. Und da …« sie stockte.

Wynfried fragte: »Und da?« und legte seinen Arm fester um die zitternde Frau …

»Und da war einer – mit so blanken braunen Augen und einem schwarzen Schnurrbärtchen – so italienisch – bildete ich mir damals ein – Papa sagte später: wie ein Friseurgehilfe … Ich weiß nicht, wie es kam – wir sahen uns immer so an, und dann, obgleich es dem armen Nero schlecht bekam, dann ging ich immer öfter, um ihn zu baden, und immer um die Zeit, wo ›er‹ an seinem Parterrefenster stand. – Und ich war mit einem Male glücklich und hatte fortwährend an etwas Schönes zu denken. Und dann – einen Tag – es war im Juni – da warf er ein Briefchen heraus, als ich vorbeikam, und drin stand, daß er mich wahnsinnig liebe und sterben werde, wenn er nicht einmal mit mir sprechen könne, und wo es wohl sein könne – und ich solle morgen, wenn ich mit dem Hunde vorbei komme, eine Antwort bringen – einen Zettel in sein Zimmer werfen, er wolle aus Vorsicht nicht am offenen Fenster sein … Ja, so fing es an.«

Agathe weinte ein wenig. Sie schämte sich noch immer wieder. Und erinnerte sich doch auch zugleich der schaurig-süßen Ängste und Wonnen von damals.

»Wir trafen uns – hinter Zäunen – zwischen den Winkeln von Schuppen und Lagerhäusern – da war keine Poesie – kein Wald – kein Mondschein – keine Nachtigall – alles hatte gleich so was furchtbar Verzweifeltes. – Und er schwor, sich zu erschießen, wenn ich nicht die Seine werde.«

Agathe trocknete ihre Tränen. Stärker als Scham und Gram ward das heiße Erinnern.

»Dann verreisten die Eltern – ich blieb bei den Gouvernanten zu Haus – jede von ihnen hatte vierzehn Tage Urlaub, so daß vier Wochen lang nur eine Tyrannin mich bewachte. – Und Miß Brown war sehr leidend – benutzte diese Zeit ohne Kontrolle seitens der Herrin, um ganz früh schlafen zu gehen – es war ein so schwüler August. Ich starb vor Sehnsucht – litt – o – dachte zu verbrennen – und da geschah es. – Ich wußte ja nicht, was ich tat – ich war nur selig – selig …«

Sie erschauerte. – Sie flüsterte weiter. – Und es war, als ob ihre raunende Stimme und das schmeichelnde Rauschen des Meeres Töne seien, die aus dem gleichen Urgrunde allen Lebens heraufkämen.

»Ich hab’ es nie begriffen – nie – daß das schlecht von mir gewesen sein sollte – so unmenschlich glückselig in Liebe zu sein –«

Sie schwiegen beide lange. – Und Agathens Kopf ruhte sich an seiner Schulter von vergangenen Leiden aus … Endlich sprach sie weiter.

»Die Eltern kamen zurück. Irgend jemand glaubte sich verpflichtet, mit ihnen zu sprechen – denn die ganze Fabrik hatte es gewiß schon lange gemerkt – wie hätt’ ich daran denken können? – Und dann gab es einen Zustand – o Gott – ein Massenmörder kann nicht härter bestraft werden. – Hinrichtung ist ja milde dagegen. – Und Miß Brown flog hinaus – und ›er‹ schrieb kühn und stark an Papa, daß ich seine Braut sei und daß er mich heiraten wolle – und Papa und Mama schrien, darauf habe er nur spekuliert – Und ich sagte, seine Armut sei mir recht und ich wolle mit ihm hinausziehen und betteln. – Dafür hatte Papa nur ein schreckliches Gelächter. – Wiedergesehen hab’ ich ihn nie – nicht einmal Abschied nehmen durfte ich. – Und Papa schickte ihn mit viel Geld nach Amerika – da ist er verdorben und gestorben – das hat Papa erst nach vier, fünf Jahren gehört. – Damals gleich, als all diese Wut auf mich bei Papa und Mama war, wollte ich sterben. – Es ist schwer, zu sterben – man weiß nicht, wie man es machen soll –«

Sie seufzte.

»Ich war noch ganz gebrochen – dann kamen die Eltern und sagten, ich müsse den Baron Hegemeister heiraten, es sei für mich das beste – das einzigste. Sie taten, als weise ganz Berlin mit Fingern auf mich – weil ich einen armen Angestellten sehr lieb gehabt hatte. – Und ich dachte: vielleicht ist die Ehe Freiheit. Sie war ja gewiß ein besseres Leben als das, was ich zu Haus gehabt hätte. – Obgleich … Bis auf den heutigen Tag zürnen mir die Eltern und tun nur wegen der Welt, als sei alles in Ordnung. Und sie fragen die Gerwald aus, und die gute Gerwald sagt die Wahrheit und erzählt, wie trist ich eigentlich lebe.«

Agathe sprach nun mehr vor sich hin als zu ihm.

»Und um dieser jungen, törichten, heißen Liebe willen, soll mein ganzes Leben verpfuscht sein? O, ich weiß wohl – böse Menschen flüstern noch immer allerlei – und vielleicht hat einer, für den ich ein bißchen schwärmte, gedacht, als Offizier könne er das nicht. – Aber von wie vielen Frauen wird geflüstert … Und weil ich aus lauter Einsamkeit und Unkenntnis und Sehnsucht einen Menschen mal ein wenig zu lieb gehabt habe – soll ich nie mehr – nie – nie mehr die Glückseligkeit erfahren – geliebt zu sein …«

Da neigte sich das Gesicht des Mannes über das ihre.

Er flüsterte kein Wort des Trostes, des Werbens, der Verheißung –

Mit einer bezwingenden Selbstverständlichkeit suchten seine Lippen die ihren zu einem verzehrenden Kuß …

Und am Klüverbaum hockte das alte Mädchen und starrte in die Nacht hinaus.

Alles in ihr war Aufruhr. Eigenes Wünschen und Entsagen glomm, wie Feuerreste unter Aschenhaufen, wenn er aufgestöbert wird, noch einmal auf. – Und sie fühlte auch: nun war die seit drei Jahren mit so viel Entschlossenheit und immer vergebens erwartete Stunde da, beide Augen zuzumachen.

Und aus der Sommernacht wehte so viel heran – fast wie Qual des Neides – Rührung, die der gutherzigsten aller Frauen ein wenig Glück gönnte – Sorge vor schrecklichen Kämpfen.

Es war aber schön, hier zu sitzen und zu wachen, und sie kam sich fast wie Brangäne vor.

Märchenhaft – wie so das Schiff durch die schwarzen Wasser dahinglitt – und im ewig gleichen Ton und Rhythmus besangen die Wogen leise den Zauber der Fahrt; dunkel die Ferne, hoch und voll schwarzer Majestät der Himmel.

Und nun tauchte der stolze Schiffsleib der ›Hohenzollern‹ auf, und aus ihren vielen, vielen Augen glänzte gelbes Licht. – Und drüben Travemünde-Strand – eine Reihe von Lichtperlen nur. – Und das Blinkfeuer des Leuchtturms, das zuckte und verschwand und wieder zuckte.

Und dann trat ein Mann an den Platz heran, wo Fräulein von Gerwald saß, und schreckte sie auf.

Der Mann hielt in seinen hocherhobenen Händen je eine Laterne. – Er schwenkte sie und wiederholte gewisse Bewegungen in mehrfacher Folge. – Er semaphorte der Lootsenstation zu, daß die »Klara« in den Hafen wolle, und die Station solle es dem Motorboot weitergeben, das im Hafen wartete …

Große Unruhe entstand an Bord.

Die rotweißen Matrosen manöverierten, das Schunersegel rauschte herab, sank in sich zusammen und ward von raschen, vielen Händen zu einer Faltenrolle zusammengebunden. Das Großsegel schlänkerte gelöst. –

Und inmitten all der Unruhe stand mit einem Male der Herr der Jacht da und gab Befehle.

Fräulein von Gerwald suchte Agathe und fand sie wie verzaubert auf dem Sitzplatz – in seligem Lächeln sinnend.

Sie fiel dann ihrer Treuen um den Hals und sprach kein Wort. – Aber die Treue wußte – dies verband sie beide auf immer.

Nach einer weiteren halben Stunde war man im Hafen. Und dort wollte Wynfried mit den Damen auf das Motorboot übersiedeln. Die »Klara« sollte über Nacht in Travemünde bleiben. Mit dem flinken »Severin« dachte Wynfried erst die Damen an die Lammener Brücke zu bringen und dann nach Haus zu fahren. Es würde wohl lange nach Mitternacht werden …

In Travemünde am Ufer waren in dieser Festzeit noch Menschen – und zwei Schiffer riefen allerlei von der hohen Brücke herab …

Was denn? Ja – ganz gewiß. – Der Schlepper ›Primus‹ hatte die Nachricht mitgebracht – gerade als er die Trave abwärts dampfte und schon eine gute Strecke an »Severin Lohmann« vorbei gewesen war, hatte er einen furchtbaren Knall von dorther gehört.

Wie von einer Explosion …