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7

Klara stand mit Wynfried auf der Brücke, und sie sahen dem Fährboot entgegen, das vom jenseitigen Ufer Fräulein Edith heranbrachte. Schlank, im engen schneeweißen Sportkostüm, einen langen hellblauen Mantel überm Arm, stand sie und winkte schon von weitem.

Es war ein herrlicher Tag. Alles glänzte fröhlich: der wolkenlose Himmel, die besonnte Welt der Felder und Wiesen, die leuchtendrote kleine Stadt drüben auf der sandigen Höhe, der sich im Winde schuppende Fluß. Und die schwarzen Bauten, die düsteren Eisengerippe des Hüttenwerks standen in all der Helle bedrohlich und fremd. Aus den ragenden Schornsteinen quoll der Rauch schwarz und eilig – das wirkte beinahe wie Hochmut, der allen Sommersonnenschein ablehnt und ausdrücklich betonen will, daß die wichtige und finstere Arbeit der Kohle und des Feuers sich nicht an so etwas Veränderliches wie das schöne Wetter kehre. –

Die Jacht war klar. Sie sollte hinausgeschleppt werden. Im Wyk wollte man die Baronin Hegemeister mit ihrem Schatten, dem Fräulein von Gerwald, aufnehmen und dann in der Lübecker Bucht den von Kiel kommenden Jachten entgegenkreuzen. Die Kieler Woche war zu Ende, sie schloß wie immer mit einer Wettfahrt nach Travemünde, wo dann noch unter Gegenwart und Teilnahme des Kaisers die beiden rauschenden und glanzvollen Tage mit Wettsegeln, Frühstücken, Diners und Tänzen abgehalten wurden.

Nun war Edith angekommen und sprang aus dem Fährboot. Klara erschrak beinah. Was hatte das Mädchen denn nur mit sich gemacht? Die dicken, brandroten Haare in zwei Zöpfen als Schnecken über die Ohren gelegt! Und das Gesicht mit der kecken Nase, dem großen Mund und den bernsteinfarbenen Augen unter roten Brauen wirkte dazwischen noch häßlicher.

»Ich bin wütend,« sagte sie gleich, »ich kann nur bis Travemünde mit! Da muß ich meine Tante Aline erwarten. Sie kommt mit dem Abendzug von Hannover und will drei Tage in Travemünde bleiben. Ich muß ihr Gesellschaft leisten. Gegen Tante Aline kämpfen Götter selbst vergebens. Sogar Papa hat aufgetrumpft: daß du dich nicht unterstehst – na – und so weiter. Wie Väter auftrumpfen, die man sonst um ’n Finger wickelt. Er hat ja ihr Vermögen im Geschäft, und ich soll es mal erben – ich bitt’ um stilles Beileid …«

»Aber mein Mann hat wirklich Pech heute,« sagte Klara, »ich kann ihn auch nicht begleiten.«

»Sie sind leidend,« sprach Edith, mehr feststellend als fragend.

»Meine Frau? Leidend?« fragte aber Wynfried erstaunt. »Keine Spur. Der Kleine hat, glaub’ ich, einmal gehustet – da bringt niemand und nichts meine Frau von ihm weg.«

Edith lachte.

»O Gott ja – diese fanatischen jungen Mütter …«

Klara mochte es nicht haben, wenn man sie mit ihrer Liebe zu ihrem Kinde neckte. War’s nicht, als würde man sie necken, weil sie atme?

»Fanatisch – das ist das Wort,« stimmte Wynfried wohlgelaunt zu. »Als ich neulich mit meiner Frau acht Tage in Berlin war, merkte ich bald: sie kam beinah um vor Heimweh nach unserem Jungen und vor Sorge um ihn – als wenn nicht, meinen Vater an der Spitze, ein Heer von Aufsehern da sei.«

Klaras Augen wurden dunkler … Sie dachte an die schweren Tage in Berlin. Sie hatte es sich gelobt, so viel, als sie es irgend einrichten konnte, in ihres Mannes Gesellschaft zu sein – mit ganzer Inbrunst täglich von neuem zu versuchen, sich an ihn heranzufühlen – ihm Herzlichkeit und Ergebenheit zu zeigen. Abend für Abend ging sie mit in die Theater. Wynfried wählte immer das, wo man sich am meisten Augenweide und Lustigkeit versprechen konnte. Und diese Tage im rauschenden, rollenden Lärm und der benzindurchhauchten Staubluft – dem nie abreißenden Hintereinander der Gefährte – wie waren sie mühsam gewesen. Gewiß, auch durch das quälende Heimweh nach ihrem Kinde. – Das Kind war doch der Zweck ihres Daseins – dies Kind gab in einem besonderen Sinn ihrer Ehe und ihrem Dankesopfer Recht. Aber sie spürte wohl, sie würde ihre Sehnsucht bezwungen haben – sie war ja nicht nur Mutter und mit der Mutterschaft nicht aller anderen Aufgaben ledig. Sie hatte auch die, sich selbst noch weiterzubilden. Aber aus ihres Mannes Geist und Art kam kein Ton zu ihr herüber, der sie belebt und beschäftigt hätte – sie hörte auch kaum ein Wort, das ihre Gedanken auf neue Wege geleitet hätte. Und dann – diese Unruhe in ihr, dies unbestimmte und doch furchtbare Gefühl, wie von etwas Vernichtendem bedroht zu sein – das war nur still, wenn sie bei ihrem Kinde sein konnte.

Und deshalb drang die grandiose Sprache der Weltstadt nicht zu ihr – deshalb spürte sie nichts von der Wucht der Eindrücke.

»Aber nun fix!« mahnte Wynfried.

Edith verabschiedete sich von der jungen Frau und sah ihr dreist ins Gesicht.

»Sie sehen aber wirklich noch immer ’n bißchen matt aus – ich fand es schon damals auf der Taufe. – Da sollten Sie grad’ mitsegeln.«

»Ich tue es oft,« sagte Klara, »nur heute … Der Kleine ist wirklich etwas unruhig, und dann ist Vater fast noch besorgter als ich.«

»Schad’,« meinte Wynfried, »es ist so großartiges Wetter. Likowski und Marning haben auch abgesagt.«

»Was – die auch?« rief Edith. Für sie konnten es, bei solcher Gelegenheit, nie genug Herren sein, denn dann war sie doch einer ununterbrochenen, plänkelnden Unterhaltung sicherer.

»Ja. Obschon ich noch an Marning extra telephonierte, daß Sie, Baronin Agathe und meine Frau mitsegeln würden.«

»Ach Marning! – Ich glaub’, der retiriert vor Baronin Agathe,« meinte das rothaarige Mädchen.

»Wie ist sie unzart …« dachte Klara.

»Na – nu los. Und ängstige dich nicht – wenn gegen Abend Flaute kommt – es kann spät werden …«

Er und Edith saßen im Beiboot, und er trieb es mit ein paar sicheren Ruderschlägen bordseit der »Klara«. Die hatte schon ihr Fallreep mit den drei Stufen herabgelassen, und eins, zwei, drei waren die beiden an Deck der Jacht, wo die flinken Kerls in den krebsroten Sweatern und den weißen Hosen in Reih und Glied standen und ihren Herrn militärisch salutierten.

Das Motorboot stieß einen grellen Pfiff aus, und seine Maschine begann zu stoßen und zu klopfen. Der leichte, braune Mahagonileib glitt stromab. Die Trossen strafften sich, und wie ein großer Sohn der kleinen Mutter, so folgte die weiße Jacht der Führung. Großsegel und Schunersegel waren noch gerefft.

Wynfried und Edith standen am Großmast und winkten Grüße hinüber, bis Klara langsam wieder treppan und zum Hause emporstieg.

»Ihre Frau hat sich aber wirklich verändert,« sagte Edith.

»Kann ich nicht finden. Höchstens vielleicht, daß sie oft ermüdet aussieht – sowie der Junge nachts sich rührt, steht sie ja auf – die Amme sei nicht verläßlich.«

»O Gott – und der Schlummer Ihrer Nächte!« sagte Edith mit komischem Pathos.

»Hab’ mich einstweilen aus diesem Bereich zurückgezogen und mein altes Quartier oben genommen – bin sehr stolz auf meinen Sohn – auf sein nächtliches Geschrei leg’ ich aber keinen Wert.«

Sie machten es sich nun gemütlich. Hinter dem Eingang zur Kajüte, der in üblicher Weise schräg überdacht war, hatte das Deck eine bassinartige, ovale kleine Vertiefung, in die man über zwei Stufen hineintrat. Ein breites Sitzbrett lief rund um und war mit Kissen belegt. Sie waren von Leder. Aber Klara hatte noch eine ganze Menge lose liegender, rotseidener gearbeitet, die man sich in den Rücken stopfen konnte oder unter den Kopf legen. Hier blieb man auch von der Mannschaft, solange glatte Fahrt war, ungesehen und ungehört, und nur bei irgend welchen Segelmanövern tauchten die weißroten Matrosen auf.

Wynfried und das rothaarige Mädchen saßen in träger Stellung einander gegenüber. Er hatte die Hände zwischen den Knien gefaltet und schaute aufmerksam in Ediths Gesicht. Tausend Teufel funkelten allezeit in ihren dreisten Augen. Und was ihren großen Mund betraf, dessen schön geschwungene, volle Lippen sich über sehr blendenden Zähnen leise öffneten, so dachte Wynfried: »Derart lüstern, daß es einen Mann irritieren könnte –«

»Nun, was sehen Sie mich so an?« fragte er.

»Ach – ich denk’ so: Sie haben ja viel zu früh geheiratet …«

»Ich?«

»Na ja – wenn man so von nächtlichem Kindergeschrei hört …«

»Meine Frau ist eine famose, großartige Frau. Jeder Mann hat Ursache, mich zu beneiden,« bemerkte er etwas ablehnend.

»Will nichts gegen sie sagen – nicht von fern – ich verehre Ihre Frau kolossal,« versicherte Edith sofort. Sie hatte irgend eine unbestimmte Empfindung gehabt, daß man über seine Ehe so mit ihm sprechen könne – aber sie spürte: das schien doch nicht geraten …

Seit einiger Zeit fand sie, daß Wynfried Lohmann der schönste Mann sei, den sie je gesehen. Ziemlich groß, wundervoll gewachsen – die Augen blau und manchmal so rätselvoll im Ausdruck. – Die Züge vornehm – und das lockere Sporthemd ließ zuweilen, wenn er seine Jacke abwarf und selbst zugriff, weiße Arme und einen herrlichen Nacken sehen.

Und Edith hatte Stunden, wo sie wütend war – ja, dieser Mann wäre in jeder Hinsicht für sie gewesen. – Geld, Stellung – und seine Schönheit lud noch dazu ein, sich rasend in ihn zu verlieben … Und was der Mann wohl von Frauen alles wußte und verstand! Hunderttausende sollte ihn ihr Studium gekostet haben. – Ach ja, er war weit und breit der einzige interessante Mann … Und gerade dieser hatte sich mit einer so langweiligen Person verheiraten müssen.

»Daß man meine Frau kolossal verehrt, will ich mir auch von jedermann ausgebeten haben,« sagte Wynfried würdevoll.

Aber es war eben ein bißchen mehr Würde, als der Augenblick gerade erfordert hätte. Und mit ihrer Intelligenz und ihrem sechsten Sinn, der überraschend scharf war, fühlte sie das gleich.

Ihre Augen funkelten ihn wieder lustiger an …

Aber sie sprach sehr vernünftig-nüchterne Dinge.

»Ist es wahr, daß Thürauf Teilhaber wird?«

»Ja. Die Kontrakte sind unterzeichnet.«

 

»Papa zerbricht sich den Kopf, ob Sie oder Ihr Vater das gewollt haben.«

»Vater regte es an; ich war durchaus einverstanden. Denken Sie mal: wie wäre ich gebunden gewesen, wenn Vater mal davonginge, denn von seinem Krankheitsthron aus spricht er ja völlig geistesfrisch noch immer das gewichtigste Wort. Und wenn vielleicht Thürauf uns verlassen hätte, um anderswo als Kompagnon einzutreten. – Nun bin ich nach Wunsch freier Mann – denn Thürauf hat ja bloß eine Leidenschaft: arbeiten.«

»Papa sagt: Thürauf kann lachen. Und die Bedingungen seien fabelhaft.«

»Sie sind durchaus normal.«

»Papa sagt, es würden Thürauf nur vier Prozent abgerechnet für all das Lohmannsche Kapital. – Es wären acht Millionen sagt Papa, was Ihr Vater ins Werk gesteckt hat. – Bei der Teilung des verbleibenden Gewinstes stehe sich Thürauf immer noch auf mehr als zweimalhunderttausend Mark Einkünfte. O Gott – und wenn man bedenkt, daß Ihrem Vater auch noch die Kreyser-Werke zu zwei Drittel gehören … Ja, Papa sagt, wenn’s mit den Unternehmungen erst über einen gewissen Umfang hinaus ist, arbeiten sie sozusagen von selbst weiter.«

»Wie genau Ihr Papa Bescheid weiß,« sagte Wynfried mokant; »und wie Sie das alles behalten haben! So viel Zahlen im Munde eines so jungen Mädchens.«

Edith zuckte die Achseln.

»Das ist so wie mit Malerskindern, die von klein an von Farben sprechen hören, oder wie mit Kunstreiterkindern, die alles von Pferden verstehen. So ’n Industrieprinzeßchen wie ich wächst von selbst ins Verständnis für Geld und Geschäfte hinein. – Papa wundert sich aber doch. Wo alle Welt weiß, daß Ihr Vater den rasenden Stolz auf sein Werk hat und diese große Liebe! – ›Severin Lohmann‹ sollte rein Lohmannsch bleiben, hat man immer gedacht.«

»Soll es auch. Wenn Thürauf Söhne hätte, würde Vater es nicht getan haben. – Es steht auch ausdrücklich im Kontrakt, daß die Teilhaberschaft nicht auf Thüraufsche Schwiegersöhne oder Enkel übertragbar sein soll.«

Was ihr Papa sonst noch gesagt hatte, verschwieg Edith. Er hatte gemeint: der Geheimrat traue seinem Sohn doch wohl noch nicht ganz … und wolle dem Werk den bedeutenden Mitarbeiter sichern. – Und bis der zähe Thürauf mal alt und arbeitsunfähig werde, sei Wynfried auch ein alternder und ganz eingearbeiteter Mann. –

»Na, wenn Hornmarck denn das gute Finchen Thürauf erobert, macht er ja ’n blendendes Geschäft,« sagte Edith voll Verachtung. »Seit Luisens Verlobung mit Brelow weiß man doch, was die Thüraufs mitkriegen. Seitdem ist Hornmarck wie hypnotisiert von Finchens häuslichen Tugenden.«

»So?« fragte Wynfried ungläubig.

»Was ich Ihnen sage! Als Papa und ich Sonntag früh unseren Ritt machten – Sie wissen ja, Papa ist in jedem Sinne Sonntagsreiter, und ich genier’ mich immer, wenn uns sachverständige Herren begegnen – na, wen treffen wir am Waldesrand bei den Wiesen? Die zwei unverlobten Thüraufs, nebst Hornmarck in Zivil mit noch zwei Jüngelingen. Die Räder lehnten an dem berasten Erdwall, etwas weiterhin saß man und ließ die Beine hängen und aß im Schatten Butterbrote. Seien Sie sicher, die waren mit Wurst belegt – das wäre so in der Situation gewesen. – Und was tat Hornmarck? Er band Vergißmeinnicht zusammen. Ich schwöre Ihnen: Vergißmeinnicht!«

Wynfried lachte.

»Wissen Sie, was ich tat?«

»Bin gespannt.«

»Ich lenkte mein Pferd ’ran – ich salutierte Hornmarck mit meinem Reitstock und improvisierte:

 
Ein Leutnant saß an dem Rain,
Er sammelte Vergißnichtmein
Und fügte sie zum Kranze;
Wie rührend war das Ganze.
 

Und denn los und davon. – Sie wissen, ich kann reiten! Papa, als Karikatur eines Sportsman, ängstlich hinterher.«

Sie freute sich noch über ihr tolles Davonstieben.

»Und wen haben Sie zum Nachfolger Hornmarcks in Ihren Diensten ernannt?« fragte er.

»Der Posten ist vakant. Ich habe keine Eile. Muß fortan auch wählerisch sein. Vorigen Sommer galt man noch nicht für voll. Das ist nun anders. Als Papas Einzige weiß ich, daß ich ihm nur einen Schwiegersohn I a bringen darf. – Er macht Ansprüche! Wo seine Fabrik sich in so enormem Aufschwung befindet …« sprach sie in lässiger Prahlerei.

Wynfried wußte, daß das Gegenteil der Fall sei. Und wahrscheinlich wußte sie selbst es auch.

Sie räkelte ihren schlanken Körper auf all den Kissen ganz zurück und faltete ihre Hände über ihrem Hinterkopf, wo von der weißen Linie des Scheitels die roten Haare straff nach vorn zu den Zöpfen hingenommen waren.

»Ja,« meinte sie im gemütlichen Ton – aber um ihren großen Mund ging ein besonderes Lächeln. »Der eine, der mich vielleicht hätte reizen können – der ist ja hors de concours …«

Und ihre Augen sprühten Funken – zu ihm hinüber. – Daß sie ihn meinte, war zu fühlen.

Er sah sie an, lächelnd – vielsagend – sie konnte nach Belieben alle Huldigungen daraus lesen, die ihr Bedürfnis waren.

Und eigentlich regte sich in ihm die Begier, diesem lüsternen Mädchen, das mit all seiner Häßlichkeit höchst lockend war, einen ausführlichen Kuß auf den animalischen Mund zu pressen. – Aber das ging natürlich nicht an …

Sie machte ihm aber Spaß – in ihrem Gemisch von praktischem Verstand und keckster Herausforderung.

Seine Stellung zur Frau war nun einmal so. Er mochte mit pikanten Worten umworben werden; es unterhielt ihn, wenn sich ein weibliches Wesen um ihn bemühte. Das war ihm ein Bedürfnis geworden, von seinen Anfängen her, wo er als schöner, reicher Jüngling in allzufröhliche Kreise geraten war.

Von Klara durfte er natürlich solch Umwerben und irgend ein kokettes Spiel im Wechsel von Lockungen und Versagen nicht erwarten.

In der Ehe war überhaupt alles anders. »Ehe« – die hatte so wenig mit dem übrigen Mannesempfinden zu tun wie etwa die Arbeit auf dem Werk.

Eine Sache gänzlich für sich –

Und nach all dem bekömmlichen Gleichmaß seines letzten Lebensjahres fühlte er immer öfter so etwas wie eine leise Sehnsucht nach stärkerer Bewegung in sich aufsteigen …

Die Stille zwischen den beiden wurde ein wenig schwül. Zum Glück zerriß der Pfiff des Motorboots sie.

Es lenkte, mit der geschleppten Jacht hinter sich, aus der durch die roten und schwarzen Duc d’Alben bezeichneten Fahrstraße ein wenig in das Wyk hinein und ließ unaufhörlich gelle Pfiffe in die Sommerluft hineinsausen. Sie sollten der Herrin des weißen Schlößchens, das aus dem Grün des hohen Ufers lachend herausschaute, melden: Die »Klara« ist zur Stelle und erwartet ihre Gäste.

»Ach – wie pünktlich!« rief Edith, »sehen Sie – die Baronin muß schon im Bootshaus gewartet haben.«

Vom Ufer unterhalb Schloß Lammen löste sich ein Ruderboot. Mit starken Schlägen trieb es der als Theatermatrose gekleidete Knecht in rascher Fahrt heran.

Edith, die genau wußte, daß sie das Feuerwerk ihrer kecken Blicke und Reden nur unter vier Augen gegen eine Männerbrust abbrennen konnte, fand für ihr Bedürfnis, sich geistig zu betätigen, nun ein unverfängliches Ziel.

Sie fand üppige Frauen gräßlich und nannte alle, die über eine gewisse Schmächtigkeit hinaus rundere Linien zeigten, sofort »dick«.

»Passen Sie auf! Es ist kein kleiner Anblick. – Agathe Hegemeister im Futteral eines Sportkleides – sie hat keine Ahnung von ihrer Fülle. Keine Spur von Selbstkritik.«

»Da bin ich nun anderer Ansicht,« sagte Wynfried eifrig. »Baronin Agathe ist von allen Damen unseres Kreises am ausgesuchtesten und kleidsamsten angezogen. Und ihre leise Fülle ist wundervoll – noch nicht mal Rubens …«

»Ja,« sprach Edith geringschätzig, »Männer haben eben einen total anderen Geschmack als wir …«

Agathe schwang im herannahenden Boot einen weißen Chiffonschleier.

Richtig: Agathe Hegemeister hatte ein weißes Leinenkleid an. Und was war denn das? Schwarze Knöpfe an der knappen Bluse? Edith sah nachher, zu ihrem verzehrenden Neid, daß es veilchenblaue, rundgeschliffene Amethyste waren, in Gold gefaßt, die als Knöpfe dienten. Und einen Matrosenhut – wie Edith gehofft hatte – trug sie auch nicht; der hätte auf der Fülle des schöngeordneten Blondhaares nur lächerlich wirken können, sondern einen sehr feinen florentiner Strohhut von äußerst kleidsamer Form, um den ein weißer Chiffonschleier geschlungen und links unterm Ohr in eine große Schleife gebunden war.

Wynfried dachte: entzückend. – Wie ein Mädchen. Und so weiblich weich in jedem Blick, jeder Bewegung.

Nun waren die Damen an Bord. Fräulein von Gerwald in Dunkelblau mit einem steifen, blanken, schwarzen Matrosenhut, den Edith wie eine Rarität unbefangen genau anstarrte.

»Was?« sagte Agathe, »meine liebe, süße Klara fährt nicht mit? Aber das verleidet mir ja den ganzen Tag! Und ich weiß nicht – paßt sich denn das überhaupt? – Ich allein mit dem Gatten einer anderen?«

»Erstens ist es der Ehemann Ihrer besten Freundin – und Klara läßt Sie vielmals grüßen. Zweitens haben Sie Ihre Ehrendame, unser allverehrtes Fräulein von Gerwald neben sich. Und drittens ist es wenig schmeichelhaft für mich, daß Ihnen ohne meine Frau der Tag verleidet ist,« sagte Wynfried.

Agathe sah ihre Gerwald an.

»Herr Lohmann hat Recht,« sprach sie in einem um Zustimmung bittenden Ton.

»Aber völlig!« versicherte Fräulein von Gerwald mit Nachdruck.

Bis Travemünde war es ja nicht mehr weit. Es kam auch kein gemütlicher Ton auf. Zwischen der blonden Frau und dem rothaarigen Mädchen herrschte eine versteckte Gereiztheit. Sie wußten selbst nicht, warum. Denn jede dachte in bezug auf die andere: sie kann ja doch nicht mit mir konkurrieren! Und Wynfried, der das durchschaute, hatte so viel Vergnügen daran, daß es ihm eigentlich leid tat, als Edith in Travemünde von Bord ging.

Sie wußte in ihre Abschiedsworte so viel zu legen, daß Agathe Hegemeister gar nicht anders denken konnte, als Wynfried und das abscheuliche Mädchen hätten zu Beginn der Fahrt eine ganz besonders schöne Stunde voll intimer Gespräche gehabt. Und das war Agathe doch ein leiser, schmerzlicher Stich. –

Edith, die nun ihren langen, hellblauseidenen, engen Mantel angezogen hatte, stand noch eine Weile auf der hohen Brücke, an deren Fuß sie abgesetzt worden war und zu der sie dann auf Treppen emporstieg. Sie winkte nicht und nickte auch nicht. Sie stand nur und sah … Etwas großartig wirkte es … Wynfried lüftete noch einmal seine weiße Mütze zu ihr hin.

»Nein, dies Mädchen!« sagte Agathe, »so mager und so häßlich. So eingebildet und dreist.«

»Keine Spur von Weiblichkeit,« erlaubte sich Fräulein von Gerwald hinzuzufügen.

»Naseweis ist sie schon,« gab Wynfried zu, »aber so intelligent und temperamentvoll, daß ihre Häßlichkeit zur Schönheit wird.«

»Ja,« meinte Agathe etwas gekränkt, »Männer haben eben einen ganz anderen Geschmack als wir.«

Nun hieß es erst einmal Tee trinken.

Unten in der Salonkajüte war alles vorbereitet. Auf den Tisch hatte der Kombüsenmaat schon den Teekessel gestellt, von dem die elektrische Schnur zum Steckkontakt ging. Die Jacht führte in einem Akkumulator elektrische Kräfte für die Beleuchtung und die Kombüse.

Sehr hausfraulich goß Fräulein von Gerwald den Tee auf, und Agathe fand mit Rührung die Kuchen vor, die sie liebte. – Dafür hatte Klara gesorgt? Wie liebevoll dachte Klara immer nur an andere.

»Ja,« sagte Wynfried, »sie ist eine famose, großartige Frau – zu gut für mich.«

Als sie dann wieder hinaufkamen, war alles verändert. Fern schon schoß das Motorboot zurück in den Hafen von Travemünde, wo es warten sollte, bis die »Klara« wieder hereinkäme. Und sie selbst brauste nun in stolzer Fahrt über die Wogen dahin.

Großsegel und Schunersegel waren voll entfaltet, der Wind blähte sie prall auf. Er kam von Nordost, und so hieß es, um auf die Höhe von Fehmarn zu kommen, in langen Schlägen kreuzen. Die »Klara« sauste scheinbar geradeswegs auf die grünblaue, hügelige Waldküste des mecklenburgischen Ufers zu. Und im saphirblauen, wunderbar klaren Wasser glitt das Spiegelbild der weißen Jacht als Schatten mit.

Das war ein Tag, eine Weite, ein Bild lachenden Prangens.

Das Meer hatte all seine zornigen, mürrischen oder schläfrigen Stimmungen von sich abgeschüttelt und wogte in einer kraftvollen, fröhlichen Bewegung, sog das Blau des Himmels in sich ein und atmete köstliche Salzluft aus. Es war durchsichtig bis auf den Grund, und die runden, trüben Gallertscheiben der Quallen trieben kreisend einher.

Und die belebte Flut gab ihre schimmernde Oberfläche dem Vergnügen zum Tummelplatz. Segelboote aller Art kreuzten. Stolz und groß lag da die weiße »Hohenzollern«, und der Wind strich die Flaggen aus. Die Standarte des Kaisers wehte aber nicht. Denn Seine Majestät befand sich auf dem »Meteor«, der, mit von Kiel hersegelnd, an der Wettfahrt teilnahm. Grau und schlank und dennoch von einer gewissen kriegerischen Strenge umwittert, ankerte der »Sleipner« in der Nähe des Kaiserschiffes. Leise spielte sein Rauch aus seinem klobigen Schornstein in die Luft. Eben erst waren beide Fahrzeuge auf der Reede angekommen.

 

Eine Pinaß, der die Flagge der Kriegsmarine am Heck wehte, zerschnitt in eiligem Lauf die Wogen, daß sie ihr weißschäumend am Bug emporstiegen; und ihr Kielwasser quirlte hinter ihr drein; gleich einer Schlange lag die Spur auf der Flut. Sie nahm Richtung auf den Hafen.

Zwei Dampfer, schwarz von Menschen, umkreisten die »Hohenzollern« und den »Sleipner« im weiten Bogen; man hörte die metallischen Klänge einer patriotischen Musik von dort herschwirren.

Die Richtung aller Segler und aller Dampfer ward aber dann: Fehmarnwärts – entgegen den aufkommenden Jachten.

Und die Sonne umglutete, vom Winde gekühlt, all diese frohe Beweglichkeit, die aus den Wogen einen sicheren, ungefährlichen Estrich zu machen schien, auf dem man, anstatt mit Füßen, mit Schiffen dahingleiten konnte.

»O,« sagte Agathe wirklich begeistert, »wie schön, wie schön!«

Und in ehrlicher Klage bedauerte sie noch einmal, daß ihre geliebte Klara diese Stunden nicht miterlebe.

Das Wasser schwoll immer gegen den Bug – es war kein leises Gluckern und Raunen – es war ein seidiges, großes Rauschen. Wie besänftigte es die Gedanken – es war ein Versinken – in eine himmlische Art von Dummheit – als sei man nur noch ein träges Stück Menschentum und brauche nie mehr etwas anderes, als sich nur immerfort von der Sonne bescheinen zu lassen und dem endlosen Gerausche zuzuhören. Das leise Knarren der Masten war manchmal vernehmbar, wenn der Wind in die Segel bluffte.

Zuweilen ging eine kurze Unruhe über Deck. Die flinken Kerls in den roten Sweatern sprangen – der »Schiffer« am Steuer rief Kommandoworte – die gelblich weißen Segelfittiche schlenkerten einen Augenblick am Großmast und Fockmast, und dann fuhr wieder der Wind hinein und blähte sie auf. – Und nach dem Manöver des Umlegens schwebte dann immer wieder der Traum von Stille, den das Glurren der Wasser und das Flimmern der Sonne umspann, über der Jacht. So zog sie, umwogt und die Flut rasch durchschneidend, von hüben nach drüben. Die Bucht weitete sich, und im Maße, daß man mehr dem offenen Meer sich näherte, kreuzte man in kürzeren Schlägen.

Die Stunden flogen, und ihr Flügelschlag war so sanft, so unhörbar, daß niemand sich des Entgleitens der Zeit recht bewußt ward.

Sie mochten kaum sprechen.

Agathe empfand die Größe und Weite des Bildes und die Fülle von Lebensbetätigung in all dem Treiben. Daraus erwuchs ihr eine unbestimmte und schmerzliche Sehnsucht. Sie kam vom blauen Himmel vielleicht oder flüsterte zu ihr aus den ruhelosen Wogen herauf, oder die Sonne erhitzte ihr niemals kühles Blut noch mehr … Sie kam sich wie von allem Glück verlassen, einsam und sehr bemitleidenswert vor. Ihr treues Fräulein von Gerwald, das ihr gar nicht mehr aus Liebedienerei, sondern aus völlig gelungenem Einleben heraus stets nach dem Munde sprach und ihre Stimmung immer erriet, sah bedeutungsvoll und innig zu ihr hinüber. Die Gerwald saß neben Wynfried.

Auch er war versonnen. Die wundervolle Frau ihm gegenüber war ihm ein höchst zusagender Anblick. Und immer, wenn er mit ihr zusammen war, weckte ihr feines, sehr liebkosendes Parfüm allerlei in ihm auf. –

»Segel, Segel!« schrie Fräulein von Gerwald.

Am Horizont, im blauen Duft der Ferne zwischen Himmel und Meer sah man weiße Striche, die gar keinem Schiffskörper anzugehören schienen.

»›Meteor‹ und ›Germania‹,« sagte Wynfried.

»Bei dem Wind konnte man denken, daß sie schlank herauf kämen – stick Nordost. – Zurück werden wir auch in gerader Fahrt auf Travemünde zuhalten können.«

»O – schon zurück?«

»Erst wenn Sie wollen. – Für ein kleines Souper ist gesorgt. – Klara hat alles an Bord schaffen lassen. – Hummer – kaltes Geflügel – sonst noch dies und das. – Ich lasse nur in Notfällen vom Kombüsenmaat kochen.«

»Herrlich!« sagte Fräulein von Gerwald. Und Agathe bat: »Ja weit hinaus – bis ganz nach Fehmarn!«

»Mir ist’s recht.«

Die weißen Striche am Horizont wurden deutlicher und erwiesen sich bald als Segel – rasch, vom günstigen Winde getrieben kamen die großen Jachten herauf. Sie hatten alles Zeug gesetzt, und mit ihrer hohen Takelage lagen sie stark steuerbord geneigt. So brausten sie heran – kühn und stolz, an ihrem Bugspriet kochte das Meer.

Das war herrlich zu sehen. – Und die »Klara« tippte ihre Flaggen, um die Kaiserliche Jacht zu grüßen.

Immer mehr Segel wurden erkennbar. Ein Schwarm von Riesenschwimmvögeln schien sich aufgemacht zu haben und zog daher, durchschnitt spielend die blauen Fluten. Helle Lichter setzte die Sonne auf weiße Schiffskörper und Segel. Da und dort schwenkte von den Borden jemand eine Mütze – der »Klara« und ihrem Herrn zum Gruß, und Wynfried und die Damen grüßten wieder.

Möwen kreisten über diesem zerstreuten Geschwader von Rennjachten – kreischende Laute gellten herab, und der Flügelschlag blitzte vor dem blauen Hintergrund des Himmels.

Fülle des Lebens. – Fülle der Freude.

Und Agathe seufzte schwer.

»Nun?« fragte Wynfried.

»Ach,« sprach die blonde Frau klagend, »all diese Schönheit tut mir im Herzen weh.«

»Darf ich die Gründe einer so paradoxen Wirkung erfahren?«

»Von allem bin ich ausgeschlossen, weil ich allein stehe. Ich kann an gar nichts teilnehmen, weil ich keinen Mann neben mir habe. Denn meine Eltern wollen durchaus nicht, daß ich selbständig in solchen Sachen heraustrete. Reisen? Ja. Hier im Kreise, in der Heimat meines verstorbenen Gatten etwas Geselligkeit in meinem Hause haben? Ja. Aber darüber hinaus nichts. Und wenn Sie sich nicht meiner angenommen hätten, sähe ich wieder nichts mehr von den Travemünder Tagen als alle Zuschauer, die da am Strande herumlungern. – Nicht mal mit meinem Motorboot hätt’ ich mich herauswagen können – dazu ist es zu klein …«

»Ihre Eltern sind merkwürdig streng.«

»Ja.« Agathe seufzte wieder. Sie wurde langsam rot. Sie schien sich ganz in peinliche Gedanken zu verlieren. Plötzlich fügte sie hinzu: »Und ich muß wohl artig sein. – Papa verwaltet auch mein Geld, soweit es nicht in Lammen steckt – und das ergibt dann wie von selbst eine Kontrolle. – Und dann – Sie wissen, es gibt so Eltern, vor denen man immer im Schock ist …«

Das wußte Wynfried noch. Früher – da war er seinem Vater auch lieber in scheuer Ferne aus dem Weg gegangen.

Und er dachte besonders noch an das Elend der allerersten Zeit nach seiner Heimkehr – und wie nur die Scham und die Angst vor seines Vaters Kritik ihn vom Selbstmord abgehalten hatte.

Wie weit und unbegreiflich lag das zurück.

Frei war sein Gemüt dem Vater gegenüber und sein Umgang mit ihm erst von dem Tage an geworden, wo er ihm Klara als Tochter brachte.

Seltsam eigentlich: Vater liebte die Schwiegertochter mehr als den eigenen Sohn. Wynfried fühlte es genau.

Aber er war nicht eifersüchtig – gar nicht. Es freute ihn im Grunde. Undeutlich lag die Empfindung in ihm, als lenke das seinen Vater von ihm selbst mehr ab – als würde die vollste Liebe dieses gewaltigen Mannes, die völligste Aufmerksamkeit all seiner Gedanken, ganz allein auf ihn, den Sohn, gerichtet, allzu schwer wuchten – würde eine beständige Anforderung sein … Und wie Aufsicht … Nein, nein – alles war vortrefflich, wie es war. – Diese ganze häusliche Welt mit Vater, Frau und Kind gab solch ein Gefühl von Sicherheit und war im Grunde immer wie ein Zeugnis – es vernichtete die Vergangenheit. – An die dachte Wynfried jetzt in ruhiger Verachtung und voll Kritik. Er bildete sich ein, daß er heute das alles klüger anfangen und jedes Weib und jede Lage mehr beherrschen würde.

Weil Agathe keine Antwort bekam, fuhr sie klagend fort: »Davon, wie schwer es ist, als junge Frau so einsam dahinzuleben, davon macht sich niemand einen Begriff.«

»Sie sollten wieder heiraten,« riet Wynfried.

»Noch einmal verkauft werden!« rief sie voll Bitterkeit.