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Als sie wieder fort war, dachte Klara sehr verwundert, daß ihre »intimste Freundin« nicht einmal nach dem Kind gefragt habe – nicht einmal verlangt, es zu sehen – merkwürdig!

Aber Klara nahm es nicht übel. Ebenso gut hätte man einer Rose Vorwurf daraus machen können, daß sie nur Schönheit und Duft habe und sonst zu gar nichts nötig sei.

Am anderen Tag freilich – es mochte diese Unterlassungssünde Agathen selbst schwer auf die Seele gefallen sein – fand sie den Täufling süß und reizend und kokettierte auf das unschuldigste und stärkste über das festliche Steckbett in den Armen der Amme hinweg mit dem Vater, ihm zuschwörend, daß Severin der Vierte ihm fabelhaft ähnlich sehe.

Wynfried verbat es sich lachend und meinte: etwas jünger und hübscher glaube er denn doch auszusehen als sein acht Wochen alter Sohn, und mehr Haar habe er denn doch auch noch.

Das dunkle Fellchen war schon verschwunden, und ein kahler, unverhältnismäßig großer Kinderschädel ist nie schön.

Aber Klara, die gerade dabei stand, dachte doch, etwas peinlich berührt, ja beleidigt: »Sehen sie denn nicht die Augen – nicht diese Wundertiefen darin? …«

Niemand blieb bei der Taufhandlung ungerührt, als Klara selbst ihr kleines Kind auf die Knie des Großvaters legte, der es mit scheuen Händen festhielt.

Durch manches Herz zog eine Ahnung von dem, was der gebändigte alte Riese wohl in diesem Augenblick empfinden möge.

Feierliches Schweigen aller Anwesenden trug die pastorale Stimme des einen, der hier zu sprechen hatte.

Die Sonne schien herein, über eine ganze Wand von Grün und Blumen kamen die goldenen Strahlen und umglänzten den Pastor und den Alten im Fahrstuhl mit dem kleinen Kind auf dem Schoß, von dem feine Stoff- und Spitzenfalten gleich einer Schleppe niederhingen.

Auch auf die braunen Haare des geneigten jungen Frauenkopfes fiel noch der leuchtende Schein.

Stephan Marning stand irgendwo in den gedrängten Reihen der Taufgäste. Er hatte aber den Blick frei auf diese umstrahlte Gruppe vor dem improvisierten Altar.

Sein Herz klopfte – er wurde selbst davon überrascht, so jäh begann dies schnelle Schlagen.

Dies junge Weib! Wie es ihn bezwang, wenn er sie sah …

»Warum hatte sie ihn geheiratet?« fragte er sich zum unendlichsten Mal.

Er wußte: Der Geheimrat hatte sie unterstützt nach dem Tode ihrer Eltern. Für einen so reichen Mann gegen die Waise eines einstigen Beamten eine brave, aber keine so große Tat, daß die Empfängerin der Wohltat sich dafür hinopferte …

Sein Blick ließ nicht von diesem braunen Haar, nicht von diesem edlen Gesicht mit den dunklen Augen, über denen die geraden Brauen etwas zusammengerückt waren wie in einem geheimen, unendlichen Schmerz.

Und die Kraft seines Blickes drang in die Seele der jungen Frau. Sie hob, als rufe sie wer, ein wenig das Haupt, sah auf – und sah in das große, sprechende Auge des Mannes.

Sie erblaßten beide.

Klara senkte die Lider – ein leises Schwanken schien durch ihre Gestalt zu gehen.

Ihn überfiel ein seltsamer Zustand. Es war eigentlich kein Entsetzen, kein Sturm fassungsloser Aufregung.

Nichts war deutliches Denken oder eingestandene Erkenntnis.

Endlich klärte sich die dumpfe Verwirrtheit zu dem Gefühl: »Ich muß fort …«

Ja, fort – sich versetzen lassen – an die russische oder französische Grenze – wo man fern von allen Erinnerungen, aller Kultur ist, wo man nichts hat als das wachsame und lauernde Warten auf den Krieg …

Nachher, bei Tisch, fand er Agathe neben sich, die der Hausherr in einer Art von spöttischer Gelegenheitsmacherei an seine linke Seite gesetzt hatte. Und Agathe blühte in ihrer üppigen Schönheit lockender als je. Aber sie mußte einsehen, daß ihre Liebe verschwendet sei. Heute lösten sich auch die letzten Illusionen in einen trüben Nebel auf – und der hieß: Entsagung.

Ihr ganzes Gemüt war voll von Tränen, die sich hier nur nicht laut herausschluchzen ließen.

Aber Zorn war nicht in ihr. Sie dachte, voll Rührung über sich und ihre weiche Natur: »Hassen kann ich ihn nicht …«

Nein – das lag ihr nicht.

Und ihr war gewissermaßen so zumut, als könne sie ihn, abschiednehmend, segnen. Wobei vielleicht im Unterbewußtsein doch noch ein unsterbliches Fünkchen Hoffnung glomm, daß ihre demütige Weiblichkeit ihn dennoch bezaubern werde.

Nach Tisch war man im Garten, der hinterm Hause schon mehr Park genannt werden konnte mit seinen weiten Rasenflächen und seinen großen Baum- und Gebüschgruppen.

Es war die Zeit der langen Tage, an die sich helle, kurze Nächte schlossen. Von dämmerigem Frühlingsabendzauber konnte man deshalb nicht sprechen, und zur Sentimentalität lud das blaue Licht nicht ein. Zwischen den Wipfeln und über den Büschen sah man die Schornsteine und die Burgen der Hochöfen herüberragen, und vor dem Abendhimmel stand der Dunst, der die Welt des Feuers und des Eisens immer überschwebte. Glühender Schein glänzte geheimnisvoll auf.

Vom Fluß herauf schrie die Sirene eines Dampfers, man sah auch eine Schlange von Rauch in der Luft liegen, die langsam weiter und meerwärts gezogen wurde.

Das alles sprach zu der jungen Frau und tat ihr wohl und schien ihr beruhigend zu sagen: Dein Bereich ist nicht von einem Erdbeben zerstört, und du selbst stehst fest noch mitten darin.

Nur nicht wieder diesen großen, sprechenden Blick sehen. Nie wieder – darin war etwas gewesen – was? Großer Gott – was denn?

Entsetzte sie sich nicht vor einem Phantom?

Und als sie einmal sah, daß ihr Mann mit Agathe, Likowski, Marning und der rothaarigen, nicht mehr so völlig entzückend häßlichen Edith Stuhr zusammenstand, ging sie mit sicheren Schritten auf die Gruppe zu. Wynfried verabredete gerade Segelpartien, zur Vorbereitung auf die Travemünder Woche. Denn wenn auch die »Klara« sich mit den Jachten ihrer Klasse, des Kaisers »Meteor« und der Kruppschen »Germania«, noch nicht in einen Wettkampf einlassen konnte, weil Schiffer, Mannschaft und Besitzer sie noch zu wenig kannten, so wollte man doch bemerkt werden und als neue Erscheinung einen sehr guten Eindruck machen. In allen Sportzeitungen war es schon in freundlichen Notizen begrüßt worden, daß Herr Wynfried Severin Lohmann die auf der Germaniawerft erbaute Jacht erworben habe.

Fräulein Edith, deren Häßlichkeit schärfere Linien bekommen hatte, tanzte vor Begeisterung. Sie war zu allem bereit – wollte eine Art freiwilliger Schiffsjunge werden, und weder Sturm noch Gefahr sollten sie erschrecken. Papa würde einfach nicht gefragt, damit ihm nicht etwa beikäme, es zu verbieten. Auch Agathe klatschte in die Hände: Ja, ja! Das konnte sehr lustig werden.

»Was? Die gräßliche Natur! Das langweilige Meer! Plötzliche Geschmacksänderung?« spottete Likowski.

»Ach – Sie! So ’n rauher Kriegsmann versteht nichts von den Wandlungen einer Frauenseele.«

»Na, es freut mich immerhin. Natur – das ist doch wenigstens kein schlechter Geschmack!«

»Das sagt er mir! Als hätte ich je solchen!« rief Agathe empört.

Likowski lehnte für seine Person ab, an den Fahrten teilzunehmen, und sagte auch gleich – weil er wußte, er half damit dem Kameraden – daß es Marning wohl ebenso ergehe. Denn wie lagen die Dinge? Sie lagen so, daß es noch in diesem Sommer zu etwas kommen werde! Sein Vetter, der Kapitänleutnant, war der gleichen Ansicht. Vor dem Herbst! Denn im Spätherbst lassen sich die Engländer auf nichts mehr ein. Wir sind ihnen mit unseren Torpedobooten überlegen, und deren erfolgreichstes Feld ist: dunkle Herbstnächte. Das wissen sie da überm Kanal. Nein, in solchen Zeiten und wo alle Nerven vor gespannter Erwartung bebten, da hatte er keinen Sinn für Sport.

»Ach Unsinn, es geht nie los,« sagte Edith, zog höchst vertraulich Wynfried am Arm etwas beiseite und flüsterte: »Laden Sie nicht Hornmarck ein, lieber Lohmann. Nein – nicht? Ich will auch schrecklich nett gegen Sie sein sein – aber lassen Sie Hornmarck weg. Ich bin so bange, daß er anhält … Das wär’ zu peinlich – wo man sich hier doch immer gegenseitig auf der Pelle sitzt. Er will ja woll nich begreifen: Das war doch bloß so ’n Backfischstadium.«

Alle hörten es.

»Nee,« sprach Likowski. »Keine Bange nich, Fräulein Edith. Hornmarck hat mir noch gestern gesagt, er heirat’ bloß, wenn er ’ne sehr gediegene, weibliche, schöne Frau kriegt –«

»Na,« lachte Edith, »also grad’ so ’n Mädchen, wie ich bin.«

Und alle lachten mit.

Klara hatte ein Gefühl: wie tut das wohl, all diese Banalitäten – es schien so zu beweisen, daß nichts aus den Fugen sei. Und sie sagte, daß sie gelegentlich auch mitsegeln werde, in der Regel freilich sei sie durch ihr Kind und ihren Schwiegervater gebunden. Und sie horchte dem Klang ihrer Stimme nach, und er war ihr wie ein fremder Ton.

Sie fühlte: das große, sprechende Auge sah an ihr vorbei. Und sie hätte nicht gewagt, seinen Blick zu suchen.

Welche qualvolle Unerklärlichkeit – was stand denn zwischen ihr und ihm? Sprach sie nicht oft heiteren Gemütes mit ihrem Schwiegervater von diesem Mann – gerade ihn vor allen preisend und glücklich dem Lobe horchend, das der alte Herr für ihn hatte?

Und wenn sie dann mit ihm zusammen war, brannte in ihrer Brust diese nervöse Angst? Der Entschluß wallte in ihr auf: ihn nicht mehr sehen …

Und ihr war, als müsse sie schon jetzt auf der Stelle fliehen.

Sie sprach etwas undeutlich davon, daß es die Zeit sei, wo sie dem Schwiegervater Gute Nacht sagen müsse … er zog sich ja immer früh zurück … Sie lief, als peitsche sie wer. Und kam atemlos im Hause an und fuhr hinauf.

Der alte Herr war still. Nicht müde – aber als sei er satt vom Tage. Er mochte gern noch einsam bedenken, wie reich er nun geworden.

Da kam die junge Frau.

»Kind,« schalt er, »so außer Atem … Und so elend siehst du aus – was ist denn das? Ich dachte schon immer bei Tische: was hat denn Klara?«

 

Sie legte ihre Wange sacht auf seinen Scheitel und ihren Arm um seine Schulter.

»Es war wohl ein bißchen viel,« sagte sie leise, »ich hätt’ die Feier lieber im kleinen Kreis gehabt.«

»Ich auch, aber das ist Wynfried. Man muß ihm zu Willen sein.«

»O ja – immer – immer,« sprach Klara.

Ganz unbeweglich, auf das Haupt des Alten geneigt, stand sie – lange – lange.

Wie tat das wohl – gab solchen Frieden.

An diesem Abend verlobte sich das älteste Fräulein Thürauf doch noch mit Herrn von Brelow. Er bat den Generaldirektor und seine Gattin um ein Gespräch. Und auf einem etwas melancholisch von einer Traueresche überhangenen Sitzplatz, im nüchternen Schatten, wurde die Angelegenheit verhandelt. Der Freier in seiner schönen, aristokratischen Erscheinung, mit den schon angegrauten Schläfen und dem sorgenvollen Ausdruck, sprach: »Ihre Luise, meine gnädige Frau, und ich, wir haben uns lieb. Ich weiß, daß Luise auf keine Mitgift zu rechnen hat. Sie sprachen es so oft aus, Herr Generaldirektor, und auch Luise hat es mir so ausdrücklich bestätigt, daß wir von vorneherein wissen: wir müssen mit dem bescheidenen Los zufrieden sein, das ich ihr bieten kann. Und da Ihre Tochter in ihrer prachtvollen Charakterfestigkeit und anspruchslosen Art mir gesagt hat, sie könne ohne Luxus leben und bewerte eine herzlich-friedliche Ehe höher als Glanz, so hoffe ich, daß Sie, Herr Generaldirektor, und Sie, gnädige Frau, uns Ihre Einwilligung nicht vorenthalten werden.«

Die wunderhübsche Frau drückte sogleich gerührt mit der Linken ihr Spitzentüchlein gegen die Augen, während sie mit ausdrucksvoller Geste ihre Rechte Herrn von Brelow entgegenstreckte, die er verehrungsvoll küßte.

Der Generaldirektor besah seine Hände, schien zwei Sekunden nachzudenken, schlug plötzlich die kühlen Augen auf und hatte ein leises, ironisches Lächeln.

»Darf ich als Vater ein wenig präzisere Angaben über dies bescheidene Los erbitten?«

Herr von Brelow errötete. Er war aus stolzem Hause. Sein Vater hatte es herabgewirtschaftet. Dies war kein kleiner Augenblick für ihn. Als Mann von Herz und Ritterlichkeit hätte er lieber erklärt: »Ich biete Ihrer Tochter eine große Stellung.«

Und er mußte sagen: »Der junge Graf Prank ist erst dreiundzwanzig Jahre alt, von robuster Gesundheit, unheilbarer Idiot. Das wissen Sie. Ich darf hinzusetzen: Vormünder und Agnaten sind mit meiner Administration so zufrieden, daß ich meine Stellung als lebenslänglich ansehen darf. Sie wissen auch, daß Schloß Prankenhorst verschlossen dasteht und daß ich das Kavalierhaus als Wohnung habe. Es ist geräumig und würde, völlig eingerichtet, meiner Familie eine durchaus standesgemäße Häuslichkeit bieten. Ich habe frei: ein Reitpferd und zwei Wagenpferde. Ferner alle Erträgnisse des sehr großen Gemüsegartens und für die Hauswirtschaft ein natürlich abgegrenztes Quantum von allem, was der Stall, die Meierei und die Scholle tragen und die Jagd bringt. Was ich dazu an barem Gehalt habe, ist freilich so bescheiden, daß ich die Ziffer vor einem Mann, wie Sie es sind, nicht aussprechen mag. Aber Luise kennt sie und meint, wir würden uns durchaus damit einrichten – sie will gern sparen.«

Das ironische Lächeln auf dem klugen Gesicht des Zuhörers war noch deutlicher geworden. Aber es war nicht von jener Art Ironie, die verletzt – Frau Thürauf kannte dies Lächeln. Und es weckte auf ihrem Gesicht den Reflex strahlender Vorfreude.

»Sie sind Idealist, Herr von Brelow,« begann er. »Aber glauben Sie nicht, daß wir Männer der Großindustrie und der Naturwissenschaft dafür kein Verständnis hätten – wir brauchen selbst einen starken Posten Idealismus – ohne den kann kein Sterblicher schaffen. Aber immerhin! An Ihrer Stelle würde ich doch eine große Mitgift, eine wohlhabende Heirat gesucht haben. Natürlich, ich bin kein armer Mann – aber Luise hat zu viel Herz, und Sie, taxier’ ich, zu viel Vornehmheit, um auf eine Erbschaft zu rechnen, die noch zwanzig Jahre und länger ausbleiben kann.«

»Ich sagte schon: wir haben uns lieb, Luise und ich,« antwortete Brelow kurz, ja schroff.

»Also denn ja – und von ganzem Herzen. Und ich sehe: meine Frau brauche ich nicht zu fragen, ob sie auch einverstanden ist!«

Er stand auf. Denn er sah zwischen dem Gebüsch, das den Weg zu diesem tristen Winkel geleitete, die Gestalt seiner Ältesten herankommen. Brelow erhob sich auf der Stelle auch.

»Da kommt Luise. Und noch etwas, Herr von Brelow – halten Sie mich nicht für ’n Schauspieler oder Poseur. Meine Frau und ich waren eins darin: die Kinder bescheiden erziehen! – Zu große Gewohnheiten haben noch keinem Menschen das Leben erleichtert – und die Gefahr lag zu nah: daß mal Mitgiftjäger sich ’ranmachen könnten. Meine Mädels taugen was! Das darf ich sagen! Sie sollen aus Liebe geheiratet werden – nicht als Eisenprinzessinnen auf ’n Heiratsmarkt kommen. – Na – und ich seh’ ja nun – Sie und Luise – Sie wollen zufrieden sein mit den Früchten des Feldes … Schön, sehr schön! – Aber ich möchte denn doch, daß es die Früchte der eigenen Felder meines Schwiegersohnes wären. Ich denke, wir lassen mal durch ’n geschickten Mittelsmann anklopfen, ob der Herr Kommerzienrat Silberling, der jetzt Ihr Stammgut hat, mit sich reden läßt …«

Da war auch schon Luise und hing an ihres Vaters Hals, und Brelow stand bleich vor freudigem Schreck.

»Bitte, bitte,« wehrte der Generaldirektor lächelnd ab, »es ist keine Mitgift! – Ich bin und bleibe ein Mann von Wort – schon allein, um dem dicken Pankow nicht den Triumph zu gönnen – durchaus: keine Mitgift! – Bloß Hochzeitsgeschenk.«

Aber als nachher das Brautpaar etwas steif und von der neuen Lage innerlich sehr glücklich bedrängt, jedoch äußerlich verlegen die Glückwünsche der Gesellschaft empfing, hatte Herr von Pankow doch sein Pläsier.

Er stieß mit dem Zeigefinger mehrere Löcher in die Luft, in der Richtung auf des Generaldirektors Weste zu, und lachte: »Was diese Eisenbarone kokett sind! – Ich wollte unserem Freunde Thürauf schon ’n Platz im Pankower Männerarmenhaus reservieren … Na und nu hat es sich doch so zusammengeläppert, daß Fräulein Luise ’n kleines Rittergut zur Hochzeit kriegt. Hören Se mal, Thürauf: nehmen Se mir Pankow ab und geben Se mir Ihren Posten.«

Und still bei sich dachte der dicke, joviale Mann: »Brelow hat’s natürlich gewußt, daß es Schwindel war mit dem Gerede von: keine Mitgift und so …«

Klara umarmte die vor Glück ganz unsichere Braut. Und dachte immerfort: »Sie lieben sich – sie lieben sich! …«

Und es schien ihr ein Wunder, daß zwei aus Liebe sich zusammenfinden durften. –

Von nun an sah man jeden Nachmittag die weiße Jacht mit den gelbbleichen Seidensegeln und der flinken Mannschaft in den krebsroten Sweatern die Trave hinabkreuzen, durchs Wyk, an Travemünde vorbei, hinaus in die freie Bucht, wo am Horizont sich Himmel und Meer trafen. Bei Flaute schleppte das Motorboot seinen koketten Bojennachbarn weit hinaus.

Der Geheimrat sah es mit Staunen, daß der Juniorchef Wynfried Severin Lohmann jeden Nachmittag die Zeit dazu hatte … Und er sah auch, daß sein Sohn in der frischen Seeluft, dem köstlichen Sport, geradezu in erneuter Mannesschönheit aufblühte.

Er sprach mit Thürauf. Und der Generaldirektor gestand, daß Wynfried mit einer genialen Leichtigkeit und Raschheit arbeite, die denn doch das väterliche Erbe sei. Ja, es gehe ihm alles noch flotter von der Hand – als schüttle er es nur so aus dem Ärmel. Bei Beratungen traf er rasch den Kern der Dinge, auf die es ankam.

Was konnte sein Vaterherz mehr erfreuen! Und dennoch – ihm schien, als halte Thürauf irgend etwas zurück – das war sonst nicht seine Art.

Er sprach auch mit Wynfried selbst.

Der lachte.

»Vater, du bist doch kein Programmensch. Auch die Art des Arbeitens ist was Individuelles. Weißt du, mir hat immer der große Gelehrte imponiert – Robert Koch soll’s gewesen sein – der sich sein Leben so einteilte: acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Vergnügen. Kann man seine vierundzwanzig Stunden klüger einteilen?«

»Gewiß nicht,« gab der Geheimrat zu; und mahnte sich in Gedanken: »Gerecht bleiben!«

Weil sein eigenes Leben das eines Stiers im Joche gewesen war, brauchte seines Sohnes Dasein nicht ein ebenso brutales, unaufhörliches Ringen mit der Arbeit zu sein. Und sein Sohn hatte ja auch eine liebe, holde Frau – ein Glück in der Ehe – das hatte er doch?

Dem alten Mann war seit einiger Zeit der Ausdruck in den strengen Zügen dieser jungen Frau so rätselhaft.

Was am Tauftage ihm zuerst so bänglich aufgefallen, dieser Zug von Abspannung, der fast nach verborgenem Leid aussah, der schien so tief eingezeichnet, daß er nie mehr wich.

So sieht das Glück nicht aus …

Er nahm sich zusammen, hörte zu, was sein Sohn in fröhlich flottem Ton weitersprach.

»Ich kann wohl sagen, es macht Spaß, wenn man da so auf dem Werk sich abhetzt – rasche Entschlüsse fassen muß – das prickelt – Spannung und Wagnis ist dabei – grad’ wie beim Segeln – man sieht die Böe kommen – es heißt Umlegen – ja, da kommt es auf die Sekunde an – Geistesgegenwart ist alles. In den Fingerspitzen muß man’s haben, wann das Tau locker zu geben ist – und hart an der Gefahr des Kenterns vorbei – dann hat man so recht ein Gefühl von Lebensfülle.«

Plötzlich wußte der Geheimrat, was Thürauf in seinen Äußerungen nicht mit vorgebracht hatte.

Das Sportgefühl, mit dem Wynfried der Arbeit gegenüberstand! … Sie war ihm keine heilige Sache. War nebensächlich.

»Nun,« sagte er, vorsichtig die Worte suchend, »es ist doch wohl ein Unterschied. Arbeit ist kein Sport.«

»Ich meine doch beinah – wenigstens für uns, die wir’s eigentlich nicht nötig haben.«

»Eines Sports kann man überdrüssig werden. Der großen Aufgabe nicht.«

»Keine Angst, Vater,« sagte er leichthin; »ich hoffe doch, sie bleibt mir immer interessant. Nur – ich will daneben noch was vom Leben haben.«

»Ich bin der letzte, dir das zu mißgönnen,« versicherte der Vater.

Wynfried streichelte Klara das Haar.

Und in einem jähen Gefühl fand der alte Herr: auch nebensächlich …

»Ja, das Interesse an Severin Lohmann hat meine famose, großartige Frau in mir geweckt.«

Klara lächelte freundlich.

Im Ohr des alten Herrn weckte dies Lob einen Nachhall. Hatte er es nicht schon oft und oft gehört? Immer dies Rühmen der »famosen, großartigen« Frau? Hatte seines Sohnes Empfindung keine Auswahl an Worten?

Fort – fort – Gespenster – Grübeleien – fort …

Klara war sacht hinausgegangen und kam nun mit dem Kinde zurück.

»Na, du kleines Kerlchen,« sagte Wynfried und sah, auch aus Gefälligkeit gegen Klara, das Kind an. Es entwickelte sich so kräftig, es war so wundervoll gepflegt, daß man sich daran freuen mußte. Und es gewährte Wynfried auch Genugtuung, daß alle Menschen, die es sahen, es bewunderten.

Der alte Mann fuhr beinahe zusammen – da war wieder ein Nachhall – aber er kam von weit her – aus Zeitfernen.

War das nicht eben die Stimme oder doch der Tonfall seiner Frau gewesen? Sagte sie nicht geradeso »na, du kleines Kerlchen«, wenn die Wärterin ihr einmal den kleinen Wynfried zeigte?

O, dieser Tonfall – durch den alles zur oberflächlichsten Nichtigkeit zu werden schien – in dem kein Klang von tiefem Gefühl mitschwang.

In seinem Gemüt gärten die neu erwachenden Sorgen so schwer, daß er sie nicht ganz vor seinem Kinde verhehlen konnte. »Sein Kind« – das war ja die junge Frau. –

Es war gegen Abend, und er saß schon wieder oben in seinem mächtigen Stuhl, als er sagte: »Ich muß dich fragen …«

Klara kniete sogleich neben ihm hin – denn das war ja die Stellung, in der sie ihm am besten in die Augen und zu ihm empor sehen konnte. Er legte seine schwere Hand auf ihr Haar, und seine Augen blitzten sie an.

»Hast du Kummer?«

»Nein, Vater.«

»Du bist verändert.«

Sie erblaßte.

»Wie sollte ich es sein?«

»Hast du über Wynfried zu klagen?«

»Nicht. Gar nicht. Er ist immer sehr herzlich und rücksichtsvoll.«

Er wollte weiter fragen: bist du glücklich? Er wagte es nicht.

Er hörte die beruhigenden Antworten. Aber er hatte auch gesehen, wie sie erblaßte.

Und was unbestimmt in seinem Gemüt gärte, verdichtete sich zu dem Angstgefühl, daß seinem Hause Unheil nahe …

»Klara,« sagte er, »hab Geduld mit ihm.«

»Das brauch’ ich ja gar nicht. Ich habe ja über nichts zu klagen,« sprach sie matt.

»Aber wenn … je …«

Da raffte sie sich auf.

»Vater!« sprach sie fest. »Was ich vor Gott geschworen habe, halt’ ich! Sonst wär’ ich nicht wert, dein Kind zu sein.«