Za darmo

Stille Helden

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Da hatte Klara betroffen geschwiegen. Sah denn Wynfried nicht, daß das doch einfach unmöglich war …

Der Kommerzienrat Kreyser war lange nicht hier gewesen; seither hatte sich der Betrieb um einen Hochofen vermehrt, auch war die Fabrikation von Ammoniak und Benzol als Nebenprodukten aufgenommen worden, und Kreyser sprach den Wunsch aus, nachher einen Rundgang machen zu dürfen. Marning hörte es und erbat die Erlaubnis, sich anzuschließen. Sogleich sagte Agathe, daß sie darauf seit langem erpicht sei, einmal das Werk sehen zu dürfen, sie habe es nur nicht sagen mögen. Also gleich nach dem Kaffee und der Zigarre. – Zum Genuß dieser ließen die beiden Damen die Herren eine halbe Stunde allein.

Agathe war sehr damit beschäftigt, ob ihr Haar auch noch ordentlich sitze und wie Klara die dunkelgrüne Toilette finde. Der Seidenstoff sei ihr ein wenig, ein Spürchen zu glänzend ausgefallen; für sie seien stumpfe Stoffe kleidsamer. Sie stand vor dem Spiegel und prüfte ihr Bild und war beinahe gerührt über all die Schönheit, der der eine immer noch widerstand …

Plötzlich wallte ein schrecklicher Jammer in ihr auf, und sie warf sich Klara an den Hals – mit beiden runden Armen umschlang sie sie und preßte sie heftig an sich.

»Klara,« sagte sie, »liebste, beste Klara – schenken Sie mir das Du – laß uns Freundinnen sein – Du? nicht wahr. Du?!«

Klara war betroffen. Es lag nicht in ihrer Natur, sich so schnell an einen Menschen nahe anzuschließen. Und wenn ihr Agathe auch nicht unsympathisch war – wie konnte dies gutherzige Naturkind es irgend einem Menschen sein? – so schien ihr doch, als gebe die Gewährung des »Du« einem anderen Wesen ein überraschendes, ja geradezu unbequemes Anrecht auf ihre Nähe. Und ihr war, als möge sie lieber allein bleiben.

Eine Ablehnung schien unmöglich. Agathe erwartete eine solche auch keinen Augenblick, küßte Klara heftig ab und sagte: »Ich muß dir gleich was anvertrauen! Ich muß. Sonst ersticke ich daran. Denke dir: ich liebe ihn! Rasend. Zum Sterben. Ich werde … ja – ich mag nicht mehr leben – ich will nicht mehr leben, wenn er mich nicht liebt.«

Sie begann zu weinen.

»Ihn?« fragte Klara in dem schwachen Versuch, zu tun, als wisse sie nicht …

»Gott – du fragst?! Wen denn als Stephan Marning – kann man anders? – Und ich warte und warte – im Sommer schien es – ich hoffte – damals im August. – Dann kam gleich das Manöver – dann hatte er vier Wochen Urlaub und war bei seinen Verwandten – damals dachte ich: er will erst seine Sippe fragen, fand’s natürlich – aber die haben ihm ganz, ganz gewiß nicht abgeraten – ich weiß es durch die Gerwald, die da Beziehungen hat – sein Onkel wünscht ja bloß, daß er reich heiratet. – Dann kam er wieder – ist seitdem noch nie allein auf Lammen gewesen – bringt immer Likowski mit – ach nein – umgekehrt: läßt sich von ihm mitnehmen – als wolle er ausweichen und doch nicht brechen … Klara – ich muß die Wahrheit wissen! … Zeige mir gleich deine Freundschaft. – Weihe unser Bündnis ein, durch eine Tat – sprich mit ihm – klopfe auf den Busch – nein, frage geradezu – sage ihm, daß ich Selbstmord begehe, wenn er nicht …«

Ihr Schluchzen nahm ihr die Fähigkeit, auch nur noch ein Wort herauszubringen. Klara schob sie förmlich bis zur Chaiselongue, die quer am Fußende von ihrem Bett stand. Da sank die vor Unglück zum Tode Bereite schwer auf all die Kissen herab und weinte wie ein Kind – vor Liebesverlangen.

»Ich kann nicht leben ohne ihn,« jammerte sie.

Und dann wieder: »Wenn ich nur wüßte, warum? Bin ich nicht ganz hübsch – ich hab’ Geld – ich lieb’ ihn – so hat noch nie ein Weib geliebt – so liebt ihn keine wieder – nein – ich will sterben …«

Klara sah den Riß, der zwischen dem Gefühl dieser Frau und ihrem Gebaren mitten hindurchging, sehr wohl. Dennoch ergriff sie alles auf das heftigste.

Sie schritt auf und ab. Sie war sehr blaß. Diese Szene war ihr ganz und gar zuwider, obgleich ein starkes Mitleid ihr Herz klopfen machte …

Das war Liebe! Die große Liebe, die lieber sterben als entsagen will –

Es mußte berauschend, vernichtend, herrlich sein, das fühlen zu können –

»Aber solche Liebe laut einer Freundin zuschreien – o Gott – nein – das könnte ich nicht,« dachte sie.

Ihr schien, als nähmen so laute Klagen einer Leidenschaft Würde und Größe.

Und es wurde von ihr verlangt, daß sie – sie! – unkeusch zum Manne – zu diesem Manne, als Vermittlerin davon sprechen sollte? Unmöglicher Gedanke …

»Nein,« sprach sie, »das kann ich nicht. Das tue ich nicht. In diese heiligsten Dinge von Mensch zu Mensch sich einmischen? Mit Worten an Geheimnisse rühren, die zu zart sind, als daß man sie laut ausgesprochen haben möchte – nein, das kann ich nicht! Verzeih mir. Aber ich denke: was hülfe es auch. Wenn er dich liebt, bedarf es der Vermittlung nicht, und er wird schon eines Tags sprechen; – wenn er dich nicht liebt, ist es eine Demütigung für dich, daß ich sprach – O nein! – Du mußt die Haltung finden, gefaßt abzuwarten.«

»Du hast gut von Haltung reden,« sagte Agathe und drückte sich ihr geballtes Taschentuch gegen die Augen, behauchte es und tupfte wieder, »wenn man einen solchen Mann hat – der sich so auf Frauen versteht – ja – du kannst lachen –«

Ihr Jammer ward stiller. Die Furcht, verweint auszusehen, besiegte ihn für den Augenblick.

»Aber du gibst mir recht oft Gelegenheit …«

»Gern. Ich will es wohl bei Wynfried anregen, daß er sich immer den Freiherrn von Marning einlädt, wenn du kommst. Und du wirst gewiß oft kommen …«

»Das ist doch etwas!« seufzte Agathe, und ihr weiches Herz, das der Freude so bedürftig war, hoffte aufs neue.

Wieder stand sie vor dem Spiegel. Da waren nun die Tränenspuren auf der zarten Haut und ließen sich mit allem Tupfen doch nicht so rasch verjagen. Aber es kam wie eine Eingebung über die blonde Frau. Mochte er es nur sehen, daß sie in Tränen und Gram verging …

Nun hatte sie große Eile, wieder zu den Herren zu kommen, die gewiß schon im Salon seien.

Sie trat ein. – Sie fühlte auf der Stelle: alle Herren sahen sie an und sahen, daß sie geweint hatte.

Ihre schwimmenden blauen Augen schmachteten und bettelten zu dem Geliebten hinüber, und in ihrem Gesicht stand beinah lesbar der Ausdruck: »Ja – sieh mich nur an! Um dich leide ich! Um dich – Grausamer …«

Und Klara sah es wohl: über das Angesicht des Mannes flog ein leiser, vielleicht nur von ihr erratener Ausdruck von Pein – ihr kam auch vor, als werde seine Haltung noch stolzer … Wie wunderlich wohl ihr das tat …

Man wollte nun hinüber zu dem Werk gehen. Es gab ein Durcheinander. Da war Leupold, der seinen Herrn wieder nach oben transportieren wollte. Und es hieß, Klara müsse den neuen Pelz tragen – der Spender solle sie noch darin bewundern. Agathe bestand darauf in ihrer plötzlichen, erregten Lebhaftigkeit und Lustigkeit.

Ihr Mann selbst gab Klara den Pelz um. – Wie schwer ihr das kostbare Stück auf den Schultern lag – als fiele eine Last auf sie. Und da war auch die Mütze: er setzte sie ihr sorgsam auf, mit einem erstaunlich geschickten Handgriff gerade die kleidsamste Art des Sitzes treffend. – Und es schien, daß Wynfried von ihrem Aussehen entzückt sei – er lächelte zufrieden – nein, mehr: zärtlich!

Und Klara wurde rot. Sie wußte nicht warum – sie hätte es nicht zu sagen vermocht, keinem Menschen und nicht sich selbst.

Nun stand sie da, kostbar angetan, auf dem braunen Haar das breite Barett von Nerzpelz, daran ein Büschel von Hermelinschwänzen schwarz und weiß kokett über dem linken Ohr befestigt war … Zu ihrem schönen Gesicht mit den geraden, strengen Brauen über den sprechenden Augen gab das einen merkwürdigen Glanz von Pracht und Würde. Sie schien nicht etwa in eine elegante Modedame verwandelt, sondern sogleich in eine Fürstin.

Und ihr fiel wieder ihre schwarze Winterjacke ein und die pastellblaue Wollmütze …

Der Geheimrat sah seine Schwiegertochter prüfend an. Er lächelte wohlgefällig. Aber er sagte doch: »Schön! Sehr prachtvoll! Wynfrieds Geschmack. Aber – Klara – weißt du noch – deine pastellblaue Wollmütze? Damit mocht’ ich dich auch gern leiden …«

Blitzschnell traf sich ihr Blick mit dem Stephans – und entwich ihm wieder …

Ja, die arme kleine Wollmütze … Und Klara hatte eine Erinnerung – sah sich deutlich, sehr deutlich, wie sie eilig und heimlich ein weißes Paketchen tief in das Schubfach ihrer Kommode hineinstopfte …

»Aber wir wollen doch gehen,« sagte sie matt. Sie fühlte sich plötzlich so freudlos und wünschte, neben dem alten Mann bleiben zu können – da war ja ihr Platz – der sicherste und friedvollste, den es auf der Welt für sie gab …

»Ja, vorwärts!« ermahnte Likowski. »Mir ist es eine Erhebung – immer, wenn ich da mal ’rumgehen darf … Der Gott, der Eisen wachsen ließ – der wollte keine Knechte … Eisen verführt mich mehr als die köstlichen Brillanten, mit denen unsere teure Baronin uns heute die Augen verblenden möchte.«

»Ihre nicht!« lachte Agathe.

Man brach auf. Alle nahmen vom Geheimrat Abschied, der noch Sorge trug, daß an Thürauf telephoniert werde. Der Generaldirektor werde Wert darauf legen, Kreyser die Honneurs des Werkes zu machen.

Man schritt in munteren Gesprächen die Straße entlang, und schon kam ihnen auch der Generaldirektor entgegen. Von dieser Begegnung an waren die beiden Herren für die übrige Gesellschaft verloren. Sie vertieften sich in fachmännische Gespräche und gingen weit voran.

Ihnen folgte Agathe zwischen Wynfried und dem Freiherrn von Marning, den sie mit einer Frage gleich an ihre Seite zu nötigen gewußt hatte.

»Wir werden nicht für ernsthaft genommen,« sagte Agathe. »Und ich brenne doch vor Lernbegier.«

»Ich erkläre Ihnen das alles auf populäre Art,« versprach Wynfried. »Seien Sie sicher, all die chemischen Formeln und Zahlen, in denen die zwei reden, hätten Sie doch nicht verstanden.«

 

»Es will absolut nicht in meinen Kopf, daß Sie was von solchen schrecklich wissenschaftlichen Sachen verstehen.«

»Hallo! Das ist aber stark …«

»Na ja – gottlob – ich hab’ immer das Gefühl … wie soll ich das sagen – na – als gäben Sie ein Gastspiel, wenn Sie arbeiten … Doch noch mal ein Mann, der Sinn und Zeit für uns armen Frauen hätte! … Denk’ ich so … Aber nein. Selbst Ihnen kommt es bei, und Sie sklaven sich ab …«

»Glauben Sie es mir – ich entdecke da ganz neue Genüsse. Man ist manchmal geradezu gepackt – sehr ähnlich wie beim Sport. Und man hat ein frisches Gefühl dabei – kommt sich als fixer Kerl vor.«

»Ach so – Sie wissen doch, wie’s heißt: Ich spürte das kleine, dumme Vergnügen, was abzumachen, was fertig zu kriegen.«

»Genau! Ja, so ist einem manchmal zumut –« gab Wynfried eifrig zu.

»Ohne dies Pläsier am Bewältigen geschähe vieles nicht,« sagte Stephan Marning, und er dachte: »Das heißt doch aus der Arbeit nur ein Spiel der Kräfte machen, ohne Erkenntnis ihres sittlichen Wertes.«

Er fragte sich – nicht zum erstenmal – was für eine Art von Mann denn wohl Lohmann der Sohn sei …

Klara ging mit dem Hauptmann von Likowski, ihrem alten Freunde, hinterdrein. Sie schwiegen. Die junge Frau hörte zu. Sie hatte immer eine leise Verwunderung, wenn sie ihren Mann mit Agathe zusammen sah. Wie anders war dann sein ganzes Wesen. Selbst der Klang seiner Stimme schien heller. Und seine Rede schien so leicht, so nur obenhin – er ließ sich necken und neckte wieder. – Vielleicht nahm er Agathe nicht ernst. – Das war die einzige Erklärung, die sie sich zu geben wußte …

Es kam ihr mühsam vor, daß sie jetzt mit Menschen zusammen sein müsse. Eine grenzenlose Traurigkeit drückte sie nieder. Sie mußte sich zusammennehmen, um nicht zu weinen – sie – die nicht weinerlich veranlagt war.

Sie seufzte nicht, sie atmete nicht schwer – und dennoch ging von ihrem Schweigen etwas aus, das den warmherzigen, treugesinnten Mann an ihrer Seite ahnen ließ, mit ihrer Stimmung sei es nicht in Ordnung.

»Sie fühlen sich von all den Geburtstagsfreuden erschöpft, gnädige Frau?« fragte er.

Klara fuhr auf.

»Ich? Nein –«

Und sie wußte, daß sie sich aufzuraffen hatte.

Da waren sie nun am Tor, über dem mit großen schwarzen Buchstaben auf grauem Schilde stand: Eisenhütte Severin Lohmann.

Und mit Rädern und Fußstapfen waren von drinnen her Kohlenspuren gekommen. Der sandige Grund der Erde war schon viele Schritte vor dem Tor geströmt von dunklen Tönen. Das wirkte, als fließe die Düsterheit des Bodens einem entgegen. Einem schwärzlichen Estrich glich er drinnen, in den zahllose Tritte die Kohlenteilchen und den Niederschlag des Rauches fest eingetreten hatten. Und der Dunst von Teer und Gasen durchbeizte dichter und spürbarer die Luft, als man das Tor nun passierte.

»Aufgepaßt!« mahnte Wynfried, denn Agathe stolperte über einen Schienenstrang. Und sie fiel schwer gegen Marning, so daß er sie halten mußte.

Sie hob den blauen, schwimmenden Blick zu ihm empor.

»Ich bin wirklich gestolpert,« sagte sie – so wie sie als Kind vielleicht gesagt hatte: »ich habe wirklich nicht gelogen,« wenn man sie bezweifelte.

Er mußte doch, entwaffnet, lächeln.

Sie gingen an allerlei kleinen Gebäuden vorbei, bogen um ein retortenartiges Bauwerk, aus dessen Poren Teer zu schwitzen schien – Likowski sagte wenigstens, es komme ihm so vor. – Und dann standen sie vor einer Riesenwand, die sich aus hundertundfünfzig hart aneinandergepreßten Öfen zusammensetzte. Hoch über ihr zogen sich schwarze, gewaltige Rohre hin, andere kamen quer von weitem herab – mächtige Verbindungen waren diese, in denen stumm und selbsttätig und rastlos die gepulverten und gewaschenen Kohlen heranglitten, in die Öfen hineinsanken, um da in rasender Hitze zu Koks gebrannt zu werden; und Wege waren sie, in denen das noch ungereinigte Gas, aus den Gluten kommend, seinen flüchtigen Weg nahm zu den geheimnisvollen Werkstätten hin, wo ihm in wunderbaren Destillationen, Kühlungen und Prozessen seine Bestandteile an Benzol und Ammoniak entzogen wurden.

Vor dieser Wand von Öfen streckte sich eine erhöhte eiserne Plattform hin. Auf sie hinaus schob sich gerade jetzt der Inhalt eines. Eine der schmalen Türen öffnete sich. In höllischer Majestät bewegte sich ruhevoll ein fast weißglühendes Stück Mauer heraus. Und eine Gespensterhand drängte es weiter und weiter vor, eine gewaltige, schwarze, eiserne Hand, steif im Gelenk nach oben eingeknickt. Männer, mit Schläuchen bewehrt, warteten und sahen der sich langsam vorwärtsbewegenden Glutmauer entgegen. Nun stand sie. Und das an eine Hand erinnernde Eisenstück, das sie gehoben hatte, zog sich gelassen in die Tiefe des Ofens zurück, der seine Tür wieder schloß. Zugleich zischten aus den Schläuchen Wasserstrahlen und begossen das Ungetüm von Form gewordenem Feuer. Weißer Dampf quoll auf, wurde rasch ein graues, dann ein schwarzes Gewölk. Was glühende Mauer gewesen, lief dunkel an, ward schwarz und fiel nach zwei Minuten als Koks prasselnd auseinander, durchstochen und gestoßen von den langen Eisenstäben der verräucherten Arbeiter. Und es hatte etwas Phantastisches, zu denken, daß dieser Vorgang sich alle paar Minuten wiederholte und daß von diesen hundertundfünfzig schmalen Türen bald die eine, bald die andere sich öffne, um solche aufrechte Glutmauer in grandioser Sicherheit zu entlassen.

Vor dem Plateau standen Loren bereit, den Koks zu den Öfen zu bringen.

Und auf einem anderen Schienenstrang standen diese offenen, kastenartigen Eisenbahnwagen, voll von gleichmäßigen, länglichen Stücken, gleich großen Holzscheiten – nur daß sie grau waren und rauh ihre Oberfläche. Das seien »Gänze«, sagte Wynfried, das heißt: das Roheisen in der Form, wie das Werk es hauptsächlich produzierte.

Agathe hustete und ängstigte sich und hatte gedacht, alles könne auf sie herabfallen. Aber sie verriet nichts von ihrer Angst. Denn sie sah, daß der geliebte Mann dem Schauspiel mit leuchtenden Augen zusah. Sie konnte sich seinetwegen zu allerlei Heldentum zusammenfassen. – »Wenn ich liebe, kann ich alles!« dachte sie.

Wynfried erklärte. Er führte die Gesellschaft zu dem trichterförmigen Bassin, in das die kleinen Wagen der Drahtseilbahn, von den Ladebrücken kommend, die gepulverte Kohle hineinschütteten, während an der Wand dieses Bassins in stumpfer Unaufhörlichkeit ein Becherwerk das Kohlenpulver aufschöpfte und in die Rohre goß, die man oberhalb der Öfen gesehen.

Man kam an den Erzlagern vorbei, und gerade schwebten die Förderwagen einer nach dem anderen anmutig heran, kippten und warfen mit Gepolter grauen, schimmernden Magnetstein auf einen Hügel dieses Erzes. Nebeneinander lagerten sie, die Berge von Erzen, die durch ihre Farben schon verrieten, daß sie verschieden an Gehalt waren. – Und es schien, als trage jedes den Charakter seiner Heimat, als sei sein Gewand kein Zufall. Sprach nicht der silbergraue Magneteisenstein von den stillen Himmeln und beschatteten Bergseen Schwedens? In starken satten Farben glühte noch im Roteisenstein ein Nachglanz der Wärme spanischen Bodens. Und aus den Tiefen lothringischer Gruben kam dieses braune Eisenerz. Wie wunderbar sprechend – weißlich, durstig-trocken lag der Kalkstein gehäuft, und man stellte sich die staubigen Wege Griechenlands vor, von wo er kam, und sah unwillkürlich die weißüberpuderten Zypressen an den dürren Rainen trauern. –

Über den Köpfen der Schauenden zogen sich die dunklen Eisenlinien der verschiedenen Drahtseilbahnen und Rohrleitungen hin. Wasser tropfte herab – irgend woher kam roter Feuerschein. Dort drüben stand, gleich einer dünnen Säule ein Rohr. Aus seinem Munde brannte frei eine Flammensäule von Gas. Der Wind fuhr hinein und zerfaserte sie zu Gebilden von unbeschreiblicher Feinheit, in ständig wechselndem Spiel. Ihr Geleucht im schon leise verblassenden Tageslicht war unruhig. Es wurde manchmal ganz von der Luft zerfetzt, und Flämmchen schwebten sekundenschnell zusammenhanglos und wurden sogleich wieder von der großen Flamme herangerissen.

»Oh!« sagte Agathe bewundernd, »wie in der Walküre.«

Klara begann allmählich zuzuhören, was ihr Mann sagte – wie er es sagte. Und sie wurde teilnehmender. Sie vermochte wohl zu beurteilen, daß er klar und sicher vortrug. – Daß Stephan Marning und Likowski voll Sammlung zuhörten und Fragen aufwarfen, war ihr eine lobende Kritik. Das tat ihr wohl – es kam ihr vor, als weiche diese schwere Traurigkeit, dies lähmende Gefühl von Leere allmählich von ihr. Woher war es gekommen? Sie verstand es nicht. Sie hatte nur eine dumpfe, beängstigte Empfindung davon, daß es etwas Furchtbares, Bedrohliches sei.

Vom Wasser her kamen Windstöße, die Wolken jagten am Himmel; fern im bläulichen feinen Dunst des beginnenden Nebels stand am Horizont etwas Unbegreifliches. Eine lilarote Masse, die zu zerfließen schien, von blaugrauen Streifen quer überschnitten – kein Ball mehr – kein Rund – nein, ein ungeheuerlicher Feuerfleck, der schnell immer tiefer sank. Sonnenuntergang im Novemberabendnebel.

Überall auf dem Werk blitzten schon die Lichter auf. Denn hier gab es keine Dämmerung und keine Zwischenspiele. Hier gab es nur Tag. Den Tag der Sonne und den Tag der elektrischen Lichter – und immer den der Arbeit.

Wie liebte Klara diese Stunde, wo alles ringsum blau schien, im Kampf des natürlichen Lichtes mit dem künstlichen.

Nun hieß es: in eines der Maschinenhäuser! Denn, nicht wahr? Baronin Agathe mußte begreifen: all die zauberhafte selbsttätige Bewegung der Förderungen, die in der Luft zwischen Drahtseilen herumglitten; all dies Aufsaugen von Gas aus den Öfen in die Rohre und das Hinüberleiten des Gases in die Eisentürme, die »Winderhitzer« hießen und eigentlich nur übermenschlich große Blasebälge seien; all das Wasser, das in Unmengen aus der Trave heraufgepumpt werde; alles, alles – jeder Betrieb hier mußte von Maschinen getrieben werden.

Agathe sagte, das verstehe sie, und machte ein reizendes, wichtiges Gesicht.

Sie traten ein in einen Riesensaal, wo die wunderreichsten Geschöpfe aus Metall bebten und zitterten, klopften und schwangen.

»Hier ist es aber sauber!« rief Agathe beglückt aus. Der Belag des Estrichs von braungebrannten Ton war wie Porzellan so glatt und rein. Und Agathe litt, wenn sie nur auf einen unsauberen Boden treten mußte. Sie war so peinlich …

»Ja,« sagte Wynfried, »ein Maschinenhaus ist immer wie ein Asyl der Sauberkeit mitten im Betriebe. – Maschinen sind wie schöne Frauen – sie wollen geputzt und – geschmiert werden, mit dem Öl der Schmeichelei …«

Agathe schlug mit ihrem Muff nach ihm.

Aus dem glasierten Estrich erhoben sich seltsam gestaltete Formen, die ihre untere Hälfte in der Tiefe verbargen; gleich gerundeten dunklen Tierrücken, über die hellere Hautstreifen liefen, waren sie. Riesenräder, aufrecht, halb über, halb unter dem Boden, drehten sich rasend; immer wieder verschwanden Speichen und tauchten auf.

Einige Maschinen plauderten leise, wie Frauen tun, die das emsige Geräusch ihrer Stricknadeln mit endlos hinfließendem Geschwätz begleiten.

Andere klappten mit Eisenzähnen, wie Riesen im Märchen, die für ihre leeren Kiefer nach Nahrung schnappen.

Und wenn man dieser sinnvollen, glatten, nie rastenden Bewegung zusah, bekam man zuletzt das unheimliche Gefühl, zwischen lauter Lebewesen zu sein, die aus einer anderen Welt stammten, nur eine andere Körperlichkeit hatten als die Menschen dieser Erde – aber ein pulsierendes Dasein wie sie –

»Wer ist der Erfinder all dieser Maschinen?« fragte Stephan.

»Keinen Schimmer!« sagte Wynfried achselzuckend. Und er wußte nur, daß die und jene Maschine aus der und der Fabrik aus Mühlheim-Ruhr stamme und daß die zwei da drüben aus dem Kreyser-Werk in Gelsenkirchen gekommen. – Der Ingenieur, der sie zuerst erfunden, die anderen, die sie vervollkommnet hätten, arbeiteten ja für das Werk, in dem sie engagiert waren – ihre Namen wußte man nicht.

»O,« sagte Likowski, »ist es tragisch? Ist es groß? Ungerecht? Wundervoll? Was wäre Deutschland, was die Kultur ohne all die stillen Helden der Arbeit, der täglichen, selbstlosen Hingabe an unsägliche Mühen. – Und kein Ruhm – kein Heldenlied preist ihre Namen … Unsere auch nicht – wir arbeiten und schuften ohne zulänglichen Lohn, ohne Anerkennung, noch umfeindet – damit das hier geschützt ist – damit solche Dinge blühen – uns groß machen. – Ich hab’ so’n Gefühl: wir stehen ja Schulter an Schulter mit all diesem hier –«

Er drückte seinem lieben Kameraden und Freund die Hand. – Stephan gab stark, gleichsam tröstend, den Druck zurück. Er wußte ja, wie der Hauptmann sich quälte. –

Und er dachte: »Es gibt noch viel mehr stilles Heldentum – nicht nur das der Arbeit – auch das des Gefühls – schweigend sich bezwingen – ja – wer das muß …«

 

Seine Gedanken verloren sich ins Unbestimmte.

Agathe fing an zu klagen: es werde ein bißchen mühsam. Sie hatte doch nur ganz dünne Schuhe an mit so hohen Hacken – es ging sich schlecht damit.

»Nur noch zu den Hochöfen,« sagte Klara, »das ist doch die Hauptsache.«

Sie gelangten an die erste der ragenden Burgen, die aus dem breiten Massiv, dem eigentlichen Herde, aufstiegen und deren mit gemischten Erzen und Kalk gefüllte Schachträume mit einem Panzer von Steinen und Eisen umgeben waren. Dieser hochgetürmte, nach oben zu sich verjüngende Umbau gab den ragenden Hochöfen den burgenartigen Charakter. Galerien liefen um diesen Panzer, in dem man fest vernietete Türen bemerkte. Und um den ganzen untern Körper des Ofens rannen mit Rauschen und Plätschern unaufhörlich kühlende Wasser.

Hinten an den Ofen stieß die Gießhalle; man mußte eine primitive Treppe emporsteigen. Agathe als Vorletzte, hinter ihr Wynfried.

Agathe fühlte sich elend vor Angst. So entsetzlich nah war man dem Ungetüm, in dem eine Höllenhitze von zweitausend Grad Celsius wütete! Sie konnte sich nichts bei dieser Zahl denken – das ging natürlich über menschliche Vorstellung. Es jagte aber doch eine Furcht ein, die halb interessant, halb schauerlich war.

»Kann das bersten?« fragte sie zu Wynfried zurück.

»Doch – es kommt vor – trotz des besten Materials, das für den Umbau verwendet wird. – Wenn es Verstopfungen im Nachsacken der Beschickung gibt. – Gase sich entwickeln –«

»O Gott!« sagte Agathe, raffte ihre Röcke noch höher und enger zusammen und blieb stehen. Der Mann hinter ihr sah die seidenen Strümpfe und die koketten Schuhe. Er faßte Agathe recht kräftig um die Taille, von hinten her, und schob sie so vorwärts, Stufe um Stufe. Und als sie oben angekommen waren, wandte sie sich etwas zu ihm, und sie lachten sich mit den Augen an, wie zwei tun, die es mit dem Wagnis und dem Verzeihen einer Dreistigkeit nicht schwer nehmen.

Oben traf die Gesellschaft auf Kreyser und Thürauf, und Agathe hatte das Bedürfnis, dem Generaldirektor sozusagen ein Kompliment über das Werk zu machen.

»Wie ist es malerisch!« schwärmte sie.

»Eine andere Art malerische Schönheit als ein See im Mondschein zwischen Waldbergen,« sprach Stephan von Marning. »Wie viel mehr sagt diese uns heutigen Menschen.«

»Ja, das ist die Romantik der Industrie,« bestätigte der Generaldirektor.

Aber er war auch umsichtig bedacht, die Gäste an sicheren Platz zu stellen, denn gleich sollte der Abstich beginnen. Er verwies sie auf einen balkonartigen Ausbau neben dem Ofenrund, von wo aus sie dann einen trefflichen Überblick hatten auf die schräge Ebene der Gießhalle, die eigentlich ein Schuppen ohne Wände war, deren Dach auf Pfeilern ruhte. Diese Ebene war mit Sand bedeckt, und in ihn hinein hatten die Arbeiter lauter kurze Rinnen getieft – die Formen für den Guß der »Gänze«. In unübersehbarer Zahl und Regelmäßigkeit zogen sie sich hin, in ihrer Mitte von einem Laufgraben durchfurcht, den entlang das fließende Eisen strömen sollte, um sich dann in all diese Rinnen zu verteilen.

Überall standen Leute bereit, Schaufeln und Stangen waren zurechtgelegt – wachsam hieß es den feurigen Fluß lenken und fördern, falls er sich irgendwo sollte stauen wollen.

Nun sammelten sich ihrer ein Dutzend und umklammerten – als seien sie die sieben Schwaben, die gemeinsam ihren Riesenspieß wagerecht durch die Lande schleppten – eine wuchtige Eisenstange. Und mit ihr gingen sie zum Stoß gegen das von gebranntem Ton luftdicht verschlossene Gießloch vor. Hallende Töne zitterten über das Rauschen der Wasser hin – wieder und wieder stießen die Männer mit den von nassen Tüchern umwickelten Händen den Eisenstab gegen den Verschluß – berannten die Festung des Feuers. – Und da krachte es – Funken schossen hervor – Garben von Sprühpünktchen – und weißgolden, von leichten Trübungen da und dort überhaucht, floß das glühende Eisen.

Düstere Glut warf einen rötlichen Schein in den Raum der Gießhalle, wo die sich bückenden und von Sandwall zu Sandwall hinübertretenden Gestalten der Arbeiter zu schwarzen Silhouetten wurden. Und in der schiefen Ebene füllte sich langsam Rinne um Rinne mit dem fließenden Eisen – das sah aus, als hätten sich lauter Goldstreifen hingelegt – eine Reihe von kurzen, blanken Linien auf dunklem Grunde.

Und vom Vorherde, unten am Ofen, floß auch schon die Schlacke ab – ein Brunnenstrahl von Feuer. In kurzem Bogen schoß er hernieder in das mit Wasser halbgefüllte Wagengefäß, das die Masse nachher zur Schlackenhalde rollen sollte.

Die Luft selbst schien wie verbrannt, trocken und voll Hitze war sie. – Rauch wölkte. – Die schwarzen Gestalten hantierten in Hast. – Draußen, zwischen dem Gestänge und Gedränge umqualmter Eisenlinien, sah man den blauen Abendhimmel.

Welch ein Stück Leben! Welche Welt voll Größe und erschütternder Schönheit!

Die junge Frau fühlte sich erhoben und befreit.

Was sind die Anwandlungen von Unklarheit und wunderlich quälender Unruhe? Was die unbedeutenden Rätselfragen in einem einzelnen, kleinen Menschenleben? Was vor dem Geist und der Tat, die die Natur bezwingen! –

Sie kam sich klein vor und in ihrer Kleinheit beruhigt.

Und zugleich war ihr, als sei sie mit all diesen Dingen unlöslich verbunden – als sei in dieser Welt der gewaltigen, machtvollen Arbeit ihre unverlierbare Heimat und Sicherheit – es würde, es sollte auch einst die Welt ihres Kindes werden …

Ihre Seele ward wieder froh …

Und irgend eine Empfindung nötigte sie, die dunklen Augen zu suchen, denen sie vorhin so unbegreiflich erschreckt ausgewichen war.

Vielleicht hatte der Mann die gleiche Empfindung. Denn wieder begegneten sich ihre Blicke.

Freudig und stolz sagten sich ihre Augen, daß ihre Seelen in der gleichen Andacht erhoben seien.