Bevor Er Sieht

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Bevor Er Sieht
Bevor Er Sieht
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Czyta Brianna Knickerbocker
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In Wirklichkeit würden ihr der ein oder andere lustvolle Blick nichts ausmachen. Ihr neuer, schlanker Körper, für den sie so hart gearbeitet hatte, verdiente es, geschätzt zu werden. Es kam ihr seltsam vor, sich in ihrer eigenen Haut so wohl zu fühlen, aber so langsam fand sie Gefallen daran. Sie wusste, dass es auch Harry Dougan gefiel, aber bisher hatte her noch nichts gesagt. Selbst wenn er dies tun würde, war sich Mackenzie nicht sicher, was sie ihm entgegnen würde.

Als ihr letzter Lauf (knapp unter zwei Meilen) beendet war, duschte sie im Trainingsgebäude und schnappte sich auf dem Weg nach draußen ein paar Kekse aus dem Automaten. Sie hatte den restlichen Tag frei, das bedeutete, dass sie vier Stunden lang tun und lassen konnte, was sie wollte, bevor sie sich im Fitnesscenter auf das Laufband begab. Das war eine kleine Routine, die sie sich angeeignet hatte, um den anderen immer einen Schritt voraus zu sein.

Was sollte sie mit dem restlichen Tag anstellen? Vielleicht könnte sie endlich fertig auspacken. In ihrer Wohnung standen immer noch sechs Kartons, deren Klebeband sie noch nicht einmal entfernt hatte. Das wäre eine gute Entscheidung. Aber sie fragte sich auch, was Harry heute Abend wohl tat, ob er an seiner Einladung zu einem Drink festhalten würde. Meinte er heute Abend oder an einem anderen Abend?

Und darüber hinaus fragte sie sich auch, was Agent Ellington wohl gerade tat.

Sie und Ellington hätten sich ein paar Mal schon fast getroffen, aber es hatte nie geklappt, was Mackenzies Meinung nach wahrscheinlich besser so war. Sie konnte gut damit leben, nie mehr an den peinlichen Zwischenfall erinnert zu werden, der in Nebraska geschehen war.

Während sie versuchte, sich zu entscheiden, was sie mit ihrem Nachmittag anstellen würde, lief sie zu ihrem Auto. Als sie den Schlüssel in die Tür steckte, sah sie ein bekanntes Gesicht vorbeijoggen. Der Jogger, eine weitere Agentin in Ausbildung namens Colby Stinson, sah sie an und lächelte. Sie joggte mit einer Energie zu Mackenzies Wagen, die Mackenzie zu dem Schluss kommen ließ, dass Colby gerade erst mit dem Laufen angefangen hatte und nicht schon am Ende war.

„Hallo“, sagte Colby. „Haben dich die anderen aus der Klasse zurückgelassen?“

„Nein. Ich habe ein Extratraining absolviert.“

„Natürlich hast du das.“

„Was soll das heißen?“, wollte Mackenzie wissen. Sie und Colby kannten sich recht gut, auch wenn sie sich nicht gerade als Freunde bezeichnen würde. Sie war sich nie sicher, wann Colby lustig sein oder sie provozieren wollte.

„Es heißt, dass du sehr ehrgeizig bist und immer mehr tust als von dir verlangt wird“, erklärte Colby.

„Ertappt.“

„Was hast du vor?“, fragte Colby. Dann deutete sie auf die Kekse in Mackenzies Hand. „Ist das etwa dein Mittagessen?“

„Ja“, erwiderte sie. „Erbärmlich, nicht wahr?“

„Nur ein wenig. Warum gehen wir nicht zusammen etwas essen? Pizza hört sich toll an.“

Auch Mackenzie hatte Hunger auf Pizza, doch sie hatte keine Lust auf Small Talk, vor allem nicht mit einer Frau, die sich zu sehr auf Tratsch konzentrierte. Aber auf der anderen Seite wusste sie auch, dass sie mehr in ihrem Leben als nur Training, Extratraining und die Einsamkeit in ihrem Apartment brauchte.

„Ja, warum nicht“, entgegnete Mackenzie.

Es war ein kleiner Sieg, sie verließ ihre Komfortzone und versuchte, an diesem neuen Ort, in diesem neuen Kapitel ihres Lebens Freunde zu finden. Doch mit jedem Schritt öffnete sich ihr eine neue Seite und sie konnte es kaum abwarten, diese auszufüllen.

*

Donnie’s Pizza Place war nur halbvoll, als Mackenzie und Colby am Nachmittag eintraten, da die Mittagskundschaft so langsam wieder aufbrach. Sie setzten sich an einen Tisch im hinteren Bereich des Lokals und bestellten Pizza. Mackenzie ließ es zu, sich zu entspannen und ihre schmerzenden Arme und Beine auszuruhen, doch das würde sie nicht lange genießen können.

Colby rutschte auf ihrem Stuhl nach vorne und seufzte. „Können wir bitte den Elefanten im Raum aus dem Weg schaffen?“

„Es gibt einen Elefanten?“, fragte Mackenzie.

„Ja“, erwiderte Colby. „Aber er ist ganz schwarz angezogen und passt sich die meiste Zeit gut an.“

„Okay“, meinte Mackenzie. „Dann erklär mir diesen Elefanten. Und sag mir, warum du ihn bis jetzt noch nicht erwähnt hast.“

„Ich habe dir nie gesagt, dass ich wusste, wer du warst, als du hier ankamst. Genau wie jeder andere. Es wurde viel darüber getuschelt. Und deshalb habe ich dir bis jetzt noch nichts gesagt. Doch jetzt, da unser Training so langsam zu Ende geht, weiß ich nicht, wie es die Dinge beeinflussen wird.“

„Was für ein Gerede?“, wollte Mackenzie wissen, obwohl sie sich schon ziemlich sicher war, dass sie wusste, in welche Richtung es ging.

„Nun ja, größtenteils geht um den Vogelscheuchen-Mörder und die bescheidene, kleine Frau, die ihn zur Strecke gebracht hat. Eine kleine Frau, die solch ein guter Detective in Nebraska war, dass sie vom FBI persönlich rekrutiert wurde.“

„Das ist zwar eine recht glorifizierte Version, aber ja…ich erkenne den Elefanten. Du hast gesagt, größtenteils. Gibt es denn noch mehr?“

Plötzlich schien sich Colby nicht sehr wohl zu fühlen. Sie steckte sich nervös eine Strähne ihres braunen Haares hinter das Ohr. „Nun ja, es gibt Gerüchte. Ich habe gehört, dass ein Agent sein Wort für dich im Vorstand eingelegt hat. Und…naja, wir befinden uns nun einmal in einer Umgebung, die von Männern dominiert wird. Du kannst dir vorstellen, in welche Richtung die Gerüchte gehen.“

Mackenzie verdrehte die Augen, die Situation war ihr peinlich. Sie hatte sich immer gefragt, welche Gerüchte hinter vorgehaltener Hand über sie und Ellington, dem Agenten, der eine große Rolle bei ihrer Aufnahme ins FBI gespielt hatte, im Umlauf waren.

„Tut mir leid“, sagte Colby. „Hätte ich besser nichts sagen sollen?“

Mackenzie zuckte mit den Schultern. „Es ist in Ordnung. Ich schätze, wir alle haben unsere Vergangenheit.“

Colby, die spürte, dass sie womöglich zu viel gesagt hatte, schaute auf den Tisch und nippte nervös an ihrem Getränk. „Tut mir leid“, erwiderte sie leise. „Ich dachte nur, dass du davon wissen solltest. Du bist die erste richtige Freundin, die ich hier gemacht habe, und ich wollte so offen wie möglich sein.“

„Das geht mir genauso“, entgegnete Mackenzie.

„Dann ist zwischen uns also alles in Ordnung?“, fragte Colby.

„Ja. Wie wäre es, wenn wir jetzt über ein anderes Thema reden?“

„Oh, kein Problem“, meinte Colby. „Erzähl mir von dir und Harry.“

„Harry Dougan?“, versicherte sich Mackenzie.

„Ja. Der zukünftige Agent, der dich jedes Mal, wenn ihr in einem Raum seid, mit den Augen ausziehen will.“

„Da gibt es nichts zu erzählen“, wehrte Mackenzie ab.

Colby lächelte und verdrehte die Augen. „Wenn du meinst.“

„Nein, wirklich. Er ist nicht mein Typ.“

„Vielleicht bist du auch nicht sein Typ“, spekulierte Colby. „Vielleicht will er dich einfach nur nackt sehen. Ich frage mich…was für ein Typ bist du eigentlich? Ich wette auf tief und psychologisch.“

„Wie kommst du darauf?“, wollte Mackenzie wissen.

„Wegen deiner Interessen und deiner Neigung, in allen Profiling-Kursen und Übungsszenarien hervorzustechen.“

„Ich glaube, das ist ein häufiger Irrglaube über jeden, der sich für Profiling interessiert“, erwiderte Mackenzie. „Wenn du einen Beweis brauchst, kann ich dir mindestens drei ältere Männer der Staatspolizei Nebraskas nennen.“

Danach unterhielten sie sich über banale Dinge – ihren Unterricht, ihre Ausbilder und so weiter. Doch die ganze Zeit über schmorte Mackenzie innerlich. Die Gerüchte, die Colby erwähnt hatte, waren genau der Grund, warum sie sich möglichst unauffällig verhielt. Sie hatte sich nicht bemüht, Freunde zu finden – eine Entscheidung, durch die sie eigentlich mehr als genug Zeit gehabt hatte, ihre Wohnung fertig einzurichten.

Und alles nur wegen Ellington…dem Mann, der nach Nebraska gekommen und ihre Welt verändert hatte. Es hörte sich wie ein Klischee an, aber genau das war geschehen. Und die Tatsache, dass sie ihn immer noch nicht aus dem Kopf bekam, war etwas erschreckend.

Sogar als sie sich mit Colby nett unterhielt und sie zusammen aßen, fragte sich Mackenzie, was Ellington wohl gerade tat. Sie fragte sich auch, was sie jetzt tun würde, wenn er bei ihrem Versuch, den Vogelscheuchen-Mörder zu fassen, nicht nach Nebraska gekommen wäre. Das war keine schöne Vorstellung, wahrscheinlich würde sie immer noch diese qualvoll geraden Straßen entlangfahren, die entweder vom Himmel, den Feldern oder Mais umgeben waren. Außerdem würde sie vermutlich mit einem chauvinistischen Idioten ein Team bilden, der einfach nur eine jüngere und dickköpfigere Version Porters, ihres ehemaligen Teampartners war.

Sie vermisste Nebraska nicht. Sie vermisste nicht die Routine ihres Jobs, den sie dort ausgeübt hatte, und sie vermisste definitiv nicht die dort vorherrschende Geisteshaltung. Was sie jedoch vermisste war das Wissen, dass sie dazu passte. Sogar mehr noch, in Nebraska hatte sie zu den hochrangigsten Mitarbeitern in der Polizeiwache gehört. Hier in Quantico war das anders. Hier hatte sie eine riesige Konkurrenz und sie musste darum kämpfen, ganz oben zu bleiben.

 

Glücklicherweise war sie für diese Herausforderung mehr als bereit und war froh, den Vogelscheuchen-Mörder und ihr Leben vor dessen Festnahme hinter sich zu lassen.

Wenn sie nur noch diese Alpträume verhindern könnte.

KAPITEL ZWEI

Der nächste Morgen begann schon früh mit Waffentraining, einer Disziplin, in der Mackenzie recht begabt war. Sie hatte schon immer gut schießen können, aber mit der richtigen Anleitung und einer Klasse, in der zweiundzwanzig weitere ehrgeizige Anwärter mit ihr konkurrierten, war sie unheimlich gut geworden. Sie zog immer noch die Sig Sauer vor, die sie in Nebraska verwendet hatte, und hatte sich gefreut, dass die Standartwaffe des FBI eine Glock war, die sich nicht zu sehr von ihr unterschied.

Sie starrte auf das Papierziel am Ende des Schießkorridors. Ein langer Streifen Papier hing von einer mechanischen Stange fast zwanzig Meter von ihr entfernt. Sie zielte, feuerte dreimal schnell hintereinander ab und legte ihre Waffe nieder. Das Vibrieren der Schüsse vibrierte in ihren Händen nach, ein Gefühl, dass sie mittlerweile genoss.

Als das grüne Lichte am Ende des Korridors aufleuchtete, drückte sie einen Knopf auf dem Steuerkasten, um sie das Papierziel zu sich heran zu holen, das den Torso eines Menschen darstellte. Zwei Schüsse hatten den oberen Bereich der Brust getroffen, während der dritte die linke Schulter gestreift hatte. Die Schüsse waren ganz in Ordnung (jedoch nicht perfekt) und obwohl sie mit den über die Brust verstreuten Schüssen nicht zufrieden war, wusste sie, dass das Ergebnis nun viel besser war als bei ihrem ersten Schießtraining.

Elf Wochen. Sie war schon seit elf Wochen hier und lernte immer noch dazu. Sie war mit den verteilten Schüssen unzufrieden, weil diese fatal sein könnten. Sie war darauf trainiert worden, nur zu schießen, um einen Verdächtigen festnehmen zu können und um ihm unter schlimmsten Umständen mit einem Schuss in die Brust oder den Kopf das Leben zu nehmen.

Ihre Instinkte verbesserten sich. Sie lächelte das Papierziel an, dann schaute sie auf das kleine Schaltkästchen vor ihr, wo eine Schachtel voller Munition auf sie wartete. Sie lud die Glock nach und ließ ein neues Ziel herunter. Diesmal stellte sie die Entfernung auf etwa zweiundzwanzig Meter ein.

Sie wartete, bis das rote Licht an der Schalttafel grün wurde, bevor sie sich umdrehte. Sie holte tief Luft, wirbelte herum und feuerte wieder dreimal ab.

Diesmal waren eine glatte Reihe von drei Eintrittslöchern knapp unterhalb der Schulter zu sehen.

Viel besser, dachte Mackenzie.

Zufrieden nahm sie ihre Schutzbrille und Ohrschützer ab. Dann räumte sie ihre Station auf und drückte auf einen anderen Knopf des Schaltboards, wodurch das Ziel mithilfe des elektrischen Zugsystems nach vorne gezogen wurde. Sie nahm das Papier ab, faltete es und steckte es in den kleinen Rucksack, den sie so ziemlich überall mit hinnahm.

Sie hatte ihre Freizeit dazu genutzt, um ihre Fähigkeiten, bei denen sie das Gefühl hatte, den anderen in ihrer Klasse nachzustehen, im Übungsbereich zu schulen. Sie war eine der ältesten unter den Auszubildenden und es hatten sich bereits Gerüchte verbreitet, dass sie persönlich aus einer miserablen und kleinen Polizeistation in Nebraska hierhergeholt worden war, kurz nachdem sie den Fall um den Vogelscheuchen-Mörder gelöst hatte. Im Moment befanden sich ihre Leistungen was die Handhabung von Waffen anging im mittleren Bereich ihrer Klasse, doch sie war entschlossen, am Ende ihrer Ausbildung die Beste zu sein.

Sie musste sich selbst beweisen. Aber das machte ihr nichts aus.

*

Nach ihrer morgendlichen Schießübung ging Mackenzie direkt zu ihrem letzten Kurs, den sie in einem Klassenverband absolvieren musste. Es war ein Psychologieunterricht, der von Samuel McClarren, einem sechzig Jahre alten früheren Agenten und Bestseller-Autoren, der bereits sechs New York Times Bestseller über das psychologische Profil einiger der grausamsten Serienkiller des vergangenen Jahrhunderts veröffentlicht hatte, gehalten wurde. Mackenzie hatte alles, was dieser Mann geschrieben hatte, gelesen und konnte seinen Vorträgen stundenlang zuhören. Es war mit Abstand ihr Lieblingskurs und auch obwohl sie von dem stellvertretenden Direktor aufgrund ihres Lebenslaufes und ihres beruflichen Werdeganges von der Teilnahme des Kurses befreit worden war, hatte sie begeistert die Chance ergriffen, seinen Unterricht zu besuchen.

Wie immer war sie eine der ersten in der Klasse und saß weit vorne. Als sie ihr Notizheft und einen Stift herausholte, kamen immer mehr ihrer Kollegen herein und schalteten ihre MacBooks an und Samuel McClarren betrat das Podium. Hinter Mackenzie warteten zweiundvierzig Auszubildende eifrig auf den Beginn des Vortrags, jeder einzelne von ihnen schien von seinen Worten fasziniert zu sein.

„Gestern haben wir uns, sehr zur Freude der Teilnehmer unter Ihnen mit einem schwachen Magen, bereits mit den psychologischen Windungen beschäftigt, von denen wir ausgehen, dass sie Ed Gein angetrieben haben,“, begann McClarren. „Und heute wird es nicht viel besser werden, da wir uns mit der oft unterschätzten und doch unwiderstehlich verqueren Denkweise des John Wayne Gacy auseinandersetzen werden. Sechsundzwanzig nachgewiesene Opfer, die entweder stranguliert oder mithilfe eines Stauschlauches erstickt wurden. Er verteilte die Opfer, nachdem er sie ermordet hatte, an verschiedenen Stellen zwischen den Brettern unter seinem Haus bis hin zum Des Plaines Fluss. Und natürlich, daran denken die meisten Menschen, wenn sie seinen Namen hören, das Clown Make-up. Der Fall Gacy strotzt nur so vor psychologischer Störungen.“

Der Rest der Vorlesung folgte diesem Muster, was bedeutete, dass McClarren sprach und die Schüler eifrig mitschrieben. Wie immer vergingen die eineinviertel Stunden wie im Flug und Mackenzie sehnte sich danach, noch mehr zu hören. Hin und wieder hatten McClarrens Vorlesungen Erinnerungen an die Jagd auf den Vogelscheuchen-Mörder geweckt, vor allem an die Zeit, als sie während der Ermittlungen die Tatorte noch einmal besucht hatte, um sich in den Kopf des Mörders zu versetzen. Sie wusste, dass sie eine gewisse Neigung für so etwas hatte, was sie jedoch niemanden wissen ließ. Manchmal jagte ihr diese Neigung selber Angst ein und sie wusste, wie makaber sie war, weshalb sie niemandem davon erzählte.

Als die Vorlesung vorüber war, packte Mackenzie ihre Sachen zusammen und ging zur Tür. Als sie hinaus in den Gang trat und immer McClarrens Worte verarbeitete, sah sie den Mann nicht, der neben der Tür stand. Sie bemerkte ihn sogar erst dann, als er ihren Namen rief.

„Mackenzie! Hey, warten Sie.“

Sie blieb stehen, als sie ihren Namen hörte, und als sie sich umdrehte, entdeckte sie ein bekanntes Gesicht in der Menge.

Agent Ellington folgte ihr. Ihn zu sehen war solch eine Überraschung, dass sie einen Moment lang praktisch regungslos dastand und versuchte, eine Erklärung für sein Auftauchen zu finden. Da sie wie versteinert stehen blieb, schenkte er ihr ein schüchternes Lächeln und trat schnell an sie heran. Ein weiterer Mann folgte ihm.

„Agent Ellington“, sagte Mackenzie. „Wie geht es Ihnen?“

„Gut“, antwortete er. „Und selbst?“

„Ziemlich gut. Was tun Sie hier? Machen Sie einen Auffrischungskurs?“, fragte sie in dem Versuch, der Situation ein wenig Humor zu verleihen.

„Nein, nicht wirklich“, erwiderte Ellington. Er schenkte ihr ein weiteres Lächeln, das sie wieder daran erinnerte, warum sie sich vor drei Monaten an ihn herangemacht und sich blamiert hatte. Er deutete auf den Mann und sagte: „Mackenzie White, ich würde Ihnen gerne Special Agent Bryers vorstellen.“

Bryers trat vor und streckte ihr die Hand entgegen. Mackenzie schüttelte sie und nutzte den Moment, um den Mann zu mustern. Er sah aus, als wäre er in seinen frühen Fünfzigern, hatte einen größtenteils grauen Schnurrbart und freundliche, blaue Augen. Sie erkannte sofort, dass er vermutlich sanftmütig und ein echter Südstaaten-Gentleman war, von denen sie schon so viel gehört hatte, seit sie nach Virginia gezogen war.

„Schön, Sie zutreffen“, sagte Bryers, während er ihre Hand schüttelte.

Nun, da sie einander vorgestellt waren, kam Ellington wieder zur Sache. „Haben Sie gerade viel zu tun?“, fragte er Mackenzie.

„Im Moment nicht“, antwortete sie.

„Nun ja, wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten, würden Agent Bryers und ich gerne etwas mit Ihnen besprechen.“

Bei diesen Worten sah Mackenzie, wie sich ein Funke Zweifel auf Bryers Gesicht schlich. Bei näherer Betrachtung machte er sogar den Eindruck, als würde er sich nicht ganz wohl fühlen. Vielleicht wirkte er deshalb so zurückhaltend.

„Natürlich“, sagte sie.

„Kommen Sie“, meinte Ellington und deutete auf einen kleinen Studienraum im hinteren Teil des Gebäudes. „Ich gebe Ihnen einen Kaffee aus.“

Mackenzie erinnerte sich an das letzte Mal, als Ellington solch ein Interesse an ihr gezeigt hatte. Es hatte sie hierhergeführt, sie ihrem Traum, ein FBI Agent zu sein, mit allem, was dazu gehörte, nähergebracht. Deshalb ergab es Sinn, ihm jetzt zu folgen. Dabei warf sie einen Seitenblick auf Agent Bryers und fragte sich, warum er so einen unbehaglichen Eindruck machte.

*

„Sie sind bald fertig, nicht wahr?“, fragte Ellington, als sich die drei mit ihren Kaffeebechern, die Ellington in dem winzigen Café gekauft hatte, hinsetzen.

„Es dauert noch acht Wochen“, erwiderte sie.

„Dann fehlen noch Terrorismusbekämpfung, fünfzehn Simulationsstunden und etwa zwölf Stunden Schießübungen, nicht wahr?“, fragte.

„Und woher genau wissen Sie das alles?“, entgegnete Mackenzie besorgt.

Ellington zuckte nur mit den Schultern und grinste sie an. „Es ist gewissermaßen zu einem Hobby von mir geworden, Sie im Auge zu behalten, seit Sie hier angefangen haben. Ich habe Sie vorgeschlagen, weshalb es auch um meinen Kopf geht. Sie haben praktisch alle wichtigen Leute hier beeindruckt. Im Moment ist das alles hier sowieso mehr eine Formalität. Ich würde sagen, wenn Sie in den nächsten acht Wochen nichts gegen die Wand fahren oder abbrennen lassen, gehören Sie dazu.“

Er holte tief Luft und schien sich zu wappnen.

„Was uns zu dem Grund bringt, warum ich mit Ihnen sprechen wollte. Agent Bryers hier befindet sich in einer etwas prekären Lage und bräuchte eventuell Ihre Hilfe. Aber ich werde ihn das erklären lassen.“

Bryers schien sich der Sache immer noch nicht sicher zu sein. Das zeigte sich darin, dass er einige Sekunden verstreichen ließ, nachdem er seinen Kaffeebecher auf den Tisch gestellt hatte, bevor er anfing zu sprechen.

„Nun ja, wie Agent Ellington bereits gesagt hat, haben Sie die wirklich wichtigen Leute tatsächlich beeindruckt. In den vergangenen zwei Tagen habe ich Ihren Namen schon dreimal gehört.“

„In welchem Zusammenhang?“, wollte sie leicht nervös wissen.

„Ich arbeite gerade an einem Fall, der meinen Teampartner, mit dem ich nun schon seit dreizehn Jahre gemeinsam ermittle, aus dem Dienst treibt“, erklärte Bryers. „Er geht sowieso bald in den Ruhestand, weshalb das nicht sehr überraschend ist. Ich liebe den Kerl wie einen Bruder, aber er hat einfach genug. Er hat während seiner achtundzwanzig Jahre als Agent genug gesehen und will keine weiteren Alpträume, die ihm in den Ruhestand folgen. Das lässt natürlich eine Lücke frei, die ein neuer Partner füllen und der in seine Fußstapfen treten muss. Es wäre keine dauerhafte Zusammenarbeit – nur lange genug, um diesen aktuellen Fall hoffentlich zu lösen.“

Mackenzie spürte einen Stich Aufregung in ihrem Herzen und wusste, dass sie sich kontrollieren musste, bevor ihr Verlangen, sich zu beweisen, Überhand gewann. „Und in diesem Zusammenhang wurde mein Name genannt?“, vergewisserte sie sich.

„Das stimmt“, bestätigte ihr Bryers.

„Aber es gibt doch bestimmt genügend erfahrenere Agents, die diese Position besser füllen könnten als ich.“

„Es gibt vermutlich passendere Agents“, gab Ellington nüchtern zu. „Aber soweit wir das beurteilen können, ähnelt dieser Fall in vielen Punkten dem Fall des Vogelscheuchen-Mörders. Zudem denken viele Höhergestellte, dass der Fall perfekt für Sie ist, weil Ihr Name die Runde macht.“

 

„Aber ich bin doch noch gar kein Agent“, widersprach Mackenzie. „Ich meine, kann man bei so etwas wirklich noch acht Wochen warten?“

„Wir würden nicht warten“, sagte Ellington. „Und ohne hochnäsig klingen zu wollen, aber das FBI macht solche Angebote nicht gerade jedem. Eine Chance wie diese – nun ja, ich wette, dass jeder in Ihrer Klasse alles dafür tun würde. Es ist unglaublich unkonventionell und ein paar wichtige Leute scheinen die Sache auch aus dieser Perspektive zu sehen.“

„Es scheint mir nur…unethisch“, meinte Mackenzie.

„Das ist es auch“, stimmte ihr Ellington zu. „Auf gewisse Weise ist es technisch gesehen sogar illegal. Aber wir können die Ähnlichkeiten zwischen diesem Fall und dem, den Sie in Nebraska aufgeklärt haben, nicht ignorieren. Entweder, wir lassen Sie unbemerkt an dem Fall mitarbeiten, oder wir warten noch einmal drei bis vier Tage und hoffen, dass wir einen neuen Partner für Agent Bryers finden. Und Zeit ist von größter Bedeutung.“

Natürlich wollte sie die Chance ergreifen, aber es fühlte sich übereilt an, fast schon gehetzt.

„Kann ich ein wenig Bedenkzeit haben?“, fragte sie.

„Nein“, erwiderte Ellington. „Tatsächlich würde ich die den Fall betreffenden Unterlagen nach diesem Gespräch in Ihre Wohnung schicken lassen. Ich werde Ihnen ein paar Stunden geben, um sie sich anzuschauen und Sie dann heute Abend nach Ihrer Antwort fragen. Aber Mackenzie…ich rate Ihnen definitiv, diesen Fall anzunehmen.“

Sie wusste, dass sie es tun würde, aber sie wollte weder zu begierig noch zu anmaßend wirken. Außerdem setzte so langsam nun doch die Nervosität ein. Das war ihre große Chance. Und dass ihr ein so erfahrener Agent wie Bryers helfen wollte…nun ja, das war einfach unglaublich.

„Also“, begann Bryers, wobei er sich über den Tisch beugte und seine Stimme senkte. „Bis jetzt haben wir zwei Leichen, die auf derselben Mülldeponie gefunden wurden. Beide waren junge Frauen, die eine zweiundzwanzig, die andere neunzehn. Sie wurden nackt und mit Blutergüssen bedeckt gefunden. Das letzte Opfer zeigt zwar Spuren sexueller Misshandlung, jedoch keine Körperflüssigkeiten. Die Leichen tauchten in einem Abstand von etwa zweieinhalb Monaten auf, doch die Tatsache, dass beide auf derselben Müllhalde und mit der gleichen Art der Verletzungen gefunden wurden…“

„Das ist kein Zufall“, bemerkte Mackenzie, während sie darüber nachdachte.

„Nein, wahrscheinlich nicht“, erwiderte Bryers. „Nehmen wir also einmal an, dass das Ihr Fall wäre, dass sie ihn gerade erst zugeteilt bekommen hätten. Was würden Sie als erstes tun?“

Sie brauchte weniger als drei Sekunden, um eine Antwort zu finden. Als sie sie erklärte, spürte sie, wie sie in eine Art Zone rutschte – einem Gefühl, durch das sie wusste, dass sie Recht hatte. Wenn es je einen Zweifel gegeben hatte, dass sie diese Gelegenheit ablehnen könnte, dann wurde sie bei ihrer Antwort vernichtet.

„Ich würde bei der Mülldeponie beginnen“, sagte sie. „Ich würde mir die Gegend selber, mit meinen eigenen Augen anschauen wollen. Anschließend würde ich mit den Familienangehörigen sprechen. War eine der beiden verheiratet?“

„Die Zweiundzwanzigjährige“, sagte Ellington. „Sie war seit sechzehn Monaten verheiratet.“

„Dann ja“, erwiderte Mackenzie. „Ich würde bei der Mülldeponie anfangen und mich danach mit dem Ehemann unterhalten.“

Ellington und Bryers tauschten wieder einen wissenden Blick aus. Dann nickte Ellington und trommelte mit den Händen auf den Tisch. „Bist du dabei?“, wollte er wissen.

„Ja, ich bin dabei“, antwortete sie, unfähig, ihre Begeisterung noch länger zu kontrollieren.

„Gut“, sagte Bryers. Er griff in seine Tasche und schob ein paar Schlüssel über den Tisch. „Wir sollten keine Zeit verlieren. Lassen Sie uns anfangen.“