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Synnöve Solbakken: Erzählung

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5

Einige gingen hinaus, andre suchten den Spielmann, daß er wieder hereinkäme, damit der Tanz beginnen könnte. Aber der Spielmann war in einer Ecke der Diele eingeschlafen, und einige von den Gästen baten, man möge ihn ruhig liegen lassen. Seit sein Kamerad Lars zuschanden geschlagen worden ist, hat Ole Tag und Nacht spielen müssen. Man hatte Thorbjörns Pferd und seine Sachen auf den Hof geschafft und einen andern Wagen vorgespannt, da er trotz aller Bitten wieder fort wollte. Namentlich der Bräutigam suchte ihn zurückzuhalten: »Hier ist vielleicht nicht so große Freude für mich, wie man glauben sollte,« sagte er, und Thorbjörn dachte das seine dabei; aber er beschloß doch, weiterzufahren, ehe es Abend wurde. Als man sah, daß er unerschütterlich war, zerstreute man sich über den Hof. Es waren viele Leute da, aber es war sehr still, und das Ganze sah wenig nach einer Hochzeit aus. Thorbjörn mußte einen neuen Deichselpflock haben und ging, sich einen zu suchen. Auf dem Hofe war kein passender Gegenstand, deswegen ging er ein wenig weiter und kam an einen Holzschuppen, in den er hineinging, langsam und still, da ihn die Worte des Bräutigams verfolgten. Er fand, was er suchte, und setzte sich dann, ohne recht zu wissen, was er tat, an die eine Wand, Messer und Pflock in der Hand. Da hörte er ganz in der Nähe etwas stöhnen; es war auf der andern Seite der dünnen Wand, wo das Wagenschauer war, und nun lauschte er. – »Bist du es – auch wirklich?« hörte er eine männliche Stimme leise und in langen Zwischenräumen sagen, als spräche sie mit großer Anstrengung. Dann hörte er jemand weinen, aber es war kein Mann. – »Weshalb kamst du auch hierher?« fragte eine Stimme, die der Weinenden gehören mußte, denn sie war von Tränen erstickt. – »Hm – auf wessen Hochzeit sollte ich denn spielen, wenn nicht auf deiner!« sagte die erste Stimme. ›Das ist sicher der Spielmann Lars, der da liegt,‹ dachte Thorbjörn. Lars war ein kräftiger, schöner Bursch, dessen alte Mutter auf einer Häuslerstelle, die zu dem Gehöfte gehörte, zur Miete wohnte, die andre aber mußte die Braut sein! – »Weshalb hast du nur nie gesprochen?« sagte sie leise, aber sehr langsam, als sei sie in großer Erregung. – »Ich glaubte, das sei zwischen uns beiden nicht nötig,« war die kurze Antwort. Dann war eine Weile alles still, endlich begann sie von neuem: »Du wußtest doch, daß er hierherkam. – Ich hatte dich für stärker gehalten.« – Er hörte nun nichts als Weinen, endlich brach sie wieder in die Worte aus: »Warum hast du nicht gesprochen?«

»Es hätte dem Sohne der alten Birthe wohl wenig genützt, wenn er die Tochter auf Nordhaug angesprochen hätte,« antwortete er nach einer Pause, während der er schwer geatmet und viel gestöhnt hatte. Er wartete auf Antwort. – »Wir haben einander doch so viele Jahre nachgeschaut,« sagte sie endlich.

»Du warst so stolz, man wagte nicht, ordentlich mit dir zu reden.«

»Und doch habe ich nichts in der Welt so sehr gewünscht! – Ich wartete jeden Tag; wo wir uns begegneten – es war mir fast, als böte ich mich dir an. Und dann dachte ich, daß du mich verschmähtest.« – Wieder war alles still. Thorbjörn hörte keine Antwort, kein Weinen; er hörte den Kranken auch nicht atmen.

Thorbjörn dachte an den Bräutigam, den er kannte und für einen guten Mann hielt, und er empfand Mitleid mit ihm. Da sagte sie: »Ich fürchte, er wird wenig Freude an mir haben, er – der –« – »Es ist ein braver Mann,« sagte der Kranke und fing wieder an, leise zu stöhnen, da ihn offenbar die Brust schmerzte. Es schien, als fühle sie seinen Schmerz mit, denn sie sagte: »Das ist nun so schwer für dich – aber es wäre wohl niemals zur Aussprache zwischen uns gekommen, wenn dies nicht geschehn wäre. Als du Knud den Schlag versetztest, verstand ich dich erst.«

»Ich konnte es nicht länger ertragen,« erwiderte er. Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Knud ist schlecht!« – »Er ist nicht gut,« sagte die Schwester.

Sie schwiegen eine Weile, dann sagte er: »Es soll mich wundern, ob ich wohl jemals wieder gesund werde. Nun, das ist jetzt auch ganz einerlei.« – »Hast du es schlimm, so habe ich es noch weit schlimmer,« und abermals folgte heftiges Weinen. – »Willst du jetzt gehn?« fragte er dann. – »Ja,« lautete die Antwort, und nach einer Weile sagte sie: »O mein Gott, mein Gott, was für ein Leben wird das werden!« – »Weine nicht,« sagte er; »der liebe Gott wird meinem Leben bald ein Ende machen, und dann wird es auch für dich besser werden, das sollst du sehn.« – »Jesus, Jesus, daß du nicht gesprochen hast!« rief sie mit verhaltner Stimme, wie wenn sie die Hände ränge; Thorbjörn glaubte, daß sie weggegangen sei, oder daß sie nicht imstande sei, länger zu reden; denn er hörte eine ganze Weile nichts. Er ging.

Den ersten besten, dem Thorbjörn im Hofe begegnete, fragte er: »Was ist eigentlich zwischen dem Spielmann Lars und Knud Nordhaug vorgefallen?« – »Ha? Zwischen denen? Ja« – sagte der Häusler Peter und zog das Gesicht zusammen, als wollte er etwas in den Falten verbergen; »danach kannst du wohl fragen, denn das war um nichts und wieder nichts. Knud fragte Lars nur, ob seine Fiedel auf dieser Hochzeit einen guten Klang habe.«

In diesem Augenblick ging die Braut vorüber; sie hatte das Gesicht abgewandt, als sie aber den Namen Lars vernahm, wandte sie sich um und zeigte ein Paar große, rotgeweinte Augen, die unsicher blickten; sonst aber war das Gesicht ganz kalt, so kalt, daß Thorbjörn es nicht mit ihren Worten von vorhin zusammenreimen konnte. Das gab ihm noch mehr zu denken.

Etwas weiter nach vorn im Hofe stand das Pferd und wartete; er befestigte seinen Pflock und sah sich nach dem Bräutigam um, von dem er sich verabschieden wollte. Er hatte keine große Lust, ihn zu suchen, es war ihm sogar lieb, daß er nicht kam, und er setzte sich also auf den Wagen. Da vernahm er von der linken Seite des Hofes her, wo die Scheune stand, Lärmen und Rufen; es war eine ganze Gesellschaft, die aus der Scheune herauskam; ein großer Mann, der voranging, rief: »Wo ist er? – Hat er sich versteckt? – Wo ist er?« – »Da, da!« riefen mehrere. – »Laßt ihn nicht dorthin,« sagten andre, »es gibt nur ein Unglück.« – »Ist das Knud?« fragte Thorbjörn einen kleinen Jungen, der neben seinem Wagen stand. – »Ja, er ist betrunken, dann sucht er immer Händel!« – Thorbjörn saß schon auf dem Wagen und trieb nun das Pferd an. –»Nein, halt, Kamerad,« hörte er eine Stimme hinter sich; er hielt das Pferd an, als dies aber weiterging, ließ er es laufen. – »Hallo! bist du bange, Thorbjörn Granliden?« schrie jetzt die Stimme ganz dicht hinter ihm. Jetzt zog er die Zügel an, sah sich aber nicht um.

»Steig ab und nimm teil an unsrer guten Gesellschaft,« rief jemand. Thorbjörn wandte den Kopf: »Danke, ich muß nach Hause,« sagte er. Sie unterhandelten eine Weile, und währenddes war der ganze Schwarm an den Wagen herangekommen; Knud stellte sich vor das Pferd hin, streichelte es erst und faßte es dann beim Kopfe, um es zu betrachten. Knud war hochgewachsen, er hatte blondes, aber struppiges Haar und eine aufgeworfne Nase, der Mund war groß und dick, die Augen milchblau, aber frech. Er hatte wenig Ähnlichkeit mit der Schwester, nur einen Zug um den Mund hatten sie gemein, und dann hatte er dieselbe gerade aufsteigende Stirn, nur etwas niedriger, wie denn alle ihre feinen Züge bei ihm gröber waren. – »Was willst du für deinen Gaul haben?« fragte Knud. – »Ich will ihn gar nicht verkaufen,« erwiderte Thorbjörn. – »Du glaubst wohl, ich könnte ihn nicht bezahlen?« sagte Knud. – »Ich weiß nicht, was du kannst.« – »So? Du zweifelst daran? Davor solltest du dich denn doch hüten,« sagte Knud. Der Bursche, der vorhin drinnen im Zimmer an der Wand gestanden und mit dem Haar der Mädchen gespielt hatte, sagte nun zu einem Nachbarn: »Knud wagt es diesmal nicht recht.«

Das hörte Knud. – »Ich wage es nicht? Wer sagt das? Ich wage es nicht?« schrie er. Mehr und mehr Leute kamen herzu. – »Aus dem Wege, gebt acht aufs Pferd!« schrie Thorbjörn und schwang die Peitsche; er wollte fahren. – »Sagst du zu mir: Aus dem Wege?« fragte Knud. – »Ich sprach mit dem Pferd; ich muß fort,« sagte Thorbjörn, wich aber auch nicht zur Seite. – »Was, du fährst gerade auf mich zu?« fragte Knud. – »So geh aus dem Wege!« – und das Pferd erhob den Kopf, sonst hätte es Knud damit gerade vor die Brust stoßen müssen. Da faßte Knud es beim Gebiß, und das Pferd, das diesen Griff noch von der Landstraße her kannte, fing an zu zittern. Das aber rührte Thorbjörn, der bereute, was er dem Pferde angetan hatte; jetzt wandte sich sein Zorn gegen Knud, er erhob sich mit der Peitsche in der Hand und schlug Knud über den Kopf. – »Du schlägst?« schrie Knud und drängte sich näher heran; Thorbjörn sprang vom Wagen herab. – »Du bist ein schlechter Mensch!« sagte er leichenblaß und übergab die Zügel dem Burschen aus der Stube, der herzukam und sich erbot, das Pferd zu halten. Aber der alte Mann, der von seinem Sitze neben der Tür aufgestanden war, als Aslak seine Erzählung beendet hatte, ging jetzt zu Thorbjörn heran, faßte ihn am Arm und sagte: »Sämund Granliden ist ein zu braver Mann, als daß sich sein Sohn mit einem solchen Raufbold prügeln sollte.« Da wurde Thorbjörn ruhig, Knud aber rief: »Ich bin ein Raufbold! Das ist er ebensogut wie ich, und mein Vater ist ebenso gut wie der seine. – Komm heran! Es ist schlimm, daß die Leute nicht wissen, wer von uns beiden der stärkste ist,« fügte er hinzu und nahm sein Halstuch ab. – »Das wird sich schon früh genug zeigen,« sagte Thorbjörn. Da sagte der Mann, der vorhin auf dem Bette gelegen hatte: »Sie sind wie zwei Katzen; sie müssen sich erst Mut einreden, alle beide!« Thorbjörn hörte das, antwortete aber nicht. Einige aus der Menge lachten, andre sagten, es wäre schändlich mit allen den Prügeleien hier auf der Hochzeit und namentlich, daß sie einen fremden Mann verhöhnten, der friedlich seiner Wege ziehn wollte. Thorbjörn sah sich nach dem Pferde um; es war seine Absicht, weiterzufahren. Der Bursche aber hatte es umgewandt und eine ganze Strecke fortgefahren; nun stand er dicht hinter ihnen. – »Wonach siehst du dich um?« fragte Knud; »Synnöve ist weit weg!« – »Was geht dich die an?« – »Nein, solche scheinheilige Frauenzimmer gehn mich nichts an,« sagte Knud, »aber vielleicht hat sie dich um deinen Mut gebracht.« – Dies war zu viel für Thorbjörn; sie sahn, wie er sich umschaute und den Platz prüfte. Jetzt legten sich wieder einige von den ältern Leuten ins Mittel und meinten, Knud hätte auf dieser Hochzeit schon genug Unheil angerichtet. – »Mir soll er nichts tun,« sagte Thorbjörn, und als die andern das hörten, schwiegen sie. Andre sagten: »Laßt sie die Sache ausfechten, dann werden sie wieder gute Freunde; diese beiden haben sich lange genug feindlich angesehn.« – »Ja,« meinte einer, »sie wollen beide erster im Kirchspiel sein, jetzt werden wir es ja sehn.« – »Habt ihr etwa einen gewissen Thorbjörn Granliden gesehn?« fragte Knud; »mich dünkt, er sei hier vorhin auf dem Hofe gewesen.« – »Ja, hier ist er,« sagte Thorbjörn, und in demselben Augenblick bekam Knud einen Schlag über das rechte Ohr, so daß er zwischen zwei Männer taumelte, die dastanden. Jetzt trat tiefe Stille ein. Knud erhob sich und stürzte vor, ohne ein Wort zu sagen, Thorbjörn trat ihm entgegen. Es entstand ein langer Faustkampf, da beide einander auf den Leib wollten; beide aber waren geübte Ringer, und jeder hielt den andern von sich ab. Thorbjörns Schläge fielen doppelt so schnell, und einige meinten, auch doppelt so schwer. – »Da hat Knud seinen Mann gefunden,« sagte der Bursche, der das Pferd hielt; »macht Platz!« – Die Frauen flüchteten, nur eine stand hoch oben auf einer Treppe, um besser sehn zu können; es war die Braut. Thorbjörn erblickte einen Schimmer von ihr und hielt einen Augenblick inne – da sah er ein Messer in Knuds Hand; er erinnerte sich ihrer Worte, daß Knud kein guter Mensch sei, und mit einem wohlgezielten Schlage traf er Knuds Arm über dem Handgelenk, so daß das Messer zu Boden fiel und der Arm kraftlos herabsank. »Au, wie du schlägst,« sagte Knud. – »Meinst du?« entgegnete Thorbjörn und drang auf ihn ein. Knud konnte sich mit einem Arm nur schlecht wehren, er wurde aufgehoben und davongetragen, aber es währte lange, bis er wieder geworfen wurde. Er wurde mehrmals so hart zu Boden geworfen, daß jeder andre genug daran gehabt hätte, aber Knuds Rücken war stark; Thorbjörn stürzte vorwärts mit ihm, die Leute wichen zurück, er kam ihnen nach mit seiner Last, so ging es um den ganzen Hof herum, bis sie an die Treppe kamen, wo er ihn noch einmal in die Höhe hob und mit solcher Gewalt zu Boden schleuderte, daß seine Knie nachgaben und Knud über die steinernen Stufen fiel, daß es in ihm sang. Knud blieb regungslos liegen, stieß einen tiefen Seufzer aus und schloß die Augen. Thorbjörn erhob sich und sah sich um; sein Blick fiel gerade auf die Braut, die regungslos dastand und zuschaute. – »Holt etwas und legt es ihm unter den Kopf,« sagte sie, wandte sich um und ging ins Haus.

 

Zwei alte Weiber gingen vorüber; die eine sagte zu der andern: »Herrgott, da liegt schon wieder einer! Wer ist denn das nun?« Ein Mann antwortete: »Das ist Knud Nordhaug.« Da sagte die andre Frau: »Da hat es in Zukunft wohl ein Ende mit diesen Schlägereien! Sie sollten ihre Kräfte doch auch zu etwas Besserm gebrauchen.« – »Da hast du ein wahres Wort geredet, Randi,« meinte die andre; »Gott helfe ihnen so weit, daß sie aneinander vorbei und zu etwas Höherm hinaufsehn lernen.«

Diese Worte machten einen eigentümlichen Eindruck auf Thorbjörn; er hatte kein Wort gesagt, sondern stand schweigend da und sah den Leuten zu, die um Knud beschäftigt waren. Mehrere sprachen mit ihm, aber er antwortete nicht; er wandte sich ab und versank in Gedanken. Synnöve trat ihm vor die Seele, und er schämte sich tief. Er überlegte, was für eine Erklärung er ihr geben sollte, und er dachte darüber nach, daß es doch nicht so leicht sei, sich zu bessern, wie er geglaubt hatte. In demselben Augenblick hörte er hinter sich den Ruf: »Nimm dich in acht, Thorbjörn!« Ehe er sich aber umwenden konnte, war er von hinten bei den Schultern gepackt und niedergeworfen, und er fühlte nichts mehr als einen stechenden Schmerz, ohne recht zu wissen, wo er ihn empfand. Er hörte Stimmen um sich her, fühlte, daß gefahren wurde, glaubte selber zeitweise, daß er führe, war sich aber über nichts klar.

Dies währte eine lange Zeit, es wurde kalt, dann bald wieder warm, und dann war ihm so leicht, so leicht, daß er zu schweben glaubte – und jetzt begriff er es: er wurde von einem Baumgipfel zum andern getragen, so daß er auf den Bergabhang hinaufkam, und höher hinauf, bis auf die Alm – noch höher hinauf – bis auf den höchsten Berg; da beugte Synnöve sich über ihn und weinte und sagte, er hätte doch reden sollen. Sie weinte heftig und meinte, er hätte doch selber sehn können, daß Knud Nordhaug ihm in den Weg träte – ihm beständig in den Weg getreten wäre, und da habe sie ja Knud nehmen müssen. Und dann streichelte sie ihm sanft die eine Seite, so daß er da ganz warm wurde, und weinte so, daß sein Hemd an der Stelle ganz naß wurde. Aslak aber kauerte oben auf einem großen, spitzen Stein und zündete die Baumwipfel ringsumher an, so daß es knisterte und prasselte und die Zweige um ihn herumflogen, er selber lachte mit weit aufgerissenem Munde und sagte: »Ich bin ja nicht, der es tut, meine Mutter tut es!« Und Sämund, sein Vater, stand auf der einen Seite und warf Kornsäcke so hoch in die Höhe, daß die Wolken sie zu sich emporzogen und das Korn ausbreiteten wie einen Nebel – und es erschien ihm sonderlich, daß sich das Korn wie ein Nebel über den ganzen Himmel ausbreiten konnte. Als er zu Sämund selbst hinabblickte, erschien ihm dieser so klein, so klein, daß er schließlich kaum noch über den Erdboden aufragte, trotzdem aber warf er die Säcke immer höher und höher und sagte: »Mach mir das einmal nach, du!« – Weit fort in den Wolken stand die Kirche, und die blonde Frau von Solbakken stand oben auf dem Turm und winkte mit einem rötlichgelben Taschentuch in der einen und einem Gesangbuch in der andern Hand und sagte: »Hierher kommst du nicht, ehe du dir das Prügeln und Fluchen abgewöhnt hast!« – und als er genauer hinsah, war es nicht die Kirche, sondern Solbakken, und die Sonne schien so grell auf alle die Hunderte von Fensterscheiben, daß die Augen ihn schmerzten und er sie fest schließen mußte. –

»Vorsichtig, vorsichtig, Sämund!« hörte er eine Stimme sagen und erwachte wie aus einem Schlummer davon, daß er getragen wurde, und als er sich umsah, war er in die Stube zu Granliden gekommen; ein großes Feuer brannte auf dem Herde, die Mutter stand neben ihm und weinte; der Vater hatte gerade den Arm unter ihn geschoben – er wollte ihn in ein Nebenzimmer tragen. Da ließ der Vater ihn wieder los: »Es ist noch Leben in ihm,« sagte er mit bebender Stimme zur Mutter gewandt. – »Herr, sei uns gnädig!« rief sie, »er schlägt die Augen auf! Thorbjörn! Thorbjörn! Geliebter Junge, was haben sie dir getan!« und sie beugte sich über ihn herab und streichelte seine Wange, während ihre Tränen warm auf sein Antlitz fielen. Sämund strich sich mit dem einen Ärmel über das Auge, schob dann die Mutter sanft zur Seite: »Ich will ihn lieber gleich nehmen!« Und er schob die eine Hand vorsichtig unter die Schulter und legte die andre ein wenig tiefer unter den Rücken: »Halte du den Kopf, Mutter, wenn er nicht Kraft genug haben sollte, ihn zu tragen.« – Sie ging voran und hielt den Kopf, Sämund versuchte, Schritt mit ihr zu halten, und bald lag Thorbjörn auf dem Bett in der andern Stube. Als sie ihn nun zugedeckt und sorgfältig gebettet hatten, fragte Sämund, ob der Knecht fort sei. – »Sieh, da ist er!« sagte die Mutter und zeigte aus dem Fenster. Sämund öffnete das Fenster und rief hinaus: »Wenn du in einer Stunde da bist, sollst du deinen Jahreslohn doppelt haben – einerlei, ob du das Pferd zuschanden reitest.«

Er kehrte wieder an das Bett zurück, Thorbjörn sah ihn mit großen, klaren Augen an, der Vater mußte hineinschauen, und da begannen die seinen feucht zu werden. »Ich wußte, daß es so enden würde,« sagte er leise, wandte sich ab und ging hinaus. Die Mutter saß auf einem Schemel zu den Füßen des Sohnes und weinte, sprach aber nicht. Thorbjörn wollte sprechen, aber er fühlte, daß es ihm schwer fallen würde, und so schwieg er. Aber er sah die Mutter unverwandt an, und die Mutter hatte niemals einen solchen Glanz in seinen Augen bemerkt, sie waren auch nie so schön gewesen, und das schien ihr ein schlimmer Vorbote zu sein. »Gott der Herr helfe dir!« rief sie endlich, »ich weiß, daß es mit Sämund aus ist an dem Tage, wo du gehst!« Thorbjörn sah sie mit unbeweglichen Augen und Zügen an. Dieser Blick ging ihr durch und durch, und sie begann, ihm ein Vaterunser vorzubeten, denn sie glaubte, daß er nur noch kurze Zeit zu leben habe. Während sie so dasaß, ging es ihr durch den Sinn, wie teuer gerade er ihnen allen gewesen war, und jetzt war keins von seinen Geschwistern zu Hause. Sie sandte einen Boten nach der Alm hinauf, um Ingrid und einen jüngern Bruder zu holen, kehrte dann zurück und setzte sich wieder an ihren alten Platz. Er sah sie noch immer an, und sein Blick wirkte auf sie wie der Gesang eines Kirchenliedes, der ihre Gedanken nach und nach zu höhern Dingen hinleitete, und die alte Ingebjörg wurde andächtig, holte die Bibel und sagte: »Jetzt will ich dir vorlesen, das wird dir wohltun.« Da sie keine Brille zur Hand hatte, schlug sie eine Stelle auf, die sie noch aus ihrer Mädchenzeit ungefähr auswendig wußte, und das war aus dem Evangelium Johannis. Sie war nicht sicher, ob er sie hörte, denn er lag unbeweglich wie zuvor da und starrte sie nur an; aber sie las doch, wenn nicht für ihn, so doch für sich selbst.

Ingrid war schnell daheim, um sie abzulösen, da aber schlief Thorbjörn. Ingrid weinte unablässig; sie hatte schon zu weinen begonnen, ehe sie von der Alm gegangen war; denn sie dachte an Synnöve, die nichts erfahren hatte. – Jetzt kam der Doktor und untersuchte ihn. Er hatte einen Messerstich in die Seite bekommen und war auch sonst verletzt worden, aber der Doktor sagte nichts, und niemand fragte ihn. Sämund folgte ihm in die Krankenstube, blieb dort stehn und sah das Gesicht des Doktors ununterbrochen an, ging mit ihm hinaus, half ihm auf das Kariol und griff an die Mütze, als der Doktor sagte, daß er am nächsten Tage wiederkommen würde. Dann wandte er sich zu seiner Frau, die mit hinausgekommen war: »Wenn der Mann nichts sagt, ist es gefährlich!« Seine Lippen bebten, er schlang den einen Fuß um den andern, und dann ging er auf das Feld hinaus.

Niemand wußte, wo er geblieben war, denn an jenem Abend und auch in der Nacht kehrte er nicht heim, sondern erst am nächsten Morgen, und da sah er so finster aus, daß ihn niemand etwas zu fragen wagte. Er selber fragte: »Nun?« – »Er hat geschlafen!« antwortete Ingrid; »aber er ist so kraftlos, daß er nicht einmal die Hand aufzuheben vermag.« Der Vater wollte hinein, um nach ihm zu sehn, kehrte aber um, als er an die Tür gekommen war.

Der Doktor war da, wie auch am folgenden Tage und mehrere Tage darauf; Thorbjörn konnte sprechen, durfte sich aber nicht bewegen. Meist saß Ingrid bei ihm, aber auch die Mutter und sein jüngerer Bruder; aber er fragte sie nach nichts, und auch sie fragten ihn nicht. Der Vater kam niemals herein; sie sahn, daß es dem Kranken auffiel; jedesmal, wenn sich die Tür öffnete, merkte er auf, und sie glaubten, es müsse sein, weil er den Vater erwarte. Schließlich fragte Ingrid ihn, ob er sonst noch jemand zu sehn wünsche. – »Ach, sie wollen mich wohl nicht sehn,« erwiderte er. Dies wurde Sämund wiedererzählt, der nicht gleich darauf antwortete; an diesem Tage aber war er nicht zu Hause, als der Doktor kam. Als der Doktor aber die Landstraße eine Strecke hinabgefahren war, traf er Sämund, der am Wege saß und auf ihn wartete. Nachdem er ihn begrüßt hatte, fragte Sämund nach seinem Sohne. – »Er ist arg zugerichtet,« lautete die kurze Antwort. – »Kommt er durch?« fragte Sämund und zog den Sattelgurt des Pferdes an. – »Danke, der sitzt ganz gut,« sagte der Doktor. – »Er war nicht stramm genug,« erwiderte Sämund. Es entstand nun ein kurzes Schweigen, währenddessen der Doktor ihn betrachtete. Sämund aber war eifrig mit dem Gurt beschäftigt und sah nicht auf. – »Du fragtest, ob er durchkommen würde; ich glaube wohl,« sagte der Doktor langsam. Sämund sah hastig auf. – »Ist er außer Lebensgefahr?« fragte er. – »Das ist er schon seit mehreren Tagen,« antwortete der Doktor. Da tropften ein paar Tränen aus Sämunds Augen; er versuchte sie wegzuwischen, aber sie kamen wieder: »Es ist wirklich eine Schande, wie ich an dem Jungen hing,« schluchzte er, »aber siehst du, Doktor, einen stattlichern Burschen gibts im ganzen Kirchspiel nicht.« – Der Doktor war gerührt: »Weshalb hast du erst jetzt danach gefragt?« – »Ich war nicht stark genug, es zu hören,« erwiderte Sämund und kämpfte noch mit den Tränen, die er nicht zurückzuhalten vermochte, – »und da waren die Weiber« – fuhr er fort, »sie gaben jedesmal acht, ob ich fragen würde, und da konnte ich nicht.« – Der Doktor ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen, und dann sah ihn Sämund fest an: »Bekommt er seine Gesundheit wieder?« fragte er plötzlich. – »Bis zu einem gewissen Grade; übrigens kann man noch nichts mit Bestimmtheit sagen.« – Da wurde Sämund ruhig und nachdenklich. – »Bis zu einem gewissen Grade,« murmelte er. Er stand da und sah vor sich hin; der Doktor wollte ihn nicht stören, weil ein gewisses Etwas an dem Mann ihm das verbot. Plötzlich hob Sämund den Kopf in die Höhe: »Ich danke dir für die Nachricht,« sagte er, reichte ihm die Hand und ging zurück.

 

Zu derselben Zeit saß Ingrid bei dem Kranken. »Wenn du dich stark genug fühlst, mich anzuhören, dann will ich dir etwas von dem Vater erzählen,« sagte sie. – »Erzähle,« sagte er. – »Ja, den ersten Abend, als der Doktor hier gewesen war, verschwand der Vater, und niemand wußte, wo er war. Er aber war drüben im Hochzeitshause gewesen, und allen Leuten war ganz unheimlich zumute geworden, als er kam. Er hatte sich unter sie gesetzt und hatte getrunken, und der Bräutigam hat erzählt, er glaube, der Vater habe sich einen kleinen Rausch angetrunken. Dann erst fing er an, sich nach der Prügelei zu erkundigen, und er erhielt genauen Bescheid, wie alles zugegangen war. Knud kam hinzu, und nun wollte der Vater, daß er erzählen solle, und er ging auf den Hof hinaus nach der Stelle, wo ihr euch geprügelt hattet. Alle Leute gingen mit. Knud erzählte ihm dann, wie du ihm mitgespielt hättest, nachdem du ihm die Hand lahm geschlagen hattest, als aber Knud nicht weitererzählen wollte, sprang der Vater auf und fragte, ob es dann so zugegangen sei – und damit ergriff er Knud bei der Brust, hob ihn auf und legte ihn auf die Steinplatte, an der noch dein Blut klebte. Er hielt ihn mit der linken Hand nieder und zog mit der rechten sein Messer; Knud wurde leichenblaß, und alle Gäste schwiegen. Einige von den Leuten haben gesehn, wie der Vater weinte, aber er tat Knud nichts. Knud selber rührte sich nicht. Dann hob der Vater Knud wieder in die Höhe, legte ihn aber nach einer Weile wieder nieder: »Es wird mir sauer, dich laufen zu lassen,« sagte er und stand da und starrte ihn an, während er ihn festhielt.

»Zwei alte Frauen gingen vorüber, und die eine von ihnen sagte: ›Denke an deine Kinder, Sämund Granliden!‹ Und sie sagen, da hätte der Vater Knud sofort losgelassen, und nach einer Weile sei er vom Hofe verschwunden gewesen; Knud aber schlich sich zwischen den Gebäuden weg von der Hochzeit und kehrte nicht wieder zurück.«

Kaum hatte Ingrid diese Erzählung beendet, als sich die Tür öffnete und jemand hereinsah. Es war der Vater. Sie ging sogleich hinaus, und Sämund kam herein. Was die beiden miteinander gesprochen haben, hat niemand erfahren; die Mutter, die an der Tür stand, um zu lauschen, glaubte aufgefangen zu haben, daß sie davon gesprochen hätten, wie weit er seine Gesundheit wieder erlangen würde. Aber sie war sich dessen nicht ganz sicher, wollte auch nicht hineingehn, solange Sämund da war. Als Sämund herauskam, war er sehr weich gestimmt, und seine Augen waren gerötet. »Wir behalten ihn noch,« sagte er im Vorübergehn zu Ingebjörg. »Aber Gott weiß, ob er seine Gesundheit je wieder erlangen wird.« Ingebjörg fing an zu weinen und folgte ihrem Mann auf den Hof hinaus. Auf der Treppe des Vorratshauses setzten sie sich nebeneinander, und nun wurde gar manches zwischen den beiden beredet.

Als aber Ingrid wieder leise zu Thorbjörn hineinkam, lag er mit einem kleinen Zettel in der einen Hand da und sagte ruhig und langsam: »Das hier mußt du Synnöve geben, sobald du sie wiedersiehst.« Als Ingrid gelesen hatte, was darauf stand, wandte sie sich um und weinte; denn auf dem Zettel stand:

An die wohlgeachtete Jungfer Synnöve Guttormstochter Solbakken!

Wenn Du diese Zeilen gelesen hast, muß es zwischen uns beiden vorbei sein. Denn ich bin nicht der, den Du haben sollst. Der liebe Gott sei mit uns beiden.

Thorbjörn Sämundsen Granliden.