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Synnöve Solbakken: Erzählung

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3

Bald erzählte man sich allerlei im Kirchspiel, niemand aber wußte etwas Bestimmtes. Niemals mehr sah man Thorbjörn auf Solbakken, seit sie beide eingesegnet worden waren, und gerade das konnten die Leute gar nicht verstehn. Ingrid kam oft hinüber; dann pflegten Synnöve und sie einen Spaziergang im Walde zu machen. – »Bleibt nicht so lange fort!« rief ihnen die Mutter nach. – »Ach nein!« antwortete Synnöve – und kam vor Abend nicht wieder nach Hause. Die beiden Freier meldeten sich von neuem. »Sie muß selber entscheiden,« sagte die Mutter, der Vater war derselben Ansicht. Als man aber Synnöve beiseite nahm und sie fragte, bekamen beide eine Absage. Es meldeten sich noch mehr Freier, aber niemand hörte, daß einer das Glück von Solbakken mit heimgetragen hätte. Einmal, als die Mutter und sie mit dem Scheuern der Milchkübel beschäftigt waren, fragte die Mutter sie, an wen sie eigentlich denke. Die Frage kam Synnöve so unerwartet, daß sie rot wurde. »Hast du irgend jemand ein Versprechen gegeben?« fragte sie weiter und sah sie forschend an. – »Nein,« antwortete Synnöve schnell. Es wurde nicht weiter über die Sache gesprochen.

Da sie weit und breit die beste Partie war, so folgten ihr lange Blicke, wenn sie zur Kirche kam, dem einzigen Orte, wo sie außer zu Hause zu sehn war. Man sah sie, da die Eltern Haugianer waren, weder beim Tanz noch bei andern Festlichkeiten. Thorbjörn saß ihr im Kirchenstuhl gerade gegenüber, aber sie sprachen, soweit die Leute sehn konnten, niemals miteinander. Daß irgendein Verhältnis zwischen ihnen bestehe, glaubte aber alle Welt zu wissen, und da sie nicht auf dieselbe Weise miteinander verkehrten wie andre junge Brautleute im Tal, fing man an, allerlei über sie zu schwatzen. Thorbjörn wurde unbeliebt. Er hatte wohl selber ein Gefühl davon, denn er kehrte seine rauhe Seite nach außen, wenn er mit andern zusammen war, wie beim Tanz oder auf Hochzeiten, und dann geschah es wohl zuweilen, daß er sich auf Schlägereien einließ. Dies nahm jedoch ab, als man erst merkte, wie stark er war; Thorbjörn gewöhnte sich deswegen früh daran, nicht zu dulden, daß ihm irgend jemand in den Weg trat. – »Jetzt kannst du dich auf deine eigne Faust verlassen,« sagte sein Vater Sämund zu ihm; »vergiß aber nicht, daß meine doch vielleicht stärker ist als die deine.«

Der Herbst und der Winter gingen dahin, der Frühling kam, und noch immer wußten die Leute nichts Bestimmtes. Es waren so viele Gerüchte im Umlauf über die Körbe, die Synnöve Solbakken ausgeteilt hätte, daß sie fast ganz allein dastand. Ingrid aber blieb ihr treu; die beiden sollten in diesem Jahre zusammen auf die Alm, da die Leute von Solbakken einen Anteil an der Granlider Alm gekauft hatten. Man hörte Thorbjörn oben an den Felsabhängen singen, denn er brachte dort allerlei für sie in Ordnung.

Eines schönen Tages, als es schon gegen den Abend zu ging und er mit seiner Arbeit fertig war, setzte er sich hin und sann über dies und das nach, besonders aber dachte er an das, was man sich im Kirchspiel erzählte. Er legte sich auf den Rücken in das rote und braune Heidekraut, und die Hände unter dem Kopf schaute er zum Himmel hinauf, der sich blau und schimmernd über den dichten Laubkronen wölbte. Das grüne Laub und die Tannenzweige flossen in einen wogenden Strom zusammen, und die dunkeln Zweige, die ihn durchschnitten, zeichneten wilde, phantastische Figuren hinein. Der Himmel selbst war aber nur zu sehn, wenn ein Blatt zur Seite wehte; weiterhin, zwischen den Kronen, die nicht zueinander hinreichten, brach er hervor wie ein breiter Bach in launenhaften Windungen. Dies versetzte sein Gemüt in Stimmung, und er begann über das nachzudenken, was er sah.

– Die Birke lachte wieder mit tausend Augen zu der Tanne hinauf, die Föhre stand da mit stiller Verachtung und spreizte ihre Nadeln nach allen Seiten hin aus; denn je kosender die Luft wehte, desto mehr schwache Schößlinge erstarkten, schossen empor und steckten ihr frisches Laub der Föhre gerade unter die Nase. »Ich möchte wissen, wo ihr diesen Winter gewesen seid,« sagte die Föhre, fächelte sich und schwitzte Harz in der unerträglichen Hitze. »Das ist wirklich zu arg! So hoch im Norden – pfui!«

Aber da stand eine alte, grauköpfige Föhre, die über alle die andern wegsah, aber doch noch einen fingerreichen Zweig fast lotrecht herabbeugen und einem kühnen Ahorn in den obersten Haarschopf fassen konnte, so daß er bis in die Knie hinunter erzitterte. Diese klafterdicke Föhre hatten die Menschen immer weiter und weiter hinauf ihrer Zweige beraubt, bis sie eines Tages, dieser Behandlung müde und überdrüssig, plötzlich so in die Höhe schoß, daß die schmächtige Tanne an ihrer Seite erschrak und sie fragte, ob sie auch der Winterstürme gedenke. – »Ob ich der Winterstürme gedenke?« sagte die Föhre und schlug die Tanne mit Hilfe des Nordwindes dermaßen um die Ohren, daß sie nahe daran war, ihre Haltung zu verlieren, und das war schlimm genug. Die grobgliedrige, dunkle Föhre hatte nun ihren Fuß so mächtig in die Erde gesetzt, daß die Zehen ungefähr sechs Fuß davon aus der Erde herausguckten und auch da noch dicker waren als die Weide an ihrer dicksten Stelle, was diese eines Abends mit einer gewissen Verschämtheit dem Hopfen zuflüsterte, der sie verliebt umschlungen hielt. Die bärtige Föhre war sich ihrer Macht bewußt und rief den Menschen zu, indem sie hoch über deren Bereich einen Zweig nach dem andern in die milde Luft hineintrieb: »Nehmt mir meine Zweige, wenn ihr könnt!«

»Nein, dir können sie die Zweige nicht mehr rauben,« sagte der Adler, ließ sich gnädig herab, legte seine Flügel mit Würde zusammen und begann, etwas elendes Schafblut von seinen Federn zu putzen. »Ich glaube, ich bitte die Königin, sich hier niederzulassen; sie hat ein paar Eier, die sie legen will,« fügte er leise hinzu und sah auf seine nackten Füße nieder; denn er schämte sich, daß eine Menge süßer Erinnerungen an jene ersten Frühlingstage geflogen kamen, wo man halb närrisch wird über die ersten Sonnenstrahlen. Bald hob er den Kopf wieder empor und schaute unter den federbeschatteten Augenbrauen hinauf nach den schwarzen Felsriffen, ob die Königin dort nicht irgendwo kreise, eierbelastet und matt. Von dannen rauschte er, und bald konnte die Föhre das Paar hoch oben in der blauen, klaren Luft erblicken, wo es in gleicher Höhe mit dem höchsten Berggipfel dahinsegelte und seine häuslichen Angelegenheiten besprach. Sie konnte sich von einer gewissen Unruhe nicht freimachen, denn so vornehm sie sich auch fühlte, es mußte doch noch vornehmer sein, ein Adlerpaar zu wiegen. Die ließen sich beide herab und gerade auf die Föhre zu! Sie sprachen nicht miteinander, sondern fingen sofort an, Zweige zusammenzutragen. Die Föhre breitete sich wenn möglich noch weiter aus – es war ja auch niemand da, der sie daran hätte hindern können.

Aber durch den ganzen übrigen Wald ging ein geschäftiges Gerede, als man sah, welche Ehre der großen Föhre widerfahren war. Da war zum Beispiel eine niedliche kleine Birke, die an einem Teiche stand und sich darin spiegelte; sie glaubte, daß sie wohl berechtigt sei, ein wenig Liebe von einem grauweißen Hänfling zu erwarten, der seinen Mittagsschlaf in ihren Zweigen zu halten pflegte. Sie hatte dem Hänfling ihren Duft gerade in den Schnabel hineingehaucht, hatte kleine Insekten an ihren Blättern festgeklebt, so daß sie leicht zu fangen waren; ja schließlich hatte sie in der Hitze ein kleines dichtes Haus aus ihren Zweigen gefügt und gebaut und mit frischen Blättern gedeckt, so daß der Hänfling wirklich im Begriff gewesen war, sich dort für den Sommer häuslich niederzulassen. Jetzt aber hatte sich der Adler auf der großen Föhre angesiedelt, und nun mußte der Hänfling fort! War das ein Kummer! Er trillerte ein Abschiedslied, aber ganz leise, daß der Adler es nicht merken sollte.

Nicht besser erging es einigen kleinen Spatzen im Erlenstrauch. Sie hatten dort ein so liederliches Leben geführt, daß eine Drossel dicht daneben, oben in einer Esche, niemals zur rechten Zeit einschlafen konnte und zuweilen ganz wütend wurde und schrecklich schimpfte. Ein ernster Specht in einem benachbarten Baume hatte so darüber gelacht, daß er beinahe von seinem Ast heruntergefallen wäre. Aber dann sahen sie den Adler in der großen Föhre! Und die Drossel und die kleinen Spatzen und der Specht und alles, was fliegen konnte, mußte über Hals und Kopf davon über und unter den Zweigen. Die Drossel schwur im Davonfliegen, sie würde sich niemals wieder so einmieten, daß sie die Spatzen zu Nachbarn bekäme.

So stand denn der Wald ringsumher verlassen und nachdenklich da mitten im hellen Sonnenschein.

Alle seine Freude sollte ihm jetzt von der großen Föhre kommen, aber das war nur eine armselige Freude! Der Wald beugte sich furchtsam jedesmal, wenn der Nordwind darüber hinging, die Föhre aber peitschte die Luft mit ihren gewaltigen Ästen, und der Adler umkreiste sie, ruhig und besonnen, als sei es nur ein leichter Windstoß, der etwas elenden Weihrauch aus dem Walde zu ihm emportrug. Aber die ganze Föhrenfamilie freute sich; keins von ihnen bedachte, daß es selber in diesem Sommer kein Nest wiegen sollte. »Weg!« sagten sie, »wir gehören zur Sippe.«

– »Was liegst und sinnst du da?« fragte Ingrid – sie trat lächelnd zwischen den Büschen hervor, die sie zur Seite bog. Thorbjörn sprang auf: »Ach, es geht einem so viel im Kopfe herum!« sagte er und sah trotzig über die Bäume hin. »Übrigens schwatzten mir in der letzten Zeit die Leute im Kirchspiel zu viel,« fügte er hinzu, indem er sich den Staub abklopfte. – »Warum kümmerst du dich nur immer um das, was die Leute reden?« – »Ach, ich weiß nicht recht; aber bisher haben mir die Leute auch noch nichts gesagt, was ich nicht selbst im Sinne gehabt hätte, wenn ichs auch nicht getan habe!« – »Das war häßlich gesprochen!« – »Freilich war es das,« sagte er; und nach einer Weile fügte er hinzu: »Aber es ist wahr.« – Sie setzte sich ins Gras, er stand da und sah vor sich nieder: »Ich kann sehr leicht so werden, wie sie mich haben wollen; sie sollten mich so lassen, wie ich bin.« – »So wäre es doch deine Schuld.« – »Mag sein, aber die andern haben auch ihr Teil daran. Ich sage dir, ich will Ruhe haben!« Er schrie es beinah und sah zu dem Adler empor. – »Aber Thorbjörn!« flüsterte Ingrid. Er wandte sich nach ihr um und lachte. – »Stille, stille!« sagte er; »wie gesagt – es geht einem mancherlei durch den Kopf. Hast du heute mit Synnöve gesprochen?« – »Ja; sie ist schon auf die Alm hinaufgegangen.« – »Heute?« – »Ja!« – »Mit dem Vieh von Solbakken?« – »Ja.« – »Tralala!«

 
 
Die Sonne herab auf den Baum sah,
Triumlire.
Bist du noch, mein schimmerndes Gold, da?
Triumlit, Triumlat.
Wies Vöglein erwacht, es gefragt hat:
Was ist denn hier los? –
 

»Morgen treiben wir das Vieh hinauf,« sagte Ingrid; sie wollte ihn auf andre Gedanken bringen. – »Ich will es mit treiben helfen!« erwiderte Thorbjörn. – »Nein, der Vater will selber mit,« sagte sie. – »Ach so!« sagte er und schwieg. – »Er hat heute nach dir gefragt,« sagte sie. – »So, hat er das getan?« entgegnete Thorbjörn, schnitt einen Zweig mit seinem Schnitzmesser ab und fing an, ihn abzuschälen. – »Du solltest mehr mit dem Vater sprechen, als du es tust,« sagte sie sanft, »er hat dich so lieb,« fügte sie hinzu. – »Das mag sein,« sagte er. – »Er spricht oft von dir, wenn du fort bist.« – »Um so seltner, wenn ich daheim bin.« – »Das ist deine Schuld!« – »Das mag sein!« – »So solltest du nicht reden, Thorbjörn, du weißt selber, was zwischen euch liegt.« – »Was ist es denn?« – »Soll ich das sagen?« – »Es kommt wohl auf eins hinaus, Ingrid; du weißt, was ich weiß.« – »Freilich, du wirtschaftest zu viel auf eigne Hand, du weißt aber, daß er das nicht leiden kann.« – »Nein, er möchte mich am liebsten am Arm festhalten.« – »Ja, namentlich wenn du zuschlägst.« – »Sollen denn die Leute tun und sagen dürfen, was ihnen beliebt?« – »Nein, aber du kannst ihnen auch ein wenig aus dem Wege gehn; das hat er selber getan, und er ist ein geachteter Mann dabei geworden.« – »Man hat ihn vielleicht nicht so schrecklich gequält.« – Ingrid schwieg eine Weile, dann fuhr sie fort, nachdem sie sich vorher umgesehn hatte: »Es nützt wohl nichts, daß ich noch einmal wieder darauf zurückkomme; und doch – wo du weißt, daß du mit Feinden zusammentreffen kannst, solltest du fernbleiben.« – »Nein, gerade da will ich sein! Ich heiße nicht umsonst Thorbjörn Granliden.« – Er hatte die Rinde von dem Zweig geschält, jetzt schnitt er ihn mitten durch. Ingrid saß da und sah ihn an und fragte zögernd: »Willst du am Sonntag nach Nordhaug?« – »Ja!« – Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte, ohne ihn anzusehn, begann sie von neuem: »Weißt du, daß Knud Nordhaug zur Hochzeit seiner Schwester nach Hause gekommen ist?« – »Ja!« – Jetzt sah sie ihn an. »Thorbjörn! Thorbjörn!« – »Soll er denn jetzt mehr Recht haben, sich zwischen mich und andre zu drängen?« – »Er drängt sich nicht dazwischen! Nicht mehr als andre wollen.« – »Niemand kann wissen, was andre wollen.« – »Das weißt du recht wohl!« – »Sie selber sagt auf alle Fälle nichts!« – »Ach, wie du nur so reden kannst,« sagte Ingrid, sah ihn unwillkürlich an, erhob sich und schaute hinter sich. Er warf die Stücke des Zweiges weg, steckte das Messer in die Scheide und wandte sich zu ihr: »Du, manchmal hab ich die ganze Sache satt. Die Leute bringen mich wie sie um die Ehre, weil nichts offen geschieht. Und auf der andern Seite – ich komme ja nicht einmal nach Solbakken hinüber, weil mich die Eltern nicht mögen, wie sie sagt. Ich darf sie nicht besuchen, wie andre Burschen ihre Mädchen besuchen, weil sie zu den Heiligen gehört! Jetzt weißt dus!« – »Thorbjörn!« rief Ingrid und wurde unruhig, er aber fuhr fort: »Vater will kein Wort für mich einlegen; verdien ich sie, so krieg ich sie! sagt er; Klatsch und nichts als Klatsch auf der einen Seite – und nicht die geringste Entschädigung für den Klatsch auf der andern Seite – ja, ich weiß nicht einmal, ob sie wirklich –« Ingrid sprang auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Mund, indem sie sich umwandte. Da zerteilten sich die Büsche abermals, und eine hohe, schlanke Gestalt trat tief errötend hervor. Es war Synnöve.

»Guten Abend!« sagte sie. Ingrid sah Thorbjörn an, als wollte sie sagen: »Da siehst dus.« – Thorbjörn sah Ingrid an, als wolle er sagen: »Das hättest du nicht tun sollen!« Keins von beiden sah Synnöve an. »Ich darf mich wohl ein wenig setzen,« sagte sie, »ich bin heute schon so viel gegangen.« Und sie setzte sich. Thorbjörn wandte den Kopf, wie um zu sehn, ob es da, wo sie sich hinsetzte, trocken wäre. Ingrids Augen schweiften nach Granliden hinunter, und plötzlich rief sie aus: »Ach nein, ach nein! Fagerlin hat sich losgerissen und geht mitten auf dem frischen Acker. Das abscheuliche Tier! Und Kelleros auch? Nein, das ist denn doch wirklich zu arg! Es wird die höchste Zeit, daß wir bald wieder auf die Alm hinaufkommen!« – Und damit sprang sie den Abhang hinab, ohne auch nur Abschied zu nehmen. Synnöve erhob sich sofort. »Willst du schon gehn?« fragte Thorbjörn. – »Ja,« sagte sie, blieb aber stehn.

»Du könntest wohl noch ein wenig bleiben,« sagte er, ohne sie anzusehn. – »Ein andermal,« erwiderte sie. – »Das kann lange währen!« – Sie sah auf; auch er sah sie jetzt an, aber es währte eine ganze Weile, ehe wieder eins von ihnen sprach. – »Setz dich doch wieder,« sagte er ein wenig verlegen. – »Nein,« entgegnete sie und blieb stehn. Er fühlte, wie der Trotz in ihm aufstieg; da aber tat sie etwas, was er nicht erwartet hatte; sie trat einen Schritt vor, beugte sich ihm entgegen, sah ihm in die Augen und sagte lächelnd: »Bist du mir böse?« Und als er sie ansah, weinte sie. – »Nein,« sagte er und wurde dunkelrot.

Er streckte die Hand aus; da aber ihre Augen voll Tränen standen, bemerkte sie es nicht, und er zog die Hand wieder zurück. Dann sagte er endlich: »Du hast es also gehört?« – »Ja,« erwiderte sie, sah auf und lächelte, aber jetzt standen noch mehr Tränen in ihren Augen als zuvor; er wußte nicht, was er tun und sagen sollte; deswegen sagte er endlich: »Ich bin wohl zu schlimm gewesen?« Er sagte das sehr sanft; sie sah nieder und wandte sich halb ab. »Du solltest nicht über das urteilen, was du nicht kennst,« sagte sie mit halberstickter Stimme, und ihm ward ganz unbehaglich dabei; er kam sich vor wie ein Knabe und sagte deswegen endlich, da ihm nichts andres einfiel: »Ich bitte dich um Verzeihung!« – Da aber brach sie wirklich in Tränen aus. Das konnte er nicht ertragen, er ging hin, faßte sie um den Leib, beugte sich zu ihr herab und sagte: »Hast du mich denn auch wirklich lieb, Synnöve?« – »Ja,« schluchzte sie. – »Aber es macht dich nicht glücklich?« – Sie antwortete nicht. – »Aber es macht dich nicht glücklich?« wiederholte er. Sie weinte noch heftiger als bisher und wollte sich ihm entziehn. – »Synnöve!« sagte er und zog sie fester an sich. Sie schmiegte sich an ihn und weinte unaufhaltsam.

»Komm, wir wollen ein wenig miteinander reden,« sagte er und half ihr, sich ins Heidekraut zu setzen; er selber setzte sich neben sie. Sie trocknete die Augen und versuchte zu lächeln; aber das wollte noch nicht gehn. Er hielt eine ihrer Hände in der seinen und schaute ihr ins Antlitz. »Liebste, weshalb darf ich nicht nach Solbakken hinüberkommen?« – Sie schwieg. – »Hast du nie darum gebeten?« – Sie schwieg noch immer. – »Weshalb hast du das nicht getan?« fragte er und zog ihre Hand näher zu sich heran. – »Ich wage es nicht!« sagte sie ganz leise.

Eine Wolke des Unmuts huschte über seine Stirn; er zog seinen Fuß ein wenig an, stützte den Ellenbogen auf das Knie und legte den Kopf in die Hand. – »Auf die Weise werde ich wohl niemals hinkommen,« sagte er endlich. Statt einer Antwort fing sie an, Heidekraut auszurupfen. – »Ach ja – ich mag wohl manches getan haben, was nicht so war, wie es sein sollte. – Aber man sollte doch ein wenig Nachsicht mit mir haben. Ich bin nicht schlecht« – er hielt eine Weile inne –; »ich bin auch noch jung – kaum zwanzig Jahre alt – ich« – er konnte nicht sogleich fortfahren. – »Aber die, die mich wirklich liebt,« sagte er dann – »die müßte doch« – und hier blieb er ganz stecken. Da vernahm er neben sich mit gedämpfter Stimme die Worte: »Du mußt nicht so reden, du weißt, wie sehr – ich wage kaum, es Ingrid zu sagen« – und abermals brach sie in bitterliches Weinen aus –; »ich – leide – so sehr!« Er schlang den Arm um sie und zog sie fest an sich. »Sprich mit deinen Eltern,« flüsterte er, »und du sollst sehn, es wird noch alles gut wenden.« – »Es wird so, wie du es willst,« flüsterte sie. – »Wie ich es will?« – Da wandte Synnöve sich um und schlang ihren Arm um seinen Nacken. – »Liebtest du mich so, wie ich dich liebe!« sagte sie sehr herzlich und versuchte zu lächeln. – »Und das täte ich nicht?« entgegnete er sanft und leise. – »Nein, nein, du nimmst niemals Rat von mir an; du weißt, was uns vereinigen würde, aber du tust es nicht. Weshalb tust du es nicht?« – Und da sie nun einmal angefangen hatte, fuhr sie in einem Zuge fort: »Großer Gott, wüßtest du, wie ich mich nach dem Tage gesehnt habe, wo ich dich auf Solbakken sehn würde! Immer aber muß man etwas hören, was nicht so ist, wie es sein sollte – und die Eltern selber müssen es einem mitteilen!« – Da ging ihm gleichsam ein Licht auf; er sah sie nun deutlich auf Solbakken umhergehn und auf den kleinen, friedlichen Augenblick warten, wo sie ihn freudig den Eltern zuführen könnte; er aber schenkte ihr nie einen solchen Augenblick.

»Das hättest du mir früher sagen sollen, Synnöve!« – »Und das hätte ich nicht getan?« – »Nein; nicht so!« – Sie sann eine Weile darüber nach, dann sagte sie, indem sie ihren Schürzenzipfel in kleine Falten legte: »Dann kam es wohl daher, daß – ich es nicht recht wagte.« – Der Gedanke aber, daß sie sich seinetwegen fürchten müsse, rührte ihn so, daß er ihr zum erstenmal in seinem Leben einen Kuß gab.

Da ging eine solche Umwandlung mit ihr vor, daß ihre Tränen plötzlich versiegten und ihr Blick unsicher wurde, indem sie zu lächeln versuchte; sie sah nieder, sah dann endlich zu ihm auf und lächelte nun wirklich. Sie sprachen jetzt nicht mehr miteinander, nur ihre Hände fanden sich wieder, doch wagte keins die Hand des andern zu drücken. Dann zog sie sich sanft zurück, begann die Augen und das Gesicht zu trocknen und das Haar, das ein wenig in Unordnung gekommen war, zu glätten. Er saß da und dachte im stillen, während er sie ansah: Wenn sie schüchterner ist als die andern Mädchen im Tal und in andrer Weise behandelt werden will, so darf man ja nichts dagegen sagen.

Er begleitete sie bis zur Alm hinauf, die nicht weit davon lag. Er wäre gern Hand in Hand mit ihr gegangen, aber es war etwas über ihn gekommen, was ihn abhielt, sie zu berühren; es erschien ihm fast wunderbar, daß er an ihrer Seite gehn durfte. – Als sie sich trennten, sagte er deshalb auch: »Es soll lange währen, bis du wieder etwas Schlimmes von mir zu hören bekommst.«

Daheim fand er seinen Vater beschäftigt, Korn aus dem Vorratshause nach der Mühle zu tragen; denn die Leute ringsumher im Kirchspiel mahlten auf der Granlider Mühle, wenn das Wasser in ihren eignen Bächen versiegt war; der Granlider Bach trocknete niemals aus. Es waren viele Säcke zu tragen, einige davon recht groß, andre von gewaltigem Umfang. Die Frauen standen in der Nähe und rangen Wäsche aus. Thorbjörn ging zum Vater und packte einen Sack. – »Soll ich dir vielleicht helfen?« – »Ach, ich werde schon allein fertig werden,« erwiderte Sämund, hob schnell einen Sack auf den Rücken und schritt damit auf die Mühle zu. – »Es sind ihrer viele,« sagte Thorbjörn, packte zwei große Säcke, stemmte den Rücken dagegen und zog mit jeder Hand einen Sack über die Schulter und stemmte die Ellenbogen in die Seite. Auf halbem Wege begegnete er Sämund, der zurückkam, um einen neuen Sack zu holen; der Vater sah ihn hastig an, sagte aber nichts. Als Thorbjörn seinerseits nach dem Vorratshause zurückkehrte, begegnete ihm Sämund mit zwei noch größern Säcken. Diesmal nahm Thorbjörn einen ganz kleinen Sack und trug ihn zur Mühle; als Sämund ihm begegnete, sah er ihn wieder an, und zwar länger als das erstemal. Da geschah es, daß sie beim Vorratshause zusammentrafen. – »Es ist ein Bote aus Nordhaug gekommen,« sagte Sämund, »sie wollen dich am Sonntag mit zur Hochzeit haben.« – Ingrid sah flehend von ihrer Arbeit zu ihm auf, ebenso die Mutter. – »So?« sagte Thorbjörn trocken und packte diesmal die beiden größten Säcke, die er finden konnte. – »Gehst du hin?« fragte Sämund finster. – »Nein!«