Macht in der Sozialen Arbeit

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c) autoritative oder affektiv begründete Macht (Beziehungsmacht): Grundlage der autoritativen Macht der Professionellen ist zunächst einmal die Einschätzung ihrer Fähigkeit, die Probleme, die der Klient/die Klientin in das Arbeitsverhältnis einbringt, mindern oder lösen zu können. Die Einschätzung dieser Macht seitens der Klientel ist zum einen abhängig vom Image der Einrichtung und ihren offen erkennbaren Hilferessourcen, zum andern von den ersten Erfahrungen des Klientels mit Erleichterungen, die sich durch die Beratung oder Hilfe einstellen. Eine weitere Form autoritativer Macht resultiert aus dem „inszenierten Expertentum“ der Professionellen, welches sich etwa im Gebrauch von Fachsprache, im kompetenten Umgang mit Diagnose-Instrumenten und im konzeptionell begründeten Hilfeplan illustriert.86 Dieses Expertentum impliziert die Übernahme von Verantwortung für den weiteren Hilfeverlauf und fordert von KlientenInnen die Unterwerfung unter die „fachlichen“ Entscheidungen.

Wurr spricht hier von den „Requisiten der Macht“87, die dem Sozialpädagogen/der Sozialpädagogin den Nimbus der Bedeutsamkeit und des Expertentums verleihen, gleichzeitig aber Distanz und Überlegenheit symbolisieren und vielleicht auch seine/ihre Arbeit undurchsichtig erscheinen lassen. Hierher gehören auch Momente der räumlichen Gestaltung und der Sitzanordnung ebenso wie eine Kultur des Wartenlassens vor dem Dienstzimmer und der telefonischen Unerreichbarkeit oder auch viele Anzeichen der Geschäftigkeit wie sichtbare Aktenstapel, lückenlose Terminkalender, häufige Telefonanrufe während des KlientInnenbesuchs und Störungen durch Kolleginnen und Kollegen. Mit all diesen Requisiten vermag der Sozialpädagoge/die Sozialpädagogin seitens der Klientel das Bewusstsein der Abhängigkeit, Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht zu verstärken.

d) positionale oder organisationale Macht: Positionale Macht wird durch die institutionell verankterten Rollenerwartungen und Kompetenzen zum einen, durch die zur Verfügung stehenden Ressourcen der Professionellen zum andern bestimmt. In der Sozialen Arbeit gehört hierzu auch meist eine erhebliche persönliche Freiheit der Professionellen in der Konstruktion und Behandlung des „Falles“. Die Professionellen kontrollieren den Zugang zu institutionellen Ressourcen, sie bestimmen die Regeln der Kommunikation, sie entscheiden über „die Gewährung, den Zuschnitt, den Umfang und Grenzen der Dienstleistung“88. Das grundlegende erste Machtmittel ist die Freiheit der Professionellen, ihre Zuständigkeit für das Anliegen der Klientel zu erklären und dem Klienten/der Klientin Zugang zur Hilfeleistung zu gewähren. Im Weiteren bestimmen sie die Wahl der Interventionsverfahren und die Form der Hilfeleistung und können hierbei mehr oder weniger bereitwillig auf die Wünsche des Klienten/der Klientin eingehen und Unannehmlichkeiten aus dem Wege räumen.

Die Kompetenzen und Ressourcen der Professionellen sind zumeist in organisationelle Rahmenbedingungen und damit in „Netzwerke“ von Machtbeziehungen eingebunden. Die Gestaltungsfreiheiten der Professionellen sind daher häufig weniger umfangreich, als sie der Klientel erscheinen, denn es gilt, auch auf Vorgaben und Ansprüche Rücksicht zu nehmen, die in der helfenden Bezug nicht unmittelbar zu Tage treten.

e) wissensmäßige oder datensetzende Macht: Die basale Form der Definitionsmacht des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin ist die Kompetenz, Hilfeberechtigung und Hilfebedürftigkeit der Klientel festzustellen. Diese zunächst auf formale Kriterien aus der Lebenssituation bezogenen Entscheidungen sind häufig mit persönlichen Attributionen kontingent, die dem Klienten/der Klientin einen Mangel an eigener Bewältigungskompetenz zusprechen. Insofern besteht in der Feststellung von Hilfebedürftigkeit auch immer eine potentielle Stigmatisierung der Persönlichkeit der KlientInnen.

Die Feststellung von Hilfeberechtigung und Hilfebedürftigkeit ist in der institutionellen Rollenbeschreibung der Professionellen, d. h. als positionale Macht, verankert. Teil der positionalen Macht des/der Professionellen ist auch das Recht, die hilferelevante Sicht des KlientInnenproblems bestimmen und die Berechtigung von Hilfeansprüchen einzuschätzen zu können. In dieser Hinsicht wird die „Definitionsmacht“ des/der SozialarbeiterIn durch die Positionsmacht fundiert. Er/sie „definiert“ zum einen „analytisch“ die Problemlage des/der KlientIn, die als relevant geltenden Faktoren der Persönlichkeit und des Lebensweges und die Faktoren der Lebenssituation und gibt somit eine „Diagnose“.89 Er/sie „definiert“ aber auch, „programmatisch“, den Auftrag, d. h. die Zielsetzungen und Aufgaben, die er/sie für die Orientierung des Hilfeprozesses sieht, und die Interventionsformen.90 Und schließlich „definiert“ er/sie auch „evaluativ“ die Kriterien für den Erfolg vs. Misserfolg der Hilfe.91 Wir können daher von einer „analytischen“, einer „programmatischen“ und einer „evaluativen Definitionsmacht“ des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin sprechen.

Insbesondere hinter der analytischen Definitionsmacht der Professionellen steht ein „Normalitätsmonopol“, welches den Grad der Abweichung, Tolerabilität und Krankhaftigkeit der Auffälligkeit bestimmt. Die Kenntnis des „Normalen“ macht die Professionellen zu „diagnostischen ExpertInnen“ – im Verein mit den „Indikationen“ für eine angemessene Intervention. Groonemeyer beschreibt die „Expertokratie“ im Dienstleistungsbereich mit kritischen Worten:

„Der Experte ist der professionelle Beobachter von Missständen (…) Seine wirkliche Macht wächst ihm … daraus, dass er über die Mittel verfügt, Normalität zu schützen und zu produzieren. Sein Produktionsmittel ist ein apparategestütztes Know-how. Resultat des Produktionsvorgangs sind unzählige Dienstleistungen zur Normalisierung beliebiger Erscheinungsformen des Lebens und zu ihrer Angleichung an die expertokratisch gesetzten Standards (…).“92

3.3 Hilfe und Kontrolle als Medien der Macht

Ob Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen wie VertreterInnen anderer helfender Professionen auch ein gesteigertes generelles „Machtmotiv“ aufweisen, wie dies Winter93 für LehrerInnen, Geistliche und PsychologInnen festgestellt hat (die im Unterschied zu ÄrztInnen, VerwaltungsbeamtInnen und JuristenInnen hinsichtlich ihres Interventionserfolges erheblich von der affektiven Akzeptanz bei ihrer Klientel abhängig sind), soll dahingestellt bleiben.94 In jedem Fall spricht die hohe Komplexität, teilweise auch Diffusität des Auftrags und der Interventionskompetenz von SozialarbeiterInnen dafür, dass sich vielfältig Abhängigkeitsdynamiken in ihrem Verhältnis zur Klientel entwickeln können.95 Der Spagat zwischen gesellschaftlichem Auftrag und Parteilichkeit für das Individuum, der mit dem doppelten Mandat der Sozialen Arbeit immer schon gegeben ist, und das Ineins von Hilfe und Kontrolle zwingen dem/der SozialarbeiterIn immer wieder aufs Neue die Entscheidung auf, sich zwischen den zwei Polen der „Ermächtigung“ in einer Balancelage zu positionieren: der durch Legalität gestützten ExpertenInnenmacht96 und der durch Vertrauen und Kompetenzerwartung gestützten Autorität und Beziehungsmacht.97 Beide Machtformen haben abhängig vom Auftrag sowohl ihre besondere Legitimität und ethische Relevanz als auch ihre besonderen interventorischen Stärken und Schwächen. So ist es dort, wo die Soziale Arbeit ihre Intervention wesentlich als Hilfe zur Selbsthilfe und Empowerment versteht und die Klientel ihre eigenen Mittel finden muss, die spezifischen Probleme zu bewältigen, in besonderem Maße geboten, das Vertrauen der Klientel zu erwerben, ihrem Eigensinn Rechnung zu tragen und ihre individuellen Bewältigungspotentiale zu aktivieren. Hier muss sich der/die Professionelle das Quantum der Macht, das er/sie benötigt, um von der Klientel ernst genommen zu werden und seinen/ihren Eingaben Gewicht zu verleihen, auf dem Wege der Beziehungsgestaltung „erarbeiten“. Die Interaktion muss von einer Dynamik des Gebens und Nehmens, einer Dynamik des lebendigen Tausches geprägt sein, sie muss die Professionellen als kompetente Personen ins Licht rücken und sie muss die Persönlichkeit des Klienten/der Klientin als wesentlichen Faktor bei der Gestaltung von Lösungen und Lösungswegen herausstellen. Anders verhält es sich dort, wo die Soziale Arbeit in den Auftrag gestellt ist, gesellschaftliche Ansprüche gegen das Individuum zu verteidigen – in der Regel, um die Rechte schutzbedürftiger Individuen zu sichern oder Gefährdete vor sich selbst zu schützen. Hier stützt sie sich deutlich auf Formen der positionalen und organisationalen Macht und legitimiert sich weniger durch ihren Nutzen innerhalb der KlientInnenbeziehung als durch ihren öffentlichen Auftrag, also durch Autorisierung von außen.

Auf den ersten Blick erscheinen Hilfe und Kontrolle hier als gegensätzliche Funktionen der Sozialen Arbeit, die auch widersprüchliche Interessen für die Professionellen indizieren. Allerdings gibt es auf mehreren Ebenen auch Konstellationen, die die Gegensätzlichkeit aufheben oder zumindest relativieren. Diese Ebenen sind

a) die methodische Ebene. Hier kann es nötig sein, dass Kontrollmacht sich um Beziehungsmacht bereichern muss, um tragfähige Lösungen erreichen zu können. Um dauerhafte Vereinbarungen sicher zu stellen und die Motivation und Mitarbeitsbereitschaft der Klientel zu stärken, genügt es nicht, dass der/die Professionelle seine/ihre Eingriffsrechte artikuliert und sodann „vollzieht“, vielmehr braucht er/sie eine Konstellation, in der eine Drohsituation, die seine/ihre Kontrollmacht symbolisch repräsentiert, benutzt werden kann, um den Kontakt mit dem Klienten/der Klientin überhaupt aufrecht zu erhalten, gemeinsame Lösungsansätze zu entwickeln und eine „kontrollierte“ Umsetzung der Vereinbarungen zu erreichen. Der Zwang zur Zusammenarbeit bildet hier den Rahmen für einen Prozess, der dem Klienten/der Klientin wiederum Freiräume bietet, seine/ihre Interessen einzubringen, seine Bewältigungsressourcen nach eigenem Dafürhalten anzubieten und das Bedingungsfeld für bestimmte Lösungen mitzugestalten. In diesem Prozess kann der Klient/die Klientin durchaus erleben, dass der/die Professionelle ein Interesse an seiner/ihrer Person hat, dass er/sie Verständnis für die Engen und Bedrängnisse seiner Lebenssituation aufbringt und an verbindliche Lösungen den Anspruch hat, dass sie mit beidseitigem Einverständnis begründet sind. Durch diese Selbstdarstellung der/des Professionellen erwirbt diese/r Beziehungsmacht, denn er/sie wird als unterstützende, wertschätzende und kompetente Person für den Klienten/die Klientin wichtig. Während die Kontrollmacht sich darin äußert, dass sich der Klient/die Klientin den Professionellen nicht entziehen kann, wird die Beziehungsmacht zum Fundament der tatsächlichen Lösungsfindung. Beide Machtformen sind für die Erreichung des Zieles unverzichtbar und sie müssen sich möglicherweise immer wieder präsentieren, um wirksam zu bleiben.

 

b) die Lösungsebene. Häufig setzt Soziale Arbeit im Hilfeprozess durch Verbote und Gebote, durch den Vorschlag bestimmter Lösungen und durch die Einführung von Bedingungen dem Entscheidungsraum des Klienten/der Klientin mehr oder minder enge Grenzen. Sie tut dies teilweise, weil sie selbst Grenzen hinsichtlich des persönlichen Potentials ihrer Klientel oder Grenzen des Machbaren in seinen Lebensbedingungen erkennt, teilweise auch, weil sie in „normalen Lösungen“ auch die besten Lösungen sieht, mit denen ihr Klientel bei anderen am wenigsten anecken wird. Das Scheitern bisheriger Lösungen und die Verlegenheit oder Unmotiviertheit der Klientel bei der Entwicklung neuer Lösungen verdeutlichen ein Defizit, das zu überwinden Soziale Arbeit als kompetente Partnerin im eigenen Entwicklungsprozess ausweist. Soziale Arbeit offeriert Alternativen für bisherige Lösungen, sie zeigt Entlastungsmöglichkeiten auf, sie mindert das Risikopotential beim Experimentieren und ermutigt zu ersten Erfahrungen, die dem Klienten/der Klientin bisher verwehrt waren. In dieser Rolle aber bestimmt sie sehr wohl selbst, welche Wege möglich sind, und gibt damit den Raum vor, in dem die Lösungen zu finden sind. Soziale Arbeit leistet damit einen Schritt zur „Normalisierung“, sie hilft, indem sie kontrolliert. Maja Heiner hat in ihrer Analyse von PraktikerInneninterviews diesen Standpunkt folgendermaßen beschrieben:

„Referenzgröße der Intervention ist nicht ‚die Gesellschaft‘ mit ihren Normen, sondern ‚das Leben‘ als ein notwendig soziales Miteinander, das Rücksichtnahme und Anpassung, Kompromisse und Bescheidung verlangt. ‚Kontrolle‘ ist dementsprechend kein Gegensatz zu ‚Hilfe‘, sondern eine Form, um die Grenze zu markieren, ab der individuelles Verhalten die erwünschte soziale Teilhabe gefährdet. Von daher kann Kontrolle auch durchaus mit Hilfe identisch sein, indem sie verhindert, dass diese Grenze überschritten wird und so den KlientInnen hilft, das soziale Abseits, die Marginalisierung zu vermeiden, wenn sie selbst nicht in der Lage sind, sich so zu verhalten oder diese Gefahr auch nur zu erkennen.“98

c) die symbolische Ebene. Hilfe und Kontrolle sind auch im Blick auf den Handlungsmodus nur vordergründig Gegensätze, in gewisser Hinsicht fallen sie auch hier in Eins zusammen: Denn wer Hilfe leistet, übt darin immer auch Kontrolle aus. Kontrollierend wirkt schon allein die Tatsache, dass der Umgang des Klienten/der Klientin mit seinem/ihrem Problem nun der Beobachtung durch den Professionellen ausgesetzt ist und Gegenstand einer kommunikativen Erörterung geworden ist. Die Professionellen erwarten eine Antwort von ihrem Klienten/ihrer Klientin, sie erwarten eine Stellungnahme, ein Sich-Verhalten zu ihren Vorschlägen. Darüber hinaus kontrollieren sie die Situation, indem sie ihre Wahrnehmungen, Bewertungen, Urteile und Einstellungen in die Kommunikation mit dem Klienten/der Klientin einbringen, Empfehlungen und Ratschläge aussprechen, vielleicht sogar Entscheidungen treffen und die Rahmenbedingungen zum Umgang mit dem Problem verändern. Vielleicht schaffen sie neue Verbindlichkeiten für den Klienten/die Klientin, nehmen ihm Initiativen ab, die er/sie auch selber ergreifen könnte, stellen Kontakte her zu neuen Personen oder Institutionen, verändern die Beobachtungsperspektiven im sozialen Umfeld des Klienten/der Klientin etc. Dies alles geschieht in helfender Absicht und ist doch kontrollierende Handlung; denn in vielen Hinsichten gewinnt der/die Professionelle so Einfluss auf wichtige Parameter der Lebenssituation des Klienten/der Klientin und wird zu einem/einer bedeutenden MitgestalterIn der künftigen Chancen und Risiken der Lebensführung der Klient­Innen. Sich in das Feld der Sozialen Arbeit begeben, bedeutet für den Klienten/die Klientin selbstredend, einem/einer anderen am eigenen Anliegen Teilhabe zu ermöglichen, sich Bedingungen professionellen Arbeitens zu unterwerfen und sich Mechanismen organisationeller Prozesse auszusetzen. In dieser Hinsicht wird vom Klienten/von der Klientin eine Haltung der Anerkennung erwartet, in die die Anerkennung der Geltung bestimmter Regeln, der fachlichen Fähigkeit der Professionellen und nicht selten auch einer bestimmten Sichtweise des Problems mit eingeschlossen ist. Wie Bourdieu in seiner Theorie der „symbolischen Macht“ dargestellt hat, besteht zwischen Mächtigen und Beherrschten eine Beziehung praktischer oder „hingenommener Komplizenschaft …, die bewirkt, dass bestimmte Aspekte dieser Welt stets jenseits oder diesseits kritischer Infragestellung stehen“99. Konstruktivistisch lässt sich dieser Umstand auch so beschreiben: Wer Soziale Arbeit in Anspruch nimmt, setzt sich und die Bearbeitung seines Problems einem bestimmten Repertoire von Unterscheidungspraktiken aus, welches notwendigerweise auch eine Vielzahl von „blinden Flecken“ jenseits der gemachten Unterschiede produziert.

3.4 Die Mikrophysiologie der Macht in den Spielkonstrukten der Verhandlungs- und Tauschprozesse in der Sozialen Arbeit

Kommunikation ist stets darauf ausgerichtet, Wirkung zu haben und damit im weitesten Sinne Macht auszuüben. Sie zielt darauf ab, die Anderen zu beeinflussen, zu überzeugen, zu motivieren oder zu begeistern etc. Jo Reichertz hat für dieses Potenzial der Kommunikation den Begriff der „Kommunikationsmacht“100 geprägt, zunächst begrenzt auf den Fall der Kommunikation unter Anwesenden. Sie bezeichnet jenes Potenzial, die Anderen zu einer Handlung zu bewegen oder zu einer Einsicht oder Bereitschaft zu führen, die sie von sich aus ohne diesen Einfluss nicht vollzogen hätten.101

Betrachtet man – in Anlehnung an Elias – die Interaktion zwischen Personen als ein Spiel von Macht und Gegenmacht mit dem Medium der Kommunikationsmacht, so kann man auch die Interaktion zwischen Professionellen in der Sozialen Arbeit und ihrer Klientel als einen Handel um Durchsetzung interpretieren.

Die InteraktionspartnerInnen versuchen im Tauschverhältnis, das, was sie zu geben haben, möglichst teuer zu verkaufen, und das, was sie erhalten möchten, möglichst günstig zu erwerben. Die Gleichwertigkeit der Güter wird in der Verhandlung so prinzipiell dadurch destabilisiert, dass der/die jeweils Abhängigere bereit sein muss, einen höheren Preis zu bezahlen, und somit der/die weniger Abhängige in eine vorteilhafte Position gerät. In dauerhaften Interaktionsverhältnissen führt diese Ungleichheit der Werte gewissermaßen zur „Verarmung“ der Mindermächtigen an Ressourcen, faktisch wie ideell (denn, was sie zu bieten haben, verliert in beiderlei Hinsicht an Wert). Infolge der angezielten „Preisoptimierung“ in Tauschverhältnissen tendiert damit Macht dazu, sich zu vermehren und ihren vormals balancierten Status zu verlieren: Macht kommt zu Macht wie Geld zu Geld.

Der/die Professionelle in der Sozialen Arbeit schwebt aus diesen Gründen in der Gefahr (?), in einem Interaktionsprozess, der für den Klienten/die Klientin erfahrbar auf Machtressourcen beruht, nicht nur einen faktischen Machtzuwachs zu erhalten, sondern auch ein progressives Machtbewusstsein bei der Klientel zu provozieren. Dies ist möglicherweise kontraproduktiv: Denn Macht beschwört Gegenmacht herauf und eine Interaktion, die sich auf ein Kräftemessen einlässt, wird in der Sache wenig produktiv sein können. Der/die Professionelle muss daher das Interesse haben, die Machtverhältnisse „balanciert“ erscheinen zu lassen, um kein Bedürfnis nach Gegenmacht zu provozieren. Besser noch: Er/sie „ermächtigt“ zunehmend die Klientel, die anstehenden Probleme eigenständig und verantwortlich zu lösen. Denn die Erfahrung wachsender Souveränität im Umgang mit den Problemen zieht die Interaktion zwischen dem/der Professionellen und den KlientInnen allmählich aus dem Wirkungskreis der Macht heraus und ermöglicht dann erst eine „Begegnung auf Augenhöhe“.102 Zuweilen kann das Wirksamwerden einer Gegenmacht für die KlientInnen auch ein konstruktives Moment sein, da sie sich so ihrer Ziele und ihrer Vermögen gewisser werden (Stärkenorientierung) und das Erreichte für sich selbst beanspruchen und als „ihre Lösungen“ erachten. Dies gilt auch für den Kampf gegen gesellschaftlich etablierte Schwächeklischees, in dem sich die vermeintlich Hilflosen ihre Machtpotenziale vergegenwärtigen und vor sich und anderen „Macht als Gegenöffentlichkeit“103 schaffen.

a) Machtbalancen. Machtressourcen sind zwischen InteraktionspartnerInnen höchst selten so einseitig verteilt, dass nur eine/r der Beiden dem/der anderen etwas zu bieten hat. Dort, wo dies tatsächlich zutrifft, bestimmen in der Regel Formen physischer Macht die Verhältnisse: Die Mindermächtigen sind der Willkür der Mächtigen ausgesetzt, ihre Ressourcen zählen nichts und der Austausch besteht einseitig zwischen Gehorsamshandlungen und Gratifikationen. Meist jedoch sind Ressourcen und Machtmittel auf die InteraktionspartnerInnen so verteilt, dass beide einander etwas zu bieten haben und so auch eine wechselseitige Abhängigkeit entstehen kann – auch wenn diese Verteilung nicht unbedingt „balanciert“ ist. Ob ein Mehr an Ressourcen oder Machtmittel manifeste Macht hervorzubringen vermag, hängt u. a. vom geschickten (haushaltenden) Einsatz der Mittel und von dem je aktuellen „Marktwert“ der Ressource in der jeweiligen Problemsituation ab. Mit dem Wandel der Problemsituationen wandeln sich auch Abhängigkeiten. Machtbalancen sind daher immer labil, Vorteilslagen verschieben sich, gewinnen und verlieren an Aktualität.

Es ist daher sinnvoll für eine Machtanalyse konkreter Verhältnisse im Auge zu behalten, dass meist allen in einem Interaktionssystem beteiligten Agierenden Ressourcen und Machtmittel zukommen und die machtrelevante Interaktion darauf beruht, dass ein Austausch von Ressourcen erfolgt. Ein anschauliches Beispiel gibt Levold:

„Auch in der Familientherapie erleben wir viele Beispiele für die Komplexität von Machtverhältnissen: so kann die körperliche Überlegenheit eines Mannes, die er gewaltsam einsetzt, um seinen Willen durchzusetzen, der Macht einer Frau gegenüberstehen, die aus seiner emotionalen Abhängigkeit ihr gegenüber erwächst. Die Macht des Kindes, die auf seiner Fähigkeit, die emotionalen Bedürfnisse der Eltern zu befriedigen oder auf der besonderen Bedeutung beruht, die es für die Eltern hat, steht oft in eigentümlichem Kontrast zu der „Erziehungsmacht“ der Eltern, ohne deren Unterstützung das Kind gar nicht existieren könnte.“104

Auch in der Beziehung zwischen Helfenden in der Sozialen Arbeit und ihrem Klientel sind die Machtmittel nicht einseitig verteilt. Auch wenn zunächst einmal die Abhängigkeit von Hilfesuchenden ins Auge sticht, so stehen dieser doch auch Interessen, Verpflichtungen und Abhängigkeiten im Innen- und Außenverhältnis des/der Professionellen gegenüber, die die Mindermächtigkeit der Klientel begrenzen. Ein Teil dieser Verpflichtungen entstammt den Kontrollbedingungen des professionellen Auftrages durch Funktion, Amt, rechtliche Vorgaben etc., ein weiterer Teil der Hoffnung auf eine erfolgreiche Arbeit und ein dritter Teil den berufsethischen Haltungen und der emotionalen Kohärenz des Beziehungsverhältnisses. Diese Verpflichtungen veranlassen die Professionellen nicht nur dazu, offene Konflikte zu vermeiden, sondern überhaupt den Einsatz der ihm/ihr zur Verfügung stehenden Machtmittel zu minimieren. Auch wenn die Andeutung der Aktivierung von Machtmitteln nicht zu vermeiden ist, wird man doch bemüht sein, das Erscheinungsbild „balancierter Macht“ zur Pflege eines kooperationsgetragenen Aushandlungsprozesses beizubehalten. Im Modell der „Manifestationsstufen“ ausgedrückt: Man wird die Machtverhältnisse im „Schlummer“ der „latenten Macht“ halten und bestenfalls mit den Zeichen „potentieller Macht“ andeuten, bevor man Tatsachen „manifester Macht“ demonstriert.

 

Maja Heiner gibt sogar eine Empfehlung aus, wie professionelles Handeln Machtbalancen – selbst unter Eingriffsbedingungen – auch für den Klienten/die Klientin noch erfahrbar gestalten sollte:

„Die gezielte und reflektierte Mischung von Fremd- und Selbstbestimmung, Kontrolle und Hilfe, verbunden mit dem Versuch der Aushandlung von Entscheidungen kennzeichnen professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit. Dadurch können auch bei unfreiwilliger Kooperation begrenzte Arbeitsbündnisse entstehen, die wiederum zur Motivation der Klientel beitragen.“105

Das Zitat deutet an, dass gerade in Situationen der Unfreiwilligkeit des KlientInnenkontaktes der offensichtlichen „Übermacht“ der Bedrohungspotentiale auf Seiten des/der Professionellen eine konstruktive Beziehung zum Klienten/zur Klientin nur möglich wird, wenn Spielräume zur Beteiligung, Mitentscheidung in gestaltbaren Parametern des Lösungsfeldes eingerichtet werden und in diesen Bereichen der Klient/die Klientin eine „Ermächtigung“ erfährt, die ihm/ihr in der Grundsatz­entscheidung nicht zugestanden werden kann. Offensichtlich gilt es, auch in solchen Beziehungen einen „konsensuellen Bereich“ von Interaktionsformen aufrecht zu erhalten, der als „balancierte Macht“ symbolisiert werden kann.

b) Definitionsmacht und verhandelte Tauschbedingungen. Soziales Handeln beruht auf sozialen Konstrukten, die situationsspezifisch die Interaktionen zwischen PartnerInnen regeln und eine Ordnung der möglichen Handlungen und ihrer Indikationen konzipieren. Diese Konstrukte nennt Friedberg „Spielkonstrukte“106, denn zum ersten gilt es für alle Beteiligten, sich an die Spielregeln zu halten (diese beschreiben einen regelhaften und auf Konsens beruhenden Zusammenhang zwischen Situationen, Handlungen und Personen) und zum zweiten gilt es, mittels dieser Regeln etwas zu verhandeln und auszufechten, dessen Ergebnis nicht schon vorher absehbar ist – ein Spiel.

Friedberg hat seine Theorie der Machtspiele paradigmatisch auf einem tauschtheoretischen Fundament aufgebaut. Grundlegend ist für ihn die Annahme, dass Menschen zur Bewältigung bestimmter Vorhaben oder zur Lösung bestimmter Probleme Kooperation mit anderen Menschen brauchen und deshalb Beziehungen zu anderen Menschen eingehen.107 Macht entsteht in diesen Beziehungen im Ergebnis von Verhandlungs- und Tauschprozessen, die Handlungs- und Verhaltensmöglichkeiten der InteraktionspartnerInnen regeln. Hierin gehen schon vorhandene Herrschaftsstrukturen ein, die sich aus asymmetrischen Ressourcenverteilungen ergeben. Herrschaft fundiert also die Macht, die ihrerseits wieder vorteilhafte Bedingungen für die Mächtigen in der Tauschbeziehung hervorbringt. Entsprechend beschreibt Friedberg einen tauschtheoretisch orientierten Machtbegriff:

„Aus der hier benützten Sicht kann Macht daher als die Fähigkeit eines Akteurs definiert werden, mehr oder weniger dauerhafte Tauschprozesse zu seinen Gunsten zu strukturieren, indem der die Zwänge und Gelegenheiten der Situation nutzt, um die für seine Zwecke günstigen Tauschbedingungen durchzusetzen. Es handelt sich um einen verhandelten Verhaltensaustausch, der so strukturiert ist, dass alle Beteiligten davon etwas haben, wobei es aber immer einem (oder mehreren) Gegenspieler(n) möglich ist, mehr herauszuholen als die anderen.“108

Die Quellen der Macht, die den Mächtigen erwachsen, entspringen zum einen der Bedeutsamkeit ihrer problemlösenden Handlungen für die Ziele der Mindermächtigen; denn, je wichtiger diese Handlungen für die Mindermächtigen sind, umso mehr werden sie bereit sein, hierfür zu bezahlen. Zum andern entspringen sie dem jeweiligen Handlungsspielraum der Beteiligten in der konkreten Situation, d. h. den Freiheitsgraden ihrer Handlungsmöglichkeiten: Je zahlreicher diese sind, desto größer ist ihre Macht, oder umgekehrt, je vorhersehbarer die Handlungsmöglichkeiten von AkteurInnen sind, desto mehr schwinden ihre Durchsetzungschancen. Ein Maximum an Macht erwächst daher AkteurInnen, denen es freisteht, sich überhaupt aus der Transaktion zu verabschieden.

Ein Mittel, den Preis der problemlösenden Handlung heraufzusetzen, ist die Fähigkeit der Mächtigen, die Sicht der Mindermächtigen für das Problem zu verschärfen und ihren Leidensdruck oder ihre Begehrlichkeiten zu steigern. Die Macht, das Problem zu definieren (Definitionsmacht), die selbst einer positionalen Macht (Kompetenz) entspringt, ist daher auch ein Mittel, die Mindermächtigen durch gesteigerte Hilflosigkeit an sich zu binden.

Die Bewältigung von Ungewissheiten ist gewissermaßen das Kapital der Professionellen, das diesen gegenüber den KlientInnen eine mächtigere Ausgangssituation sichert. Eine der Ressourcen dieses Kapitals ist die Fähigkeit, das Problem zu definieren, indem die wesentlichen Parameter und Konstitutionsbedingungen der für die KlientInnen unerträglichen Situation bestimmt werden; eine weitere Ressource besteht darin, auf dieser Grundlage eine Strategie zu ihrer Beherrschung entwickeln zu können. Beides sind Ressourcen, die auf fachlicher Kompetenz beruhen und durch das Vertrauen des Klienten/der Klientin in die Fachlichkeit der Professionellen ihr Gewicht in der Verhandlungssituation erhalten.

„Tatsächlich sind die Akteure den die Lösung eines Problems bedingenden, relevanten Ungewissheiten gegenüber grundlegend ungleich. Und aus Gründen, die von Fall zu Fall zu analysieren wären, dominieren die Akteure, die in der Lage waren, gleichzeitig eine gewisse Definition der Probleme (und damit der relevanten Ungewißheiten) durchzusetzen und ihre zumindest teilweise Beherrschung dieser Ungewißheiten sicherzustellen.“109

In dem Maße, in dem der Klient/die Klientin die Bestimmung des Problems und die Qualifizierung von Bewältigungsstrategien zur Beeinflussung des Problems den Professionellen überlässt, verliert er/sie selbst den Anschluss an die Chancen zur Analyse des Problems und zur Überprüfung der Effektivität strategischer Komponenten. Er/sie gibt die Fähigkeit auf, Problemsicht und Bewältigungsversuche selbst zu koordinieren, und verliert damit wesentlich an Selbständigkeit im Blick auf künftige Bewältigungssituationen. Der Klient/die Klientin überlässt den Professionellen Definitions- und Deutungsmacht.

Das Tauschverhältnis des sozialarbeiterischen Arbeitsbündnisses gründet sehr substantiell auf dem Vertrauen in die ExpertenInnen und seinem Preis, der Deutungsmacht. Herriger hat den „Tauschhandel“ zwischen Professionellen und ihrem Klientel über die Kategorie „Verantwortung“ beeindruckend beschrieben. Professionelle bieten ihrem Klientel „stillschweigende Offerten (an), die auf eine Übernahme von Verantwortung für den weiteren Hilfeprozess hinauslaufen“ und unterstreichen diese durch ihre fachliche Expertise. Im Gegenzug erwarten sie „die Demonstration von Mitmachbereitschaft und … (die) gewissenhafte Erfüllung grundlegender Hilfenormen“110.

c) Lob, Bindung und Beziehungsmacht. Ein weiterer bedeutsamer Aspekt in der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Professionellen und KlientInnen ist das Maß der Abhängigkeit durch Unersetzlichkeit. Friedberg hat hervorgehoben, dass Machtbeziehungen von einer „Logik der Verringerung der Zahl der Spieler, um nicht zu sagen der Errichtung eines Monopols“111, geprägt sind. Auch in Verhandlungs- und Tauschprozessen in der Sozialen Arbeit bieten sich den Professionellen zahlreiche Gelegenheiten, „um sich eine monopolistische Position als Lieferant von für die anderen Gegenspieler wichtigen Handlungsalternativen zu verschaffen“112. Je schwieriger es für den Klienten/die Klientin wird, die Professionellen als „LieferantInnen“ problemlösender Handlungskonzepte durch andere Personen zu ersetzen, desto größer wird für die Professionellen der strategische Vorteil, wenn es darum geht, die Bedingungen für Tauschinteraktionen auszuhandeln.113 Die zumindest situativ häufige Monopolposition von Professionellen in der Sozialen Arbeit (als „Zuständige“ und „Vertraute“ zugleich) privilegiert diese im Interaktionsverhältnis in vielen Aushandlungsprozessen. Sie ist ein Faktor innerhalb jenes Strukturmomentes der Macht, welches der Klient/die Klientin in der Unausweichlichkeit aus der Situation, hier der Hilfesituation, erfährt. Gesteigert wird die Monopolmacht der Helfenden aber noch erheblich durch die im Laufe der Beratung wachsende Vertrautheit mit und Nähe zum Klienten/zur Klientin, das zunehmende Wissen um dessen/deren Lebensgeschichte und Lebenslage, um seine/ihre Wünsche, Perspektiven und Idealvorstellungen. Dieses „Kapital“ der gemeinsamen Kommunikationsgeschichte geht in die Beziehungsmacht mit ein.