Die Giftmischerin

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»Keine Angst, Gesche«, antwortete Marie und schaute sich suchend um. »Dein Herr Vater wird dich schon nicht aus den Augen lassen.« Es sollte ein belustigender Hinweis darauf sein, dass Gesche mit ihren 21 Jahren keinen Schritt ohne die strenge Aufsicht der Eltern unternahm. »Wo ist dein Bruder, Gesche?«, fragte sie, während sie nach dem feschen Husaren unter den Theatergästen Ausschau hielt. Schon geraume Zeit betete sie Gesches Bruder heimlich an und hätte es sich gewünscht, dass er um sie freite.

»Sein Regiment, bei dem er sich hat einschreiben lassen, ist gestern nach Paris abgerückt. Mach dir keine Hoffnungen, liebe Marie. Mein Bruder Christoph genießt das Abenteuer. Er wird nie ein biederer Ehemann werden. Verschwende deine Aufmerksamkeit besser an die vielen unverheirateten Herren hier in der Komödie. Ist es nicht wunderschön? Hier finden wir bestimmt einen wohlhabenden Ehemann.«

»Für dich, Gesche hält sich hier sicher ein Freier verborgen. Woher sollten sonst die Karten für die teure Loge herkommen? Oder dein wunderschönes Kleid.«

Sie blickte ein wenig neidvoll auf Gesche und dann seufzend an sich herunter. »Heute schauen alle Menschen nur auf dich. Genieße es, Gesche. Ich bin gegen dich nur ein schwarzes, unbedeutendes Schäfchen.«

»Deine Worte machen mich traurig, Marie«, antwortete Gesche betrübt und blieb am Treppenabsatz stehen. »Wir ergänzen uns doch wie Geschwister.« Sie sah der dunkelhaarigen Marie herausfordernd in die rehbraunen Augen und strich ihr eine Locke aus der Stirn. »Du bist doch das Gegenstück zu mir, dunkel und feurig, wie eine rote Rose. Nein, nein, die Blicke der schneidigen Herren gelten eher dir als mir. Wenn sie mich ansehen, dann schauen sie nur wegen des aufwendigen Kleides. Es ist aber auch zu schön«, sinnierte sie und drehte sich kokett vor der goldenen Spiegelwand. Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben trug sie kein Schultertuch aus Leinen, und sie betrachtete entzückt ihre runden Schultern, die sich im gedämpften Licht von der rot-goldenen Samttapete des Foyers weiß wie Alabaster abhoben. Die blonden Locken hatte ihr die Mutter in kleinen Löckchen kunstvoll zu einer kleinen Krone aufgetürmt und mit einem zum Kleid passenden Diamanthaarband festgesteckt. Zu dem lang fließenden Kleid aus romantischer zartroter Seide und heller Spitze trug sie elegante lange Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten. Dazu hatte sie die Taille zum ersten Mal geschnürt, was ihre kleinen weißen Brüste geheimnisvoll hervorhob.

»Du bist wunderschön, Gesche«, gestand ihr Marie neidlos zu. »Wenn man bedenkt, dass dieses Kleid einst für eine andere Trägerin genäht wurde und nun deinen herrlichen Körper schmückt. Du bist ein Glückspilz, man kann dir nur gratulieren, Gesche.«

»Wenn ich nur wüsste, wer mir dieses Kleinod geschenkt hat.« Gesche betrachtete ungeduldig drei Herren an der Getränketafel, die lautstark den hauseigenen Wein lobten. »Christoph kann es nicht gewesen sein. So viel Groten besitzt er nicht.«

»Das Kleid ist mindestens mehrere Reichstaler wert. So etwas kann nur ein wohlhabender Freier«, antwortete ihr Marie und zupfte an dem in Falten gelegten Überwurf aus kostbarem Atlas. »Aber wer?«, sinnierte Gesche. »Vater sagte, das Kleid hatte einst eine reiche Dame bei ihm in Auftrag gegeben.«

»Und dann nicht abgeholt …«, grinste Marie und zog Gesche vom Spiegel weg zu den Eingängen. Die hohen, mit Gold beschlagenen Türen standen offen, und vor jedem Eingang empfing ein junger Lakai in einer blauen Livree die Herrschaften. Gesche staunte und hielt, unschlüssig, zu welcher Tür sie sich wenden sollte, Marie am Arm zurück. »Welche Loge ist es?«, fragte sie ängstlich.

Marie wusste, es war ihr peinlich, ohne die Brille nichts auf dem Billett erkennen zu können.

Im gleichen Augenblick trat einer der französischen Lakaien auf sie zu, verbeugte sich bis zur Erde und fragte: »Darf ich die Damen zu ihrem Platz geleiten?«

Doch ein junger Herr im Zylinder, mit Haaren so schwarz und wild wie sein Anzug, schälte sich aus der Gruppe an der Getränketafel und kam ihm zuvor.

»Ich sehe, die Damen sind unschlüssig …?«, fragte der rasch Herbeigeeilte höflich und trennte die Freundinnen, indem er mit einer galanten Verbeugung jeweils einen zarten Kuss auf die dargebotenen Fingerspitzen hauchte.

»Peter Kassow ist mein Name. Darf ich mir erlauben, die jungen Damen in meine Loge zu bitten?« Er verbeugte sich abermals artig, während er die Hacken ein wenig zusammenstieß und Gesches Figur mit einem feurigen Blick aus seinen tiefschwarzen Augen umfasste.

Gesche kämpfte erneut gegen ihre Verlegenheit, und flinker als Marie antwortete sie: »Es ist uns eine Ehre, mein Herr.« Keusch senkte sie dabei den Blick zu Boden, als sie bemerkte, dass Kassow ihr die größere Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ.

»Sind die Damen das erste Mal in der Komödie?«, fragte er neugierig und hakte sich bei beiden unter. Gleich darauf promenierte er zwischen ihren raschelnden Gewändern.

Gesche nickte, und von seiner lockeren Art angetan, fragte sie neugierig: »Sind Sie Russe, Herr Kassow?«

»Sogar ein waschechter, mein Fräulein«, antwortete Kassow und zwirbelte sein schwarzes Oberlippenbärtchen, als sie vor der letzten Tür stehen blieben.

Die Augen auf ihr Dekolleté gerichtet, in freudiger Erwartung auf ein zartes Liebesabenteuer, schnitt er nun ein Thema an, das zurzeit in den Salons heftig diskutiert wurde und ihm die Bewunderung der Damen einbrachte.

»Seitdem Großbritannien und mein Mütterlein Russland vorhaben, die Schweiz und Holland aus der Gewalt Napoleons zu befreien, gilt für einen Weinhändler wie mich nur eines: schnellstens meine Geschäfte mit England zu retten, bevor der Wahnsinnige«, hier kam er Gesches Ohr sehr nahe, »was mir aus vertrauter Quelle zugetragen wurde, gemeinsam mit den Spaniern und den Briten den Krieg zur See eröffnet.«

»Mein Herr, Sie sind wohl kein Freund unseres französischen Kaisers Napoleon?«

Mehr überrascht als erschrocken schaute Gesche auf den hochgewachsenen blonden Herrn, der leise hinter sie getreten war und sich ohne Aufforderung am Gespräch beteiligte.

»Ein so mächtiger Herrscher, der uns eine ganz neue Welt mit außergewöhnlichen Bildungs-, Verwaltungs- und Finanzreformen verspricht. Meine Damen, wollen Sie einen solchen Propheten des Fortschritts wegen ein paar kleiner kriegerischer Auseinandersetzungen von unserem Herrn Kassow denunzieren lassen?«, versuchte er den Russen vor den Damen auszustechen, um die Aufmerksamkeit des schönen Geschlechts auf sich zu lenken.

»Kleine Kriege? Aber Herr Miltenberg, was soll das, in der Gegenwart zweier so schöner, sanfter Geschöpfe die Gefahr zu beschönigen? Glauben Sie, die Damen sind nicht informiert?«, rechtfertigte sich Kassow ob der Störung und zwinkerte Gesche zu.

Gerard Miltenberg überhörte den Einwurf. Auch er hatte nur Augen für die schöne Gesche. Aufmerksam beugte er sich über die dargebotene Hand, während Kassow seine Meinung vor den Damen erneut verteidigte.

»Stellen Sie sich nur vor, dieser verrückte Korse hat die Sklaverei wieder eingeführt. Oder denken Sie an die unlängst standrechtliche Erschießung des Herzogs von Enghien im März 1804, was das für uns Deutsche für Folgen haben wird. Zu allem Unglück hat der Wahnsinnige sich jetzt auch noch zum Kaiser krönen lassen.«

Gerhard Miltenbergs Gesicht überzog ein gelangweiltes Lächeln. Gesche mit den Augen heftige Avancen machend, versuchte er, dem Gespräch ein Ende zu setzen.

»Gehen Sie zu Ihrem Mütterchen Russland zurück, Kassow! Es wird Sie bald nötiger brauchen als Ihre englischen Geschäfte.«

Kassow wendete sich ihm jetzt mit hochrotem Gesicht zu und musterte ihn ärgerlich aus schmalen Augenschlitzen. Brachte Miltenberg sein Mütterchen Russland mit ins Streitgespräch, dann ging sein hitziges Temperament mit ihm durch. Die Hand am Degenknauf, suchte er nach Worten, um die verletzte Ehre vor den Damen wiederherzustellen.

Miltenberg bemerkte es und versuchte nun, mit Charme und Witz einzulenken. Ein Duell hier an diesem Ort, ausgerechnet vor seiner Auserwählten, war nicht in seinem Interesse. Außerdem hatte er das Weinlager des Weinaufsehers, das seinem Haus nur wenige Meter schräg gegenüberlag, längst als einen unversieglichen Quell unentgeltlichen Weingenusses entdeckt.

»Herr Kassow hat seinen Logenplatz bereits einer schon lange von ihm verehrten Schönheit angeboten, wie er mir gestern Abend im Spielsalon heimlich gestand«, log er mit einem listigen Augenzwinkern, Kassow dabei im Auge behaltend. Sein Blick bat ihn dabei heimlich um Verständnis. »So wird mir das Glück zuteil, die Damen in meine bescheidene Loge zu bitten.«

Artig beugte er sich zum Kuss über Gesches Hand, nicht ohne sie aus den Augen zu lassen, während diese etwas verständnislos von einem zum anderen sah, was wiederum sein Herz entzückte. Die Jungfer in ihrer Hilflosigkeit wirkte noch viel schöner und zarter, als er es sich erträumt hatte.

Gesche betrachtete derweil nachdenklich Miltenbergs elegante Erscheinung im dunkelbraunen zweireihig geknöpften Frack. Blitzschnell kehrte das Gespräch mit Christoph in ihr Gedächtnis zurück. Miltenberg war nicht uninteressant, er gefiel ihr, obwohl sein werbender Blick nicht die gleiche Erregung in ihr entfachte wie der glutvolle von Kassow. Dafür faszinierte sie der aufwendige Stil seiner Kleidung umso mehr.

»Mit Freuden werden wir Ihr Angebot annehmen, mein Herr«, kokettierte sie und reichte Miltenberg zum Einverständnis den Arm. Den ungewollten Seufzer, der ihr dabei entfuhr, quittierte sie bei sich mit einem Lächeln. Viel lieber hätte sie die charmante Einladung Kassows angenommen und beobachtete verstohlen, versteckt hinter ihrem seidenen Fächer, den Russen, der sich nun mit ihrer Freundin Marie tröstete. Noch einmal wollte es der Zufall, dass sie ein Blick aus seinen glutschwarzen Augen traf. Doch tapfer bekämpfte sie das Klopfen ihres Herzens und lächelte Miltenberg auffordernd zu, der es geschickt verstand, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

 

»Ihr seufzt, Demoiselle, ist Euch meine Aufdringlichkeit unangenehm?«, fragte er, während Gesche rasch das Versäumnis nachholte, sich vorzustellen.

»Demoiselle Gesine, mein Herr«, beeilte sie sich hinzuzufügen und log. »Gesine Timm.«

»Ein wunderschöner Name, Demoiselle Timm«, schmeichelte ihr Miltenberg. »So schön wie Eure Augen und Euer goldenes Haar«, verzauberte er sie, während sie ihm, betört von seinen Worten, gnädig die Hand überließ. Die Worte überdeckten das fehlende Gefühl in ihrem Herzen und nährten geschickt den Stachel der Eitelkeit.

Stolz wie eine Königin schritt sie nun neben ihm durch die Gänge eines Seitenflügels. An dessen Ende erwartete sie der Theatersaal mit einem ovalen Zuschauerraum und einer ziemlich tiefen Bühne. In seiner Loge bot er ihr mit einer galanten Bewegung den Stuhl neben sich an. Marie hatte in der Nachbarloge Platz genommen und unterhielt sich angeregt mit Kassow. Die unterhaltsame Art des Russen brachte die Freundin zum Lachen, was sich anhörte wie das leise Gurren eines Täubchens. Für einen Augenblick verspürte Gesche heimliche Eifersucht. Dann wurde sie betäubt von dem barocken Schein, der sie umgab, den vielen Zuschauern, welche zu den Rängen strömten, den glitzernden Roben der Damen, den farbenfrohen Gemälden an den Wänden und den auf Säulen kunstvoll kreierten Wasserspielen. Der dunkelrote Samtvorhang war geöffnet. Die Kulissen stellten eine bürgerliche Wohnung dar, die so raffiniert gemalt war, dass man nicht den Eindruck hatte, auf Wände aus Leinwand und Pappe zu sehen, sondern wirklich in einem Raum mit englischen Stilmöbeln, fein gewebten Spitzendeckchen und echtem Porzellan zu sein. Bei so viel strahlendem Glanz vergaß sie rasch den wohlhabenden Gerhard Miltenberg an ihrer Seite. Sie spürte weder seine Fingerspitzen, die sanft ihren Arm hinaufstrichen, noch vernahm sie seine geistreichen Erklärungen über das Trauerspiel, welches sich in fünf Akten vor ihr auf der Bühne abspielte. Ihre weiche Seele, schon von Kindesbeinen an dem Theaterspielen zugetan, versank in einer für sie völlig neuen Sphäre. Ergriffen und mit Tränen in den Augen verfolgte sie die tragische Liebe zwischen dem adligen Ferdinand und der Musikertochter Luise. Insbesondere die Figur der Luise hatte es ihr angetan. Sie mochte die Augen nicht einen Moment von deren Schönheit lassen und identifizierte sich so sehr mit ihrem Schicksal, dass sie zum Schluss fast in Tränen aufgelöst in Miltenbergs Arme sank, während dieser, mutig geworden, sie leise mit den Worten tröstete: »Demoiselle Gesine, es ist doch nur ein Trauerspiel aus der Feder unseres hoch geschätzten Herrn Friedrich Schiller. Es ist nicht die Wirklichkeit. Ich aber, liebe Gesche, möchte Ihnen, wenn Sie mir die Gelegenheit dazu geben, ein heiteres Stück für Ihr Leben schreiben. Ein Stück, in dem nur wir beide mitspielen. Ich würde Ihnen die Welt zu Ihren kleinen Füßen legen, meinen Wohlstand und meine Liebe dazu, um niemals wieder Tränen in Ihren schönen Augen sehen zu müssen …«

Am nächsten Morgen brannte Gesche darauf, ihr Glück mit der Mutter zu teilen. Überglücklich lief sie hinunter in die Schneiderwerkstatt. Margarethe stand mit einem Gürtel voller Nadeln um die Hüften und hochgeschlagenen Ärmeln vor einer Schneiderpuppe und versuchte gerade, einen Tuchballen von mehreren Fuß über das Podest zu ziehen. Nachdem sie ihn endlich in die richtige Lage gebracht hatte, griff sie nach dem Gewicht zum Falteneinpressen. Doch die Tochter kam ihr zuvor und nahm ihr das Eisen übermütig aus der Hand. Die Neuigkeit war ihr wichtiger als der Wollstoff.

»Mutter, stell dir vor, gestern Abend hat mich der junge Herr Miltenberg vom Theater nach Hause gebracht. Er ist ein recht feiner Herr, und, Mutter, er ist wohlhabend, so reich, reich«, sprudelte es aus ihr heraus.

Jubelnd umfasste sie die Hüften der Mutter und schwenkte sie einmal im Halbkreis herum. »Ach Mamachen, deine Finger werden nie wieder zerstochen sein. Sonntags werden wir, in Samt und Seide gekleidet, in den Parks spazieren gehen und uns auf großen Festlichkeiten bewundern lassen. Wir werden Pferde haben, eine eigene Kutsche und ein großes Haus. Oh, wie werden uns die Nachbarn um dieses Glück beneiden und erst meine Freundinnen.« Von Gefühlen für den Herrn Miltenberg sprach Gesche dabei nicht, bis Margarethe sie mit den Worten aus ihren Träumen riss: »Es ist wichtig, dass ihr immer Brot habt. Aber Kind, gefallen muss dir der junge Herr auch. Wo bleibt in deinen Träumen die Liebe?«

Obwohl die Frage etwas unerwartet kam, hatte sie sofort eine Antwort auf den Lippen. Sie ließ die Mutter plötzlich los, sodass diese sich an einer Schneiderpuppe festhalten musste, und antwortete ihr ungeduldig: »Die wird sich mit der Zeit schon einstellen. Warum sollte ich einen Mann nicht lieben lernen, der mir Glück und Reichtum verspricht.«

Einen Augenblick lang beobachtete sie schweigend die Wirkung ihrer Worte, bevor sie sich sogleich wieder lachend und trällernd ein fertiges Kleid einer Schneiderpuppe über den Kopf zog. »Wie steht mir das?«, fragte sie und drehte sich damit kokett vor dem Spiegel.

»Gut, mein Kind. Die Farbe passt gut zu deinem blonden Haar und deiner grazilen Figur. Aber hänge das Kleid wieder zurück auf das Podest. Frau Geheimrätin wird sonst nie wieder ein schwarzes Taftkleid bei uns bestellen, wenn du es zerdrückst.« Sie nahm es ihr vorsichtig aus den Händen und stülpte es raschelnd über die weißen Batistunterhöschen. Dann zupfte sie eine Weile schweigsam an den Unterröcken und Volants herum, bis sie in Gedanken äußerte: »Du solltest lieber Weiß tragen, niemals ein Trauerkleid.« Mit den Nadeln im Mundwinkel sah sie Gesche nachdenklich an. Dann stellte sie plötzlich die eigentlich wichtigste Frage: »Bist du dir auch sicher, dass der Herr Miltenberg als Brautwerber beim Vater um deine Hand anhalten wird?«

Jetzt wich alle Freude aus dem hübschen Mädchengesicht. Wie so oft wollte die Mutter sie wieder einmal nicht verstehen, und die Enttäuschung löste sich in einem Tränenstrom. »Du gönnst mir mein Glück nicht, Mutter. Nie gönnst du mir etwas. Aber ich bin ja auch nicht Christoph, den du im Herzen mehr liebst als mich«, schluchzte sie und stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Wie kannst du überhaupt solche Bedenken hegen. Natürlich wird Gerhard Miltenberg beim Vater vorsprechen. Er hat es mir versprochen.«

»Was hat denn meine Liebe zu Christoph mit deinem Glück zu tun, Gesche«, wendete Margarethe geduldig ein. »Du weißt genau, dass er, seit er in die weite Welt hinausgezogen ist, allzu schnell der verblendenden Lust und Verführung verfallen ist. Alle unsere von Tränen und blutenden Herzen erfüllten Briefe, die ihn in ein ordentliches Leben zurückholen sollen, erreichen ihn nicht, nur für die Taler, die wir ihm schicken, hat er eine offene Hand. Ein undankbarer Sohn ist er, der seinen Eltern Kummer bereitet. Gerade deshalb wünsche ich mir für dich das allergrößte Glück auf dieser Erde. Ich hoffe, dir ist auch bekannt, was für ein unseliger Ruf dem Herrn Miltenberg vorausgeht.«

»Ach, alle die üblen Nachreden über den geschätzten Herrn Miltenberg sind nur infame Lügen der neidischen Nachbarn«, versuchte sie die Bedenken der Mutter zu entkräften. Dabei war ihr nicht wohl, wusste sie doch genau, dass die Mutter recht hatte. Aber ihre Gedanken kreisten immer wieder zu den vielen schönen Kleidern und dem großen Haus zurück, in dem sie künftig leben würde, und diesen Traum wollte sie sich nicht zerreden lassen.

In den nächsten Tagen geschah es ab und an, dass Gerhard Miltenberg der Jungfer Gesche ausgerechnet dann begegnete, wenn sie gerade vor dem Haus die Straße fegte. Jedes Mal grüßte er freundlich und stieg vom Wagen. Er fragte interessiert nach ihrem Befinden, und wenn sie ihm mit geröteten Wangen schlau antwortete: »Gut, Herr Miltenberg. Jetzt geht es mir noch besser«, lobte er ihre Arbeit und äußerte sich artig über ihre Schönheit und ihre Tugend. Dabei verschlang er sie mit den Augen und konnte sich manchmal kleinerer frivoler Bemerkungen, wie sie unter Verliebten üblich sind, nicht enthalten. Seit der Begegnung in der Komödie hatte die schöne Gesche seine Sinne so weit berauscht, dass er, die Hölle seiner Ehe allmählich vergessend, allen Ausschweifungen entsagte und nur noch mit ihrem Bild im Herzen lebte und sich nichts sehnlichster wünschte, als ihren holden Körper endlich in seinen Armen halten zu können.

An einem Sonntag, morgens um zehn Uhr, wurde dann der folgenschwere Gang des Freiwerbers von Post nach dem Haus des Schneidermeisters angetreten. Gerhard Miltenberg lief derweil ungeduldig vor dem Haus auf und ab, während der Magister den Vater Timm zu sprechen wünschte. Gesche stand in der Küche und wusch die Schüsseln. Beim Anblick des ganz in Schwarz gekleideten Magisters lief sie rasch zum Vater und sagte: »Vater, komm doch mal, da ist ein Herr, ich glaube, es ist ein junger Prediger, ganz schwarz gekleidet und von feinem Aussehen.« In ihrer Aufregung lief sie auf zitternden Beinen hinauf in ihr Zimmer, setzte sich mit klopfendem Herzen auf das Bett und faltete die Hände zum Gebet. »Bitte, Herrgott«, flehte sie mit feuchten Augen, »mach, dass alles gut wird und der Vater einer Hochzeit zustimmt.« Dann lauschte sie mit einem Ohr an der Wand, wie der Vater den Brautwerber in die Stube bat und die Mutter rief, sie sollte doch für den Herrn von Post aus der Küche ein wenig Gänseleberpastete und eine Flasche vom besten Wein aus dem Keller bringen. Bei so viel Freigebigkeit wusste sie, dass der Vater den Brautwerber mit allen Ehren empfing. Sie lächelte vor sich hin. Als der große Zeiger der Küchenuhr sich über den kleinen schob, war es zwölf Uhr, und Gesche wurde vom Vater in die Wohnstube gerufen. Am Tisch vor den halb gefüllten Gläsern und dem Porzellangeschirr, das nur sonntags aus dem Schrank geholt wurde, saßen der Herr von Post, der Vater und Mutter Timm mit einem gewissen Ernst auf den Gesichtern, blickten aber auch wohlwollend, als sie Gesches Unsicherheit bemerkten. Vater Timm wies auf den freien Stuhl ihm gegenüber und forderte sie feierlich auf: »Setz dich, mein Kind! Falte deine Hände, wie es bei Tisch schicklich ist, und vernimm, was wir dir zu sagen haben. Der Herr von Post ist gekommen und hat für den einzigen Sohn und Erben des Hauses Miltenberg, Gerhard, bei mir um deine Hand angehalten. Für diese große Ehre solltest du zehn Vaterunser beten und dem Herrgott danken. Der junge Herr, dein zukünftiger Ehemann, ist nämlich der Erbe des größten Hauses in der Pelzerstraße, einschließlich der sieben Nebenhäuser zur Rechten und zur Linken mit einem Wert von 20.000 Talern.« Ergriffen von seinen eigenen Worten, wischte er sich verstohlen eine Träne aus den Augen. »Obendrein erbt er das gesamte köstliche Mobiliar und die wertvolle Gemäldesammlung, worunter sich Stücke von 300 Taler Wert befinden. Also bedenke gut, mein Kind, welches Glück dich in diesem Moment trifft und welche Antwort du dem Herrn Magister gibst.«

Gesche sah die leuchtenden Augen des Vaters und die Mutter, wie sie vor Ergriffenheit in das Taschentuch schnupfte. Längst hatte sie die Entscheidung in den Augen des Vaters gelesen. Niemals würde sie es wagen, diese anzuzweifeln. Als sie mit zitternden Lippen zu einem ›Ja‹ ansetzte, ergänzte von Post, dessen Blicke während der Rede des Vaters ruhig auf ihrem Gesicht gelegen hatten: »Nicht zu vergessen allerdings wäre eine kleine Hypothek von 1.000 Talern, welche das Haus belastet. Dass deine Eltern, wie sie vorhin ängstlich sagten, dir kein Vermögen mitgeben können, sollte dich nicht betrüben, mein Kind. Deine Schönheit und Tugend sind für unseren geschätzten Gerhard Miltenberg mehr wert als alle Taler auf dieser Welt. Denn dieser junge Mann will einzig und allein dich, mein Kind.« Er hoffte, damit ihre Entscheidung zu würdigen, um nicht den Eindruck zu hinterlassen, es ginge ihm nur um das Geschäftliche.

Gesche erhob sich, umarmte den Vater und verbeugte sich manierlich vor dem Advokaten. »Monsieur von Post, ich empfinde es als eine Ehre.« Ein Strom von Tränen hinderte sie am Weitersprechen. Von Post, auf diese Art von ihrer Jungfräulichkeit überzeugt, wertete es als Erfolg seiner Mission. Denn Gesche hauchte mit letzter Beherrschung einen Kuss auf seinen Handschuh. Dann stürzte sie, vom Glück übermannt, zur Tür hinaus, rannte die Stufen zu ihrer Kammer hinauf und warf sich bäuchlings auf das Bett. Gleich darauf floss ein Strom Tränen aus ihr heraus und benetzte ihre Kissen. Die folgende Nacht verbrachte sie schlaflos in ihrem Bett, mit Träumen und Beten, unterbrochen von immer wiederkehrenden heftigen Tränenausbrüchen.