Zwangsvollstreckungsrecht

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a) Fehler der vollstreckbaren Urkunde selbst

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Die notarielle Urkunde kann selbst Fehler aufweisen, so dass eine etwaige Vollstreckung ohne wirksamen Titel erfolgen würde.

Beispiel 29 (AGB-Verstoß in der Urkunde):

Schuldner S hat von Gläubiger G eine neu zu errichtende Immobilie gekauft. In dem notariellen Vertrag hat S sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen. Laut Vertrag darf die Vollstreckung erfolgen, ohne dass G die Fälligkeit nachweisen muss. Zum ersten im Vertrag enthaltenen Termin bezahlt S nicht, da die Bauarbeiten nicht vorangeschritten sind. G beantragt bei Notarin N eine Klausel und beginnt die Zwangsvollstreckung gegen S. S will sich dagegen wehren.

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In Beispiel 29 ist die Erinnerung nicht statthaft. Denn bei der Erteilung der Klausel ist kein Fehler geschehen. Die Frage, ob es zulässig ist, sich der Zwangsvollstreckung zu unterwerfen, ohne dass ein Fälligkeitsnachweis vorliegt, war keine formelle Voraussetzung der Klauselerteilung und wurde vom Klauselerteilungsorgan zu Recht nicht geprüft. Dass in dem notariellen Vertrag unter Umständen ein Verstoß gegen §§ 305 ff BGB liegt, und dass dadurch der Titel sogar nichtig sein könnte, darf bei der Klauselerteilung nicht überprüft werden (Rn. 172).

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Fraglich ist allerdings, wie S dann geltend machen kann, dass die Vollstreckung unzulässig ist. S könnte hier Vollstreckungsabwehrklage einlegen und vorbringen, der materiell-rechtliche Anspruch sei noch nicht fällig. Damit wird er zunächst Erfolg haben. Aber letztendlich wird ihm das nur für kurze Zeit helfen. Spätestens bei der nächsten Rate kann G wieder eine Klausel beantragen und der Streit wird neu aufflammen.

S sollte daran gelegen sein, sich darauf zu berufen, dass ein Verzicht auf den Fälligkeitsnachweis die Unterwerfungserklärung nichtig macht. Der geeignete Rechtsbehelf dafür ist die Titelgegenklage. Diese wäre hier auch begründet. Denn der formularmäßige Verzicht auf den Fälligkeitsnachweis kann in der Tat eine Unwirksamkeit der Unterwerfungserklärung selbst begründen. Bei gewerblichen Bauträgern liegt ein Verstoß gegen § 134 BGB iVm. § 3 II, 12 MaBV[8] vor, wenn im Vertrag auf den besonderen Nachweis der Fälligkeit verzichtet wird[9]. Greift die MaBV nicht ein (insbesondere weil der Bauträger nicht gewerblich tätig ist), so ist der Fälligkeitsverzicht und damit die notarielle Unterwerfungserklärung regelmäßig nach § 307 BGB wegen einer unangemessenen Benachteiligung unwirksam[10].

BGH NJW 2002, 138:

„Eine in einem notariellen Vertrag enthaltene Allgemeine Geschäftsbedingung, mit der sich der Erwerber eines noch zu errichtenden Hauses der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterwirft, und der Unternehmer berechtigt ist, sich ohne weitere Nachweise eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde erteilen zu lassen, verstößt gegen § 9 AGBG“ [jetzt § 307 BGB].

Siehe auch BGH NJW 2015, 1181, wo es um eine Unterwerfungserklärung ging, die für nur vage beschriebene Forderungen erfolgte („wegen der in dieser Urkunde eingegangenen Zahlungsverpflichtungen, die eine bestimmte Geldsumme zum Gegenstand haben“):

1. Pauschale Unterwerfungserklärungen sind mit dem Konkretisierungsgebot des § 794 I Nr. 5 ZPO unvereinbar.

2. Der Verstoß gegen das Konkretisierungsgebot führt zur Unwirksamkeit der Unterwerfungserklärung. Sie kann mit der prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 ZPO (Titelgegenklage) geltend gemacht werden.

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Die Unterwerfungserklärung ist in diesen Fällen unwirksam. Gewissermaßen vereinfachend wird dann fast allgemein auch die Nichtigkeit der notariellen Urkunde angenommen[11]. Das Gericht wird die Zwangsvollstreckung also für unzulässig erklären.

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Zur Vertiefung:

Es gibt noch einige weitere Varianten, in denen eine Unterwerfungserklärung wegen Verstoßes gegen die §§ 307 ff BGB unwirksam ist. So verstößt es gegen § 307 BGB, wenn der Grundschuldgeber nicht zugleich der Schuldner der gesicherten Forderung ist, aber in der formularmäßig verwendeten Urkunde dennoch eine persönliche Unterwerfungserklärung enthalten ist[12].

Mit einem wichtigen Urteil hat der BGH zu der sehr streitigen Frage der Abtretbarkeit einer Grundschuld mit einer dinglichen Unterwerfungserklärung Stellung genommen[13].

Der BGH hat darin klargestellt, dass es nicht gegen § 307 I 1 BGB verstößt, wenn die Bank bei einer formularmäßigen Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung die Kreditforderung und die sie sichernde Grundschuld frei an einen beliebigen Dritten abtreten kann. Voraussetzung für die wirksame Rechtsnachfolge durch den Zessionar ist aber, dass dieser auch die Verpflichtungen aus dem Sicherungsvertrag übernommen hat. Der Zessionar wird also erst dann Rechtsnachfolger, wenn er auch in den Sicherungsvertrag eingetreten ist. Das bedeutet, dass eine Klausel nach § 727 ZPO nur erteilt werden darf, wenn dieser Eintritt nachgewiesen ist. Der Eintritt muss dabei nicht unbedingt eine Vertragsübernahme sein, sondern kann auch auf andere Weise, etwa durch Schuldbeitritt, erfolgen[14]. Wird die Klausel erteilt, obwohl kein Vertragseintritt stattfand, kann der Schuldner Klauselerinnerung einlegen.

Wenn der Fehler nicht die Verpflichtung und die Unterwerfungserklärung erfasst, sondern nur die Unterwerfungserklärung bzw. die notarielle Urkunde aus formalen Gründen nichtig ist, wirkt sich das dagegen häufig überhaupt nicht aus.

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Beispiel 30 (Nichtigkeit nur der Unterwerfungserklärung):

Schuldner S hat sich im Darlehensvertrag gegenüber der G-Bank verpflichtet, sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen zu unterwerfen.


a) Beim Notar wird er allerdings von einem Vertreter mit einer Vollmacht vertreten, die wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig ist.
b) S wird von einer Notariatsangestellten vertreten, die er nicht bevollmächtigt hat.

Als die G-Bank vollstreckt, will S sich wehren. Mit welchem Rechtsbehelf?

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Der in Beispiel 30a geschilderte, in ähnlicher Form vom BGH entschiedene Fall gleicht dem obigen Beispiel 13b (Rn. 175), weil auch hier die Unterwerfungserklärung selbst unwirksam ist und dies wieder nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Der BGH entschied dementsprechend, dass eine Klauselerinnerung auf die Unwirksamkeit der Vollmacht wegen Verstoßes gegen ein Gesetz nicht gestützt werden könne[15]. Denn solche Verstöße sind bei der Klauselerteilung nicht zu prüfen. S kann also allenfalls die Titelgegenklage erheben. Der Fall muss jedoch fein von einer anderen, in Beispiel 30b beschriebenen, Konstellation unterschieden werden. In Beispiel 30b war das Fehlen der Vollmacht offensichtlich erkennbar. Der Notar oder der Rechtspfleger hätte bei der Erteilung der Klausel das Vorliegen einer Vollmacht prüfen und die Erteilung der Klausel verweigern müssen[16].

Fraglich ist in Beispiel 30a aber, ob S sich mit dem Einwand, die Unterwerfungserklärung sei nichtig, letztlich auch durchsetzen kann. Der BGH vertritt hierzu eine im Ergebnis sehr überzeugende Linie. Er meint, wenn der Schuldner sich materiell-rechtlich wirksam verpflichtet habe, eine Unterwerfungserklärung abzugeben, dann könne er sich auf die formale Nichtigkeit der Unterwerfungserklärung nicht berufen. Denn er wäre verpflichtet, sogleich eine neue, wirksame Unterwerfungserklärung abzugeben. Das ist die dolo-agit-Einrede aus § 242 BGB[17]. Anders entscheidet der BGH nur, wenn gleichzeitig die gesicherte Forderung nie entstanden ist (also z.B. das Darlehen nicht zur Auszahlung gekommen ist)[18].

b) Fehlen der gesicherten Forderung

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Enthält der Kreditvertrag (wie meist, Rn. 261) sowohl eine persönliche als auch eine dingliche Unterwerfungserklärung, ist es notwendig, hinsichtlich der möglichen Einwendungen zu differenzieren, da wie gezeigt nur bei der persönlichen Unterwerfungserklärung der besondere Charakter als abstraktes Schuldversprechen vorliegt. Die Beispiele 31 und 32 zeigen die beiden Situationen der Verständlichkeit halber getrennt voneinander auf.

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Beispiel 31 (Dingliche Unterwerfungserklärung und Unwirksamkeit der Grundschuld):

 

Schuldner S schließt mit der B-Bank einen Kreditvertrag über 20 000 Euro ab und bestellt der B-Bank eine Grundschuld. Er unterwirft sich – in der üblichen Art und Weise – der sofortigen Zwangsvollstreckung in Höhe des Grundschuldbetrags in sein Grundstück. Die Grundschuldbestellung ist wegen formaler Fehler unwirksam. Die Bank fragt, ob sie aus der notariellen Unterwerfungsurkunde in das Grundstück vollstrecken kann.

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In Beispiel 31 muss man an Einwendungen nach § 767 I ZPO denken. Gegen die Vollstreckung aus der dinglichen Unterwerfungserklärung, die hier vorliegt, kann S sich nämlich mit der einfachen Vollstreckungsabwehrklage erfolgreich darauf berufen, dass die Sicherungsgrundschuld selbst unwirksam ist (sog. pfandrechtsbezogene Einwendungen). Die dingliche Unterwerfungserklärung ersetzt schließlich nur das Grundschuldurteil. Wenn die Grundschuld aber nicht besteht, kann aus der Unterwerfungserklärung nicht vollstreckt werden.

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Beispiel 32 (Persönliche Unterwerfungserklärung und sittenwidriger Kreditvertrag):

Schuldner S schließt mit der B-Bank einen Kreditvertrag über 20 000 Euro ab und unterwirft sich wegen des Rückzahlungsanspruchs der Zwangsvollstreckung in sein persönliches Vermögen. Es stellt sich heraus, dass der Kreditvertrag sittenwidrig ist. Die Bank vollstreckt dennoch aus der notariellen Unterwerfungsurkunde in das Vermögen des S. Wie kann S sich wehren?

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Um gegen die Vollstreckung aus der persönlichen Unterwerfungserklärung Vollstreckungsabwehrklage einlegen zu können, müssten S in Beispiel 32 materiell-rechtliche Einwendungen zustehen. In Betracht kommt die Sittenwidrigkeit des Kreditvertrags. Allerdings stellt die persönliche Unterwerfungserklärung einen abstrakten und damit zusätzlichen Schuldgrund dar, der unabhängig von der Wirksamkeit der zugrunde liegenden Verbindlichkeit besteht. Die persönliche Unterwerfungserklärung trägt ihren Rechtsgrund daher grundsätzlich „in sich selbst“. Das macht sie für den Gläubiger gerade attraktiv.

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Diese isolierte Betrachtung kann aber nicht immer richtig sein. Wie jede andere Leistung auch wird das Schuldversprechen aus einem bestimmten rechtlichen Grund gewährt. Wenn dieser fehlt, muss man es nach §§ 812 ff BGB kondizieren können. Dies bestimmt § 812 II BGB für Schuldanerkenntnisse sogar ausdrücklich. Die Rechtsprechung hilft in Fällen wie Beispiel 32 dem Schuldner daher, indem sie die Kondiktion des Schuldversprechens nach §§ 812 II, 817 S. 2, 821 BGB zulässt. Danach muss S hier die Vollstreckungsabwehrklage einlegen, falls die Bank vollstrecken sollte.

Eine Ansicht in der Literatur geht noch deutlich weiter. Danach sollen erhebliche materiell-rechtliche Fehler die Abstraktheit durchbrechen – das Schuldversprechen ist dann also ebenfalls nach § 138 BGB nichtig[19]. Folgt man dieser Ansicht, kommt für den Schuldner die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Titels in Betracht. Darauf könnte S eine Titelgegenklage nach § 767 ZPO analog stützen. Auch hinsichtlich der persönlichen Unterwerfungserklärung kann S danach die Unwirksamkeit des Titels geltend machen. Richtiger Rechtsbehelf wäre dann die Titelgegenklage.

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In der Praxis sind die Fälle, in denen das Schuldversprechen kondiziert werden kann, eher die Ausnahmefälle. Die meisten Fehler des gesicherten Geschäfts schlagen nicht auf das Anerkenntnis durch. Generalisierend kann man aber sagen: Wenn die gesicherte Schuld gar nicht besteht (also z.B. ein Darlehen nie ausgezahlt wurde) oder wenn sie schon (teilweise) durch Bezahlung erloschen ist, greift stets § 821 BGB durch und der Schuldner kann die Bereicherungseinrede erheben.

Eine Kondiktion wird schließlich auch dann zugelassen, wenn die Partei nach dem Darlehensvertrag nur zu einer dinglichen Unterwerfungserklärung verpflichtet war, sich dann aber in den Klauseln des notariellen Vertrags eine persönliche Unterwerfungserklärung „verbirgt“.

Wenn dagegen die Schuld in irgendeiner Form noch besteht, sei sie auch verjährt oder habe sich der Rechtsgrund für die Zahlungspflicht auch geändert, so hat der Schuldner meist keine Einrede[20]. Es kommt dabei auch auf den Zweck der Abrede und auf den Fehler des zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäfts im Einzelfall an.

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Beispiel 33 (Verjährung der gesicherten Forderung):

Schuldner S hat sich gegenüber Gläubiger G wegen eines Darlehens wirksam der Vollstreckung in sein persönliches Vermögen unterworfen. Nun ist der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens verjährt. G vollstreckt dennoch gegen S. Kann S sich mit einer Vollstreckungsabwehrklage auf die Verjährung des Anspruchs berufen?

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In Beispiel 33 liegt ein typischer Fall dafür vor, dass das Schuldanerkenntnis unabhängig von der gesicherten Forderung weiter durchsetzbar bleibt[21].

BGH NJW 2010, 1144:

„Das von einem Schuldner in einer notariellen Grundschuldbestellungsurkunde abgegebene abstrakte Schuldversprechen mit Vollstreckungsunterwerfung ist nicht deshalb nach § 812 II BGB kondizierbar, weil der durch die Grundschuld gesicherte Anspruch des Gläubigers verjährt ist. Die Vorschrift des § 216 II 1 BGB ist auf ein solches Schuldversprechen analog anwendbar.“

Zu einem kleineren Mangel der rechtlichen Grundlage auch BGH NJW 2008, 3208:

„Ein im Darlehensvertrag entgegen § 4 I 4 Nr. 1 lit. g VerbrKrG [jetzt § 492 II BGB, Art. 247 § 7 Nr. 2 EGBGB] nicht angegebenes, vom Verbraucher aber gleichwohl bestelltes vollstreckbares Schuldversprechen, das eine bestehende Verbindlichkeit sichert, muss der Kreditgeber nicht zurückgewähren.“

§ 6 Titelgegenklage (Klage sui generis analog § 767 ZPO) › III. Zulässigkeit

III. Zulässigkeit

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Die Zulässigkeit entspricht weitgehend der Vollstreckungsabwehrklage[22] (Rn. 198 ff). Nur die Statthaftigkeit weicht ab. Die Titelgegenklage ist statthaft, wenn der Schuldner sich auf die Nichtigkeit (Unwirksamkeit) des Titels berufen will.

Bei der Zuständigkeit gibt es eine kleine Besonderheit, wenn die Vollstreckung aus einer dinglichen Unterwerfungserklärung nach § 800 ZPO erfolgt. Dann ist für die Vollstreckungs- oder Titelgegenklage das Gericht am Belegenheitsort des Grundstücks nach § 800 III ZPO örtlich zuständig[23].

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Beim Rechtsschutzbedürfnis ist zu beachten, dass mit der Klauselerinnerung nach § 732 ZPO nicht das gleiche Ziel erreicht werden kann, wie mit der Titelgegenklage. Eine Klage aus § 767 I ZPO analog bleibt deshalb zulässig, auch wenn der Schuldner zuvor mit denselben Einwendungen Klauselerinnerung eingelegt hat[24].

Auch BGH FamRZ 2004, 1714:

„Liegen die Voraussetzungen einer Klauselerinnerung nach § 732 ZPO und einer Vollstreckungsabwehrklage in entsprechender Anwendung des § 767 ZPO vor, so hat der Schuldner ein Wahlrecht.“

Da die Titelgegenklage und die Vollstreckungsabwehrklage ein unterschiedliches Rechtsschutzziel haben, können auch sie parallel eingelegt werden. Erhebt der Schuldner beide Klagen gleichzeitig, liegt ein Fall objektiver Klagenhäufung vor (§ 260 ZPO).

§ 6 Titelgegenklage (Klage sui generis analog § 767 ZPO) › IV. Begründetheit

IV. Begründetheit

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Die Titelgegenklage ist begründet, wenn der Titel nichtig ist. Wie schon oben in Beispiel 30 gezeigt, kann es allerdings im Einzelfall treuwidrig sein, sich auf die Nichtigkeit des Titels zu berufen. Das ist dann der Fall, wenn der Gläubiger aufgrund der materiellen Rechtslage einen Anspruch auf den Titel hat (was freilich bei einem Urteil nicht der Fall sein kann!).

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Fall 4 (Titelgegenklage bei Vergleich):

Gläubiger G hat gegen die Schuldnerin S ein Versäumnisurteil über 30 000 Euro erwirkt. Aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils hatte G die Gerichtsvollzieherin mit der Zwangsvollstreckung gegen S beauftragt. Die Gerichtsvollzieherin war gleich aktiv geworden. Sie hatte bei S ein hochwertiges Notebook gepfändet. Nach fristgerechtem Einspruch der S wurde das Verfahren dann vor dem Landgericht im Einspruchstermin durch Vergleich beendet. In diesem Vergleich verpflichtete sich S, an G 15 000 Euro zu zahlen. G verpflichtete sich seinerseits, sämtliche Pfändungsmaßnahmen unverzüglich einzustellen und dies der Gerichtsvollzieherin mitzuteilen. Trotz des Vergleichs vollstreckt G weiter. S erhebt gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil Vollstreckungsabwehrklage. Nach der Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage zahlt S die 15 000 Euro an G. Daraufhin gibt G die vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils unter Verzicht auf die Rücknahme an S heraus.

Nun erklärt S den Rechtsstreit für erledigt. G schließt sich der Erledigung nicht an. Wer trägt die Kosten des Rechtsstreits?

Lösungshinweise:

Vorüberlegung: Die prozessuale Kostentragungspflicht richtet sich nach den §§ 91 ff ZPO. Nach § 91 I 1 ZPO trägt die unterlegene Partei grundsätzlich die Kosten des Rechtsstreits. Fraglich ist daher, welche Partei im vorliegenden Rechtstreit „unterlegen“ ist. Das muss man in zwei Schritten prüfen. Zunächst muss die Erledigungserklärung überhaupt als solche zulässig und begründet gewesen sein. „Begründet“ ist sie dann, wenn wirklich eine Erledigung eingetreten ist. Erledigen kann sich eine Klage aber wiederum nur, wenn der Anspruch zuvor gegeben war – wenn also diese Ursprungsklage ihrerseits begründet war. Das ist also der zweite Schritt.

Der von S gestellte Antrag (einseitige Erledigungserklärung) müsste erfolgreich sein. Fraglich ist zunächst, was in dem Erledigungsantrag überhaupt zu sehen ist. Die einseitige Erledigungserklärung ist gesetzlich nicht geregelt. Sie wird aber allgemein (letztlich in analoger Anwendung der §§ 133, 157 BGB) dahingehend ausgelegt, dass der Kläger nunmehr den Antrag an das Gericht stellt, festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Es handelt sich also um nichts anderes als um eine Feststellungsklage. Diese Klage müsste daher hier zulässig und begründet sein.

1. Zulässigkeit

Die Klage (also die Klage auf Feststellung der Erledigung) müsste zulässig sein. Die in der einseitigen Erledigungserklärung liegende Klageänderung ist nach § 264 Nr. 2 Fall 2 ZPO auch ohne Zustimmung des Beklagten zulässig, weil die Erledigungserklärung lediglich eine Begrenzung des ursprünglichen Antrags darstellt, in diesem aber faktisch mit enthalten war.

 

(Örtlich und sachlich zuständig für die Feststellungsklage bleibt das Landgericht, da die Begrenzung des Klageantrags auf die Feststellung der Erledigung in analoger Anwendung des § 261 III Nr. 2 ZPO keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit des Gerichts haben solle [perpetuatio fori].

Das Feststellungsinteresse des Klägers nach § 256 I ZPO ergibt sich daraus, dass er dem Beklagten zumindest die Kosten für den erledigten Rechtsstreit auferlegen lassen möchte [Kosteninteresse].)

Die Klage auf Feststellung der Erledigung ist zulässig.

2. Begründetheit

Die Klage müsste auch begründet sein. Das ist bei der einseitigen Erledigungserklärung dann der Fall, wenn sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn die zunächst zulässige und begründete Klage durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis entweder unzulässig oder unbegründet geworden ist.

a) Vollstreckungsabwehrklage

Fraglich ist also, ob die ursprüngliche Vollstreckungsabwehrklage zulässig gewesen ist. Dazu müsste die Vollstreckungsabwehrklage statthaft gewesen sein. Das ist der Fall, wenn der Kläger materiell-rechtliche Einwendungen gegen den dem Titel zugrunde liegenden Anspruch erhebt.

Das ist vorliegend problematisch, weil sich S gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil an sich richtet und nicht gegen den im Versäumnisurteil titulierten Anspruch. Er macht bei verständiger Auslegung seines Rechtsschutzbegehrens geltend, dass das Versäumnisurteil durch den zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich unwirksam geworden und eine Zwangsvollstreckung aus diesem Titel deshalb unzulässig sei. Damit erhebt S Einwendungen gegen den Titel selbst. Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Titels sind mit der Klage nach § 767 ZPO jedoch grundsätzlich nicht geltend zu machen. Die Klage nach § 767 ZPO ist in ihrer direkten Anwendung daher nicht statthaft.

Hinweis: Als Rechtsbehelf gegen die Wirksamkeit des Titels könnte der Kläger Klauselerinnerung eingelegt haben ( § 732 ZPO ) – das ist aber hier nicht zu prüfen, weil es ja hier um das Rechtsmittel geht, das S wirklich bereits eingelegt hatte – nämlich die Vollstreckungsabwehrklage. Anders ist es mit der Titelgegenklage. Diese ähnelt der Vollstreckungsabwehrklage vollkommen – sie wird beim gleichen Gericht mit fast dem gleichen Antrag eingelegt – das Gericht legt daher den Antrag aus, um zu bestimmen, ob eine Vollstreckungsabwehrklage oder eine Titelgegenklage vorliegt. Daher kann nun einfach geprüft werden, ob die erste Klage des S als Titelgegenklage statthaft gewesen wäre.

Dazu BGH NJW 1994, 460:

„Allerdings hat der Beklagte einen (Widerklage-)Antrag ,gemäß § 767 I ZPO‘ gestellt. Die Vollstreckungsabwehrklage und die prozessuale Gestaltungsklage analog § 767 ZPO haben einen verschiedenen Streitgegenstand (BGH, Urt. v. 14. Mai 1992 – VII ZR 204/90, a.a.O.). Es mag sein, dass die fehlende oder geminderte Wirksamkeit des Titels im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage deshalb nicht geprüft werden kann (…). Dem Vorbringen des Beklagten kann aber entnommen werden, dass wegen der Unbestimmtheit des Titels die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ausgesprochen werden soll. Das Widerklagebegehren ist damit nicht als Vollstreckungsabwehrklage, sondern als Klage analog § 767 I ZPO auszulegen.“

b) Titelgegenklage analog § 767 ZPO

aa) Herleitung der Titelgegenklage. Da die Titelgegenklage aus § 767 ZPO analog abgeleitet wird, muss eine Regelungslücke bestehen und sie muss dem Sinn und Zweck der Norm entsprechen.

(1) Regelungslücke: Für die Fälle, in denen der Schuldner die Nichtigkeit des Titels behauptet, passt allenfalls die Klauselerinnerung nach § 732 ZPO. Jedoch ist zu bedenken, dass mit der Erinnerung dann kein Rechtsschutz erreicht werden kann, wenn die Nichtigkeit des Titels nicht vollkommen offensichtlich ist. Daher besteht bei nichtigen Titeln eine Regelungslücke. Diese ist auch nicht gezielt, sondern planwidrig entstanden.

(2) Sinn und Zweck der Norm: Da § 767 ZPO dem Schuldner Rechtsschutz gewährt, wenn er Einwendungen gegen den Titel hat, wäre es widersprüchlich, ihm keinen Rechtsschutz zu gewähren, wenn der Titel (sogar) insgesamt nichtig ist. Ein Erst-Recht-Schluss muss vielmehr zu einer analogen Anwendbarkeit führen.

bb) Statthaftigkeit. Die Klage ist statthaft, wenn es um die Beseitigung der Vollstreckbarkeit eines vorläufig vollstreckbaren Titels geht, der infolge materiell-rechtlicher oder formeller Mängel als Ganzes seine Wirksamkeit verloren hat, aber weiterhin den Rechtsschein der Vollstreckbarkeit erzeugt.

Vorliegend haben die Parteien mit Abschluss des Vergleichs die Rechtswirksamkeit des Versäumnisurteils vollständig aufgehoben. Dadurch ist das Versäumnisurteil zwar nicht nichtig, aber unwirksam. Dennoch kann es weiterhin den Rechtsschein der Vollstreckungsfähigkeit erzeugen. Deshalb ist nach ständiger Rechtsprechung die analoge Anwendung des § 767 I ZPO gerechtfertigt, um die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil zu verhindern[25].

cc) Rechtsschutzbedürfnis. Fraglich ist, ob für die Klage das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist. Grundsätzlich liegt das Rechtsschutzbedürfnis vor, wenn die Zwangsvollstreckung begonnen hat und noch nicht beendet ist. Diese Voraussetzung liegt hier vor. Das Rechtsschutzbedürfnis könnte jedoch entfallen, wenn dem Kläger auch ein anderer Rechtsbehelf zusteht, der die Vollstreckungsfähigkeit des Versäumnisurteils auf einfacherem und billigerem Wege bewirken kann. Ein solcher Weg könnte sich hier aus § 732 ZPO ergeben. Obwohl die Erinnerung in offenkundigen Fällen geeignet sein kann, die Vollstreckung aus einer Klausel zu beseitigen, ist ihr Ziel jedoch ein ganz anderes als das der Titelgegenklage. Durch sie werden letztlich nur formelle Fehler des die Klausel erteilenden Organs behoben. Es besteht daher für S ein Wahlrecht zwischen der Erinnerung nach § 732 ZPO und der Klage nach § 767 ZPO analog[26]. Die Titelgegenklage war demzufolge zulässig.

c) Begründetheit

Die Titelgegenklage war auch begründet, weil das Versäumnisurteil durch den im Einspruchstermin abgeschlossenen Vergleich seine Rechtswirkungen und damit seine Vollstreckungsfähigkeit verloren hatte.

d) Erledigung

Es müsste aber auch eine Erledigung eingetreten sein. Das ist dann der Fall, wenn die ursprüngliche Klage aufgrund eines nach Rechtshängigkeit eingetretenen Ereignisses unzulässig oder unbegründet geworden ist.

Vorliegend könnte die Klage unzulässig geworden sein, weil das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn eine Vollstreckung aus dem Urteil nicht mehr droht. Das ist zumindest dann der Fall, wenn der Gläubiger den zu vollstreckenden Titel dem Vollstreckungsorgan aushändigt und auf die Rückgabe verzichtet[27]. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Daher liegt kein Rechtsschutzbedürfnis mehr vor. Da G den Titel erst nach Rechtshängigkeit an die Gerichtsvollzieherin zurückgegeben hat, ist die Erledigung auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Die Feststellungsklage (einseitige Erledigungserklärung) ist daher begründet.

3. Ergebnis: Da die Feststellungsklage begründet ist, trägt der G als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 I ZPO.

§ 6 Titelgegenklage (Klage sui generis analog § 767 ZPO) › V. Übersicht: Titelgegenklage (Klage sui generis analog § 767 ZPO)

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