Du weißt doch, Frauen taugen nichts

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Ich hatte keine Ahnung, was das sollte. Und ich hatte keine Ahnung, was ich wollte, und wie ich damit umgehen sollte.

Das, was da als Antwort auf meine E-Mail gekommen war, wollte ich auf jeden Fall nicht. Zumindest nicht so. Hätte sie angerufen, hätte ich eine Wahl gehabt. Das wäre fair gewesen, und man hätte sich absprechen können. Immerhin darf man auch nicht unsere, nicht gerade harmonische Vorgeschichte vergessen. Oder gehörte das auch dazu? Alte Differenzen werden einfach unter den Tisch gekehrt. Man tat einfach so, als ob nie etwas geschehen war.

Aber ich konnte es nicht leugnen. Trotz der Fragezeichen, trotz der nicht geraden positiven Erfahrung in der Vergangenheit, hatte ich Herzklopfen. Also konnte ich mir auch das Grübeln sparen. Irgendwann würde heute spät abends Carola bei mir aufschlagen. Dann würden wir weiter sehen. Ändern konnte ich daran sowieso jetzt nichts mehr. Es sei denn, ich lösche alle Lichter, tue so, als ob ich ihre E-Mail noch nicht gelesen habe, und ich, da der Abend anders verplant, nicht zu Hause bin. Aber das wäre albern gewesen.

Ich räumte also notdürftig die Wohnung auf und setzte mich dann an meinen Computer, um mein Schwedisch weiter zu verbessern. Zuerst mit Kopfhörer, da damit die Sprache unverfälschter ins Ohr dringen konnte, ab 21:30 Uhr in natura, damit ich nicht aus Versehen die Wohnungstürklingel überhören würde.

Äußerlich völlig locker, schaute ich doch mindestens alle fünf Minuten auf die Uhr, und als 22:00 Uhr vorbeiging, wohl sogar noch öfters.

Gegen 22:30 bimmelte die Wohnungsklingel.

Ich druckte auf den Summer und lauschte durch das Treppenhaus, ob die Haustür unten aufgeht, und ging, als ich das Klacken der Haustür vernommen hatte, wieder ins Wohnzimmer an meinen Computer, während ich die Wohnungstür angelehnt offen ließ. Carola wusste ja noch vom vorletzten Wochenende, in welcher Wohnung ich wohnte, und auch wenn ich mich freute, war ich mir nicht klar darüber, was ich von der ganzen Sache halten sollte und wollte sie etwas distanziert, und nicht gleich freudestrahlend an der Tür, begrüßen.

Carola kam mit einem großen Wanderrucksack auf dem Rücken in die Wohnung. Der Rucksack schien ziemlich voll zu sein. Das sah zumindest schon einmal nicht so aus, als ob sie nur hier wäre, um mich zu einem Kneipenbummel abzuholen.

„Guten Abend, Hallo da bin ich.“

„Das merk ich. Was machst du denn schon wieder in Lübeck?“

Eine blöde Begrüßung, aber auch ich hatte mal das Recht nervös zu sein. Und dieses Gefühl hatte ich nicht, wie Carola vorletztes Wochenende am Samstag, mit Starkbier leicht betäubt. Zumindest grinste ich sie dabei, sodass es aussah, als ob ich mich über ihr Erscheinen freute, an.

„Ich wollte unbedingt hier herkommen. Im Moment kann ich sowieso in Hannover nichts machen.“

„Warum wolltest du denn unbedingt nach Lübeck?“

Carola zuckte mit ihren Schultern. „Nur so.“ Und lachte mich etwas verlegen an. Dabei stellte sie den Rucksack, der zwar voll, aber nicht unbedingt sehr schwer schien, ab.

Vielleicht hätte ich doch vorher zwei Flaschen Starkbier oder eine halbe Flasche Rotwein trinken sollen.

In irgendwelcher Weise, wie weiß ich heute gar nicht mehr, beschnupperten wir uns irgendwie. Carola war wie ich nervös, das merkte ich ihr an. Es schien Carola durchaus klar zu sein, dass ihre Selbsteinladung ohne Bestätigungsformular nicht ganz in Ordnung war. Und sie schien sich zu fragen, ob sie wirklich, immerhin sogar mit vollem Rucksack, willkommen war.

Bei allem Herzklopfen mischte sich doch auch ein bisschen Schadenfreude mit in meine Gefühlswelt hinein. Das hatte sie sich selbst eingebrockt. Das kommt davon, wenn man statt anzurufen eine E-Mail schickt, um eine Absage zu verhindern.

Zumindest schien uns beiden klar zu sein, dass die Situation nicht ganz normal war, und keiner von uns beiden so richtig wusste, wie es jetzt weiter gehen sollte. Wobei ich eindeutig den moralischen Vorteil hatte, diese Situation so nicht heraufbeschworen zu haben. War auch irgendwie fair, immerhin hatte sie sich die Sache eingebrockt. Eigentlich hätte sie sich so etwas bereits denken können, als sie die E-Mail auf den Weg gebracht hatte.

Endlich machte Carola den Vorschlag, einen Spaziergang durch die nächtliche Altstadt zu machen, da sie mehrere Stunden in ihrem Auto gesessen hatte, und ihr nach etwas Bewegung war. Dagegen war nichts einzuwenden, da die Temperaturen sich in den letzten acht Tagen nicht verringert hatten, und im Freien wenigstens noch ein schwaches Lüftchen wehte.

Ich war erleichtert, dass eine Richtung vorgegeben war, und die Situation sich dadurch erst einmal entspannte.

Ich schaltete sofort meinen Computer aus, und wir gingen mit zwei Flaschen Multivitaminsaft nach draußen und schlenderten durch die Altstadt. Die Luft hatte noch immer, obwohl es schon fast 23 Uhr spät war, mindestens 25°C. Am Mühlenteich setzten wir uns auf eine Bank und schauten über den Teich in Richtung Mühlenstraße, auf der um diese Zeit nur noch schwacher Autoverkehr, den man zwar sehen, aber nicht hören konnte, herrschte. Der Dom von Lübeck, links von uns, durch starke Lichtstrahler angestrahlt, spiegelte sich vor uns im dunklen, spiegelglatten Mühlenteich. Ein paar Schritte von uns entfernt, schliefen ein paar Enten auf dem Rasen am Ufer, und ließen sich von uns nicht stören. Die Stimmung war ruhig, still, romantisch, nervös, gespannt, und ????? Keine Ahnung, wie man sie sonst noch nennen könnte. Zumindest hatten wir auf dem Weg zum Mühlenteich kaum gesprochen. Und selbst wenn man mich unter Folter setzen würde, ich wüsste heute nicht mehr, über was wir dort auf der Bank geredet haben, und ob wir viel oder wenig miteinander geredet haben, während wir dort auf der Bank saßen. Aber, wenn man einmal davon absah, dass ich mich fragte, wie es weiter gehen sollte, immerhin stand bei mir zu Hause noch ein voller Rucksack, der nicht mir gehörte, herum, war es ein toller Abend, bzw. da schon fast Mitternacht, eine tolle Nacht.

Nachdem wir am Mühlenteich eine ganze Weile auf der Bank gesessen hatten, gingen wir auf dem Mühlendamm, auf dem im Mittelalter die städtischen Mühlen gestanden hatten, in Richtung der Wallstraße. Von dort ging es durch das Kaisertor aus dem 13. Jahrhundert, das in die Wallanlagen aus dem 16. und 17. Jahrhundert eingebunden war, hinab zum Elbe-Lübeck-Kanal, der hinter den Wallanlagen, ein paar Treppenstufen abwärts, lag. Der Fußweg durch den Einschnitt der alten Wallanlagen war stockdunkel. Keine Laterne leuchtete den Weg aus, und auch der Mond wurde von den Bäumen verdeckt. Durch das Kaisertor ging es noch relativ gut. Aber die grob gehauenen Felssteine, die hinter dem Tor als Treppe zum Spazierweg an dem Kanal führten, waren nur zu erahnen, und man konnte leicht stolpern. Und im Dunkeln sah man nicht, wohin man fallen würde.

Carola zögerte und wäre wohl am liebsten umgedreht, sagte aber nichts, während ich vorging und versuchte sie so gut es ging zu führen. Ohne Unfall schafften wir es durch diese hohle Gasse, zum Fußweg am Kanal zu kommen, dessen Verlauf, vom Mond und dessen Spiegelung auf dem Wasser, so gut ausgeleuchtet war, dass wir ohne Gefahr zu meiner Wohnung zurückgehen konnten.

Bei mir zu Hause wartete immer noch der Rucksack, von dessen Anwesenheitsgrund Carola immer noch nichts erzählt hatte. Und es war auch inzwischen ca. ein Uhr morgens. Irgendwo am Kanal zelten wollte sie sicher nicht.

Empfand Carola es als selbstverständlich, dass sie bei mir übernachten konnte, oder scheute sie, wie schon vor sechs Jahren, eine direkte Konfrontation? Bei dem Gedanken, wie Carola vor sechs Jahren reagiert hatte, fing erneut die Alarmglocke in meinem Kopf leicht an zu bimmeln. Aber nur ganz leise, sodass ich sie schon nach kurzer Zeit nicht mehr hörte.

Ohne dass wir noch über irgendetwas gestolpert waren, schafften wir es heil wieder zu mir nach Hause.

„Wo kann ich denn schlafen? Ist noch Platz in deinem Bett?“

Und da war sie, die Frage aller Fragen. Wobei Carola nicht fragte, ob sie überhaupt bei mir schlafen konnte. Das hatte sie, ohne zu fragen, wie auch überhaupt ihre Einladung, schon für sich geklärt. Es drehte sich nur noch um die Frage wo.

„Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht.“

Das war nicht ganz die Wahrheit, aber auch nicht so ganz gelogen. Eigentlich hatte ich mir ja eher gefragt, wo sie in Lübeck überhaupt übernachten wollte. Meine Wohnung vermutete ich da, wenn denn überhaupt, nur als eine Option von mehreren (sie hatte doch wohl sicher einen Plan B). Aber sollte sie sich für meine Wohnung entscheiden, hatte ich mir über die Details noch keinen Kopf gemacht. Eigentlich war ich auch immer noch der Meinung, dass man jemanden vorher fragt, zumindest wenn man kein Partnerverhältnis hat und eine durch Missverständnisse geprägte, gemeinsame Vergangenheit, ob man bei jemandem übernachten darf. Auch wenn wir uns vorletztes Wochenende wirklich gut verstanden hatten, gehörte ich nun einmal nicht, auch nur annähernd zu ihrem Freundeskreis. Und das auch am vorletzten Wochenende nicht angesprochen Thema, „was war im Jahr 2000 los gewesen“, was mich damals immerhin bei Carola zu einer „Persona non grata“ abgestempelt hat, hing, zumindest bei mir, wie vor langer Zeit ein Schwert über Damokles, über meiner Gefühlswelt. Carola konnte das doch nicht vergessen haben, was damals geschehen war.

Ein paar Tage später gab Carola dann zu, dass sie für die Nacht keinen Plan B gehabt hatte. Wäre ich nicht zu Hause gewesen, hätte sie, gegen 22:30 Uhr bei mir vor verschlossener Tür stehend, herum telefoniert, ob sie noch wo anders hätte unterkommen können. Hätte sie kein Schlafplatz gefunden, wäre sie wieder Richtung Hannover gefahren, oder hätte einfach in ihrem Wagen übernachtet.

 

Hannover-Lübeck-Hannover, das war mehr als 400 km. Fast eine ganze Tankfüllung nur auf Verdacht. Und ich wusste, dass Carola im Grunde pleite war, solange die Praxis nicht lief, sie jeden Cent dreimal umdrehen musste. Im Zeitalter der modernen Kommunikation, das soll heißen, im Zeitalter des Telefons, hätte mir, erst recht nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Carola, das zu denken geben sollen. Tat es zwar auch etwas, aber leider nicht genug.

Mit meinem heutigen Wissen ist mir klar, dass Carola einfach in der stillen Erwartung losgefahren war, dass es zu keinen Problemen oder Konflikten, wegen ihres Aufschlagens in Lübeck, kommen würde. Es musste so kommen, wie sie es sich in ihrer Traumwelt, heute würde ich es Parallelwelt nennen, gewünscht hatte. Hätte sie nur andeutungsweise von meinen Zweifeln gewusst, wäre sie schon alleine deshalb nie losgefahren, weil sie sich in Lübeck einem Problem hätte stellen müssen. Sie hätte aber auch nicht, wenn sie von meinen Zweifeln eine Ahnung gehabt hätte, angerufen, um zu klären, ob ich wirklich Zweifel habe, und sie diese eventuell durch den Anruf hätte ausräumen können. Das hätte nämlich bedeutet, sich mit einem persönlichen Konflikt zu beschäftigen; vielleicht sogar einem anderen gegenüber einen Wunsch, und damit eine Schwäche zu zeigen. Und so etwas konnte Carola nicht, was ich damals aber nicht wusste. Obwohl, meine Erfahrungen aus dem Jahr 2000, wie Carola mit Konflikten umgeht, hätte mir zu denken geben sollen.

Hätte - eigentlich.

„Wenn du nicht möchtest, dass ich in deinem Bett schlafe, kann ich auch im Wohnzimmer auf dem Sofa oder dem Fußboden schlafen.“

Na, das wäre jetzt aber wirklich albern gewesen. Ich fand ihre „Selbsteinladung ohne Bestätigungsanforderung“ zwar immer noch unmöglich, auch immer mit dem Hintergedanken, über unsere nicht gerade harmonische Vergangenheit, aber wenn sie schon einmal da war …..

„Nein, nein, das muss nicht sein“

Das klang lockerer, als es in meinem Kopf zuging. Irgendwo in meinem Kopf wanden sich die Gehirnschleifen immer noch um die Erinnerung, dass Carola mir vor sechs Jahren gezeigt hatte, dass sie völlig unberechenbar ist, und auch ihr Verhalten zu dieser Begegnung hin, war nicht so, zumindest in meiner Vorstellung, wie man mit Menschen umgeht. Ich habe eigentlich immer die Vorstellung, dass man andere Menschen so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden möchte. Hätte ich eine E-Mail nach Hannover geschickt, und wäre dann, ohne auf Antwort zu warten, einfach vor ihrer Wohnungstür aufgeschlagen? Mit Sicherheit nicht.

Hätte Carola so einen Überfall prickelnd gefunden? Weiß nicht.

Heutzutage würde ich behaupten, sie hätte es nicht prickelnd gefunden, da sie sich von mir hätte bedrängt gefühlt. Also hat sie schon damals etwas getan, was hier erst viel später zur Sprache kommen wird. Von anderen etwas erwarten, was sie im umgedrehten Fall nie akzeptiert hätte.

Die Alarmglocke in meinem Schädel, die, wenn auch nur leise, aber doch nicht aufhören wollte zu läuten, machte mich nervös.

Ich nahm ein zweites Federbett und drückte es seitlich neben die Matratze auf den Lattenrost, um die Ritze zur Wand, meine Matratze war nur 90 cm breit, den Lattenrost aber 140 cm, zuzustopfen, damit ich nicht in die Ritze rutschen konnte. Eine zweite Decke, und das würde dann schon gehen. Wozu überhaupt eine Decke? Bei einer Raumtemperatur, die wohl nur knapp unter 30°C lag, war deren Sinn allerdings wirklich fraglich.

Und somit kamen wir uns, obwohl Carola ihre Zukunft in Hannover, und ich in Schweden plante, näher.

Und dafür hatte sie bereits am vorletzten Wochenende ihre ganze freie Zeit eingesetzt, und war heute extra aus Hannover nach Lübeck, ohne zu wissen, ob sie hier willkommen war, gefahren. Das hätte sie doch in ihrem Bekanntenkreis, in dem es auch ausreichend Singles gab, sogar schon vorletztes Wochenende leichter haben können. Peter wäre doch sicher immer bereit gewesen, für eine Nacht das Bett mit ihr zu teilen.

Und wie lange, dachte Carola eigentlich zu bleiben? Da sie an einem Montag gekommen war, war es, zudem unter Berücksichtigung des immerhin vollen Rucksacks, der ja auch kein kleiner Tagesrucksack, sondern ein ausgewachsener Trekkingrucksack war, anscheinend kein kurzer Wochenendbesuch.

Heutzutage weiß ich nicht einmal, ob ich mir diese Fragen damals wirklich so intensiv gestellt habe. Erst nach den Erfahrungen der letzten Monate und Jahre stellen sich diese Fragen vielleicht so klar und deutlich da, bzw. ich habe heutzutage auf viele Fragen bereits die Antworten. Antworten auf Fragen, die mir damals wohl gar nicht so richtig bewusst waren. Ich bin mir nach so langer Zeit nicht sicher, was ich damals wirklich dachte. Aber damals ließ ich es einfach darauf ankommen. Die meiste Zeit meines Lebens war ich Single, und sechs Jahre vorher war ich ja in Carola verknallt gewesen. Wäre damals ihre blöde E-Mail nicht gewesen, wären wir vielleicht schon im Jahr 2000 uns, wie weit auch immer, näher gekommen, und es hätte sich dann vielleicht nie die Frage nach Schweden gestellt.

An nächsten Morgen standen wir erst spät auf. Es hatte schon angefangen zu dämmern, als wir überhaupt zum Schlafen gekommen waren. Ich war zwar schon wieder früh wach, lange schlafen war nie mein Ding gewesen, aber Carola war anscheinend eine Langschläferin. Als sie merkte, dass ich wach war, kuschelte sie sich im Halbschlaf an mich und schlief weiter, während ich sie dabei an- und ihr zusah. Es war ein schönes Gefühl ihre Körperwärme zu spüren. Trotzdem fragte ich mich, wo das hinführen sollte. Für einen One-Night-Stand hatte Carola, selbst wenn es mehrere Nächte werden sollten, ganz schön Aufwand betrieben. Wie schon erwähnt, hätte sie so etwas bereits letztes Wochenende, mit wesentlich weniger Konfliktpotenzial, einfacher haben können. Und für etwas Längeres? Etwas Ernstes?

Eine Fernbeziehung zwischen Lübeck und Hannover, sollte Carola überhaupt eine ernsthafte Beziehung haben wollen, war sicher noch hinzugekommen. Aber Hannover und irgendwo in, das konnte auch im sehr weit entfernten Norden sein, Schweden. Das musste ein tot geborenes Kind werden.

„Wann fährst du eigentlich wieder zurück nach Hannover“, fragte ich vorsichtig, als Carola den Übergang vom Halbschlaf zum Wachsein anscheinend durchbrochen hatte.

„Willst du mich schon wieder los werden?“

Ihre Stimme klang, obwohl Carola wach schien, doch noch verschlafen.

Nein, loswerden wollte ich sie nicht unbedingt, darüber war ich mir schon im Klaren. Aber so ein bisschen „Butter bei die Fische“, wie wir Norddeutschen zu sagen pflegen, oder normal ausgedrückt, ein bisschen mehr Information, was Carola sich nun eigentlich mit ihrem Überfall gedacht hat, wäre schon ganz nett.

„Ohne dich loswerden zu wollen, wie lange hast du geplant hier zu bleiben?“

Immer noch an mich angeschmiegt kam: „Na ja, die Praxisräume sind gemietet, aber zurzeit können wir nichts machen. Erst in zwei Wochen können wir in die Räume und mit dem Einrichten beginnen. Das, was jetzt getan werden muss, kann Britta auch alleine in Hannover erledigen, bzw. ich hier vom Telefon aus.“

Britta, das hatte ich bereits am vorletzten Wochenende mitbekommen, war Carolas Kollegin, mit der sie in Hannover eine Physiotherapiepraxis eröffnen wollte. Beide waren, vor nicht ganz einem Jahr, dafür von Lübeck nach Hannover gezogen, da nach irgendeiner Studie, die sie durchgeführt hatten, es in Hannover noch nicht so viele solcher Praxen pro Einwohner geben sollte, wie in Lübeck oder ähnlichen Städten.

„Und solange willst du hier bleiben?“

„Wenn ich darf.“

Es heißt ja, dass man später immer schlauer ist. Jetzt ist es leicht kluge Sprüche zu klopfen. Normalerweise hätten damals, an dem Punkt wirklich alle Alarmglocken schellen müssen. Im Nachhinein verstehe ich wirklich nicht, wieso das nicht passierte. Liebe macht ja bekannterweise blind, aber unsere gemeinsame Vorgeschichte war ja nun wirklich nicht ganz unbelastet. Carola wollte zwei Wochen bei mir wohnen, hatte es aber nicht einmal für nötig gehalten, oder sollte ich lieber schreiben, hatte nicht den Mut gehabt vorher abzuklären, ob das überhaupt möglich ist, und ob ich dieses überhaupt wollte. Ich war telefonisch erreichbar gewesen. Sicher, ich hatte ihr nicht meine Nummer gegeben, aber es gab die Auskunft. Und wie ich später noch erfuhr, hatte Carola in Hannover ein Lübecker Telefonbuch, in dem ich nun einmal eingetragen war. Und ich war der Einzige mit meinem Namen dort. Ich stand sogar mit Straße und Hausnummer, die Carola ja vom vorletzten Wochenende kannte, in dem Telefonbuch. Also wirklich superleicht zu finden. Aber anstatt anzurufen, hatte sie nur eine E-Mail geschickt, und das ziemlich spät, sodass ich kaum rechtzeitig darauf reagieren konnte.

Es war schon damals so, dass Carola nicht in der Lage war über Probleme, zumindest wenn es sich um persönliche Probleme handelte, oder noch genauer, über Beziehungsprobleme, zu sprechen. Aber es schellte bei mir damals keine Alarmglocke laut genug. Ich war bereits zu sehr in dem herrlichen Gefühl eingenebelt, sie neben mir liegen zu haben. Und na ja, toll hatte ich sie ja schon sechs Jahre vorher gefunden, bevor damals die Seifenblase durch ihre E-Mail platzte. Allerdings hätte mir der Streit zwischen Carola und Horst, dem Wirt vom „Carrickfergus“, vor zehn Tagen wieder einfallen müssen. Aber nichts dergleichen passierte. Mein Kopf war auf Liebe, zumindest auf Zärtlichkeit eingestellt. Und so begann etwas, was von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Ich konnte dieses aber nicht sehen, und Carola, der es im Grunde klar war, zumindest in ihrem Unterbewusstsein, dass es nicht funktionieren würde, wollte das sich selbst nicht eingestehen. Sie täuschte nicht nur mich, sondern auch sich selbst, da sie sich mit sich selbst nicht auseinandersetzen konnte, und das, auch wenn sie es aus ihrem Bewusstsein verdrängte, im Grunde auch wusste. Viel später, als alles zu spät war, gab sie, bei dem einzigen Telefongespräch, das wir nach der Trennung noch führten, selbst zu, dass sie von Anfang an gewusst hat, dass es mit uns falsch war. Sie gab aber auch dabei nicht den wahren Grund zu, warum sie es von Anfang an wusste, und warum sie es trotzdem so weit kommen ließ, wie es dann kam.

Nicht ganz drei Jahre später, nachdem ich ein längeres Telefongespräch mit der hiesigen Frauenhilfsorganisation geführt hatte, saß ich völlig verwundert, nachdem ich den Telefonhörer wieder aufgelegt hatte, an meinem Schreibtisch, und fragte mich, wieso hatte ich den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. So vieles war in den drei Jahren passiert, waren die Zeichen zu sehen gewesen. Und doch benötigte ich ein Gespräch bei der Frauenhilfsorganisation, damit ich den Wald, in dem ich doch selbst stand, endlich klar und deutlich sehen konnte. Und gleichzeitig fragte ich mich, was war mit den ganzen anderen blinden Vögeln? Michael, der Lebenspartner meiner Schwester. Vor vielen Jahren, als er bei einem ganz normalen Stadtspaziergang mit Carola in der Stadt unterwegs war, klatschte er, als Carolas, damals noch kleine Tochter Zuneigung zu dem großen Onkel, der so toll lustig war, zeigte, voll gegen Carolas Fassade (Mauer). Als Carola merkte, wie ihre Tochter Michael anhimmelte, ging bei ihr auf einmal die Klappe herunter. Die gerade noch fröhliche junge Frau wurde von einer Sekunde auf die andere abweisend, geradezu aggressiv zu ihm, und war in keiner Art und Weise mehr für Michael ansprechbar. Das Erlebnis war für Michael so intensiv gewesen, dass er es niemals vergessen hat. Er hatte mit Carola, nachdem er ihr ein Praktikum bei seinem Arbeitgeber besorgt hatte, zusammen gearbeitet, war privat mit ihr befreundet gewesen. Aber dann ist er, wie beschrieben, wirklich voll mit dem Kopf gegen den Baum geknallt, sah aber weder den Baum, geschweige den ganzen Wald. Und sieht den Wald auch heute noch nicht.

Was war mit Britta, die mir, als alles zu spät war, erklärte, dass Carola sich immer so, bei den, von ihr provozierten Trennungen benahm, wie sie es dann später bei mir durchgezogen hat? Und dass Carola zwar ihre Freundin sei, sie aber die Abmachung haben, dass Britta aus den Männergeschichten Carolas heraus gehalten werden wollte. Sie fand das Spiel, das Carola mit den Männern trieb, nicht richtig, und wollte da nicht involviert werden. Wieso hat Britta nicht erkannt, dass Carola nicht spielte, sondern sich vor der Wahrheit, vor sich selbst versteckte?

 

Was war mit Susanne, die, nachdem Carola ungefähr anderthalb Wochen bei mir gewohnt hat, sich wunderte, dass Carola nicht, wie doch sonst immer, schon nach der zweiten oder dritten Nacht, aus unserem gemeinsamen Bett geflohen war?

Oder Horst, der zwar in seiner Kneipe mit Carola über ihre Männergeschichten gestritten hat, aber anscheinend den Grund ihres Verhaltens nie hinterfragte. Sie alle kannten Carola über Jahre. Was waren da die paar Wochen, die ich sie näher habe kennenlernen dürfen. Wobei, was heißt hier näher kennenlernen dürfen.

Ich durfte in der kurzen Zeit, in der ich mit Carola zusammen gewesen war, nur das kennenlernen, was sie bereit war, von sich preiszugeben. Und das war, wie ich heute weiß, eben nicht gerade sehr viel.

Aber die, die Carola jahrelang gekannt und erlebt haben, und die die Symptome anscheinend über Jahre durchaus mitbekamen, - warum waren die so blind gewesen?

Wobei die Menetekel klar und deutlich an der Wand, für jeden weit leuchtend sichtbar, standen.

„Und sieh! Und sieh! An weißer Wand, da kam´s hervor wie Menschenhand, (… …), Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand. (………) Die Magier kamen, doch keiner Verstand zu deuten die Flammenschrift an der Wand.“ (Heinrich Heine, aus Belsazer)

Man hätte sie nur deuten müssen. Wobei na klar überhaupt erst einmal die Bereitschaft da sein musste, die Zeichen zu beachten. Aber man hat ja manchmal regelrecht den Wunsch blind zu sein.

Nach dem gemeinsamen Frühstück trennten wir uns erst einmal. Carola wollte Carmen, deren gemeinsame Gespräche vorletztes Wochenende, wegen mir, zu kurz gekommen waren, treffen. Irgendwo Kaffee trinken und klönen, und danach zusammen an die Ostsee fahren, um weiter zu klönen, um die in Hannover vermisste frische Meeresbrise zu spüren, und um bei ihrer Freundin etwas, wegen der versetzten Zeit vorletzten Wochenendes, wieder gut zu machen.

Ich war dabei, Männer stören nur bei Frauengesprächen, das wusste selbst ich, nicht nur überflüssig, sondern absolut fehl am Platze. Und daher beschloss ich in die Bücherei, dort lag das „Svenska Dagbladet“ aus, was ich sowieso regelmäßig dort las, zu gehen.

Und erst jetzt, wo ich dieses hier niederschreibe, kommt diese Frage zum Vorschein. Carola wollte sich mit Carmen treffen, in einem Café Kaffee trinken gehen. Danach an die Ostsee. Wenn ich in meiner Erinnerung herumkrame, kann ich mich nicht erinnern, dass Carola an diesem Morgen Carmen angerufen hat. Mag sein, dass ich es einfach vergessen habe, aber eigentlich glaube ich es nicht. Schon vor dem Frühstück war klar gewesen, dass wir heute Vormittag erst einmal getrennte Wege gehen würden. Ich frage mich, hatte Carola bereits aus Hannover diese Freundin angerufen, und sich für das Treffen verabredet: „Hej, ich bin am Dienstag in Lübeck, hast du Zeit, wollen wir Kaffee trinken gehen, plaudern.“ Sie muss angerufen haben. Woher wusste sie, dass die Freundin an diesem Dienstag nicht arbeiten musste. Wenn das stimmt, dann hat sie, bevor sie aus Hannover losfuhr, nachgefragt, ob die Freundin Zeit für einen Plausch haben würde. Während sie mir nur per E-Mail mitgeteilt hatte, dass sie bei mir am Montagabend aufschlagen würde, ohne zu fragen, ob mir das passte, und ohne mir mitzuteilen, in welchem Umfang die Invasion, es hatte ja schon den Umfang einer solchen, sein würde. Und selbst wenn Carola von meiner Wohnung aus, ohne dass ich es mitbekommen habe, Carmen an diesem Morgen angerufen hat, ist es schon bemerkenswert. Carmen, die zu Fuß zehn Minuten von mir entfernt wohnte, wurde angerufen, um zu schauen, ob sie Zeit hat. Und zu mir fuhr sie 200 km, ohne zu wissen, ob ich da bin und Zeit habe, und sollte ich nicht da sein, sie eventuell 200 km wieder zurückfahren musste. Wobei das Risiko einer Rückfahrt bei Nacht nicht unbedingt wahr sein musste, da sie anscheinend doch einen Plan B, der wohl Carmen hieß, gehabt hatte.

Carola hatte keine Schlüssel für meine Wohnung. Sie sollte mich daher anrufen, wenn sie wusste, wann sich wieder dort aufschlagen würde, oder sie sich mit mir irgendwo treffen wollte.

Nach meinem Studium des „Svenska Dagbladet“, unter Beihilfe eines Wörterbuches ging das schon ziemlich flüssig, bummelte ich durch die Lübecker Altstadt. Trotz der eher spanischen Sommertemperaturen, war es in Lübeck eher wie ein Kurzurlaub in Stockholm oder Göteborg. Die Fußgängerzone war voll, und wenn man aus Versehen angerempelt wurde, bekam man meistens ein „förlåt“ oder „ursäkta“ zu hören, kaum ein „´tschuldigung“. Was teilweise aber sicher auch daran lag, dass Deutsche sich grundsätzlich nicht entschuldigen, während die Schweden dieses bei jeder Kleinigkeit tun. Die kühlen Elchköppe sind ein höfliches Völkchen. Nicht so etwas Stures wie wir.

Lübeck ähnelte damals also durchaus einer schwedischen Stadt mit spanischem Wetter, und ich war herrlichster Stimmung. Zum ersten Mal seit Langem fand ich das Leben mal wieder richtig toll, wobei das nicht an meinem Urlaubsfeeling lag. Ich hatte eindeutig Schmetterlinge im Bauch. Mir war in keiner Art und Weise klar, wie das weitergehen sollte. Ich war mir auch immer noch unsicher, was Carola nun wirklich wollte. Alle Initiative war von ihr ausgegangen. Sollte das nur ein zweiwöchiges Intermezzo sein, ein kleines Zwischenspiel, oder etwas Ernsthaftes. Keine Ahnung. Ich war verknallt. Und auch wenn ich mir bei Carola nicht klar war, was sie wollte, wurde meine eigene Wunschliste, was das betraf, doch langsam länger und klarer. Und das trotz meiner Pläne nach Schweden zu ziehen. Aber das stellte ich jetzt beiseite. Es war ja auch noch gar nicht raus, ob es mit Schweden so klappen würde, wie ich es mir erhoffte.

„Genieße den Tag.“ Manche Dinge muss man einfach auch mal auf sich zukommen lassen. Es war ein verdammt schönes Gefühl durch die sommerliche Stadt, von lauter Elch- und Faxeköppe (das soll keine Beleidigung an die Schweden und Dänen sein) umgeben, zu bummeln, und an Carola zu denken.

Am Nachmittag schickte Carola eine SMS, dass es am Strand länger dauern würde. Ich schicke eine SMS zurück, dass ich zu Hause sein würde, wenn sie genug gequatscht, bzw. genug Seeluft getankt hatte.

Als Carola dann später bei mir eintrudelte, nahmen wir uns jeder eine Flasche Multivitaminsaft und setzten uns wieder an den Kanal auf einen der Schiffsanleger. Es wurde wieder ein sehr harmonischer Abend, eine tolle Nacht. Obwohl ich eigentlich kein Freund von solch warmen Temperaturen bin, und ich es hasste, wie sich die Temperatur bei solchem Wetter in meiner Wohnung staute, waren solche Nächte auf einem Schiffsanlegersteg schon toll.

Wieder zu Hause stellte sich nicht mehr die Frage, wo Carola schlafen würde. Ja, so konnte es weiter gehen.

Carola war eindeutig jemand die, solange kein Wecker klingelte, gern lange schlief, während ich meistens doch sehr früh wach wurde. Am nächsten Morgen lag ich so völlig entspannt neben ihr, während sie sich an mich anschmiegte. Ich genoss es, sie einfach nur anzuschauen, wie sie da friedlich, nur der Kopf schaute aus der Bettdecke hervor, neben mir schlief.

Es war spät, als Carola wach wurde, und wir uns aus dem Bett schälten. Nach dem Frühstück machten wir dann einen längeren Spaziergang am Kanal längs. Abends wollte Carola sich wieder mit Carmen treffen und danach mit deren Lebenspartner Hans, bzw. Lebensabschnittsgefährten, wie es wohl heutzutage offiziell heißt. Die beiden waren noch etwas stinkig, da Carola sie vorletztes Wochenende so extrem vernachlässigt hatte. Da war noch einiges gut zu machen. Ich sollte mich später dann zu ihnen gesellen, und ging daher erst einmal in eine irische Kneipe und lauschte irischer Musik, um dann später, nachdem ich per SMS erfahren hatte, dass das persönliche Gequatsche zu Ende war, im „If“, auch eine von uns bevorzugte Altstadtkneipe, zu ihnen zu stoßen. Carola saß mit dem Freund und anderen am Tresen. Auch ich kannte davon einige, die auch ich schon länger nicht mehr getroffen hatte, und es wurde ein gemütlicher Kneipenabend.