Das Recht katholischer Laien auf Anerkennung ihrer bürgerlichen Freiheiten (c. 227 CIC / c. 402 CCEO)

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Der Begriff res terrenae ist weder im CIC noch im CCEO belegt. Daher muss seine sprachliche Erweiterung zu res civitatis terrenae in cc. 227 CIC und 402 CCEO nicht eine inhaltliche Einschränkung sein: Für den Bereich der irdischen Bürgerschaft (civitas terrena) wird den Laien die Anerkennung jener Freiheit zugesprochen, die dort – d. h. in der bürgerlichen, weltlichen Sphäre – allen zukommt, nämlich allen Bürgern (cives), so der Normtext.294 Ob die Rede von der civitas terrena darüber hinaus (auch) auf die augustinische Unterscheidung von Civitas Dei und Civitas homini anspielt, wie Mazzotti vermutet295, lässt sich vom Wortlaut des Gesetzes wie auch von seiner Textgeschichte her nicht entscheiden.

Abgesehen von c. 227 CIC und c. 402 CCEO heißen die „weltlichen Angelegenheiten“ in beiden Codices allerdings durchgehend res temporales.296 So spricht auch c. 225 § 2 CIC in Bezug auf die besondere Laienpflicht zur christlichen Weltgestaltung von der „Ordnung der zeitlichen Dinge“ (ordo rerum temporalium), die im Geist des Evangeliums zu formen und zu vollenden sei. Bei der Besorgung dieser res temporales sowie bei der Erfüllung weltlicher Aufgaben (munera saeculares) legten die Laien in besonderer Weise Zeugnis für Christus ab. Ebenso normiert c. 401 CCEO die besondere Laienpflicht, durch Gestaltung und gottgemäße Ordnung der zeitlichen Dinge (res temporales) das Reich Gottes zu suchen. Anders als in c. 225 § 2 CIC konkretisiert der kirchliche Gesetzgeber allerdings in c. 401 CCEO den abstrakten Begriff der res temporales: „Deshalb“ (ideoque), d. h. wegen ihrer besonderen Pflicht zur Gestaltung der zeitlichen Dinge, sollen die Laien im privaten, familiären und politisch-sozialen Leben Christus bezeugen und sich für gerechte Gesetze in der Gesellschaft einsetzen. Damit bestätigt der CCEO das bereits in der Kommentierung zu c. 225 § 2 CIC vorgetragene Verständnis: Die von den Laien im Geist des Evangeliums zu gestaltende und zu vervollkommnende Ordnung der zeitlichen Dinge „umfaßt die Familie, die Güter des Lebens, die Kultur die Wirtschaft, die Kunst, die verschiedenen Berufe, die Einrichtungen der politischen Gemeinschaft, die internationalen Beziehungen, die Sorge für Entwicklung und Fortschritt, usw.“297

Auf diese res temporales bezieht sich in beiden Gesetzbüchern der römisch-katholischen Kirche die den Laien eigene Weltgestaltungspflicht. Das ihr korrespondierende Recht besteht im CIC wie auch im CCEO jedoch in Bezug auf ihre Freiheit in rebus civitatis terrenae. Aufgrund des engen inhaltlichen Zusammenhangs von c. 225 § 2 und c. 227 CIC298 sowie der cc. 401f. CCEO sind die res civitatis terrenae in einem den res temporales entsprechenden weiten Sinn zu verstehen: Der Begriff bezeichnet „die Gesamtheit der von der Kirche zu unterscheidenden Vergesellschaftungsformen des Menschen“299 und erfasst „alle Angelegenheiten, die mit dem Leben und Zusammenleben der Menschen in dieser Welt zusammenhängen“300.

Die Textgeschichte stützt dieses auf die Auslegung von Text und Kontext der cc. 227 CIC und 402 CCEO begründete weite Verständnis der res civitatis terrenae: Jener Konsultor, der sich Ende 1966 im Coetus „De laicis“ für eine eindeutige Bestimmung des Normadressaten stark machte301, betonte bei dieser Gelegenheit: Die kirchliche Autorität müsse jene Freiheit achten, „quae […] competit fidelibus in rebus (politicis, professionalibus, oeconomicis, artisticis, etc.) civitatis terrenae.“302 Dabei konkretisiert die Klammer den abstrakten Begriff der res civitatis terrenae exemplarisch. Das abschließende „etc.“ zeigt an, dass es sich nicht um eine taxative Aufzählung handelt. Die Konsultoren, die sich im Anschluss daran äußerten, akzeptierten diese inhaltliche Bestimmung: In der Dokumentation der Beratungen werden ihre Anmerkungen wiedergegeben mit Bezug auf die „zuvor genannte Freiheit, die den Laien in den zeitlichen Dingen [in rebus temporalibus] zukommt.“303

Diese Klärungen fanden noch vor der konkreten Beratung über den ersten Textentwurf statt. Sie belegen, wie die unter dem Begriff der libertas in rebus civitatis terrenae im späteren c. 227 CIC normierte Freiheit der Laien innerhalb der Studiengruppe verstanden wurde: als eine Freiheit der Laien in Politik, Beruf, Wirtschaft und Kunst sowie darüber hinaus, solange das jeweilige Betätigungsfeld dem Bereich des irdischen Gemeinwesens zugerechnet werden kann. Diese Freiheit in rebus civitatis terrenae wurde dabei von den Konsultoren als Freiheit in rebus temporalibus verstanden. Eine sinndifferenzierende Verwendung von res temporales und res civitatis terrenae lässt sich anhand der dokumentierten Beratungen der Studiengruppe über den heutigen c. 227 nicht belegen.304 Inhaltlich deckt sich dieses Verständnis der res civitatis terrenae mit der konziliaren Umschreibung dessen, was die „zeitliche Ordnung“ (ordo temporalis) ausmacht, d. h. den Gütern des Lebens und der Familie sowie der Kultur, Wirtschaft und Kunst, dem beruflichem Schaffen, den Institutionen der politischen Gemeinschaft, den internationalen Beziehungen und ähnlichem mehr.305

Vorlage für die kodikarische Anerkennung der libertas in rebus civitatis terrenae waren LG 37c und PO 9b.306 Das II. Vatikanische Konzil spricht dort von einer iusta libertas, quae omnibus in civitate terrestri competit307 und welche die Hirten sorgfältig anerkennen bzw. die Priester achten sollen. Dabei wurde für PO 9b die Bezeichnung der Freiheit in den irdischen Angelegenheiten wörtlich und mit ausdrücklichem Verweis aus LG 37c übernommen.308 Die cc. 227 CIC und 402 CCEO weichen dagegen von der konziliaren Formulierung ab309: Obgleich u. a. LG 37 während der Codexrevision explizit als Quelle für den heutigen c. 227 genannt wurde, war vom ersten Textentwurf an durchgehend die Rede von der libertas in rebus civitatis terrenae, quae omnibus competit, seit dem Schema CIC/1980 erweitert zu quae omnibus civibus competit.310 Inhaltlich haben die Konsultoren den Text gleichwohl ohne Abstriche als rechtliche Umsetzung von LG 37 verstanden.311

Dies kann bei näherem Hinsehen nicht überraschen: Aufgrund ihres besonderen Weltcharakters (LG 31) haben die Laien einen spezifischen Auftrag zum Weltdienst. Sie sind „eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, zuständig für die weltlichen Aufgaben und Tätigkeiten“ (GS 43b). Als Bürger beider Gemeinwesen, so das Konzil, sollen sie „nach treuer Erfüllung ihrer irdischen Pflichten […] streben, und dies im Geist des Evangeliums.“ Man dürfe „keinen künstlichen Gegensatz zwischen beruflicher und gesellschaftlicher Tätigkeit auf der einen Seite und dem religiösen Leben auf der anderen konstruieren“ (GS 43a). Wann immer sie als Bürger dieser Welt agieren, sollen katholische Laien aus christlichem Geist „nicht nur die jedem einzelnen Bereich eigenen Gesetze beobachten, sondern sich zugleich um gutes fachliches Wissen und Können in den einzelnen Sachgebieten bemühen“; Aufgabe ihres entsprechend geschulten Gewissens sei es, „das Gebot Gottes im Leben der profanen Gesellschaft zur Geltung zu bringen“ (GS 43b). Als Laien hätten sie „am ganzen Leben der Kirche ihren tätigen Anteil“ und seien daher „nicht nur gehalten, die Welt mit christlichem Geist zu durchdringen, sondern […] auch dazu berufen, überall, und zwar inmitten der menschlichen Schicksalsgemeinschaft, Christi Zeugen zu sein“ (GS 43d).

Sowohl in LG 37c als auch in PO 9b heißt es im unmittelbaren textlichen Zusammenhang mit der Anerkennung der bürgerlichen Freiheit der Laien, die Kleriker sollten ihre Verantwortung und Würde in der Kirche anerkennen und fördern.312 Aus einem entsprechend vertrauten Umgang zwischen Laien und Hirten könne man „viel Gutes für die Kirche erwarten.“ In den Laien werde so nämlich „der Sinn für eigene Verantwortung gestärkt“, ihre „Bereitwilligkeit gefördert“ und ihre Kräfte verbänden sich „leichter mit dem Werk der Hirten“ (LG 37d). Priester sollten „gern auf die Laien hören, ihre Wünsche brüderlich erwägen und ihre Erfahrung und Zuständigkeit in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Wirkens anerkennen, damit sie gemeinsam mit ihnen die Zeichen der Zeit verstehen können“ (PO 9b). Nach LG 36d sollen die Gläubigen dabei „genau zu unterscheiden lernen zwischen den Rechten und Pflichten, die sie haben, insofern sie zur Kirche gehören, und denen, die sie als Glieder der menschlichen Gesellschaft haben.“ Die gemäß LG 37 und PO 9 von den Klerikern zu achtende libertas, quae omnibus in civitate terrestri competit kommt den Laien als Bürgern in Staat und Gesellschaft zu. Sie wird als solche auch nur dort ausgeübt, nämlich in der civitas terrestris bzw. terrena313, und ist somit auch schon im Konzil (nur) das, was der kirchliche Gesetzgeber in c. 227 CIC und c. 402 CCEO libertas in rebus civitatis terrenae nennt: eine Freiheit im Bereich der „rein weltlichen Angelegenheiten“314.

2.2.2.2 Bezug zur „relativen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“ (GS 36)

Verschiedene Autor(inn)en sehen in c. 227 eine Konsequenz aus der konziliaren Anerkennung der relativen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten. Nach Reinhardt sei aufgrund des besonderen Weltcharakters der Laien die v. a. in GS 36 erfolgte Anerkennung „der Eigengesetzlichkeit und der Eigenwertigkeit der geschaffenen Dinge und ihrer gesellschaftlichen Ordnung […] in die spezifischen Laienrechte aufgenommen worden“315. Der kirchliche Gesetzgeber habe die in GS 36 begründete iusta autonomia rerum terrenarum dabei „in eine Norm gefaßt […], bei deren Beachtung es einen Fall Galilei eigentlich künftig nicht mehr geben dürfte“316. Ähnlich spricht Meier für c. 227 von einem mit dem Laienrecht „auf den sogenannten ‚Weltdienst‘ (c. 225 § 2 CIC) […] zusammenhängend[en …] Recht auf Anerkennung der Eigengesetzlichkeit der irdischen Wirklichkeiten“317 und geht Ferrer Ortiz davon aus, der CIC habe die konziliare Lehre über die iusta autonomia rerum terrenarum mit c. 227 auf die individuelle Ebene übertragen.318 Auch für Stoffel wird mit c. 227 ausdrücklich die Autonomie der irdischen Wirklichkeiten anerkannt.319

 

Andere formulieren zurückhaltender: GS 36 stehe „hinter“ dem in c. 227 normierten Laienrecht.320 Dieses trage insofern „auch der iusta autonomia der irdischen Wirklichkeiten (GS, n. 36) Rechnung“321. Mit c. 227 würden den Laien die bürgerlichen Freiheitsrechte „im Anschluss an“ die konziliare Anerkennung der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten zuerkannt.322 Oder, wie es Riedel-Spangenberger 1998 in einem Beitrag zur Studientagung der DBK-Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen323 formuliert hat:

„Der Eigengesetzlichkeit der irdischen Wirklichkeiten entspricht […] das Recht der Menschen auf einen sachgerechten und eigenverantwortlichen Umgang mit den irdischen Wirklichkeiten, der sich frei von jeder falschen religiö- sen und ideologischen Heteronomie allein an der diesen Wirklichkeiten immanenten Gesetzmäßigkeit […] orientiert. Es wird also kirchlicherseits auch als ein Recht der Laien anerkannt, daß sie mit ihrem Verstand und ihrer Vernunft die irdischen Wirklichkeiten zunächst einmal unabhängig von religiösen Notwendigkeiten analysieren und beurteilen, ehe sie diese Wirklichkeiten im Geist des Evangeliums zu gestalten sich bemühen und sich dabei an der vom Lehramt vorgelegten Lehre orientieren.“324

Es mag sein, dass – wie Göbel konstatiert – einige Autor(inn)en in c. 227 „allzu unvermittelt eine Wiederaufnahme des Theologoumenons von der ‚iusta autonomia rerum terrenarum‘ […] zu entdecken wähnen.“325 Jeglichen Konnex zur konziliaren Anerkennung der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten mit Verweis auf Wortlaut und Textgeschichte von c. 227 zu bestreiten, greift gleichwohl zu kurz. Zwar lässt sich ein direkter Bezug aus dem Gesetzestext nicht konstruieren: C. 227 CIC und entsprechend c. 402 CCEO normieren die vom II. Vatikanischen Konzil in LG 37 und PO 9 den Laien zugesprochene libertas in rebus civititatis terrenae. Dies ist dem Begriff wie der Sache nach etwas anderes als die allgemeine Anerkennung der iusta autonomia rerum terrenarum von GS 36. Auch hat die Codexrevisionskommission GS 36 nicht explizit als Quelle für den heutigen c. 227 verstanden.326 Allerdings enthält der zur zweiten Sitzungsperiode vorgelegte Textentwurf einen Verweis auf GS 43. Dieser dürfte – obgleich Mazzotti dort die laikale Freiheit in den bürgerlichen Angelegenheiten „indirettamente“ anerkannt sieht327 – vor allem als ein neben AA 24 zweiter Konzilsbeleg für die Laienpflicht zur Beachtung lehramtlicher Vorgaben i. S. v. c. 227 Satz 2 zu verstehen sein.328 Daneben handelt GS 43 jedoch auch vom besonderen Weltauftrag der Laien, der sich aus ihrem „Weltcharakter“ ergibt, sowie von der Autonomie jener weltlich-irdischen Wirklichkeiten329, in denen die Laien diese spezifische Berufung leben. Schließlich fordert das Konzil in GS 43a „die Christen, die Bürger beider Gemeinwesen, auf, nach treuer Erfüllung ihrer irdischen Pflichten zu streben, und dies im Geist des Evangeliums.“ Wenn dabei die Laien, „sei es als Einzelne, sei es in Gruppen, als Bürger dieser Welt handeln, so sollen sie nicht nur die jedem einzelnen Bereich eigenen Gesetze beobachten, sondern sich zugleich um gutes fachliches Wissen und Können in den einzelnen Sachgebieten bemühen“ (GS 43b).

Mit dem Appell, die leges proprias der jeweiligen Sachbereiche zu beachten, setzt der Text erkennbar die Lehre von der iusta autonomia rerum terrenarum voraus. Mazzotti genügt dies, um auch GS 36 sowie die entsprechenden Passagen in LG 36 und AA 7 als „konziliare Quellen“ von c. 227 zu behandeln330: Das Recht der Laien auf Achtung ihrer bürgerlichen Freiheiten sei ohne die konziliare Anerkennung der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten nicht zu verstehen.331 Dazu ist zu sagen: Als „Quelle“ im engen Sinn kann ein Konzilstext nur gelten, wenn sich seine Relevanz für die Entstehung bzw. Formulierung eines Canons nachweisen lässt. Dies ist für GS 36 als Text nicht der Fall. Allerdings war die dort explizit geforderte332, aber auch schon in LG 36 sowie in AA 7 anerkannte iusta autonomia rerum terrenarum333 bei der Redaktion u. a. von c. 227 thematisch durchaus präsent: Während der zweiten Sitzungsperiode (16.-21. Oktober 1967) vereinbarten die Mitglieder der mit dem Laienkatalog befassten Studiengruppe, alle das Welthandeln der Laien betreffenden Canones so zu bearbeiten, dass die persönliche Verantwortung und Freiheit der Laien in den zeitlichen Angelegenheiten ebenso bekräftigt würden wie die Notwendigkeit einer sorgfältigen Beachtung der legitimen Autonomie der zeitlichen Ordnung.334

C. 227 CIC und dementsprechend c. 402 CCEO können also zu Recht im Zusammenhang mit dem Prinzip der iusta autonomia rerum terrenarum gelesen und vor diesem Hintergrund interpretiert werden.335 Schon Robert Bultot hat in seinem Beitrag über „Die Theologie der irdischen Wirklichkeiten und die Spiritualität des Laienstandes“ von 1966 konstatiert, es sei „bezeichnend, daß die Emanzipation des Laienstandes zu der gleichen Geschichtsstunde erfolgt, in der sich die Kirche der Autonomie […] der profanen Wirklichkeiten bewußt wird.“336 Die kodikarische Anerkennung des Rechts der Laien auf Freiheit in den bürgerlichen Angelegenheiten ist daher keineswegs nur Konsequenz ihrer spezifischen Weltgestaltungspflicht, sondern erfolgt auch in der Logik der konziliaren Bestimmung der Beziehungen zwischen Kirche und Welt bzw. Kirche und politischer Gemeinschaft.

Zu dieser konziliaren Lehre gehört allerdings auch der Hinweis, die ebendort anerkannte „richtige“ Autonomie der zeitlichen Dinge nicht falsch zu verstehen: Ausdrücklich verwirft das Konzil eine Auslegung im Sinne völliger Unabhängigkeit der irdischen Wirklichkeiten von Gott. Wo jemand meine, die geschaffenen Dinge ohne Bezug auf ihren Schöpfer gebrauchen zu können, spüre „jeder, der Gott anerkennt, wie falsch eine solche Auffassung ist“ (GS 36). Mit der Anerkennung der Eigengesetzlichkeit der irdischen Dinge stellt das Konzil die Gläubigen, die in diesem Bereich handeln, also nicht gänzlich frei vom Anspruch der kirchlichen Moral- und Soziallehre.337

2.2.3 Inhalt des Rechtsanspruchs

Auf die Geltung welcher Freiheit(en) können sich Laien vor diesem Hintergrund nach c. 227 CIC und c. 402 CCEO innerkirchlich berufen und wie weit reicht ihr damit verbundener subjektiver Rechtsanspruch?

2.2.3.1 Bürgerliche Freiheit(en)…

Der kirchliche Gesetzgeber normiert mit c. 227 CIC und c. 402 CCEO das Recht der Laien auf innerkirchliche338 Anerkennung der ihnen im bürgerlichen Bereich gewährten Freiheit. Dieses Freiheitsrecht gilt, wie dargelegt, in allen rein weltlichen Angelegenheiten. Der Normtext spricht dabei von libertas im Singular und spezifiziert diese durch das Demonstrativpronomen ea und den nachgestellten Relativsatz quae omnibus civibus competit. Dies lässt vermuten: Der Gesetzgeber will nicht allgemein unterschiedliche und/oder nicht näher bestimmte Freiheitsrechte anerkennen, sondern geht von einem klar abgrenzbaren Inhalt des Rechtsanspruchs aus. Worin besteht also „jene Freiheit, die allen Bürgern zukommt“?

Das Substantiv libertas ist im CIC von 1983 sechzehnmal belegt.339 Es bezeichnet zum einen ganz allgemein das Freisein von Zwang340, wenn es um die Freiheit einer Wahl (c. 170), eines kirchlichen Dienstes oder der kirchlichen Gewalt (c. 1375), von Zeugen (c. 1722) oder beim Weiheempfang (c. 1026) geht. Daneben drückt der kirchliche Gesetzgeber mit dem Substantiv libertas ebenso wie mit dem Adjektiv liber und dem Adverb libere aus, dass ein bestimmtes Handeln von Personen (kirchen)rechtlich möglich und erlaubt ist, etwa die freie Seelsorgerwahl von Alumnen (c. 239 § 2) und Ordensleuten (c. 630 § 1) sowie die Freiheit der Priester zur Einzelzelebration (c. 902). Daneben steht libertas im CIC aber auch für im kirchlichen oder weltlichen Bereich anzuerkennende grundlegende Freiheiten bzw. Rechte: die allgemeine Freiheit der menschlichen Person (c. 768 § 2), deren rechter Gebrauch als Ziel christlicher Erziehung benannt wird (c. 795), die theologische Forschungs- und Meinungsäußerungsfreiheit (cc. 218; 386 § 2), die freie Beichtvaterwahl von Ordensleuten (c. 630 § 1) und die auch vom Staat anzuerkennende Freiheit von Eltern bei der Wahl geeigneter Schulen für ihre Kinder (c. 797).341

C. 227 spricht nicht von einer libertas der Laien zu diesem oder jenem konkreten Handeln, das damit lediglich als kirchenrechtlich möglich und erlaubt qualifiziert würde. Vielmehr geht es um die auch innerkirchliche Anerkennung einer den Laien wie allen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zukommenden und damit im o. g. Sinn grundlegenden Freiheit.342

Der Gesetzgeber identifiziert diese Freiheit in c. 227 als jene, quae omnibus civibus competit. Meist wird im kirchlichen Gesetzbuch mit competit eine Zuständigkeit formuliert.343 In Verbindung mit ius steht competit aber auch anstelle von est oder habet, wenn einzelnen Gläubigen oder kirchlichen Organen bestimmte Rechte zuerkannt werden.344 Diese Bedeutung kann competit auch ohne das Substantiv ius haben345, so z. B. im Gemeinrechtekatalog in c. 221 § 1, wonach es Gläubigen zusteht (competit), ihre Rechte in der Kirche rechtmäßig geltend zu machen und ad normam iuris vor der zuständigen kirchlichen Instanz zu verteidigen346, oder im Klerikerkatalog, wo der Rechtsanspruch von Klerikern auf Urlaub mit „Ipsis autem competit…“ formuliert wird (c. 283 § 2).347 Auch die Wendung libertas competit in c. 227 ist als Rechtszuspruch zu verstehen. Aus ihm resultiert subjektiv ein Rechtsanspruch auf (eine bestimmte) Freiheit und die sich aus ihr ergebenden oder mit ihr verbundenen Rechte. Dies gilt im Kontext der Formulierung quae omnibus civibus competit allerdings für den Staat, nicht für die Kirche: Die entsprechende Spezifizierung der durch c. 227 erstmals anerkannten Freiheit hatte schon während der Codexüberarbeitung für Irritationen gesorgt: Im ersten Entwurf lautete der Relativsatz noch quae omnibus competit. Dies empfanden die Konsultoren als doppeldeutig und somit als missverständlich. Geht es um die Freiheit, die allen Gläubigen in der Kirche zukommt, oder um jene, die alle Gläubige als Bürgerinnen und Bürger ihres jeweiligen Staates haben? Weil für Kleriker und Religiosen im bürgerlichen Bereich spezifische kirchenrechtliche Beschränkungen existierten, so wurde in der Studiengruppe geltend gemacht, könne das omnibus nicht omnibus christifidelibus meinen.348 Als Verbesserungsvorschläge diskutiert wurden die Formulierungen quae laicis competit, quae civibus competit und quae per se omnibus competit.349 So sollte deutlich werden, dass nicht die kirchliche, sondern die bürgerliche Freiheit von Gläubigen anzuerkennen sei. Geändert wurde der Text allerdings erst bei der Revision des Schemas PopDei/1977 auf Vorschlag des Sekretärs der Vorbereitungskommission und ohne weitere Diskussion.350 Durch die Ergänzung des Relativsatzes zu quae omnibus civibus competit ist die von den Konsultoren kritisierte Missverständlichkeit des Textes beseitigt: Es geht um innerkirchliche Anerkennung jener Freiheit, die den Laien in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger(inne)n zukommt.

Damit ist die kodikarische Formulierung nah an der konziliaren Vorlage von LG 37c und PO 9b: Das II. Vatikanum spricht hier von jener „Freiheit, die allen im bürgerlichen Bereich zusteht“ (libertatem, quae omnibus in civitate terrestri competit). Diese heißt an anderen Stellen auch libertas civilis bzw. libertas civium, wobei beide Begriffe sowohl im (Kollektiv-)Singular als auch im Plural belegt sind.351

 

Auch der Singular von „Freiheit“ in c. 227 CIC und c. 402 CCEO ist vor diesem Hintergrund kollektiv zu verstehen. Er bezeichnet nicht eine einzelne konkrete, sondern „die gemeinbürgerliche Freiheit […], die über die in den Menschenrechten verbürgten Grundfreiheiten deutlich hinausgeht“.352 Libertas steht in c. 227 CIC und c. 402 CCEO also für die Gesamheit jener Freiheitsrechte, die das jeweilige weltliche Recht den Bürger(inne)n eines Staates zubilligt.353 Daher wird in der Literatur zutreffend von einer „Anerkennung der staatlichen Freiheitsrechte“354 gesprochen. Welche Freiheiten Laien auf dieser Grundlage im Einzelfall innerkirchlich beanspruchen können, ist nach dem Recht des jeweiligen Staates zu beurteilen, in dem sie leben.355

2.2.3.2 … werden „ anerkannt“ …

Nach der u. a. im Auftrag der DBK erstellten deutschen Übersetzung von c. 227 muss Laien ihre bürgerliche Freiheit in weltlichen Angelegenheiten kirchlich „zuerkannt“ werden (agnoscatur). Im Rahmen seiner Grundbedeutung kann agnoscere auch mit „anerkennen“ oder „gelten lassen“ wiedergegeben werden.356 Eine Sinnveränderung ergibt sich daraus nicht. Agnoscere bezeichnet in c. 227 nicht eine förmliche hoheitliche oder anderweitig rechtlich qualifizierte Anerkennung, sondern eine rein faktische.357 Der Sprachgebrauch entspricht dem „Anerkennen“ des eigenen Anteils der Laien an der kirchlichen Sendung durch den Pfarrer (c. 529 § 2) sowie der auch vom Staat „anzuerkennenden“ Freiheit der Eltern bei der Schulwahl (c. 797).358 Entsprechend formuliert ist auch die Klerikerpflicht, die Sendung der Laien in Kirche und Welt „anzuerkennen“ und zu fördern (c. 275 § 2) sowie die Pflicht des Diözesanbischofs zum Schutz der Unversehrtheit der Glaubenslehre iustam autem libertatem agnoscens in veritatem ulterius perscrutandis (c. 386 § 2). Der kirchliche Gesetzgeber fordert auch hier jeweils nicht eine formale, sondern die rein faktische Anerkennung eines (Freiheits-)Rechts.

Das bedeutet für c. 227 CIC und c. 402 CCEO: Laien können gegenüber der kirchlichen Hierarchie und den übrigen Gläubigen beanspruchen, dass auch im kirchlichen Bereich jene Freiheit respektiert359 und beachtet wird, die ihnen als Staatsbürger(inne)n zukommt. Es besteht jedoch kein Anspruch auf eine förmliche Anerkennung z. B. in Form einer kirchenamtlichen Bescheinigung, die Laien anlässlich der Wahl eines bestimmten Berufes360 oder der Übernahme eines politischen Mandats bei der kirchlichen Autorität beantragen könnten, um sich z. B. gegen etwaige Anfragen aus ihrer Pfarrei oder der eigenen bzw. einer fremden politischen Partei zu wappnen.

Hinzu kommt: Der Rechtsanspruch aus c. 227 CIC und c. 402 CCEO ist rechtlich nicht abstrakt durchsetzbar. Fehlende „Anerkennung“ bzw. mangelnder Respekt vor der laikalen Freiheit in den bürgerlichen Angelegenheiten können sich nur konkret äußern, d. h. im Einzelfall oder in Bezug auf typische Konstellationen wie z. B. eine bestimmte Berufsgruppe oder Vertreter(innen) einer bestimmten politischen Position.361 Sehen Katholik(inn)en in solch einer konkreten Situation ihr Recht auf Anerkennung ihrer bürgerlichen Freiheit durch andere Gläubige verletzt, können sie die zuständige kirchliche Autorität darüber in Kenntnis setzen und sie gemäß c. 212 § 2 CIC bzw. c. 15 § 2 CCEO bitten, Abhilfe zu schaffen. Weil das Freiheitsrecht gemäß c. 227 CIC und c. 402 CCEO jedoch ein mehrfach gebundenes ist, wird diese gegebenenfalls zunächst prüfen, ob der oder die Betreffende in seinem oder ihrem Handeln tatsächlich vom Geist des Evangeliums geleitet war, sich nach der vom Lehramt der Kirche vorgelegten Lehre gerichtet und im Fall einer quaestio opinabilis nicht die eigene Meinung als Lehre der Kirche ausgegeben hat.362 Ist kein diesbezügliches Fehlverhalten des sich beschwert fühlenden Laien erkennbar und die betroffene Angelegenheit zudem eine rein weltliche, kann die kirchliche Autorität durch eine entsprechende, nach Bedarf auch öffentliche Klarstellung oder die Ermahnung Dritter dazu beitragen, dem Laienrecht auf Anerkennung bürgerlicher Freiheiten Geltung zu verschaffen.363

Darüber hinaus können Laien dieses Recht auch gerichtlich durchzusetzen versuchen. Zwar sollen alle Gläubigen eifrig bemüht sein, unbeschadet der Gerechtigkeit rechtliche Streitigkeiten im Gottesvolk möglichst zu vermeiden bzw. baldmöglichst friedlich beizulegen.364 Es steht es ihnen aber gemäß c. 221 § 1 CIC bzw. c. 24 § 1 CCEO auch zu, ihre Rechte in der Kirche rechtmäßig geltend zu machen und nach Maßgabe des Rechts vor der zuständigen kirchlichen Instanz zu verteidigen.365 Dieses Gemeinrecht aller Gläubigen auf Rechtsschutz wird in beiden kirchlichen Gesetzbüchern in den einleitenden Bestimmungen zum Prozessrecht konkretisiert: Nach c. 1491 CIC366 und c. 1149 CCEO ist jedwedes Recht prinzipiell einklagbar.367 Gegenstand kirchlicher Rechtsprechung sind sowohl zu verfolgende oder zu schützende Rechte physischer und juristischer Personen als auch festzustellende Rechtstatsachen (facta iuridica).368 Zur Durchsetzung bzw. zum Schutz subjektiver Rechte gegen Gefährdung oder Verletzung, d. h. zur Realisierung eines rechtlichen Anspruchs, kann also ein kirchliches Gericht angerufen werden. Dies geschieht mittels einer Forderungsklage, die abhängig vom Sachverhalt und dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers auf ein Tun oder ein Unterlassen abzielen kann.369

Wo Laien aufgrund eines beruflichen, sozialen oder politischen Engagements innerkirchlich eine Benachteiligung erfahren und hierdurch ihr Recht auf Anerkennung ihrer bürgerlichen Freiheit verletzt sehen, können sie mit einer Klage beim zuständigen kirchlichen Gericht Hilfe bei der Realisierung ihres durch c. 227 CIC bzw. c. 402 CCEO gesicherten Rechtsanspruchs suchen.370 Die Festlegung des Streitgegenstandes erfolgt abhängig vom konkreten Klagebegehren und dem zu Grunde liegenden Sachverhalt.371 Denkbar ist im vorliegenden Kontext, dass der Prozess etwa auf das zukünftige Unterlassen rechtsbeschränkender Handlungen oder Äußerungen durch den bzw. die Beklagten abzielt und/oder die Frage klären soll, ob das Recht der klagenden Partei auf Anerkennung ihrer bürgerlichen Freiheiten tatsächlich verletzt wurde. Eine Schwierigkeit solch eines Prozesses wird darin bestehen, zu bestimmen, worin im Einzelfall eine Gefährdung oder Verletzung des Laienrechts auf „Anerkennung“ bürgerlicher Freiheiten bestehen bzw. bestanden haben kann.372 Eine andere Schwierigkeit entsteht dann, wenn Gläubige ihr Freiheitsrecht durch die kirchliche Autorität selbst verletzt sehen. Gegen kirchliche Verwaltungsakte können Gläubige in ihrer Teilkirche nicht gerichtlich, sondern nur auf dem Wege des hierarchischen Rekurses vorgehen.373 Sabine Demel nennt dies „eine bizarre Situation angesichts der Tatsache, dass gerade in diesem Bereich am häufigsten von Gläubigen ein rechtliches Fehlverhalten von kirchlichen Amtsträgern geltend gemacht wird.“374

Generell lässt sich schwerlich prognostizieren, ob und in welchem Maße Laien mit einer Klage wegen Verletzung ihres Freiheitsrechts aus c. 227 CIC bzw. c. 402 CCEO Erfolg haben werden. Dominicus Meier hat anhand des konkreten Falls einer Verletzung des guten Rufes durch die Aussage eines Zeugen in einem Ehenichtigkeitsverfahren eine Probe des kodikarisch durch c. 221 § 1 CIC gesicherten Rechtsschutzes durchgeführt. Dabei zeigte sich „eine gewisse Unbeholfenheit bei der Umsetzung des Schutzes der subjektiven Rechte in den konkreten Alltag der diözesanen Gerichte“375. Es bleibe, so Meier, nur zu hoffen, dass insbesondere die Bischöfe „im Geist der Konzilsväter des Zweiten Vatikanischen Konzils die Zeichen der Zeit verstehen und den garantierten subjektiven Rechten der Gläubigen eine größere Bedeutung schenken.“376 Wo eine entsprechende Aufmerksamkeit seitens der kirchlichen Hierarchie für Gläubige konkret erfahrbar wird, trägt dies sicher dazu bei, „das derzeitige Unbehagen vieler [… zu] überwinden, dass Recht(e) haben und Recht zu bekommen innerhalb der communio der Kirche nicht dasselbe sind.“377

2.2.3.3 … als Freiheit(en) in der Kirche

Hat der kirchliche Gesetzgeber mit der ausdrücklichen Aufnahme bürgerlicher (Freiheits-)Rechte in die kirchliche Rechtsordnung378 anerkannt, dass katholische Laien in rein weltlichen Angelegenheiten völlig unabhängig von der Kirche agieren? Können sie unter Berufung auf c. 227 CIC bzw. c. 402 CCEO innerkirchlich geltend machen, in rebus civitatis terrenae gänzlich von kirchlichen Vorgaben frei zu sein? Bedeutet „Freiheit“ also Autonomie?

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