Das Recht katholischer Laien auf Anerkennung ihrer bürgerlichen Freiheiten (c. 227 CIC / c. 402 CCEO)

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73 PAPST JOHANNES PAUL II., ApKonst „Sacra disciplinae leges“, XIX.

74 SOBANSKI, Interpretationsregeln, 705. Dabei versteht Sobanski „die die Interpretation betreffenden Weisungen […] als Ausdruck einer bestimmten ekklesiologischen Option […], die in der Literatur als ecclesiologia societatis bezeichnet wird“ (ebd.).

75 Für GEROSA, Gesetzesauslegung, 109 verpflichtet die „Besonderheit des Rechts der Kirche […] dazu, daß der Codex des kanonischen Rechts stets im Licht der Konzilslehren ausgelegt und angewendet wird.“ Vgl. PUZA, Kirchenrecht, 127. Für BORRAS, Auslegung, 314 hat die „konziliare Lehre von der Kirche […] die Funktion eines Proto-Textes, der das Abschließen des kanonischen Textes des Codex verhindert.“ MÜLLER, Codex und Konzil, 479 vertritt die Meinung, die „konziliare Lehre insgesamt“ bilde „den Kontext für die Interpretation der Normen der kirchlichen Gesetzbücher“ (zur Kritik an seiner These vgl. BIER, Diözesanbischofsamt, 81f. Anm. 8). Ähnlich WIJLENS, Verhältnisbestimmung, 337f.; DIES., II. Vatikanum, 8 sowie DIES., Bishops, 221 unter Bezugnahme auf die Arbeiten von L. Örsy (vgl. grundlegend ÖRSY, Theology, bes. 53–58). Für SOBANSKI, Interpretationsregeln, 705 steht fest: „Obwohl die Weisungen des can. 17 ein statisches Interpretationsmodell abbilden, so muß doch mit Rücksicht auf die den Kodex selbst begründenden Motive […] festgestellt werden, daß nur eine dynamische Auslegung zum rechten Verständnis des Kirchenrechts führt.“ Vgl. BAUSENHART, Desiderate, 363, wonach der „für den Codex konstitutive Bezug auf das Konzil […] das Verständnis des CIC als eines autonomen Textcorpus [verbietet], das in seinen Normen allein nach philologischen, grammatischen und logischen Methoden auszulegen wäre. Die in c. 17 CIC niedergelegte Interpretationsregel ist zwar zunächst kanon-immanent formuliert, gibt aber doch auch den Blick frei auf kanon-externe Faktoren wie ‚die Absicht des Gesetzgebers‘, der hinreichend deutlich gemacht hat, dass der CIC/1983 im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils zu verstehen sei.“ Auch DEMEL/MÜLLER, Einführung, 13 haben 2007 stellvertretend für die Autor(inn)en der Festschrift für Peter Krämer betont, „nach wie vor“ sei das II. Vatikanum „der maßgebliche Interpretationsrahmen für das kirchliche Recht.“

76 GEROSA, Gesetzesauslegung, 139.

77 HILBERATH, „Nur der Geist …“, 269. Es sei in ekklesiologischer Hinsicht „unzureichend, den Gesetzgeber zugleich und allein zur absoluten Auslegungsinstanz zu erklären bzw. eine solche hermeneutische Praxis zu etablieren und zu dulden. Weder sollten allein die Kanonisten herausfinden, was der Wille des Gesetzgebers war, noch darf sich dieser allein von hierher inspirieren oder instruieren lassen. Die Dogmatiker sind nicht nur Tagträumer, sondern auch Anwälte und Interpreten wichtiger Konzilstexte […]. […] Die Canones des Codex und ihre Interpretation sind daran auszurichten, was wir im Verbund der Subjekte in der Communio der Kirche als Intention des Zweiten Vatikanischen Konzils erkennen“ (DERS., CIC, 48). Wer in dieser Weise das Konzil über den Wortlaut des Gesetzes stellt, wird tatsächlich mitunter bedauernd feststellen, konziliare Vorgaben seien im Codex nicht rezipiert. „Genauer“, so BIER, Einführung, 161, „müsste indes formuliert werden: Der Gesetzgeber hat konziliare Vorgaben nicht in der vom jeweiligen Ausleger gewünschten Weise berücksichtigt. Denn dass der Gesetzgeber alle relevanten Vorgaben in der von ihm für sachgerecht angesehenen Weise aufgenommen hat, dafür verbürgt er sich durch den Hinweis, der Codex sei die Übersetzung des Konzils in die Sprache des Rechts“ (H. i. O.).

78 Vgl. MECKEL, Konzil und Codex. Die Arbeit war bis zum 30. Mai 2016 noch nicht publiziert und konnte daher in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt werden.

79 Vgl. DRÖßLER, Bemerkungen, 17; SCHMITZ, Wertungen, 26; GEHR, Qualifikation, 191; BIER, Diözesanbischofsamt, 81. Mit Inkrafttreten des CIC/1983 ist der Legitimationsgrund einer streng konzilskonformen Auslegung, „ein durch die Summe der Konzilsbeschlüsse des II. Vaticanum gegenüber dem CIC/1917 verursachter ‚Verfassungswandel‘, entfallen. […] Selbstverständlich bleiben die Dokumente des II. Vaticanum für die Gesetzesauslegung auch weiterhin relevant, aber nur insofern, als sie nun im Rahmen der gesetzlichen Interpretationsmethoden, z. B. als Entstehungsumstände der Normen des CIC oder als Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen sind“ (DRÖßLER, Bemerkungen, 17f.). Zur Bewertung einer Auslegung im „Geist des Konzils“ vor dem CIC/1983 vgl. SCHULZ, Geist, bes. 459f. sowie GEHR, Qualifikation, bes. 188–192.

80 Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., ApKonst „Sacra disciplinae leges“, XIII sowie dem entsprechend jüngst REES, Papst, 48: Der CIC/1983 sei „das unmittelbare Ergebnis des Zweiten Vatikanischen Konzils und von dessen Ekklesiologie her bestimmt.“

81 Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., ApKonst „Sacra disciplinae leges“, XIX. Dabei sei „sicher, daß die Forderungen des Konzils, wie die praktischen, dem Dienst der Kirche gegebenen Richtlinien in dem neuen Kodex genaue und gewissenhafte, bisweilen bis in die wörtliche Formulierung gehende Entsprechungen finden“ (DERS., Ansprache v. 3. Feb. 1983, 154).

82 Vgl. DERS., ApKonst „Sacra disciplinae leges“, XII.

83 DERS., Ansprache v. 26. Jan. 1984, 131.

84 Vgl. z. B. DERS., Ansprache v. 21. Nov. 1983, 518; DERS., Ansprache v. 26. Jan. 1984, 131. - Von diesem „letzten Konzilsdokument“ wünschte der Papst: „Gebe also Gott, dass […] was das Haupt anordnet, vom Leib eingehalten wird“ (DERS., ApKonst „Sacra disciplinae leges“, XIII). Damit aber besteht kein Zweifel: Für Johannes Paul II. „ist der Codex, was er nach Johannes XXIII. sein sollte: die Krönung des II. Vatikanischen Konzils“ (LÜDECKE, Codex, 45; H. i. O.). Nachdrücklich gegen diese Sicht haben sich 2007 unter dem Titel „Krönung oder Entwertung des Konzils?“ die Autor(inn)en der Festschrift für Peter Krämer ausgesprochen (vgl. DEMEL/MÜLLER, Einführung, 12f.).

85 BIER, Diözesanbischofsamt, 86. Der CIC ist die in päpstlicher Autorität vorgenommene rechtliche Transformation des II. Vatikanums (vgl. LÜDECKE, Codice, 348). Es ist daher unzulässig, das Konzil gegen den CIC auszuspielen. „Die Rezeption und die Auslegung der Konzilsdokumente seit 1983 können nicht mehr absehen von der Interpretation, die der CIC als „letztes Konzilsdokument“ implizit vorgibt.“ (BIER, Rechtsstellung, 21). Anderer Meinung ist GRAULICH, Anpassung, 388: Eine „rechte Interpretation des CIC/1983“ könne „nicht vom Kontext des Konzils und vor allem nicht von seinen Dokumenten absehen“. Der Text der Konzilsbeschlüsse gehöre „zum Kontext des Gesetzes [i. S. v. c. 17] und ist in jedem Fall von Anfang an bei seiner Interpretation zu berücksichtigen.“ (ebd., 388). Vgl. MECKEL, Aktion, 97. Bei aller inhaltlichen Kritik spricht allerdings auch HÜNERMANN, Rezeption, 87 vom CIC „als wesentlicher Form des Rezeptionsvorganges des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Papst und Kurie“. Gleichwohl hält er Vertretern einer codexkonformen Auslegung vor, c. 17 diene ihnen „als Schutzschild, um jeden Versuch auszuschließen, unter Rückgriff auf Dokumente des II. Vatikanischen Konzils gewisse Grenzen der Gesetzestexte aufzuweisen“ (DERS., CIC, 18). Hünermann übersieht dabei, dass der kirchliche Gesetzgeber diesen „Schutzschild“ errichtet und die Ausleger(innen) darauf verpflichtet hat. Vgl. dazu im Folgenden.

86 LÜDECKE, „Krönung“, 236 sowie DERS., Codice, 348. Auch LÜDICKE, Bischofsamt, 74f. konzediert, die Konzilsbeschlüsse seien „nicht ‚geltendes Recht‘, sondern Programm für die Gestaltung des Rechtes. Dieselbe Autorität, die die Konzilsdokumente unterzeichnet hat, hat auch den Codex in Kraft gesetzt.“ Wenn dieses Programm im CIC nicht adäquat umgesetzt worden sei, bleibe es „doch das ‚Gewissen‘ des Rechtes in der Kirche, bleibt der Auftrag an den Gesetzgeber, das Leben der Kirche auch rechtlich nach der Lehre des im Konzil wirkenden Bischofskollegiums zu gestalten.“ (ebd., 75). SCHMIEDL, Ende, 18f. kann Lüdeckes Position zwar nicht zustimmen, erkennt aber an, dass sich bis heute „in allen Anweisungen und Schreiben der vatikanischen Behörden […] die Ambivalenz von Berufung auf das Konzil bei gleichzeitiger Fortschreibung seiner oft nur im Allgemeinen gebliebenen Texte“ zeigt.

87 SOCHA, in: MKCIC 17 [1990], Rn. 7 mit exemplarischem Verweis auf PREE, Interpretation, 162–163 u. 205–207; SCHULZ, Geist, 454–459 und POTZ, Interpretation, 63 u. 73–75.

88 SOCHA, in: MKCIC 17 [1990], Rn. 7. Vgl. LÜDECKE, Grundnormen, 81. Nach DRÖßLER, Bemerkungen, 14 können die Interpretationsnormen des CIC daher „als eindrucksvoller Beleg gelten für die Kontinuitätsthese bezüglich der Rechtsentwicklung in der kanonischen Gesetzgebung.“ Für JESTAEDT, Auslegung, 114f. legen die positivierten Auslegungsregeln des CIC/1983 „– nicht anders als die Rechtserzeugungsbefugnisse – beredtes Zeugnis davon ab“, dass sich die kodikarischen Normen „einem Gesetzesverständnis verpflichtet [fühlen], welches eben nicht als pluralistisch, offen oder dynamisch gekennzeichnet werden kann.“

89 Merkmal wissenschaftlicher Interpretation „ist die Berücksichtigung der kodikarischen Interpretationsnormen. Ihren Ergebnissen kommt im Unterschied zu denen, die sich auf andere oder keine Interpretationsmethoden stützen, eine Wahrheitsvermutung zu“ (LÜDECKE, Grundnormen, 78). ANDRÉS GUTIÉRREZ, Zölibat, 15 spricht in Bezug auf c. 17 1. HS sogar von „der ersten und bindenden goldenen Regel der Kirche“. Mag man das Gesetzesverständnis des CIC/1983 kanonistisch auch „bemängeln; ändern durch die methodologische Apperzeption kann man es nicht. Nicht zuletzt würden dadurch die Regeln kodikarischer Selbstauslegung missachtet – und damit geltendes Kirchenrecht verletzt! –, wenn aus – tatsächlich oder vermeintlich – höherer ekklesiologischer und kanonistischer Einsicht heraus dem kanonischen Recht ein Regime konziliar inspirierter Fremdauslegung verordnet würde“ (JESTAEDT, Auslegung, 114f.; H. i. O.).

 

90 Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., ApKonst „Sacri canones“ v. 18. Okt. 1990, 1038: „Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, qui nunc in lucem proditur, veluti novum complementum magisterii a Concilio Vaticano II propositi habendus est, quo universae Ecclesiae ordinatio canonica tandem expletur“. Vgl. LEDERHILGER, Kirchenrecht, 249.

91 MÜLLER, Kirchenrecht, 355. Für solche Ergebnisse verweist Müller exemplarisch auf die nach LÜDECKE, Grundnormen, 534 weiterhin gültige Unterscheidung von lehrender und belehrter Kirche, dessen Problematisierung der vera aequalitas des c. 208 hinsichtlich der ständischen und hierarchischen Struktur der katholischen Kirche (vgl. ebd., 103) sowie auf Biers Schlussfolgerung, die kodikarischen Bestimmungen zeichneten „den Diözesanbischof rechtlich als päpstlichen Beamten“ (BIER, Rechtsstellung, 376).

92 MAY/EGLER, Einführung, 188.

93 LÜDECKE, Grundnormen, 74. Vgl. BIER, Rechtsstellung, 22.

2. WORTLAUTAUSLEGUNG VON C. 227 CIC UND C. 402 CCEO

C. 227 CIC und c. 402 CCEO sprechen vom Recht der Laien auf jene Freiheit in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens, die allen Bürgern zukommt. Sie geben an, unter welchen Bedingungen diese Freiheit zu gebrauchen ist: Die Laien sollen sich vom Geist des Evangeliums leiten lassen und haben die vom Lehramt der Kirche vorgelegte Lehre zu beachten; im Bereich der sog. quaestiones opinabiles, also jener Fragen, die der freien Meinungsbildung der Gläubigen unterliegen, dürfen sie die so gewonnene eigene Ansicht nicht als Lehre der Kirche ausgeben.

Beide Canones sind im Wortlaut nahezu identisch. Sie unterscheiden sich lediglich durch die an einer Stelle abweichende Interpunktion in Satz 2, was aber weder die Konstruktion noch den Sinn des Satzes verändert94, sowie die unterschiedliche Bezeichnung des Subjekts mit christifideles laici (c. 227 CIC) bzw. laici (c. 402 CCEO).95 Diese Differenz ist bei der Auslegung zu berücksichtigen. Ansonsten gilt die Wortlautinterpretation von c. 227 CIC gleichermaßen für c. 402 CCEO.

C. 227 besteht im Lateinischen aus zwei durch Semikolon getrennten Hauptsätzen. Der erste spricht den Laien das Recht auf Anerkennung ihrer bürgerlichen Freiheit zu (Ius est christifidelibus laicis …). Der zweite formuliert in einem komplexen Satz deren mehrfache Bindung bzw. Beschränkung: Die Partizipialkonstruktion eademlibertate utentes gibt den grundlegenden Tatbestand an, für den nachfolgend je nach Betätigungsfeld unterschiedliche Rechtsfolgen normiert werden. Subjekt sind jeweils die christifideles laici aus Satz 1. Das doppelte tamen96 macht deutlich, dass es in beiden Fällen um eine Einschränkung des dort formulierten Rechts geht. Rechtsfolge des Gebrauchs des den Laien in Satz 1 zugebilligten Rechts auf bürgerliche Freiheit ist die Bindung an Evangelium und kirchliche Lehre (… curent ut suae actiones spiritu evangelico imbuantur, et ad doctrinam attendant ab Ecclesiae magisterio propositam). Der anschließende Teilsatz setzt die Ausübung der bürgerlichen Freiheit voraus; seine partizipiale Konstruktion (caventes … in quaestionibus opinabilibus) verweist sprachlich auf die vorausgegangene Tatbestandsformulierung zurück. Zwei selbstständigen Sätzen97 wird damit ein komplexer Satz vorgezogen. Dies hat nicht nur einen sprachökonomischen Effekt. Es drückt auch den engen Konnex beider Aussagen aus.98 Bei der Auslegung wird dies zu beachten sein.

C. 227 Satz 1 ist ein indikativisch formulierter Aussagesatz, hat aber den Charakter einer Anordnung99: Den Laien wird ein Recht zugesprochen; die Formulierung ius est … bringt eine Befugnis bzw. Erlaubnis zum Ausdruck.100 Die Rechtsfolgeanordnungen des zweiten Satzes stehen im rechtssprachlich für Ge- und Verbote eingespielten coniunctivus iussivus (Satz 2a: curent) bzw.prohibitivus (Satz 2b: ne … proponant).101 Sie sind daher nicht Empfehlung, Bitte oder Wunsch, zeigen also nicht eine nur moralische Verpflichtung an, sondern haben Befehlscharakter.102 C. 227 kommt somit insgesamt Gesetzesqualität zu.103 Bei seiner Auslegung sind die kodikarischen Interpretationsregeln zu befolgen.

2.1 Ein Laienrecht: „Ius est (christifidelibus) laicis …“

Der Canon beginnt mit der Wendung „Ius est…“. Aus dem damit objektiv indizierten Rechtszuspruch resultiert subjektiv ein Rechtsanspruch der Laien auf Anerkennung der ihnen im weltlichen Bereich zukommenden Freiheit.104 Nach dem Wortlaut handelt es sich um ein reines Laienrecht: Das Rechtssubjekt wird ausdrücklich mit christifideles laici (c. 227 CIC) bzw. laici (c. 402 CCEO) bezeichnet.

2.1.1 Der rechtssystematische Ort von c. 227 CIC

C. 227 CIC findet sich im zweiten Titel der Pars I des zweiten Buches. Er ist damit Teil des Katalogs der Pflichten und Rechte der Laien (cc. 224-231), den der CIC/1983 erstmalig und zudem an exponierter Stelle enthält: Am Beginn der kodikarischen Normen über die rechtliche Verfasstheit der Kirche105 folgt der Titel De obligationibus et iuribus christifidelium laicorum unmittelbar auf die das Buch II und den Teil De christifidelibus einleitenden cc. 204-207 und den ebenfalls neuen Titel De omnium christifidelium obligationibus et iuribus (cc. 208-223).

Dass besondere Pflichten und Rechte aller Gläubigen bzw. der Laien in einem eigenen Normabschnitt zusammengefasst und somit hervorgehoben werden, ist neu.106 Der CIC/1917 war ein nahezu reines Klerikerrecht.107 Demgegenüber hat der kirchliche Gesetzgeber mit der das Buch II einleitenden Bestimmung über den christifidelis (c. 204 § 1) sowie dem nachfolgenden Katalog der Pflichten und Rechte der Gläubigen eine Neuakzentuierung vorgenommen und verschiedene Kanonist(inn)en zu der Feststellung veranlasst, der (Christ-)Gläubige habe „den Kleriker als ‚Hauptperson‘ in der Verfassung der Kirche abgelöst und seinerseits den zentralen Platz eingenommen“108. Die rechtliche Qualität der in den cc. 208-223 für alle Gläubigen normierten Rechte wurde während der Codexrevision und nach Inkrafttreten des CIC/1983 intensiv diskutiert.109 Formalrechtlich eignet ihnen keine Grundrechtsqualität; sie sind einfache Gesetze.110 Materiellrechtlich wird mit Verweis auf ihre Begründung im positiven göttlichen Recht bzw. im Naturrecht häufig ein Vorrang vor anderen Normen angenommen.111 Anders als die Menschenrechte dem Staat, sind die Rechte der Gläubigen der Kirche jedoch nicht vorgegeben.112 Die Bezeichung der Norminhalte von cc. 208-223 als „Grundrechte und -pflichten“ wird daher zu Recht kritisiert113, ist aber nach wie vor verbreitet.114 Die im CIC/1983 positivierten Rechte der Gläubigen sind Gliedschafts-115 bzw. „Gemeinrechte“116, die gebunden sind an die Erfüllung der Pflicht zur Wahrung der Gemeinschaft mit der Kirche (c. 209), an das kirchliche bonum commune und an die Erfüllung aller weiteren Pflichten gegenüber anderen und der Kirche (c. 223 § 1). Sie stehen zudem unter dem Vorbehalt, dass die kirchliche Autorität ihre Ausübung regelt (c. 223 § 2).117 Aufgrund der einfachen Gesetzesqualität der cc. 208-223118 kann der kirchliche Gesetzgeber „mit jeder Norm, die er erlässt, die in den cc. 208ff. katalogisierten Rechte und Pflichten einschränken.“119

Auch in Bezug auf den anschließenden Katalog der Pflichten und Rechte der Laien, den rechtssystematischen Ort des c. 227, wird bisweilen der Begriff „Grundrechte“ verwendet.120 Grundrechtsqualität kommt den Laienrechten jedoch schon wegen ihres im Vergleich mit den Gemeinrechten noch einmal eingeschränkten Trägerkreises nicht zu.121 Auch grenzen die in den cc. 224-231 kodifizierten Rechte der Laien ebensowenig wie die in cc. 208-223 enthaltenen Rechte aller Gläubigen individuelle Freiheitsräume im Gegenüber zur kirchlichen Hierarchie ab.122

Die Einfügung eines eigenen Katalogs von Pflichten und Rechten der Laien in den CIC wird zwar von einigen bedauert123, mehrheitlich jedoch als Versuch einer rechtssystematischen Aufwertung der Laien verstanden.124 Seine inhaltliche Ausgestaltung hat in der kanonistischen Literatur „eine insgesamt vernichtende Kritik erfahren.“125 Nach Corecco könne man „nicht übersehen, daß im Zeichen einer Empathisierung der Laien dieser Katalog mehr danach strebt, die Bedeutung der Laien zu beschwören als eine genaue Definition ihres ekklesiologischen und rechtlichen Statuts zu geben.“126 Darüber hinaus wird kritisiert, die unter dem Titel De obligationibus et iuribus christifidelium laicorum zusammengefassten Pflichten und Rechte seien keineswegs alle laienspezifisch: Die „wesentlichen Rechte“ seien „natürlich in dem für alle Gläubigen geltenden Katalog enthalten.“127

2.1.2 Nur für Laien

Handelt es sich beim Recht auf Anerkennung der bürgerlichen Freiheit also überhaupt um ein reines Laienrecht? Der rechtssystematische Ort des c. 227 CIC wie auch der von c. 402 CCEO im Abschnitt De laicis (cc. 399-409 CCEO) sprechen dafür. Gleichwohl gibt die kanonistische Kritik am Laienkatalog im Allgemeinen wie auch an der Einordnung des Rechts auf Freiheit in den irdischen Angelegenheiten im Besonderen128 Anlass zu prüfen, ob hier tatsächlich ein spezifisches Laienrecht vorliegt oder die in c. 227 CIC und c. 402 CCEO gesetzlich verbürgte Freiheit nicht doch allen Gläubigen zukommt.

Zahlreiche Autor(inn)en vertreten die Meinung, alle Gläubigen, also auch Kleriker und Ordensleute, hätten Anspruch auf Freiheit in den irdischen Angelegenheiten.129 Für Hervada ist dieses Freiheitsrecht daher in c. 227 fälschlicherweise als Laienrecht normiert.130 Andere sind diesbezüglich weniger sicher131, während die Gegenmeinung c. 227 als ein im Weltcharakter der Laien gründendes und damit laienspezifisches Recht versteht.132

Der Gesetzestext spricht von einem Recht der christifideles laici. Diese Wortverbindung ist im CIC/1983 sechzehnmal belegt.133 Sie ist nach Hallermann die „vollständige“ Bezeichnung der Laien, die „das aufgrund der Taufe bleibend Gemeinsame aller Gläubigen“134 betone. Gleichwohl wird die Gruppe der christifideles durch die Verbindung mit laicus konkretisierend eingeschränkt135: Das Recht auf Freiheit in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens haben nach c. 227 nur die „Laien unter den Christgläubigen“136. Dass dabei über die Laien hinaus alle christifideles (mit)gemeint sein könnten oder gar sollten, lässt sich aus dem Wortlaut der Norm nicht begründen. Wo der kirchliche Gesetzgeber im CIC/1983 sonst von christifideles laici statt von laici spricht, sind stets ausschließlich die Laien gemeint.137 Etwas anderes ist vom kodikarischen Sprachgebrauch her auch nicht zu erwarten. Der gesamte Laienkatalog trägt die Überschrift De obligationibus et iuribus christifidelium laicorum und der ihn einleitende c. 224 unterscheidet die darin zusammengefassten Pflichten und Rechte der christifideles laici ausdrücklich von denen, die allen christifideles gemeinsam sind.138 Durch die Wortverbindung christifideles laici wird der in c. 227 bezeichnete Personenkreis also nicht auf alle Gläubigen erweitert. Der kodikarische Sprachgebrauch deutet vielmehr darauf hin, dass die Hinzufügung von christifidelis den Begriff des laicus theologisch positiv aufladen sollte, insofern die Laien ja auch Gläubige i. S. des vorangehenden Gläubigenkatalogs sind.139 Nach Wortlaut und rechtssystematischem Ort garantiert c. 227 ein spezifisches Laienrecht.140

2.1.2.1 Textgeschichte und lex posterior

Die Textgeschichte von c. 227141 bestätigt diesen Befund: Das Recht auf Freiheit in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens war schon in jenem Entwurf eines Katalogs von Rechten und Pflichten der Laien enthalten, auf dessen Grundlage die Studiengruppe „De laicis“ zwischen dem 28. November und 3. Dezember 1966 ihre Beratungen aufnahm.142 Es war also von Beginn an als Laienrecht konzipiert und auch entsprechend formuliert: „Ius est laicis ut ipsis agnoscatur ea in rebus civitatis terrenae libertas, quae omnibus competit, iuxta legem divinam ab Ecclesiae Magisterio declaratam.“143 Als missverständlich empfanden die Konsultoren dabei schon in der ersten Sitzungsperiode die Wendung quae omnibus competit. Das omnibus könne nicht omnibus christifidelibus meinen. Schließlich unterlägen Kleriker und Religiosen in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens spezifischen kirchenrechtlichen Beschränkungen.144 Als während der zweiten Sitzungsperiode (16.-21. Oktober 1967) ein Konsultor vorschlug, den Canon in das statutum generale fidelium zu überführen, wurde dies mit dem Hinweis abgelehnt, es handle sich um ein spezifisches Laienrecht.145

 

Erst bei der Revision des Schemas PopDei/1977 durch die Vorbereitungskommission für das Schema CIC/1980 wurde der Text auf Vorschlag des Kommissionssekretärs ohne weitere Diskussion zu quae omnibus civibus competit verändert. Zugleich wurde laicis zu christifidelibus laicis erweitert. Dies sei notwendig, da sich der Canon nicht allein an Laien, sondern an alle wende.146 Allerdings kommt dies durch die vorgenommene Ergänzung nicht zum Ausdruck: „Der Sprachgebrauch des CIC, der den gesamten Titulus überschreibt mit ‚De obligationibus et iuribus christifidelium laicorum‘, deutet darauf hin, daß vielmehr der Laienbegriff durch diese Beiordnung mit dem gesamten positiven Inhalt dessen gefüllt werden soll, was in den cc. 204. 207-223 CIC vom christifidelis gesagt wird.“147 Eine Ausweitung des normierten Rechts auf alle Gläubigen wäre nur erreicht worden, wenn laicis durch christifidelibus ersetzt worden wäre.148 Rechtssystematisch hätte die Norm dann allerdings in den Katalog der Pflichten und Rechte aller Gläubigen transferiert werden müssen.149

Dieser Befund wird durch den CCEO als lex posterior bestätigt: Der mit c. 227 CIC nahezu identische c. 402 CCEO150 findet sich im Abschnitt De laicis (cc. 399-409 CCEO). Dieser folgt – anders als im CIC – nicht unmittelbar auf den Titel über die Rechte und Pflichten der Christgläubigen151, sondern ist mit größerer Eigenständigkeit nach den Normen De clericis platziert.152 Der Titel heißt zudem nicht De christifidelibus laicis, was dem Sprachgebrauch des CIC entsprochen hätte. Für die Revision des Schema canonum de laicis et de christifidelium consociationibus war eine entsprechende Ergänzung der Überschrift De laicis angeregt worden. Die Studiengruppe wies den Vorschlag jedoch zurück: Der Begriff laicus komme als Terminus technicus in vielen Canones ohne weitere Spezifikation vor genauso wie die Begriffe clericus, religiosus usw.153 Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Kürzung des christifidelibus laicis aus c. 227 CIC zu laicis in c. 402 CCEO zu verstehen sein.154 Zudem war bei den Revisionsarbeiten in der Studiengruppe schon bei den ersten Beratungen über den Entwurf zum heutigen c. 402 CCEO betont worden, das in Frage stehende Recht sei ein proprium et exclusivum der Laien.155 Durch die gegenüber c. 227 CIC unmissverständliche Formulierung des c. 402 CCEO („Ius est laicis…“) hat der kirchliche Gesetzgeber bekräftigt: Das Recht auf die innerkirchliche Anerkennung der bürgerlichen Freiheiten ist ein spezifisches Laienrecht.156

2.1.2.2 Konziliare Quellen

Die in c. 227 CIC und c. 402 CCEO rechtlich positivierte Anerkennung des Rechts der Laien auf Freiheit in den weltlichen Angelegenheiten wurzelt in der Lehre des II. Vatikanischen Konzils.157 Die mit der Ausarbeitung des Normtextes betraute Studiengruppe „De laicis“ hat LG 37, PO 9, AA 24 und GS 43 als grundlegend für ihren Gesetzentwurf verstanden158; der annotierte Codex von 1989 verzeichnet diese Konzilsstellen dementsprechend korrekt als konziliare Quellen von c. 227.159

Für das in Satz 1 von c. 227 CIC bzw. c. 402 CCEO normierte Freiheitsrecht und die Frage nach seinem Subjekt sind LG 37c und PO 9b einschlägig160: Die Hirten, so das Konzil in seiner dogmatischen Konstitution über die Kirche, sollen die „gerechte Freiheit, die allen im irdischen bürgerlichen Bereich zusteht […] sorgfältig anerkennen“ (Iustam autem libertatem, quae omnibus in civitate terrestri competit, Pastores observanter agnoscent; LG 37c). Mit ähnlichen Worten fordert das Dekret über Dienst und Leben der Priester diese auf, sie „mögen auch mit Bedacht die gebührende Freiheit, die allen im bürgerlichen Bereich zusteht, achten“ (Iustam etiam libertatem, quae omnibus in civitate terrestri competit, sedulo in honore habeant; PO 9b). Beide Dokumente sprechen nicht ausdrücklich von einer iusta libertas laicorum bzw. einer Freiheit, quae omnibus laicis in civitate terrestri competit. Sowohl in LG 37c wie auch in PO 9b wird aber aus dem Kontext deutlich, dass eine in besonderer Weise den Laien zukommende Freiheit gemeint ist161: An beiden Stellen geht es um das Verhältnis von Klerikern und Laien und werden erstere aufgefordert, die Würde der Laien anzuerkennen und zu fördern, gern auf ihren Rat zu hören, ihnen vertrauensvoll Aufgaben zu übertragen, freie Handlungsräume zu gewähren und sie zu eigenen Inititativen zu ermutigen.162

LG 37 ist Teil des Kapitels IV über die Laien (LG 30-38). Schon im ersten, von der Theologischen Vorbereitungskommission verfassten Schema De Ecclesia war ein eigenes Laien-Kapitel enthalten163, ebenso in den beiden folgenden Schemata, dort allerdings jeweils anders platziert.164 Die darin enthaltenen Rechte und Pflichten der Laien werden erst im dritten Schema vom 3. Juli 1964 um das als Pflicht der kirchlichen Hirten formulierte Recht der Laien auf Anerkennung ihrer bürgerlichen Freiheiten ergänzt.165 Zugleich wird nicht nur die zur inhaltlichen Charakterisierung des entsprechenden Abschnitts dienende Überschrift geändert, die anstelle von „[De christifidelium relatione ad Hierarchiam]“ nun „[De laicorum relatione ad Hierarchiam]“ lautet166. Auch im Text selbst, der wie das Laienkapitel insgesamt mit nur geringen Änderungen in die von Papst Paul VI. am 25. November 1964 feierlich verkündete Endfassung der Konstitution eingeht167, werden aus den (christi)fideles konsequent laici.168 Daraus wird deutlich: Das Konzil spricht in LG 37 nicht von den Pflichten und Rechten aller Gläubigen, sondern von denen der Laien. Auch die in LG 37c geforderte Freiheit in den weltlichen Angelegenheiten ist daher ein Recht der Laien gegenüber ihren Hirten.169

Entsprechendes gilt für PO 9b: Die in der Formulierung eng an LG 37c angelehnte Verpflichtung der Priester, die Würde der Laien und den besonderen Anteil, den diese an der Sendung der Kirche haben, wahrhaft anzuerkennen und zu fördern sowie auch die gebührende Freiheit zu achten, die allen im bürgerlichen Bereich zusteht, findet sich erstmals im Textus recognitus des Schema decreti de ministerio et vita Presbyterorum vom Mai 1965.170 Mit nur geringfügigen Änderungen wurde der Passus im Textus emendatus vom November 1965 beibehalten.171 In beiden Fällen findet er sich im Artikel über den Umgang der Priester mit den Laien.172 Bei der Abstimmung über den Text forderte einer der insgesamt 568 Modi zum zweiten Kapitel des Schemas173, die Anerkennung der bürgerlichen Freiheit der Laien zu streichen, da diese doppelsinnig und gefährlich sei.174 Der Vorschlag wurde jedoch u. a. mit Hinweis darauf zurückgewiesen, die fragliche Freiheit der Laien sei bereits durch LG 37 anerkannt.175 Der am 7. Dezember 1965 verabschiedete und am selben Tag von Papst Paul VI. approbierte Text des Dekrets blieb bezüglich der iusta libertas, quae omnibus in civitate terrestri competit, also unverändert. Aufgrund des Textes von PO 9 wie auch vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte steht außer Zweifel: Wie schon in LG 37c hat das Konzil auch in PO 9b die gerechte Freiheit in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens als eine spezifisch den Laien zukommende anerkannt.176

2.1.3 Nur für „ Weltlaien“

Nach ihrem Wortlaut, bestätigt durch die Textgeschichte beider Normen wie auch deren konziliare Quellen, formulieren c. 227 CIC und c. 402 CCEO also ein Laienrecht. Offen geblieben ist allerdings bisher, welchen Laienbegriff der Gesetzgeber dabei zu Grunde legt.