Kollegien stark machen (E-Book)

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Je missionarischer die Protagonisten vorgehen und einen Tunnelblick pflegen, desto höher die Gefahr, dass nicht nur die Botschaft, sondern auch der Bote abgelehnt wird – mit den klassischen Einwänden: Warum wir, warum jetzt, warum dies und nicht jenes, warum so? Oder: Das haben wir noch nie gemacht, das war immer schon so, wieso soll das jetzt besser sein.

Stufe 3: Aufbruch – Planung

Personen auf dieser Stufe befassen sich nicht mehr mit der Frage, ob etwas geschehen muss, sondern bereits damit, was in welcher Zeit wie getan werden kann; sie befinden sich im Stadium des Aufbruchs. Ihre Unzufriedenheit mit dem IST-Zustand ist größer als der Widerstand gegen die Veränderung. Mit dem Fernziel im Blick prüfen und planen sie zuversichtlich erste machbare und relevante Schritte – und achten dabei hoffentlich aufmerksam auf die Ressourcen, die Durchführbarkeit sowie die sozialen und gesundheitlichen Nebenwirkungen ihrer Ideen. Sie sollten darin bestärkt werden, allerdings sehr dosiert, um sie nicht zu «überfahren». Denn in diesem Planungsstadium kommt es nicht selten zu einem «Glaubenskrieg» über die «richtigen» Ziele, Methoden und Wege; darüber, was auf jeden Fall passieren muss und was man auf keinen Fall tun darf.

Metaplan-Verfahren eignen sich dazu, die unterschiedlichen Ansichten zu thematisieren, sie aber auf der Sachebene zu halten und das Risiko für ausufernde Beziehungskonflikte zu verringern. Bisweilen helfen auch Vereinbarungen über zeitlich begrenzte Probeläufe, die Spannung herauszunehmen.

Stufe 4: Aktive Veränderung

Personen auf dieser Stufe setzen Planung in Aktivität um. Sie hadern nicht, sondern handeln. Dabei machen sie Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, aber auch von Misserfolgen. Sie motiviert, wenn Fortschritte öffentlich anerkannt und hervorgehoben werden.

Als günstig erweist sich, eventuelle Pannen oder Fehler schnell zu korrigieren, ohne viel Aufhebens und ohne Grundsatzdiskussionen. Wenn es gelingt, unvermeidbare Rückschläge und Misserfolge fehlerfreundlich als Lernchance zu sehen, wird das dem Projekt und den Beziehungen zwischen den Beteiligten guttun. Dies kann die Schulleitung unterstützen, indem sie die Sinnhaftigkeit des Handelns trotz Schwierigkeiten und Irrwegen immer wieder hervorhebt.

Ein gewisses Risiko besteht, dass diejenigen Kolleginnen und Kollegen «auf der Strecke» bleiben, die, aus welchen Gründen auch immer, den Veränderungsprozess nicht oder nicht so schnell mitmachen können.

Stufe 5: Routine – Stabilisierung

Besonderes Augenmerk sollte der Überlegung zukommen, wie die Ergebnisse in den Alltag übertragen und als neue Regel etabliert werden können. Langfristig hilfreich ist es, wenn sich die Handelnden mit dem Ergebnis identifizieren und es als ihr Werk betrachten können.

In diesen Bereich gehört auch die Evaluation: Was haben wir gelernt und sollten es bei Folgeprojekten beherzigen? Dies trägt zum Aufbau und zur Pflege eines kollektiven «Erfolgsgedächtnisses» bei, in dem die Erinnerung an gemeinsame erfolgreiche Entwicklungsarbeit wachgehalten wird. Das kann auch die Kohärenzüberzeugungen (→ Kapitel 2.4) stärken.

Man sollte am Ende eines gelungenen Projekts der Versuchung widerstehen, gleich ein neues aufzulegen, weil man den «Innovationsschwung» nutzen möchte. Man nennt dies «Projektitis». Die Folge davon ist, dass Energien von der nachhaltigen Implementierung abgezogen werden, sodass anfänglicher Erfolg schnell wieder abklingt.

Anzumerken wäre: Auf jeder Stufe sind Irritationen möglich, die zu Rückschritten oder gar zu einem Ausstieg führen können.


Abbildung 8: Übliches Innovationsgeschehen mit Untergruppen gleicher Gesinnung (Quelle unbekannt)

Schulleitungen sollten der Versuchung widerstehen, sich zu sehr mit offenen Gegnern oder Emigranten zu beschäftigen. Es gilt, die Mehrheit der Abwartenden zu motivieren!


•Welche Motivierungsstrategien werden an Ihrer Schule von den Protagonisten genutzt, um die Mehrheit auf ihre Seite zu bekommen? •Wie werden die Skeptiker und Oppositionellen «an Bord» gehalten bzw. eingebunden?

2.4 Salutogenese und Veränderungsbereitschaft

Die Zustimmung zu einem Veränderungsvorhaben und die Bereitschaft, dabei aktiv eine Rolle zu spielen, werden eher erreicht, wenn bestimmte motivationale Aspekte und interaktionale Grundbedürfnisse (→ Kapitel 4.3) berücksichtigt werden. Dies gilt auch, wenn Veränderungen extern angeordnet werden und ein Kollegium Forderungen umsetzen soll, von deren Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit es keineswegs einhellig überzeugt ist. Wie oben erwähnt: Par ordre lassen sich zwar Innovationen durchsetzen; in einem so diffizilen Interaktionsgebilde wie Schule aber reicht «Dienst nach Vorschrift» nicht, zumindest was die Wirkung auf die Schülerinnen, Schüler und ihre Eltern angeht.

Kohärenzsinn

Ein Ansatz, Zustimmung und Bereitschaft zu erreichen und zu fördern, beruht auf dem Konzept der Salutogenese. Aaron Antonovsky (1997) ging – angestoßen durch Gespräche mit Überlebenden des Holocaust – der Frage nach: Was gibt Menschen die Kraft, trotz lebensbedrohlicher Belastungen durchzuhalten, psychisch stabil zu bleiben und selbst massive Beeinträchtigungen zu überwinden?

Als Antwort fand er drei emotional-kognitive Überzeugungen, die er als «Kohärenzsinn» bezeichnete. Sie bilden das Kernstück der Salutogenese (Schneider, 2014).

Der Kohärenzsinn unterscheidet:

Das Gefühl der Verstehbarkeit: Anforderungen und Belastungen lassen sich offenbar besser ertragen, wenn man sie versteht (oder das zumindest glaubt) und weiß oder vermutet, wie sie zustande gekommen sind. Es hilft gegen die Angst vor Chaos.

Das Gefühl der Handhabbarkeit: Die Überzeugung, eine Anforderung oder Belastung aushalten, sogar konstruktiv oder erfolgreich mit ihr umgehen zu können, hilft gegen die Angst vor Überforderung und Scheitern. Das schließt die Hoffnung ein, hinreichende eigene Befähigung zu besitzen (Selbstwirksamkeit) bzw. auf hilfreiche fremde Ressourcen zurückgreifen zu können.

Das Gefühl der Bedeutsamkeit/Sinnhaftigkeit: Verstehen- und Handhaben-Können werden erst wirklich handlungsrelevant, wenn man die Anforderung und das Engagement für sinnvoll hält und die potenziellen Ergebnisse eine positive Bedeutung haben. Die Sinnhaftigkeit einer Aufgabe oder einer Handlung ist langfristig motivierender als kurzfristiger Erfolg; sie wird auch durch einzelne Misserfolge und Rückschläge nicht unbedingt infrage gestellt.

Dieser Kohärenzsinn erleichtert es Menschen anscheinend, mit belastenden Ereignissen, schwierigen oder stresshaften Situationen, die sie nicht ohne Weiteres abwenden können, lebens- und vielleicht sogar gesunderhaltend umzugehen.

Aus der Perspektive einer einzelnen Person könnten die entsprechenden Fragen in Bezug auf Projekte der Schulentwicklung lauten:

Fragen zur Verstehbarkeit

Sind mir der Sinn, das Ziel und die Hintergründe für das Vorhaben klar? Passt meine eigene Ursachenanalyse damit zusammen? Kann ich erkennen, warum dieses Vorgehen zum erwünschten Ziel führen kann? Wäre die jetzige Lage besser, wenn wir früher mit ähnlichen Maßnahmen begonnen hätten? Wie begründen Gegner dieser Maßnahmen ihre Ablehnung? Könnte ich mich diesen Argumenten anschließen? Was wird für mich und für uns anders/besser sein, wenn das Vorhaben gelingt? Habe ich verstanden, was ich genau tun und lassen soll?

Fragen zur Handhabbarkeit

Wenn ich mich darauf einlasse, kann ich das Vorhaben hinsichtlich Umfang und Dauer neben meinen anderen Pflichten bewältigen? Welche bisherigen Aufgaben muss/kann ich notfalls vorübergehend herunterfahren? Kann ich mir die Mitwirkung fachlich zutrauen? Mit welchen Hindernissen muss ich rechnen: in mir selbst, bei meinen Interaktionspartnern oder in der materiellen Realität? Kann ich mir die tägliche Umsetzung des Projekts lebhaft vorstellen und befriedigt mich diese Vorstellung?

Fragen zur Bedeutsamkeit/Sinnhaftigkeit

Halte ich die Ziele des Vorhabens und den Einsatz dafür für sinnvoll und gewinnbringend? Was habe ich selbst davon, das Kollegium, die Schülerschaft, die Schule? Warum ist das jetzt so dringlich, obwohl wir so viele andere Dinge zu tun haben? Ist es die absehbaren Mühen, Anstrengungen und Konflikte wirklich wert?

Salutogenes Führungsverhalten

Das Konzept der Salutogenese hat nicht nur als individuelle Bewältigungsstrategie Bedeutung. Eine salutogene Grundhaltung im Führungsstil einer Schulleitung oder im Unterricht (→ Kapitel 10) kann persönlichen Fehlentwicklungen vorbeugen sowie zur individuellen und kollektiven Psychohygiene beitragen. Eine Schulleitung, die sich an den drei Faktoren des Kohärenzsinns orientiert und sie fördert, würde in Bezug auf Innovationen z. B. darauf achten,

•den Stellenwert des Projekts für den Einzelnen, die Schule, die Gesellschaft transparent und den «tieferen» Sinn deutlich zu machen. Dabei wäre auch ggf. die Priorität im Vergleich zu anderen Projekten zu klären: Was muss reduziert werden, welchen Preis zahlen wir, was muss unter allen Umständen beibehalten werden?

•die oft visionär aufgeladenen Projektziele und -aufgaben so zu operationalisieren, d. h. auf die Handlungsebene herunterzubrechen, dass man sich vorstellen kann, was da auf den Einzelnen oder das Kollegium zukommt. Die Beteiligten müssen zumindest rational nachvollziehen können, worum es geht und was gefordert wird. Ob sie sich emotional damit anfreunden, sei dahingestellt. Es ist eine demokratische Gepflogenheit und Ausdruck von Wertschätzung, Betroffene in Änderungen einzubeziehen (→ Partizipation; Kapitel 7);

 

•die verfügbaren individuellen und kollektiven Ressourcen für die derzeitigen Aktivitäten und die neuen Ziele realistisch einzuschätzen. Die Ziele und Aufgaben müssen so konkret beschrieben sein, dass man sie in die dafür erforderlichen Ressourcen «umrechnen» kann. Haben wir ausreichende und passende Kompetenzen «an Bord»? Können wir Defizite, z. B. durch Fortbildung oder externe Personen, ausgleichen? Wie steuern wir den Prozess? Wie können wir für gleichmäßige Auslastung der Kolleginnen und Kollegen sorgen …? Es gilt dabei der salutogenetische Grundsatz: Machbarkeit geht vor Wünschbarkeit!

Die Promotoren eines Veränderungsvorhabens müssen sich und dem Kollegium diese Fragen im gesamten Verlauf immer wieder stellen und positiv beantworten können (Arbeitshilfe 2.3).


•Wenn Sie Ihre schulische Entwicklungsarbeit Revue passieren lassen: Wo können Sie zufrieden sein? Wo sind Sie unzufrieden? •Auf welche psychosozialen Ressourcen können Sie sich verlassen? •Gibt es Projekte, die mehr Ressourcen binden als sie Vorteile erwarten lassen? •Welche Ergebnisse der letzten beiden abgeschlossenen Projekte wurden in den Schulalltag dauerhaft integriert?

Literatur zu diesem Kapitel

Heyse, H. & Sieland, B. (2018b). Schulentwicklung – Transfersicherung für nachhaltigen Wandel. In: DAK-Gesundheit & DGUV (Hrsg.). Impulse für die Förderung der Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern. DGUV Information 202–098 (S. 375–398).

Nieskens, B., Schumacher, L. & Sieland, B. (2017). Gelingensbedingungen für die Entwicklung guter gesunder Schulen. Ein Leitfaden mit Empfehlungen, Checklisten und Arbeitshilfen. Hamburg & Düsseldorf: DAK-Gesundheit & Unfallkasse NRW.

Sieland, B. & Heyse, H. (20183. Aufl.). Schulentwicklung – vom Änderungsbedarf zum Handlungsplan. In: DAK-Gesundheit & DGUV (Hrsg.). Impulse für die Förderung der Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern. DGUV Information 202–098 (S. 153–198).

Alle verfügbar unter: www.handbuch-lehrergesundheit.de [20.06.2018].

Kapitel 3 Leitbilder – Schulethos

«Im Gegensatz zum Tier sagt dem Menschen kein Instinkt, was er muss, und im Gegensatz zum Menschen in früheren Zeiten, sagt ihm keine Tradition mehr, was er soll – und nun scheint er nicht mehr recht zu wissen, was er eigentlich will.»

Victor Frankl

Leitbilder und Schulentwicklung, wie geht das zusammen? Schule ist ein Arbeitsfeld, in dem die unterschiedlichsten Leitbilder von Lehrpersonen, Schulleiterinnen und Schulleitern, Schülerinnen und Schülern, Eltern, Schulaufsicht u. a. zusammentreffen. Alle haben Vorstellungen davon, was für sie guter Unterricht und was eine gute Schule ist.

In diesem Kapitel wollen wir darauf aufmerksam machen, dass die an Schule Beteiligten ihre individuellen Leitbilder klären und ggf. relativieren müssen, wenn sie zu einem gemeinsamen Leitbild kommen wollen, mit dem sie den Erziehungs- und Bildungsauftrag kooperativ angehen können. Das sollte sich am Ende in einem Schulethos kristallisieren.


Begriffsklärung: Leitbild, Schulethos Unter Leitbild verstehen wir sehr persönliche Vorstellungen davon, wer wir sein möchten und wie wir gesehen werden wollen, wie wir in unseren verschiedenen privaten und beruflichen Rollen denken und handeln sollen, um mit uns selbst zufrieden zu sein. Schulethos ist für uns die Vorstellung einer Schulgemeinschaft davon, wie der Bildungs- und Erziehungsauftrag und die darin enthaltenen Bildungsziele auf das tägliche Handeln heruntergebrochen werden sollen – quasi ein Leitbild der Schule. Es entsteht durch Verständigung der an der konkreten Schule Beteiligten über gemeinsame Ansichten zu den verschiedenen Handlungsfeldern: Unterricht, Leistungsforderungen und Leistungsmessung, Elternarbeit, Kooperation, Partizipation, Rituale, die Rolle der Schulleitung usw. Das Schulethos wirkt zugleich als Orientierung, in welcher Weise auf den Wandel (→ Kapitel 1) reagiert werden sollte. Wir setzen Schulethos bewusst ab von Schulprogramm als dem Bildungsangebot und der Hausordnung8 als organisatorischer Verhaltensanweisung.

3.1 Leitbilder und subjektive Wirklichkeit[8]

Seit unserer Kindheit tragen wir Bilder in uns, wer wir sind oder sein wollen, was wir tun oder lassen sollten. Durch die Interaktion mit den ersten Bezugspersonen lernen wir, welches Denken und Sprechen, welche Wünsche in Familie, Kindergarten, Schule, Freundeskreis akzeptiert werden, und was nicht. Werden diese Erfahrungen verinnerlicht und zur eigenen Handlungsorientierung übernommen (oder manchmal auch ihr Gegenteil), bekommen sie Leitbild-Charakter.

Diese Bilder leiten uns, «richtig» zu handeln, um in Einklang mit uns selbst zu sein, unsere Interessen wahrzunehmen, in unserem Umfeld angenommen zu werden und Erfolg zu haben (vgl. Grundbedürfnisse, Kapitel 4.3). Man kann Leitbilder auch als kognitives und emotionales Korrektiv zu fremd- und lustgesteuertem Verhalten interpretieren. Leitbilder «sagen» uns – wissentlich oder unwissentlich –, welche Ziele wir für erstrebenswert finden sollen und welche Werte uns dabei wichtig sind. Sie lenken uns gleichsam wie ein Navigationsgerät zu bestimmtem Verhalten, Fühlen und Denken. Wir rechtfertigen damit unser Tun und Lassen vor uns selbst und vor anderen. Wenn wir uns damit konform verhalten, fühlen wir uns mit uns selbst im Reinen; andernfalls fühlen wir uns schlecht.

Aus einer Fülle von Angeboten aus Religion, Tradition, Wissenschaft, Wertesystemen, Kulturen, Medien, Zeitgeist, aus ethisch-moralischen, philosophischen, politischen, wirtschaftlichen, pädagogischen … Konzepten, Ideen, Theorien und Zielen etc. müssen wir für unsere Lebensphasen und Rollen eigene Entwürfe gestalten. Das ist durchaus eine anspruchsvolle Aufgabe. Auch lebende oder verstorbene Personen können als «Vorbild» zum Leitbild werden. In der Regel findet dabei eine Abstraktion auf hervorstechende Persönlichkeitsmerkmale oder Haltungen dieser Menschen statt, denen man sein eigenes Handeln und Denken annähern möchte. Für die psychische Gesundheit empfiehlt es sich dabei, fehlerfreundlich mit sich selbst zu sein; denn oftmals wird man seine Leitvorstellungen nicht vollends realisieren können. Andererseits soll man seine Prinzipien auch nicht so hoch ansiedeln, dass man bequem unter ihnen durchschlüpfen kann.

Unsere Leitbilder wirken ebenso wie Kenntnisse und Emotionen als Filter für unsere Wahrnehmung und prägen unsere subjektive Wirklichkeit mit. Sie sind ein Maßstab, mit dem wir andere beurteilen. Das gilt ebenfalls für die Frage, ob Ereignisse zu unseren Vorstellungen «passen» – oder nicht. Wir schließen uns gerne Personen an, die ähnliche Leitbilder vertreten und die unsere Leitbilder eher gutheißen als infrage stellen. Es sollte nicht übersehen werden, dass sich Leitbilder durch gegenseitige Bestätigung zu Vorurteilen verselbstständigen oder durch bewusstes Absetzen von gängigen Meinungen zu Starrsinn und Ideologie verhärten können: Was gut und böse ist, wissen wir nicht von Geburt an, sondern lernen es von anderen.

3.2 Leitbilder ändern sich

In der Jugend setzen wir uns von den Selbstverständlichkeiten der Kindheit ab und stellen die übernommenen elterlichen Leitbilder infrage – bis wir merken, dass sie vielleicht doch nicht so schlecht waren – entsprechend dem Bonmot: «Reif ist jemand, der etwas tut, obwohl es ihm seine Eltern empfohlen haben».

Im Lauf unserer Lebensphasen und wechselnden Lebenssituationen müssen wir uns immer wieder neu orientieren. Das ist eine lebenslange Aufgabe. Andernfalls verhalten wir uns – zumindest von außen betrachtet – unangepasst. Das Berufsleitbild eines Berufseinsteigers hat möglicherweise mit dem einer erfahrenen Lehrkraft nur noch wenig zu tun. Auch gesellschaftliche, ökonomische, ökologische, politische Entwicklungen oder unsere Ansichten dazu beeinflussen unsere Leitbilder.

3.3 Leitbilder sind rollenspezifisch

Für unsere verschiedenen Rollen entwickeln wir unterschiedliche Leitbilder. Als (Ehe-)Partner/in, Mutter/Vater, Sohn/Tochter, Bruder/Schwester, als Lehrperson, Kollegin und Kollege, Klassen- oder Fachlehrer/in, Führungsperson, Verkehrsteilnehmer/in, Restaurantgast usw. haben wir jeweils andere Vorstellungen davon, was (für uns) richtig und wichtig ist, wie wir gesehen werden, welchen Ruf wir haben wollen. Unsere Rollenleitbilder bestimmen auch darüber, wie wir Mitmenschen in den jeweiligen Rollen einschätzen und bewerten. Da schwanken wir vielleicht zwischen «Warum kann der sich nicht so wie ich verhalten?» und «So möchte ich auch …».

In der Regel wechseln wir ganz selbstverständlich zwischen den Rollen. Allerdings können wir aus der Rolle fallen, wenn wir uns z. B. als Lebenspartner wie eine Führungsperson aufführen oder wenn wir unser Rollenverhalten nicht weiterentwickeln und selbst bei erwachsenen Kindern noch die fürsorgliche «Gluckenmutter» spielen.

Wenn sich die Rollen ändern, sollten sich auch die entsprechenden Leitbilder verändern. So verlangt oder begleitet eine Beförderung einer Lehrerin zur Schulleiterin auch eine Anpassung bzw. Neudefinition mancher Überzeugungen und Ziele. Der umgekehrte Weg ist ebenfalls denkbar, wenn z. B. einem Investmentbanker seine Rolle und die zugehörigen Leitbilder fragwürdig werden und er aussteigt, um einen ganz anderen Beruf mit anderen Wertorientierungen auszuüben.

Zudem können sich die Leitbilder in verschiedenen Rollen diametral gegenüberstehen. Die liebe- und verständnisvolle Mutter z. B. kann als Lehrerin durchaus harsch und abweisend gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern auftreten. Manchmal widerspricht auch das konkrete Verhalten den eigentlichen Forderungen aus dem Leitbild nach dem Bonmot: «Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.» Darauf aufmerksam gemacht, kann eine komplizierte Rechtfertigungsspirale beginnen, inkl. Schuldzuweisung an andere.

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